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Die Schnelligkeit, mit der die Schwalbe zieht
Im blauen Himmesfelde, wünscht' ich mir,
Dich, holdes Kleinod, früher zu umfangen!
Anonymus.
Wer doch auch so gewandt, so schmuck und angenehm wäre, wie Ihr, lachte Erlwein, als er hinter den ungeheuern Klößen saß, die mit Schweinefleisch und Backobst vergesellschaftet den hungrigen Reisenden aufgetischt worden waren. Der hag're Freiherr mußte mit langer Nase abziehen, und die edeln Frauen rissen sich um Euch. Nach meinem sonnverbrannten Gesichte, über das allerlei Linien und Heerstraßen des Lebens laufen, hat sich noch keine einzige umgesehen. Es ist nur Jammerschade, daß Ihr Euch nicht auf der Stelle eine Gnade ausgebeten. Es wäre vielleicht ein geschenktes Pferdlein abgefallen, und Ihr hättet nicht nöthig, eins zu kaufen.«
»Wie geschickt Ihr mich doch an mein Versprechen zu mahnen wißt!« erwiederte Archimbald lächelnd, und gab sogleich an Wirth und Knecht die nöthigen Befehle, einen Klepper, der feil sey, aufzutreiben. In einem Nu wimmelte es um seinen Tisch von Roßtäuschern und verkaufslustigen Bauern! vor dem Fenster taumelten sich die Gäule schaarenweis. Erlwein prüfte, wählte, und Archimbald zahlte, ohne viel zu handeln, den Kaufpreis für den erlesenen Schimmel. Erlwein besorgte dem Letztem sogleich eine warme Stelle neben seinem zukünftigen Reisekumpan, und machte sich wieder wohlgemuth an den Abhub der Mahlzeit. Draußen in der Küche wurde indessen gesotten, gekocht und geröstet, um der hohen Herrschaft, die von der Oberstube Besitz genommen hatte, über Hals und Kopf die Tafel zu besorgen. Die geschäftigen Anordnungen, das ungestüme Treiben im Hause, die herrischen Befehle des markgräflichen Kochs, der die Vorrathskammer der Herberge in Anspruch nahm, und darinnen haus'te wie in einer mit Sturm genommenen Stadt, frischten in Archimbalds Gehirn das Andenken an das kleine Abenteuer von vorhin zur lebhaften Neugierde auf. – »Wer mag wohl die Frau seyn, die neben der Markgräfin daherritt?« fragte er seinen Gefährten. Dieser zuckte die Achseln, und bedauerte, daß der Stallmeister, den er von Rom aus kenne, sich nicht unter dem Dienertroß befinde; sonst wollte er schnell von Allem unterrichtet seyn. Archimbald warf sich unmuthig in Sessel zurück, und durch Zufall klangen einige Worte in sein Ohr, die ihn vermuthen ließen, es sey von der hohen Fremden dicht neben ihm die Rede. Er hatte sich auch nicht getäuscht, wie er beim Umschauen bemerkte. Der Schulmeister des Städtleins war eben im Zuge, einigen Bürgern im engsten Vertrauen die Lebensgeschichte der Markgräfin von Burgau zu entwerfen. Das starke Bier hatte jedoch die Häupter der ehrenwerthen Zuhörer, wie die Zunge des gelehrten Erzählers dermaßen begeistert, daß, ob sie gleich die Köpfe geheimnißvoll zusammensteckten, die Worte wider ihren Willen ziemlich hörbar fielen, und von dem aufmerksamen Nachbar deutlich vernommen werden konnten, wenn schon das Getümmel in der Stube sie für jeden entfernter sitzenden Gast unverständlich machte.
»Ihr könnt mir's sicher glauben, ihr Tröpfe,« sprach der Schulmeister, und wischte sich die Schweißtropfen von Stirn und Nase. »Erst vorgestern hat mir es Schmiednatzls Knecht erzählt, der, wie ihr wißt, vor einer Woche gerade aus der Fremde gekommen ist, und zuletzt in Düsseldorf gearbeitet hat. Düsseldorf ist aber eine weltberühmte Stadt am Flusse Rhenus, heißt auf deutsch: der Rhein. Sie liegt in der Gegend von Trier und Mainz, ober- oder unterhalb Cöln. Das konnte mir Schmiednatzls Knecht nicht genau angeben, und es gilt euch gleich, nicht wahr? mir auch. Düsseldorf ist aber gottlob ächt und rein katholisch, wie ich beinahe glaube, 's wäre wohl möglich, daß es ketzerisch wäre, aber ich will's nicht hoffen. Zugleich ist es die Residenz oder Hofstadt eines gewissen Herzogs von Cleve, Berg und Jülich, der uns nichts angeht, weil wir schon einen andern haben, der uns die Paar Kreuzer abnimmt. Nicht wahr?«
»Es ist Philosophie in des Schulmeisters Rausch;« flüsterte Erlwein dem horchenden Archimbald in die Ohren. Der Erzähler wischte sich auf's Neue mit dem Aermel Stirn und Nase ab, und fuhr fort:
»Da wir nun, wie ich glaube, bei dem Herzoge stehen geblieben sind, so ist es an der Zeit, euch zu bemerken, ihr unwissenden Leute, daß derselbe das Unglück hat, mondsüchtig zu seyn, wie man's nennt; versteht ihr mich? allein nicht dergestalt, daß er umherwandle bei Nacht und Nebel; ich meine damit nur, daß er, wie man so sagt, verrückt und toll sey zu Zeiten. Denn die vornehmen Herren und Frauen sind, denke ich, ebenfalls im Grunde nur Menschen, wie wir, wenn sie sich gleich einen Brocken mehr aus der Schüssel nehmen dürfen, als ihr, die ihr nur eine dumme Heerde vorstellt, deren geplagte Hirten ich und der Herr Pfarrer sind. Der gute Herzog von Cleve also ist vor mehreren Jahren ebenfalls nicht wohl bei Sinnen gewesen, und hat eine Frau genommen, eine geborne Markgräfin von Baden, Jacobea benamset, ein gar holdseliges Prinzeßlein, voll Verstand und Lieblichkeit. Zur gleichen Frist sollte sich des Herzogs Schwester mit dem Bruder der Jacobea verehlichen. Derselbe fand aber für gut vor dem Beilager das Zeitliche zu gesegnen. Er war nicht recht gescheidt, daß er nicht erst nach demselben starb; allein, das kümmert euch nicht, nicht wahr? mich auch nicht. Der Jacobea wäre es wohl besser gekommen, wenn ihre Schwägerin Sibylle aus dem Hause gekommen wäre, denn sie lebten wie Katze und Rattmaus; und als dann die Prinzessin in der Folge den Markgraf von Burgau ehlichte, war schon der Haß zwischen ihr und der Herzogin unauslöschlich geworden, wie euer Durst, ihr bodenlose Gurgeln! – Mein Humpen ist schon wieder von euch leer gesoffen worden, und jetzt bedarf ich erst Anfeuchtung, weil das Schauerliche der Historie kömmt.«
Dem Mangel wurde schnell abgeholfen, die Köpfe schoben sich enger zusammen, und der Schulmeister fuhr mit gedämpfter Stimme fort:
»Die arme Jacobea hatte ein trauriges Leben bei ihrem Ehegemahl, der, wenn's ihm drunter und drüber im Kopfe ging, sie mißhandelte, schimpfte und prügelte, gerade wie ihr, Grobians, es mit euern Weibern zu halten pflegt, wenn ihr betrunken nach Hause kommt, und sie euch das Maul anhängen, wohlverdienter Weise; denn die Trunkenheit ist ein großes Laster, dem ihr Vollhänse leider ergeben seyd, und noch zehnmal ergebner seyn würdet, wenn ich mich nicht mit Lehre und Beispiel gegen das Unheil stemmte, und der Herr Pfarrer hin und wieder ebenfalls.«
Die Zuhörer lächelten verlegen, der Erzähler aber nahm einen tüchtigen Schluck und setzte den Stab seiner Rede weiter fort:
»Am grimmigsten waren aber, durch Frau Sibyllen, die Markgräfin nämlich, die ober unsern Häusern ihr Mittagsmahl hält, aufgehetzt, die Landstände wider die arme Herzogin aufgebracht, weil sie keinen Prinzen zur Welt brachte. Denn ihr müßt wissen, daß in selbigem Herzogthume auch die adeligen und gelehrten Leute dem Herrn in den Topf gucken, ihm Salz und Brod zur Tafel zuwiegen, und den armen Unterthanen heute einen halben Heller an den Steuern streichen, aber morgen einen ganzen mehr auflegen. Ihr kennt das, und seyd nicht so gar dumm, daß ihr mich nicht verstehen solltet. Die Landstände maulten also, wie gesagt, und die Herzogin weinte. Aber trotz Weinens und Maulens wollte dennoch kein Prinz kommen. Woran es lag, weiß ich nicht; geht euch auch nichts an, nicht wahr? mich auch nicht Das Feuer fing aber an zu brennen. Die Burgauische Markgräfin, die, weil ihr Ehegemahl gegen den Türken fechtet, mir nichts dir nichts im Land herumreist, kam auch nach Düsseldorf, um den Bruder zu besuchen, wie es hieß, und blies in die Flamme. Mit Einem Male, was geschieht? die Landherren nehmen die arme Jacobea in's Gebet, und sperren sie ein. Die Markgräfin hetzt und schürt, die Herzogin wird beschuldigt, sich mit einem andern Manne als dem Angetrauten sündlich vergangen zu haben, und ohne ihr Ja oder Nein zu erwarten, haut man ihr den Kopf ab, zu Düsseldorf im Schlosse. So erzählt es des Schmiednatzls Knecht; ob er selbst dabei gewesen ist, weiß ich nicht, geht mich aber auch nichts an. Nicht wahr, euch ebenfalls nicht? Genug, wahr ist es, die Herzogin ist todt, und die Markgräfin, der nach dem Stückchen kein Bissen schmecken würde, wenn sie in meiner Haut stäke, reis't wohlgemuth nach Prag, um daselbst am kaiserlichen Hofe ihrem Gewissen den Maulkorb anzulegen, wie ihr, faule Schlingel, es mit euern Hunden halten solltet, damit sie mich nicht mehr in die Waden beißen, wenn ich zum Frühläuten zur Kirche tappe. Verstanden? – Der Krug ist wieder leer und ich muß in die Vesper. Ihr würdet ebenfalls wohl thun, wenn ihr nach Hause gingt und euern Weibern die Historie von der armen Herzogin Jacobea erzähltet, damit sich die guten Thiere ihres Lebens freuen, und sich Glück wünschen mögen, daß sie an euch schlechtes Gesindel verheirathet worden sind, und nicht an einen Herzog. Wenn sie euch, betrunknen Lümmeln auch hin und wieder ein X für ein U machen, so steht doch ihr Hals fest, und mit einem bischen Schimpf ist's abgethan, wenn ihr nicht vernünftig genug seyd, es um eurer selbst willen bei'm Knieriemen, bei'm Stock oder bei'm Ochsenziemer bewenden zu lassen.
Schäkernd und lachend schied die stark bezechte Gesellschaft von einander, und Archimbald folgte ihnen, von dem in der Ecke eingeschlummerten Erlwein unbemerkt. Er hätte vieles darum gegeben, die Frau, von der man so viel Böses erzählte, von Angesicht zu sehen; allem, wie zu diesem Zwecke gelangen? Es war im Grunde mehr als dieses Verlangen, das ihn beseelte. Die Unbekannte, der Markgräfin Begleiterin, die ihm so freundlich, und bedeutender, als es der Unverdorbene ahnte, die Hand, gedrückt hatte, deren volle und zierliche Gestalt seltene Reize versprach … sie wünschte er ohne Larve und Vermummung zu sehen, zu bewundern. – Er schlich an der Treppe vorüber, die in des Hauses obern Stock führte … sie war von der ruhenden Dienerschaft belagert. Er warf einen sehnsüchtigen Blick nach den Fenstern, die sich gegen den Markt öffneten … Nicht das Geringste zu sehen. – Verdrießlich ging er in den Hof, schlenderte zum Stalle, sah nach seinen Rossen, lehnte sich nachsinnend, von unzähligen Gedanken bestürmt, an die Gartenthüre und ließ den Blick über die Felder und Beete schweifen, aus denen schon des Frühlings zarte Kinder die grünen Häupter streckten; da vernahm er ein Geflüster wie von weiblichen Stimmen. Hoffend und ahnend blickte er um, und gewahrte die Markgräfin und ihre Begleiterin, die, zur Weiterreise gerüstet, die lästigen Masken vor dem Gesichte, auf der Altane des Hauses standen, und eifrig sich zu unterhalten schienen. Schnell wie ein Gedanke flog sein Auge erdwärts, und als ob er die Frauen nicht bemerkt, hätte, ließ sich der Schlaue auf eine Bank an dem Gartenzaune nieder, wendete sich zur Seite, und stellte sich an, als ob er in die blaue Luft hinaussähe, während sein lauerndes linkes Auge, unter der Wimper hervorschielend, jede Bewegung der auf der Altane stehenden Frauen wie einen Schatz belauerte und hütete. Sein Wunsch gelang, die Belauschten wurden getäuscht und wähnten sich unbemerkt. Ihr Geflüster wurde eifriger und leiser … sie sprachen von dem Jüngling, wie die unmerklichen Geberden ihrer Hände und die Wendungen ihres Haupts bezeugten. Die Markgräfin legte endlich, der Nachbarin Stillschweigen gebietend, den Finger auf den Mund, und beugte alsdann ihren Kopf zu derselben nieder. Mit leichten Fingern löste die Gefällige die Larve der Fürstin vom Gesichte, und Archimbalds diebischer Blick erspähte verstohlen ein etwas blasses aber wohl geformtes Antlitz mit großen dunkeln Augen, majestätisch und befehlend, obschon der liebliche und ausdrucksvolle Mund auch das Daseyn weicherer und zärtlicher Empfindungen verrieth. Des leicht gerührten Jünglings Busen schwoll in sanfter Regung bei dem Anschauen der schönen Fürstin; aber als sie sich anmuthig zu der Gefährtin bog, ihre weiße Hand der Dienstfertigen Gleiches mit Gleichem vergalt, und endlich von dem Antlitz der Letztern die Maske fiel, da trat ihm die Röthe des seligsten Entzückens auf die Wange. Denn eine blendende Schönheit, dieser zu vergleichen, die sich seinem bezauberten Blick enthüllte, hatte er noch nie gesehen. Leilas und Zenidens Reize; Ludmillens überirdische Anmuth – sie mußten weichen vor diesem Antlitz, umflossen von hellbraunem lockigen Haar; vor diesen großen dunkelblauen Augen, die ein unendliches Sehnen in ihrem milden Strahle trugen; vor diesen Lippen, den holdesten Vergelterinnen der Liebe. Eine feine Röthe überzog die Wangen, frische Weiße überglänzte den vollen Hals und die schönen Busenhügel, die ein dünner Flor nur verrätherisch verbarg. Der Lauschende saß wie versteinert. Die beiden Schönen erregten aber ein verabredetes Geräusch, das die Aufmerksamkeit des Jünglings wecken mußte, wollte er nicht für taub gelten. Archimbald sah also empor, weidete sich einen Augenblick an dem Himmel, der sich ihm aufthat, wie die Himmlischen sich an der Schamröthe und Verwirrung des kräftigen Rossebändigers weideten, und ging darauf nach rascher und ehrerbietiger Verbeugung, welche verbindlich erwiedert wurde, über den Hof in's Haus zurück. Das Getümmel der Gäste hatte sich auf den Markt gezogen, die Stube war leer und Erlwein schlief noch immer behaglich in der Ecke. Archimbald wandelte ungeduldig hin und her und überlegte, ob es gerathener sey, abzureiten oder zu bleiben bis zur Abreise der schönen Frauen. Seine Vernunft entschied für das Erstere, sein Herz für das Letztere. Der Eintritt eines markgräflichen Dieners endigte den ungleichen Streit. Der Höfliche lud Archimbald zu dem Herrn Reisemarschall von Keppenbach ein. »Hm!« brummte der Geladene, »der Herr Marschall hat so weit zu mir, als ich zu ihm. Ich wüßte also nicht, warum …«
Se. Gestrengen haben aber gewünscht …« antwortete der Diener dringend und bittend. – »Der Herr Marschall wartet auf dem Gange draußen.«
»Nun, um die Paar Schritte mag's seyn,« erwiederte Archimbald gleichgültig, im Herzen aber erfreut über die mit seinen geheimen Wünschen übereinstimmende Botschaft, und ging hinaus, wo der aschgraue Pelzrock auf und nieder wandelte.
»Was verlangt Ihr von mir, Herr Reisemarschall?« fragte Archimbalde kurz und unbefangen.
Der Marschall stand, musterte ihn von oben bis unten, spielte eine Weile mit der Reitgerte um Mund und Kinn, und versetzte dann mit hochmüthigem und schnarrendem Tone: »Meine durchlauchtigste Gebieterin, die gnädigste Fürstin und Markgräfin zu Burgau, wünscht, da Ihr, mein unbekannter Herr, doch einmal so, glücklich wäret, Hochderselben einen, wiewohl geringen Dienst zu leisten, auch Euern Namen zu wissen; weßhalb sie mich hierher gesandt, denselben aus Euerm Munde zu vernehmen.«
»Mit meinem Namen, wie mit meinem Leben« entgegnete Archimbald keck, »stehe ich der gnädigsten Frau Markgräfin zu Diensten. Ich heiße Archimbald vom Bühl.«
»Adelich also?« fragte der Marschall verwundert.
»Freiherr,« versetzte Archimbald schnippisch und hoch! »Freiherr so gut wie Einer, Herr Marschall. Verlaßt Euch darauf.«
»Hm!« sprach der Herr von Keppenbach – »vom Bühl? Ich kenne doch die meisten adelichen Geschlechter, aber dieses ist mir unbekannt.«
»Thut mir leid,« erwiederte der neugebackne Edelmann. »Es ist ein uraltes schweizerisches Geschlecht. Unsere Güter liegen in Burgund.«
»So! so!« versetzte der Marschall mit einem Bückling. – »Und Euer Stand, mein edler Herr?«
»Ich bin Student,« entgegnete Archimbald, »oder besser: ich war's. Ich habe so eben die hohe Schule zu Basel verlassen, und meine Reisen angetreten.«
»Die hohe Schule zu Basel!« wiederholte der Marschall. »Ihr seyd Protestant demnach?«
»Ei behüte!« lächelte Archimbald, der sich in seinem Vorgeben verstiegen hatte. »Ich bin ein alter Christ. Der Glaube hat mit dem Studium nichts gemein. Befehlt Ihr sonst noch etwas? Ich bin gesonnen zu Gaule zu steigen.«
Der Marschall stand noch einige Augenblicke, betrachtete die Schnäbel an seinen Stiefeln, wiederholte die Aussagen des jungen Menschen in Gedanken.
»Ich will's der Hoheit melden,« sprach er hierauf, und ging, eine glückliche Reise wünschend, wieder hinauf. Archimbald lachte in's Fäustchen, weckte seinen Trabanten Erlwein, und gab, in der festen Zuversicht noch einmal beschickt zu werden, Befehl zu satteln. Er irrte auch nicht, denn bald kam neue Botschaft. Es war dießmal eine der dienenden Frauen, die ihn einlud, ihr zu der Frau Gräfin von Florenges zu folgen. Er gehorchte, seine ganze Kühnheit zusammen nehmend, um vor dieselbe zu treten, die sein Herz so mächtig durch ihren einzigen Anblick zu fesseln gewußt hatte. Die Gräfin saß am Fenster der ersten Stube des obern Stocks und schien den Vorbereitungen zur Abreise zuzusehen, die vor dem Hause von der Dienerschaft getroffen wurden, um den Eintretenden nicht zu bemerken. Der Letztere bemerkte hingegen desto schneller, daß die Nebenthür im Gemache nur angelehnt, und der Zipfel eines schwarzen Gewandes sichtbar war, das unstreitig nur der dahinter lauschenden Markgräfin gehören konnte. Ein neuer Sporn, muthig und auf der Hut zu seyn. Er trat der Gräfin näher.
»Ihr habt befohlen, gnädige Frau!« begann er kurz und herzhaft, doch nicht ohne geschmeidigen Ton, in ehrerbietiger Stellung.
Die Gräfin wandte sich, wie überrascht, gegen ihn … aber, die Sonne hatte sich wieder hinter neidische Wolken verborgen. Die Reisemaske war abermals vorgenommen und verhüllte die schönen Züge bis zum holdlächelnden Munde. Die Gräfin näherte sich ihrerseits dem Jüngling und hieß ihn mit etlichen verbindlichen Worten willkommen.
»Vergebt, daß ich Euch bemühte,« hieß die Einleitung. – »Die Ladung muß Euch seltsam scheinen, indem sie früher hätte statt finden müssen. Allein meine gnädigste Frau und Base, die Markgräfin, hat mir aufgetragen, Euch in ihrem Ramen ein Unrecht abzubitten, das Euch wider ihren Willen zugefügt wurde.«
»Ein Unrecht?« fragte Archimbald lächelnd. »Ihr spottet meiner, Frau Gräfin.«
»Mit nichten, Freiherr vom Bühl,« versetzte sie mit vieler Anmuth und Liebenswürdigkeit. – »Ihr botet uns Euern starken Arm in einem Augenblicke, der uns Gefahr drohte, und dem Spott des Pöbels ausgesetzt haben würde, hätte er länger gedauert. Ich bitte Euch, nicht den Glauben zu hegen, als sey die Markgräfin undankbar gegen solche Dienste; wenn sie Euch bisher nicht den Dank abstattete, den Ihr Euch erworben, so trug nur ihre Ueberzeugung, Ihr seyet schon ferne, die Schuld. Von dem Gegentheile benachrichtigt, hat sie mir befohlen, Euch mit ihrer Entschuldigung zugleich den Zoll der Dankbarkeit abzutragen.«
»Ich bin der Frau Markgräfin gehorsamster Knecht,« erwiederte Archimbald. Den schlechten Dienst den ihr zu leisten mir das Geschick vergönnte, hat sie durch das gütige Wort aus Euerm Munde mehr als kaiserlich vergolten.«
Die Schmeichelei des kühnen Jünglings traf den rechten Fleck. Wangen und Stirn der Gräfin hielt zwar die häßliche Maske über die Hälfte gefangen, allein der purpurrothe Schimmer, der über ihr Antlitz flog, ließ sich nicht ganz verbergen; denn über Kinn, Hals und Busen senkte sich das Panier der gefeiertes Eitelkeit und der innigsten Wonne. Sie schwieg einen Augenblick, die Herz und Sinnen gleich gefährliche Zauberin; dann, begann sie auf's Neue, aber mit gesenkter Stimme, und verlegen mit den Enden ihres Gürtels spielend: »Der Herr von Keppenbach hat uns mitgetheilt, daß Ihr Euere Reisen zu beginnen im Begriff steht. Werdet Ihr das königliche Prag Eueres Besuchs werth halten?
»Es ist das erste Ruheziel meiner Fahrt,« erwiederte Archimbald. »Sobald ich einen kleinen Streifzug durch Mähren vollendet, treffe ich in jener Hauptstadt ein, um einige Zeit daselbst zu verweilen.«
»Wirklich?« fragte die Gräfin etwas hastig, und ein Strahl der Freude blitzte durch die Larve aus ihrem Auge, Zufriedenheit umspielte den Mund. – »Auch meine gnädigste Frau,« setzte sie langsamer hinzu, ist im Begriff, sich nach Prag zu begeben, um daselbst öftere und sichere Nachrichten von ihrem Gemahl zu erhalten, der gegen die Ottomanen im Felde steht. Sie hat mich ermächtigt, Euch zu sagen, Min ritterlicher Freiherr, daß sie Euch gerne in ihrem Palaste sehen werde, wenn Ihr in Prag verweilen solltet.
»Sie macht mich glücklich durch diese Erlaubniß ihrer Gnade,« versetzte Archimbald mit tiefer Verbeugung; »ich werde so kühn seyn, in die Sonne zu sehen, die mir heute nur einen einzigen Strahl gönnte.«
Des Jünglings bedeutender Blick ließ der Gräfin keinen Zweifel, welche von den beiden Sonnen er eigentlich meine, und machte sie verlegener. Archimbald hatte aber seinen Vortheil ersehen, und sich so gewendet, daß die Lauscherin an der Seitenthüre sein Gesicht und diesen verrätherischen Blick nicht gewahr werden konnte.
»So bleibt mir denn,« fuhr die Gräfin nach einer Weile fort, nichts weiter übrig, edler Freiherr, als Euch im Namen meiner gnädigsten Frau zu bitten, dieses Armband als ein vorläufiges Pfand ihrer Dankbarkeit aus meiner Hand zu empfangen, als ob es aus der ihrigen käme.« – Sie nahm das Armband von angelaufenem Stahl, das eine violette Schleife zusammenhielt, vom Tische, und reichte es ihm hin. – »Die Markgräfin,« fügte sie bei, hat diesen Trauerschmuck heute selbst getragen; dieser Umstand mag ihm in Euern Augen Werth verleihen. Sie behält sich aber vor, zu Prag bei Euerm ersten Besuche dieses Pfand auf eine ihrer würdige Weise auszulösen; damit ist mein Auftrag am Ende. Was mich betrifft,« schloß sie so leise, daß nur Archimbald sie verstehen konnte – »der ihr eben so ritterlich als hülfreich beigestanden seyd, so möge diese einfache Schleife, die ich dem fürstlichen Geschenk beifüge, das Symbol meiner Erkenntlichkeit seyn, da ich sie in der Wirklichkeit auszudrücken außer Stande bin.«
Archimbald löste schnell die Schleife los, und barg sie im Busen. »Dieß Geschenk,« rief er, und hob, seine Bewegungen berechnend, wegen der Horcherin im Verborgenen, das Armband hoch in die Höhe, während sein trunkner Blick auf der Gräfin, und seine Linke auf dem Herzen ruhte, wo er ihre einfache Gabe verwahrt hielt … »dieß Geschenk soll mir ewig heilig und theuer seyn! Nimmer weiche es von mir. Der Zorn der Geberin allem möge mir's entreißen, und mir dadurch den Tod geben!«
Die Gräfin verstand den Doppelsinn dieser Worte nur zu gut; ihre Brust hob sich mühsam athmend, und verrieth durch ihr heftiges Steigen und Fallen dem unternehmenden Jüngling den Triumph seiner leidenschaftlichen Huldigung: Kühner durch den Erfolg, ergriff er die weiche Hand der liebenswerthen Frau und wollte, indem er einen stürmischen Kuß darauf drückte, seine Kniee vor ihr beugen, allein ein heftiges Zucken in den schönen Fingern, die in den seinigen lagen, eine ähnliche Bewegung des Mundes und ein kaum merkbares Winken der feurigen Blicke nach der Seitenthüre zu, hinderte ihn die Kniee der Siegerin zu umfangen, und bestätigte seinen Verdacht. Ein gehorsames Neigen des Haupts unterrichtete die Gräfin, daß sie verstanden worden sey, und das Lächeln ungetrübter Zufriedenheit entfaltete sich um die frischen Rosenlippen. Ein leiser, leiser Druck ihrer Hand begleitete ihr förmliches Lebewohl, und Archimbald schied unter einem ähnlichen von ihr. – Wie ein Rasender stürmte er aber die Treppe hinunter, umarmte seinen Kumpan Erlwein, der ihm gerade entgegen kam, und nicht wußte wie ihm geschah, und trieb mit Wort und That zur Eile an. Seinen Befehlen wurde Gehorsam geleistet, und die Rosse standen bald gesattelt und gezäumt vor der Herberge. Plötzlich war ihm aber die Ungeduld vergangen, denn die Markgräfin war ja noch nicht abgezogen mit den Ihrigen. Er hätte eine Sünde gegen sich zu begehen geglaubt, wenn er das Städtlein verlassen hätte, ohne sie gesehen zu haben. – Erwartungsvoll lief er durch Stube, Gang, und Hof, eilte von neuem in das Getümmel der aufpackenden Dienerschaft zurück. Da hörte er Geräusch von oben, rauschende Gewänder, liebliche wohlbekannte Stimmen, den Spornenklang des hagern Reisemarschalls. Scheinbar mit seines Pferdes Sattelzeug beschäftigt, erwartete er die Ersehnten. Sie kamen, sie erschienen, die königlichen Gestalten. Ehrfurchtsvoll begrüßte er sie … einen Augenblick verweilte die Markgräfin in seinem Anschauen, nickte gnädig und ging vorüber. Die Gräfin folgte rasch, allein ein Seitenblick auf den entzückten Jüngling war hinreichend ihm zu sägen, daß nur die Pflicht ihre Schritte beflügle, und die Furcht vor fremden Späheraugen. Zwischen Beiden war ein Verständniß eingetreten, dessen leises Beginnen dem jungen Abenteurer die schönste Hoffnung gab. Rüstig schwang er sich in den Sattel, sein Gefährte blieb demüthig hinter ihm und langsamen Schritts folgten sie dem Zuge der Markgräfin, der unter hellem Trompetenklange sich nach dem Stadtthore bewegte, durch die staunende Volksmenge, und die Pracht seiner Rosse und Wappen in der hellen Nachmittagssonne erglänzen ließ. Auch noch außer dem Städtlein ritten sie hinter dem Gefolge der Fürstin, und hin und wieder ließ ein günstiges Geschick dem fröhlichen Archimbald durch irgend eine zufällige Oeffnung in den Gliedern des Zugs die Gräfin erkennen, deren rückwärts spähender Blick öfters dem seinigen begegnete. Endlich aber gelangten sie zu dem Scheidewege, der sie von dem fürstlichen Comitat trennte. An der Spitze, wo die beiden Wege zusammenliefen, setzte Archimbald seinen Renner in vollen Lauf, und ritt bald, nur durch einen breiten Rasenstrich von dem abwärts lenkenden Zug geschieden, an den edeln Frauen vorüber. Hoch im Steigbügel stehend, den Hut mit der wehenden Feder in der einen Hand, mit der andern leicht den Zügel regierend, brachte er im Herbeitraben der Markgräfin seine letzte Huldigung, der Geliebten seinen letzten Liebesgruß. Eine freundliche Handbewegung der Erstern … ein kaum bemerkbares Schwenken mit der Reitgerte der Letztern, und brausend flogen Roß und Reiter dahin in das waldige Thal, einer neuen Bestimmung, neuen Abenteuern entgegen. – Seine Träume von einer beständigeren, glücklicheren Zukunft kürzten dem Jüngling, seine Freigebigkeit dem Begleiter den Weg, und bereits am dritten Tage tauchte im Mittagscheine der Glockenthurm von Worosdar aus der Fläche auf. Ein beklemmendes Gefühl legte sich wie ein Panzer um das Herz Archimbalds, und er konnte sich keine Rechenschaft von dem geben, was er eigentlich in jenem Schlosse beginnen wolle. Er würde auch spornstreichs daran vorüber und weiter geritten seyn, hätte er nicht dem Freund Erlwein sein Wort gegeben. »Ludmille! Leila! Zenide!« klang es leise an in seiner Brust; allein ein Gedanke nur an die Gräfin von Florenges, und jene lieblichen Erscheinungen sanken in verdüsterten Nebel. Demungeachtet quälte ihn eine gewisse Unruhe, eine gewisse Ungeduld, die er sich nicht erklären konnte, und die immer peinigender wurde, je näher sie dem Schlosse kamen. Er trieb den Gaul an, Erlwein that deßgleichen, nur aus anderem Beweggründe, und sie flogen wie schnelle Zugvögel um das stille und lautlose Gebäude längs dem Graben dem Dorfe zu, das sie bald in seine wachsenden Schatten aufnahm. Der Junker vom Bühl ritt in die Herberge, Erlwein zum Hause seiner Mutter. Archimbald hatte Sorge getragen, unter dem Vorwande heftiger Ohrenschmerzen, sein Haupt durch eine breite Binde zu entstellen, und durfte um so gewisser keine Entdeckung besorgen, als die Leute im Dorfe ihn wenig gesehen hatten während seines kurzen Dienstes auf dem Schlosse. Es kam nur darauf an, sich dem Falkenauge des Predigers zu entziehen, und der sicherste Zufluchtsort war in diesem Punkte das Wirthshaus, welches dem Pfarrherrn ein Gräuel, ein Sündenpfuhl der Verdammniß war, den er nie besuchte. – Die Wirthsleute waren mürrische und einsylbige Menschen, aus denen mit genauer Noth ein Ja und ein Nein zu pressen war; der Junker unterließ es demnach bei ihnen nach den Verhältnissen und Umständen der Schloßbewohner zu forschen. Er überlegte in der elenden Stube hin und her wandelnd in ungestörter Einsamkeit, ob er den Gang auf's Schloß, ob er das Widersehen geliebter Menschen wagen solle oder nicht. Es drohte ihm vielleicht Gefahr auf Worosdar; allein seine Herzhaftigkeit spottete ihrer, und hätte den Gang mit frischem Muthe unternommen; doch sein Bewußtseyn verrannte ihm drohend den Weg. Er beschloß, den Befehlen des Letztern zu gehorchen, und in Untätigkeit den Reisegefährten zu erwarten, um den folgenden Tag am frühesten Morgen weiter zu ziehen. – Erlwein kam erst spät von seinen Besuchen zurück, und ziemlich mißvergnügt, dem Anscheine nach. Das gehoffte Geschenk war nicht ausgefallen wie er sich's vorgestellt hatte. – »Ich habe die Fürstin gar nicht mehr erkannt,« sprach er, und warf seine Mütze unwirsch auf den Tisch. »Als eine Frau von rüstigen Jahren habe ich sie verlassen … als ein abgezehrtes Gespenst finde ich sie wieder. Sie soll einen bedeutenden Unfall und eine schwere Krankheit erlitten haben, sagt man. Man spricht freilich noch mehr … allein um der edlen Frau willen ist es besser, ich schweige. Es sind verdrießliche Familiengeschichten … Kaum konnte ich das Glück haben, einen Augenblick mit der gnädigsten Frau zu sprechen. Sie empfing mich gewaltig kalt … nun, ich kann ihr's just nicht übel nehmen; aber sie soll gegen alle Christenmenschen nicht anders seyn. Die arme Prinzessin Ludmille grämt sich deßwegen ab, und ist ein Bild der Trauer geworden. Ihr Bruder, der Prinz hat nach jenem Vorfall, den ich oben berührte, und den Ihr mir erlauben werdet, zu verschweigen, über Hals und Kopf der Mutter Haus verlassen, treibt sich bald da, bald dort herum, und quälte die arme Schwester beständig in Briefen und Botschaften, einem Menschen, den sie nicht ausstehen kann, ihre Hand zu reichen. Der alte Herr ist verrückt wie bisher … kurz: das wackre Haus steht in schlechten Aspekten. Die schlechtesten Aspekten für mich bestehen aber darinnen, daß sich die mildthätige Hand der gnädigen Fürstin nicht so weit geöffnet hat, als ich erwartet habe. – – Erlaubt mir nur jetzt, mein lieber Junker, daß ich meine alte Mutter noch einmal besuche. In einer Stunde oder anderthalb bin ich zurück, habe den bittern Abschied überstanden und bin Euer bereitwilliger Diener, wie zuvor, Ihr mögt noch auf Heute oder auf Morgen den Aufbruch anordnen.«
»Geht immerhin, lieber Erlwein,« erwiederte Archimbald, »und übt Eure kindliche Pflicht. Wohl Euch, daß Ihr's noch könnt! Ich werdet mich aber verbinden, wenn Ihr alsdann meiner am Wege vom Schlosse hieher warten wolltet … auf dem Flecke, wo das Kreuz des Dorfes gestanden, auf dessen Fußgestell die Landleute bei der Heimkehr vom Felde auszuruhen pflegen. Ich will noch lustwandeln gehen, und dort mit Euch Zusammentreffen, weil ich Euch vielleicht nöthig brauchen dürfte.«
»Es soll geschehen, lieber Herr,« versetzte Erlwein. »Wie kömmt es aber, daß Ihr in der Gegend so genauen Bescheid wißt, wenn Ihr doch zum ersten Male hier seyd?«
Archimbald lächelte hierauf, und winkte ihm zu schweigen. Erlwein schlau genug, einen Wink zu verstehen und einem Jüngling zu gehorchen, der mit der gewöhnlichen Freigebigkeit der Jugend seinem erschöpften Beutel zu Hülfe kam, ohne auf Ersatz Anspruch zu machen, schwieg … bückte sich, und ging. Auch Archimbald. enteilte dem Hause, dem Dorfe, und schritt keck nach dem Schlosse. Die Schilderung von Ludmillens Trauer hatte sein Herz gerührt. »Wie, wenn auch Deine Entfernung Theil an ihrem Kummer hätte? flüsterte ihm die Eitelkeit zu, und trug über alle frühern Bedenklichkeiten den Sieg davon. Es zog ihn gewaltig nach dem Orte, von dem es ihn vor einigen Stunden zurückgestoßen hatte. Sicherheit oder Gefahr, … Glück oder Unglück! Wagen gewinnt! war seine Losung, und der erste Abendstrahl fand den kühnen Glücksritter an dem Schloßgraben, auf der Stelle, wo einige von einer abgetragnen Brücke übrig gebliebne morsche Balken zu einem Pförtchen in der Brustwehr reichten, durch welches man in frühern Zeiten zum Garten des Schlosses gelangen konnte. Der plötzliche Gedanke, über diese schwachen Brückenreste einen unbemerkten Eingang in das Gebäude zu suchen, hatte vielen Reiz für den Jüngling. Sein helles Auge zeigte ihm keine Seele an den wenigen Fenstern, die nach dem Garten gingen. Rings um ihn her war ebenfalls alles still, und dem Balken sich blind vertrauend, der ihm der festere schien, wagte er, der Gefahr den Hals zu brechen trotzend, den Uebergang.
Seine flinken Füße hatten den schwindelnden Pfad in Kurzem zurückgelegt, sich an dem verrosteten Schlosse und den Angeln des Pförtleins in die Höhe geholfen, und die nicht allzu hohe Brustwehr übersprungen. Aus dem nahen Häuslein, wo die Pfauen des Schlosses ihre Wohnung hatten, klangen weibliche Stimmen. Er schlich behutsam hinzu, und gewahrte mit süßer Bewegung durch das offne Fenster Zeniden und Leila, beschäftigt, den stolzen Vögeln ihr Futter vorzustreuen. Mit zwei Schritten stand er an der halb offnen Thür, und rief einen: »Guten Abend!« hinein. Die Mädchen sahen bei dem Schall der unbekannten Stimme auf … wer malt aber ihre Ueberraschung, als sie den Verlornen, den Geliebten vor sich erblickten, von kräftigerer Schönheit geziert denn zuvor. »Achmet! Bruder!« riefen Beide mit dem Ausdruck des Entzückens, und ihre Arme umschlangen seinen Nacken. Der überglückliche Bruder hatte Mühe dem allzu lauten Ausbruch ihrer Freude zu wehren, bis sich endlich der Sturm von selbst legte, und eine gelassenere Wonne ihr Recht behauptete. Die Thüre des Pfauenpalastes wurde geschlossen, der Fensterbalken zur Hälfte zugezogen, und Archimbald mußte erzählen. Er machte den gläubigen Dirnen ein artiges Mährlein vor, fragte dann wie es im Schlosse gegangen sey; und erfuhr im Ganzen dasselbe, was ihm Erlwein schon mitgetheilt hatte.
»Wie denkt man meiner?« fragte er hastig. »Zürnt mir die Fürstin, zürnt mir Ludmille noch, oder darf ich Vergebung hoffen?«
Die Schwestern sahen sich bedenklich an. »Lieber Achmet!« sprach hierauf Zenide, »nichts wäre uns erfreulicher, als Dich wieder in unserer Nähe zu wissen, Dir stündlich unsere Liebe beweisen zu können; denn, ob wir gleich nicht begreifen, was wohl der Grund Deiner seltsamen Verstellung gewesen seyn mag, so hast Du dennoch unsere ganze Freundschaft behalten, und Deine unehliche Geburt von der die Christen so viel Aufhebens machen, kann Dir in unsern Augen, den Sitten unsers Landes zufolge, nicht schaden; allein wir wollen Dir mit einem guten Gewissen nicht rathen, weder der Fürstin, noch Ludmillen vor Augen zu treten. Sie hassen Dich zwar Beide nicht; Ludmille … liebt Dich vielleicht … allein ihr Stolz, ihre Neigung, ihr Haus ist beleidigt, und. sie vergeben Dir es nicht.«
»Nicht?« fragte Archimbald etwas bitter … »auch Ludmille nicht?«
»Ludmille am allerwenigste,« fiel Leila eifrig ein. »Noch gestern … weißt du noch Zenide? Roch gestern kam die Rede auf Dich, in den Zimmern der Fürstin. Nein, sprach Ludmille … nimmer kann ich's ihm vergeben, uns so tückisch getäuscht zu haben. Er hat das Unglück in unser Haus gebracht, hat meine liebe Mutter an den Rand des Grabes geführt, meinen unglücklichen Vater in Raserei gestürzt, meinen Bruder beinahe zum Mutier Mörder gemacht. Ich kann, ich darf ihm nicht verzeihen!«
»So stehen also die Sachen?« sprach Archimbald wie oben. »Ja freilich, dann« …
»Die Fürstin,« begann Zenide, »hat sich während ihrer Krankheit sehr verändert. Sie kann es nicht vergessen, daß des Sohnes Degen nach ihrem Haupte zielte, und ein finst'rer Groll gegen alle Menschen, ein kränkendes Mißtrauen hat in ihrer Seele Platz genommen. Sie würde Dich empfindlich demüthigen, wenn Du es wagtest, Dich ihr zu nähern. Deine Anwesenheit würde bekannt werden … Du liefest Gefahr von irgend einem Verräther an den Prinzen geliefert zu werden, der sich gegenwärtig wieder in der Nähe aufhalten soll, und seinen Grimm noch nicht vergessen hat. Denn so oft Ludmille ein Schreiben von ihm erhält, in welchem er ohne Aufhören, durch Ueberredungen wie durch Drohungen, sie zu bewegen sucht, dem verhaßten Kauniz die Hand zu geben, – wird Deiner in den schimpflichsten Ausdrücken gedacht. Er beharrt auf der Grille, in Dir allein den Grund von der Schwester Weigerungen finden zu wollen, und hat Dir Rache geschworen, wo er Dich nur aufspüren würde.«
»In Gottes Namen!« rief Archimbald lächelnd. – »Ich weiß genug.«
»Zenide! Leila!« rief es im Garten. Es war der gleichmütigen Mermes Stimme. Die Mädchen fuhren auf. »Gewiß verlangt die Fürstin zu wissen, warum wir so lange weggeblieben,« rief Zenide. – »Wir müssen fort!« – rief Leila ängstlich und bedauernd. – Beide ergriffen Archimbald's Hand. »Achmet.!« flüsterten sie … »wir sehen Dich doch wieder?« Archimbald bejahte. »Gewiß?« fragten sie dringender.
»Gewiß?« beteuerte er, und Mermes rief zum zweiten, zum dritten Male. Die Türkinnen bestimmten in Eile das Pfauenhäuslein zum Orte, den Sonnenaufgang zur Zeit des Wiedersehens, und folgten nach einigen flüchtigen Küssen der unangenehmen Pflicht. Archimbald wollte auch sobald als möglich den Garten verlassen; denn über der Unterredung war es so dämmerig geworden, daß es kaum möglich war, die Gewänder der nach dem Schlosse laufenden Dirnen zu unterscheiden. Er schlich sich dem Pförtlein zu, duckte sich aber schnell hinter einen ziemlich dicht belaubten Busch, indem er zwei Gestalten, von denen die eine in einen Mantel gehüllt zu seyn schien, unweit des Thürmleins heimlich mit einander verkehren sah. Die Stille des Abends begünstigte sein lauschendes Ohr. Die Stimme des alten Nepomuk war die Erste, die sich deutlicher vernehmen ließ. »Ich will sterben, gnädiger Herr,« sprach er leise, »wenn die Heidinnen nur das geringste Wörtlein vernommen haben. »S' ist nicht möglich, sage ich Euch.«
»Es kostet Dich deinen Rücken, wenn wir Unrath im Neste finden,« erwiederte der Mann im Mantel mit dumpfer Stimme, welche Archimbald für die des Prinzen erkannte. »Punkt zehn Uhr sind wir da. Halte nur das Pförtchen offen, damit wir doch wenigstens nicht wie Diebe einsteigen müssen, wenn wir uns über die verdammten Balken gearbeitet haben.«
»Sorgt nicht, edler Prinz,« versetzte Nepomuk. – »Ich habe Euern Aufträgen pünktlich Folge geleistet. – Mag nun die gnädige Frau in Gottes Namen alle Abende die Schlüssel des Hauses unter das Kissen stecken, meine falschen thun dieselben Dienste. Ich erwarte Euch hier, und öffne Euch das ganze Haus bis zur Schlafkammer der Prinzessin.«
»Mache deine Sache klug,« hieß es drüben. »Wenn wir einen Fehlgriff thäten und die Unrechte erwischten, ich wäre des Teufels. Denn Kauniz drängt und droht, und wenn ich ihm die zugesagte Braut nicht zuführe in der kürzesten Frist, so stellt er mich an den Pranger und meine Ehre ist hin.«
»Ach, da sey Gott vor!« seufzte der heuchlerische Haushofmeister. »Um unserer Sünden willen! Nur die Ehre verwahrt, möge auch alles Andre zu Grunde gehen. Ich will mein möglichstes thun, allein … wie wir's abgeredet, dabei bleibt's; nicht wahr? ich weiß von dem Allem nichts.«
»Bewahre der Himmel!« spottete der Prinz. »Wir binden und knebeln Dich zum Scheine, und ziehen mit unsrer Beute durch's große Schloßthor ab. Der Schrecken unsers Nachtbesuchs soll die frechen Knechte schon zahm machen, die meiner gespenstersehenden Mutter geschworen haben, ihren künftigen Herrn bei der Fürstin Lebzeiten nicht mehr in's Schloß einzulassen, und im Nothfalle Gewalt mit Gewalt abzutreiben. Gott verdamme die Schurken!«
»Vergib unsre Schulden, so wie wir vergeben unsern Schuldigem!« betete Nepomuk beweglich. »Laßt es den Armen nicht entgelten.«
»Schweig, alter Sündenbock!« schnauzte ihn der Prinz an. »Wenn mir ein Mal meine Schulden vergeben werden, dann sollen die Hunde auch leer ausgehen. Hilf mir jetzt über die Mauer hinüber. Ich bin die Schleichwege nicht gewohnt, und im Klettern unbehülflich. – So! – He! was mir einfällt: versieh' Dich heut Nacht mit einer Blendleuchte, damit wir – da wir doch, Verdacht zu meiden, im Finstern heranschleichen müssen – die schmalen Balken in der Finsterniß unterscheiden können. Es dürfte uns sonst leicht gerathen, im Sumpfe zu ersticken. Hörst Du?«
»Ich höre und werde gehorchen,«, versicherte der Haushofmeister, und half, so gut es seine schwachen Kräfte erlaubten, dem Prinzen die schwanke Brücke zu erreichen, auf welcher er langsam und vorsichtig den Rückzug nahm. – Die Glocke des Schlosses schlug halb neun Uhr. – »Noch anderthalb Stunden also!« brummte der Alte in den Bart, rieb sich schadenfroh die Hände, und verschwand auf leisen Socken aus dem Garten. Archimbald schwankte zwischen zwei entgegengesetzten Entschlüssen. Sollte er das zufällig erlauschte Geheimniß unbenutzt, Ludmillen ein Opfer der Hinterlist ihres Bruders werden lassen? … oder sollte er den schändlichen Plan hintertreiben. Zu dem Erstern rieth gekränkte Eitelkeit; zu dem zweiten das Gefühl der Pflicht. Nach langem ungewissen Kampfe überwand die Letztere und zog die Eitelkeit in ihr Bündniß; denn der Augenblick schien Archimbald der seligste seines Lebens, in welchem er vor die Fürstin würde hintreten können und sagen: »Ihr haßt, Ihr verachtet mich, und ich bin es dennoch, der Euch die Tochter erhalten.« – Sein Plan war auf der Stelle reif, und er schritt zu der Vorbereitung der Mittel dazu. Schleunig eilte er über den Steg, auf den Platz zu, wohin er seinen Reisekumpan beschieden hatte. Erlwein saß auf dem Steine, und pfiff sich ein Abendlied. Froh sprang er dem lange Erwarteten entgegen, aber Archimbald verlor keine Zeit, und entdeckte ihm in wenig Worten, was er gehört, was er beschlossen, und forderte ihn zur Hilfe auf. Erlwein stand verdutzt und fragte nach dem Wie, Wo und Wann der seltsamen Entdeckung. Archimbald gab auf Alles keine Antwort, sondern fragte ihn bloß, ob er auf ihn zählen dürfe. »Zum Teufel, ja!« rief Erlwein ungeduldig. Warum wollen wir aber allein unsre Haut zu Markte tragen? Laßt uns die Fürstin, sammt den Schloßleuten davon in Kenntniß setzen, und Alle vereint auf die Frauendiebe losschlagen.«
»Wir sind stark genug, sie in die Flucht zu schlagen, und den Verräther bei'm Kragen zu nehmen,« versetzte Archimbald. »Das Verdienst der That muß auch uns Beiden allein angehören. Ich habe meine Gründe dazu.«
»Das mag seyn,« erwiederte Erlwein, »ob ich gleich vergeblich mir den Kopf zerbreche zu errathen, was Euch eigentlich in die Geschichte mit hinein gebracht hat, und bewegen mag, sie auszufechten. Allein es ist und bleibt ein tolles Wagestück, oder Ihr seyd ein Goliath an Kräften. Ich weiche übrigens nicht von Euch, wie sich's von selbst versteht, und thue, was Ihr wollt.«
Er reichte dem Wagehals die Hand, und der Letztere unterrichtete ihn so schnell es sich thun ließ, von dem, was geschehen sollte. Hierauf kehrten sie selbander in den Garten zurück, welcher der Schauplatz ihrer Thaten werden sollte. Sie nahmen in dem Pfauenhäuschen ihre Stellung ein, und lauerten auf den Glockenschlag. Der Mond schlich hinter trüben Wolken am Himmelsbogen hin, und sandte nur dann und wann einen bleichen Strahl zur Erde; die Lichter im Schlosse verlöschten nach und nach, aber jener himmlische Gesang, der in der ersten Nacht, die Archimbald auf Worosdar zubrachte, sein Herz entzückt, hatte, ließ' sich auch heute vernehmen, entzückend wie damals. »Ach,« seufzte Archimbald für sich – »nicht diese lieblichen Töne! sie machen mein Herz weich, und stumpfen die Flügel meiner Rache ab. Der nahende Feind wird mich schwach finden, wie ein Kind.«
Der heisere Schlag der Thurmuhr schallte wie gerufen dazwischen. Unter dem grellen Mißtone verstummte die Harmonie. Leichter am Kopf und am Gemüth drückte sich Archimbald längs der Brustwehr zu dem Pförtchen hin; denn man sah bereits von ferne den blassen Schimmer der Leuchte, mit welcher Nepomuk angeschritten kam. Besorgt und scheu spähte der alte Verräther nach allen Fenstern des Hauses, hinter jeden Strauch; allein der im Pfauenhäuschen versteckte Erlwein entging feiner Vorsicht, und konnte ihm daher unbemerkt in den Rücken kommen. Als nun der Haushofmeister sich der Pforte näherte, und den Schlüssel dazu aus der Tasche zog, um beim Schein der Diebslaterne den Einlaß zu öffnen, so trat ihm Archimbald drohend mit gezücktem Dolch entgegen, während im selben Nu Erlwein den Entsetzten rücklings zu Boden warf, und ihm behend den Mund mit einem Tuche verstopfte, daß er keinen Laut hervorbringen konnte. Indessen schnürte ihm Archimbald Hände und Füße mit starken Weidenzweigen zusammen, und schleppte darauf das Männlein in den Pfauenstall. Erlwein blieb bei ihm als Wache, mit Archimbalds Waffe versehen, und drohte ihm dieselbe in den Leib zu bohren, wenn er sich unterstünde, seine Lage nur durch ein Röcheln verrathen zu wollen. Diese Drohung war hinreichend, den ausgemergelten, für sein Leben zitternden Greis in Ruhe zu halten, und Archimbald konnte ungestört an sein weiteres Geschäft. Nachdem er zuvor über die Brustwehr hinaus gehorcht, und bereits in der Ferne leise nahende Schritte vernommen hatte, sperrte er nicht ohne Anstrengung das verrostete Schloß des Pförtleins auf, und hob in Eile mit gewaltiger Mannskraft die beiden diesseitigen Enden der Tragbalken aus ihrem Lager. Die verwitterten Steine gaben nach, und er schob die morschen Balken so weit zur Seite heraus, daß es nur einer geringen Erschütterung bedurfte, um sie in den Graben stürzen zu machen. Kaum war er mit seiner gefährlichen Arbeit im Reinen, so versammelten sich auch schon die Jungfrauenräuber unter den Weidenbäumen des jenseitigen Ufers. »Was war das für ein Geräusch?« fragte leise Einer von ihnen. »War mir's doch, als ob ich Steingerölle in das Röhrigt hätte fallen gehört.« »Nichts Gefährliches;« versetzte der Prinz. »Du siehst, der alte Nepomuk wartet unser. Sein Licht schimmerte durch die geöffnete Pforte. Frisch, Kauniz voran! Erstürme Dir die Braut! Leuchte, Nepomuk!« fügte, er lauter bei. Archimbald hinter der Thüre verborgen, ahmte den schwindsüchtigen Husten des Alten nach, und ließ ein helles blendendes Licht zur Pforte heraus auf die Brücke fallen. »Weg damit in's Teufels Namen!« fluchte der vorschreitende Kauniz, und hielt die Hand vor die Augen. »Es blendet, macht mir schwindelig. Laß gut seyn! der Mond kommt eben ein bischen hervor, und leuchtet mir genug.« – Archimbald zog die Laterne zurück, und stemmte, von der Dunkelheit begünstigt, einen bereit liegenden starken Pfahl gegen den Balken, auf dem der feurige Freiwerber langsam herüberschritt. Der Andre wollte ihm folgen. »Zurückgeblieben!« rief der Prinz demselben zu. »Das morsche Holz trägt nur einen Waghals. Ich gehe auf dem zweiten Balken voran. Sind wir drüben, kommt ihr einzeln nach.« – Mit herzhaften Schritten begann er seine Wanderung, und gelangte bis fast auf die Mitte des Grabens. »Hilf Himmel!« rief plötzlich der weiter vorgedrungene Kauniz: »der Steg wankt« … und zu gleicher Zeit stürzte er in den Sumpf, unmittelbar hinter ihm drein der von Archimbald abgestoßne Balken. Der Schrei des Freundes, sein Sturz, und der schmetternde, alles Röhrigt zerknickende Fall des Holzes machte den Prinzen auf seinem Wege inne halten, der ebenfalls unter seinen Füßen wich, und ihn in die schlammige Tiefe riß. Angstgeschrei der zurückbleibenden Freunde und das Hohngelächter des frohlockenden Archimbalds, der in wilder Freude die Pforte vor den abgeschnittenen Räubern zuschlug, begleiteten die Fahrt der beiden Anführer. »Helft, helft mir, ihr Brüder!« schrie der Prinz aus seinem sumpfigen Grabe: von Kauniz war nichts mehr zu sehen, nichts zu hören. Aber die Gesellen der nächtlichen Unternehmung, entweder bloße Maul- oder Tischfreunde des Prinzen, oder erkaufte Miethlinge, waren zu feig, sich an den steilen Wänden des Grabens hinunter zu wagen, um ihn und seinen Freund zu erretten, und zerstäubten wie die Spreu im Winde. Archimbald war unterdessen zu seinem Gefangenen gesprungen, und hatte Erlwein gebeten, im Schlosse Lärmen zu machen, alsdann spornstreichs nach dem Dorfe zu jagen, und mit den Gäulen auf den Schloßhof zu kommen, ohne Verzug und Aufenthalt. Als der Bote fort war, wandte sich Archimbald zu dem zitternden, vor Angst und Pein halb entseelten Nepomuk.
»Kennst Du mich?« fragte er ihn mit beißendem Spotte. »Du niederträchtiger Heuchler! Zwei Mal hast Du mich schon zu verrathen gedacht, und auch wirklich verrathen. Heute habe ich Dich in Deinen eigenen Schlingen gefangen, Du treuloser Knecht! Dein Anschlag hat mißglückt, Deine Spießgesellen zappeln im Sumpfe. Jetzt, da Alles gelungen ist, will ich Dich auch Deines Knebels entledigen. Steh' auf!«
Nepomuk erhob sich, so gut er mit gebundenen Händen und Füßen thun konnte, auf seine Kniee, und bettelte, als Archimbald ihn vom Knebel befreit hatte, um Schonung, um Gnade, um Erbarmen.
»Ei, Ei,« spottete der Jüngling, »seht doch ein Mal den gestrengen Herrn Haushofmeister Nepomuk. In dieser Stellung seyd Ihr wahrlich kurzweilig, und darum mögt Ihr immerhin in derselben verbleiben, bis Leute kommen, die mit Euch verfahren werden, wie es Rechtens ist.«
»O ich armer, unglückseliger Mann!« ächzte Nepomuk, und preßte mit Gewalt einige Thränen in seine Augen … »ich geschlagener Hiob! Soll ich der Spott werden meiner Feinde? Ach! ewiges Lamm, das dahin trägt die Sünden dieser Welt! ist denn kein Erbarmen?«
»Für jetzt keines,« erwiederte Archimbald streng. »Es ist Zeit, daß Dir die Larve der Frömmigkeit vom Gesichte gerissen werde, und die Leute nahen schon, die nicht säuberlich mit Dir verfahren werden.«
Es drangen auch in der That die Schloßleute in ganzen Haufen, mit Stangen, Leitern und Stricken versehen, in den Garten, und näherten sich dem Schauplatz des Abenteuers. Windlichter und Laternen erhellten den Kreis der aus dem Schlummer gejagten Diener, in welchem Archimbald den gebundenen, wie Espenlaub zusammenschlotternden Haushofmeister stieß, und den Bericht über den ganzen Verlauf der darein verwickelten Theilnehmer abstattete. »Führt den grauen Schurken« – schloß er seine Rede – »dessen Zittern und Beben ein stummes Bekenntniß seines ruchlosen Verraths ist, in engen Gewahrsam, und rettet die in den Schlamm des Graben hinabgestürzten Frevler. Der Fürstin sagt es aber: »Archimbald, der Bastard, den sie verstoßen, sey der Retter ihres Kindes, der Ehre ihres Hauses gewesen!« – Er ging stolz durch die Menge. Der alte Christoph hielt ihn aber auf, und sprach: »Lieber, Junker, wir alle haben Euch immer aufrichtig bedauert. Geht nicht fort in der finstern Nacht! Bleibt unter uns. Wir sagen der gnädigsten Frau …« »Kein Wort!« fiel Archimbald mit hohem Tone ein. »Ich bleibe keine Nacht mehr unter diesem Dache. Bleibt hier zurück, und sucht die Verunglückten auf! Du aber, alter Christoph, öffne mir das große Hofthor, und lasse die Brücke herunter, denn dort erwarten mich meine Pferde.« – Christoph schüttelte den Kopf bedenklich, befolgte aber Archimbalds Willen. Die Knechte durchsuchten unterdessen den Graben, und fanden den in schwerer Ohnmacht liegenden Kauniz; von dem Prinzen jedoch war keine Spur zu finden. Der Ohnmächtige, wie der gebundene Nepomuk, wurde unter Getümmel und Gelächter nach dem Schlosse gebracht, in dessen Frauengemächern es begann lebhaft und hell zu werden. Archimbald eilte um so schneller über den vordern Hof. Die schweren Thorflügel drehten sich in ihren Angeln, die Zugbrücke sank nieder und mit geflügeltem Fuß erreichte er das Jenseits, wo Erlwein mit den Pferden seiner harrte. Dem staunenden Christoph noch einen leichten Gruß, und donnernd stürmten die Rosse mit ihren Reitern fort. Erst als sie den Wald erreicht hatten, durch den die Heerstraße sich zog, erst dann ließen die Eiligen ihren Renner verschnaufen, und ritten langsamer. Von beiden Seiten fiel kein Wort! ein jeder hatte seine Gedanken … Erlwein insbesondere, der, seinen Begleiter nur unter dem Namen vom Bühl kennend, und aus Mangel an Zeit von keinem der Schloßbewohner besser unterrichtet, durchaus nichts heraus bringen konnte, wie die Sache mit dem Junker, und der Junker mit der Sache zusammenhänge. Einige Stunden vergingen auf diese Weise, und sie hatten indessen den Wald verlassen, um in der Fläche ihren Weg fortzusetzen; als zufällig ein Mal Erlwein zurücksah, und eine feurige Röthe in einer ziemlichen Ausdehnung am Horizonte erblickte. – »Seht doch ein Mal, lieber Junker!« rief er seinem Vordermann zu: »Was ist das?« Archimbald sah zerstreut nach der bezeichneten Gegend. »Ein Nordlicht!« … antwortete er alsdann, und sah wieder tieffinnig vor sich hin. Das Nordlicht wurde jedoch immer größer und röther; in der Ferne wie in der Nähe wurden die Sturmglocken der Dörfer wach; allein Archimbalds Ohr war taub geworden gegen die Eindrücke der Sinne, und er schwelgte in dem Wiedersehen zu Prag. Erlwein wollte ihn in seinen Betrachtungen nicht stören, und schlief, seinem Pferde vertrauend, im Sattel ein. Diese zweifelhafte Ruhe bekam ihm indessen wohl, denn mit Anbruch des Tags erwachte Archimbald aus seinen Träumen. »Was säume ich denn?« sprach er zu sich selbst. »In Prag erwartet mich Liebe und Glück, und ich bin noch so weit vom Ziel? Auf denn!« Mit einem Peitschenschlag auf den Arm weckte er den an seiner Seite schaukelnden Schläfer, und setzte dem Rosse die Spornen in die Rippen, daß es unaufhaltsam auszugreifen begann. Erlweins Schimmel blieb nicht hinter dem rühmlichen Beispiel, und mit dem Winde um die Wette laufend drangen die Gefährten vorwärts, bis sie endlich nach einer schnellen, doch für Archimbalds Sehnsucht viel zu langsamen Reise, das Ziel ihrer Wünsche erreichten: das königliche Prag!