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Fünftes Kapitel.
Eine Nacht in der Residenz.


Einsiedlerische Ruhe und Stille herrschte über dem Schloßgarten zu Karlsruhe. Spaziergänger waren dort nicht zu sehen. Dennoch war's ein Sonntag und die Witterung angenehm. Zugleich aber war's der dreizehnte Mai. Die fürstlichen Bewohner des Schlosses hatten anderes zu thun, als zu lustwandeln, und die Bevölkerung der Residenzstadt war, statt auf den Promenaden zu schweifen, vor dem Bahnhof zusammengedrängt, begieriger als je nach Neuigkeiten aus dem Oberlande und aus Rastatt. Am dreizehnten Mai nämlich tagte zu Offenburg das Volk, und saß gleichsam zu Gericht über das Schicksal des Landes und seines Fürsten. Und schon in der Mitte der verschienenen Woche war die Besatzung der Festung Rastatt der immer mehr aufgährenden Bewegung im Volke beigetreten, und hatte erst gestern einen Versuch, der gemacht werden wollte, sie zu Gehorsam und Dienstpflicht zurückzuführen, auf's entschiedenste abgewiesen. Der Aufstand war der Residenz [90] noch nie so nahe auf den Leib gerückt gewesen, und daher, wie billig, die Besorgniß der Bürger und Einwohner um so größer.

Darum hatten auch zu ihrer Besprechung unvergleichlich Ort und Zeit gewählt die beiden Herren, die auf einer versteckten Bank im Schloßgarten zusammensaßen und sich, unbehindert von aller Politik, eben nur mit ihren eigenen Verhältnissen befaßten. Sie waren Freunde, aus den höheren Ständen, und gebahrte sich doch der Eine, als wäre er ein Verhörrichter, und der Andere, als sei er im Begriff, der Obrigkeit die schuldige Beichte einer Missethat abzulegen. Das Bekenntniß war erst nur halb vollständig, denn der Inquisit sagte just: »Nun erübrigt mir nur noch, mein guter Alfred, zu sagen, wie all' dieses Zerwürfniß gekommen, und was den Bruch herbeigeführt. Es geht mir schwer von Herzen, zu gestehen, daß ich selber die Schuld der ganzen Geschichte trage. Daß ich dir das Geständniß mache, sagt dir, wie sehr ich heute umgewandelt und ein anderer Mensch geworden bin. Schenke mir daher dein Mitleid, statt ein strenges Urtheil zu sprechen, und klage die mathematische Weltordnung an, deren Bekenner du bist, daß sie mir zu jener Zeit die nothwendigste Stütze versagt hat. Du allein, mein Freund, hättest mich aus meinem taktlosen Ungeschick, aus meinem Ruin erretten können ... aber du warst fern, und ich dem bösen Geist überlassen!«

Der Delinquent machte hier eines Pause und zupfte verlegen an seinen tadellos buttergelben Handschuhen. – Der Richter verschränkte majestätisch seine Arme, und sagte mit einer gewissen Leutseligkeit: Rede zu, Fritze. –

[91] Und Fritze – einst der »schöne Fritze«, aber jetzt überaus blaß und beträchtlich abgemagert – faßte seinen Muth zusammen, und fuhr zerknirscht fort: »Deine Bemühungen, lieber Alfred, hatten zwischen mir und meiner Braut den Frieden hergestellt, und ich meinte, derselbe würde ein dauernder seyn. Ich glaubte wiederum, Cymbelinens Liebe sei mir gesichert; Cymbeline hatte wiederum Vertrauen zu mir gefaßt. Meiner Eitelkeit schlug ich auf's Maul und jegliche Flatterlaune mir aus dem Sinn. Um nicht gestört zu werden in dem Bestreben, der Verlobten und mir selber treu zu bleiben, ging ich äußerst wenig in die Welt. Jedoch konnte ich mich nicht einbauen, wie ein Dachs, und leider waren meine Augen scharf genug, um zu bemerken, wie die schöne Welt der Damen, sonst mir zugeneigt, mich nun geringschätzig behandelte. Die jungen Herren, sowohl Kollegen, als auch weitere Bekannte, darunter manche Neider, kitzelten nicht selten meine Haut mit brennenden Nadelstichen, und hie und da mit den gröbern Pfeilen ihres Spottes. Die letzteren Geschosse wies ich freilich mit Grobheit zurück; die Nadelstiche bohrten sich dagegen tiefer in das Fleisch, und allmälig wachte wiederum in mir der Vorsatz auf, gleich nach meiner Vermählung mich auf dem Lande zu verstecken, und mindestens ein paar Jahre als Unterpascha eines Amtsstädtchens zu verbauern. Dennoch wäre ich, den schnöden Damen und den spöttelnden Herren zum Trotz, in dem ganz richtigen Geleise verharrt, wenn nur der verzweifelte Hauptmann, der Hugo von Wildian, am Leben geblieben wäre! Allein die Nachricht von seinem Tode vernichtete alle meine guten Vorsätze, brachte mich aus dem Häusel. Mathilde frei, noch ein [92]mal so schön als sonst in ihrem edlen Schmerz – und ich gebunden, und ich noch einmal so verliebt, als ich früher je gewesen ... im Nu wieder rasend verliebt geworden in die freie Mathilde! O Alfred, das war ein Riesenkampf, dem ich leider unterlag!«

Alfred erwiederte trocken: Wer sich nicht wehrt, unterliegt immer im Kampf mit dem Versucher. Das ist der Fluch der bösen That. Du hattest dich gebunden, und mußtest deine Bande tragen als ein Biedermann. Waren es doch schöne, süße Bande! Allein, wärst du auch frei gewesen wie der Vogel in der Luft, so hättest du nicht rühren sollen an die Rechte deines Freundes. Mich dünkt, es lebe Einer, der Ansprüche hat auf Mathildens freigewordene Hand und dem das mathematische Gesetz, so die Welt regiert, zu seinem Recht verhelfen wird.

»Mag seyn, ja wohl, es mag seyn!« rief der Sekretär aus: »Ich stehe dir nicht mehr im Weg; ich habe mein Spiel verloren, mit Fug und Recht verloren. Denn ich gesellte an einem verhängnißvollen Abend zu dem bösen Geiste, der mich schon gekirrt, einen weit schlimmern, in der Gestalt einer Flasche Wein. O grausamer Kastelberger, der mir nie über die Lippen hätte kommen sollen! Von ihm bethört, ja demoralisirt, schrieb ich ein tolles Briefchen an Mathilde, steckte es ihr frech und unbesonnen heimlich zu und legte mich mit den abenteuerlichsten Hoffnungen schlafen. Am andern Tag war Mathilde verschwunden ... Das böse Gewissen jagte mich von Freiburg hieher, peitschte mich von hier nach Freiburg zurück, und mittlerweile hatte Mathilde meinen Brief den unerbittlichsten Händen ausgeliefert, und ich erhielt bei'm Will [93]kommen gleich brühwarm meinen Abschied!« – Das geschah dir recht; begnügte sich Alfred zu entgegnen. Und Friedrich fuhr fort: »Da war nun nichts zu reden; da war ich gleichsam eine Leiche viele Wochen lang. Ein paar Bettelbriefe an Cymbeline, von mir in Herzensangst und erbärmlicher Reue geschrieben, blieben ohne Antwort; der dritte wurde schon nicht mehr angenommen. Obschon ich trostlos, ja halbtodt war, versuchte doch mein alter Leichtsinn, wieder auf die Beine zu kommen und meine frevelhafte Eitelkeit aufzustacheln.Verzweifelnd warf ich mich in den Strudel der Zerstreuung; der Spaß dauerte nicht lange, denn ich machte als ein verlorner und aufgegebener Mann keinen Effekt mehr. Da mir endlich noch der Schimpf geschah, daß ich an einem dritten Orte, in einer stillen Familie, mich mit Mathilde begegnete und mich grausam, wie der fremdeste Fremde, von ihr behandelt sehen mußte ... da war's rein aus mit mir, und wie eine Schnecke saß ich fürder in meiner Schaale und in meiner eigenen angenehmen Gesellschaft. Da hab' ich mir den Spiegel ernstlich vorgehalten ... zu spät! Da ist auf's Neue, und zwar recht unbarmherzig, die Liebe zu der engelreinen, zu der so edelherzigen Cymbeline in mir wach geworden, wie ein starker Löwe, der von Schonung nichts kennt. Mit dieser hoffnungslosen Liebespein stehe ich auf, lege mich nieder; strafend wandelt sie stets an meiner Seite überall, und erinnert mich unaufhörlich an das Glück, das ich hätte haben können, das ich jedoch von mir gestoßen wie ein blinder Thor, wie ein wortbrüchiger Tropf! – Meinen Gemüthszustand will ich nicht weiter schildern. Genug, daß ich um aller Schätze des Erdbodens willen nicht mehr in Freiburg [94] bleiben möchte, wo ich mir Schmach und Unehre bereitet habe. Seit gestern wandre ich hier als ein Bittsteller von einem Würdenträger zum andern, und flehe um irgend eine Anstellung, wenn noch so gering, am See oder im Buchfinkenland ... mir gleichviel, wenn nur weit von dem Orte, wo die theure Jungfrau lebt, deren Herz ich mit dem meinigen zugleich gebrochen. Jeden andern Kummer, jede Armseligkeit im Leben kann ich aushalten, nur nicht Cymbelinens strengen Blick, ihre wohlverdiente Verachtung ertragen!«

Alfred antwortete mit einiger Theilnahme: Wenn diese Gefühle dir ernst sind, lieber Fritze, so darfst du dir zu deinem Unglück gratuliren. Schon Mancher ist aus solcher Schule gebessert hervorgegangen. Immerhin freut es mich, daß ich dir hier begegnete, und da ich überhaupt den Zufall läugne, so halte ich auch unser heutiges Zusammentreffen nicht für einen leeren Zufall. Ehe ich nun anhebe, dir als schuldige Erwiederung meine bisherigen Hin- und Herzüge zu schildern, laß mich wissen, wie es mit deiner Hoffnung steht, von Freiburg auf einen andern Posten versetzt zu werden?

Worauf Friedrich achselzuckend: »Alles im weiten Felde ... alles in der Schwebe. Man wurde von jeher in der Residenz mit Versprechungen abgefüttert; aber jetzo ist von greifbarer Wirklichkeit noch weniger die Rede als sonst. Der Soldatenkrawall in Rastatt, die unselige Volksversammlung zu Offenburg haben alle Gemüther mit Furcht und Schrecken erfüllt. Es heißt, daß vom letztern Orte bereits eine Deputation mit groben Anforderungen an das Ministerium hier angekommen, und mit dem abschläglichsten Bescheid wieder [95] heimgeschickt worden sey. Es seyen schon gestern Eilboten nach Frankfurt gegangen, um vom Reichsverweser die schnellste Bundeshülfe zu begehren. Sie wird wohl nicht lange ausbleiben ... aber dennoch mag Gott wissen, was die nächsten Tage bringen. – Wollen wir uns jetzt nicht auf den Rückweg machen? Da ich nun einmal mein Herz vor dir ausgeschüttet, so möchte ich mich wohl nach Neuigkeiten umthun, und erfahren, wie es etwa oben im Lande steht.«

Alfred erklärte sich bereit, und sagte: Der Abend bricht ein, und ich habe noch nicht einmal für meine Leibesnahrung sorgen können, da mich gleich nach meiner Ankunft deine Begegnung, du böser Fritze, vor Allem in Anspruch genommen. –

Nach der Stadt zurückschlendernd, erzählte Alfred mit gewohnter Kürze von seinen eigenen Begebenheiten: Nachdem ich dich mit deiner Braut nothdürftig wieder ausgesöhnt, und der Meinung geworden, der Friede werde halten, ging ich auf mein Gut zurück, mit dem Vorsatz, recht bald in Freiburg wieder einzusprechen. Da erfuhr ich durch die dritte Hand den Hintritt meines glücklichen Nebenbuhlers Wildian. Wäre ich ein Thor gewesen, wie ein gewisser Anderer, so hätte ich mich gleich auf die Eisenbahn gesetzt, und mein Herzlein, sammt der Hand, der freigewordenen Mathilde angetragen, Ich nicht so. Ich begnügte mich, an Mathilde ein gefühlvolles Beileidschreiben zu senden, und darinnen meiner eigenen Wünsche mit keiner Silbe Erwähnung zu thun. Wahr ist's: auch dieses Schreiben hat die trauernde Braut an Cymbeline ausgeliefert. Aber mein Schicksal war günstiger als das deinige. Ich erhielt eine Antwort von der Hand der Tante [96] Laura, die mir meldete, daß meine herzliche Theilnahme mit innigem Dankgefühl aufgenommen worden, und daß man sich freue, mir mündlich die Erkenntlichkeit auszusprechen, wann einmal die Alles lindernde Zeit die schwere Wunde ein bischen vernarbt hätte. Das gab Hoffnung. Ja wohl ist die Zeit die Universalmedizin, aber sie will eben Zeit haben. Mit dem Kopf, Fritze, rennt man nicht durch die Wand. Die Weltordnung geht allmälig ihren Gang. Sollte ich jedoch den glücklichen Umschwung auf meinem einsamen Gute erwarten? Unmöglich! Ein Lehrling in der Liebe, wie ich, würde des Teufels vor Ungeduld. Darum reiste ich. Darum ging ich nach Wien, um mich zu zerstreuen. Zerstreuung genug, denn ich fiel mitten in die Oktober-Revolution hinein. Könnte viel davon erzählen, weil ich bis zum Ende ausharrte. Die Erinnerung ist mir jedoch fatal, und somit sage ich nur, daß ich im November mich nach Berlin flüchtete, wo mir's auch nicht gefiel. Daher ging ich, trotz der Stürme des Winters, nach Hamburg. Dort war Ruhe. Die Affären in Holstein und Schleswig kümmerten mich nicht. Ich bildete mich geschwinde in Hamburg zu einem hinlänglichen Engländer aus, und fuhr nach London über. Gott verzeih' mir's – es ist zwar an der Tagesordnung, gutzuheißen alles, was englisch – aber auch in London gefiel mir's nicht. So wanderte ich denn bald nach Brüssel aus, wo mir's leidlich behagte, und von wannen ich über Aachen und Köln hieher gezogen bin. Nun trachte ich nach Freiburg. Die herbe Wunde mag schon etwas vernarbt seyn, und Doktor Faust hat mir geschrieben ... – Hier unterbrach sich Alfred, hustete wichtig wie ein Diplomat, und gab [97] seinem Vortrag eine andere Wendung, indem er die Frage hinwarf: Wie geht es jetzt dem Doktors Faust? Wie geht's der werthen Familie Hinterbein?

Friedrich entgegnete etwas verdrießlich: »So viel ich weiß – und ich weiß begreiflich nur wenig, da mir zu meinem Unglück das Haus verboten – befinden sich Papa und Fräulein Töchter körperlich ganz wohl, und Herr Doktor noch viel besser, da Sie inzwischen der glückliche Vater eines dicken Jungen geworden, der Sebastian getauft, wie Herr Doktor selber, und von der Tante Laura billig vergöttert. Das ist, was mir bekannt. – Aber sieh doch, wie es so lebendig ist auf den Straßen, auf dem Markt. Was gilt's, wir werden bald etwas Neues hören? Wo bist du abgestiegen, lieber Alfred?«

Hier gleich nebenan, versetzte Alfred: Ich wohne im Englischen Hof. Sei so gut, und leiste mir noch eine Stunde Gesellschaft. Ich fühle mich, obschon ein Reisender geworden und so eben von einer großen Tour kommend, in den verwünschten Gasthäusern so verlassen und allein, daß ich's nicht beschreiben kann. Ich muß mich freilich fügen, da die Weltordnung es nicht anders zuläßt, aber traurig ist's immerhin, daß ich, der ich seit einem halben Jahre mich nach dem eigenen Herd sehne, gezwungen bin, mich in den Gastställen der Herbergen und an den allgemeinen Futterkrippen herumzutreiben. Ich sollte schon mein eigenes Nest haben, eine liebe, schöne Frau haben, und komme mir jetzt vor, als wie ein Vagabund, als wie ein ziehender Komödiant!

Alfreds Sehnsucht nach dem Eheleben gefiel dem »schönen Fritz« nicht besonders; darum beeilte er sich, [98] den Text des Gesprächs zu ändern. »Ach, du weißt noch nicht,« rief er aus, »daß auch Raphael, der ›Stulpenstiefel‹, hier eingetroffen? Ich bin ihm gestern irgendwo begegnet, und wenn ich erfahren hätte, wo er seine Einkehr genommen, so würd' ich nach ihm schicken, und ihn zu dir bestellen lassen.« – Ist nicht wichtig; sagte Alfred mit freundlicher Ruhe: Wenn mich die Dämmerung nicht irre führt, so kommt uns eben der Raphael entgegen.

So war's. Kaum genannt, kam der Wolf gerannt. Sein Rennen war indessen gar bequem; er ruderte vornehm daher, und nur die Begegnung seiner Freunde konnte seinen Gang und sein Wesen aus ihrem höchst würdevollen Takt bringen. Mit anständiger Lustigkeit umarmte Raphael seinen Alfred, schüttelte er seinem Fritze die Hand, und rief Beide gemüthlich an: »Freut mich, freut mich ungeheuer! Liebe Brüder, wackere Brüder! Wollen wir nicht hier eintreten, und eine Flasche trinken auf dieses gottvolle Wiedersehen? Ich bin durstig wie ein Hund, hungrig wie ein Tiger ... Im Englischen Hof wohne ich, ... seid meine Gäste sans façon!

Eine Minute später saßen die Freunde herzlich beieinander, und stießen an auf ihr allerseitig Wohl. Befragt, was er denn hier in der Hauptstadt treibe, antwortete Raphael mit der freundlichsten Stirne: »Ich bin auf Reisen, theils zum Vergnügen, theils im Geschäft. Unser Theater hat Vakanz. Wir trauern gegenwärtig für Seiner Durchlaucht meines Herzogs höchstseligen Urgroßvaters hochselige Wittwe, unsere Hofbühne ist auf vier Wochen geschlossen. Ich bin auf dem Wege, Euch in Freiburg zu besuchen, und möglichst unterwegs [99] einen zweiten Bassisten zu engagiren, an welchem unsere Kunstanstalt Mangel leidet. Ich will Euch hiemit gesagt haben, lieben Freunde, daß Seine Durchlaucht, mein Herzog, mich zum Direktor Höchstseiner Kunstanstalt ernannt haben. Mit den dramaturgischen und ökonomischen Geschäften betraut, gaukle ich nur dann und wann, gleichsam zu meinem Pläsir und pour la bonne bouche de son Altesse, auf den Brettern, so die Welt bedeuten. Der Herzog ist ein großmüthiger Fürst, der seinen Raphael recht lieb hat. Wäre ich von Adel, ich wäre schon Intendant. Was indessen noch nicht ist, kann noch werden. Schon Mancher ist mit einem Wappen begnadigt worden, der nicht würdig, Euerm »Stulpenstiefel« die Schuhriemen aufzulösen. Mein Herzog wird ein Einsehen haben, mich ohne Zweifel nächstens zum Ritter schlagen, und auf diese glückliche Begebenheit wollen wir eins trinken, liebe Brüder, denn ich bin durstig wie ein Raubgraf und sein Burgkaplan zusammen genommen!

Lachend stießen die Freunde zum zweiten Male an, und Alfred meinte: Raphael habe sich viel gebessert und den rothen Demokraten ziemlich ausgezogen.

Woraus der neue Hoftheater-Direktor mit dem ernsthaftesten Gesichte zur Antwort gab: »Ich bin vielleicht immer noch zu vergleichen einem Dachziegel, der von außen grün glasirt, und von innen dennoch roth. Aber ich bin an Erfahrungen reicher geworden, habe einsehen gelernt, daß Geduld und Zuwarten die edelste Tugend des Deutschen, und endlich singe ich auch des Herzogs Lied, weil ich sein Brod esse. Beinebst aber bin ich auch ein Friedensmensch geworden, ein Mitglied der großen Friedensgesellschaft, die ein Engländer gestiftet, [100] in welche mich ein dito Engländer eingeweiht, und die sich nach und nach über den ganzen Erdboden ausbreiten wird. Stoßt an auf den allgemeinen und ewigen Weltfrieden! Der Friede ist so ganz meine Sache, so ganz mein Element geworden! Ich spiele nicht einmal mehr auf dem Theater einen Raufbold, der den Flederwisch an der Seite schleppt, und wäre die Heldenrolle noch so schön! Kein Krieg! kein Blut mehr! Allgemeine Entwaffnung, Friede in Ewigkeit, und Bruderliebe ohne Ende!«

Dummes Zeug! machte Alfred spöttisch. »Der ›Stulpenstiefel‹ ist ein Kommunist, ja ein Socialist geworden!« lachte Friedrich. Und sehr eifrig gab Raphael darauf: »Wenn Ihr darunter einen Menschen versteht, der für das Gesammtwohl schwärmt, der alle seine Brüder glücklich und gleichberechtigt zu sehen wünscht, der in dieser Universalglückseligkeit das Heil der ganzen Gesellschaft enthalten findet, so mag's darum seyn ...«

Leere Fantasieen! spottete Alfred wieder: Thörichte Fantasterei! – Und Raphael hob noch einmal an: »Nicht so leer, als du meinst! Der allgemeine ewige Friede wird schon einmal zur Wahrheit werden. Sind wir Friedensmänner Fantasten, weil wir den vollkommensten sittlichen Zustand erstreben, und weil diesem Streben jetzo noch Hindernisse entgegen stehen? Ei, da müßte auch der Prediger ein Thor seyn, der täglich von der Kanzel seinen Zuhörern alle Tugenden empfiehlt, und weiß doch, daß bei der Hälfte derselben sein Saame auf dürren Boden fällt! Nur nicht nachlassen im Guten; das ist mein Wahlspruch. Hat etwa die Menschlichkeit nicht schon reißende Fortschritte ge [101]macht? Vor sechzig Jahren spielte in der französischen Revolution die Köpfmaschine die erste Rolle; vor einem Jahre, während des Strudels der neuesten Umwälzung in Frankreich, wurde die Todesstrafe für politische Verbrechen abgeschafft! He, ist dass nicht ein ungeheurer Schritt auf der Bahn der Vervollkommnung? Spricht das nicht schlagend für meinen Glauben? Die neuesten Stürme in Deutschland sind uns ja im besten Gedächtniß; ein Pröbchen davon haben wir miteinander in Freiburg erlebt. Nun denn: ist nicht die erste Tugend des Volks, das sich erhoben, Mäßigung in allen Stücken gewesen? Ist das Leben der Wehrlosen, das Eigenthum des ruhigen Bürgers gefährdet worden? Hat uns Freunden, die wir hier beisammen sitzen, dort und damals irgend Jemand auch nur ein Haar gekrümmt? Nein; wir sitzen hier vollzählig, gesund und unbekümmert, wie wir damals gesessen ...«

Alfred fragte lustig: Ist dir denn dazumal so gar unbekümmert zu Muth gewesen? – Und Friedrich fügte betrübt hinzu: »Vollzählig sind wir nun eben nicht; Einer fehlt aus unserer Mitte!« – Ach ja! der Moritz ist nicht da; schaltete Raphael ein. Alfred stellte gleich die Frage: Ei ja doch; was ist aus dem Moritz geworden? Wo steckt er denn jetzt, der Moritz?

In diesem Augenblick sprang ein Kellner herein, und rief mit ängstlicher Hast: In der Kaserne geht's los! Die Soldaten schlagen alles zusammen, es ist ein Höllenpektakel! – Die außer den Freunden anwesenden Gäste liefen Hals über Kopf aus dem Salon, um dem Spektakel auf der Straße nachzuziehen. Auch Raphael sprang in die Höhe, und Friedrich stammelte scheu: »Oho, was wird's denn geben?« – Alfred [102] warf verächtlich hin: Ein Sturm in einem Glas Wasser; eine besoffene Mette, was weiter? – Und Raphael setzte sich mit dem Seufzer: »Da habt Ihr nun wieder einen Beleg zu meinem Glaubensartikel. Wären keine Soldaten auf der Welt, so könnten sie keinen Unfug anrichten. Darum weg mit dem Säbel, weg mit den Trabanten der Gewalt! Ein Schiedsgericht der Völker wird hinreichen, alle streitigen Fragen zu erledigen.«

Schweig doch mit dem Firlefanz! ermahnte Alfred: Und du Fritze, rede mir weiter von dem Moritz, und wo er jetzo steckt. –

Der Sekretär sprach melancholisch: »Er steckt jetzo tief in der Erde, er ist ein stiller Mann geworden. Im Gefecht zu Staufen traf ihn die Kugel, die sein ungestümes Herz zur Ruhe brachte.«

Alfred und Raphael sanken in ihre Stühle zurück, wie vom Blitze getroffen. Kaum vernahmen sie, daß der Gastwirth, eiligst durch den Saal schreitend, ihnen zurief: Eine schöne Geschichte, meine Herren! Das Militär ist aus der Kaserne gebrochen, und zerstört das Haus seines Obersten. Kein Stein wird auf dem andern bleiben!

Der »schöne Fritz« drehte sich erschrocken nach dem Wirth um; dieser verschwand so eben in seinen Gemächern; Raphael und Alfred hingegen hielten ihren Freund bei'm Arme fest, und fragten dringend in ihn hinein: Der Moritz? Der Jonathas todt? Um's Himmelswillen, ist denn das wahr? – Friedrich antwortete: »Ganz Freiburg weiß es, ganz Freiburg sagt's. Papa Hinterbein, Doktor Faust, Tante Laura, Mathilde und Cornelia haben den Moritz mit eigenen Augen gesehen. [103] da er auf dem Marktplatz von Staufen in seinem Blute lag, und der Junker von Milzheim hat, glaub' ich, das Grab des Freischärlers mit einem bescheidenen Kreuz geschmückt. Jetzt aber laßt mich einen Augenblick hinaus, liebe Freunde, damit ich mich selber überzeuge, wie es in der Stadt aussieht. Der Soldatentumult weckt die schlimmsten Ahnungen in meiner Seele!« Mit diesen letztern Worten machte sich Friedrich davon. Raphael sprach indessen den Alfred an, der, in sich selbst verloren, mit gefalteten Händen und schmerzlich gebeugtem Haupte vor sich hin starrte: »Ich habe dich nie so erschüttert gesehen, lieber Bruder. Es ist aber auch darnach. Möcht' ich doch selber blutige Thränen weinen über den fürchterlichen Tod des armen Burschen, und ich hätte eigentlich wenig Ursache zu solchem Beileid! Hat er mir nicht das Herz meiner angebeteten Cornelia entfremdet? Hat er mich nicht hinausgeworfen aus dem Tempel meiner reinsten Glückseligkeit? O mein Jonathas, das schelmische Kathrinchen wird viel zu thun haben, meinen innern Frieden wieder herzustellen, den du seiner Zeit gemordet hast!« – Alfred hörte nicht auf die glänzend vorgetragene Tirade des Schauspielers, gab nur zu wiederholtenmalen dumpf und klagend die Worte von sich: Das Schicksal, das eiserne Schicksal! Unerbittliches Weltgesetz! – Da stellte sich abermals der Kellner wie eine Windsbraut ein und rief fast athemlos: Es wird draußen immer ärger! Die Soldaten sind außer sich vor Wuth, und kommen herangezogen in hellen Haufen! – Als eine sehr unwillkommene Begleitung zu dieser fatalen Kunde knallten mehrere Flintenschüsse durch die dunkle Nacht, und das Gebrüll einer rasend aufgeregten Menge [104] näherte sich überraschend schnell, auf der Hauptstraße daherbrausend, dem Hotel. Der Gastwirth stürzte aus seinem Zimmer mit dem Befehl: »Fenster zu, Läden zu! Eiligst die Thüren zugemacht! 's gibt Mord und Plünderung!« Und Raphael stimmte ein: Gott steh' uns bei! Da haben wir's. Mußt' ich, der Mann des Friedens, hier eintreffen, um ein Zeuge oder gar das Opfer einer grausamen Menschenschlächterei zu werden? – Und Alfred, besonnener als Jener, lief hinaus zur Pforte, und beschwor den Thürsteher, nur noch einen Moment die Riegel offen zu halten, weil der Sekretär noch nicht zurück von seinem Spähegang. Die Unterredung zwischen Alfred und dem Pförtner, der seine Schuldigkeit durchaus thun wollte, wäre beinahe unangenehm geworden; doch zum Glück traf auf beflügelten Sohlen der Sekretär just ein, und flüchtete sich in's Haus. Er sah sich gar nicht mehr gleich; zerstört waren seine Züge. Mit unheimlicher Dringlichkeit riß er den Alfred in den Saal zurück, wo Raphael und und ab fieberte, und das Gesinde die Fenster verwahrte und schloß, so gut es sich thun ließ. »Das kann unser letzter Tag seyn!« stöhnte Friedrich heiser, und packte, wie zum letzten Lebewohl, die Hände seiner Freunde. »Die Soldaten haben gänzlich umgeschlagen, haben ihre Offiziere verjagt, und stürmen nun in Masse heran, um das Zeughaus oder das Schloß selber zu gewinnen. Wem es eigentlich zunächst gilt, das mögen die Götter wissen. Die Vorsehung schütze die Stadt und unsern Fürsten! Draußen wird der Tod bald seine Ernte halten!« Friedrich schwieg, und der Schluß seiner Angstrede wurde völlig überdonnert von dem unbändigen Schießen, das ganz in der Nähe losbrach. Das Feuern, [105] scharf und blind durcheinander, hörte nun keine Minute mehr auf. Zwischendurch schauderhaftes Toben und Rachegeschrei von Soldaten und vom Pöbel, der sich freudetrunken den Meuterern angeschlossen. – »Also wieder einmal ein Putsch!« jammerte Raphael, die Hände ringend: »Wenn doch alle Waffen und alle gewaltthätige Kerle bei'm Satan wären! Schon wieder einmal ein Putsch!«

Alfred, der dem Getümmel ein aufmerksames Ohr lieh, und schon von Wien her wußte, was nur Muthwille, oder was fürchterlicher Ernst, erwiederte kopfschüttelnd dem Raphael: Das ist, will ich meinen, kein Putsch mehr, sondern eine wahre eigentliche Revolution, ein Umsturz des Bestehenden ganz und gar. Wir aber können nichts thun, als eben aushalten, und den Gang der Ereignisse abwarten. – Als hierauf Raphael mit närrischer Angst einen Luftball herbei wünschte, um in dessen Gondel den Schreckensauftritten, die sich begeben würden, bis jenseits der Wolken zu entfliehen, und als, im Gegensatz zu ihm, der »schöne Fritz« nach einer Flinte jammerte, um sich in das Kampfgewühl zu stürzen, und zu siegen oder zu fallen für seine Pflicht, seinen Großherzog und sein Vaterland, war und blieb Alfred der gefaßteste unter seinen Freunden, und predigte ihnen, während schon in der Ferne bei'm Zeughaus die Gewehrsalven dröhnten, und aus dem Marktplatz selber vor dem Hotel es in einem fort blitzte und knallte, Ruhe, Gelassenheit und kluge Vorsicht. »Wir sind nicht im Stande, hier nur einigermaßen dem Recht und der Ordnung nützlich zu seyn;« sagte er schließlich: »Wir sind einmal in der Falle drinnen, und bleibt uns nichts übrig, als die eigene Haut zu wahren, [106] wie wir können, und so lang es geht. So möcht' ich denn, zum Beispiel, den Vorschlag machen, in mein Zimmer hinauf zu steigen. Es hat ein kleines Vorgemach, das nach dem Hofe sieht, und wohin die blauen Bohnen, die man dort außen vergeudet, nicht wohl dringen dürften; während hier unten, trotz aller Fensterläden und anderer Schließmittel ...« Ihm in die Rede fiel, oder platzte eine Musketenkugel, die durch den Laden, durch das Fenster fuhr, und an dem Ohr der Freunde vorüberpfiff.

Der Schreck war doppelt, da Raphael, der Friedensmann, einige Schritte zurücktaumelte, und beide Hände vor die Stirne schlug, als ob er von der Kugel getroffen worden wäre. Seine Freunde kamen indessen mit der Angst davon; Raphaels Zurückweichen und grausige Geberde war nur von der elektrischen Erregung des Schauspielers bedingt gewesen. Alfred und Friedrich nahmen den Furchtsamen in ihre Mitte, sahen sich nicht weiter im Saale um, und eilten was sie konnten, der leuchtende Kellner wie ein Irrwisch vor ihnen her, auf die bezeichnete Stube. – Raphael ließ sich trostlos auf das Kanapee niederfallen, Friedrich lehnte finster in einer Ecke, Alfred lauschte dem in der Ferne stets fortdauernden Lärm, nahm hin und wieder einen Schluck von dem edeln Wein, den er als eine Herzstärkung hatte heraufbringen lassen, und murmelte bei jeder Flintensalve, deren Knall durch des Hauses Wände drang: »Das ist fürchterlicher Ernst, das ist just wie zu Wien im Oktober. Der Bürgerkrieg wüthet in der Stadt ... Der Ordner aller Dinge möge es zum Besten lenken!«

Ja freilich war der Bürgerkrieg in der Stadt los; [107] am Zeughaus, das noch von einigen getreuen Soldaten und von herzhaften Bürgerwehrmännern vertheidigt wurde, knallte es Schlag auf Schlag. In der Hauptstraße griffen treugesinnte Dragoner die Meuterer ... der Rittmeister der kleinen Schaar fand dort den Tod. Die Trommeln und die Hörner der Bürgerwehr klangen und rasselten von allen Seiten. Um selbige Stunde verließ auch die fürstliche Familie das Schloß und die Stadt, von wenigen Getreuen begleitet. – Von all' diesen Begebenheiten erfuhren die drei Freunde in ihrem schußfreien Stübchen nichts Zuverläßiges. Ihre Ungewißheit war daher um so peinlicher, da das Schießen und Geschrei, bald näher, bald ferner, immer anhielt, und die Berichte des Gastwirths, die ihnen von Zeit zu Zeit zukamen, natürlich so unvollständig als möglich waren. – »Was auch der Ausgang seyn möge,« seufzte Raphael, der zum Friedensschwärmer umgestimmte Freischärler: »diese Nacht werd' ich nie vergessen, und wenn mir noch tausend Lebensjahre beschieden wären!«

Alfred sah ihn mitleidig lächelnd an, und wollte eine spöttliche Frage an ihn stellen, als Friedrich ihm selber plötzlich die Frage hinwarf: Glaubst du an Ahnungen, Alfred? – Ihm erwiederte der Bekenner der mathematischen Weltordnung: »Nicht gerne, lieber Fritze. Weltgesetz und Schicksal in einer Person halten unverrückt ihre Bahn nach Vorschrift ein. Wozu dann noch Ahnungen, die höchstens als Warnungen einen gewissen Werth haben könnten? Der Mensch mag jedoch darauf hören oder nicht, seinem Schicksal entgeht er nicht. Daher glaub' ich nicht an sogenannte Ahnungen, die nur Aberglauben sind und Hirngespinnste.« – »Und die Träume, was wär' es mit den Träumen?« schaltete [108] Raphael mahnend ein: »Das Traumgesicht, so uns den Tod des Jonathas vorhergesagt, hat sich's nicht bewährt?«

Alfred rieb sich verlegen die Stirne, und versetzte hüstelnd: »Ja so ... der Moritz ... wir alle drei haben freilich das Gesicht gehabt ... da wäre jedoch… hm hm ... da wäre noch zu unterscheiden. Was soll's aber mit denjenigen Ahnungen, Fritze?« – Woran Friedrich: Stelle dir vor, daß mich jetzo die unheimlichste Ahnung bei der Gurgel gepackt hat. Wie, wenn es jetzo, heute, um zwei Uhr nach Mitternacht, wie so eben, in Freiburg aussähe, wie hier zu Karlsruhe? Die Verschwörung, so scheint es, hat sich über's ganze Land gesponnen, und in der heutigen Nacht ist etwa überall der Streich gespielt worden. Wenn nun, wie hier, in unserm Freiburg der Krieg wüthete und der Mord, vielleicht die Plünderung und der Brand ... ach, was würde geschehen mit Cymbeline ...? – »Und was, um Gottes Willen, mit Kathrinchen, das mich liebt, und dem mein Herz gehört, aus welchem ich gestrichen die falsche Cornelia?« fuhr Raphael tragisch dazwischen. – Und Alfred setzte gedankenvoll hinzu: Muß ich nicht fürchten auch für meine Mathilde? – Keiner antwortete dem Andern, so vertieft war ein Jeder in die eigene Sorge. Darüber trat große Stille ein, und während des langen Schweigens merkten die Freunde, daß auf der Gasse ebenfalls der Kriegslärm aufgehört, und folglich Friede oder Waffenstillstand eingetreten. Gleichzeitig erschien der Kellner, um die Herren zu benachrichtigen, daß die Ruhe sich wieder hergestellt. – »Das wissen wir schon, das haben wir schon gemerkt;« sagte Alfred: »Wie [109] aber ist das gekommen?« ... Hat das Gesetz, hat die Ordnung wieder gesiegt? fragte der schöne Fritz. –»Sind die wackern Leute wieder zu sich selbst gekommen, und ist der Gott in ihrem Busen wach geworden?« fragte Raphael mit großer Salbung.

Der Kellner, dem eine solche Sprache böhmisch oder spanisch war, glotzte den Redner sehr verwundert an und konnte für's Erste eine Antwort nicht finden. Weil jedoch Alfred und Fritze nicht aufhörten, ihn in die Frage zu nehmen, wie eigentlich die Sachen in der Stadt ständen, so wurde der Mensch, in Ermanglung einer bessern Wissenschaft, auf einmal grob und versetzte: Ja du mein Gott, was kann ich da sagen? Es wird eben nicht mehr geschossen, nicht mehr randalirt, das Geläuf hat aufgehört ... was will man mehr? Ich werd' mich hüten, auf die Gasse zu gehen und mein Leben zu riskiren! Vor der Hand ist's einmal still, und in ein paar Stunden ist wieder heller Tag, und da werden wir ja weiter sehen. Wünsche Ihnen unterdessen wohl zu ruhen, und bitte nur zu läuten, wann Sie das Frühstück befehlen. – Drehte sich auf dem Absatz um und war weg. Alfred begleitete ihn mit dem kühlen Gruß: »Ihnen zu dienen, Herr von Schafskopf!« – Friedrich raufte sich die Haare und brummte wie verstohlen: »Wie soll ich ruhen, und mein ganzes Leben ist ja in Freiburg. und bei dir, o Cymbeline!« – Und Raphael, sehr gefühlvoll gähnend, streckte sich und deklamirte: »Was wird noch kommen, was geschehen? O menschlicher Unsinn, der mit Pulver und Blei seine Zwistigkeiten ausmachen will! Wie froh bin ich, daß ich kein schneidiger Republikaner mehr bin! Aber seit die schneidige Cornelia mich betrogen, [110] mich verrathen ... fahre hin, rothe Republik! Dem Frieden und seinem menschlichen Dienst habe ich mich ergeben, und dieser Trost beruhigt mich sogar mitten im Getöse der Schlachten ...!« – War auch zur Stunde so beruhigt, daß er auf seinem Kanapee entschlief und schnarchte, daß die Wände bebten. Alfred würde diese geräuschvolle Uebung nicht geduldet haben; aber er selber lag mit gekreuzten Armen und ausgestreckten Beinen im Lehnsessel – und schlief. Und der »schöne Fritze« war, seiner vormaligen Braut gedenkend, mit dem Kopf auf den Tisch gesunken – und schlief. – Und dieses Schlafvergnügen dauerte, bis die Glocke fünf schlug und mehrere Flintenschüsse, einzeln abgefeuert, die Schläfer weckten. –

»Hebt denn der Trödel wieder an?« machte Alfred, aus seiner Ruhe langsam erwachend. Friedrich sprang dafür um so schneller auf seine Füße und eilte mit den Worten: »Wenn's mich mein Leben kostet, ich muß jetzt wissen, woran wir sind!« in die Vorderstube hinaus, um durch's Fenster in die Straße zu schauen. – Raphael rieb sich die Augen und schmälte vor sich hin: »Wie unanständig, daß jetzo wieder das einfältige Geschieße angehen soll! Wär' ich nur hundert Meilen von hier! Wär' ich doch bei meinem Herzog geblieben, ich Thor, ich Kameel, ich Narr in Folio! Was soll ich thun, wohin soll ich mich wenden im Kugelregen, und werd' ich denn einen Weg finden, sey es zu meinem Liebchen, sey es in mein stilles Haus zurück?«

»Das ist keine Frage!« fiel Alfred ein, der dem Sekretär an's Fenster gefolgt war, und wohlgemuth von da zurückkam: »Der Morgen ist wunderschön, das bischen Schießen hat nichts zu bedeuten. Die Soldaten [111] ziehen einzeln, mit gepacktem Tornister den Thoren zu und feuern zum Pläsir ihre Gewehre in die Luft ab. Haben ohne Zweifel mit dem Katzenjammer viel zu thun, nehmen Urlaub aus freier Hand und gehen, sich auf dem Lande wieder herzustellen. Die Sachen mögen freilich kurios liegen: aber von Streit und Mord ist, wenigstens jetzo nichts zu hören und zu sehen. Darum, Raphael, wollen wir thun, was sich für uns schickt. Wir wollen nach Freiburg ziehen; in einer Stunde geht der erste Zug dahin ab. Du, Raphael, wolltest ja uns und Kathrinchen dort aufsuchen; also komm'. Meine Pflicht ist, mich um Mathilde zu erkundigen; also gehe ich dahin. Und dein Platz, Fritze« – der Sekretär trat so eben zu den Andern – »ist ohne weiteres jedenfalls zu Freiburg; wenn nicht im Hause Hinterbeins, so doch bei deiner Behörde. Mithin macht Euch fertig, Freunde und Brüder; laßt uns fliehen diese vom Aufruhr geschändete Stadt, und mit eigenen Augen uns überzeugen, wie es droben im Land mit unsern Lieben steht und ob des Fritze Ahnungen gelogen oder wahr gesagt!«

Der frische Muth des Sprechers machte auch muthiger den Friedensmann, schlug Friedrichs Bedenklichkeiten nieder. Des Letztern Geschäfte in der Hauptstadt waren, das fühlte er, zu Ende. Schwerlich war noch irgend eine Behörde aufrecht geblieben, bei welcher sein Ansuchen hätte durchgesetzt werden können. Daher war in der That Friedrichs Platz nur zu Freiburg. Raphael ließ sich leicht bestimmen, weil er in seinen herzhaften Freunden eine gewisse Bürgschaft für sein Leben und Wohlbefinden zu haben meinte. – Die Freunde nah [112]men sich allesammt kaum die Zeit, ein Frühstück zu genießen, erfuhren dabei weder vom Wirth noch von dem Dienstpersonal zuverläßige Angaben über die verwichene Schreckensnacht, und verfügten sich ohne weitern Aufenthalt nach dem Bahnhof. Die Gassen der Stadt waren menschenleer; nur da und dort fuhr ein gepackter Wagen vorüber, ließen sich einige abziehende Soldaten sehen. Der Droschkenführer erzählte freilich von den Kämpfen am Zeughaus, welches nicht erobert worden; von dem Tode einiger Dragoner und von dem Gerücht, als habe sich der Großherzog in der Nacht entfernt ... aber was er wußte, kannte er nur vom Hörensagen. – Auf dem Bahnhof ging es nun viel lebendiger zu. Da war ein guter Theil der Bevölkerung versammelt, um abzureisen, um zu fliehen; die Meisten trachteten nach Mannheim oder nach Heidelberg, in der Meinung, dort eine kurze Weile in Sicherheit zu verbringen und alsdann wieder heimzukehren, als sey gar nichts vorgefallen. Wäre eben diese Menge von flüchtigen Leuten aus den höheren Ständen nicht gewesen, man hätte in der That glauben sollen, daß gar nichts vorgefallen. Die Züge standen bereit, wie sonst; die Bahndienste wurden verrichtet wie sonst. Nur hatten nach und nach ziemlich viel heimgehende Soldaten auf den Imperialen der Waggons Platz genommen, und ein Beamter, der dem Sekretär begegnete, sagte zu ihm mit etwas verstörtem Angesicht: »Sie wollen nach Freiburg? O Jesu mein, wie wird das ablaufen? Sie werden allerdings abreisen, doch möcht' ich Ihnen nicht dafür stehen, daß Sie weiter kommen, als eben nur bis Rastatt!«

[113] Die Prophezeiung war verdächtig; allein sie bewährte sich nicht. Am Bahngebäude zu Rastatt war ein groß Getümmel von Festungsarbeitern und Soldaten, die neugierig dem Zug entgegen sprangen und in lauten Jubel ausbrachen, da sie hörten – so von den Zugführern, als von den mitfahrenden Infanteristen – daß die Auflösung des Militärs vollständig und die Hauptstadt offen, ohne Widerstand. – Unter den Hallen des Bahnhofs von Oos standen bereits bewaffnete Volkszüge, gerüstet und bereit, nach Karlsruhe vorzudringen. Ein Soldat rief von dem Zug herab: Alles geht gut! Der Struve ist frei! Die von Bruchsal haben ihn herausgelassen! Vivat die Freiheit! – Und donnernd wiederholten die Bewaffneten den Hochruf, und unter ihnen trat ein Mann auf, mit Schlapphut und Schleppsäbel, und grüßte und dankte verbindlich. »Das ist ja wahrhaftig der Struve selbst!« flüsterte Friedrich grimmig seinen Gefährten zu. Und ihm flüsterte entgegen Alfred: Nur ruhig, kaltes Blut! – Und Raphael rannte ihm furchtsam zu: »Im Namen aller himmlischen Mächte, schweig und laß dir nichts anmerken! Ein unbesonnen Wort, eine verdächtige Geberde, und das Volk zerreißt uns ohne Gnade!«

Der Zug stürmte weiter ... in Offenburg harrte eine noch größere Menge von Bewaffneten der Reisenden, und dieselbe Ansprache wurde an sie gehalten und mit demselben Jubel von ihnen aufgenommen ... und also ging es fort von Station zu Station bis in die Nähe von Kenzingen, noch wenige Stunden von Freiburg. Die soldatischen Passagiere hatten alle in der Nähe ihrer Dörfer den Zug verlassen – des bewaffneten Volks wurde auf den Haltplätzen immer weni [114]ger ... Keinem von allen Reisenden war eine Beleidigung angethan worden. und das Kleeblatt der Freunde fuhr gegen Mittag, gleichsam wie im tiefen Frieden, und deßhalb seinen Augen kaum trauend, in das ersehnte Freiburg ein.


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