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Herr Goldheimer war vorhin, nachdem er seine ganze Beredtsamkeit vergeblich aufgeboten, und sich zuletzt in seiner Verzweiflung schier wie ein Rasender geberdet hatte, kaum durch die Tapetenthür aus dem Rothen Salon verschwunden, als seine Gattin das Spitzentaschentuch von dem weinenden Gesicht nahm und ihr gepreßtes Herz mit einem tief geseufzten: Ach! Gott sei Dank! erleichterte.
Gott sei Dank, sagte sie noch einmal; diese Männer sind so entsetzlich gewaltsam, so plump! was mußt Du gelitten haben, Du armes, liebes – mein süßes, süßes Kind!
Sie war aufgestanden und hatte sich zu Melanie in das kleine halbrunde Sopha dem Kamin gegenüber gesetzt, indem sie die Hände derselben in ihre Hände nahm und drückte und streichelte, und ihr das dunkle Haar aus der Stirne strich und die schönen Augen küßte. Melanie nahm die mütterlichen Liebkosungen mit einer Ruhe entgegen, die an Kälte grenzte, und richtete sich zuletzt ungeduldig aus den Armen, die sie umschlungen hielten, auf.
Das ist Alles recht gut, Mama; aber wir kommen damit nicht weiter. Und in einer Stunde, oder so, wird Conrad hier sein.
Du hörst ja, daß der Papa gesagt hat, er soll auf keinen Fall angenommen werden.
Er wird sich auch abweisen lassen!
Frau Goldheimer blickte ihre Tochter erschrocken an; Melanie's schöne Augen waren ein wenig seitwärts und nach unten gewandt mit dem starren Ausdruck concentrirten Nachdenkens.
Was ist nun Deine eigentliche Meinung? sagte sie leise.
Meine eigentliche Meinung? erwiederte Frau Goldheimer verwundert; aber, süßes Kind, Du kannst doch darüber nicht mehr in Zweifel sein!
Ich bin es aber; Du hast dem Papa das Wort geredet, und hast dann wieder für mich gesprochen und gesagt, daß sich Eugen mit Conrad gar nicht vergleichen lasse; der Papa war ja ganz außer sich darüber –
Es war auch ungeschickt von mir, rief Frau Goldheimer eifrig; ich hätte es in Papa's Gegenwart nicht sagen sollen. Er dachte dabei gewiß an etwas, woran ich wirklich nicht gedacht hatte –
Nun? sagte Melanie, als die Mama plötzlich schwieg.
Frau Goldheimer drückte das Tuch gegen die Augen. Das sind alte Geschichten, sagte sie; ehe Du – bevor ich – ach, liebes Kind, wir Frauen können ja nie thun, was wir gerne thäten; wir sind ja immer gezwungen, uns in die Verhältnisse zu schicken. Besonders wir jüdischen Frauen! Bei den Christen ist es etwas Anderes; aber ich kann nicht finden, daß es deshalb besser wäre. Im Gegentheil! die Liebe hält auch da nicht vor, und, was übrig bleibt, ist die Misere, oder doch Sorge und Einschränkung und gewaschene Handschuhe und dasselbe Kleid in drei Gesellschaften hintereinander; denke doch nur gestern an die Frau von Wilberg – die alte rosa Fahne, diesmal mit einer Garnitur von Spitzen – unechten natürlich – und ihr Mann ist Oberst! Wenn wir unsere Männer nicht lieben, vielleicht nie geliebt haben, so können sie bequem Tausende ausgeben, wo die armen Menschen noch keinen Thaler übrig haben; und glaube mir, liebes Kind: das ist denn am Ende doch die Hauptsache, besonders, wenn man es von Jugend auf nicht anders gewohnt ist.
Aber ich denke, erwiederte Melanie, – und ihr Blick war noch immer derselbe seitwärts nach unten gekehrte, starre, nachdenkliche – ich denke, Papa ist reich; und was er da jetzt von seinen Verlegenheiten erzählt, das sagt er doch nur so, um mich einzuschüchtern; und –
Um Gottes Willen, glaube das nicht, Kind! rief Frau Goldheimer, die Hand Melanie's ergreifend; er hat es mir heute Nacht zugeschworen; und wenn er es auch sonst mit dergleichen so genau nicht nimmt, wo es gilt, seinen Willen durchzusetzen – Silbermann hat gestern bei Tisch Andeutungen gemacht, Andeutungen, Kind, ich sage Dir, ich war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen; es wurde mir schon ganz dunkel vor den Augen.
Dann ist doch noch immer Dein Vermögen, Mama; und dann, Mama, es ist ja wohl möglich, daß Papa augenblicklich sich in Verlegenheit befindet, aber daß er darin bliebe – nein, Mama, das glaube ich nicht. Silbermann's standen vor sechs Jahren ganz schlecht – ich erinnere mich dessen natürlich nicht; aber Ihr habt ja oft genug davon gesprochen – und was Herr Silbermann gekonnt hat, das kann Papa auch. Und schließlich ist denn doch noch immer Wild's Praxis –
Frau Goldheimer öffnete weit ihre Augen:
Ist das Dein Ernst, Kind! Die paar tausend Thaler! Du lieber Himmel, die reichen noch nicht zu Deiner Garderobe!
Gott, Mama, das weiß ich Alles, sagte Melanie ungeduldig; aber wenn Ihr Wild gegenüber nichts Besseres vorzubringen wißt, als daß Papa ruinirt ist, hat er doch vollkommen recht, zu erwidern: dann habe ich ja mehr als Ihr. Nein, Mama, so werdet Ihr mit Wild nicht fertig.
Sie hatte sich aus der Sophaecke erhoben und schritt mit gesenkten Augen in dem kleinen Gemache auf und nieder. Die Blicke der Mutter verfolgten mit einem Ausdrucke zärtlicher Unruhe die dahinwandelnde zierliche Gestalt.
Weißt Du, Melanie, sagte sie, wenn ich Dich so sehe – kein Prinz wäre für Dich zu gut; und Du hast auch von jeher gehabt und bekommen, was Du gewollt hast, und daß Du es in diesem Falle nicht solltest, mir bricht es noch das Herz; und darin hast Du ja recht: so schlimm steht es nun wohl nicht mit Papa; und wenn ich mich in Deine Stelle versetze, ich würde auch lieber mit Wild drei Treppen hoch in einer Miethswohnung leben, obgleich ich mir das ganz furchtbar denke, als mit Eugen in ihrer prachtvollen Bel-Etage; denn die Eltern wollen ja dann, wie mir Herr Silbermann gestern sagte, herunterziehen, wegen der Terrasse nach dem Garten, weil Frau Silbermann im Sommer möglichst viel im Freien sein soll, bis sie nach Ischl gehen – ach, und da wollten wir uns im Juli Alle treffen; wir und Silbermann's und Ihr; und nun zu denken, daß Alles nur ein Traum gewesen ist!
Frau Goldheimer mußte wieder ihre Zuflucht zu dem Taschentuche nehmen; aber sie hatte es kaum an die Augen gebracht, als sie ein lauteres Rascheln von Melanie's seidenem Morgenrock vernahm und, aufschauend, Melanie bereits in der Thür erblickte.
Was willst Du, Kind?
Mich anziehen lassen, erwiederte Melanie; und ich möchte Dir den Rath geben, es ebenfalls zu thun; es ist bereits elf.
Sie hatte es halb über die Schulter gesagt und so ruhig, als ob heute Morgen Alles in dem gewohnten Geleise sich bewegte! als ob nicht in einer Stunde die Entscheidung für ihr Leben getroffen werden müßte!
Seltsames Kind, murmelte die Mama; wenn ich nur wüßte, was sie eigentlich will; sie weiß es gewiß, sie weiß immer, was sie will; und immer hat sie recht. Was sie wohl heute anzieht? ich will sie nicht stören, aber ich bin wirklich neugierig.
Das hellgraue Seidenkleid mit dem viereckigen Ausschnitt; das Haar auf der Stirn ein wenig gekraust, aber nur ganz wenig, hinten in langen Zöpfen; Alles recht frei und leicht und – luftig.
Melanie hatte kindlich sagen wollen; aber so oder so, das Wort war nicht über ihre Lippen gekommen; und es lag auf ihrem reizenden Gesicht kein kindlicher Ausdruck, als sie sich jetzt, während die Kammerjungfer mit dem Arrangement ihres üppigen Haares beschäftigt war, unverwandten Blickes im Spiegel betrachtete – demselben großen venetianischen Spiegel, dessen prachtvoller Rahmen ihre ganze Gestalt umschloß, und an den sie gestern Abend hatte denken müssen, als Wild's mächtige Augen so groß auf ihr ruhten. – Kein Prinz wäre für mich zu gut – wenn er doch ein Prinz wäre, aber so – drei Treppen hoch in eine Miethswohnung –
Sie hüllte sich unwillkürlich dichter in den weichen Frisirmantel, und ihr junges Gesicht wurde so düster, daß die schöne Königin im Märchen nicht finsterer geblickt haben kann,, da ihr das Spieglein an der Wand die schlimme Mär brachte von Schneewittchen über den Bergen bei den sieben Zwergen, die noch tausendmal schöner sei.
Du bist heute wieder einmal entsetzlich ungeschickt, Elise!
Das arme Mädchen war mit der größten Behutsamkeit zu Werke gegangen, aber das aufgelöste Haar ihrer jungen Gebieterin floß in breiten, glänzenden Wellen über die Stuhllehne herab bis auf den Teppich; sie konnte es nicht bewältigen.
Ich werde Dich wieder fortschicken müssen, rief Melanie und stampfte mit einem ihrer kleinen Füße. Riekchen, können Sie mich nicht von der ungeschickten Person erlösen!
Fräulein Riekchen's blasses Gesicht hatte soeben zur Thür hereingeblickt; sie schlüpfte jetzt eilfertig ins Zimmer.
Das Kammermädchen war mit Thränen in den Augen gegangen; Fräulein Riekchen hatte leise hinter ihr den Riegel vorgeschoben und kam jetzt, die mageren Hände hoch erhoben, zu Melanie zurück.
Ach, mein liebes, gnädiges Fräulein, Sie sind ja so klug, und haben sich gewiß gleich gedacht, daß ich nicht so ohne Ursache gekommen bin! Denken Sie sich nur – aber ich kann Sie ja dabei immer weiter frisiren; wie neulich Abend als Gretchen? weiß schon! – denken Sie sich, liebes, gnädiges Fräulein, der Jean, – er ist ja ein Sausewind, dem man auf den Dienst passen muß, und das Horchen an den Schlüssellöchern ist eine Abscheulichkeit; aber die Leute lassen es ja nicht und der Jean hat wenigstens ein wirkliches Interesse an seiner Herrschaft und meint es im Grunde gut, weshalb ich ihm denn auch Manches durchgehen lasse; – und da kommt er eben ganz bleich vor Aufregung und erzählt, er habe unten von einem Mann, dem er es gar nicht angesehen, fünf Thaler erhalten, daß er ihn dem Herrn melde; und weil ihm das verdächtig vorgekommen, habe er noch ganz besonders aufgepaßt und jedes Wort gehört; und der Herr ist ein Notar gewesen und es ist nur von dem Herrn Doctor die Rede gewesen, und es hat sich um Wechsel gehandelt, die der Herr Doctor ausgestellt und nun natürlich nicht einlösen kann, und Jean sagt: so viel er davon verstehe, sei es mit dem Doctor rein aus, und er könne von Glück sagen, wenn er heute Nacht nicht im Schuldthurm schlafe. Ach, liebstes, bestes, gnädiges Fräulein, ich bin ja ganz außer mir, wenn ich bedenke, daß Jemand, der auftritt, als wenn ihm die ganze Welt gehöre, keinen rothen Dreier, so zu sagen, in der Tasche hat; denn, denken sich doch das gnädige Fräulein nur, wie er gestern Abend so eilig fortgeht und ihm Jean den Ueberzieher anhilft, fällt etwas heraus – zwischen die vielen Kleider – und sie können es nicht finden, und der Herr Doctor sagt: lassen Sie nur, es wird nichts von mir gewesen sein; und ist doch von ihm gewesen – heute Morgen hat's der Jean gefunden – ein wunderschönes, funkelnagelneues Portemonnaie, aber nichts d'rin: keinen Thaler, keinen Groschen, keinen Pfennig, blos ein paar Visitenkarten! Da kann man sich denn freilich nicht wundern, sagt der Jean, wenn man von ihm heute einen Louisd'or und dann wieder vier Wochen lang nichts bekommt, während der junge Herr Silbermann –
Wie viel hat er Ihnen dafür gegeben, daß Sie mir diese schönen Geschichten erzählen sollen?
Melanie hatte sich erhoben; Riekchen legte den Frisirmantel zusammen mit zitternden Händen, und die dünne Stimme zitterte, als sie jetzt, die gebrauchten Sachen in den Toilettekasten kramend, erwiederte: Das habe ich nicht um das gnädige Fräulein verdient, daß mich das gnädige Fräulein noch immer für nichts Besseres halten, als die Anderen. Und wenn man so etwas hören muß, da sollte man sich doch das nächste Mal lieber die Zunge abbeißen, als sie sich so verbrennen; und die Ohren sollte man sich zustopfen, damit man gar nicht hören kann, was die Leute sagen, denn was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, und mich geht es doch schließlich nichts an, wenn der Herr Doctor bereits eine Braut hat, und nicht erst seit gestern, sondern seit neun oder zehn Jahren, wo sie denn freilich nicht mehr so jung sein kann, und schön soll sie ja auch nicht sein, und das bischen Geld, was sie gehabt hat, hat er ja auch wohl schon verbraucht; und da kann man es dem Herrn Doctor allerdings nicht verdenken, wenn er sich anderweitig umthut, sagt die neue junge Putzmacherin, die vorhin hier war, mir meine paar Fähnchen ein wenig aufzustutzen; und sie ist ja auch aus Oschatz und kennt die ganze Geschichte.
Ist sie noch hier? rief Melanie.
Sie hatte sich plötzlich umgewandt, und Riekchen hätte vor Schrecken fast die Kämme aus der Hand fallen lassen: so bleich sah das gnädige Fräulein aus und so funkelten ihre Augen.
Ich dachte, es käme auf dasselbe hinaus, wenn ich –
Auf der Stelle schaffen Sie mir die Person, auf der Stelle! rief Melanie, mit den kleinen Füßen stampfend.
Um Gott, gnädiges Fräulein, lassen Sie es mich nicht entgelten! stammelte Riekchen; sie sah ein wenig leichtfertig aus und es kann ja sein, daß sie gelogen hat –
Ueber Melanie's bleiches Gesicht zuckte ein unheimliches Lächeln; aber sie erwiederte nichts, sondern deutete nur mit finster zusammengezogenen Brauen nach der Thür, von welcher Riekchen eben den Riegel zurückschob. Elischen, die schon vergebens zweimal geklopft hatte, schaute herein.
Im Vorzimmer ist eine Dame, die das gnädige Fräulein dringend zu sprechen wünscht. Es sei in einer wichtigen Angelegenheit; sie meint, das gnädige Fräulein würde sie wohl annehmen, wenn ich ihren Namen meldete: Fräulein Christiane Kempe –
Riekchen schlug, in einer blitzschnellen Wendung nach ihrer Gebieterin, die mageren Hände zusammen und die Augen nach oben, als wolle sie dem Himmel dafür danken, daß er in dem rechten Augenblicke die Rechte geschickt. Auch mußte ihre junge Gebieterin Blick und Geberde sofort verstanden haben, denn sie wurde wo möglich noch bleicher als zuvor, und dann sagte sie ganz ruhig: Ich könnte die Dame am Ende gleich hier empfangen, meinen Sie nicht, Riekchen? Daun, bitte, führen Sie sie hierher, Riekchen!
Sie stand vor dem Spiegel. – Das ist die Rettung; das Andere würde er Alles mit der Fußspitze fortstoßen, und wie würde es gar in meinem Munde klingen! Doch dies! es wird mir natürlich das Herz brechen – da ist sie! schön ist sie nicht, wie es scheint; aber sie sieht wie eine Dame aus.
Melanie wandte sich langsam um und sah jetzt das Gesicht, das sie eben im Spiegel beobachtet, unmittelbar vor sich. Es war noch immer nicht schön, doch gewiß auch nicht häßlich, und besonders hatten die großen blauen Augen einen ganz eigenthümlichen Zauber, obgleich sie in diesem Moment wie durch einen Schleier blickten. Aber schon im nächsten Augenblicke hob sich der Schleier und die großen blauen Augen schauten so warm und mild, und zugleich so klar und leuchtend, daß Melanie die langen seidenen Wimpern senkte, und, auf eine Causeuse, die in der Nähe stand, deutend, die Dame mit leiser Stimme Platz zu nehmen ersuchte.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie hier empfange, sagte sie, sich ein Tabouret heranrückend, meine Bonne ist schuld, die –
Christiane hatte sich, als sie eintrat, nicht umgesehen und verwandte auch jetzt keinen Blick von der reizenden Gestalt, die sich eben niederließ, leicht und anmuthig, wie ein Vögelchen, das die Flügel zusammenlegt. Der Schleier wollte wieder über die Augen sinken, aber hatte sie sich denn nicht immer die, die er jetzt liebte, schon und anmuthig vorgestellt! und wäre es nicht schmerzlich für sie gewesen, wenn sie sie anders gefunden!
Ich habe Sie ja nur sehen und sprechen wollen, sagte sie; Sie kennen – mein Name war Ihnen nicht bekannt?
Ich erinnere mich nicht, sagte Melanie.
So komme ich wenigstens nicht zu spät. Denn daß Sie von mir hören würden – in allernächster Zeit, davon war ich überzeugt, als mein Vater gestern Abend – aber Sie können das Alles ja gar nicht verstehen.
Ich verstehe Sie in der That nicht, liebes Fräulein, sagte Melanie; aber ich bitte Sie, ganz frei, ganz offen zu mir zu sprechen, wie wenn Sie – zu einer Schwester sprächen.
Sie hatte sich erhoben und zu Christiane auf die Causeuse gesetzt und bei den letzten Worten – in einer Wallung, die das holde Gesicht wunderbar anmuthig machte – die Hände derselben ergriffen. Zu einer Schwester! wiederholte sie.
Christiane hielt die zarten Hände fest. Ihr Busen wogte, ihre Augen blickten starr; wehmuthsvoll zuckte es um ihren Mund; und plötzlich hatte sie Melanie umschlungen und küßte ihr mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit Stirn und Augen.
Eine Schwester! schluchzte sie; meine Schwester: ich will Ihnen ewig dankbar sein für das Wort, das mir das Siegel von den Lippen nimmt! Ja, nun kann ich sprechen; nun kann ich Alles sagen, Alles, denn ich weiß nun, daß Sie mich verstehen werden, vielleicht schon ahnen, gewiß schon ahnen, was ich zu sagen habe! Aber es soll doch gesagt werden, um der Andern willen, damit Sie ihn vertheidigen, ihn schützen können, wie ich es früher so oft gethan, gegen Angriffe, die ja einen Schein von Berechtigung haben – ach! wer begreift ihn denn, wer kann ihn denn begreifen, als wer ihn liebt!
Sie trocknete sich die Thränen ab; und als sie jetzt, Melanie's Hand wieder nehmend und zärtlich festhaltend, zu sprechen fortfuhr, schwebte nur noch ein schwermüthiges Lächeln um ihre Lippen.
Ich habe ihn geliebt – ich darf wohl sagen, von dem ersten Augenblicke an, als er – es sind nun zehn Jahre und ich war damals sehr jung, noch jünger, als Sie – über unsere Schwelle trat. Sein Vater und meine Mutter waren Vetter und Base, und mein Vater sein Pathe, und da kam er denn wohl manchmal in unser Haus; aber doch auch nur selten, denn er war auf seinem väterlichen Dorfe im Gebirge in großer Einsamkeit und Armuth aufgewachsen – das hatte ihn so scheu und so stolz gemacht; und hernach auf dem Seminar hatte er sich auch so wildfremd gefühlt unter all den Betern und Frömmlern – sagte er mir später, als er Vertrauen zu mir gewonnen hatte und mich – liebte.
Eine Purpurgluth stieg in Christiane's Wangen auf und schwand wie Abendsonnenschein in Sommerregenwolken.
Ich darf es sagen, jetzt, wo er mich nicht mehr liebt. Jetzt liegt die Welt offen vor ihm, die große schöne Welt, die seine rechte Heimath ist; was kann ihm jetzt noch meine Liebe sein! Damals – ja damals war ich ihm ein Stückchen blauer Himmel, das zu dem Gefangenen durch die Eisenstäbe seines Kerkers freundlich herniederblickt, ein Vögelchen, dessen einfacher Sang die dumpfe Stille unterbricht – und, wenn es hoch kam, eine Menschenseele, die nicht ganz stumm blieb, die doch wenigstens ein Echo hatte für seine Klagen – die Klagen eines leidenschaftlichen Herzens, das im Takt mit der Alltäglichkeit, ja der Gemeinheit schlagen soll! eines Feuergeistes, der gen Himmel loht und an dem die Menschlein hier unten ihre Süppchen kochen wollen! Ach, Sie lachen nicht, wenn Sie mich so reden hören; Sie sagen sich: die Arme hat so viel über das Alles nachgedacht, hat es sich nach allen Seiten klar zu machen gesucht, und da sind ihr denn, während sie es so wandte und so, allerlei Bilder und Gleichnisse gekommen, von denen vielleicht kein einziges ganz zutrifft; aber ich weiß, ich sehe es an Ihren gespannten Mienen, an Ihren schönen, klugen Augen, mit denen Sie mir die Worte von den Lippen nehmen, daß Sie mich verstehen: verstehen, was ich ihm damals gewesen bin, bis der Tag kam, den er so lange herbeigesehnt; bis das Volk aufstand, sich sein gutes Recht mit den Waffen in der Hand zurück zu fordern. Wie hätte er zu Hause bleiben können! er, dem schon lange der Boden unter den Füßen brannte! und wie hätte er sich nicht opfern sollen, er, dessen Muth keine Gefahr kannte! Er hat für die Sache, die er für die rechte und gute hielt, sein Leben auf's Spiel gesetzt, und sie vertheidigt, bis es nichts mehr zu vertheidigen gab, bis Alles ganz verloren und zu Ende war, und er es erleben mußte, daß Menschen, Freunde – für die er seinen letzten Blutstropfen hingegeben haben würde, zu Verräthern wurden an der Freiheit, an der Freundschaft – doch das wissen Sie Alles sicherlich aus seinem Munde – ich habe es nur aus seinen Briefen; wir haben uns seit jenem Maientage, als er mit der Flinte auf dem Rücken über unsere Gartenmauer sprang, sich an die Spitze seiner Freischaar zu stellen – ich habe ihn seitdem nur einmal wieder gesehen, hier in Leipzig vor drei Jahren – eine kurze, traurige Stunde, an die ich selbst jetzt nur schaudernd denken kann.
Sie strich sich mit der Hand über Stirn und Augen!
Aber ich bin ja nicht hier, Ihnen das Herz schwer zu machen; ich will es Ihnen ja mit Muth füllen, daß es gefeit ist gegen Alles, was sie früher oder später vorbringen könnten, Eure Liebe zu trüben, indem sie ihn verdächtigen, der doch, wie er nun einmal ist – und wer, der ihn liebt, möchte ihn anders! – hat handeln müssen, wie er gehandelt hat.
Er kam damals aus Paris! – dem großen Paris – in dies kleine! und zu welchem Zwecke? ein Mädchen wieder zu finden, das, weil es ihm vor sieben Jahren einmal auf seinem Wege begegnet, ein paar Schritte mit ihm zusammen auf seinem Wege gegangen war, ihm seine Bürde damals vielleicht mit gutmüthig ungeschickter Hand ein wenig hatte tragen helfen – den Anspruch erhob, er solle sie dafür zur Gefährtin seines Lebens machen, seines Lebens, welches jetzt in so ganz andere, höhere, glänzendere Bahnen geleitet war. Ach! liebes, süßes, holdes Mädchen, ich kann Ihnen das Alles nicht bis in's Einzelne klar legen, und es bedarf dessen auch nicht. Es bedarf nur, daß Sie fest halten: die Einzige, die vielleicht ein Recht hätte, ihm deshalb gram zu sein, ist es nicht; die Einzige, die dabei gelitten hat, sagt: es mußte so sein, es konnte nicht anders sein; er ist mir nichts schuldig geblieben, nichts!
Wieder flammte die Purpurgluth in ihren Wangen auf und blieb länger; und sie hatte die langen Wimpern auf die glühenden Wangen gesenkt, als sie jetzt fortfuhr:
Es muß auch das gesagt sein; es wird Ihnen, die Sie im Schooße des Reichthums groß geworden, wie ein Vögelchen im warmen, seidenweichen Nest – es wird Ihnen wie eine fremde, häßliche Mär in's Ohr klingen; aber hören Sie dennoch – um seinethalben, der ja doch kein Anderer wird, so wenig wie Jemand, der über die Straße geht, durch ein wenig Staub, welcher sich an seine Sohlen heftet; aber sie wollen aus dem Bischen Staub einen Flecken machen, einen bösen Flecken an seiner Ehre, die so rein ist und so rein bleiben soll, wie Ihr Spiegel dort –
Conrad hatte eine reiche Tante – reich für unsere kleinbürgerlichen Verhältnisse. Sie war kinderlos; er war ihr nächster Verwandter, und es war längst ausgemacht, daß er sie beerben würde, obgleich sie mit seinem Vater, ihrem Bruder, in schwerem Unfrieden gelebt und Conrad immer treu zu seinem Vater gehalten und immer gesagt hatte, er würde sich, und wenn er zehn reiche Tanten hätte und sie ihn alle zum Erben einsetzten, deshalb nicht weniger auf seine eigenen Füße stellen. Das hatte denn wieder Mißhelligkeiten zwischen ihm und der alten Dame gegeben, die ihn im Grunde sehr liebte und hoch mit ihm hinaus wollte; und als er nun gar an der Revolution Theil nahm und sie ihn aus den Fenstern ihres Hauses in Dresden auf der Barrikade stehen sah – sie sagen, die alte Frau sei aus Kummer darüber gestorben. Das ist nun wohl zu viel, aber sie starb allerdings wenige Tage darauf und hatte ihr Vermögen an mich und noch vier Andere vermacht, die ihr sämmtlich kaum noch verwandt waren; Conrad's Name kam in dem Testament nicht vor; er war enterbt.
Ich bot ihm den auf mich gefallenen Theil, welcher, wie die übrigen Legate, in der Bank Ihres Herrn Vaters deponirt war, bis ich, die jüngste der Erben, mündig sein würde – ich bot ihm meinen Theil an! er schlug es aus und wieder aus; und endlich, als ich zu bitten nicht nachließ und traurig fragte, ob es denn wirklich zwischen mir und ihm noch ein Mein und Dein gebe – da nahm er von mir – nein! nein! da nahm er von dem Unsern, das ja doppelt sein war, so viel er brauchte, um nicht zu verhungern, um die angefangenen Studien fortzusetzen, zu vollenden – in Zürich, in Paris. Aber seitdem er vor drei Jahren aus Paris hierher kam – seitdem liegt ein Creditbrief meines Vaters bei Ihrem Herrn Vater unbenutzt.
Sie blicken mich starr an; Sie mögen es nicht aussprechen: Und Du ließest ihn da noch nicht frei! Verzeihen Sie mir, wenn Sie können und bitten Sie für mich bei ihm, daß ich ihm das angethan, daß ich sein Leben so verdüstert! Aber unser Herz ist ja ein verzagt, trotzig Ding, und dann schrieb mir der alte Herr Kreppelmann, der ein gar guter Freund meiner Familie und mein und auch Conrad's Pathe ist und der den Conrad über Alles liebt – Onkel Kreppelmann schrieb mir immer: Du darfst nicht solche Ansprüche machen, Mädchen; so ein Mann, wie Conrad, hat ganz andere Dinge zu thun, als Briefe und noch dazu Liebesbriefe zu schreiben; kommt er doch nicht einmal mehr zu mir, dem er ja sonst Alles mittheilte, vor dem er ja sonst kein Geheimniß hatte! Ach, Conrad hatte ein Geheimniß vor dem alten Manne, das doch nicht lange eins bleiben konnte; und nach langer Pause schrieb Onkel Kreppelmann – es sind nun vielleicht acht Wochen – wieder an mich – und da hörte ich zuerst Ihren Namen, Ihren süßen Namen, holdes Mädchen; und da habe ich Sie mir so – nein, so schön doch nicht gedacht, wie ich Sie nun vor mir sehe.
Und dann wollte ich an Conrad schreiben und – ich kann das nicht so schildern; es bedarf dessen auch nicht – wir Mädchen sind nun einmal wunderliche Geschöpfe, und wenn wir, wie ich, sechsundzwanzig Jahre alt geworden sind: voll übertriebenen Stolzes jetzt, und dann wieder voll falscher Scham – und, und – es verging ein Tag nach dem andern, bis gestern Abend mein guter alter Vater, der sich in Conrad gar nicht zu finden weiß, plötzlich hierher reiste, um – aufgestachelt ohne Zweifel von einem schlechten Menschen, der Conrad damals in Dresden auf die schmählichste Weise verrathen hat und seitdem immer sein erbitterter Feind geblieben – es kommt ja nicht darauf an, wie ich es erfuhr – aber der Vater war zweifellos hierher gereist und ist in diesem Augenblicke hier, um in einer Weise, die Sie schwerlich verstehen würden, wenn ich sie Ihnen zu schildern versuchte, Conrad die schlimmsten Verlegenheiten zu bereiten – Verlegenheiten, die offenbar von jenem schlechten Manne darauf berechnet sind, daß sie Ihrem Herrn Vater, vielleicht auch Ihnen zu Ohren kommen – zusammen mit meinem Namen und dem, was ich Ihnen eben erzählt, nur nicht so, sondern wie es Conrad's Feinde, wie es die erzählen werden, die Ihr junges, liebendes Herz von seinem Herzen reißen wollen.
Ich sah, ich durchschaute das Alles mit einem einzigen Blick. Ich bin meinem Vater nachgereist und habe heute Nacht den guten Onkel Kreppelmann durch mein unerwartetes Kommen erschreckt; ich brauchte seinen Rath, seine Hilfe. Aber das seltsamste Mißgeschick hat mich auf meinem Wege heute Morgen verfolgt. Mein Vater war nicht in dem Gasthofe, in welchem er abzusteigen pflegt; ich habe die halbe Stadt vergebens nach ihm durchsucht; dann war ich zweimal bei Conrad, ihn zu warnen, ihm Alles zu sagen – ich würde ja wohl die rechten Worte gefunden haben; aber heute Morgen wurde ich abgewiesen – was sollte ich thun? und eben war er wohl wirklich nicht mehr zu Hause. Da dachte ich in meiner Noth: geh zu ihr! sprich zu ihr! sag' ihr Alles! ist sie das edelherzige Geschöpf, das sie sein muß, da er sie liebt, da sie ihn liebt, so wird sie dich anhören, dich verstehen; und was sie auch wider ihn vorbringen, wird sie weglächeln, wie die Sonne die Uebel weglächelt, die aus den Sümpfen steigen.
Und es war mein guter Geist, der mir das rieth. Er hat mich zu einem Engel geleitet, der, wie er selbst rein und gut ist, Alles rein und gut macht, was er mit seinen zarten Händen berührt. Und Ihr Vater wird lächeln, wenn er hört, daß wir eine solche Kleinigkeit so ernst genommen haben, und Conrad – nein, lächeln wird er nicht. Er wird sogar sehr ernst blicken, denn er ist ein ernster Mensch mit einem kinderweichen Herzen, obgleich es manchmal anders scheint; und es wird ihm nahe gehen, wie wenn er einem Kranken Schmerzen bereitet hat, hat bereiten müssen. Aber dann sagen Sie ihm – Ihnen wird er es glauben – daß ich nicht krank bin, daß ich fröhlich bin in meinem Herzen, wenn mir auch jetzt die Thränen in den Augen stehen. Und nun, Du holdes Geschöpf, Du meine junge, süße Schwester, sei glücklich, wie Du ihn liebst; seid glücklich, wie Ihr Euch liebt!
Melanie war allein. Sie saß auf der Causeuse und wischte sich mechanisch die Thränen von den Wangen. Es waren nicht ihre eigenen Thränen.
Aber ihr eigenstes Lächeln war es, mit welchem sie sich jetzt in dem großen Spiegel betrachtete – ein grauenhaftes Lächeln, das ihren sonst so reizenden Mund seltsam verzerrte. Der Spiegel hatte nicht gelogen: Schneewittchen war tausend Mal schöner als sie! Sie brachte diese Empfindung nicht in den poetischen Ausdruck; sie dachte nicht an das Märchen; aber daß sie nicht werth sei, der, die eben von ihr gegangen, deren Thränen sie eben von ihren Wangen abgewischt, deren Kuß sie noch auf der Stirne fühlte – daß sie nicht werth sei, ihr die Schuhriemen zu lösen – die Empfindung hatte sie doch.
Nur für einen Moment.
Sie beugte sich vornüber und entfernte aus der Spitzenfrisur an ihrem Busen, die ein wenig zerdrückt war, ein paar unschöne Falten.
Dann bin ich es eben nicht, sagte sie; und wenn ich es nicht bin, und er ein so edler Mensch ist, so passen wir eben für einander nicht; ich kann mich nicht anders machen, als ich bin. Er soll es von mir hören; er muß es von mir hören; es giebt jetzt kein anderes Mittel mehr. Papa würde nicht den Muth haben, es ihm zu sagen; er würde es auch Niemand glauben, außer mir, es von Niemand hinnehmen; – es wird eine furchtbare Scene werden.
Sie verließ die Garderobe, sich zu der Mama zu begeben, die gewiß jetzt mit ihrer Toilette fertig war und sie erwartete. Aber, wie sie durch ihr Zimmer ging, war ihr sonst so schwebender Schritt langsam und wie gebrochen; und kaum im Rothen Salon angelangt, ließ sie sich auf das Sopha fallen in einem Zustande der Erschöpfung, welcher einer Ohnmacht hinreichend ähnlich sah, um von der besorgten Mutter sofort für eine solche gehalten und durch das Sprachrohr in das Cabinet des Herrn Goldheimer hinab signalisirt zu werden.