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Wenn an dem blutigen Morgen des Ostermontags der »schöne Fritz« allerdings einen Schutzgeist gefunden, der sein Leben rettete – was war denn aus seinen Herzensfreunden geworden, und was hatte sich mit ihnen begeben? War Alfred, der Aristokrat, irgendwo ein Opfer der Volkswuth geworden? Hatte Raphael vielleicht sein Leben im Dienste der Freiheit in die Schanze geschlagen?
Zum Glück hatte sich von alledem nichts ereignet. – Alfred, nachdem er geraume Zeit vergebens nach dem entsprungenen Freunde gefahndet, und weil ihm mittlerweile das kriegerische und aufrührerische Treiben in der Stadt unbequem geworden, war auf den Karlsplatz, und in Folge dessen auf einen ganz unbewachten, völlig menschenleeren Pfad zur Höhe des Schloßbergs gerathen, und hatte denselben getrost verfolgt. Dergestalt war ihm nach seiner Weise, und im Einklang mit seinen Lebensansichten, derjenige Platz zu Theil geworden, wo er auf dem Gipfelpunkt aller Dinge stand, die sich zu seinen Füßen begaben. Wie ein über dem Wel [2]tengedränge schwebender Gott, stand Alfred auf dem äußersten Vorsprung des »Kanonenplatzes«. Er sah, wie die Truppen aus Westen und Süden gegen die Stadt vorrückten; er sah, wie beinahe zur gleichen Zeit die am vorigen Tag zurückgedrängten Freischaaren abermals aus den Wäldern brachen, wohin sie über Nacht sich zurückgezogen; er sah, wie das Militär ihnen noch kräftiger als gestern die Straße zum »Schwabenthor« verlegte, und wie der Kampf im Halbkreis um die Stadt entbrannte. Auf der Eisenbahn kamen neue Heerschaaren an, die, kaum angelangt, in's Gefecht geführt wurden, und mit den Schützen der Freischärler, so wie mit der aufrührerischen Besatzung der Thore und Wälle zu thun bekamen. Dem aufmerksamen Zuschauer ging kein Schuß verloren, und er selbst schien kugelfest zu seyn, so gleichgültig thronte er über dem Kriegsgetöse, von dem das einst so friedliche Thal erschüttert wurde. – Endlich wendete sich das Loos der Schlachten zu Gunsten des fürstlichen Heeres ... endlich verschwanden die Freischaaren aus dem Felde, und suchten wiederum den schützenden Wald ... die Geschütze auf den Barrikaden schwiegen, gleichsam wie erschöpft, ... mit gewaltigem Anlauf wurden die Thore genommen, Kanonen und Fahnen erobert, und die Stadt war über!
Nun wurde es aber auch lebendig in Alfreds Nähe. Haufenweise flohen die Aufständischen über den Schloßberg, und dem Dorfe Herdern zu, in das Wette. Unbegreiflicherweise waren diese Punkte unbesetzt, ohne Angriff und Vertheidigung geblieben. – Alfred machte sich nun auch auf den Rückzug von seinem Posten; sein Weg führte ihn aber in die eroberte Stadt hinein. Er ging so aufrecht und zuversichtlich einher, daß keinem [3] einzigen Mann der in den Gassen schwärmenden Soldateska nur von ferne in den Sinn kam, den Wandersmann zu belästigen. Ohne Aufenthalt suchte daher Alfred seinen Gasthof auf, da er als die erste Pflicht erkannte, nach seinem eignen Hab und Gut zu schauen. Die Freunde und die Geliebte sollten dann später an die Reihe kommen.
Obgleich der Gasthof in den verwichenen Tagen von Volkswehrmännern gewimmelt hatte, und gegenwärtig von Soldaten besetzt war, so erhielt doch Alfred die besten Nachrichten, die befriedigendste Auskunft über sein Eigenthum. Nach den Versicherungen des Kellners war der Bediente Alfreds nicht von dem Zimmer gewichen, und ganz unbelästigt geblieben. – Dieser Kunde sich erfreuend, wollte Alfred in der untern Stube, und zwar recht geschwinde, eine Erfrischung zu sich nehmen, die ihm wohl zu gönnen, weil er noch völlig nüchtern, – als plötzlich sein Bedienter in Person sich ihm vorstellte, und ihn bat, sich gefälligst auf sein Zimmer zu bemühen, da sein Bruder, welcher eben angelangt, ihn dort erwarte.
Alfred machte große, große Augen und rief aus: »Nun wahrhaftig, das macht sich drollig! wie fällt es meinem Bruder, dem Pelzhändler aus Kasan, nur ein, mich aufzusuchen an den Ufern des Rheins, und zwar in Freiburg, wo ich mich eben nur zufällig aufhalte, und obendrein gleich nach Erstürmung der Stadt!« – Dennoch schickte er sich ohne Zaudern an, der Einladung zu folgen, und war herzensvergnügt, nach etwa zwanzig Jahren den Bruder wiederzusehen, der von ihm Abschied genommen, da sie beide noch kleine Jungen gewesen. –
[4] Darum springt Alfred die Treppen schnell hinan, stürmt in sein Zimmer, schlägt dem neugierig nachkommenden Diener die Thüre vor der Nase zu, und will sich unaufhaltsam in die Arme seines pelzhändlerischen Bruders werfen. Jedoch ... wie wird ihm zu Muthe, da er einen Mann vor sich sieht, dessen Züge nun und nimmermehr in die Alfred'sche Familie passen? der um etliche Jahre jünger, als Alfred, statt um so viele älter zu seyn, und der in einem Anzug steckt, wie ihn allenfalls ein leichtsinniger Landjunker im Breisgau tragen mag, aber gewiß nicht ein russischer Kaufmann, der in Asien sich aufhält, und mehr mit sibirischen und chinesischen Zuständen vertraut ist, als mit badischen Trachten und Sitten!
Stutzend bleibt Alfred vor dem Fremden stehen, der ihm zwar kurios, aber doch nicht so ganz fremd vorkommt, und mustert, ohne ein Wort zu reden, seinen Mann. Dieser rückt ihm aber, ohne viel zu fackeln, auf den Leib, und fragt schneidend:
»Kennen Sie mich nicht.mehr, mein Herr?«
Und hätte sich der Frager in einen leuchtenden Engel, oder in den schwärzesten Satan verstellt gehabt, die Stimme wäre nicht zu mißkennen gewesen. Sie klang dem stutzenden Alfred, so zu sagen, seit vierundzwanzig Stunden in den Ohren, und zwar unangenehm genug. Alfred fährt daher zurück, und fragt entgegen: Ei, mein Gott, wär's denn möglich? irre ich nicht, so hatten wir gestern Händel, und wir haben uns herausgefordert?
»So ist's; ich bin derselbe, welcher!« Also antwortet Titus, der Turner, – denn kein anderer war der sogenannte Bruder aus Kasan, – und fährt mit [5] gedämpfter Stimme fort: »Ich komme Ihnen unerwartet, nicht wahr?« – Doch nicht so ganz; erwiedert Alfred: so viel ich mich erinnere, versprachen Sie, nach ausgemachter Sache bei mir sich einzustellen? Wahrlich, Sie sind pünktlich. Kaum schweigt die Schlacht, und schon ...
»Sie verstehen mich unrecht;« unterbrach ihn der Turner hastig und heimlich: »es ist jetzt nicht an der Zeit, uns die Hälse zu brechen. Versparen wir das auf eine gelegenere Stunde, und helfen Sie mir, Sie selbst, mich für jene Ritterpflicht zu erhalten. Sie wissen, wie unser Kampf ausgegangen ... Die Stadt ist in den Händen der Tyrannen, ich und meine Gesinnungsbrüder, wir sind vogelfrei ... Um keinen Preis möchte ich lebendig in die Gewalt der Feinde gerathen! In der Eile habe ich des Mannes Zierde, den Bart, aus meinem Antlitz getilgt, mich in einen Sklaven maskirt, und die Gewänder eines Aristokraten um mich geworfen. Meine Freunde konnten mir nur in dem letztern Stücke helfen, mich nicht beherbergen, nicht mir die Flucht erleichtern. Ich will sie nicht kompromittiren ... bei Ihnen sucht mich Niemand, mein Herr; darum klopfe ich just bei Ihnen an, als bei einem edeln Gegner. Helfen Sie mir durch, schaffen Sie mir einen Paß, leihen Sie mir etwas Geld; mein Wort darauf, daß ich Ihnen Alles ersetze, und mich Ihnen dankbar verpflichtet fühlen werde, wie auch die Zukunft sich für mich gestalte!«
Die Offenherzigkeit des Jünglings war ungeheuer; die Zumuthung, die er an Alfred stellte, nicht gering. Demungeachtet hatte den Turner sein Instinkt nicht ungeschickt geleitet und berathen. Alfred war allerdings [6] der Mann, der solcher Offenherzigkeit zugänglich, solchen Zumuthungen gewachsen.
Sehen Sie – sagte er, nach einer Pause, zu dem Vetter Titus – Sie haben an die rechte Thüre geklopft. So weit ich Ihnen helfen kann. soll es geschehen. Dem Unglück gegenüber, schwindet stets auch mein gerechtester Groll. Ich rathe Ihnen für's Erste, gleich diese Stunde des Durcheinanders zu benützen, und zum Zähringer-Thor hinaus, nach dem Gebirge sich zu entfernen; dort ist der Weg noch rein; heute Abend schon dürfte es zu spät seyn. Da haben Sie meinen Paß – auf die paar Jahre Unterschied in der Angabe des Alters wird es nicht ankommen – da ist auch etwas Geld, so viel ich just entbehren kann. Mein Bedienter soll Sie eine halbe Stunde weit begleiten, und mir die erwünschte Nachricht bringen, daß Sie ohne Hindernisse den Pfad zur Flucht gefunden. Geld und Papier senden Sie mir dann bei Gelegenheit zurück, und es soll mich freuen, wenn Sie selbst es mir zurückbringen, zur Zeit, da Sie im Stande seyn werden, die Irrthümer dieser Tage hinwegzutilgen, als ein wackerer und getreuer Bürger!
Hierauf entgegnete der Turner mit kühlen, ja etwas trotzigen Worten: »Den Paß und dieses Geld nehme ich mit Dank an; den guten Rath für die Zukunft behalten Sie immerhin für sich. Der wahre deutsche Patriot ändert seine Gesinnungen nicht, und treibt kein Spiel mit seinen Heiligthümern. Allerdings ist meine Rückkehr dereinst nicht nur möglich, sondern gewiß – aber nur, wenn die gute Sache, die unsrige, triumphirt. Heute sind wir geschlagen, aber nicht besiegt, und die Tage, die da kommen, gehören der Freiheit!«
[7] Sodann sagte er dem Gutthäter ein kurzes Lebewohl, und ging ohne Säumen mit dem Bedienten, den Alfred gehörig unterwies, von dannen. –
Ihm durch das Fenster nachsehend, sprach Alfred: Ein Teufelskerl! Hat da richtig meine Großmuth überrumpelt, und thut dergleichen, als ob es meine Schuldigkeit gewesen wäre, ihm durchzuhelfen, und als ob er mir damit eine Gefälligkeit erwiesen hätte! Meinen Paß und mein Geld werde ich freilich nicht mehr wiedersehen; aber was schadet das? ich kann den Burschen nicht leiden, er ist mein Feind, der mir an das Leben wollte – und dem Feind soll man ja goldne Brücken bauen, wie die kluge Vorschrift heißt. Immerhin also mag das Geld verloren seyn ... vielleicht bessert sich auch der junge Mensch, und ich hätte mir somit eine Staffel in den Himmel gebaut!
Die Gedanken Alfreds gingen nun plötzlich von dem Feinde, den er sich vom Leibe geschafft, auf die Freunde über, die sich immer nicht einstellen wollten, wie sehnsüchtig er auch nach ihnen verlangte. Wo mochten sie bleiben? was mochte mit dem entlaufenen Friedrich vorgegangen seyn? Zugleich besann sich Alfred, daß er den Schlüssel zum Quartier des »schönen Fritze« in der Tasche habe, und er machte sich auf, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es dort stand. Der Weg war nicht allzuweit. Friedrich, wie dessen Hausleute rapportirten, war noch nicht zurückgekehrt. Auch Raphael war spurlos verschwunden geblieben. Sein Schleppsäbel und übriges Freischärlergewand lagen in einem Winkel, und ihr Anblick beruhigte den Freund nicht wenig. So hatte sich also der »Stulpenstiefel« nicht in den Kampf gemischt, und ohne Zweifel vorgezogen, in einem sichern [8] Versteck die Kanonade abzuwarten. »Wo aber wird er seyn?« fragte sich Alfred, und antwortete auch gleich: »Wo anders, als im Hinterbein'schen Hause, an der Seite seiner zitternden Cornelia? Dort, wo höchst wahrscheinlich auch der Fritze weilt, und wo ich, auf Ehre, schon längst mich hätte einfinden sollen, um zu fragen, wie es steht mit meiner ersten Liebe, mit der herrlichen Mathilde! – Aber Gott Amor mag mir's verzeihen ... ich hatte freilich im Lärm des Tages auch Mathilde total vergessen ... aber dafür bin ich auch nur ein Schüler in der Liebe, muß mir diese Leidenschaft erst handgerecht machen ... und gleich, ohne Aufschub, will ich meinen Pflichten nachkommen!«
Und alsobald war er wieder auf der Straße, und bewegte sich dem Hinterbein'schen Hause zu. Die Fahnen flatterten ringsum lustig aus allen Fenstern, und zwischen all diesem schwarzrothgoldnen Gewimpel hingebend, seufzte Alfred: »O du liebe Stadt! wie oft wirst du noch diesen Prunk aushängen, und wofür, und für wen?« –
Zur nämlichen Frist, da dem kaltblütigen Alfred seine Freunde eingefallen waren, hatte auch der »schöne Fritz« an die seinigen gedacht. In Hinterbeins Hause war nichts als Geräusch und Wirrwarr. Die fremden Gäste in Uniform mußten allerseits bedient werden; in der Küche wurde gesotten und gebraten, aus den Kellern schleppte Barthelmä den Wein; mit Papa war nichts anzufangen, da er nicht wußte, wo ihm der Kopf stand vor Freude, endlich die Freiheit abgethan zu sehn. Er, der sich, wie er noch am Morgen in Keller und Waschküche versichert, noch nie vor einem Fürsten gebückt, bückte und schmiegte sich jetzo vor jedem gemeinen [9] Soldaten und Trommelschläger, war mit ihnen ein Herz und eine Seele, und kümmerte sich nicht mehr um die ganze übrige Welt. Mit den Damen war fast kein Verkehr: die Tante koste mit dem Doktor, Cornelia grollte finster dem Geschick, das ihre Gesinnungsfreunde im Stich gelassen; Mathilde, Katharina und Annele erzählten dem Leuenwirth zum hundertstenmal, was sich zur Zeit des Sturms im Kloster zugetragen; – Cymbeline war in Küche und Speisekammer mehr als vollauf beschäftigt. Kurz: der Sekretär sah sich verlassen, überflüssig. Da beschloß er, seinen Freunden nachzuspüren, und beurlaubte sich von der Tante und ihren Nichten, mit süßer Höflichkeit sprechend: »Wenn Sie erlauben, so bin ich so frei, mich am Abend nach Ihrem Befinden zu erkundigen, und meine Freunde mitzubringen, die sich eine Ehre daraus machen werden ...«
Da unterbrach ihn Laura mit einem »Wird uns ein Vergnügen seyn,« das so kalt und bleiern klang, als wie der Abschied, den man einem überlästigen Gesellen ertheilt. – Friedrich, in tiefer Seele verletzt, verneigte sich und fragte leise die ihm nahestehende Mathilde: »Sage ich nichts von Ihnen meinem wackern Alfred?« – Und ihm antwortete Mathilde sehr kühl und vornehm: Das wird den Herrn schwerlich interessiren. – Und auf dieselbe Frage, welche der Sekretär im Namen Raphaels an Cornelia stellte, erhielt er ungefähr denselben Bescheid. Cornelia antwortete spitzig: Ich will Herrn Raphael gar nicht bemühen. Er hat, wie ich höre, sich an diesem Schreckenstage nicht einmal nach mir, nach uns erkundigt, und in der That ist das Loos, so der guten Sache gefallen, ein dergestalt [10] trauriges, daß ich nur wünschen kann, mit meiner Betrübniß allein zu bleiben. –
Das war deutlich. Hatte der »schöne Fritz« geschmunzelt, als er Mathildens frostige Antwort vernommen, die ihm bestätigte, daß Alfred eben nicht viel hoffen dürfe, so belustigte ihn noch mehr das Kompliment, das ihm für Raphael aufgetragen wurde, und mit leichtem Herzen wollte er sich auf den Heimweg begeben, als ein Besuch daherkam, der ihn nöthigte, noch einige Augenblicke zu verweilen.
Der bekannte Straßburger warf sich mit der ganzen Wucht seines umfangreichen Körpers, ohne nur anzuklopfen, in den Salon. Seine Haare waren aufgesträubt, seine Wangen bleich, auf seiner Stirne perlte der Schweiß. » Messieurs, Mesdames, pardoniren Sie!« rief er hochathmend, und stockend bei jedem Worte: »Verehrtester Monsieur Hinterbein, ... ich bin, so zu sagen, à vos pieds! Imaginiren Sie sich, daß mich die troupe verfolgt, und will mich in's cachot setzen ... warum? weil ich ein Citoyen français bin, und sie halten mich for einen espion de la république! ... et cependant ... bin ich ganz unschuldig und in cachette gelegen, bis vor einer Viertelstunde. Au nom du Ciel, befreien Sie mich, und bringen Sie mich en sûreté.«
Die Hauptsache war, daß diese Stotterrede ganz ungestört verlief, wenn man nicht Kathrinchens Kichern für eine Unterbrechung gelten lassen will. Wo blieb das Waffengetöse, das dem flüchtigen Spion auf der Ferse folgt? wo blieben die nachsetzenden Soldaten, und der Gassenpöbel, der sich so gern ähnlichen Auftritten anschließt? – Der gute Straßburger hatte am hellen [11] Tage Gespenster gesehen, und seine Rettung war daher eine leichte Aufgabe, die der Hausherr sogar mit Humor durchführte, den Begebenheiten des Tages, die ihm den Kopf wirbeln machten, zum Trotz. –
Ei, ei, sagte er: Mein lieber Herr Hansdennel, was soll ich mit Ihnen anfangen? Da ja doch bei uns, nichts aus der république wird, so wäre gerathen, daß sie sich aus dem Staube machten, und nach Straßburg zurückkehrten? – » Très bien;« entgegnete der ängstliche Republikaner: » mais comment faire? Der Chemin de fer ist, wie es heißt, ganz verbarrikadirt, und die troupe empoignirt un chacun, der sich dort präsentirt. Und wenn ich denn doch einmal fort muß, ma foi, so will ich auf dem chemin de fer fort, cela se comprend. Also wie? ich frage noch einmal: comment faire?«
Hinterbein zuckte die Achsel, während die übrigen Anwesenden sich hin und her drehten, um das Lachen zu verbeißen. Dann rief er nach kurzer Pause, als wäre ihm plötzlich die Begeisterung von oben gekommen: So käme es nur darauf an, Sie in meinem Hause zu verstecken, bis die Eisenbahn wieder frei und gangbar? Das will ich thun, will Sie protegiren, wie Sie mich protegirt haben würden, Herr Hansdennel, wenn wir zu Freiburg die Republik überkommen hätten, –» Oui, oui, c'est justement cela!« machte der Straßburger sehr befriedigt. – Aber, fuhr Hinterbein lächelnd fort: Sie müssen sich, da mein Haus von Soldaten wimmelt, dazu bequemen, den Abend und die Nacht im Keller zuzubringen! –» Très bien, où vous voudrez.« – Sie müssen ferner keinen Laut von sich geben, und sich gefallen lassen, eingeriegelt zu seyn, wie ein Gefange [12]ner? – »Oh, recht gern ... à vos ordres ... wenn ich nur, ma foi, schon im Keller säße!« – Ich führe Sie, kommen Sie. Wir werden Sie nicht verhungern lassen, und für den Durst ist ohnehin im Keller gesorgt. – » Très bien ... je ne manquerai pas ... à la cave, geschwinde à la cave!«
Hinterbein ging mit feinem Schützling von dannen, und das Gelächter der Gesellschaft folgte ihnen nach. Friedrich verabschiedete sich stumm, und rannte in die Küche hinunter, um seiner Lebensretterin noch ein süßes Wörtchen zu sagen. –
Die gute fleißige Cymbeline lebte und webte, schaffte und ordnete unablässig am Herde, und führte den Befehl über Töpfe und Pfannen, Besen und Mägde. – Der »schöne Fritz« eilte auf sie zu, die sich verschämt vor ihm verneigte, und sprach: Ich gehe, meine Freunde aufzusuchen ... in der Hoffnung, Sie bald wieder zu sehen, mein Fräulein, erlauben Sie mir, Ihre Hand zu küssen! –
»Ach, warum nicht gar? Meine Hand ist zu rußig, zu schmutzig ...« Und wenn sie schwarz wäre, wie des schwärzesten Negers, so würde ich dennoch nicht ablassen, den Kuß der Huldigung darauf zu drücken! versetzte Friedrich mit lustiger Schwärmerei: haben diese lieben Hände nicht mein Haupt beschützt, wie kaum der Erzengel Michael mit seinem blendenden Schilde gethan hätte? Haben diese geliebten Hände nicht mein Leben gerettet, da es schon halb verloren?
Und dem Sträuben der entzückten Cymbeline zum Trotz, küßte Friedrich die gepriesenen Hände nach Herzenslust ab, unbekümmert um das neugierige Staunen der Mägde, um die lächelnde Aufmerksamkeit einiger [13] Soldaten, die in die Küche herein guckten, und um das lange Gesicht voll Verwunderung des Doktors, der herabgekommen war, einen Auftrag seiner Braut an Cymbeline auszurichten.
Die Verlegenheit der Letztern war ungeheuer, aber ebenso ihre Seligkeit. Sie hatte gesiegt, sie hatte gewonnen, und zwar vor den Augen der ganzen Welt! Konnte sie weniger thun, als wiederum die Hände des Sekretärs freundlichst drücken, eine Thräne der Liebe auf dieselbe fallen lassen, und dem Mann ihres Herzens zuflüstern: »Oh, mein Lieber ... Sie vernichten mich ... Aller Augen sehen auf uns ... Oh mein Lieber, was thun Sie denn ...!
Worauf der »schöne Fritz« mit Leidenschaft: Die ganze Schöpfung mag wissen, wie dankbar meine Seele dich, o Holde, verehrt. In einer Stunde bin ich wieder zu deinen Füßen, o himmlisches, herrliches Wesen! – »O ja, recht bald ... nicht wahr ... recht bald? Wie aber steht es mit Ihrer Gesundheit ...? Sind Sie denn wieder wohl? Schonen Sie sich doch; ... Ihre Wohlfahrt ist ja auch die meinige ...!« – Gesund wie der Fisch im Wasser, wie der Vogel in der Luft! an Ihrer Seite, o Cymbeline, kenne ich nicht Krankheit, nicht Groll, nicht Verzweiflung! – Mit diesen Worten, noch einen flammenden Blick zurückwerfend auf seine neue liebste Freundin, enteilte der »schöne Fritz« dem Küchenparadiese, und wollte aus dem Hause – als ihn Jemand bei'm Rockzipfel festhielt. Unmuthig drehte er sich um, und schaute in des Doktors Angesicht.
Zu Befehl? fragte er. –»Nicht befehlen, sondern nur gratuliren ...« antwortete der Doktor: »Es freut [14] mich außerordentlich für Cymbeline ... Sie bekommen eine wackere Hausfrau an dem Mädchen .…« – Davon ein andermal, lieber Herr, jetzt hab' ich Eile. – »Ja, ja, ich glaube das ... Doch wollt' ich Sie auch noch gebeten haben ...« Ich kann mich wirklich nicht aufhalten! – »Ja wohl, ich sehe das ein ... aber wenn Sie Ihrem Freunde, dem Herrn Raphael, sagen wollten ... Ein andermal ... was Sie wollen ... aber nur jetzo lassen Sie mich ...!« – »Freilich, aber ich habe jenen Herrn heute grob behandelt ... und das thut mir leid.« – Mir auch, ... aber lassen Sie mich doch jetzt in Gottes Namen frei ...! »Natürlich, ich weiß wohl ... aber wenn Sie mich bei dem Herrn entschuldigen wollten ...!«
Da konnte sich Friedrich nicht länger bemeistern, gab dem hartnäckigen Doktor eine unsanfte Zurechtweisung vor die Brust, und entkam ihm glücklich. –
Kaum fünfzig Schritte hatte er gemacht, als er schon seinem Freund Alfred begegnete, der ihn wohlwollend begrüßte, und alsogleich nach Mathilde fragte. Da rief Friedrich lachend: Komm, komm! für dich ist jetzt bei Hinterbein's nichts zu thun! kehr' um mit mit, laß dir erzählen, und suchen wir dann den Stulpenstiefel auf! – – –
Nicht viel hätte gefehlt, und der Doktor, wenig gefaßt auf die handgreifliche Zurechtweisung des »schönen Fritze,« wäre bemüßigt gewesen, abermals ein unfreiwilliges Parterrebillet zu nehmen, wie ihm heute schon einmal widerfahren; – aber zum Glück fing den Strauchelnden der Leuenwirth, der mit seinem Annele gegen die Hausthüre zukam, an seiner breiten Brust [15] auf. Der Doktor wollte sich dankbarlichst entschuldigen und mit gewohnter Ausführlichkeit die Begegnung schildern, die ihn beinahe zu Fall gebracht hätte; indessen gab auch der Leuenwirth dem Redseligen kein Gehör, sondern beurlaubte sich kurz und gut und kräftig von ihm, wie er schon von dem ganzen Hause Abschied genommen. – »So will mich denn heute Niemand anhören«?« fragte der Doktor sich selber melancholisch: »Ich sollte Allen Rede stehen, und mir selbst hält Keiner still?« Da kam zum Glück und zur Erheiterung des Doktors sein Meffistoffel mit den Pferden des Papa Hinterbein daher, die er, in irgend einem Wirthshausstall verlassen, wiedergefunden, und sein Herr, Sebastianus Faust, jubelte bei diesem Anblick laut: »Ein Teufelskerl, mein wackerer Knecht aus Höll' und Himmelreich! Ohne Verzug will ich dem Schwager seine Pferde anmelden, und ein gutes Trinkgeld wird dir nicht ausbleiben, braver Meffi-Stoffel!« – –
Auch der Leuenwirth, der mit Annele seiner Herberge zuging, redete von seinem Pferde, von seinem kranken Bräunel, und ob sie es wohl wiederfinden würden, und ob es wohl genesen sei? Und Annele versetzte hierauf: Ich hoffe das zu Gott, und, was ich Euch dann bitte, lieber Vater, wäre, daß wir dann so flugs als möglich diese Unglücksstadt verließen! Droben auf'm Wald ist's nochmal so schön, und zwischen diesen kalten hohen Häusern fürchte ich mich gar zu sehr! ich hab' Euch schon erzählt, liebster Vater, daß ich gesehen habe, wie die Soldaten dort bei'm Thor herein gestürmt sind, und manchen Freischärler erschossen haben, von denen auch einer in unsern Klosterhof gekommen und daselbst nach wenigen Augenblicken verschieden. Ich [16] kann einen Eid darauf ablegen, daß ich den Lenhard unter den Soldaten gesehen und erkannt habe; ... frei wie ein Teufel sah er aus, im Gesicht ganz schwarz von Pulver; über den rechten Backen herunter floß ihm das helle Blut ... und Augen hat er gemacht, und mit dem Bajonnet so gefährlich gethan und geschwenkt, als ob er das Kind im Mutterleib umbringen wollte! Ich wäre selber todt vor Schrecken, wenn der Lenhard mir noch in der Stadt begegnete! Meine Lieb' für ihn hat er schon umgebracht, und ich mag ihn um alles Gold der Welt nicht mehr wiedersehen! Darum laßt uns fort, liebster Vater, fort, ja auf der Stelle fort, und keinen Fuß will ich mehr in dieses Freiburg setzen!
Annele's dringendes Verlangen ging dem Leuenwirth ein, war ganz aus seiner Seele gesprochen; auch ihm brannte der Boden unter den Füßen, und eine Begegnung mit Lenhard, der ihm begreiflicherweise noch unausstehlicher geworden, als seiner Tochter, wäre ihm eine höchst unerwünschte gewesen. »Du bist eben ein grundgescheidtes Maideli,« sagte er wohlauf, der Tochter beide Hände reichend: »es soll geschehen, wie du begehrst, wenn nur das Bräunel wieder munter und tapfer auf den Beinen steht. In der Stadt dasele haben wir nichts mehr zu thun, nichts mehr zu schaffen, und wollte Gott, wir hätten die Nase ganz und gar davon gelassen!«
Indem er also redete, waren sie in das Hofthor ihres Gasthofs eingetreten. Vor den vielen Soldatengesichtern, die da aus jedem Winkel schauten, flüchtete sich Annele in ihre stille Kammer, während ihr Vater sein geliebtes Bräunel aufsuchte. Da war jedoch [17] anfänglich nichts zu finden. Die Ställe des Hauses, wenn schon nicht unbedeutend von Umfang, waren mit Militärpferden vollgepfropft, und wo auch der Leuenwirth den Kopf hinein steckte, wurde er von soldatischen Stallwächtern kurz und schnöde abgewiesen. Lange sah er sich trostlos und vergebens nach dem Hausknecht um, und verzweifelte schier, seines Pferdes habhaft zu werden, als zum guten Glück im Hintergrund des Hofs eine schmale Thüre aufging, und in derselben der ersehnte dienstbare Geist erschien.
Der Mensch schien sich so eben erst in aller Ruhe den Bart abgemacht zu haben, denn er wischte ein Barbiermesser sorglich ab, und bemerkte nicht den Leuenwirth, der sich ihm hastig nahte, bis derselbe gerade vor ihm stand. Vor der Anrede des Wirths fuhr der Hausknecht zusammen, und schon wollte den Erstern ein schlimmes Vorgefühl von wegen des Bräunels Schicksal überkommen, als zu seinem Trost der Knecht sich zu ihm neigte und ihm vertraulich sagte: Euer Bräunel steht da drinnen, und 's ist wieder kerngesund; ich hab' es da herein gestellt, weil die Soldaten unser Haus fast ganz besetzt haben, und den schlimmen Reiterburschen ist allerdings nicht viel zu trauen.
Der Leuenwirth stürmte voll von Freude in den engen finstern Stall, und umarmte gleichsam leidenschaftlich das Roß, das ihm munter entgegen wieherte, und wie in den gesundesten Tagen nach dem Zucker schnüffelte, den ihm sein Herr bei jedem Morgenbesuch zu reichen pflegte. Das Thier war heil, es hatte sein Theil gefressen, es stampfte ungeduldig den Boden, als sei es des langen Wartens überdrüssig, und begehre schnellstens wieder einzubringen, was seit vorgestern es [18] versäumt. Ob dieses Wohlseyns, ob dieser Munterkeit war der Leuenwirth ganz außer sich, und wollte kein Ende finden, sein liebes Bräunel zu umhalsen, zu streicheln und zu tätscheln, und mit Rührung zu wiederholen: »Ja ja, ja ja mein lieb's Thierle, wir wollen auch gleich fort von dasele, und springen, was der Brief vermag, bis zum Mütterle und in die Heimath wo's uns besser geh'n mag, als in diesem blutigen und zerschossenen Freiburg.«
So will ich denn das Wägele rüsten, und das Geschirr für's Rößle zurecht machen; denn Ihr habt Recht, Leuenwirth, wenn Ihr nach Hause fahrt, weil's hier nicht mehr lustig zu leben! – Also sprach der Hausknecht und gab dabei dem Kunden einen vertraulichen Rippenstoß, deutete geheimnißvoll in den finstern Hintergrund des Stalles, machte dabei ein recht theilnehmend Gesicht und recht mitleidige Augen, und ging dann hinaus, die Thüre bescheiden zulehnend, damit die Neugier, die unberufene, nicht erlaure, was sich etwa in dem dunkeln Raume begeben möchte. –
Und wie eben der Leuenwirth, immerfort das Rößlein streichelnd, nachdenkt, was der Wink des Knechts ungefähr bedeuten dürfe, kommt Etwas aus der Finsterniß hervorgeraschelt, liegt auf einmal – eine menschliche Gestalt – zu den Füßen des staunenden Mannes, und sagt leise, aber gepreßt und schwer zu ihm hinan: »Um Gotteswillen, Herr Leuenwirth von Hirzenbach, erbarmt Euch meiner, und laßt mich in meiner großen Noth nicht stecken!«
»Wa – wa – wasele? Wer ist dasele?« fragt Annele's Vater, der in diesem Augenblick den Kaspar Flamm an Stimme und Figur erkennt: »was macht [19] denn Ihr da, was soll ich denn thun, aus welcher Noth Euch retten?«
Kaspar, der im Gesichte glatt rasirt, der seinen blauen Kittel mit einem Kamisol des mitleidigen Hausknechts vertauscht, an dessen Seite von einem Hirschfänger und andern Waffen keine Spur mehr, steht auf, faßt den Leuenwirth bei den Schultern, und sagt ihm dringlich in's Ohr: »Macht nur kein Geräusch, die Soldaten sind des Teufels! Wir andere haben unsere Sach' verloren, rein verspielt, und werden todtgeschossen, sobald man uns erwischt. Aber das Leben ist lieb, und ich bin noch jung, und möchte nicht gern die blauen Bohnen der Hessen und Nassauer fressen. Helft mir durch, Leuenwirth. Ihr meintet noch gestern, ich hätte Euch einen kleinen Gefallen erwiesen ... vergeltet mir das jetzo mit einer himmelgroßen Wohlthat; laßt mich auf Euer Wägele aufsitzen, und schafft mich aus dem Nest da in's Freie!«
Der Leuenwirth, erschüttert und begierig, Gutes mit Gutem zu vergelten, hätte schon halbe Worte genugsam verstanden; wie hätte er der gründlich ausgesprochenen Bitte des Unglücklichen sein Ohr verschließen mögen? – Mit voller Geistesgegenwart bedeutete er dem Flüchtling kurz, einstweilen im Stalle zu verbleiben, ging hinaus nach seiner Wohnung, nickte unterwegs dem verschwiegenen und menschlichen Hausknecht erkenntlich und verbindlich zu, und trat mit den Worten bei seinem Annele ein: »Fürchte dich nicht, lieb's Annele; das Bräunel ist kurirt, wir reisen auf der Stelle ab, und nehmen einen blinden Passaschier mit uns, den du als einen längst bekannten zu behandeln hast. Verrathe nicht mit einem Blick deines Auges, [20] nicht mit einer Silbe, daß der Kaspar Flamm für uns ein fremder Mensch ist, sondern laß ihn gelten als unsern Knecht.« – Und als das Mädchen, den Namen ihres Befreiers hörend, selbst auf beiden Wangen flammte, überrascht die Hände zusammen schlug und den Mund zu einem Ausruf des höchlichsten Erstaunens öffnete, verschloß ihr der Vater mit einem breiten herzlichen Kuß die Lippen und schrie sodann wohlgemuth durch's Fenster in den Hof hinunter: »Kaspar, Kaspar! wo bleibt das Pferd, wo bleibt das Wägele? Wir müssen fort, bygott, noch in dieser Stunde fort!«
Worauf der Metzger, schnell verständigt, aus dem Stall sprang, und dienstfertig antwortete: »Gleich, gleich, Herr Leuenwirth! Der Hausknecht schirrt schon auf, spannt schon an! In einer Minute sind wir fertig!« Klatschte dabei mit der Peitsche kunstgerecht den Takt, wie ein geborner Kutscherknecht, und in der That dauerte es nicht ein Vaterunser lang, so rodelte auch schon das Wägele heran, kam das Bräunel, von dem braven Hausknecht aufgezäumt, und der Wirth und seine Tochter bestiegen das Fuhrwerk, fiebernd vor Ungeduld, vor Wonne, der unheimlichen Stadt zu entkommen, und zugleich vor banger Besorgniß, in ihrem Rettungswerke aufgehalten und behindert zu werden. – In dem Wirrwarr des Tages fiel es Niemand im Hause ein, sich zu erinnern, daß der Leuenwirth ohne einen Knecht zur Stadt gekommen; hingegen kutschirte Kaspar Flamm von dannen, als hätte er schon wenigstens zehn Jahre lang die Herrschaft auf dem Hirzenbach geführt, und bei dem Bräunel die Hofmeisterstelle vertreten. Mit der Stadt von seinen frühern Metzgerzügen genau bekannt, und der Straße auf den Wald gleichfalls kundig, hatte [21] er bald das Schwabenthor erreicht, und somit die erste und schwierigste Wachtlinie, die da zu passiren war. Wer hätte aber dem glatten sorglosen Gesicht des pfiffigen Metzgerburschen und seinem Stallgewand den Freischärler angesehen? Wer hätte in dem behaglichen Leuenwirth und in dem schönen rosig verklärten Annele den Hehler und die Hehlerin eines Republikaners, eines Rebellen gewittert? – Alle Wachen ließen das Fuhrwerk, nach kurzer Anfrage, ungehindert durch, belächelten das munter tänzelnde Bräunel, nickten der schönen Jungfer ein lustig Lebewohl, und nach kurzer Frist war die Gesellschaft außer aller Gefahr. – –
Doch war's auch Zeit; denn kaum waren ein paar Stunden seit dem Einrücken der Truppen verflossen, als plötzlich wieder Generalmarsch geschlagen würde, alle Soldaten in Waffen auf ihre Sammelplätze eilten, und der Spektakel wieder von Neuem loszugehen drohte. Das Gerücht war herein gekommen, und hatte sich im Nu verbreitet, daß die Heckerschaaren abermals aus dem Gebirge hervorgebrochen, daß von ihnen bereits die Höllensteige wimmle, und daß zugleich die Legion des Herwegh im Rheinthal siegreich vorrücke. Welch' ein Getümmel, welch' ein Geläuf! Die kaum abgespeisten Soldaten, voll Grimm und Unlust, wild durch die Straßen ziehend, Ordonnanzen, hin und her sprengend, Trommel- und Trompetengetöse; von allen Seiten das Geschrei: »Sie kommen! jetzt kommen sie erst recht! jetzt geht's wieder los!« – Die kaum beruhigten Bürger zitterten wieder, im Andenken an die Gräuel des Vormittags, an das Blut, das geflossen, an die Häuser, die verwüstet worden. – Die Aengstlichen suchten schon wieder den Weg in ihre Keller – die Freunde der [22] Bewegung holten wieder Athem, faßten wieder Muth. Der Abend schien noch schlimmer werden zu wollen, als der Morgen gewesen. Aus den Thoren zogen die Truppen kampfesmuthig und ergrimmt; auf die Remparts, wie schon gestern, lief die Menge der Neugierigen, der Demokraten, um zu sehen ein neues Schlachtenschauspiel, um entgegen zu harren den freien Brüdern, den Befreiern des Landes.
Friedrich und Alfred, die einige Zeit damit verloren, einander ihre Begegnisse zu berichten, und auf den Gassen nach den Spuren der Kugeln, die herein geflogen – auch mitunter nach dem Freunde Raphael umzuschauen, langten mitten unter dem Lärm des Truppenmarsches vor dem »Engel« an. Ein badischer Adjutant, der ihnen schon von früherer Zeit bekannt gewesen, und der zu Pferd vorüber kam, hatte guten Bescheid auf ihre ängstliche Frage in Bereitschaft, und erklärte den Lärm für einen blinden, der nichts gewesen als ein leerer Schreckschuß. – Deß waren die Freunde froh, und hatten sogar Lust, sich in der leergewordenen Gaststube niederzulassen, als ihnen der Aufwärter entgegen trat, und halbleise ein Wort zu Alfred sprach: »Ich habe so eben zwei fremde Herren auf Ihr Zimmer führen müssen, die mit Ihnen dringend zu sprechen haben!«
Alfred stutzte, wie von einem Skorpion gebissen, und nachdem der Kellner verschwunden, sagte er beinahe böse zu seinem Freund: Du wirst sehen, Fritze, daß es wieder ein paar Tollköpfe seyn werden, denen ich aus der Patsche helfen soll. Das steht so in den Sternen geschrieben am vierundzwanzigsten April des heutigen gesegneten Jahres. Komm nur mit herauf, und sey Zeuge meines ungeheuern Edelmuths! – –
[23] Da sie aber hinauf kamen, und in das Zimmer eingingen, waren es nicht etwa ein paar Turnerjünglinge, die sich ihnen näherten, um ergebenst gerettet zu werden, sondern Freund Stulpenstiefel, der bekannte, und von ihm an der Hand geführt – Moritz! der leibhaftige lebendige Moritz-Jonathas !!