Friedrich von Sontheim
Geschichte der Liebe
Friedrich von Sontheim

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Das Mittelalter ist die Zeit des herrschend gewordenen und in alle Verhältnisse eingelebten Christenthums, aber nicht des ursprünglichen Christenthums in seiner die ganze irdische Welt zurückstoßenden Strenge und ebenso wenig des geistig aufgenommenen und verarbeiteten Christenthums, wie es in der neueren Zeit seine Consequenzen verwirklicht hat, sondern eines, wie der Name besagt, zwischen diesem Ausgangs- und Endpunkt in der Mitte stehenden. Statt nämlich das Geistige in der ganzen Welt der Sinnlichkeit zu suchen und diese auf allen Punkten von jenem weihen und verklären zu lassen, suchte es – wie schon bemerkt – für das Unendliche eine unmittelbare, sichtbare Gegenwart, d.h. es erblickte dasselbe nur in einzelnen äußerlichen Existenzen und Instituten, während alle übrige Endlichkeit ihm eine geistlose, blos weltliche und sündliche war. Während für den urchristlichen Standpunkt, wie wir ihn vorhin geschildert, alles Endliche verwerflich, jede Sinnlichkeit dem Untergang bestimmt war, während dagegen die moderne Anschauung gar nichts Endliches an sich verwerflich findet, sondern nur so weit es unter den Händen des Menschen gemein und geistlos wird, hatte das Mittelalter zwei Reiche, ein weltliches und geistliches, sichtbar und gegenwärtig einander gegenübergestellt. Der Mittelpunkt aller Verkörperung des Unendlichen war die Hierarchie, das Papstthum, der religiöse Cultus. Damit nun aber dieses Reich der Geistlichkeit von der übrigen Welt nicht vollständig abgeschlossen sei, sondern feste Uebergangspunkte habe, um seinen Einfluß auch auf diese überzuleiten, mußte es einen bestimmten Kreis halb geistlicher und halb weltlicher Institute sich bilden, welche ihre höhere Weihe von ihm empfingen, zugleich aber mit tausend Wurzeln in der Welt der Sinnlichkeit fußten. Solche Irisbrücken von der einen zu der andern Welt waren insbesondere das Ritterthum und der Minnedienst, die Frauenliebe. Von der letztern, mit welchen wir es zunächst zu thun haben, ist schon aus dem Bisherigen ersichtlich, daß sie im Mittelalter ebenso eine höhere Pflege und Nahrung erhielt, wie sie anderseits nirgends weniger als hier eine selbstständige, wahrhaft natürliche und sittliche Bedeutung haben konnte. Das historische Interesse für das Mittelalter liegt daher nicht blos in der Darstellung jener stehenden Form, welche während desselben das geschlechtliche Verhältniß erhalten hat, sondern ebenso sehr in der Schilderung der von dem Standpunkt einer natürlichen Sinnlichkeit und freien Sittlichkeit gegen jene übersinnlich-sinnliche Liebe von Anfang an erhobenen und bis zum Ende durchgeführten Opposition, einer Opposition, welche sich hauptsächlich auf die aus der dunkeln Nacht der vorigen Jahrhunderte wieder zu Tag geförderte griechische Bildung mit der in ihr geltenden schönen Sinnlichkeit stützte und so den Proceß der allmäligen Verschmelzung dieser beiden allgemeinsten Prinzipien einleitete.

Ehe der Baum der Hierarchie seine mächtigen Aeste so weit hin ausbreiten konnte, daß die ganze abendländische Welt unter seinem mystischen Zwielicht gefangen lag, gingen manche drohende Stürme über seinem Wipfel dahin, die seinen Stamm bis zur Wurzel zu zerspalten drohten; in mehr als einer Krisis fragte es sich darnach, ob die jenseitige christliche Transscendenz oder der Geist einer heiteren diesseitigen Lebensphilosophie herrschend werden solle. Schon unter dem Manne, dem die Hierarchie ihre ersten großen Siege diesseits der Alpen verdankte, unter Carl dem Großen, wurde neben dem religiösen Ultramontanismus eine andere Pflanze von jenseits der Berge geholt, welche ihre alte Heimath ebenfalls in Rom hatte, von jeher aber mit unvertilglicher Eifersucht ihrer nachgeborenen Schwester jeden Fuß breit Boden im Kampf um die Oberherrschaft streitig zu machen gewohnt war: die classische Literatur. Sind wir nicht berechtigt, die hübsche Liebesgeschichte der Prinzessin Emma mit dem gelehrten Eginhard sogleich als eine Frucht der an dem Hofe des fränkischen Königs gelesenen römischen Dichter zu betrachten? Auf dieser Seite ging zwar die schöne classische Cultur, welche einen so erfreulichen Ansatz gemacht hatte, bald wieder unter den faulen Nachfolgern des großen Carl zu Grunde und die alte mönchische Wollust der früheren merovingischen Könige trat wieder an die Stelle eines menschlich gebildeten Lebens; herrlich blühte sie dagegen in Deutschland wieder auf unter den sächsischen Kaisern, den großen Ottonen. Ein specielles Liebesverhältniß ist zwar von hier nicht zu berichten, aber eine Menge ausgezeichneter und hochverehrter Frauen, die Mütter, Gemahlinnen und Schwestern der Kaiser nennt die Geschichte als Freundinnen und Pflegerinnen der schönen Wissenschaften zum Beweise, daß überall mit den feineren Wissenschaften auch die Stellung des zarteren Geschlechts sich hebt und zum Belege dafür, daß die Damen sich überall als geborene Bundesgenossinnen jeder ästhetisch-wissenschaftlichen Richtung betrachten sollten. Und wenn uns auch keine Äußerung leidenschaftlicher Liebe begegnet, so werden wir dafür hinlänglich entschädigt durch die gewiß auch hieher gehörige Scene des letzten Abschieds zwischen Otto dem Großen und seiner Mutter Mathilde, der Wittwe des großen Städtegründers Heinrich. Das ganze Mittelalter kennt keinen Auftritt von reinerem, sittlich erhabenerem Gefühl als wie der gewaltige Kaiser vor der weinenden Mutter auf die Kniee fällt mit den Worten: »O ehrwürdige Gebieterin, durch welchen Dienst kann ich Dir diese Thränen vergelten?« Schließt diese schöne kindliche Ehrerbietung nicht auch die Würdigung der Weiblichkeit überhaupt in sich?

Diese mit dem ersten Hervortreten der classischen Bildung zusammenhängenden Züge sind aber allerdings untergeordnet gegenüber der jetzt näher zu schildernden Wirkung, welche die ersten Regungen einer freien Philosophie auf unser Verhältniß hatten. Bringen wir hier – dieses Bedenken drängt sich uns selbst auch auf – nicht das einander Fremde in einen künstlichen Zusammenhang? Was hat die Philosophie mit der Liebe zu schaffen? Dagegen möchten wir die anderen Fragen aufwerfen: war nicht Abailard der erste große Philosoph im eigentlichen, freieren Sinn des Worts und war nicht Heloise seine platonisch gebildete Schülerin? ist nicht an ihrer berühmten Liebe der Versuch, einem freien und nur in seiner eigenen höheren Natur die Berechtigung seiner Existenz tragenden Verhältniß Bahn zu brechen, das ewig Denkwürdige und Interessante? Abailard's und Heloisen's tragisches Geschick ist gleichsam eine symbolische Darstellung des gescheiterten Strebens, mit classischer Literatur und Philosophie gegen eine dürre, Leben und Sinnlichkeit ertödtende Scholastik anzukämpfen. Die merkwürdigsten Stellen in dem berühmten Briefwechsel sind uns diejenigen, welche Heloisen's Wunsch ausdrücken, nur die freie Geliebte des geistreichen Mannes zu sein:

O wie oft zur Sklaverei der Ehe
Durch den Spruch gestrenger Zucht verdammt,
Rief ich über jede Satzung Wehe,
Welche nicht von freier Liebe stammt.

Oder noch deutlicher:

Daß ich vor den Schlingen bang erbebte,
Die die Ehe fromm in sich verhüllt,
Daß ich, jeder Satzung trotzend, strebte
Nur nach einer freien Liebe Bild.

Vom höchsten poetischen Schmelz sind die Stellen, in welchen beide die sinnliche Seite der Liebe feiern, z.B. Abailard's Schilderung des Tags, an welchem seine Geliebte sich ihm hingegeben:

Der Morgen duftete, die Vögel sangen,
Ein wollustreicher Tag lag auf der Flur.
Und, gleich als ahne sie dein Lustverlangen,
War üppiger und schöner die Natur.
Ein feuchter Schimmer lag in deinen Augen,
Süß schmachtend hingen sie an meinem Blick,
Und deines Athems liebesehnend Hauchen
Verkündete mir hold mein nahes Glück u. s. w.

Oder die Erinnerung der mit Gott vermählten Heloise an die Freuden, die sie einst in den Armen ihres grausam verstümmelten irdischen Gemahls genossen, das schmerzliche Sehnen nach dem auf ewig verlorenen Gut; wie könnten alle Leidenschaften furchtbarer in einander stürmen?

Und die Mitgespielin, Sünde, würzet
Höher, feuriger den Kelch der Lust.
Höllengeister, die bei Tage schliefen,
Spornen rascher der Begierde Lauf;
Rühren bis in seine tiefsten Tiefen
Jeden Quell der Lieb' und Wollust auf.
Ha! dann blick' und lechz' ich mit Entzücken
Jede Blume deiner Schönheit an.

Gib mir Alles, was du noch kannst geben,
Und was nicht – erträumen laß es mich!

Diese Stellen sind von einer solchen Stärke des leidenschaftlichen Ausdrucks, daß sich ihnen kaum irgendwo etwas Aehnliches an die Seite setzen läßt, gleichwohl sind für das Princip der Liebe noch wichtiger diejenigen, in denen sich beide von der sinnlichen Liebe zu einer höheren, geistigen gewaltsam losreißen und die ewige Berechtigung derselben siegreich aussprechen.

O glaube mir, nicht strafbar sind die Triebe,
Von denen hoch für mich dein Busen schwillt;
Was ist denn wahre Tugend, wenn die Liebe
Vor Gottes Thron als ein Verbrechen gilt?
Auf Alles, was im Weltall lebt und webet,
Sieh hin nur einen kurzen Augenblick:
Nur durch die Liebe wird das All belebet,
Nur in der Liebe findet es sein Glück.

Wer sollte dieses Alles im Mittelalter suchen? Haben wir hier nicht ganz dieselbe Dialektik der Leidenschaft, auf welche die freiesten erotischen Schriftsteller der neuesten Zeit ihre Theorie von der selbstberechtigten und sich selbst genügenden menschlichen Natur mit allen ihren natürlichen Trieben gründen? Der so spricht, ist doch gewiß Abailard der Philosoph, der Gegner des heiligen Bernhard, der auch über die Theologie und ihre Mysterien, über die Trinität u.s.w. frei denkende. Hätte Abailard über seine theologischen Gegner gesiegt, gewiß auch der Liebe und allen übrigen Lebensverhältnissen wäre eine andere Bahn gebrochen worden; aber er wurde verdammt und mit ihm jede sinnliche und geistige Freiheit. Jetzt erst tritt die vollkommene Herrschaft des Mittelalters ein, welches nach seinem allgemeinen Charakter schon im Frühern geschildert worden ist.

Liebe und Religion haben ein und dasselbe Problem, die Feststellung des richtigen Verhältnisses zwischen Geist und Sinnlichkeit. Der allgemeine Charakter der mittelalterlichen Religion ist nun schon dahin angegeben worden, daß sie diese beiden Gebiete äußerlich neben einander und einander gegenüberstellte; sie wollte den Schein haben, als seien beide organisch durchdrungen, als leihe eines dem andern sein Wesen, während es doch nur eine mechanische Nebeneinanderstellung war, welche jedem seine eigenthümliche Kraft und Bedeutung raubte. Das Geistliche, indem es die materiellen Kräfte in seinen Dienst nahm, gab diesen kein höheres Gepräge, sondern bedeckte nur ihre angeborene Rohheit mit einem täuschenden Schimmer, hielt sie unter einer perfiden, selbstsüchtigen Herrschaft; dem Sinnlichen wurde, indem es einem Fremden und zu fremdartigen Zwecken diente, seine ehrliche Natur und sein eigenes Recht entzogen. Dieses Loos traf vor Allem die scheinbar so hoch begünstigte Liebe. Unter den luftigen Brücken, die über die große Kluft zwischen den beiden Reichen hinüberführen sollten, die aber kein fester Tritt beschreiten konnte, ohne daß sie sich in nebligen Thau auflösten, in welchem der Wandelnde unaufhaltsam hinabstürzte, ist bereits die Liebe genannt worden, welche in jener täuschenden Mitte zwischen Himmel und Erde schwebte, bald von dem Dufte des einen sich zu nähren, bald die süßen Früchte der andern darbieten zu wollen schien, welche unter dem hohen Protektorat der Himmelskönigin stand, deren Jünger aber nur zu oft, von den ätherischen Flügen herabsinkend, an der rohsten Sinnlichkeit kleben blieben. Ihr schloß sich eine andere Schöpfung desselben äußerlich spiritualistischen Geistes an, das Ritterthum, welches die gleiche schillernde Mitte hielt zwischen Sinnlichem und Idealem, zwischen blos physischer Kraftäußerung und feiner abstrakter Ehre, zwischen räuberischer Gewaltthat und dem aufopfernden Dienste einer höheren religiösen und sittlich erhabenen Idee. Gerade diese höhere Idee, von der er eigentlich keinen genaueren Begriff hatte, konnte sich dem Ritter nur in einem verwandten sinnlichen Gegenstande, in der Dame seines Herzens verkörpert darstellen. Ihr war daher sein ganzes Leben mit allen seinen Kämpfen und Abenteuern gewidmet; in ihrem Besitz konnte er sich träumen, daß ihm, dem muthigen und tapfern, allein der höchste Preis des Lebens gehöre, während der gemeine Troß aller höheren Weihe des Daseins unwürdig und von ihr ausgeschlossen sind. Die Verbindung zwischen diesen beiden hervorragenden Erscheinungen des Mittelalters und das innere wahre Wesen einer jeden kommt nirgends charakteristischer zu Tage als an den sogenannten Liebeshöfen. Dieß waren nämlich Versammlungen von adeligen Herren und Damen, welche über Fragen der männlichen und weiblichen Ehre, des Ritterthums und der Galanterie mit der spitzfindigsten Ernsthaftigkeit beriethen, wo die in alle Geheimnisse der Waffen- und Liebes-Etikette eingeweihten Sänger ihre Sentenzen in wohlgesetzten Versen vortrugen und dem gewandtesten Advokaten der Preis des Tages zu Theil wurde. Die Liebe wurde hier also ganz ebenso behandelt wie die Religion in den theologischen Disputirkämpfen; je feiner und subtiler Alles war, desto näher glaubte man dem Wesen zu sein, während es im Gegentheil nichts als Schaum und Schein war ohne alle Bedeutung für das Bewußtsein des Subjekts.

Auf diese Weise bildete sich jenes poetisch reizende Verhältniß der ritterlichen Ehre und des zarten Minnedienstes aus, welches von den Troubadours und Minnesängern tausendfach besungen noch heutzutage überall poetisch und praktisch nachklingt. Nach seiner äußeren Erscheinung ist es allerdings durchaus romantisch, übergossen mit allem Schmelz und Duft einer idealen Phantasie; betrachten wir es aber nach seiner Stellung zum wirklichen Leben, so erscheint es ganz anders. Wie die Religion mit allem ihrem heiligen Nimbus die ganz ungebrochene menschliche Selbstsucht und Rohheit verdeckte, ebenso hatte die Liebe ihr Ideal nur, um in seiner abstrakten Verehrung von allem menschlich gebildeten und wahrhaft geistigen Inhalt des Lebens, wie es namentlich die geschlechtliche Gemeinschaft erfüllen soll, um so mehr absehen zu können. Dem Ritter und dem Dichter war es nicht um den dauernden Besitz, ja nicht einmal um den vorübergehenden Genuß jenes idealen Gegenstandes seiner Verehrung zu thun; die berühmtesten Figuren dieser Liebe, wie z.B. Petrarca's Laura, stehen zum Dichter nicht in der mindesten persönlichen Beziehung. Man wollte in der Jungfrau nur ein Hochheiliges von Ferne anbeten, man wollte aus ihren Händen den Preis des Liedes oder der Waffen hinnehmen, um sich ohne alle eigentliche Hingabe in ihrem Dienste dem eiteln Selbstgefühl des Ruhms, dem trotzigen der Tapferkeit zu überlassen. Es kann uns hier natürlich nicht einfallen, uns näher auf die einzelnen Minnesänger einzulassen oder auch nur von den verschiedenen Schulen derselben, von der catalonischen, der limousinischen, der provençalischen, der schwäbischen zu sprechen. Dieß ist Sache der Literaturgeschichte; hier aber handelt es sich nur um die Stellung und den Einfluß, den die gesammte romantische Liebe überhaupt auf das Leben hatte. Nur einen Sänger wollen wir namhaft machen, nicht wegen der besonderen Trefflichkeit seiner Poesie, sondern weil aus seiner Erzählung von seinen Liebesabenteuern am besten ersichtlich ist, wie leer und armselig dieses ganze Treiben zu sein pflegte. Ulrich von Lichtenstein, »ein Sänger und zugleich ein Held«, zog als Frau Venus verkleidet in dem Lande umher, um mit männiglich zu Ehren seiner Frauen eine Lanze zu brechen. Sein Knappe eilt als Liebesbote zwischen beiden hin und her und bringt endlich die willkommene Nachricht, daß die Dame dem Ritter den Dank für seine unglaublichen Huldigungen reichen wolle. Nach manchen Don Quixot's Abenteuern wird er endlich an einem Leintuch an ihr Thurmgemach gezogen; nach mancherlei Mystificationen aber läßt die deutsche Herrin den albernen Phantasten wieder unsanft hinabfahren, ohne ihm mehr als ihre Hand zum Kuß gereicht zu haben. So war überhaupt bei dieser Minne das meiste nur Maskerade und wenn je etwas Ernstliches dabei war, so war es nichts Anderes als eine sehr ordinäre Hahnreischaft. Ueber die eigentliche Stellung und den Beruf des Weibes im Mittelalter darf man nur eine Stelle aus demjenigen deutschen Historiker lesen, bei dem die Vorliebe für diese Zeit zum charakteristischen Zug seiner Geschichtschreibung geworden ist, um die Lage der durch Turniere und Sängerkämpfe so hoch gefeierten Fräuleins keineswegs beneidenswerth zu finden. »Blieben die Frauen und Töchter ritterlichen Standes,« heißt es bei Leo, »im eigenen Hause, so lebten sie, so lange sie unverheirathet waren, doch größtentheils in einem abgesonderten Theile des Hauses, wo sie selten gesehen wurden, und außer den nahen Verwandten und Dienstleuten des Hauses selten Männer sahen.

Wenn sie das heirathsfähige Alter erreicht hatten, wurden sie dann von ihren Eltern und von den Lehensherren oder Dienstherren verheirathet; sie hatten in der Regel in die Sache wenig zu reden; der Bräutigam fand sich mit den Angehörigen darüber ab, und man nannte das Eingehen der Heirath: kaufen.« Welches Loos den verheirateten Frauen unter den wüsten Trinkgelagen ihrer tapferen Herren, unter dem wilden Raub- und Jagdleben beschieden war, ist allbekannt. So war, genauer zugesehen, das Leben jener verherrlichten Frauen im Grunde um nichts besser, als das der Edelfräulein und Frauen auf dem Hofe des letzten Krautjunkers: eine Existenz, auf die wir als auf den Gipfel aller Erbärmlichkeit herabsehen. Wie ein Geschlecht, das von allem bildenden Umgang ferne gehalten und auferzogen wurde, nur um nach Erreichung des mannbaren Alters von seinem Dienstherrn an die brutale Sinnlichkeit eines wilden Mannes verkauft zu werden, dem Eintritt in dieses von Kindheit auf mit stetem Schrecken und Abscheu aus der Ferne angehörte Getümmel den Eingang durch die stille Klosterpforte zu einer stummen Grabesruhe vorziehen konnte, wird man begreiflich finden. – Gleichwohl ist unverkennbar, daß sich hier die Liebe zuerst in selbstständiger, eigenthümlicher Gestalt ausprägte und daß sie wenigstens in der abstrakten Vorstellung die beherrschendsten Einflüsse auf alle übrigen Lebensgebiete gewann. Ebenso unläugbar aber ist, daß diese abstrakte Form der Liebe, wie sie sich unter dem Einfluß der Religion im germanischen Mittelalter ausbildete, tief in unser gegenwärtiges Leben hereinragt und zwar ebenso nach ihrer innerlich spiritualistischen wie nach ihrer äußeren ritterlich galanten Seite. Der religiös-poetische Duft war bald abgestreift und es blieb davon nichts als eine höfische Etikette, eine äußerliche Galanterie. Wie sich die ausgezeichnetsten Ritter des sechzehnten Jahrhunderts zu den Damen verhielten, wie sie ihre Gunst keineswegs blos durch zarte Huldigung, sondern nicht selten durch gewaltsames Zugreifen erlangten, ist besonders interessant bei Brantome zu lesen. Aber auch unsere moderne, höfisch feine und adelig vornehme Galanterie, ist sie in den meisten Fällen etwas Anderes als eine traditionelle Etikette, hinter welcher sich in den meisten Fällen nichts als das Bedürfniß einer Sinnlichkeit versteckt, der es an allem wirklich gebildeten geistigen Gehalte fehlt.

Mit der Darstellung der ritterlich-galanten, spiritualistisch-romantischen Liebe ist aber das Mittelalter, wie schon bemerkt, keineswegs erschöpft. Die Zeit ihrer eigentlichen Herrschaft beschränkt sich auf die beiden Jahrhunderte der Kreuzzüge; mit den größeren Unternehmungen der Christen gegen die Mauren in Spanien, woran zahlreiche Ritter der verschiedensten Nationen, namentlich französische und burgundische, Theil nahmen, und mit dem wenige Jahre darauf folgenden ersten Kreuzzug begann ihr Aufschwung; mit den ihren ursprünglichen Charakter immer mehr verlierenden und nach und nach ganz aufhörenden Zügen in das Morgenland ließ auch ihre Begeisterung nach. Die Kreuzzüge waren besonders geeignet, diesen romantischen Schwung der Gefühle zu tragen, nicht blos als ferne, den abenteuerlichen Sinn anregende Unternehmungen, sondern noch mehr wegen ihres religiösen Charakters, welcher auch hier mit der Liebe ganz specifisch zusammenhing, sofern der christliche Ritter immer auch von der Vorstellung erfüllt war, für eine fromme, keusche Liebe gegen die sinnliche heidnische Lust, im Namen einer unbefleckten Jungfrau gegen den Houris- und Paradieses-Glauben der Mohammedaner zu kämpfen. Natürlich daher, daß mit der Herrschaft des religiösen Gefühls, welches während dieser Zeit Alles durchdrungen hatte, auch die ganze übrige Lebensanschauung, die auf demselben hauptsächlich beruhte, ihre Intensität und ihren unmittelbaren Einfluß verlor. Den nach den Kreuzzügen und in Folge derselben sich umgestaltenden und erweiternden Kreis der abendländischen Bildung nach allen seinen Stadien zu beschreiben, ist nicht unsere Aufgabe; wie aber die Geschichte der Liebe in den Anfangszeiten des Mittelalters so eng verflochten war in die allgemeine Geschichte, so auch hier, wo es sich um seine Auflösung und den Uebergang in die neuere Zeit handelt. Es sind daher die Elemente dieses Uebergangs ebenso in ihrem Gegensatz gegen das herrschend gewordene christliche Princip zu beschreiben, wie wir sie früher in ihrem Kampf mit demselben um die Erlangung der Herrschaft geschildert haben. Beidemale ist es die classische Literatur und Kunst, welche in vorderster Reihe steht; und da wir als Princip der classischen Zeit die schöne Sinnlichkeit kennen gelernt haben, so wäre es ja zum Verwundern, wenn dieses Princip nicht zunächst auch auf die Umgestaltung des geschlechtlichen Verhältnisses eingewirkt hätte. Wie die letzte Erscheinung einer wahrhaft schönen, sinnlich-geistigen Liebe vor dem vollständigen Hereinbrechen der mittelalterlichen Nacht aus der griechischen Literatur und Philosophie hervorging, ebenso sind auch wieder die ersten Darstellungen einer natürlichen, mit Fleisch und Blut begabten Liebe aus der Neubelebung dieser Studien abzuleiten.

Bekannt ist nun aber, daß die classische Form auf der einen Seite ebenso in den Dienst der herrschenden Anschauung trat und ihr zu einem formal vollendeten Ausdruck verhalf, wie sie von der andern Seite in schärfster Opposition dagegen auftrat und die Transscendenz auf allen Gebieten durch den natürlichen plastisch-sinnlichen Geist des Alterthums zu verdrängen suchte. So nun namentlich auch in der Liebe und ihrer poetischen Darstellung. Petrarca und Bocaccio pflegt man immer neben einander zu nennen, wenn man die Männer aufzählen will, welche Hauptträger dieser Neubelebung klassischer Form und classischen Geistes waren. Von ihnen brachte nun aber der eine den Idealismus der Liebe zu seinem schönsten, formal vollendetsten Ausdruck, indem er die Gefühlsinnigkeit und Schwärmerei des christlichen Minnesangs mit der Glätte und Rundung der heidnischen Dichter zu verbinden wußte; Petrarca's Sonette sind die ewigen Muster für jene ideale Liebesromantik, welche als ein Moment des innerlichen Gefühls auch ewig in ihrem Rechte bleiben wird. Auch ihm zwar galt die schöne Form als solche so hoch, daß er z.B. der genialen Sinnlichkeit einer Königin Johanna von Neapel alle Ausschweifungen eben um dieser classisch gebildeten Genialität willen zu gut hielt; er war aber seinem ganzen Charakter und seiner äußeren Stellung nach nicht der Mann, um der griechischen Sinnlichkeit auch positiv und principiell das Wort zu reden. Dieß that nun aber Bocaccio. Man bewundert seine Novellen als erste Muster einer schönen, gebildeten Prosa in der nachrömischen Zeit; die plastische Fülle seiner Darstellung ist aber nur der Ausdruck jenes antik sinnlichen Princips, welches sich in den Novellen des Decameron mit so naiver Üppigkeit und Rückhaltslosigkeit ausspricht. Er ist in unverholenem Kampf gegen die heuchlerische Moral einer entarteten Kirche und sucht dagegen eine natürliche aber schöne Sinnlichkeit zur Geltung zu bringen. Erröthend zwar sitzen seine Damen im Kreise, wenn die süßen Geheimnisse der Liebe muthwillig scherzend von ihnen erzählt werden, aber es versteht sich für sie von selbst, daß es die Bestimmung einer edeln und geistreichen Frau ist, mit den Reizen ihres Körpers und Geistes einen edlen Jüngling zu beglücken und dadurch selbst beglückt zu werden. Mit südlicher Unbefangenheit hören sie daher an, was ihnen als natürliche und notwendige Lebensäußerung erscheint und nur darauf sind sie bedacht, jeden das Schönheitsgefühl störenden Ausbruch der Lüsternheit ferne zu halten. In der siebenten Novelle des sechsten Tags läßt Bocaccio die Donna Filippa, eine Dame di gran cuore, ihre und seine Vertheidigung in den Worten führen: »was sie denn thun solle mit dem Uebermaß ihrer Liebesschätze, ob sie es den Hunden vorwerfen solle? ob es nicht viel besser sei, damit einem edlen Manne gefällig zu sein, der sie mehr liebe als sich selbst, als es todt liegen und verderben zu lassen?« Mit unendlichem Beifall wird ihre Rede angehört, im Triumph wird sie nach Hause begleitet, und in das Gesetz der Stadt aufgenommen, daß in Zukunft nur die Frau schuldig sein solle, die sich für Geld hingebe. Freilich weiß Bocaccio nichts von gemüthlicher Vereinigung und höherer Lebensgemeinschaft, in seinen anekdotenartigen Novellen konnte dieß auch gar nicht zur Sprache kommen; aber sein Verdienst bleibt es, das Recht der Sinnlichkeit ausgesprochen und die Forderung gestellt zu haben, daß sie den übrigen Lebensthätigkeiten auf schöne, gebildete Weise eingefügt werde.

Für die Italiener, deren Bildung stets einen stereotypen Ausdruck behalten hat, und für die romanischen Völker überhaupt, sind Petrarca und Bocaccio fortwährend die vollkommenen Vertreter des erotischen Gefühls und seiner Darstellung geblieben; sie haben es nie zu etwas Anderem gebracht als entweder zu überschwenglicher rhetorischer Deklamation nach hergebrachten Schemen ohne wahres inneres Pathos, oder zu einer sinnlichen Praxis, in welcher betrogene Ehemänner und glückliche Cicisbeos eine gleichförmige, langweilige Rolle spielen. Ihnen sind die beiden Hauptseiten des menschlichen Wesens immer noch in mittelalterlicher Entfernung nebeneinander, oder vielmehr die innerlich geistige Seite ist bei ihnen nie zu so intensiver Bedeutung gelangt, um sich in den sinnlichen Faktor tiefer hineinzuarbeiten und ihn zu durchdringen. Wir erkennen recht wohl die Mangelhaftigkeit und Einseitigkeit der beiden Standpunkte, gleichwohl sind auch für uns beide Männer von der höchsten Bedeutung, sofern wir sie als erste geschichtlich bedeutende Repräsentanten des Gegensatzes zu betrachten haben, welcher von da an immer bewußter hervortritt und immer lauter zu wahrhafter Vereinigung auffordert.

Die nächste bedeutende Fortbildung findet auf Seite der von Bocaccio vertretenen Sinnlichkeit statt. Wie in der ersten Hälfte des Mittelalters, in den Jahrhunderten der Kreuzzüge das Ritterthum, so ist in den Jahrhunderten nach ihnen bis zur Reformation das Bürgerthum die hervorragende Erscheinung.

Die freien Städte, deren Gelangen zu politischer Macht und Freiheit gewährender Wohlhabenheit geschichtlich mit den italienischen Republiken zusammenhängt, welche Bocaccio zum Schauplatz seiner Novellen macht, mit Mailand und Florenz, mit Genua und Venedig, erzeugten in ihren Mauern, sobald sich in denselben ein selbstständiges Leben gebildet hatte, nothwendig auch dieselben Lebensäußerungen, welche in den alten griechischen und neueren italienischen Freistädten Reichthum und Macht zur Folge gehabt hatten. Mit dem Reichthum stieg der Luxus und das Bedürfniß feinerer Genüsse, mit diesem aber die Freiheit und sinnliche Wohlbehaglichkeit des ganzen und insbesondere des geschlechtlichen Lebens. Ueberall erhoben sich in den üppig-reichen Städten neben den Nonnenklöstern andere Frauen- und Freudenhäuser, deren Bewohnerinnen ebenso ihre besondere Tracht und bestimmte Rangordnung hatten und die als etwas zum gedeihlichen Fortbestehen der Republik nothwendiges unter ordentlicher Aufsicht eines ehrsamen Magistrats standen. Fast war es in diesem deutschen Gemeinwesen wie in Venedig, wo einmal, um dem gar zu argen Unwesen zu steuern, mehrere Tausende dieser Courtisanen aus der Stadt gewiesen wurden, wo man sie aber nach kurzer Zeit als nostre meretrice bene merite, als um die Stadt wohlverdiente und unentbehrliche Frauenzimmer wieder zurückrufen mußte. In den niederländischen Städten namentlich, welche an Reichthum und Ueppigkeit alle übrigen in Europa übertrafen, nahm die sinnliche Freiheit und Lascivität in den beide Geschlechter vereinigenden öffentlichen Bädern einen eigentlich orientalischen Charakter an.

Die Ueberschwenglichkeit des Ritterthums und seiner romantischen Minne war also überwunden; das neugebildete bürgerliche Leben drehte sich nicht mehr um solche abstrakte Beziehungen, sondern hatte einen ganz soliden irdischen Boden und bewegte sich nach allen Seiten hin in derber Sinnlichkeit. Damit war aber für eine sittlich-ästhetische Gestaltung des Lebens eher verloren als gewonnen. Das ideale Princip, welches in Griechenland sich der Sinnlichkeit nie ganz entzogen hatte, weil seine Idealität eine natürliche und nicht eine spiritualistisch-transscendente war, konnte eben wegen dieser seiner letztgenannten Beschaffenheit innerhalb der mittelalterlich-christlichen Welt in die natürlichen realen Tendenzen nicht eindringen, sondern ging nur in der Ferne neben ihnen her, um sie gelegentlich daran zu erinnern, daß sie ohne seine Genossenschaft doch nur eine gemeine, spießbürgerliche Wirklichkeit seien. Es bildete sich allerdings im Gegensatz gegen den ritterlich-vornehmen Minnegesang der bürgerlich-natürliche Meistergesang aus; wenn aber jener in seiner idealistischen Überschwenglichkeit das eigentliche Leben kaum streifend berührte, so war dieser mit seinen derben Possen und Spässen noch weniger im Stand, dasselbe über eine hausbackene Wirklichkeit in das Reich idealer Schönheit zu erheben. Und zu Allem kam noch die Kirche mit ihrer fremdartigen Moral, die sie der Welt als Gesetz auflegen wollte, an das sie selbst am wenigsten glaubte und mit dem sie nur die natürliche und nothwendige Veredlung der Sinnlichkeit durch ihr eigenes Gesetz verhinderte, so daß das Verhältniß leider sich nicht kürzer als in der Alternative ausdrücken läßt, daß die Kirche die Sinnlichkeit und diese jene vergiftete. Sollen wir in einer Geschichte der Liebe die paar tausend Freudenmädchen anführen, welche als nothwendiges Requisit der Kirchenversammlung in Constanz anwohnten, die den Ketzer Huß zum Scheiterhaufen verdammte? Sicherlich aber gehört dieser die schöne Lukretia an, die Tochter des Pabstes Alexander VI, die Geliebte ihrer Brüder, deren Liebesbriefe an den Cardinal Bembo Byron so schön fand, daß er von denselben, weil die Mailänder Bibliothek das kostbare Dokument nicht aus den Händen lassen wollte, täglich einen auswendig lernte.

So lagen also überall die alten idealen Lebensmächte kraftlos zu Boden, die neugeborne Sinnlichkeit aber hatte ihr eigenes Gesetz noch nicht finden können! War dieß nicht eine Situation, welche, wie zur Zeit des entstehenden Christentums, eine allgemeine Reformation und Regeneration der sittlichen Zustände forderte?


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