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Am blauen Himmel zogen weiße Wölklein, und im Sonnenscheine lag die Krummenau.
Hoch über Palas und Ringmauern der massigen Burg ragte der schlanke Bergfried empor in die heiße Luft, und der vergoldete Knauf seines Wächterhäusleins funkelte in den Strahlen der Sonne.
Gleich einem mächtigen Walle standen in der Runde hochgetürmt die böhmischen Hügel und Berge und waren bedeckt mit dunkeln Tannenforsten und mit lichten Laubwäldern und waren besäumt mit gelben Kornfeldern; tief unten im Tale aber glitzerte die braune, vielgekrümmte Moldau, von den mittägigen Hügeln herab zog sich das helle Band des uralten Saumpfades hinein zwischen die Hütten der Krummenau, heran unter die schroffen Felsen – und von den schroffen, grauen Felsen schaute die Herrenburg frank und frei hinaus über Hütten und Strom, über Saumpfad und Steige hinauf und hinüber zu den gelben Kornfeldern, zu den strohgedeckten Meierhöfen, zu den dunkeln und lichten Wäldern ringsumher. –
Aus der niederen Türe des Wächterhäusleins, das wie ein Bienenkorb auf der Plattform des Bergfrieds stand, kam gebückt ein alter Mann. Langsam ging er auf dem schmalen Wege zwischen Steinbrüstung und Holzwand, hielt seine faltige Hand über die Augen und spähte nach allen vier Enden des Himmels. Die Stille des heißen Nachmittags lastete auf der Landschaft, verschlafen zwitscherten die Vögel unter den Dächern, leise nur drang das Rauschen der Moldau herauf, leise nur knarrten die Bretter unter den Tritten des Greises.
Er war auf seinem Gange wieder an die Türe des Häusleins gekommen, blieb nun stehen und lauschte. Dann stemmte er die Arme auf die niedere Brüstung und sah hinunter in die gähnende Tiefe. Menschenleer dehnte sich der weite Hof der Vorburg, und weißblendend leuchtete der Sandboden rings um die junge Linde, deren Düfte die Luft erfüllten bis hinauf zur Plattform des Bergfrieds.
Der alte Mann tat einen starken Atemzug, wandte das Haupt und rief durch die offene Türe: »Alle Wetter, Turmwartl, hängt die Axt an der Wand?« – »Weg ist sie, Herr Marschalk; war aber noch heut' mittag vorhanden,« kam die Antwort zurück.
Da brummte der Alte unverständliches Zeug in seinen weißen Bart, trat an die Falltüre, hob ihre schweren Bohlen und stieg langsam und bedächtig in den schwarzen Schlund hinab.
Fernher aus dem Tale klang jetzt vielstimmiges Jauchzen und Schreien.
Nach einer Weile tauchte der Alte aus der Türe hervor, die in der halben Höhe des Turmes hinaus auf die Freistiege führte, und bedächtig klomm er Schritt um Schritt rückwärts die Stufen hinunter, ging schräg über den Hof, spähte in das tiefe, finstere Tor, wandte sich und ging zur Steinbank unter die Linde.
Eiliges Trappeln kam näher und näher, kurze, gebieterische Rufe erschollen aus der Tiefe.
In sich zusammengesunken saß der Greis unter der Linde, die Hände hatte er auf die Kniee gestemmt, das Haupt gesenkt, und unablässig beobachteten seine Augen den Torweg.
Aus dem Dunkel sprangen Knaben in das Licht, erst einzelne, dann eine dichtgedrängte Schar. Ihre Gesichter glühten, Holzschilde trugen sie über dem Rücken, Holzschwerter in der Hand. Aufmerksam sah der Mann von der Steinbank herüber. In einem Haufen standen die Knaben und spähten zurück in das Tor.
»Wo ist Ulrich?« rief eine befehlende Stimme, und ein schlankgewachsener Knabe trat in die Helle hervor.
Eine Bewegung ging durch die Rotte.
»Wo ist Ulrich?« rief der Knabe zum zweitenmal, nahm die Lederkappe vom Haupte und fuhr hastig durch seine goldblonden Locken.
»Hab' ich mir's doch gedacht,« murmelte der Alte, »da hält der Racker die Axt! Das Donnerwetter ...«
»Er ist nicht bei uns,« antwortete einer aus dem Haufen.
»Wo steckt der Feigling?«
»Da bin ich ja schon,« kam eine Stimme aus der Tiefe, und langsam schob sich ein dicker Knabe heran und warf einen schiefen Blick auf den andern, den Schlanken.
»Stelle dich ein!« herrschte ihn der Führer an. »Sie kommen!« fügte er rasch hinzu und befahl mit Würde: »Du, Witigo nimmst zwanzig und besetzest die Zugbrücke oben. Ich halte mit den zehn andern den Torweg da. Wer will bei mir bleiben?«
»Ich! Ich! Ich!«
»Nur zehn kann ich brauchen,« sagte der Knabe, griff in den drängenden Haufen und stellte seine Schar zusammen.
»Jetzt kehret euch!« rief er.
»Und was soll ich sonst noch tun, Zawisch?« fragte Witigo.
»Nur an der Brücke halten, während ich hier kämpfe!«
»Und wenn sie dich bezwingen?«
»Dann sieh auf mich: wart', ich gebe dir ein Zeichen« – »ich kniee nieder, wenn du weiter kämpfen sollst,« setzte er nach kurzem Besinnen hinzu. »Eile aber, sie kommen!«
Der Alte unter der Linde stand auf: »Zawisch, die Axt!« rief er über den Hof. Ein vergnügtes Lächeln flog über das blühende Antlitz des Knaben, sorgfältig lehnte er die Art an die Mauer und zog sein Holzschwert aus dem Gürtel. ›Der Racker!‹ murmelte der Alte, setzte sich wieder und schaute gespannt auf das Kampfspiel.
»Was tust du bei mir?« rief Zawisch und trat vor den Knaben, der zuletzt gekommen war. »Du sollst mit Witigo gehen!«
»Eia, ich möchte bei dir kämpfen,« antwortete der Dicke.
Wieder tönten viele Stimmen aus dem Tore. Rasch stellten sich die Zwölfe quer über den Weg, hart aneinander, spreizten die Beine, hielten die Schilde vor, zückten die hölzernen Schwerter, und Zawisch in ihrer Mitte rief: »Hera, her! Hera her!«
Jauchzend brach der feindliche Haufen aus der Tiefe, von hüben und drüben prasselten die Schläge auf die Schilde und Helme und Kappen. Übermächtig drückten die Feinde hervor, immer wilder fielen die Hiebe, immer weiter schwankten die Zwölfe zurück.
»Hera her! Hera her!« rief Zawisch wutbebend und stürmte vor. Da strauchelte er und schlug zu Boden. Schreiend stürzten sich die Feinde über ihn. Aus dem Tore drang eine neue Schar, und die Elfe zerstoben.
* * *
Barhäuptig, mit wirren Haaren, totenbleich stand Zawisch. Seine Hände waren verstrickt, und starke Knaben hielten seine Arme.
»Ich fliehe nicht,« sagte Zawisch, »laßt mich los!«
Die Knaben sahen einander an.
»Mein Wort!« sagte Zawisch und stampfte.
»Laßt ihn!« gebot einer. »Er hat sein Wort gegeben, das hält er immer.«
»Ich dächt' es auch!« sagte Zawisch verächtlich und reckte grimmig die gefesselten Hände geradeaus.
»Hera her! Hera her!« rief der Führer der Feinde und schwang sein Holzschwert gegen die Zugbrücke hin.
Aufmerksam ließ der Knabe Zawisch den Blick umherschweifen; dann warf er sich mit einmal auf die Kniee und hob bittend die Hände empor.
Ein Lachen ging durch den Haufen.
»Was gibt's?« fragte der Führer und wandte sich um.
»Er kniet und bettelt!« rief einer aus der Schar.
»Er kniet, er kniet!« rief der Führer und tanzte auf einem Beine.
»Hütet euch, das heißt etwas!« sagte Ulrich und kam eilig hinter dem Torflügel hervor. »Es heißt, daß euch die da droben standhalten sollen«, vollendete er und schielte auf Zawisch.
Der wurde dunkelrot im Antlitze, erhob sich langsam, zerrte krampfhaft an den Stricken, streifte sie im Augenblicke von den Gelenken, stürzte sich mit einem wilden Schrei auf den großen, starken Knaben, warf ihn zu Boden, kniete aus seine Brust und würgte ihn.
Lautlos standen die Knaben ringsumher und getrauten sich nicht heran.
»Hund! Verräter! Jetzt weiß ich's, du hast mir das Bein gestellt!« knirschte Zawisch, und die Augen des andern traten aus den Höhlen hervor.
Da beugte sich von rückwärts über den Knieenden eine hohe Gestalt, mit unwiderstehlichem Griffe wurden die zuckenden Hände von der Kehle des andern gerissen, und zwei Arme schlangen sich fest um Zawisch.
Schnaubend rang sich Zawisch empor und schaute in das Antlitz des Alten. Der trat zurück und ließ ihn frei.
»Wie könnt Ihr – Ihr,« keuchte Zawisch und ballte die Faust, »– den Sohn des Budiwoj – ?«
»Reiten und Fechten, Stechen und Ringen habe ich dir gelehrt, Knabe,« zürnte der Greis und sah dem Herrensohne fest in die Augen, »aber sage niemand, ich hätte dir auch das Würgen gelehrt – – oder –,« vollendete er finster, »gelehrt, wie man unehrfürchtig redet mit Greisen!«
Zawisch hatte die Faust geöffnet und schaute zu Boden. Altmarschalk Pilgram aber kehrte sich ab, trat zur Mauer und nahm die Streitaxt. –
»Zawisch, hieher!« rief eine helle Frauenstimme über den Hof. Die Knaben und Knechte und Mägde, die sich um den Greis und den Herrensohn angesammelt hatten, gingen auseinander.
»Hieher, Zawisch, hieher zu deiner Mutter!«
Langsam wandte sich Zawisch und schritt mit gesenktem Haupte auf die gebietende Frau zu, die von der Linde herankam.
* * *
»Was gibt's?« sagte sie scharf und stellte sich fest vor Zawisch hin.
»Ich habe den Ulrich gewürgt,« stieß dieser hervor.
»Warum?«
Zawisch schwieg und schaute geradeaus, an der Mutter vorüber in die Luft.
»Weil er ihn verraten hat,« sagte Witigo und trat neben den Bruder.
»Weil er mich die andern nicht hat anführen lassen,« sagte jetzt Ulrich mit weinerlicher Stimme und wischte den Staub von den Kleidern, »deshalb habe ich denen da seine List gesagt.«
Zawisch streifte ihn mit einem Blicke und schaute wieder geradeaus.
»Komm!« sagte die Mutter und nahm den großen Knaben an der Hand. »Komm!« sagte sie dringend, als er trotzig stehen blieb.
»Mutter,« flüsterte Zawisch, »laßt meine Hand los, die Knechte sehen's, ich komme!«
»Die Knechte haben alles gesehen,« sprach die Mutter. »So komm!« setzte sie hinzu und ließ die Hand frei.
Mutter und Sohn gingen quer über den Hof, der Zugbrücke zu; die Knaben und Knechte und Mägde zerstreuten sich langsam hierhin und dorthin. –
Da trat aus dem dunkeln Tore ein hochgewachsener Mann. Unter der Last eines Tragkorbes kam er mit gesenktem Haupte, wie einer, der sinnt, mit weiten Schritten herein in das blendende Licht; der Sand knirschte unter seinen Schuhen, der Stachel seines wuchtigen Stabes klang auf den Steinen.
Frau Berchta ging langsamer, blieb stehen und rief: »Was willst du, Mann?« Der Alte sah auf, zog den Hut und antwortete: »Habe Kramsachen, Herrin, Gewandstoffe und Bänder, Messer, Scheeren und vieles andere.«
»Wir brauchen nichts,« sagte Frau Berchta kurz.
»Hört mich dennoch an!« bat der Krämer und kam näher. »Ich habe lange nichts verkauft, bin weiten Weg gegangen. Seid nicht hart, Herrin! Ich habe viel Nutzen in meinem Korbe, für Männer, Weiber und Kinder. Und es wird euch nicht gereuen, wenn Ihr erst hineingesehen habt.« Dabei fuhr er mit dem Rücken der braunen Hand über die glühende Stirne und sah aus tiefliegenden, schwarzen Augen auf die Herrin.
Frau Berchta besann sich; dann sagte sie: »Nun, so komm! – Du aber, Zawisch, setzest dich auf die Bank unter der Linde, bis ich dich rufe, und sprichst mit niemand, nicht mit Knecht, nicht mit Reiter, nicht mit den Knaben! Hörst du's? Versprichst du's?«
»Ja, ich verspreche es,« sagte der Knabe düster und schritt zur Steinbank.
»Wird er's wohl halten?« fragte der Krämer, der unverwandt auf den Knaben gesehen hatte.
Da maß ihn Frau Berchta: »Höre, du verwunderst mich, Landfahrer!«
»Verzeiht,« sagte der Mann, »ich wollte Euch nicht erzürnen. Der Knabe gefällt mir.«
Noch einmal sah Frau Berchta auf den Fremden, und ein flüchtiges Lächeln erhellte ihr ernstes Antlitz. »Mir gerade jetzt ganz und gar nicht,« sagte sie. »Aber komm,« fuhr sie freundlicher fort, sah noch einmal, beinahe verstohlen, in die dunkeln Augen, die so bezwingend auf sie herabblickten, und setzte zögernd hinzu: »Was wäre wohl ein Knabe wert, der nur unter meinen Augen Gehorsam hielte? Mein Sohn wird mit keinem sprechen; denn was er zusagt, das hält er« – »wenn du's gerade wissen mußt,« vollendete sie fast zornig, wandte sich und sagte kurz: »Jetzt aber komm!« – ?
Auf der Bank sah der Knabe und kaute an einem Lindenblatte. Er hatte sich weit zurückgelehnt an den Stamm des Baumes, seine Arme stemmte er auf den Steinsitz, trotzig schaute er an seinen Beinen hinunter, sein Kinn hatte sich in das Wams gebohrt.
Hinter der Herrin ging mit schweren Schritten der Fremdling, und sein Stachelstock erklang.
* * *
Auf dem großen Eichentische in der Gesindestube hatte der Fahrende seinen Kram ausgebreitet, und rings um ihn standen gedrängt die Mägde und Gürtelmägde der Burg. Neben den Alten hatte sich Frau Berchta gesetzt.
»Oh, oh, schaut, Leut', Leut', die War', die War'!« sagte eine rotbackige Stallmagd und klappte eine blitzende Scheere auf und zu.
»So tragen sie's also jetzt in Passau?« fragte eine zierliche Gürtelmagd und hielt prüfend einen bunten Stoff in der Hand. »Was kostet das Tüchlein?«
»Eia, du hoffärtige Dirn!« sagte Frau Berchta. »Was brauchst du schon wieder ein Tüchlein?« – »Ist noch dazu leichtes Zeug,« setzte sie hinzu und rieb den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger.
Das Mädchen wurde rot und sagte leise: »Blau wollt's halt der Rudilo, wenn die Herrin nichts dagegen hätt', und hat mir auch zwölf Pfennige gegeben.«
»Zwölf Pfennige? O du meine Güte!« rief Frau Berchta.
»Ist's haltbar?« sagte sie nach einer Weile zum Krämer.
»Es ist gut, Herrin; acht Pfennige kostet's.«
»Zu teuer!«
»Nicht zu teuer; ich habe noch nie jemand übervorteilt,« erwiderte der Händler. »Ich nehme nur so viel, als ich zum Leben brauche, von der Ware.«
»Das sagen sie alle,« meinte schnaufend und keuchend eine andere, die nebenan mit hochrotem Gesichte auf einem Schemel saß und neue Riemlein in ihre Schuhe zog.
»Mag sein,« antwortete der Krämer ruhig, »ich aber sag' es und tue es auch. Oder weißt du anderes von mir?«
»Schweige du, Gudrun, mit deiner spitzigen Zunge!« fuhr Frau Berchta dazwischen. »So gib ihr das Tüchlein!« sagte sie zum Krämer.
»Zeige uns doch auch deine Ringlein und Kettlein!« bat eine andere.
»Hab' ich nicht; kein Ringlein und kein Kettlein im ganzen Korbe,« erwiderte der Krämer kurz.
»Eia, die hat doch jeder Krämer?« fragte das blonde Mägdlein verwundert.
Aufmerksam sah Frau Berchta auf den Mann.
Der legte bedächtig den blauen Stoff zusammen und band eine gelbe Borte darum, zählte prüfend die Heller, die aus dem Beutelein der Zofe in seine Hand gewandert waren, und sagte dann langsam: »Kettlein und Ringlein hab' ich noch niemals verkauft, Kettlein und Ringlein nimmt der Teufel, so oft er ein eitles Weib betören will – warum sollte ich dazu helfen und Kettlein und Ringlein tragen ihm zuliebe über Berg und Tal? – Und Ihr, Herrin, Ihr habt mir noch nichts abgekauft,« wandte er sich zu Frau Berchta, die ihn nachdenklich betrachtete. »Ich glaube, auch für Euch hätte ich Nutzen in meinem Korbe.«
»Ist mir nicht zumute zum Kaufen, Mann,« sagte Frau Berchta.
Der Alte bückte sich, nahm aus dem Korbe ein Holzkästchen und sah prüfend über die Schar der Mägde. »Herrin, laßt Euch noch einmal bitten, ich habe großen Nutzen für Euch.«
»So weise mir's!«
»Ich wollt's Euch gerne weisen, aber nur Euch allein.«
»So komm mit mir!« sagte sie und stand auf.
Noch einmal warf der Mann seinen Blick über die schwatzende, prüfende, lachende Schar der Mägde, trat einen Schritt vor und berührte den Scheitel einer kleinen, blonden Dirne, sah sie an und sagte: »Du wirst achthaben auf den Kram eines armen Mannes!« wandte sich und ging mit seinem Kästlein Frau Berchta nach.
»Sie sind alle ehrlich,« sagte diese draußen, »aber die kleine Hilda ist die festeste. Wie hast du das gewußt?«
»Das kenne ich, Herrin,« sagte er. »Das muß ich kennen,« setzte er kurz hinzu.
»Bist du ein Krämer?« fragte Frau Berchta plötzlich, als sie mitten auf der Stiege waren, und hielt inne.
»Freilich, Herrin,« versetzte der Fremdling und lächelte.
»So?« sagte Frau Berchta, schritt weiter, öffnete eine Türe, trat in ein dunkles Gemach, ging rasch hindurch, öffnete einen Holzladen, daß das Licht hereinflutete, winkte den Mann von der Schwelle heran und setzte sich in die Nische des Fensters.
»Was ich sonst noch bin, Herrin, laßt beiseite!« fuhr er fort. »Ich bin ein Krämer – aber was ich Euch geben will, das prüfet!«
»Und was willst du mir geben?«
»Ich habe einen köstlichen Edelstein, den sollt Ihr kaufen.«
»Wie, Krämer, so trägst du also doch Schmucksachen in deinem Korbe?«
»Den höchsten Ehrenschmuck, Herrin. Einen Edelstein, der nicht aus der Erde gegraben ist, einen Edelstein, durch den man Gott schauen kann. Hier, sehet selber zu!«
Wieder betrachtete die Herrin sinnend das Antlitz des Fahrenden; diesmal fast scheu, so wie man in die Helligkeit schaut aus dem Dunkeln. Und willig schlug sie das Büchlein auf, das er ihr dargereicht hatte.
»Evangelium, das heißt gute Kundschaft.« – »Evangelium, das kenne ich – aber daß es gute Kundschaft heißt, habe ich nicht gewußt,« setzte sie nachdenklich bei.
»Der da ist und der da war und der da sein wird, segne Euch!« sagte der Fremdling feierlich.
»Ich weiß nicht, ob ich das lesen darf,« meinte Frau Berchta.
Da nahm er ihr das Buch aus der Hand, griff rasch in die Blätter und hielt ihr's wieder hin. Frau Berchta las die Stelle, auf der sein Finger ruhte: »Forschet im heiligen Buche: ihr glaubt, daß Seligkeit darin steht, und wahrlich, es ist das Zeugnis von mir.«
»Leset!« sagte der Krämer. »Ihr habt einen wilden Knaben zu einem verlässigen Menschen erzogen; Ihr werdet auch zu erkennen vermögen, ob hier Wahrheit geschrieben ist oder Lüge.«
»Ich bin ein armes, einsames Weib,« sagte Frau Berchta; »mein Herr ist im Kriege, Vater und Mutter muß ich den Knaben sein, und die Burg ist groß; vor den Leuten muß ich als die Herrin dastehen – – und ich möchte oft vergehen in einsamer Angst. – – Doch warum sage ich dir das alles? Es will mich dünken, als brauchtest du und keiner zu wissen, was mich bedrückt.«
Sie stand auf und blickte scheu zu dem Krämer hinunter. Mit gekreuzten Armen stand der wundersame Mensch vor ihr und sagte kurz: »Wenn der Bauer säen will, so reißt er den Acker auf, und wenn uns Gott sein Himmelreich zu schenken vorhat, so ängstigt er zuvor unser Herz. Stehet fest und übet Gewalt mit Liebe; denn wisset, Herrin, um den Knaben mit den mächtiggroßen Augen, der da drunten auf der Steinbank Euer harrt, wird einst der Teufel kämpfen mit Gott. Ihr aber seid seine Mutter und vermöget nichts mit der Härte, nie und nimmermehr, aber vieles durch Liebe. Stehet fest und übet durch die Liebe die größte Gewalt, und dies heilige Buch helfe Euch. Forschet, und Ihr werdet Gott sehen und werdet ihn sprechen hören!«
Damit hob er segnend die Hand und ging aus der Kemenate und ging hinunter in die Gesindestube, strich die Heller ein für die Bänder und Schuhe und Scheeren, packte seinen Korb, ging mit langen Schritten über den sonnigen Hof, vorüber an der Linde und an dem trotzigen Knaben, und verschwand im dunkeln Tore. –
In der Fensternische saß Frau Berchta; sie hatte das Haupt in die eine Hand gestützt, während der Zeigefinger der andern langsam von Wort zu Wort, von einer zierlich geschriebenen Zeile zur andern wanderte und ihre Lippen sich leise bewegten.
Da klang der Stock des Fahrenden auf dem Hofe unter ihrem Fenster. Sie schrak empor, barg das Buch in einer Truhe und ging eilig die Treppe hinunter. Eine Magd sprang hinter dem Fahrenden her und rief in die Torhalle hinein: »Krämer, du hast dein Geld vergessen! Kehr um, die Herrin will dir's zahlen!«
»Grüße deine Frau!« sprach dieser und hob den Fuß zum Gehen. »Wenn ich wiederum des Weges komme, so will ich abrechnen.«
* * *
Dämmerig war es in Frau Berchtas Kemenate. Wieder saß sie in der Fensternische, und auf dem Bärenfelle vor ihren Füßen spielte ein Knäblein. Zum offenen Laden herein strömte der Lindenduft, aus dem Hofe tönte Murmeln und Lachen. An der Türe des Gemaches stand Zawisch mit gesenktem Haupte.
»Tritt näher, Kind!« sagte Frau Berchta und legte das Büchlein auf das Gesimse. »So, nimm den Schemel und setze dich zu mir!«
Zawisch saß und schaute vor sich hin.
»Zawisch!«
Der Knabe hob den Kopf, sah fest auf die Mutter, und kein Zug bewegte sich in seinem Antlitze.
»Zawisch, höre mich! Du hast Böses getan. Bist du dir dessen bewußt?«
Der Knabe schwieg und schlug die Augen nieder.
»So sprich doch!« brauste Frau Berchta auf, daß das Knäblein zu ihren Füßen erschreckt emporsah und mit offenem Mündlein bald auf die Mutter bald auf den Bruder blickte.
Der Knabe saß mit geballten Fäusten auf dem Schemel. Erregt und forschend sah Frau Berchta zu ihm nieder. Ungeduldig wandte sie das Haupt und sah hinauf zum abendlichen Himmel. Achtlos spielte ihre Linke mit dem Buche.
»Wird's bald?« fuhr sie heftig herum, und das Buch fiel zu Boden. Der Knabe bückte sich über das Brüderlein, legte der Mutter das Buch in den Schoß und schlug dabei die Augen auf.
Frau Berchta erhob sich, trat vorsichtig neben dem Knäblein herab von der Fensterbühne, preßte das Buch mit beiden Händen an die Brust und schritt schwer atmend durch den Raum.
»Zawisch!« sie legte plötzlich dem Knaben die weiche Hand aufs Haupt. »Zawisch,« sagte sie fast bittend, »willst du mich so sehr betrüben? Willst du nicht antworten?«
»Ja, Mutter!« rang es sich zwischen den schmalen Lippen heraus.
»Du hast knechtisch gehandelt! Bist du dir dessen bewußt?«
Das Haupt des Knaben fuhr in den Nacken zurück. »Weil ich den Verräter geworfen habe?«
»Nein, weil du den Geworfenen gewürgt hast,« sagte Frau Berchta.
Zawisch erwiderte kein Wort.
»Warum hast du das getan?« fragte Frau Berchta.
»Weil ich ihn hasse,« kam es langsam von den Lippen des Knaben.
»Wir dürfen keinen Menschen hassen,« sagte die Mutter.
»Die Feinde!« entgegnete Zawisch.
»Nein, auch diese nicht.«
»Warum ist denn der Vater ins Feld gezogen und warum hat er zwanzig mit eigener Hand niedergehauen an der March?« fragte Zawisch langsam.
Frau Berchta schwieg. Dann sagte sie kurz: »Das sind andere Feinde.« – »Warum hassest du den Ulrich?« setzte sie rasch hinzu.
»Weil er ein Feigling ist und ein Verräter, Mutter,« antwortete Zawisch und erhob sich.
Mutter und Sohn standen voreinander.
»Zawisch!« Frau Berchta legte die Rechte auf des Knaben Schulter.
»Mutter?«
»Der Neuhauser hat uns seinen Sohn gebracht, ehe er in den Krieg zog. Und wenn dir nun heute Pilgram nicht in die Arme gefallen wäre – was meinst du, wie hätte ich da einst vor den Vetter treten müssen? ›Dein Sohn hat meinen Sohn im Kinderspiel verraten, und da hat mein Sohn deinen Sohn erwürgt.‹ So hätte ich sagen müssen. Wie meinst du, Zawisch?«
Zawisch blickte zu Boden. Das Brüderlein war herzugekrochen, spielte mit den Schuhen des Knaben, schlug mit den dicken Händchen auf das Leder, lallte und jauchzte, und als niemand zu ihm sah, begann es zu weinen.
»Armer, herziger Wok!« sagte Frau Berchta, bückte sich, hob das Knäblein empor und setzte sich wieder ins Fenster.
»Zawisch!« sie deutete auf den Stuhl, und der Knabe ließ sich nieder. Tiefe Dämmerung herrschte in der Kemenate. Lachen tönte draußen. Die Frau liebkoste das Kind, warf einen Blick hinaus auf die Linde, deren Wipfel umflossen war vom Lichtschimmer des verglimmenden Abends, und auf den weiten Hof. Dann lehnte sie sich zurück, und während das Kindlein ernsthaft spielte mit der Spange ihres Gewandes, sagte sie, fast als spräche sie zu sich selbst: »Ich habe böse Zeit und trage schwere Sorgen. Wenn ich mich zur Ruhe lege, so denke ich an den Vater, möchte wissen, wo der jetzt sein Haupt hinlegt; wenn ich aufstehe, so sind meine Gedanken bei ihm, möchte wissen, ob er Rasttag hat oder reiten muß; wenn ich den Wächter blasen höre, schrecke ich heimlich zusammen, fürchte mich vor böser Botschaft; und wenn tagelang, wochenlang alles so still ist, dann fürchte ich mich wieder und sorge mich um den Vater.«
»Atta, Atta!« lallte das Knäblein und hob das Köpflein.
Der große Knabe saß regungslos, Frau Berchta küßte das Kind und fuhr fort: »Drei Monate ist's nun her; da sind wir beim Morgengrauen in dieser Stube gestanden, Herr Budiwoj im Reisekleide, ich, du, Zawisch, Witigo und der kleine Wok. Den hatte der Vater auf den Arm genommen. Er sprach den Reisesegen und küßte uns. Dann wandte er sich zu seinem ältesten Sohne. – Zawisch!« Frau Berchta richtete sich empor. »Zawisch, was hat der Vater damals gesagt?«
Zawisch murmelte: »Sei mein guter Sohn, ehre die Mutter, hilf ihr nach Kräften und ...« Der Knabe stockte.
»Nun?«
»Und – wenn – ich – falle, so wachse zu ihrer Stütze heran!« vollendete Zawisch.
»Atta, Atta, Atta, Atta!« jubelte Wok.
* * *
Frau Berchta setzte das Kind zu Boden, Zawisch erhob sich. Dunkel war es im Gemache. Über den Hof her tönte ein Glöcklein, das Lachen und Schwätzen verstummte. Eine tiefe Frauenstimme begann den Gruß des Engels:
»Gegrüßt seist Du, Maria!
Du bist voll der Gnade,
Der Herr ist mit Dir.«
Und es klang
»Du bist gebenedeit unter den Weibern,
Und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus Christus!«
im Chore von Knechten und Mägden und Kindern aus dem Burghofe zum Himmel empor, an dem die ersten Sterne funkelten.
Die Mutter hatte sich bekreuzigt und sprach leise die Antwort mit dem Chore; auch der Knabe stand mit erhobenen Händen und murmelte. Und die Stimmen der Frau und des Herrensohnes mischten sich in das Abendgebet der Leute auf dem Hofe. – – –
»Gute Nacht, Zawisch; die heilige Jungfrau soll dich behüten!« sagte Frau Berchta mit ihrer klaren Stimme und reichte dem Sohne die Hand. Der bückte sich tief, drückte einen Kuß auf diese schmale, weiche Hand, flüsterte »Gute Nacht, Frau Mutter!« und ging aus der Kemenate.
* * *
Um die Mitte der Nacht war es. Frau Berchta erwachte, hob sich empor auf ihrem Lager und lauschte. Hastig warf sie das Kleid über und ging leise an die Türe. Wieder lauschte sie vorgebeugt, dann öffnete sie vorsichtig den Schieber und spähte hinein in die Kammer der Knaben. Das Öllicht an der Wand knisterte, tiefe Atemzüge waren aus den Ecken zu vernehmen.
»Ulrich, so höre doch!«
Ein unwilliges Gestöhne antwortete.
»Ulrich, tut's noch weh?« fragte Zawisch mit zögernder Stimme.
Wieder antwortete das Gestöhne, und das Lager knarrte.
»Ulrich, es ist mir leid,« fuhr der Knabe fort – »von Herzen leid,« setzte er fast drohend hinzu. »Aber du mußt reden!« vollendete er.
»Du kommst auch nur, weil du mußt von der Muhme wegen,« grollte es aus den Kissen, und wieder knarrte die Bettstatt.
»Warum ich komme, kümmert dich nicht,« brauste der andere mit verhaltener Stimme auf. »Ich will freiwillig – von wegen meiner Mutter,« fuhr er ruhiger fort; »niemand hat mir's geheißen. – – Aber verzeih mir den Jähzorn.«
»Du hast mir die güldene Spange zerbrochen mit deinem Würgen,« klang es keifend zurück.
»Ich werde dir die meinige geben,« sagte Zawisch kurz.
»Die meinige war kostbarer; gib mir den kleinen Dolch dazu!«
»Den hat mir der Vater geschenkt, wie er fortging,« sagte Zawisch zögernd.
»Und mir der meinige die Spange,« klagte Ulrich.
»So nimm den Dolch!« sagte Zawisch, wandte sich und ging auf den Zehen zu seinem Lager zurück. Als er aber in der Dunkelheit vorüberkam, hörte ihn Frau Berchta murmeln: »Er ist doch ein Hund!«
* * *
Des andern Morgens stand der Turmwart auf dem Bergfried vor seinem Häuslein und ließ Holzeimer und Handkorb am langen Stricke in den Burghof herab. Die Magd Gudrun kam, tat Brot und Fleisch in den Korb und füllte den Eimer. Obenauf aber in den Korb legte sie einen Strauß von Lindenblüten, blauen Glocken und roten Nelken.
»Hub!« rief sie, stemmte die Arme in die Hüften und schaute in die Höhe. Der kleine, verwachsene Alte zog zuerst den tropfenden Eimer empor und dann den Korb. Kaum aber hatte er diesen über die Brustwehr gehoben, da beugte er sich hernieder und rief: »Gudrun, wer schenkt mir den Buschen?«
»Ich!« schrie die Magd und lachte.
»Du sicher nicht!« klang es von der Höhe.
»Warum nicht?« kam's trotzig von unten herauf.
»Hängst mir jetzt seit zehn Jahren den Korb ans Seil, einen Büschen aber hab' ich noch niemals darinnen gefunden. Denk nur, wie da etwa der Rasso eifern möcht'!«
Da stampfte die Magd auf den Boden und murmelte: »Schrei noch mehr!« Und zornig rief sie zurück: »Hast recht, Turmwartl, von mir kriegst auch ganz und gewiß nie keinen Buschen. Aber daß du's nur weißt, der Jungherr Zawisch hat ihn mir gegeben.«
»Der Jungherr?«
»Ganz und gewiß. Und weißt, was er dazu gesagt hat?«
»Was?« fragte der Alte und beugte sich tief herab.
»Wirf ihm das Kraut hinein – hat er gesagt – das soll er fressen, wenn's Heu geworden ist,« schrie die Magd, »du alter Aufpasser, du!«
Lachend strich der Bucklige das borstige Kinn und rief herunter: »Bist wohl die Nacht über selbst auf frischem Heu gelegen, und ist dir nicht richtig im Kopf? Ich sehe Glocken und Nelken und Lindenblüh, und wenn die vom Jungherrn kommen, dann hat er das nicht gesagt, du Gudrun! Und die Blumen, die schenkt er auch nicht dem alten Turmwartl – –«
»Schmeckst's doch?« lachte die Dirne. »Dem Altmarschalk sollst ihn geben, den Buschen, und sollst ihm sagen, der Jungherr wird heut nach dem Essen kommen zu ihm.«
Lachend steckte der Wächter die Nase zwischen Nelken und Lindenblüten, hob die Falltüre und stieg hinab zu dem, der ihm am nächsten wohnte, und brachte ihm Fleisch und Brot und den Buschen von Zawisch, dem Sohne der Herrin, Frau Berchta.