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Gleich einer Seebucht öffnet sich das breite Tal der Mohra nordwärts gegen das Troppauer Land, und gleich einer Zunge schiebt sich herein ins Tal der Hügel, auf dem seit grauen Zeiten Burg Grätz thront. –
Der Abend eines Maientages dämmerte heran, auf den Mauern und Türmen der Burg lag noch der Abglanz der untergehenden Sonne. Aus weiter Ferne sahen die Türme von Troppau herüber, durch die saftigen Wiesen strömte leise murmelnd die Mohra, auf den Höhen stand da und dort eine Windmühle und drehte langsam ihre Flügel in der lauen Abendluft. – Trotzig aber war sie anzuschauen, die Burg Grätz, das festeste Schloß im ganzen Lande.
* * *
Dort, wo die Felsen des Burghügels schroff abfallen und tief unten zwischen Erlen und Buchen und Birken die Mohra hervorbricht aus den Bergen und sich rauschend über das Wehr einer Waldmühle stürzt, da war zwischen der Mauer des Bergfrieds und dem Rande des Abgrundes auf schmalem Raume ein mächtiger Apfelbaum gewachsen und griff mit seinen Armen hinaus über die Felsen.
Heute stand der Baum im Schmucke seiner Blüten, und unaufhörlich rieselten die weißen Blättlein hernieder auf den runden Steintisch und die Holzbank am dunkeln Stamme und auf die hohe Gestalt der Königin von Böhmen, die an der Brüstung lehnte und in das tiefe Tal hinunterschaute.
Traumhaft schön war die Königin, und im tiefen Tale rauschten die Mohrawasser, und durch die Kronen der Bäume ging ein Flüstern, und aus der Waldwildnis kam ein Lied empor:
Tandaradei!
Die frostige Zeit
Und das beißende Leid,
Die sind nun vorbei,
Tandaradei!
Und mit Macht über Nacht
Ist in fürstlicher Pracht –
Tandaradei-daradei! –
Gekommen der Mai.
Tandaradei!
Durch die schimmernde Luft
Der Kuikuk ruft:
Kommt alle herbei,
Tandaradei!
Denn mit Blüten zumal
Über Berg, über Tal
Zieht fröhlich der Mai –
Tandaradei-daradei!
Tandaradei!
Mildfreundlich fürwahr
Einem jeden ins Haar
Streut Blüten der Mai –
Tandaradei! –
Was zögerst du noch?
So spute dich doch!
Glaubst wohl, es sei
Immerdar Mai? – daradei!
Tandaradei!
Und mir dehnt sich die Brust,
Und mich packet die Lust,
Gleich bin ich dabei –
Tandaradei!
Und spring jubelnd hervor
Aus dem dumpfigen Tor –
Tandaradei-daradei! –
In den sonnigen, wonnigen Mai.
Das Lied war längst verklungen, und unablässig spähte die Königin vom Felsen in die Tiefe; aber die Bäume verbargen den Mann, der das Lied gesungen hatte auf dem schmalen Pfade an der rauschenden Mohra.
Langsam wandte sich die Königin, schritt wie im Traume an den runden Tisch, ließ sich nieder auf die Bank, lehnte sich an den Stamm des Baumes, legte die Hände in den Schoß und schloß die Augen. In der Tiefe rauschte die Mohra, und im blauschwarzen Haare der Königin zitterten schneeweiße Blütenblättlein – ja, in allen Melodien rauschte und sang die Mohra, der Bergfluß, im tiefen Tale.
* * *
Die Türe knarrte ein wenig. Die Königin schlug die Augen auf. Herr Zawisch stand im Pirschgewande vor ihr.
»Vergebet, Frau Königin,« sagte er und verneigte sich, »vergebet, daß ich in diesem Kleide vor Euch trete; ich habe soeben wichtige Botschaft empfangen.«
»Ihr wißt, Herr Zawisch, Ihr seid mir zu jeder Stunde willkommen,« antwortete die Königin und reichte dem Witigonen die Hand. Dieser neigte sich tief herab und küßte die schmale, weiße Hand.
»Wohl keine schlimme Botschaft, Herr Zawisch? Euer Lied klang nicht danach.«
Der Witigone lächelte. »Ihr habt's gehört, hohe Frau?«
»Hätte ich's nicht hören sollen? Ich habe mich gelabt an diesem Liede!«
»Dann hat es seinem höchsten Zwecke gedient und mag mit den Mohrawassern verrauschen, Frau Königin.«
»Nicht – nicht verrauschen, mein Freund!« sagte Frau Kunigunde, erhob sich, trat an die Brüstung und schaute hinunter ins Tal.
»Eure Botschaft, Herr Zawisch?«
Das Antlitz des Witigonen verfinsterte sich. »Der Kampf geht los, Frau Königin!« sagte er.
»Wann hatte er aufgehört?« sprach die Königin und wandte sich nicht. »Ich bin ans Kämpfen wahrlich gewöhnt, Herr Zawisch. Kämpfen! Was sage ich? Was kann ein schwaches Weib reden von Kämpfen? Ans Leiden bin ich gewöhnt!«
»Diese Schwermut ist mir neu an Euch, hohe Frau,« sagte Zawisch und trat neben die Königin.
»O, das glaube ich, Herr Zawisch,« antwortete die Königin und atmete tief auf. »Ihr seht in mir eben auch nur das, was die andern sehen.«
»Eine heldenmütige Fürstin,« sagte der Witigone mit starkem Nachdrucke, und seine großen Augen ruhten mit seltsamem Glanze auf der majestätischen Gestalt.
»Fürstin!« rief Frau Kunigunde mit verhaltener Leidenschaft. »Da hör' ich's wieder – Fürstin! Um der Fürstin willen habt ihr euch zusammengeschart, ihr Herren, die Fürstin habt Ihr, Herr Zawisch, mit Lebensgefahr vom Bösigberge und aus der Gewalt des Markgrafen befreit. Der Fürstin zuliebe stürzt ihr euch in den Kampf, heute freudiger als morgen – immer ist's nur die Fürstin, die den Getreuen allen und auch Euch, Herr Zawisch, vor Augen steht!«
»Was könnte ich Höheres in Euch schauen und ehren, erhabene Frau,« sagte Herr Zawisch, »als meine Fürstin?«
»Das Weib, Zawisch!« antwortete die Königin und sah dem Helden einen Augenblick voll ins Angesicht. Dann starrte sie wieder hinaus über die flüsternden Baumkronen.
Wortlos stand der Witigone.
»Das Weib, das nicht genug hat an scharfen Schwertern und glänzenden Schilden, das Weib, das nach Trost lechzt und vergehen möchte vor Herzeleid in der ungeheuern Öde,« fuhr die Königin fort, und ihre Stimme klang gepreßt. – Unablässig aber streute der blühende Baum seine weißen Blättlein auf die beiden, und in allen Melodien rauschte die Mohra im dunkeln Tale.
»Es war ein Fürstenkind,« begann die Königin aufs neue, »das wuchs im fernen Osten auf. Golden war seine Wiege, von Golde strotzten die Wände des Palastes, in dem diese Wiege stand. Es war ein armes Fürstenkind trotz aller Pracht, von der es umgeben war, so weit es zurückzudenken vermochte. Seine Mutter hatte dieses Kind nie gekannt, sein hochgebietender Vater blieb ihm fremd. Es war ein armes Fürstenkind, das dort unter einem Heere von Sklaven heranwuchs und befehlen konnte, ehe es sprechen lernte; denn wer fragte nach seinem Herzen – wer fragt überhaupt nach dem Herzen eines Fürstenkindes? Hoch über allem, was da klagt und jubelt, ward es zur Jungfrau – die Menschen galten ihm so viel wie Rosse auf der Steppe, dem armen Fürstenkinde. – Als die Zeit gekommen war, begehrte ein mächtiger König die Hand des Weibes, und man verkaufte diese Hand. Das Herz des Weibes hatte der fremde König nicht begehrt – wer wollte fragen nach dem Herzen eines Fürstenkindes? Fürstenkinder sind Waren im Tauschhandel der Mächte dieser Erde. – Das Fürstenkind wurde weithin nach Abend verpflanzt – aus einem Lande in ein anderes, aus einem goldstrahlenden Palaste in einen andern – und wurde die Gemahlin des fremden Königs. Es war aus der Heimat geschieden und hatte keine Träne vergossen – kannte es ja doch das Weinen kaum; es war in die neue Heimat gekommen, sorglos und leichtsinnig, und hatte gedacht, in der neuen Heimat zu leben wie in der alten. Daß es auch ein Herz trage in der Brust, das wußte jenes Weib selbst nicht. – – – Als das Weib aber endlich inneward, daß es außer Gold und edeln Gesteinen, Dienern und Rossen und köstlichen Gewändern auch noch andere Güter gäbe auf dieser Erde, als da und dort aus einem tiefen Tale ein Lied von Sehnsucht und Liebe und Liebesglut an seine Ohren schlug – da war's zu spät – Herr Zawisch – ? viel, viel zu spät.«
Der Witigone hatte die Arme über der Brust gekreuzt nach seiner Art und lauschte auf die seltsamen Worte. Als die Königin schwieg, sagte er leise: »Konnte das Fürstenkind keine Ruhe finden am Herzen des großen Königs?«
Die Königin machte eine heftige Bewegung. »Der König konnte des Kindes Vater sein,« kam's grollend von ihren köstlichen Lippen.
»Und segnete Gott die Ehe nicht mit einem lieblichen Mägdlein?«
»Ein armseliges Fürstenkind gleich seiner Mutter,« antwortete Frau Kunigunde, »eine Ware, jetzt längst verkauft. – Welches Recht habe ich noch auf dieses Kind, das am Hofe des römischen Königs erzogen wird?«
»Und segnete Gott nicht die Ehe mit einem Knaben?«
Frau Kunigunde schwieg.
* * *
Die Mohra sang ihre rauschenden Weisen im Tale, und über die Zinnen der Burg hob sich der goldene Mond.
»Eure Botschaft, Herr Zawisch?« fragte die Königin leise.
»Herzog Niklas hat sich aus der Gewalt der Kumanen gelöst und zieht in Olmütz ein Heer zusammen,« antwortete der Witigone.
Die Königin schlug die Hände vor die Augen und stand in rührender Hilflosigkeit da.
»Der furchtbare Mensch! – Gegen uns, gegen mich!« sagte sie. »Was ist ein Weib in seiner Verlassenheit? Eine Rebe ohne Stütze – sie schwankt hin und her, und jeder glaubt, sie mit Füßen treten zu dürfen.«
Da war's, als ob ein Schauer über die Gestalt des Helden liefe, und mit bebender Stimme sagte er: »Bei Gott, Frau Königin, es soll Euch keiner zu nahe kommen!«
Die Königin ließ die Hände sinken, warf das Haupt in den Nacken, richtete sich hoch auf und schaute dem Helden in die leuchtenden Augen. Ein glückseliges Lächeln vergoldete ihre wunderbaren Züge, ein Strahl des Mondes zitterte aus ihrem blauschwarzen Haare, und leidenschaftlich rief sie: »Die ganze Welt soll jetzt gegen mich heranziehen, ich verachte sie; denn so habt Ihr noch niemals gesprochen! – Wen wollt Ihr schirmen, Herr Zawisch, die Fürstin oder das Weib?«
»Das Weib!« rang es sich von den Lippen des Witigonen, und langsam ließ er sich auf das Knie nieder.
Frau Kunigunde reichte ihm die zitternde Hand und wandte sich verwirrt ab. Zawisch ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen.
Ein Lufthauch ging durch den Blütenbaum, und wie Schnee fielen die silberglänzenden Blättlein auf die beiden – im tiefen, tiefen Tale aber rauschte die Mohra seltsame, wundersame Melodien. –
Frau Kunigunde entzog dem Witigonen ihre Hand und ging wortlos zum Pförtlein. Dort zauderte sie ein wenig, wandte plötzlich das Haupt und sah zurück.
Mit gekreuzten Armen stand Herr Zawisch im hellen Mondlichte und schien sich verloren zu haben in seinen Gedanken.
»Auf Wiedersehen!« sagte die Königin. »Ich erwarte Herrn Zawisch und Herrn Witigo nach Euerm Mahle – – und vergeßt Eure Laute nicht, mein Freund!«
Die Königin legte die Linke auf den Riegel und winkte mit der Rechten einen stolzen Gruß zurück. Da fiel jählings ein Schatten auf ihre Gestalt, ein dunkler, dunkler Schatten, und in tiefer Dämmerung schien das Land zu versinken.
Herr Zawisch hob das Haupt und schaute zum Monde empor.
»Es war nur ein Wölklein,« murmelte er und strich mit der Hand über seine glühende Stirne.
Leise knarrte die Türe – Herr Zawisch stand allein, und wieder vergoldete der Mond die Burg und das Tal und die Pracht des blühenden Baumes.