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Fünftes Kapitel.


Was ich gelobt in jenes Augenblickes Höllenqualen,
Ist eine heil'ge Schuld! ich will sie zahlen.

Schiller.

Es war um die Weihnachten, und in des Kaufherrn Philipp Wernher's Hause, unfern des Hauses der deutschen Herren, zu Ulm, ging es hoch her mit Musiciren, Pfeifen und Trompeten, weil ein kostbares Mahl daselbst gehalten wurde, zur Feier eines großen Festes. Es war nämlich Herrn Wernher's erstgebornes Söhnlein durch die Taufe in die Zahl der Christen aufgenommen worden. Die Tafel war reich besetzt mit Speisen und Getränken; Alles im Ueberfluß, Alles prächtig und vornehm. Silberne Gefäße blinkten, wo man nur hinsah; köstliche Wohlgerüche dufteten auf in dem hohen Zimmer; liebliche Töne rauschten munter und scherzend von dem Altan durch die Gemächer des Hauses und durch die Straßen, um weit in die Ferne den Jubel zu verkünden. Bunt- und reichgeschmückte Gäste saßen um die schimmernde Tafel; allein der beste Gast fehlte unter ihnen: die Fröhlichkeit, die Alles belebende Freude. Förmlich und feierlich saßen Alle um das Mahl; der Hausvater oben an mit finsterm Blick, blassem Antlitze und düsterer Laune; und das Tauffest würde einem Leichenessen ähnlich gewesen seyn, hätten nicht ein Paar Meistersänger durch ihr rauhes Lied einen schwachen Schimmer von Lustigkeit im Kreise verbreitet. Wie in der Tafelstube, sah es in dem Nebengemache aus, wo die Wöchnerin auf reichen Betten ruhete, den Säugling an der Seite, und gegen die geschwätzigen Freundinnen eine mühsam erzwungene Heiterkeit zu erkünsteln sich bemühete. Ein feindseliger Geist schien über dem ganzen Hause zu walten; denn stumm und verdrossen schlichen die Diener, beständig lebendige Bilder der Herrschaft, umher, und in einer fernen Kammer kämpften zwei erbitterte Gegner: Tod und Leben, um die Hülle des alten Simon, der, in der Bewußtlosigkeit eines hitzigen Fiebers schmachtend, ohnmächtig dem Ausgange des Streites entgegenathmete. Zu des Bettes Fuße saß der erfahr'ne Arzt und berechnete aufmerksam das Steigen und Fallen der wüthenden Krankheit; die Pulsschläge des Gequälten zählend, mit staunendem Ohre auf die seltsamen Reden horchend, die der Kranke in seiner verzehrenden Hitze ausstieß, erwartete er geduldig das Ende der Krisis, die denselben dem Leben zurückgeben oder in die Grube stürzen würde.

Philipp war auch in seinen Gedanken mehr an dem Sterbelager seines getreuen Helfershelfers, als an dem Kindtaufschmause, und lechzte begierig dem Glockenschlage entgegen, der ihm erlauben würde, ohne gegen die Sitte zu verstoßen, die Tafel aufzuheben oder sie zum mindesten zu verlassen. Da trat ein Diener vor ihn und sprach: »Verzeiht, Herr Wernher; da draußen vor der Thüre steht ein junger und armer Gesell, wie seine abgerissenen Kleider zur Genüge beweisen. Er ist auf der Wanderschaft begriffen und spricht bei Euch ein, um Euch eine gute Kunde zu bringen, die ihm, wie er meint, wohl einen Zehrpfennig eintragen würde.

»Hm!« versetzte Philipp und rieb sich die kahle Stirn. »Ich hab' es zwar verschworen, kein wanderndes Lumpengesindel, das bettelnd umherstreift, mehr anzuhören; doch weil ich heut' ein Fest begehe und weil er mir denn auch eine gute Kunde zu bringen vorgibt, so mag's drum seyn. Er soll kommen; sich aber fein kurz fassen! Schärfe ihm das ein!«

Der Diener ging und führte einen zerlumpten, blassen Jüngling ein. Das eine Auge und die Stirn war von einem schwarzen Tuche verhüllt, das beinahe den ganzen Kopf bedeckte … ein dichter Schnauzbart beschattete den Mund; sein Gang war hinfällig, gebückt und schwächlich. Demüthig blieb er an der Thüre stehen. Da alle Gäste sich verwundert nach ihm hingewendet hatten, so ergriff Philipp die Gelegenheit, einmal vor aller Welt seine Großmuth zu zeigen.

»Tritt näher, Bursche!« sprach er halb freundlich zu dem Harrenden … »Du kömmst, um zu betteln, wie ich merke; allein da ich heute guter Dinge bin, so soll Dir ein gutes Almosen nicht entgehen, wofern Du mir die glückliche Botschaft bringst, deren Du Dich rühmst!«

»Ja, edler Rathsherr!« versetzte der Fremde mit kränklicher Sprache. »Ich werde, denk ich, meinen Zehrpfennig ehrlich verdienen und Euch Freude gemacht haben. Damit ich mich also kurz fasse, wie Euer Diener mir es geboten, so hört: ich bringe Euch Kunde von Euerm Bruder Archimbald.«

»Archimbald?« wiederholten alle Gäste verwundert … »von dem Todtgeglaubten? Von Archimbald?« stammelte Philipp heftig erschrocken und verstummte wie vor einem Donnerschlag.

»Ich fand auf meiner Wanderschaft Euern Bruder, krank und mittellos in einer elenden Herberge!« fuhr der fremde Gesell fort. »Er war, gleich mir, auf der Reise gen Ulm begriffen. Er erzählte mir seine Begebenheit, sein unglückliches Schicksal. Da er nirgends mehr eine Aussicht, nirgends Hülfe wußte, hatte er beschlossen, zu Euch zu fliehen, Euch zu Füßen zu fallen, und Euch zu bitten, ihn aufzunehmen, weil ihn die Welt feindlich von sich stieß. Da aber seine kaum gewichene Krankheit ihn sehr schwach gemacht und außer Stand gesetzt hat, so schnell, wie ich, zu reisen, so ist er zurückgeblieben und hat mich inständigst gebeten, seiner Ankunft Herold zu seyn, in der Ueberzeugung, daß es Euch Freude machen würde!«

»Ein zierlicher Herold!« murmelte Philipp höhnisch durch die Zähne; darauf wandte er sich zu den Tafelgenossen. »Wie gefällt Euch,« fragte er mit gezwungenem Lachen … »das Fündlein, das der schlaue Zugvogel da ersonnen hat, mich zum Besten zu haben und mir einen Gulden aus der Tasche zu locken? Archimbald lebend … auf dem Wege hieher? ha! ha! ha! Nur ein Verrückter kann sich beigehen lassen, mit der albernen Mähre einen Mann hintergehen zu wollen, der durch schriftliche Beweise von dem Tode des fraglichen Menschen unterrichtet ist, wie ich! Hebe Dich weg und bringe Deine Zeitungen an, wie Du magst, nur nimmer hier … Du bist ein schlechter Lügner!«

»Herr,« erwiederte der Fremde eifrig, »ich bin kein Lügner! Ich will es darauf ankommen lassen! In Euerm Hause will ich geduldig warten, bis Euer Bruder selber kömmt; er kann nicht lange ausbleiben!«

»So?« fragte Philipp mit ernstlichem Scherz … »Glaub's wohl! Der Landstreicher würde gute Tage leben, seinen Bauch pflegen, und wenn die Zeit herannaht, die er anberaumt, den Abschied hinter der Thüre nehmen. Falsch gerechnet, guter Freund! So lieb es mir wäre, wenn Deine Kunde sich wahr befände, so gerne ich den armen Archimbald, der in störrischem Eigensinne und angeborner Wildheit die Flucht von hier ergriffen hat – so gerne ich ihn aufnehmen und pflegen würde … wäre es auch nur, um die Lästerer Lügen zu strafen, die zu behaupten wagten, ich hätte ihn in's Elend gejagt, wohl gar mißhandelt oder ermordet – so bestimmt kann ich Dir versichern, daß Deine Aussage ohne Grund und der besagte Jüngling todt ist. Ich habe Beweise, die mich schützen, und bekräftigen, was ich behaupte!«

»Diese Beweise sind falsch!« erwiederte der Fremde kräftiger. »Ich bin aber gutes Muths, da ich höre, daß Euer Herz freundlich gesinnt ist gegen den Bruder … denn ich … ich selbst … bin Archimbald!«

Er riß sich die Binde vom Haupte, die röthlichen Locken rollten golden darunter hervor, die muntern Augen blitzten, der falsche Bart fiel, und statt der bleichen Wange sah man ein gesundes, frisches Antlitz. Die Gäste fuhren mit einem Laut der Ueberraschung von den Stühlen auf. Philipp blieb wie erstarrt auf dem seinigen, die weit geöffneten Augen erschrocken auf den Jüngling geheftet, der ihm freundlich die Hand bot und mit mildem Tone also anhub:

»Es freut mich, Bruder, Dich in Wonne und Fröhlichkeit zu finden; denn zu solchen Zeiten ist das Herz zum Frieden aufgelegter, als zu andern. Nach sechs Jahren betrete ich wieder Dein Haus, zwar nicht mehr des Vaters ehrwürdige Wohnung, aber doch die Deinige. Von aller Welt verlassen, nach einer Wanderung voll Kummer, Hunger und Elend komme ich zu Dir … Gott hat heute mich eintreten lassen! Du bist Vater; Dein Sohn ist heute unter die Gläubigen ausgenommen worden … nimm mich auch auf … verstoße mich nicht! Ich habe viel ausgestanden, recht viel gelitten. Laß mich bei Dir Ruhe finden!«

Philipp schwieg noch immer bestürzt und ein finsteres Gewitter stieg in seinen Augen aus. Die Gäste lehnten aufmerksam und lauschend auf ihren Stühlen, als fürchteten sie sich, durch einen Laut die heilige Prüfung der Bruderliebe zu unterbrechen.

Nach einer Weile fuhr Archimbald, der ängstlich in Philipps Augen las, dringender fort:

»Philipp! Bruder Philipp, sieh mich an! Wie der verlorne Sohn komme ich zu Dir in den Lumpen der Armuth. Ich habe zwar keinen Vater mehr, der mich aufnähme. Vertritt aber Du seine Stelle; nimm mich auf an Deinen Herd! Auf der weiten Welt habe ich Niemand als Dich; verstoße mich nicht!«

Philipp schwieg störrisch. Archimbald, von Rührung und Schmerz bedrängt, sprach bittend weiter:

»Laß mich nicht so lange um ein freundliches Wort betteln; reiche mir Deine Hand! Glaube mir, es ist mir sauer angekommen, Dir beschwerlich zu fallen. Noch heute als ich in die Vaterstadt kam, wollte ich es anders versuchen. Ich trat bei dem Schreiner ein, mit dessen Tochter Trudchen ich als Kind so oft gespielt habe; ich gab mich ihm zu erkennen; ich bat ihn dringend mich als Lehrling anzunehmen zu seinem Handwerk; er verweigerte mir es aber hart, weil ich … weil ich unehelich geboren bin. Es schmerzte mich tief; aber ich dachte! Hat gleich der fremde Mann kein Herz für Dich; so wird's der Bruder doch wieder gefunden haben.«

»Welch ein listiger Betrüger!« stotterte Philipp, der die Theilnahme einiger Gäste bemerkte. »Er macht es so natürlich, als ob er in der That der wäre, für den er sich ausgibt. Mich fängt man aber nicht in solchen Schlingen!«

»Bruder!« rief Archimbald, und die Thränen liefen über seine Wangen. »Rede nicht also, Bruder! Du kennst mich wohl; und könntest Du zweifeln, so schaue hier auf die Narben meiner Hände! Diese Wunden, die sich nie verwachsen werden, rissen Deine Spornen, als Du mich aus dem Hause stießest. Bei diesen Wunden beschwöre ich Dich, sey barmherzig! Ich habe nicht Dach, nicht Fach; kein Brod, meinen Hunger zu stillen; kein Gewand, meine Blöße zu decken. Nimm mich auf, Bruder! Ich will Dir nicht lästig fallen; ich habe Vieles gelernt, ich will für Dich arbeiten. Gebrauche mich als Schreiber, als Diener, als Lastträger; ich bin zu Allem bereit. Ich bin ein unehelicher Sohn … ein … hier stockte seine Stimme … ein Bastard … habe nicht die gleichen Rechte, wie Du … aber, Philipp, erinnere Dich wenigstens, daß ein Vater uns zeugte! Vergib mir den Haß, den ich gegen Dich hatte, ich vergehe Dir alles, was Du mir zu Leid gethan, von Herzen! Mache es wieder gut, indem Du für den Bruder thust, worauf ein Fremder so oft Anspruch macht!«

»Hilft mir denn niemand von dem zudringlichen Lügner?« rief Philipp und sprang erboßt auf.

»Philipp!« fuhr Archimbald immer ängstlicher fort, »was thust Du? Dein Mund verläugnet mich; Dein Herz hat mich aber doch erkannt. Sey menschlich! Hier liege ich zu Deinen Füßen, wie damals, als ich Dir die Spornen ablösen sollte. Hier kniee ich und bettle … ich, Dein Bruder, bettle um einen Winkel in Deinem Hause, wie ihn Deine Hunde haben. Es ist kalt und rauh draußen. Meine wunden Füße kleben mit dem Blute am Eise fest, ich kann nicht weiter wandern. Hilf mir! Bis der Frühling kommt, gönne mir einen Winkel mit etwas Stroh … die Brosamen, die von Deinem Tische fallen … das Wasser Deines Brunnens!«

»Hinweg!« schrie Philipp und wich einige Schritte zurück, »elender Gaukelspieler! Ich kenne Dich nicht! Ist einer unter den Anwesenden, der den verschollenen Archimbald, dessen Tod urkundlich bewiesen ist, in dem Betrüger erkennt?«

Alle schwiegen betroffen. Archimbald stand langsam auf.

»Ich muß also fort?« fragte er gedehnt und mit gepreßtem Tone, während alle seine Mienen gichterisch zuckten … »Ich muß? Wohl! Doch werdet Ihr mir, Herr Rathsherr, einen Bissen Brod und einen Schluck Wein von Euerer Tafel nicht versagen?«

»Sogar die gemeine Bettlerzehrung versage ich dem abgefeimten Schurken, der durch seine elenden Mährleins mich höhnen will!« polterte Philipp giftig. »Hinweg aus meinem Hause, und danke Gott, frecher Abenteurer, daß ich heute dieses Fest feire und mein Schwähervater abwesend ist! Du würdest Deinen kecken Schritt bereuen!«

»Wenn einer von uns,« versetzte Archimbald mit fürchterlichem Drohen, »Gott danken muß, daß heute die Taufe. Euers Kindes gefeiert wird, so seyd Ihr's, Herr Wernher! Leicht möchtet Ihr sonst kein Nachtmahl genießen!«

»Wie, Schurke! Du drohst?« schrie entsetzt der Rathsherr und floh zurück. »Diener! Hülfe! Wache!«

Knechte und Mägde stürzten herein. Archimbald zog aber den Dolch aus seinem Wamms und stellte sich gegen die, die Miene machten, ihn anzugreifen. – »Des Todes ist, wer mich anrührt!« donnerte er gegen die Versammlung.

»Mord! Hülfe! Mord!« schrieen alle Gäste. Archimbald machte sich aber den Weg zur Thüre frei. – »Lebt wohl, Herr Wernher!« rief er noch mit vielsagendem Zornblicke. »Das Uebermenschliche habe ich gethan. Mein Gewissen ist ruhig. Was Euch betrifft, so sehen wir uns wieder!«

Er schritt hinaus und eilte alsdann, wie ein Vogel, durch die winterlichen Gassen in's Freie. Hier aber, auf ödem Schneefelde, kniete er nieder und rief, von Wuth und Schmerz gepeinigt, den Dolch gen Himmel hebend:

»Allmächtiger! Du hast meinen Kampf, meine Leiden, meine Ueberwindung gesehen! Ich habe vor ihm gebettelt, er hat mich abgewiesen; ich lag vor ihm auf den Knieen, er hat mich zurückgestoßen. So schwöre ich ihm denn Rache, die vollste, gräßlichste Rache, und übergebe mich dem ewigen Fluche, der ewigen Verdammniß, wenn ich eher raste, eher ruhe, bis ich nicht sein schwarzes, abscheuliches Schelmenblut getrunken und dadurch mit meinem innersten Leben vermischt habe; wozu mir Gott helfen möge!«

Nach diesem fürchterlichen Racheschwur, dem dritten, den er gegen Philipp geleistet, schritt er ohne zu wissen wohin, auf's Gerathewohl in die von Winterstürmen durchheulte Ebene hinein.


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