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Der Anfang aller Geschichte ist in Asien, wo zuerst eine allgemeine Religion und ein auf derselben beruhender gesellschaftlicher Zustand ganze große Völker umfaßte. Diese erste staatliche und religiöse Bildung aber hängt auf's Genaueste zusammen oder vielmehr sie ist eins und dasselbe mit der ersten eigentümlichen Gestaltung des geschlechtlichen Verhältnisses. Was nämlich das ganze Alterthum bis zum Erscheinen des Christentums und die asiatische Welt bis auf den heutigen Tag unterscheidet, ist die alleinige Ausbildung der natürlichen Seite des Lebens, so daß auch bei noch so weit fortgeschrittener äußerer Bildung doch stets das unendliche geistige Selbstbewußtsein, die wahrhaft freie Selbstbestimmung fehlt, daß der Geist sich noch nicht frei über die Natur erhoben hat, sondern unmittelbar in sie versenkt ist. Bei allen asiatischen Völkern finden wir nirgends eine geistige, sondern überall die Natur-Religion mit ihren mannigfaltigen Gebilden. Bei den ältesten geschichtlichen Nationen Vorderasiens aber, bei den Assyrern und Babyloniern, den Syrern und Phöniciern ist es gerade die Natur-Religion in ihrer reinsten Gestalt, welche in die natürlichen Elemente noch nicht auch zugleich eine sittliche Bedeutung hineinlegt, von der wir ihr ganzes Dasein durchdrungen sehen. Das Göttliche ist ihnen schlechthin die Naturkraft mit ihrer zeugenden Kraft und Fülle; diese verehren sie, unter den verschiedensten Namen und Gestalten immer eine und dieselbe. Die nothwendige Rückwirkung hievon auf das praktische Leben war, daß man auch auf menschlicher Seite die schrankenlose Entfaltung der Sinnlichkeit ebenso für das Höchste hielt, daß ein sich Zurückziehen von der Bethätigung derselben ebenso für etwas nicht sein Sollendes galt, wie von dem entgegengesetzten religiösen Standpunkt, dem der höchsten Erhabenheit und vollständigen Trennung des Göttlichen von der Natur, jede Berührung mit der Materie, jede sinnliche Aeußerung Befleckung und Sünde war. Bei dem ersten Schritt, den wir in die Geschichte thun, stoßen wir also sogleich auf diesen großen Gegensatz des Natürlichen und des jenseitig-Geistigen, welcher seinen theoretischen Ausdruck in der entgegengesetzten Auffassung des Verhältnisses zwischen Gott und der Welt findet, welcher praktisch nirgends deutlicher hervortritt als in der Gestaltung des geschlechtlichen Verhältnisses, in der unbefangenen Freiheit oder in der äußerlich gebotenen und gewaltsam angestrebten Unterdrückung der sinnlichen Triebe.
Der Ausgangspunkt für die geschichtliche Entwicklung des geschlechtlichen Verhältnisses war also nicht die Polygamie, welche eine weit spätere Stufe ist, sondern ein Cultus der Sinnlichkeit, welcher unbedingte Hingabe zu einer Art von religiöser Pflicht machte, welcher die religiöse Erregung nur in der wildesten, ausschweifendsten Lust fand. Die beste Kenntniß von diesem »Baalsdienst« gewinnen wir aus dem A. Testament. Die ganze Geschichte des israelitischen Volkes von der Besetzung Canaans bis auf die Zeiten des Exils, in welchem sich andere Einflüsse geltend zu machen anfingen, ist nichts als der fortwährende Kampf einer dem ganzen Zug des Welttheils widerstrebenden Verehrung eines jenseitigen Gottes mit dem unwiderstehlichen Reiz der Naturreligion und ihrem Sinnendienst. Das Gelüsten nach den sich mit rückhaltsloser Sinnlichkeit hingebenden cananitischen Weibern ist die Klippe, an der so viele Anstrengungen scheitern. Mit der blutigsten Strenge wird 4 Mos. 25, 5 ff. der Dienst des Baal-Peor ausgerottet; aber noch 2 Kön. 23,7 finden sich an den Tempel zu Jerusalem selbst angebaut die »Hütten der Töchter«, in welchen diese Bajaderen zur Ehre ihres Gottes ihre Reize ebenso feil boten wie in Sidon oder Tyrus, in Damaskus oder Babylon. Die Altäre des Baal wurden zwar endlich gestürzt, aber sein Dienst hat sich unter anderm Namen nichts desto weniger forterhalten. Die herrschende Religion in Vorderasien ist jetzt der Islam, von welchem jeder weniger unterrichtete Europäer wie von dem Baals-Cultus auch nichts Weiteres kennt, als daß in demselben die sinnlichen Freuden des Harems als die höchste, religiös geheiligte und auch über die Schranken des irdischen Daseins hinaus durch nichts zu übertreffende oder zu ersetzende Glückseligkeit gelten. Auf dieses Sinnlichkeits-Princip des Islam hatte unstreitig Mohammeds eigenes wollüstiges Temperament nicht geringen Einfluß, ebenso unläugbar aber ist, daß der kluge Prophet, der alle vorhandenen religiösen Elemente wohl kannte, dabei den ganzen Geist der asiatischen Völker, die er zunächst im Auge hatte, berücksichtigte. Wenn die indischen Odalisken und die Houris des Jenseits dem Muselmann nicht blos als Belohnung vorgehalten werden, sondern der geschlechtliche Umgang mit ihnen auch als die schönste Erfüllung seiner religiösen Pflichten gilt, so stimmt dieß ganz überein mit jener alterthümlichen Anschauung, die wir auch als die ernstliche Ansicht des A. Testaments treffen, daß Unfruchtbarkeit der größte Unsegen, daß seinem Bruder Samen erwecken die heiligste Pflicht der Blutsfreundschaft sei. Diese religiöse Verpflichtung des Islam aber lernen wir auf's anmuthigste kennen aus der naiven persischen Anekdote von der eifrigen Anhängerin des Koran, die ihren Mann an die religiöse Vorschrift erinnert, welche die Erfüllung der ehelichen Pflichten nach den drei Steigerungsgraden für den ersten Fall dem Opfer eines Hammels, für den zweiten dem eines Kameels, für den dritten sogar der Freilassung eines Sklaven gleichstellt. Der Hammel war bald geschlachtet, auch das Kameel ging durch das Nadelöhr, als aber die unermüdliche Frau vollends die Freilassung des Sklaven in Anregung brachte, antwortete der Mann: »Laß mich frei, ich bin dein Sklave.«
Wenn man nun aber diesen religiösen Principien zufolge, die Alles erlauben, ja, die das Unerlaubte gerade verlangen und gebieten, glauben sollte, daß irgend jemals die Prostitution die allgemein geltende Form des geschlechtlichen Lebens gewesen sei, so würde man sich sehr irren. Wie gegen den jeder Sinnlichkeit feindlichen Spiritualismus mit seinem Gebot der absoluten Enthaltsamkeit das Leben selbst sich auflehnt, so findet die entgegengesetzte Forderung der absoluten Hingabe an die Sinnlichkeit von selbst ihre notwendigen inneren und äußeren Schranken. Die Beschränktheit der äußeren Verhältnisse macht jene üppige Befriedigung der Sinnlichkeit der großen Masse immer zur Unmöglichkeit. Wo aber auch die äußeren Schranken nicht entgegenstehen, da ist es der innere geistige Trieb, der immer über eine geistlose abstumpfende Sinnlichkeit sich zu erheben strebt, und mir in der Verbindung des Sinnlichen mit der gegenüberstehenden Seite der Innerlichkeit und Phantasie den immer frischen Reiz der Schönheit und des Genusses findet.
Das erste Beispiel eines höheren würdigen Verhältnisses finden wir wieder im A. Testament, bei den Erzvätern, welche deswegen – was bei näherer Betrachtung freilich sehr sonderbar erscheinen muß – mit ihren frommen Frauen selbst in unserer Zeit als Muster ehelichen Lebens aufgestellt zu werden pflegen. Am interessantesten ist hier die Geschichte Jakobs, dessen Werbung um die geliebte Rahel mit den dabei übernommenen schweren Bedingungen und den angewandten glücklichen Listen die erste Liebesintrigue genannt werden kann. Das langjährige leidenschaftliche Schmachten nach der Angebeteten ist nun aber durchaus kein Hinderniß für den dauernden Besitz von deren Schwester, für die vorübergehende Berührung mit den untergeordneten Sklavinnen. Ja die Frau, die doch in einer Art von sentimentalem Verhältniß zu dem Manne steht, welchen der Herzenszug zu ihr führte, bringt ihm selbst ihre Dienerin, damit diese auf ihren Schoos gebäre, und dadurch ihr Ansehen im Hause neu befestigt werde. Wir sehen: es liegt hier ganz die ursprüngliche natürliche Ansicht von dem geschlechtlichen Verhältniß zu Grunde, wie wir sie ganz ebenso auch in den ältesten Zeiten der Griechen finden. Die ungehinderte Sinnlichkeit ist noch das sich von selbst verstehende, die Anfänge der Gesittung, der strengere Charakter des thätigen Nomadenlebens aber haben bereits die Notwendigkeit einer gewissen Ordnung und Regelung nahe gelegt. Es ist eine, es sind ausnahmsweise auch mehrere Frauen des Hauses da, welche herrschen und von dem ganzen Stamm geehrt sein wollen; läßt ihnen der Mann dieses ihrer Geburt und Stellung gebührende Recht widerfahren, so fühlen sie sich dagegen keineswegs gekränkt, wenn er mit seiner sinnlichen Begierde sich untergeordneten Weibern zuwendet, sie finden dieß nach Umständen sogar wünschenswerth und nothwendig.
Finden wir bei den strengen Ebräern die älteste Schilderung eines durch das Gebot der äußeren Ordnung und Zweckmäßigkeit sich unwillkürlich zu höherer sittlicher Würde erhebenden Verhältnisses, so liefern uns die weichen, phantasievollen Juden die erste eigentlich dichterisch behandelte, romantische Liebesgeschichte in dem vielfach übersetzten und allgemein bekannten Epos: »Nal und Damajanti.« Die ganze Anlage dieses Gedichtes und die einzelnen Ausführungen sind so, daß dasselbe mit Recht als der erste Liebes-Roman angesehen werden kann. Ein Königssohn und eine Prinzessin wachsen, eins dem andern unbekannt, für einander heran:
Der fromme Nal, der Held,
Der Edle, Veda-kund'ge,
Der große Führer im Feld;
Ein sichrer Schutz, ein Herrscher
Wie Mann selber traun!
Der eignen Sinne Meister,
Ein Liebling schöner Frau'n.
Die holde Damajanti aber:
– unter hundert Schönen
Erglänzt sie im Saal,
Wie in der dunkeln Wolke
Der lichte Wetterstrahl.
Ein herzentzückend Mädchen
Für Götter selbst zu schön.
Schwäne sind ihrer Liebe Boten und erzählen beiden von einander; sie sprechen zu Damajanti:
Du bist der Frauen Perle,
Doch Nal der Männer Licht.
Wie herrlich, wenn die Schönste
Dem Schönsten würd' vereint!
Ein festlicher Tag, an dem Damajanti sich den Gatten wählen soll, versammelt Götter und Menschen an ihres Vaters Hof; sie reicht die Palme dem Nal, der ihr nun folgende Versicherung seiner Liebe und Treue gibt:
So lang ein Athemzug nur,
Du Süße, sich regt in mir,
Werd' ich Dich nicht verlassen;
Die Wahrheit sag' ich Dir!
Auch über das Verhältniß des Gatten und der Gattin kommen die schönsten Stellen vor, die sich dem Inhalt nach von ähnlichen in christlichen Erzeugnissen nicht unterscheiden, deren zarter Ausdruck aber die ältesten und besten unserer Romane bei weitem übertrifft. Durch feindselige Götter wird Nal berückt und verläßt in unseliger Verblendung die treue Gattin, welche nun aber weder durch Ströme und Berge, noch durch die Schrecken der Wildniß sich abhalten läßt, dem geliebten Mann zu folgen, bis ihre Treue Alles überwunden und versöhnt hat. Unwillkürlich wird man an die phantastischen Ritterromane des Mittelalters ebenso wie an die einfacheren Volksgeschichten, einer Genovefa u. a. erinnert. Bedenkt man, daß die Heimath dieser Dichtung Indien ist, das Vaterland der Bajaderen, über die man aus jedem Conversations-Lexicon lernen kann, daß es Ehrensache eines vornehmen Bewirthers ist, dieselben für seine Gäste kommen zu lassen und die Mädchen selbst für ihre Hingabe zu belohnen, so wird man gestehen müssen, daß auch die unbeschränkte und unbefangenste Sinnlichkeit von selbst zu den feinsten Empfindungen leitet, daß beide recht wohl auch neben einander bestehen können.
Noch fehlt aber eine genauere Schilderung des Haremslebens, denn allerdings geht die indische Erzählung von ganz anderen Verhältnissen aus, als der in Vorderasien von der ältesten bis auf die neueste Zeit herrschenden Sitte. Es ist nun merkwürdig, wie hierüber die Nachrichten aller Zeiten übereinstimmen, so daß man sich überzeugen muß, daß die von uns meistens als bloße Aeußerung der brutalsten Sinnlichkeit verabscheute Lebensweise der Mohammedaner in Wahrheit nichts Anderes ist, als das, was wir von den Patriarchen und jüdischen Königen als die natürliche ursprüngliche Sitte, als etwas ganz Unverfängliches aufnehmen. Der neueste Schriftsteller über die Türken, Charles White, versichert uns, daß die Haremsfrauen meist Sklavinnen sind, die dem Sultan von seiner Mutter, seinen Tanten, Schwestern oder Favoritinnen zum Geschenk gemacht werden, ganz so wie bei den Erzvätern. Die Haremsetikette aber wird mit der genauesten Pünktlichkeit und Strenge beobachtet und bildet so die stärkste Schranke für die Gelüste des Sultans. Dieß geht so weit, daß nach der Behauptung desselben Schriftstellers eine der Ursachen, die im Jahre 1648 den Tod des Sultans Ibrahim herbeiführten, die Verachtung dieser Haremsgesetze war und die Art, wie er seine Gewalt über seine Sklavinnen mißbrauchte. Daß ein in das Harem gebrachtes Mädchen deßwegen nicht sogleich und ohne Weiteres der Lust des Gebieters preisgegeben war, erfahren wir auf ebenso merkwürdige als schöne Weise aus dem hohen Liede Salomo's, einer Dichtung, mit welcher wegen der ganz übereinstimmenden Sitte unzählige Liebeslieder der Orientalen die auffallendste Aehnlichkeit haben. In dem »hohen Lied« wird die Geschichte einer Winzerin aus Ephraim erzählt, welche, von Salomo's Streifschaaren gefangen, in das Harem nach Jerusalem gebracht wird. Statt als Gebieter nahet sich ihr nun aber Salomo als demüthiger, schmachtender Werber; er sucht ihre weibliche Eitelkeit rege zu machen, indem er – wie die Liebhaber aller Zeiten – auf's Leidenschaftlichste ihre Schönheit preist; ganz als königlicher Liebhaber aber tritt er auf, wenn er zu dem armen schmucklosen Mädchen mit vornehmer, herablassender Freigebigkeit sagt:
Goldene Kettchen schaffen wir Dir.
Ebenso fühlen wir uns ganz in das Harem, wie es zu allen Zeiten war, versetzt, wenn die Haremsfrauen durch ihre Lobpreisungen des königlichen Herrn die Lüsternheit der unerfahrenen Jungfrau zu erwecken suchen:
Erste Haremsfrau.
Ach würd' ein Kuß mir von seines Mundes Küssen!
Zweite Haremsfrau.
Mich führt' er schon einmal in seine Gemächer.
Als sich die Winzerin trotz aller dieser üppigen Lockungen nur nach ihrem Geliebten, dem Hirten, sehnt und nach seiner zärtlichen Umarmung unter dem blühenden Apfelbaum, wird sie von den, das vornehme Haremsleben als den Gipfel aller menschlichen Glückseligkeit betrachtenden Weibern verhöhnt; die Königin Mutter aber, welche auch hier als die Herrin des Harems auftritt, nimmt sich der Unschuld und Liebe an; die treue Sulamerin wird ihrem Hirten wiedergegeben, der stolze Salomo aber mit aller seiner ägyptischen Rossespracht ist der Verspottete, in seiner zuversichtlichen Liebesbrunst Getäuschte.
Das hohe Lied ist, wie gesagt, das Vorbild für eine Menge orientalischer Liebesdichtungen. Die Darstellungen leidenschaftlicher, romantischer Liebe bewegen sich naturgemäß meist in den höheren Sphären der Gesellschaft, hier aber ist im Orient die Situation fast immer dieselbe. Die geistreiche Lady Montague sendet dem berühmten Pope ein Liebesgedicht, welches der Vezier Ibrahim Pascha an die ihm vermählte Tochter des Sultans Achmet richtet. Diese Prinzessin ist bereits in sein Harem eingeführt, dennoch aber darf er sie nicht ohne Zeugen sehen und klagt nun, wie ein sehnsüchtiger Bräutigam, daß die Stunde des Besitzes so lange auf sich warten lasse, daß ihm nicht einmal ein Kuß von ihren Lippen zu Theil werde, daß sie mit den scheuen Augen des Hirsches sich von ihm abwende. Nicht einmal die Vermählung also gab hier ein Recht auf den Besitz, welcher vielmehr nur eine Gewährung freiester Liebe sein sollte. Wie ganz verschieden ist dieß von den gewöhnlichen Vorstellungen über orientalisches Leben, und wie sehr hat die vorurtheilsfreie Lady Recht, wenn sie hierin eine wunderbare Aehnlichkeit mit dem ihr nach seiner Veranlassung und näheren Zusammenhang nicht einmal genauer bekannten hohen Liede Salomo's findet.
Die höchste Blüthe orientalischer Cultur fällt bekanntlich in die Jahrhunderte vor den Kreuzzügen. Nicht nur die rühmlichsten Werke der Wissenschaft gingen von den Arabern aus, die damit dem dunklen Abendland auf nicht genug anzuerkennende Weise voranleuchteten, sondern auch an den Erzeugnissen der Phantasie war das Morgenland damals außerordentlich reich. Die spitzfindige Leidenschaft der Perser, die reiche Phantastik der Inder hatte sich mit der energischen Gluth der Araber verbunden. Die Sänger der Liebe zogen an den Höfen umher und suchten einander ebenso die Palme des Liedes abzuringen, wie später ihre abendländischen Nachfolger, die Troubadours und Minnesänger. Was die dichterischen Erzählungen von liebesiechen Prinzen melden, ist historische Wahrheit in Beziehung auf den Chalifen Jezid in Damaskus, dessen Hof durch die daselbst gesungenen zierlichen Liebeslieder bei allen Muselmännern Jahrhunderte lang berühmt war, und der aus Gram über den Verlust seiner schönen Sklavin Hahaba starb im Jahr 724 v.Chr. Daß nun auch in dieser Hinsicht das Morgenland den größten Einfluß auf das Abendland ausübte, ist unläugbar; wie wir Alles aus dem Orient haben, so auch die Liebe. Um nur an Eines zu erinnern: Die Templer gingen in dem Palast des Sultans von Aegypten ein und aus, als ob sie da zu Hause wären; sie lernten ganz die orientalische Lebensweise kennen und eigneten sich dieselbe auch vielfach an, wozu ihr Gelübde der Ehelosigkeit nicht wenig beitrug. Auf diese saracenische Sinnlichkeit bezogen sich hauptsächlich die dunkeln Gerüchte, die über sie in Europa umgingen und ihnen den Untergang zuzogen. Ueberhaupt leitete man im Mittelalter alles sinnliche Raffinement von den »Heiden«, den Saracenen ab, was am besten aus Tasso zu ersehen ist, welcher die heidnischen Sirenen eine vollständige Theorie der sinnlichen Lust vortragen läßt, um den christlichen Helden zu berücken. Diese Lockungen der Sinnlichkeit galten freilich für heidnisch und verwerflich, sie senkten sich aber deßwegen nicht weniger tief ein. Diese sinnliche Anregung aber war nöthig, um den Abendländern auch einen höheren sentimentalen Schwung beizubringen, welcher nur da mit besonderer Stärke hervortreten kann, wo er die sinnliche Basis gewonnen hat. Die älteste mittelalterliche Liebesdichtung hatte daher ihren Sitz in Spanien, wo Christen und Saracenen sich am nächsten berührten. Namentlich Wechselheirathen waren hier etwas Gewöhnliches und in diese gemischten Ehen brachte nun der saracenische Theil jene dem Abendländer noch fehlende Schwärmerei der Sinne mit, während dieser die Tiefe und Innigkeit des christlichen Gemüths zur Mitgift hatte. Hieraus entsprangen jene reizenden Romanzen, welche in ihrem äußeren Kostüm halb christlich und halb mohrisch sind und ebenso die beiderseitige innere Anschauungsweise in sich vereinigen.
Schon hier also haben wir den Uebergang von dem natürlichen, unbefangen sinnlichen Standpunkt zu dem geistigen, der uns von einer andern Seite später in noch bedeutenderer Weise entgegen treten wird. Ehe wir aber zu dem Gegensatz des Griechisch-Klassischen und des Christlichen übergehen, den wir hierbei im Auge haben, ist noch ein Wort über die weiteren Zustände des Orients zu sagen. Was nämlich von poetischem Schwung und feinerem Sentiment der mohammedanischen Bevölkerung gesagt worden, wird man geneigt sein, auf jene Blüthezeiten des Islam einzuschränken, in welchen derselbe der christlichen Welt geistig unläugbar in jeder Beziehung weit überlegen war. Für jene Zeit gibt man Alles gern zu, von den Muselmännern unserer Tage dagegen hört man allgemein die Ansicht, daß jede physische und geistige Kraft von ihnen gewichen sei; die alten Saracenen ist man gewohnt in dem romantischen Licht von Tausend und Eine Nacht zu betrachten, über die Türken aber hat man von den neueren Reisebeschreibungen lange Zeit nichts gehört, als daß die Männer durch die Freuden des Harems entnervt seien, und daß die Frauen in diesem lebenslänglichen Gefängniß das elendeste Leben, geisttötender Langeweile führen. Hiegegen ist auf die bereits erwähnte Lady Montague zu verweisen, welche schon an sich, wegen ihrer Person und ihrer Schicksale, eine Stelle in der Geschichte der Liebe verdient, deren Briefe aus der Türkei von den Jahren 1717 und 18 aber namentlich in unseren Tagen auch von besonderem geschichtlichem Interesse sind. Diese Dame, die mit den Sitten der Türken und dem Harem insbesondere vertrauter geworden ist, als irgend eine andere Europäerin, kann sich in ihren köstlichen Briefen nicht genug lustig machen über die sonderbaren Vorstellungen, die man sich hievon in Europa mache. Auch sie erzählt, daß kein Mann auf die Sklavinnen seiner Frau nur ein Auge werfen dürfe ohne die Erlaubniß der letztern. Wer eine Geliebte haben wolle, der unterhalte sie in einem besondern Hause und besuche sie insgeheim, ganz ebenso wie bei uns. Unter allen Großen am türkischen Hof kenne sie nur den einen Finanzminister, der eine Anzahl von Sklavinnen für seine Lust halte, und dieser Mann gelte allgemein für einen Wüstling, den seine eigene Frau nicht mehr sehen wolle. Diese bemitleideten türkischen Frauen aber genießen nach ihrer Ansicht mehr Freiheit, als bei uns. Unter ihrem Schleier können sie überall incognito hingehen, ohne daß ein Mann wagen dürfe, ihnen zu folgen. Wollen sie eine Liebschaft anfangen, so bieten ihnen die Läden der jüdischen Kaufleute und Juweliere die beste Gelegenheit und sie seien um so sicherer, da wegen des unerläßlichen Schleiers Niemand, meistens nicht einmal der Begünstigte, sie kenne. Prächtig und ganz an die Zeiten der nackten griechischen Schönheit erinnernd, ist ihre Schilderung des türkischen Bades in Adrianopel. Zweihundert der schönsten Frauen sitzen ohne irgend eine andere Hülle für ihre Reize als die lang hinunterwallenden Haare, die sie von ihren Sklavinnen flechten lassen, auf Polstern im Kreis umher, Kaffee trinkend und sich unterhaltend. Nirgends aber ein Lächeln, ein neugieriger, unbescheidener Blick, wie bei eben so viel Europäerinnen in ähnlicher Lage unvermeidlich wäre. Von der gesellschaftlichen Bildung dieser Frauen wird jede Leserin einen vortheilhaften Begriff bekommen, wenn sie von der schönen Fatime hört, einer Freundin der Lady, welche diese nicht satt werden kann, wegen ihrer unvergleichlichen Schönheit ebenso wie wegen ihres Geistes zu preisen. Als die artige Europäerin das Compliment machte, daß, wenn alle Türkinnen der reizenden Fatime glichen, es für die Ruhe der Männer unumgänglich nothwendig wäre, sie jedem Anblick zu entziehen, gab diese nicht minder gewandt zurück: »wenn die Schönheit in Ihrem Lande so selten wäre, als Sie glauben machen wollen, so hätte man Sie gewiß nicht fortgelassen.«
Alles, was wir hier hören, bestärkt uns also in der Ansicht, daß die Bildungsstufe der Türkinnen keineswegs eine so niedrige ist, wie man meistens anzunehmen pflegt, und daß demzufolge auch das geschlechtliche Verhältniß bei ihnen keineswegs ein roh-sinnliches sein kann. Dieß spricht aber für die allgemeine Behauptung, daß die freie Sinnlichkeit in sich selbst ihre Correktur trägt, und ungestört sich überlassen, notwendig zu höherer geistiger Feinheit führt, wovon die Geschichte kein leuchtenderes Beispiel kennt, als das der schönen hellenischen Menschheit.