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Mehr als ein Jahrhundert trennt uns von Theodor Fontanes Geburt, ein rundes Menschenalter von seinem Tode.
Zwischen dem Tag, der ihn der Welt verliehn, und dem, der ihn der Erde entriß, erstreckt sich ein Schicksalsweg deutscher Geschichte; als ein deutscher Preuße, als ein Berliner aus französischem Blut ist er ihn mitgeschritten, seiner Sendung gemäß keine andre Waffe als das Wort in den Kampf gebend. Und dies Wort wirkt, wann es aus letztem Horchen auf raunenden Unterstrom geschöpft ward, in unser neues, größeres Schicksal weiter.
Von seinem Leben hat er oft erzählt, nicht immer so, daß er sich als Gestalt des Vordergrundes einführte, doch auch da, wo das vermieden ward, mit einer Offenheit, die sich nicht schont. So liegt sein Daseinspfad, zumeist im Lichte der Berliner Öffentlichkeit verlaufen, durch eine überreiche Fülle von Briefen im einzelnen erhellt, mit aller Klarheit vor uns. Es kam darauf an, aus der Vielfalt menschlicher und künstlerischer Beziehungen die beherrschenden Züge zu lösen, Nähe und Abstand zu den Menschen und den Mächten seiner Umwelt zu bestimmen.
Wie mancher Künstler seiner reichen Generation, der an Schöpferkraft stärksten seit den Tagen von Weimar, hat auch Fontane zweimal innerhalb durch Jahrzehnte getrennter Zeitläufte Ruhm, Wirkung, Nachfolge unmittelbar erlebt. Aber 2 während bei anderen der frühe und der späte Kranz gleiches Werk und gleiche Art krönen, erntete der späte Fontane nicht die unverwelkte Frucht der frühen Saat. Und da das fortbildende Urteil der Nachlebenden sich an das der letzten Vorgänger schließt, bedarf sein Gesamtwerk in seiner wechselnden inneren Bewegtheit, in seinem zu immer frischem Ausdruck mehr strömenden als strebenden, immer wieder neuen Aufbruch einer unbefangenen Überschau, die nicht den jungen, nicht den alten Fontane, die Fontane schlechthin zu sehen und darzustellen sucht.
Dabei ist jenes Verhältnis zur Mitwelt und Mitbürgerschaft zu erörtern und um so gewisser zu erörtern, weil er die Menschen weit um sich her mit der ganzen Grazie seines Temperaments stärker als irgendein anderer Dichter seiner Zeit erlebt hat. So wird der Geschichtsschreibung Fontanes zugleich die Aufgabe, das literarische und menschliche Gruppenbild Berlins in seiner Jugend und in seinem Alter auszuführen; darüber hinaus aber fordern Art und Würde des Gegenstandes ein Stück geistesgeschichtlicher Umrißzeichnung Deutschlands von den Tagen vor Fontanes politischer und poetischer Erweckung über seine große journalistische Tätigkeit mit ihrer seltenen Spannweite bis auf die deutsche Höhe und bis in die von ihm noch achtsam erlebte Spätzeit des Jahrhunderts hinein. Er konnte nie geneigt sein, sich irgendwie, und selbst nur in literarischer Bedeutung, als Mittelpunkt solch gedehnter Umschau zu empfinden; aber sein kluges Auge besaß die Sehweite für das Ganze, sein auf Ordnung gestellter Sinn die Fähigkeit zur Einordnung. So ist gerade sein Werk, das dichterische und das halbdichterische, der Ort, von dem her fern jeder Zwangskonstruktion dieser Umblick gewonnen werden kann, ohne ihn, dessen Wort uns leitet, aus den Augen zu verlieren. Er hat nicht, wie sein größter Zeitgenosse, die Grenzen Deutschlands neu auf den Erdplan gezeichnet; aber er ist, der 3 eigenen Schranken so sicher wie wenige bewußt, die Grenzen deutschen Landes, deutscher Volkheit, deutscher Geschichte, deutschen Schicksals ausgeschritten, immer klug, immer liebenswürdig, in belohnter Stunde über dem geliebten Lande und der klar geschauten Ferne den Ruf aus unbegrenzter Höhe vernehmend. Daß dieser Ruf aus dem Geheimnis im Durchgang durch sein Wesen Dichtung wurde, verleiht seiner Gestalt über irdischen Abschied hinaus die Dauer. 4