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(1873.)
Vielleicht ist kein Umstand für die bedeutsame Wichtigkeit, welche der Roman für das geistige Leben der modernen Menschheit hat, so beweisend, wie gerade der, daß kaum ein geistiges Produkt der Nationen eine solche Expansionskraft besitzt, so gerne und so bereitwillig von den anderen Nationen absorbirt und in ihr respektives Geistesleben aufgenommen wird, als gerade der Roman. Man kann dreist behaupten, daß heutzutage kein guter Roman geschrieben wird, der nicht für die ganze Welt geschrieben würde; und dürfte man das doch nur von den guten Romanen behaupten! Im Gegenteil: die »Fanny« des Feydeau, die »Affaire Clemenceau« des A. Dumas Fils und dergleichen Produkte einer depravierten oder doch outrierten Phantasie Ich würde heute die Namen anderer Autoren nennen, ohne daß ich die Kennzeichnung der Produkte zu verändern brauchte. scheinen noch mit einem ganz besonderen Freibillet für Erderundreisen ausgestattet zu sein; aber auch Scott, Bulwer, Dickens, Thackeray sind gelesen worden und werden gelesen, wo überhaupt gelesen wird. Und wenn Engländer und Franzosen aus verschiedenen Gründen, die sie selbst sich nicht immer zur speciellen Ehre, und andere Nationen manchmal zu ihrer sehr speciellen Unehre anzurechnen haben, uns hier den Vorrang ablaufen, so trösten wir uns damit, daß deutsche Eichen vielleicht langsamer wachsen, aber ein desto kräftigeres Leben haben und desto breiteren Schatten streuen. Hat doch auch bereits im vorigen Jahrhundert selbst der Chinese den Werther, wenn nicht gelesen, so doch auf Glas gemalt, und jedenfalls ist die größere oder geringere Verbreitung unserer heutigen deutschen Romane für die Konstatierung der internationalen Wichtigkeit des Romans 38 nur von untergeordneter Bedeutung. Viel bedeutsamer ist, daß die Romane eines Volkes manchmal fast das einzige sind, womit und wodurch es in den Gesichtskreis der tieferen Bildungsschichten eines anderen Volkes hineinragt. Oder wäre es ein Zufall, daß die vagen Vorstellungen, welche dieser und jener von den Sitten, der Lebensweise u. s. w. der Schweden hat, ihm einzig durch die Lektüre der Romane einer Friederike Bremer, Flygare-Carlén und neuerdings der Sophie Schwartz zugekommen sind? daß die Kenntnisse der italienischen Litteratur eines anderen sich ausschließlich auf Manzonis »Promessi sposi« beschränkt? daß für einen dritten jenseits des Pregel alles in einem Nebel verdämmert, dessen Schleierfalten ihm nur Turgenjew zeitweise gelüftet hat?
Gewiß ist das kein Zufall; die Erklärung aber der Erscheinung möchte ich so formulieren: Der Roman hat für die moderne Menschheit diese tiefe Bedeutung, diese einschneidende Wichtigkeit, weil keine andere Kunst, und auch kein anderer Zweig der Dichtkunst dem geistigen Bedürfnisse derselben so Rechnung trägt, ein so bequemes, ausgiebiges, zweckdienliches Vehikel der Mitteilung der respektiven geistigen Interessen und Bedürfnisse hinüber und herüber ist.
Ich würde selbstverständlich an den Abgrund einer Unmöglichkeit geraten, wenn ich im einzelnen ausführen sollte, was ich mir unter dem inhaltweiten Begriff »moderne Menschheit« vorstelle. Glücklicherweise aber ist das keineswegs nötig; es bedarf für unsern Zweck nur der Hervorhebung einiger wenigen, aber allerdings desto prägnanteren Kennzeichen. Ich glaube, daß man im großen und ganzen zustimmen werde, wenn ich als den hervortretendsten Zug, als das eigentlich charakteristische in der Physiognomie der jetzt lebenden Menschen den Drang und den Entschluß bezeichne: das ihnen zugewiesene Erbe endlich einmal voll und ganz anzutreten; es sich heimisch zu machen auf dieser 39 unserer Erde, der festgegründeten, dauernden, die nicht eine Vorstufe des Himmels oder der Hölle ist, sondern der Grund und Urgrund, aus dem unsere Leiden und Freuden quillen, das Rhodus, auf dem wir tanzen müssen, es tanze sich nun gut oder schlecht. Es ist das trotzige Glaubensbekenntniß des Prometheus, es ist sein demütig stolzes Wort: »Hast Du nicht alles selbst vollendet, heilig glühend Herz!« was wir sichtbar-unsichtbar auf die Stirn jeder Lokomotive geschrieben sehen, die über himmelhohe Brücken und durch Tunnel, schwarz wie der Erebus, dahindonnert; was hörbar-unhörbar jeder Telegraphenapparat in tausendfältigem Takt und Rhythmus tickt und hämmert. Und wo sähen wir dies Wort nicht! wo hörten wir es nicht! Wahrlich nicht zum mindesten in unserm eigenen Herzen, bald leiser, bald lauter, bald deutlicher, bald undeutlicher, zum geheimen Grauen für sie, die mit altehrwürdigen Traditionen nicht brechen wollen oder können; zum naiven Erstaunen für die leicht bewegliche Menge; zur höhnischen Schadenfreude so mancher, die aus traurigsten Gründen auf den Umsturz des Bestehenden spekulieren; zum freudigen Stolz für sie, die fest an die Segensmacht der Wahrheit und an eine bessere Zukunft glauben und sich nicht irre machen lassen durch die Zeloten, welche das Wort nicht Wort haben wollen, es gern übertäuben möchten mit ihren Flüchen und Bannsprüchen und gerade dadurch beweisen, wie laut es auch ihnen in die Ohren schallt! Ja, die Menschheit unserer Tage will aus dem Leben machen, was sich machen läßt, wenn man es recht versteht. Und ist durchaus überzeugt, daß man es nicht versteht und verstehen kann, wenn man sich selbst nicht versteht, d. h. nicht den möglichst tiefen Einblick in die menschliche Natur und menschliches Wesen hat. Und daß wiederum dieser Einblick unmöglich ist ohne den weitesten Ueberblick, ohne die genaueste Kenntnis der Bedingungen, unter denen das Leben vor sich geht. Deshalb die ungeheure Aufgabe aller Berufenen unserer Tage 40 einmal: zu untersuchen, festzustellen und zu regeln die Beziehungen der Menschen untereinander: also die Rechtswissenschaft mit ihren Hilfswissenschaften, zu welchen auch die historischen Wissenschaften, als Darstellung der Entwickelung der Menschheit bis zu ihrem jetzigen Zustande, zu rechnen wären; zweitens die Untersuchung und wo es sein kann, Feststellung des Verhältnisses und der Lage des Menschen als tellurischen und kosmischen Wesens, d. h. die Naturwissenschaft; zusammen: die Betrachtung des Menschen in stetigem Bezug auf die socialen und natürlichen Bedingungen seiner Existenz.
Und wo bleibt die Kunst? welche Berechtigung hat sie noch, wenn die Arbeit der Menschheit von der Wissenschaft so gründlich gethan wird? Ach, sie, die sich der Kunst geweiht, sich ihr mit Leib und Seele zu eigen gegeben haben, werfen diese Frage oft genug auf, – nur zu oft für die Ruhe ihres Gemüts. Denn sie beantworten sie sich in trüben Stunden dahin, daß die Kunst, wenn nicht für immer, so doch für den Augenblick auf die große Rolle, die ihr wohl sonst zugeteilt war, verzichten muß; daß es dem feurigen Manne, der den Drang und auch wohl die Kraft in sich spürt, einzugreifen in die Speichen des rollenden Rades der Menschengeschicke, nicht wohl ansteht, wie der Goldschmied von Ephesus ohne Unterlaß in seiner Werkstatt zu sitzen und zu feilen.
Indessen, das sind nur eben trübe Stunden, die vorübergehen, und die gute Stunde findet die Zweifler wieder bei der Arbeit, von der sie nicht lassen können und nicht lassen wollen, weil Wert und Würde derselben noch groß genug sind, selbst wenn sie wirklich in der Erziehung der Menschheit für den Augenblick – der leider unser Leben einschließt – nur von sekundärer Bedeutung wäre. Vor allem aber sind vielleicht gerade die Romandichter unter allen Kunstgenossen in der günstigsten Lage, weil eben keine Kunst und kein anderer Zweig der Dichtkunst die 41 furchtbare Konkurrenz der Wissenschaften so gut aushalten kann, oder, wie wir es vorhin ausdrückten: ein so bequemes, ausgiebiges Mittel für die Zwecke der modernen Menschheit ist, als eben die epische Kunst.
Wie bedenklich diese nahe Verwandtschaft – das werden wir später des genauern zu erörtern haben; hier ist die Stelle, zu fragen, worauf die Verwandtschaft beruht, und die Antwort darauf ist: sie beruht auf der Eigentümlichkeit der epischen Phantasie, den Menschen immer auf dem Hintergrunde der Natur, immer im Zusammenhang mit – in der Abhängigkeit von den Bedingungen der Kultur, d. h. also so zu sehen, wie ihn die moderne Wissenschaft auch sieht.
Das thut keine andere Kunst, zum wenigsten nicht in derselben Ausdehnung und mit derselben Energie; ja es könnte – freilich nur auf den ersten Blick – zweifelhaft erscheinen, ob, was ich hier ohne weiteres als Vorwurf, Problem der epischen Kunst hingestellt habe: die Objektivierung, Darstellung des Menschen denn überhaupt die Aufgabe aller Künste ist. Allerdings muß dies nun behauptet werden, wenn auch von jeder Kunst in einem besonderen Sinne: von der Musik, die ja nur deshalb abseits von den anderen Künsten zu liegen scheint, weil sie, unmittelbar aus dem Ur- und Abgrund des menschlichen Gemütes heraufsteigend, kein dauerndes Verhältniß mit der Sinnenwelt eingehen mag und mit dem Tone, den sie geboren und gebildet hat, geisterhaft verklingt, wie sie gekommen; von der Baukunst, die den Menschen Häuser baut und in ihrer höchsten Entfaltung den Göttern, welche die Menschen nach ihrem Bilde schufen; von der Malerei, die ja selbst da, wo sie, wie manchmal in der Landschaftsmalerei, ihre Gebilde nicht durch Menschen belebt – der Ausdruck ist hier so recht am Platze – wo sie uns paradiesische oder grausige Einöden malt, dennoch in diesen stimmungsvollen Gleichnissen 42 der beglückten oder trostlosen Seele ihren intimen Bezug auf den Menschen nie verleugnet. –
Also der Mensch und immer wieder der Mensch: der Mensch, der sich objektiviren, sich genießen, verstehen, begreifen, hören, sehen will in jedweder Kunst, und in der epischen Kunst dies gleichsam alles zusammenfaßt, dies alles auf einmal zu thun und zu haben versucht.
Denn dies eben ist das eigenste Wesen der epischen Kunst – im Gegensatz nicht bloß zu den anderen, der Art nach verschiedenen Künsten, die wir jetzt füglich beiseite lassen können – sondern auch zu den redenden Schwesterkünsten: der Lyrik und Dramatik, von denen die erstere, ich möchte sagen, zeitlos und raumlos, der Musik gleich, in der reinen Empfindungssphäre schwebt; und nur da, wo sie epische Momente in sich aufnimmt, in der Ballade, allerdings gezwungen ist, die Situation ein wenig zu präcisieren, wie im König von Thule, der die Städte in seinem Reich zählt, und sie seinem Erben schenkt und auf seinem Schloß am Meer mit seinen Rittern im Königsaale bechert. Es ist hier, allerdings in verdämmernden Umrissen, aber doch deutlich genug erkennbar ein Kulturzustand gezeichnet; und so mehr oder weniger deutlich in jeder Ballade – oft in ganz positiver Weise, wie in der Braut von Korinth; manchmal mit fast historisch-pragmatischer Gewissenhaftigkeit, wie in der so hoch phantastischen Leonoren-Ballade, wo der spukhafte Held war
– »mit König Friedrich's Macht
Gezogen in die Prager Schlacht.« –
Aber, wie gesagt, die Lyrik, als solche, hat das Bedürfnis nach diesem pragmatischen Zusammenhang des Menschen mit der Natur und Kultur keineswegs; und wenn sie auch die Natur fortwährend anklingen läßt, ihre Bilder aus derselben holt, und auch gelegentlich den Kulturzustand, ohne es zu wollen, andeuten muß, so giebt es doch Produkte der Gattung, die, abgesehen von der 43 Sprache, heute so gut gedichtet werden können, wie vor ein paar Jahrtausenden.
Aehnlich verhält es sich mit dem Drama, zum wenigsten mit der Tragödie, deren Gestalten Wilhelm von Humboldt einmal nicht unschicklich mit Statuen vergleicht, die, von ihren Piedestalen herabgestiegen, das nun wirklich reden und thun, was sie vorher zu reden und zu thun schienen. Allerdings ist der Vergleich frappant nur in Hinblick auf die antike Tragödie; aber der Hauptpunkt des Vergleichs ist doch überall erkennbar. Ueberall handelt es sich in der Tragödie darum, in den innersten Kern des Seelenlebens einzudringen; die Motive, durch die der Mensch in Aktion versetzt wird, klar zu legen; die Aktion selbst vom ersten Keim durch alle Stadien ihres Wachsthums zu begleiten, bis sie auf jenem Gipfel ankommt, den wir in engerem Sinne als That bezeichnen. Und in die Lösung dieser Aufgabe – der schönsten, lohnendsten vielleicht, die Vater Apollo seinen Kindern stellen kann – ist der Künstler so versunken, daß er für sein Teil weder Zeit noch Lust hat, sich darum zu bekümmern, wie seine nackten Seelen nun zu Fleisch und Blut kommen, sich in Fleisch und Blut ausnehmen werden. Goethe vergleicht einmal die Shakespeare'schen Gestalten in ihrer wunderbaren Klarheit und Durchschaulichkeit mit Uhren, die in einem gläsernen Gehäuse liegen, so daß man die kleinsten Rädchen und Kurbeln in Bewegung, die feinsten Spiralen vibriren und schwingen sieht; und deutet eben durch den Vergleich selbst an, wie wenig der Dramatiker als solcher um das Gehäuse, um den Leib, zu sorgen hat. Für den kann und wird der Schauspieler sorgen; und kann und wird es um so besser, je gründlicher, exakter der dramatische Mechanikus seine Arbeit gethan hat. Ja, ich halte es kaum für ein Paradoxon, daß der dramatische Dichter von Gottes Gnaden selbst der Bühnenkunde, von der so viel Wesens gemacht wird, bis auf einen gewissen Grad entraten kann. Wenigstens ist es 44 doch frappant und bedeutsam, daß Schillers erste Stücke, unter ihnen wiederum vorzüglich Kabale und Liebe, bühnengerechter, theatralischer im guten und schlechten Sinne sind, als seine späteren; und so viel ist gewiß, daß der dramatische Dichter seine Personen allerhöchstens auf dem Bretterboden und zwischen den Pappen und Gazen des Kulissenwerkes sehen darf, und auch da vielleicht nicht allzudeutlich. Oder sollte ich allein die Beobachtung gemacht haben, daß es mit dem A und O der dramatischen Aufgabe: der Charakteristik und der straffen, festgegliederten Handlung bei den Dichtern am allerschlechtesten stand, welche zur Ausmalung der Scene halbe und ganze Seiten vollschreiben mußten und nicht müde wurden, dem Schauspieler zu diktieren, wie er gehen und stehen und sprechen und die Augen auf- und niederschlagen soll? Und ist es nicht bezeichnend, daß in den Blütetagen der dramatischen Kunst: bei den Griechen des Sophokles, bei den Engländern Shakespeares, die Frauenrollen von Männern gespielt wurden, wie um recht zu beweisen, daß es hier – um mit Wallenstein zu reden – der Geist ist, der sich den Körper bauet? und daß die Scene selbst, auf die heut so viel Gewicht gelegt wird, mit einem Palast ein für allemal bezeichnet, möglicherweise durch eine bloße Inschrift: dies ist ein Zimmer! dies ist ein Wald! angedeutet wurde; jedenfalls von einer Einfachheit war, die einen ehrgeizigen Kulissenmeister unsrer Tage zur Verzweiflung bringen würde?
Und dann: welches Kostüm ist wohl das ganz eigentliche für König Lear und seine Ritter? Darf Hamlet spanisch, oder wie muß er kommen? Ist Garrick sehr zu tadeln, wenn er den Dänenprinzen in der Hoftracht seiner Zeit gab? Hat Lessing selbst nicht geschwankt, ob er die Tragödie der Virginia sich auf dem Römischen Forum abspielen lassen sollte unter den Konsuln so und so, oder an dem Hofe von Guastalla zur Zeit der nicht genauer datierten Regierung des Prinzen Hettore Gonzaga? Ist 45 es nicht des Schauspiels Zweck sowohl anfangs als jetzt: »der Natur gleichsam den Spiegel vorzuhalten; der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, und dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen?« Und diese enge Zusammenstellung der Natur und des Jahrhunderts, die hier von Shakespeare beinahe oder ganz identifiziert werden, ist sicher nicht von ungefähr. Denn die »Natur«, auf die es dem Dramatiker allein ankommt und dem Wesen seiner Kunst nach ankommen kann: die Natur ist zu allen Zeiten dieselbe gewesen; und deshalb hat der dramatische Dichter, welcher wirklich seinem Jahrhundert den Abdruck seiner Gestalt gezeigt, auch der Natur den Spiegel vorgehalten, und umgekehrt.
Ich weiß sehr wohl, daß sich die Sache noch ganz anders, tiefer, wissenschaftlicher ausdrücken und begründen läßt. Aber wir müssen, wenn wir uns in dem engen Rahmen eines kleinen Essay über so gewichtige Dinge verständigen wollen, für alles dankbar sein, was uns nur dem Ziele näher, alles benutzen, was Licht in die Sache bringen kann – nicht zum mindesten unsere eigene Erfahrung. Und an diese – an die Erfahrung, die ein jeder von uns an sich selbst gemacht hat – will ich jetzt eben appellieren in dem Momente, wo wir zu dem Versuche übergehen, das epische Wesen nun – nicht mehr aus dem, was es nicht ist, und wie es nicht operiert – sondern aus dem, was es in Wirklichkeit ist, und wie es wirklich operiert, zu begreifen.
Man erinnere sich, welches die ersten Regeln sind, die wir einem Kinde geben, das uns eine selbsterlebte Geschichte erzählen will: nur ruhig! nur eines nach dem andern! nur alles im Zusammenhang! und wenn wir selbst eine Geschichte, ein Erlebniß zu erzählen haben, und selbstverständlich nicht schlecht erzählen wollen – wie wir uns da, um eben gut zu erzählen, zur Ruhe zwingen, zur Bedachtsamkeit; wie wir, ohne es uns vielleicht zum Bewußtsein zu bringen, von vornherein einen Standpunkt ein 46zunehmen oder im Verlaufe der Geschichte zu gewinnen suchen, von dem wir das Ganze übersehen können. Und was sehen wir, sobald wir auf diesen Standpunkt gelangt sind? Daß wir möglicherweise die Sache nicht beim rechten Ende angefangen haben; daß wir, um ganz verständlich zu sein, weiter ausholen, oder Lücken in der Geschichte, die wir zuvor nie beachteten, ausfüllen; dunkle Punkte, die wir vorher nie dunkel fanden, aufhellen; um die Geschichte gut zu Ende zu bringen, sie weiter führen müssen, als wir ursprünglich wollten.
Und wenn der Laie nun, in seiner Bescheidenheit, meint: das geht eben mir so, der ich doch im besten Falle nur ein Dilettant der Erzählungskunst bin; das kann doch nimmermehr den Männern von Fach, den Meistern passieren – so vernehme er, was ein Mann von Fach, ein Meister der Meister, was Walter Scott in einer jener entzückenden Vorreden, die wir als junge Leute selbstverständlich überschlagen und später zu unserm Schaden nicht immer nachholen, von seiner Kunst mit gutem Humor also bekennt Nigels Schicksale. Einleitung.:
» Hauptmann: Wenigstens sollen Sie sich Zeit nehmen, Ihre Geschichte zu ordnen.
Verfasser: Das ist ein harter Punkt für mich, mein Sohn. Glauben Sie mir, ich bin nicht so thöricht gewesen, die gewöhnliche Vorsicht zu vernachlässigen. Ich habe mein künftiges Werk zu wiederholten Malen abgewogen, es in Bände und Kapitel eingeteilt und mich bemüht, eine Geschichte zusammenzufügen, welche sich stufenweise und anregend entwickelte, in Spannung erhielte und die Neugier reizte und zuletzt in einer ergreifenden Katastrophe endigte. Aber ich glaube, ein böser Geist setzt sich auf die Feder, wenn ich anfange zu schreiben, und lenkt sie anders als ich will. Die Charaktere vergrößern sich unter der Hand; 47 die Vorfälle mehren sich, die Geschichte hat einen langsameren Verlauf, während der Stoff anschwillt; mein regelrechtes Haus wird zu einem gotischen Bau und das Werk ist geschlossen, ehe ich das Ziel erreiche, das ich mir vorgesteckt.« –
Ich glaube, daß unter den Leuten von Fach keiner ist, der sich bei diesem Worte des Meisters nicht mehr oder weniger lebhaft getroffen fühlte.
Und er braucht sich dessen nicht zu schämen; sowenig, wie jemand, der über einen Fluß schwimmt, sich zu schämen braucht, daß ihn die Strömung nicht im rechten Winkel hinüberschwimmen läßt. Er steht eben unter der Botmäßigkeit des epischen Gesetzes, das mit der Gewalt einer Naturkraft wirkt, und dessen Macht er sich um so weniger entziehen kann, je reiner, kraftvoller es überhaupt in ihm wirkt. Denn schon im gewöhnlichen Leben wird man bemerken, daß nicht die guten, sondern die schlechten Erzähler mit ihrer Geschichte zu Ende sind, wenn sie kaum angefangen haben. Und noch eine andere Bemerkung wird dem Beobachter ebensowenig entgangen sein; die nämlich, daß gerade der gute Erzähler es selten bei einer Geschichte bewenden läßt, sondern aufgefordert, und auch unaufgefordert, alsbald mit einer zweiten beginnt, an die ihn die erste allzu lebhaft erinnert hat, obgleich freilich beide nur zusammen mit einer dritten, die er ebenfalls, wenn man sie hören will, mitteilen wird, allenfalls noch in Verbindung mit einer vierten, ein gewisses Ganzes darstellen – das aber doch, genauer betrachtet, kein Ganzes ist! Denn siehe, der treffliche Erzähler A. hat kaum endlich geschwiegen, als der schalkhafte B., der schon längst auf diesen Moment geharrt, den flatternden Faden ergreift, um eine seiner Geschichten daran zu knüpfen – und so geht es fort in Scherz und Ernst bis – ja, bis die Gesellschaft, aber nicht der Stoff erschöpft ist. Es würde hier wohl der Ort sein, sich über die Novelle des weiteren auszulassen. Aber um mich nicht zu weit von meinem Thema zu entfernen, welches hier, wie durch das ganze Buch, der Roman, habe ich geglaubt, mich auf die obigen kurzen Andeutungen beschränken zu müssen; und will nur noch hinzufügen, daß die Novelle nach meiner Auffassung die Grundform aller epischen Poesie ist, auf welche dieselbe auch, sobald das große Epos ausgesungen, sofort zurückfällt.
48 Bei weitem nicht der Stoff, der sich vielmehr, je weiter man kommt, je mehr Fäden man berührt, je mehr Seiten man aufdeckt, als immer reicher, voller, ausgiebiger erweist, so daß es ganz und gar ist:
Wie in einem Webermeisterstück,
Wo ein Tritt tausend Fäden regt,
Die Schifflein herüber-hinüberschießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt;
bis es sich zuletzt, wenn man der Sache auf den Grund geht, herausstellt, daß es sich überall da, wo die epische Phantasie waltet, schließlich gar nicht um den Menschen handelt, wie er sich in seiner Vereinzelung, als Individuum, in dieser oder jener besonderen Situation, erfüllt von diesem oder jenem Gefühl, oder in Konflikt mit einem anderen Individuum als handelndes Wesen unter dem Druck und Sporn dieser oder jener Leidenschaft darstellt, sondern vielmehr um den Menschen in seiner Totalität, um die Menschheit, die eben nur in der Gesamtheit aller Individuen existiert. Deshalb beachte man wohl die Klimax, daß der lyrische Dichter im Grunde nur sich selbst als Stoff seiner Kunst braucht; daß der dramatische Dichter eine furchtbare Tragödie zwischen wenigen Personen, im Schoße einer Familie, wenn er es anders will, abspielen lassen kann; der epische Dichter aber – ich spreche von der höchsten Leistung auf dem epischen Gebiete – mindestens ein Volk, und meistens mehrere Völker brauchen wird, wenn er seiner Aufgabe genügen will.
49 Summieren wir die Eigenschaften, die wir bis jetzt an der epischen Phantasie wahrgenommen haben, im Gegensatz zu der Phantasie, wie wir sie in den generell verschiedenen Künsten und auch in den verwandten Künsten der Lyrik und Dramatik thätig gesehen, so kommen wir mit Wilhelm v. Humboldt zu dem Schluß, daß die epische Phantasie den Menschen – welcher das Problem jeder Kunst und Kunstdisciplin ist – durch das Medium der ruhigen, klaren, objektiven Betrachtung sieht und sehen muß.
Denn ohne diese Ruhe, ohne diese Klarheit und Objektivität wäre sie eben nicht imstande, ihrer Aufgabe zu genügen; nicht imstande, ihr Objekt, die Menschheit, zu erfassen und darzustellen als ganzes, im Zusammenhang mit, in der Abhängigkeit von der Natur, in der Bedingtheit von den Kultur- und sonstigen Verhältnissen, die in dem betreffenden Volke in der bestimmten Epoche die herrschenden waren.
Also doch nicht die Menschheit? also doch nur ein Volk? und vielleicht nicht einmal ein Volk? vielleicht nur einen aliquoten Teil desselben? am Ende gar nur einzelne Individuen?
Gewiß nur das letztere, wenn man die epische Kunst bei dem nimmt und festhält, was sie ursprünglich will und als ihre Absicht verkündet. Wo, wann und von wem sie ausgeübt ist, nirgends und niemals hat sie etwas anderes gewollt, als:
melden den Mann, der vielfach
Umgeirrt, als Troja, die heilige Stadt, er zerstöret;
oder:
singen den Zorn … des Peleiden Achilleus,
Ihn, der, entbrannt, den Achäern unnennbaren Jammer erregte.
Aber eben so gewiß ist, daß sie, indem sie diese Aufgabe zu lösen strebte, getrieben von der ihr innewohnenden, oder, mit den frommen Alten zu sprechen: von der Muse eingehauchten Kraft, weit, weit über dies Ziel hinaus gestrebt und gerungen hat, bis sie nicht nur den umirrenden Mann, sondern die ganze Erde, 50 soweit sie der Blick der zur Zeit lebenden Menschen umspannte; ja, und nicht die Erde bloß, auch den Himmel und die Unterwelt selbst in den Kreis ihrer Betrachtung gezogen; bis sie nicht bloß den Zorn des Thetissohnes besungen, sondern die ganze Skala menschlicher Gefühle und Leidenschaften hinauf und hinunter und wieder hinauf gemessen und abermals gemessen; und so den nicht vom Dichter gewollten, aber durch die Natur der epischen Phantasie geforderten Endzweck der Darstellung der Menschheit in ihrer Totalität wahr und wahrhaftig – bis auf einen Rest etwa, der hier nicht weiter in Betracht kommen kann – erreicht hat.
So wird man mir vielleicht darin beipflichten, daß die bekannte Humboldtsche, aus der Analyse der epischen Phantasie und der Betrachtung der homerischen Gedichte geschöpfte Definition des Epos Aesthetische Versuche. Kap. LXII.: »Hiernach könnte man das epische Gedicht als eine solche dichterische Darstellung einer Handlung durch Erzählung definiren, welche – nicht bestimmt, einseitig eine gewisse Empfindung zu erregen – unser Gemüt in den Zustand der lebendigsten und allgemeinsten Betrachtung versetzt«; zwar den ästhetischen Eindruck vortrefflich schildert, aber doch eine zu subjektive Wendung nimmt und vielleicht durch folgende Fassung verbessert werden könnte: das epische Gedicht in seiner höchsten Vollendung ist die durch Erzählung vermittelte dichterische Darstellung der Menschheit, soweit sich dieselbe innerhalb eines Volkes in einer gegebenen Epoche manifestiert.
Unzweifelhaft hat auch Schiller die dem Epiker ein für allemal gestellte Aufgabe so angesehen, wenn er an seinen Freund Körner hinsichtlich der von diesem angeregten »Fridericiade« im Oktober 1778 und März 1779 (ich erlaube mir, die Hauptstellen der beiden Briefe zusammenzuziehen) also schreibt Schillers Briefwechsel mit Körner. 2. Aufl. I. 227 u. 290. 91.:)
»Deine Idee (ein episches Gedicht aus einer Aktion Fried 51richs II. zu machen) ist gar nicht zu verwerfen; nur kommt sie sechs bis acht Jahre für mich zu früh … Alle Schwierigkeiten, die von der so nahen Modernität des Sujets entstehen, und die anscheinende Unverträglichkeit des epischen Tons mit einem gleichzeitigen Gegenstande würden mich so sehr nicht schrecken … Ein episches Gedicht im 18. Jahrhundert muß ein ganz anderes Ding sein als eines in der Kindheit der Welt. Und eben das ist's, was mich an dieser Idee so anzieht. Unsre Sitten, der feinste Duft unserer Verfassungen, Häuslichkeit, Künste, kurz alles muß auf eine ungezwungene Art darin niedergelegt werden und in einer schönen harmonischen Freiheit leben, so wie in der Iliade alle Zweige der griechischen Kultur anschaulich leben … Auch über die Epoche aus Friedrichs Leben, die ich wählen würde, habe ich nachgedacht. Ich hätte gern eine unglückliche Situation, welche seinen Geist unendlich poetischer entwickeln läßt … Die Haupthandlung müßte womöglich sehr einfach und wenig entwickelt sein, daß das Ganze immer leicht zu übersehen bliebe, wenn auch die Episoden noch so reichhaltig wären. Ich würde darum immer sein ganzes Leben und sein Jahrhundert darin anschauen lassen.«
In der That, schlagender kann man die epische Aufgabe nicht charakterisieren, als es hier von Schiller in den wenigen Zeilen geschieht.
Und nun neben dieser tiefen Einsicht der lehrreiche Irrtum, den selbst schon hier Schiller – wäre er sonst Schiller gewesen? – ahnt, wenn er ihn sich auch noch unter dem verzeihlichen Vorwand, als käme »die Sache für ihn sechs bis acht Jahre zu früh«, zu verstecken sucht Zwölf Jahre später (Nov. 1791) glaubte er herausgefunden zu haben, daß es der Stoff sei, der ihm die Sache verleidet. »Friedrich II. ist kein Stoff für mich, und zwar aus einem Grunde, den Du vielleicht nicht für wichtig hältst. Ich kann diesen Charakter nicht liebgewinnen; er begeistert mich nicht genug, die Riesenarbeit der Idealisierung an ihm vorzunehmen.« (Briefwechsel II. S. 432.), der Irrtum: daß die 52 Schwierigkeiten, die von der so nahen Modernität des Sujets entstehen, und die anscheinenden Unverträglichkeiten des epischen Tons mit einem gleichzeitigen Gegenstande ihn nicht zu schrecken brauchten. Da aber gerade liegts, diese Unverträglichkeit ist eben nicht scheinbar, sie ist faktisch, reell, so reell, daß ihre Ueberwindung nicht eine Schwierigkeit, sondern ganz einfach eine Unmöglichkeit ist. Denn: »ein episches Gedicht im 18. Jahrhundert muß ein ganz anderes Ding sein, als eines in der Kindheit der Welt!« Ist es aber, wie wir gleich sehen werden, unzweifelhaft ein anderes, so kann auch der alte »epische Ton« nicht mehr dafür passen; nicht passen, weil die Kunstgebilde gleich denen der Natur weder Kern noch Schale haben, sondern alles was sie sind, mit einem Male sind. Und deshalb, weil der Inhalt, der neue, nicht mehr in die Form, die alte, zu gießen ist, die er ohne weiteres zersprengen würde, deshalb ist, was Schiller hier plant, dem modernen Epiker genau so unausführbar, als der Natur eine Eiche wäre, die ganz Eiche ist, bis auf die Rinde, die von einer Palme sein soll. Daß Schiller unter dem »epischen Ton« hinsichtlich der Form, die metrisch-rhythmische, den Vers Wie weit der Vers von dem modernen epischen Dichter noch mit Vorteil verwendet werden kann, das nachzuweisen, müßte der Gegenstand einer besonderen Abhandlung sein. Ich möchte – außer selbstverständlich für die Ballade, die ja aber noch halb lyrischer Natur ist, den Vers nur gelten lassen für die poetische Erzählung (versifizierte Novelle im älteren Sinn); sodann für das Genre, in welchem »Hermann und Dorothea« als bisher unerreichtes Muster dasteht, und das mit der Prosa-Novelle in neuerem Sinne korrespondieren möchte, schließlich für das sogenannte humoristische Epos. – Der Verf. verstand, würde man annehmen müssen, auch wenn er nicht in dem zweiten Briefe ausdrücklich bezeugte, daß er sich bereits für die ottave rime in diesem Falle entschieden habe. »Wie sehr«, meint er, »müßte der epische Gehalt durch die weiche sanfte Form schö 53ner Reime gewinnen! Singen muß man es können, wie die griechischen Bauern die Iliade.«
Nun war für den Inhalt des antiken Epos freilich der Vers nicht etwa eine mögliche oder bequeme, sondern die absolut notwendige Form. Nur im Vers konnte das alte »Epos«: das alte »Wort«: das Dichterwort, das gesprochene, von Mund zu Mund weiter und weiter getragen werden und sich erhalten; es war der kostbare Einband, so zu sagen, ohne den sich die unschätzbaren Blätter auf ihrer Reise hinüber und herüber über das griechische Meer verzettelt hätten; ohne den sie verweht wären wie nutzlose Spreu. Und der Vers war auch der Ariadnefaden für den Sänger, an dem er sicher seine vielverschlungenen Pfade wandeln durfte, um sich immer wieder zum Licht zu finden. Ja, der Vers war noch viel mehr: er war der Züchtiger der Phantasie, die durch ihn gezwungen wurde, die Dinge und die Menschen nur im Lichte der Idee zu sehen, idealisch zu gestalten. Denn der Vers scheidet alles prosaisch Harte und Gemeine unerbittlich aus, wie das keusche Gletschereis keinen Stein, keinen Schutt und kein Gerölle in seiner reinen Masse duldet, sondern vornehm auf die Seite schiebt. Man kann in Hexameter nicht einmal von einem Thersites sagen, daß er an dem oder jenem Tage verschnupft gewesen sei.
Wir Moderne aber müssen dergleichen sagen können, und nicht bloß von einem Thersites; wir müssen sogar unsere Helden im Schlafrock und Pantoffeln sehen dürfen, nicht weil wir unheilbare Philister und geborene Kammerdiener wären, sondern weil wir eben – Moderne sind. Das heißt, weil unsere modernen Augen faktisch anders sehen, als die der Alten; weiter, unendlich weiter, und wieder auch das Nahe und Nächste, das jene mit ihrem makroskopischen Blick nicht einmal gesehen haben würden, wäre es vorhanden gewesen, das aber in unzähligen Fällen wirklich für sie nicht vorhanden war.
Denn die Welt ist nicht nur weiter geworden, so weit, daß 54 keiner mehr weiß, wo die Säulen des Herkules ragen, oder auch weiß, daß sie nirgends ragen; sie ist auch in jedem Punkte reicher geworden, so reich, daß was früher ein Punkt schien, in Wirklichkeit eine Welt ist. Und nicht bloß in der physischen Natur. In uns selbst, in unserm Hirn und Herzen webt und schafft eine neue Welt der Gedanken und Empfindungen, von denen die Griechen Homers keine Ahnung hatten. Und diese so weite, reiche, unerschöpflich mannigfaltige äußere und innere Welt sollte der moderne Epiker in einem »Gedichte«, in einem Gesange zur Darstellung bringen? gestalten können?
Nimmermehr! Das läßt sich in Verse nicht mehr fassen; das läßt sich nicht mehr singen, das läßt sich nur noch sagen. ?pïò! das Wort! wir heißen noch heute darnach! Es ist unser Zauberstab, wie es der der homerischen Dichter war; unsre Macht, unser alles – unter einer Bedingung. Unter der Bedingung, daß wir aus diesem unserm Alles alles machen, was sich daraus machen läßt; es frei geben, ganz frei; es lösen aus den Banden, die einst Blumen waren und jetzt drückende, in das Fleisch unsers Lebens schneidende Ketten sind; es vom Verse lösen und erlösen, damit es, so erlöst, auch uns erlöst; wir machtvoll, wie der Erdgeist im Faust, die weite Welt durchstreifen können, und trotzdem, oder gerade deshalb auch ein Auge für den Wurm haben, »der den Staub durchwühlt«, und nicht bloß ein Auge, auch eine Empfindung des Mitleids – und für diese Empfindung ein ?pïò – ein Wort!
Ja, wahrlich! »ein episches Gedicht im 18. Jahrhundert muß ein ganz anderes Ding sein, als eines in der Kindheit der Welt!«
Aber was denn endlich muß es sein? Ein Roman.
Wenn wir so jetzt erst zu unserm Thema zu kommen scheinen, so ist es glücklicherweise nur ein Schein; in Wirklichkeit stehen wir längst, ich möchte sagen, im Mittelpunkt der Frage, von dem 55 aus wir leicht die Radien nach jedem Punkte der Peripherie ziehen und überall die Grenzen des Gebietes, welches der Roman beherrscht, genau bestimmen können.
Denn erst jetzt – jetzt, wo für den Epiker jede Schranke gefallen, sein Gebiet grenzenlos scheint – können und müssen wir von den Grenzen sprechen, weil wir sie uns selbst ziehen müssen, wollen wir nicht, daß jene Aehnlichkeit, die wir im Anfang zwischen dem Mann der Wissenschaft und dem Epiker konstatierten, für uns verhängnisvoll werde.
Haben wir doch jetzt mit ihm ein und dasselbe Organon, das prosaische Wort, wie wir mit ihm von Anfang an denselben Vorwurf hatten: den Menschen in der vollen Breite und Tiefe seiner Beziehungen zu seinesgleichen und zur Natur. Wie nah' liegt hier die Verführung – und wie viele unterliegen ihr! – das gleiche Ziel auch mit dem gleichen Mittel, auf dem gleichen Wege erreichen zu wollen!
Und doch sind diese Wege himmelweit verschieden; so weit, wie es der einzelne konkrete Fall von der Regel ist, die aus der Fülle sämtlicher konkreter Fälle abstrahiert wurde; so verschieden, wie die Thätigkeit der Phantasie vor der der reinen Vernunft und Urteilskraft; so verschieden, wie die künstlerische Darstellung von der wissenschaftlichen Analyse und Synthese.
Aber diese durch die Verschiedenheit der geistigen Funktionen und der obligaten Methoden der Darstellung ein für allemal gesetzte, unübersteigliche Grenze zwischen Wissenschaft und Poesie muß ich hier in ihrer ganzen Bedeutung als erkannt und anerkannt voraussehen.
Um so straffer müssen wir jetzt die Konsequenzen ziehen, die aus der gewonnenen Einsicht, daß die in dem antiken Epos gebundenen Elemente sich in Folge der veränderten Quantität des epischen Stoffes voneinander getrennt haben, für den modernen 56 Dichter hinsichtlich der Wahl seines Stoffes und der Behandlung desselben resultieren.
Erstens wissen wir jetzt, daß der epische Stoff unendlich ist; und davon ist die ganz einfache Folge, daß der moderne epische Dichter sich als einen »Teil des Teils, der früher alles war«, fühlt und weiß, d. h. daß er sich ein Stück von dem unendlichen Gebiet absondert und sich mit weiser Mäßigung innerhalb dieser Grenze hält, die er schon deshalb nicht zu weit ziehen wird, weil er auf sich allein angewiesen ist, kein Sangesbruder ihm zu Hülfe kommt, der ihm ein vergessenes Kapitel nachschriebe, ein falsches Motiv verbesserte, eine Episode einflöchte, das Werk unterhaltender und anmutiger zu machen. Hier können wir nur ganz im allgemeinen sagen, daß die Grenze seines Gebietes nach dieser Seite durch zweierlei Momente bestimmt wird: einmal durch die epische Kraft, die in ihm waltet, und ihn mit Leichtigkeit eine Last bewältigen läßt, unter der ein anderer auf dem halben Wege zusammenbricht; und zweitens durch das Maß der Empfänglichkeit seiner Leser, an welchem er wiederum, da es ziemlich richtig ist, seine Leistungsfähigkeit messen kann und seine etwaige neunbändige Ueberkraft zügeln muß. Uebrigens gilt dieser Maßstab auch bereits für den homerischen Dichter. »Die Fassungskraft der Zuhörer allein ist es, nach dem Aristoteles, welche den sonst unbegrenzten Umfang des epischen Gedichtes nicht genau, aber doch ungefähr bestimmt.« Fr. v. Schlegels sämtl. Werke. III. S. 84.
Aber der moderne Dichter muß seinen Stoff nicht nur quantitativ sorgsam abwägen – wir erinnern uns an Walter Scotts humoristisches Wort! – er muß denselben auch – und das ist von der entscheidendsten Wichtigkeit – aus der idealen Zeitlosigkeit des antiken Epos von vornherein in eine ganz bestimmte Zeit verlegen. Wir erinnern uns, wie wenig es mit dem Homerischen: »Wie jetzt die Menschen sind!« auf sich hatte; wie im Gegenteil gerade diese schalkisch-naive Mahnung bewies, daß der einzige 57 Unterschied zwischen den Menschen von einst und den Menschen von jetzt in der Wunderkraft bestand, mit der der Dichter jene ausstatten mußte, um sie überhaupt von diesen abheben zu können; und wie gerade das unendliche Behagen der Zuhörer durch die Klarheit hervorgebracht wurde, mit welchem der epische Spiegel ihr eigenes, allerdings idealisiertes Selbst wiedergab.
Von dieser epischen Unschuld kann jetzt, nachdem wir vom Baum der Erkenntnis gegessen, nicht mehr die Rede sein. Wir alle sind, wenn nicht Historiker von Fach, doch durch die Schule und die Museen gelaufen, haben vielleicht die Denkmäler, die Spuren der Vergangenheit an Ort und Stelle aufgesucht, bewundert und halten uns überzeugt, daß allerdings die Menschen von jetzt sehr viel anders als die von ehemals sind. Ja, dies »ehemals« ist uns bei weitem kein allgemeiner Begriff, keine undeutliche Gesamtvorstellung mehr, wie den Alten ihr »ehemals« und den Kindern das: »Es war einmal« ihrer Märchen – im Gegenteil: wir wissen die Ringe der Jahrhunderte am Baum der Zeit zu zählen und zu sondern, und nicht bloß der Jahrhunderte, der einzelnen Jahre selbst; und so kann es dem Romandichter gar nicht mehr einfallen einen Roman zu schreiben, der irgend wann spielt: er muß sich von vornherein entscheiden: ob er sich zu der einen oder andern der zwei Kategorieen bekennen: ob er einen historischen oder einen modernen Roman schreiben will.
Der historische und der moderne Roman sind die beiden Erben des alten Epos. Ob gleichberechtigte? – das zu entscheiden, bedarf einer längeren Untersuchung, als ich sie hier anstellen kann, wo ich mich vielmehr mit einigen Andeutungen nach dieser Seite begnügen muß, für deren Ausführung sich wohl einmal eine schickliche Gelegenheit findet.
Und da möchte es sich bei diesem Erbstreit wohl zuerst um die Grenze handeln, welche das Gebiet der einen Gattung von der der andern scheidet. Ich meine, es ließe sich dieselbe hin 58reichend genau ziehen, wenn man nicht kurzsichtig ist und nicht eigensinnig sein will. Ich für mein Teil würde jeden Roman einen modernen nennen, der eben in der Gegenwart, wenn wir diesen Begriff nicht zu eng fassen, oder, soll ich denselben dennoch genauer definieren: in einer Zeit spielt, welche noch in dem vollen Licht der Erinnerung der jetzigen Generation liegt. Im Gegensatze dazu muß ich einen Roman als einen historischen bezeichnen, welcher in einer Zeit vor sich geht, auf welche dieses Licht nicht mehr oder nicht mehr vollkräftig fällt, und so würde ich einen Roman wie Fritz Reuters »Ut de Franzosentied« allerdings schon für einen historischen halten.
Und ich halte ihn sogar für einen sehr guten historischen Roman und glaube, daß, um von dem übrigen abzusehen, gerade die Situation desselben, so nahe an der Grenze, die den historischen vom modernen Roman trennt, ein wesentlicher Grund seiner Vorzüglichkeit ist. Denn, sollte auch desselben Dichters derbes Wort: »Wenn Einer 'ne Geschichte ordentlich wedder vertellen will, dann möt Einer dor sülwst mit mang west sin, oder taum wenigsten möt hei s'ut de Mund von de Lüd heww'n, de't wat angeiht« – ich sage, sollte auch dies derbe Wort, wie wohl zweifellos, nur auf den modernen Roman ursprünglich gemünzt sein, es deutet doch auch sehr scharf nach der Richtung wo für den historischen Dichter die Grenze liegt und die vielleicht so zu bezeichnen wäre: er muß für die Geschichte, die er erzählen will, wenn nicht die frischeste Quelle der mündlichen Tradition, so doch Quellen haben, die noch frisch fließen und vor allen Dingen reichlich fließen. Sonst gerät er allerdings in die Gefahr, im Sande dürrer Gelehrsamkeit, die er uns für Poesie ausgiebt, stecken zu bleiben; oder sich, um ein anderes Bild zu gebrauchen, das eine andere Seite der Gefahr andeutet: wie das Tier des Dichters, im Nebel seinen Weg suchen zu müssen, auf dem ihm niemand mit gesunden Sinnen folgen mag und kann.
59 Denn phantasieren heißt noch lange nicht künstlerische, respektive dichterische Phantasie haben, am allerwenigsten epische, die, wie wir wissen, die des betrachtenden Dichters ist, der seine Menschen also immer sehen muß; und sie notwendig, weil er sie eben sieht, immer auf dem Hintergrunde der Natur und im Zusammenhang mit dem jedesmaligen Kulturstande sieht. Wie kann er aber sehen, wo nichts oder nichts mehr zu sehen ist? Wo die Woge der Zeit das Menschentreiben bis auf kaum erkennbare Spuren, und vielleicht spurlos verwischt hat? Des epischen Dichters Menschen sind nicht, wie die des Dramatikers, Uhren unter einem Zifferblatt von Glas; seine Uhren müssen Gehäuse haben, von Gold, Silber oder Tombak – gleichviel; aber ohne Gehäuse nehmen wir sie nicht.
Deshalb mein Rat an die historischen Brüder, wenn sie mir einen Rat verstatten wollen: es so einzurichten, daß jene fürchterlichste aller Fragen: was geht denn uns die Geschichte an? gar nicht aufgeworfen werden kann, wobei sie dann freilich Gefahr laufen, sich des schönen Vorteils der ruhig klaren Objektivität zu entschlagen, die ein ferner liegender Stoff ihnen möglich zu machen scheint. Denn indem sie einen Stoff wählen, der näher liegt, mit dem wir uns noch durch einen ununterbrochenen Zusammenhang geistig und gemütlich verbunden wissen, der uns also ganz entschieden angeht, vielleicht sehr viel angeht – laufen sie wieder jene grausame Gefahr, welcher ihr moderner Bruder fortwährend ausgesetzt ist – die Gefahr: tendenziös zu werden, oder, um den klassischen Ausdruck für die Sache zu gebrauchen: nicht mehr den Geist der Zeiten, sondern nur noch ihren eigenen Geist zu geben.
Ueberlassen wir dem historischen Dichter sich gegen diesen eventuellen Vorwurf seiner Gegner (unter denen die Historiker von Fach die unerbittlichsten zu sein pflegen) zu verteidigen, wie er kann; und sehen wir, was es mit der Anklage der Tendenz, die 60 dem modernen Romandichter, sobald er seine Aufgabe ernst und groß nimmt, fast ausnahmslos gemacht wird, für eine Bewandtnis hat.
Es scheint sich aber damit so zu verhalten.
Der moderne Dichter hat – im Gegensatz zu seinem glücklicher situierten antiken Kollegen – nicht nur keine Arbeitsgefährten und Mitgenossen im engeren Sinne; er hat auch – selbst wenn er sonst nicht unbeliebt ist – kein Publikum, wie jener, dessen Publikum mindestens so groß war wie sein Volk, und dessen er unbedingt gewiß sein konnte, weil er weniger der liederreiche Mund dieses Volkes, als vielmehr der Mund dieses liederreichen Volkes war.
Von dieser entente cordiale zwischen dem Dichter und seinem Publikum ist in unsern Tagen nicht mehr die Rede. Im besten Falle ist sein Publikum doch nur ein Fragment seines Volkes, und er ist gar nicht sicher, daß er die Gunst dieses Fragments, welche er sich mühsam genug errungen, nicht bei nächster Gelegenheit, ich meine mit seinem nächsten Werk, grausam verscherzt.
Und deshalb braucht dies Werk nicht unbedingt schlechter zu sein als seine früheren. Es ist nicht wahrscheinlich, aber auch unmöglich ist es nicht, daß der Dichter weiter sieht, als seine Zeitgenossen; daß er im Rechte ist, und jene im Unrecht; und daß sein ganzes Unrecht darin besteht, seinen Standpunkt in einer Zeit behauptet zu haben, in welcher seine Zeitgenossen, von ich weiß nicht welchem Wirbelwind der Leidenschaft ergriffen, Hosiannah! schrieen, wo sie morgen Kreuziget ihn! rufen werden.
Die Frage ist endgültig selbstverständlich nur von der Zukunft zu entscheiden; aber nicht minder selbstverständlich ist, daß sie vorläufig gegen den Dichter entschieden wird von dem Publikum, das in so unzweifelhafter Majorität und also, wenn nicht im Recht ist, doch die Macht hat und von derselben in Verurteilung des anmaßlichen Dichters – zumal in Deutschland – 61 meistens recht ausgiebigen Gebrauch macht. Das ist denn freilich sehr empfindlich für den Dichter, der sich plötzlich von seinem Gefolge verlassen, von den bisher Wohlwollenden selbst mit Kälte behandelt, von den Uebelwollenden mit Hohn und Spott überschüttet sieht, und nun seinerseits von dem Wankelmut, der Einsichtslosigkeit und Undankbarkeit des leve vulgus sprechen zu dürfen glaubt. Aber ich möchte meinem modernen Bruder, wenn ihm dergleichen begegnet, freundlich raten, in ernsteste Erwägung zu ziehen, ob er nicht doch vielleicht über seine Grenze hinausgegangen ist. Wenn der historische Dichter nämlich nicht so weit von seinem Gegenstande entfernt stehen durfte, daß er denselben überhaupt nicht mehr oder zu undeutlich sah, so verfällt der moderne in den entgegengesetzten Fehler, sobald er seinem Objekte so nahe tritt, daß er dasselbe gar nicht von allen Seiten ruhig betrachten kann und, getrieben von dem mehr oder weniger klaren Gefühl der eignen Unklarheit, sich mit sich selbst und mit seinen Lesern in doktrinären Parabasen zu verständigen sucht; vielleicht auch, den Widerspruch, auf den er stoßen wird, voraus empfindend, in leidenschaftlicher Erregtheit seine Ansicht nun gerade erst recht schroff accentuiert und so im schlimmen Sinne tendenziös wird.
Im guten Sinne muß er es nach meiner Meinung nämlich immer sein, d. h. er muß immer, weil er gar nicht anders kann, auf einem bestimmten Standpunkte stehen. Und wohl ihm, und wohl seinen Lesern, je fester er auf diesem Standpunkte steht, und freilich auch, je höher dieser Standpunkt ist. Aber das letztere – die Höhe des Standpunktes – sollte ihn immer erst in zweiter Linie kümmern, deshalb, weil die Fundamentalbedingung im Leben und in der Kunst die Kraft ist, überhaupt einen Standpunkt einnehmen, sich auf einem Standpunkt festhalten zu können. Wer die Welt kennt, weiß, wie selten diese Kraft gefunden wird, die man von jedem fordern zu dürfen 62 glaubt. Wo aber immer sie gefunden wird, da darf man sicher sein, daß der betreffende kraftvolle Mensch, der kraftvolle Künstler vom Leben selbst, von seiner Kunst selbst getragen und höher gehoben wird. Denn wie wir im handelnden Leben von einer Logik der Thatsachen und Verhältnisse reden, welche den geborenen Politiker, den echten Staatsmann oft in eine Position und Rolle drängen und zwingen, von deren Höhe und Bedeutung sich seine Bescheidenheit in früheren Jahren nichts träumen ließ, so dürfen und müssen wir etwas ähnliches von der Kunst behaupten. Auch in ihr ist eine wunderbare Konsequenz, eine Nötigung zum immer umfassenderen, sichereren Gebrauch ihrer Mittel, welchem sich der Mann, der den Stoff zum rechten Künstler in sich trägt, gar nicht verschließen kann. Von ihm gilt im höchsten Sinne das schöne Wort, daß der Mensch mit seinen größeren Zwecken wächst. Und wie der Mensch nicht, um selig zu werden, das Gute thut, sondern das Gute thut, weil es ihn beseligt, so strebt der Künstler nach immer größerer Klarheit, Vertiefung, breiterer Uebersicht, um das Schöne immer reiner, immer voller und herrlicher schaffen zu können.
Er kann aber das Schöne nicht schaffen und am wenigsten kann es der epische Künstler ohne die strikteste Observanz des Gesetzes der Objektivität. Sie ist für ihn das oberste Gesetz, sein Leitstern,den er nun und nimmer aus dem Auge verlieren,nach dem er sich immer wieder orientieren, und auf jedem Punkte feststellen kann, ob er noch innerhalb der seinem Gebiete gesteckten Grenzen sich bewegt, mag er nun das Bild der Menschheit im Spiegel längst vergangener Zeiten aufzufangen suchen, mag er sich bemühen »dem Jahrhundert und Körper seiner Zeit« den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen. Immer wird er sich bemühen, volle, runde Menschen zu schaffen, die sich kräftig herausheben aus dem Hintergrunde ihrer Natur, ihres Landes, ihrer Zeit; sich bemühen, diese Menschen in Aktion zu versetzen, in Atem zu erhalten; nichts 63 zu wollen, was er nicht durch diese Menschen kann. Auch nicht ein Titelchen mehr und nicht ein Jota mehr! Hic Rhodus, hic salta! Und Rhodus ist groß genug, wird dadurch jedenfalls nicht größer, daß er historische Abhandlungen oder archäologische Vademekums für epische Poesie erklärt; oder seinen representative men modernsten Schlages Tendenzzettel aus dem Munde hangen läßt; oder in verschwommener Idealisierungssucht Schemen statt Menschen und Symbole statt der Sache giebt; oder die Welt, die er zu schildern und darzustellen verzweifelt, in einen romantischen Nebel hüllt, der nicht Tag und nicht Nacht ist; oder uns einen künstlerisch nicht durchgegohrenen und geläuterten humoristischen oder satirischen Mischmasch für gesunde epische Speise und Trank verkaufen möchte.
Er aber – der epischen Muse echter Jünger – thue seine ehrliche Arbeit, und feile wie der Goldschmied von Ephesus, unbekümmert um des Gassenvolkes Windesbraut, immer fort »an den Hirschen und Tieren, die seiner Gottheit Kniee zieren« und denke und spreche mit dem alten Meister:
Wills aber einer anders halten,
So mag er nach Belieben schalten;
Nur soll er nicht das Handwerk schänden,
Sonst wird er schlecht und schmählich enden.
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