Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ehre und Nutzen fallen nicht immer zusammen. –
George Herbert.
Die Selbstbeherrschung ist die wahre Freiheit des Individuums. –
Friedrich Perthes.
Selbstbeherrschung ist nur eine andere Form des Mutes. Man kann sie fast als die Grundessenz des Charakters ansehen. Dank dieser Eigenschaft definiert Shakespeare den Menschen als ein Wesen, »das vor und hinter sich schaut.« Sie bildet den Hauptunterschied zwischen dem Menschen und dem Tier, und es gibt keine wahre Männlichkeit ohne sie.
Die Selbstbeherrschung ist die Wurzel aller Tugenden. Sobald ein Mensch allen Impulsen und Leidenschaften die Zügel schießen läßt, gibt er seine moralische Freiheit auf. Er wird von dem Strome des Lebens mitgerissen und wird der Sklave seiner gerade vorherrschenden Begierde.
Um moralisch frei, um mehr als ein Tier zu sein, muß der Mensch seinen augenblicklichen Eingebungen widerstehen können. Dies kann nur durch die Selbstbeherrschung geschehen. Daher bildet diese Kraft den wahren Unterschied zwischen physischem und moralischem Leben und die Grundlage des individuellen Charakters. Die Bibel lobt nicht den Starken, der eine »Stadt bezwingt«, sondern den Stärkeren, der »sein Herz besiegt«. Der Stärkere übt durch Selbstzucht eine beständige Kontrolle über seine Gedanken, Worte und Taten aus. Neun Zehntel der schlimmen Wünsche, welche die Gesellschaft erniedrigen und, wenn sie nachsichtig behandelt werden, zu Verbrechen anwachsen, würden bei tapferer Selbstzucht, Selbstachtung und -beherrschung zunichte werden. Durch die achtsame Übung dieser Tugenden wird Reinheit des Herzens und Sinnes erworben, und der Charakter gewinnt an Keuschheit, Tugend und Mäßigung.
Die beste Stütze des Charakters ist immer die Gewohnheit, die je nach der Richtung des Willens zum segensreichen Herrscher oder grausamen Despoten wird. Wir werden ihr williger Untertan oder andererseits ihr Sklave. Sie kann uns auf den Weg zum Guten führen oder uns ins Verderben stürzen.
Die Gewohnheit wird durch eine sorgfältige Erziehung ausgebildet und es ist erstaunlich, wieviel sich durch systematische Disziplin und Zucht erreichen läßt. Man sehe nur, wie Zucht und Ordnung aus dem ungeeignetsten Material – aus von der Straße aufgelesenen Raufbolden und aus rohen ungewaschenen Landburschen, die vom Pfluge weggeholt sind – die ganz unvermuteten Eigenschaften des Mutes, der Ausdauer und Selbstaufopferung hervorbringen, und wie auf dem Schlachtfelde oder bei den noch größeren Gefahren der See solche wohldisziplinierten Leute Taten echter Bravour und echten Heldenmutes vollbringen.
Auch auf die Bildung des Charakters ist moralische Disziplin und Übung von großem Einfluß. Ohne sie gibt es in der Lebensführung weder System noch Ordnung. Auf ihr beruht die Pflege der Selbstachtung, die Erziehung zum Gehorsam, die Entwicklung des Pflichtgefühls. Der Mann von der größten Selbständigkeit und Selbstbeherrschung muß sich in beständiger Zucht halten, und je vollkommener diese ist, desto höher wird seine sittliche Stellung sein. Er muß seine Wünsche bezähmen und sie den höheren Kräften seiner Natur unterordnen. Sie müssen dem Kommandowort seines innern Beraters, seinem Gewissen, gehorchen, oder sie werden nur die Sklaven seiner Neigungen, der Spielball seiner Gefühle und Triebe.
»In der Überlegenheit der Selbstbeherrschung,« sagt Herbert Spencer, »besteht eine der Hauptkräfte des idealen Mannes. Nicht impulsiv zu sein – nicht von jedem auftauchenden Wunsche bald hierher, bald dorthin getrieben werden – aber gefaßt und ausgeglichen bleiben, sich von den im Rate versammelten Gefühlen leiten lassen, vor dem jede Tat vorher gründlich überlegt und ruhig entschieden wird, das sollte die Erziehung, zum mindesten die moralische Erziehung, hervorbringen.«
Die erste und auch beste Bildungsanstalt moralischer Disziplin ist, wie wir schon gesehen haben, das Haus, danach kommt die Schule, und hierauf die Welt, die große Schule praktischen Lebens. Jede bereitet auf die andere vor, und was aus den Menschen wird, hängt größtenteils von ihrem vorausgehenden Leben ab. Wenn sie die Wohltat des Keimes oder der Schule nicht kennen lernten, sondern ohne Zucht, Erziehung und Unterricht aufwuchsen, dann wehe ihnen – wehe auch der Gesellschaft, der sie angehören.
Die bestgeordnete Häuslichkeit ist immer diejenige, in welcher die Disziplin am vollkommensten ist und doch am wenigsten gefühlt wird. Die moralische Disziplin wirkt mit der Kraft eines Naturgesetzes. Die ihr unterworfen sind, folgen ihr ganz unbewußt; und obgleich sie den ganzen Charakter bildet und formt, bis das Leben zu Gewohnheiten erstarrt, wird doch ihr Einfluß fast nicht bemerkt und gefühlt.
Die Wichtigkeit strenger häuslicher Disziplin wird in besonderer Weise durch eine Tatsache illustriert, die Frau Schimmelpenninck in ihren Memoiren mitteilt. Eine Dame, die mit ihrem Gatten die meisten Irrenhäuser Englands und des Kontinents besucht hatte, fand, daß die meisten Kranken einzige Kinder gewesen waren, denen man daher den Willen allzuhäufig gelassen hatte, während solche, die aus einer zahlreichen Familie stammten, und in guter Zucht aufgewachsen waren, der Krankheit weit seltener zum Opfer fielen. Obgleich der moralische Charakter in hohem Grade ebenso sehr von Temperament und physischer Gesundheit wie von häuslicher Erziehung von Jugend an und dem Umgang abhängt, liegt es auch in der Macht jedes einzelnen, ihn durch achtsame und beharrliche Selbstbeherrschung zu zügeln, zu beschränken und zu schulen. Ein kompetenter Pädagog sagte, daß Neigungen und Gewohnheiten ebenso leicht gelehrt werden können, wie Latein und Griechisch, während sie zur Glückseligkeit weit wichtiger sind.
Obgleich Dr. Johnson von Natur aus sehr zur Schwermut geneigt war, und seit seinen Jugendjahren mehr als jeder andere mit ihr zu kämpfen hatte, so sagte er doch, daß »die gute oder schlechte Laune eines Mannes sehr von seinem Willen abhängt.« Wir können uns einerseits an Geduld und Zufriedenheit gewöhnen, andererseits auch an Murren und Unzufriedenheit. Wir können uns daran gewöhnen, kleine Übel zu übertreiben und große Segnungen zu unterschätzen. Wir können sogar die Opfer kleiner Leiden werden, wenn mir uns ihnen überlassen. So können wir uns zu einer heiteren wie zu einer düsteren Lebensanschauung erziehen. In der Tat kann die Gewohnheit, alles von der guten Seite zu nehmen und hoffnungsvoll ins Leben zu blicken, wie eine andere Gewohnheit auch anerzogen werden.
Auch der Geschäftsmann muß sich strenger Regel und Ordnung unterwerfen. Das Geschäft wird wie das Leben durch moralische Hebel gehandhabt und in beiden beruht der Erfolg zum großen Teil auf der Gemütsruhe und Selbstbeherrschung, die dem Weisen die Herrschaft über sich und andere verleihen. Ausharren und Selbstbeherrschung ebnen den Lebensweg und öffnen viele Tore, die sonst verschlossen blieben. Und so ist es mit der Selbstachtung; denn wie die Menschen sich selbst achten, werden sie auch die Persönlichkeit anderer respektieren.
Ähnlich ist es in der Politik. In jeder Lebenssphäre wird der Erfolg weniger durch Talent als Temperament, weniger durch Genie als Charakter errungen. Wenn jemand sich nicht selbst beherrschen kann, verliert er die Geduld und den Takt, und hat weder die Macht, sich selbst noch andere zu leiten. Als man in Gegenwart Pitts von der Haupteigenschaft eines Premierministers sprach, meinte einer »Beredsamkeit«, ein anderer »Gelehrsamkeit«, ein dritter »Arbeitskraft«. »Nein,« sagte Pitt, »es ist die Geduld.« Und Geduld bedeutet Selbstbeherrschung, worin er groß war. Sein Freund George Rose sagte, er hätte Pitt nie außer sich gesehen.
Obgleich die Geduld immer als eine »langsame« Tugend angesehen wird, war sie bei Pitt doch immer mit großer Gewandtheit, Kraft und Schnelligkeit im Denken wie im Handeln verbunden.
Durch Geduld und Selbstbeherrschung wird der wahrhaft heroische Charakter vollkommen. Diese gehörten zu den hervorstechendsten Charaktereigentümlichkeiten des großen Hampden, dessen edle Eigenschaften auch von seinen politischen Gegnern großmütig anerkannt wurden. So beschreibt ihn Clarendon als einen Mann von seltener Gemütsruhe und Bescheidenheit, von natürlicher Heiterkeit und Lebhaftigkeit und vor allem von großer Liebenswürdigkeit. Er war gütig und unerschrocken, doch sanft, von untadelhafter Rede, und sein Herz strömte von Menschenliebe über. Er war kein Mann von vielen Worten, aber jedes Wort hatte bei seinem unantastbaren Charakter großes Gewicht. »Niemand hatte je größere Macht über sich ... Er war in seiner Lebensweise sehr mäßig und beherrschte alle seine Leidenschaften und Neigungen. Dadurch hatte er große Gewalt über andere.« Sir Philipp Warwick, ein anderer seiner politischen Gegner, beschreibt seinen großen Einfluß bei einem Streite: »Wir hätten einander an den Haaren gepackt und uns den Degen in den Leib gestoßen, hätte dies nicht die Weisheit und Ruhe Hampden« verhindert, der uns durch eine kurze Rede veranlaßte, den Streit bis zum nächsten Morgen aufzuschieben!«
Ein heftiges Temperament braucht nicht ein schlechtes Temperament zu sein. Aber je heftiger es ist, desto mehr bedarf es der Selbstzucht und Selbstbeherrschung. Dr. Jonson sagt, daß die Menschen mit zunehmendem Alter besser werden und durch Erfahrung veredelt werden. Aber dies beruht doch auf der Größe, Tiefe und Güte der menschlichen Natur. Nicht die Fehler der Menschen stürzen sie ins Verderben, als vielmehr ihr Benehmen, nachdem sie einen Fehler begangen haben. Der Weise beherzigt die Lehre, die sie ihm geben und vermeidet sie in Zukunft! aber auf manche übt die Erfahrung keinen bessernden Einfluß aus. Sie werden mit der Zeit nur engherziger, verbitterter und schlechter.
Was man bei einem jungen Manne heftiges Temperament nennt, ist oft nur ein hoher Grad unreifer Energie, die bei richtiger Leitung zu nützlicher Arbeit wird. Der Franzose Stephan Gerald, der in den Vereinigten Staaten eine sehr erfolgreiche Laufbahn einschlug, soll, als er von einem Schreiber mit sehr heftigem Temperament hörte, ihn sofort angestellt und im Zimmer bei sich haben arbeiten lassen. Gerard war nämlich der Meinung, daß solche Leute die besten Arbeiter sind, und daß ihre Energie sich in tüchtiger Arbeit Luft mache, wenn ihre Streitsucht eingedämmt wird.
Ein heftiges Temperament kann auch das Anzeichen eines starken, leicht erregbaren Willens sein. Unbezähmt, entfaltet es sich in jähen Ausbrüchen der Leidenschaft; aber wenn es kontrolliert und bezähmt wird – wie der Dampf in dem Mechanismus der Dampfmaschine reguliert und kontrolliert wird von Ventilen, Regulatoren und Hebeln – kann es zu einer Quelle energischer Kraft und großen Nutzens werden. So waren auch einige der größten Charaktere in der Geschichte Männer von heftigem Temperament, aber von ebenso großer Willenskraft, vermöge deren sie ihre ungestümen Triebe unter strenger Kontrolle hielten.
Der berühmte Graf Strafford war von äußerst cholerischer und leidenschaftlicher Natur und mußte sehr mit sich kämpfen, um sein Temperament zu zügeln. Mit Bezug auf den Rat eines seiner Freunde, des alten Sekretärs Cooke, der ehrlich genug war, ihn auf seine Schwäche aufmerksam zu machen und ihn davor zu warnen, schrieb er: »Euer Rat, daß ich geduldig sein soll, ist gut. Meine Jahre und natürlichen Anlagen geben mir in der Tat mehr als genug Hitze, die indessen, wie ich glaube, mehr Erfahrung abkühlen und Wachsamkeit mit der Zeit überwinden sollen. Inzwischen wird sie dadurch verzeihlicher erscheinen, daß mein ganzer Eifer der Ehre, Gerechtigkeit und dem Nutzen meines Herrn gilt. Nicht der Ärger, sondern die falsche Anwendung macht das Übel so tadelnswert für die, welche sich ihm zu ihrem Schaden hingeben.«
Auch Cromwell soll in der Jugend von heftigem und ungestümem Temperament gewesen sein, von wildem, schwer zu lenkendem Sinn – mit einer Menge jugendlicher Energie, die sich in einer Menge von Jugendstreichen Luft machte. Er stand sogar in seiner Vaterstadt in dem Rufe eines Raufboldes und schien sehr schnell zu sinken, als die Religion in ihrer strengsten Form von seiner starken Natur Besitz ergriff und ihn der eisernen Disziplin des Calvinismus unterwarf. Seinem energischen Temperament wurde so eine ganz neue Richtung gegeben, er bahnte sich einen Weg in die Öffentlichkeit und wurde fast zwanzig Jahre lang der herrschende Einfluß in England.
Die heldenmütigen Fürsten aus dem Hause Nassau zeichneten sich alle durch dieselbe Selbstbeherrschung, Selbstverleugnung und Willensstärke aus. Wilhelm der Schweigsame erhielt diesen Beinamen nicht, weil er wenig gesprochen hätte,– denn er war ein beredter und gewaltiger Redner, wo die Beredsamkeit am Platze war, sondern weil er seine Zunge im Zaume halten konnte, wo die Klugheit zu schweigen gebot, und weil er seine Pläne sorgfältig geheim hielt, wo ihre Enthüllung der Freiheit seines Vaterlandes gefährlich gewesen wäre. Er war so sanft und versöhnlich in seinem Wesen, daß seine Feinde ihn als schüchtern und furchtsam bezeichneten. Wenn aber die Zeit zum Handeln gekommen war, so besaß er einen heldenhaften Mut, eine unbeugsame Entschlossenheit. »Der Fels im Meere,« sagt Motley, der Geschichtsschreiber der Niederlande, »ruhig inmitten brandender Wogen, das war das Bild, unter dem seine Freunde mit Vorliebe seine Entschlossenheit darstellten.«
Motley vergleicht Wilhelm den Schweigsamen mit Washington, dem er in der Tat in vieler Beziehung ähnelt. Der amerikanische Patriot steht wie der niederländische in der Geschichte wie die Personifikation der Würde, Tapferkeit, Reinheit und persönlichen Vortrefflichkeit. Seine Selbstbeherrschung, auch in großer Bedrängnis und Gefahr, war so groß, daß diejenigen, welche ihn nicht näher kannten, ihn für einen Mann von angeborener Ruhe und Passivität hielten. Doch war Washington von Natur ungestüm und heftig. Seine Milde, Sanftmut, Höflichkeit und Rücksichtnahme auf andere waren das Resultat seiner strengen Selbstbeherrschung und unermüdlichen Selbstzucht, die er von Jugend auf geübt hatte. Sein Biograph sagt von ihm, daß sein Temperament heftig und seine Leidenschaften stark waren; inmitten der vielen Szenen der Versuchung und Erregung bemühte er sich ständig, und hatte auch schließlich Erfolg damit, dem einen standzuhalten und die andern zu überwinden.« Und weiter: »Er hatte heftige Leidenschaften und bisweilen brachen sie mit großem Ungestüm hervor, aber er hatte die Kraft, sie im Augenblick zu zügeln. Vielleicht war die Selbstbeherrschung sein hervorstechendster Charakterzug. Zum Teil war sie ein Resultat der Erziehung; doch scheint er von Natur aus diese Kraft in einem Maße besessen zu haben, das andern versagt ist.«
Das natürliche Temperament des Herzogs von Wellington war wie das Napoleons äußerst erregbar, und nur durch achtsame Selbstbeherrschung konnte er es in Schranken halten. Gleich einem indianischen Häuptling zwang er sich in der Gefahr zu Kaltblütigkeit und Ruhe. Bei Waterloo und anderswo gab er auch in den kritischsten Augenblicken seine Befehle ohne die geringste Erregung und in noch ruhigerer Stimme als gewöhnlich.
Ein Mann kann von schwächlichem Körperbau sein, seine Seele aber, mit einem glücklichen Temperament gesegnet, kann groß sein, tätig, edel und herrschend. Professor Tyndall gab ein treffliches Bild des Charakters Faradays und seiner aufopfernden Arbeit für die Wissenschaft; er schildert ihn als einen Mann von starker, urwüchsiger und feuriger Natur und doch von äußerster Zartheit und Empfindlichkeit. »Unter seiner Milde und Liebenswürdigkeit glühte ein Vulkan. Er war ein Mann von leicht erregbarer Natur, aber durch seine Selbstbeherrschung hatte er das Feuer zur Zentralglut und Triebkraft des Lebens gemacht, anstatt es sich in nutzloser Leidenschaft austoben zu lassen.«
Bei Faradays Charakter muß man noch einen schönen Zug erwähnen, der der Selbstbeherrschung nahe verwandt ist: es ist seine Selbstverleugnung. Hätte er sich der analytischen Chemie gewidmet, so hätte er schnell ein großes Vermögen gesammelt, aber er widerstand der Versuchung und beschritt den Pfad reiner Wissenschaft. »Wenn man die Dauer seines Lebens in Betracht zieht,« sagt Tyndall, »so hatte dieser Sohn eines Schmiedes und Lehrling eines Buchbinders zwischen einem Vermögen von 150 000 Pfund und der unbezahlten Wissenschaft zu wählen. Er entschied sich für das letztere und starb als armer Mann. Aber ihm gebührt der Ruhm, daß er dem Namen Englands in der Wissenschaft Ansehen verlieh.«
Ein ähnliches Beispiel von der Selbstverleugnung eines Franzosen: Der Historiker Angnetil gehörte zu den wenigen Gelehrten, die sich unter das Joch Napoleons zu beugen weigerten. Er geriet in große Armut, lebte nur von Brot und Milch und schränkte seine Ausgaben auf täglich drei Sous ein. »Es bleiben mir so noch jeden Tag zwei Sous für den Sieger von Marengo und Austerlitz übrig,« sagte er. »Aber wenn du krank wirst,« sagte ein Freund zu ihm, »brauchtest du doch eine Pension. Warum nicht tun, was andere tun? Huldige dem Kaiser – du brauchst ihn zum Leben. »Ich brauche ihn nicht zum Sterben,« war die Antwort. Aber Angnetil starb nicht in Armut, er starb im Alter von vierundneunzig Jahren, und sagte am Vorabend seines Todes zu einem Freunde; »Komm und sieh, wie ein Mensch stirbt, der noch voller Leben ist!«
Wer ehrenhaft und friedlich durchs Leben gehen will, muß lernen, Selbstverleugnung im Kleinen wie im Großen zu üben. Die Menschen müssen tragen und dulden. Das Temperament muß der Besonnenheit unterworfen werden, und die kleinen Dämonen der schlechten Laune, der Reizbarkeit und des Sarkasmus müssen energisch ferngehalten werden. Wenn sie nur einmal Eingang fanden in den Geist, kommen sie immer wieder und lassen sich darin dauernd nieder.
Zu der persönlichen Glückseligkeit gehört es auch, ein jedes Wort wie eine jede Tat zu kontrollieren; denn es gibt Worte, die härter treffen als Schläge, und mancher teilt mit der Zunge Dolchstiche aus, der keinen Dolch besitzt. Das französische Sprichwort sagt: » Un coup de langue est pire qu'un coup de lance.« »Der Himmel behüte uns,« sagt Friederike Bremer in ihrem »Haus«, »vor der zerstörenden Gewalt der Rede. Es gibt Worte, die das Herz mehr als scharfe Schwerter verwunden, es gibt Worte, deren Stich man das ganze Leben im Herzen fühlt.«
So zeigt sich der Charakter in der Beherrschung der Rede wie bei andern Dingen. Der Weise unterdrückt den Wunsch, einen Witz oder Tadel auf Kosten eines andern auszusprechen, während der Narr alles ausplaudert, was er denkt, und eher den Freund als den Witz opfert. »Die Narren haben ihr Herz im Maul, aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen,« sagt Salomon.
Es gibt jedoch Menschen, die, ohne Narren zu sein, unbesonnen in Sprache und Handlung sind, weil es ihnen an Vorsicht, Selbstbeherrschung und Geduld fehlt. Der impulsive Genius, der die Gabe schnellen Denkens und eindringlicher Rede besitzt, läßt – vielleicht von dem Beifall des Augenblicks hingerissen – einen Sarkasmus fallen, der ihm unendlichen Schaden bringt. Sogar Staatsmänner könnte man anführen, die der Versuchung nicht widerstehen konnten, einen beißenden Witz auf Kosten ihrer Gegner zu machen. »Die Form eines Satzes,« sagt Bentham, »hat das Schicksal mancher Freundschaft und, wenn wir recht unterrichtet sind, auch manches Königreiches entschieden. Wenn daher jemand versucht ist, eine geschickte aber bissige Wendung niederzuschreiben, möge er sie, auch wenn es ihm schwer fällt, immer besser im Tintenfaß lassen«. »Ein Gänsekiel verwundet oft mehr als die Klaue eines Löwen,« sagt ein spanisches Sprichwort. Carlyle sagt, von Oliver Cromwell sprechend: »Wer seine Gedanken nicht für sich behalten kann, der kann nichts Bedeutendes ausführen.« Von Wilhelm dem Schweigsamen sagte einer seiner größten Gegner, daß man nie ein anmaßendes oder indiskretes Wort von seinen Lippen gehört habe. Gleich ihm war Washington beim Sprechen die Diskretion selbst und nie benutzte er die Schwäche eines Gegners, um im Wortkampf einen kurzlebigen Triumph zu feiern. Und man sagt, daß dem Weisen, der zu schweigen weiß, die Welt schließlich entgegenkommt.
Wir haben Männer von großer Erfahrung sagen hören, daß sie es bereuten, gesprochen, aber nie, geschwiegen zu haben. »Schweig still,« sagt Pythagoras, »oder sag etwas Besseres als das Schweigen.« »Sprich sachgemäß, sagt Georg Herbert, oder schweige weise.« St. Franz von Sales, den Leigh Hunt den »heiligen Gentleman« nennt, sagte: »Es ist besser, zu schweigen, als mit übler Laune die Wahrheit zu verkünden und so ein ausgezeichnetes Gericht dadurch verderben, daß man es mit schlechter Sauce übergießt«. Ein anderer Franzose räumt charakteristischerweise dem Sprechen die erste, dem Schweigen die zweite Stelle ein. »Nach der Rede,« sagt er, »ist das Schweigen die größte Macht in der Welt.«
Es gibt natürlich auch Zeiten und Gelegenheiten, wo der Ausdruck des Unwillens nicht nur berechtigt, sondern sogar geboten ist. Wir müssen über Falschheit, Selbstsucht und Grausamkeit empört sein. Ein Mann von wahren Gefühlen wird gegen Niedrigkeit oder Gemeinheit aufbrausen, auch wenn er nicht zu sprechen verpflichtet ist. »Ich möchte nichts mit einem Manne zu tun haben, sagte Perthes, »der nicht empört sein kann. Es gibt mehr Gute als Böse in der Welt; doch haben die Bösen die Oberhand, weil sie dreister sind. Wir können nicht umhin, uns über einen Mann zu freuen, der seine Fähigkeiten mit Entschiedenheit gebraucht, und wir ergreifen oft nur aus diesem Grunde seine Partei. Ohne Zweifel habe ich es oft bereut, gesprochen, aber nie, geschwiegen zu haben.«
Wer das Recht liebt, kann dem Unrecht gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Wenn er warm empfindet, wird er warme Worte aus der Fülle seines Herzens sprechen.
Wir müssen uns indessen vor zorniger Ungeduld hüten. Auch die Besten werden bisweilen ungeduldig und ihr Temperament, das sie ernst macht, läßt sie auch unduldsam erscheinen. Francis Horner sagt in einem seiner Briefe: »Gerade unter den aufrichtigsten und eifrigsten Freunden der Freiheit findet man die ärgsten Starrköpfe; Männer von eigensinniger Art, fränkischer Tugend – die nach einem Lieblingsausdruck Sharpes einen Keil mit dem breiten Ende vorweg eintreiben wollen und in politischen Dingen keine Mäßigkeit kennen.
Das beste Mittel gegen Ungeduld besteht in vermehrter Weisheit und Lebenserfahrung. Ein gebildeter Verstand wird den Menschen im allgemeinen vor den Unannehmlichkeiten bewahren, in die ihn moralische Ungeduld leicht stürzt. Der Verstand besteht dabei hauptsächlich in jener Geistesverfassung, die es ihrem Besitzer ermöglicht, die praktischen Angelegenheiten des Lebens gerecht, diskret und liebevoll zu behandeln. Daher pflegen gebildete und erfahrene Leute stets nachsichtig und duldsam zu sein, während unwissende, engherzige Personen unversöhnlich und intolerant sind. Große, hochherzige Naturen behandeln die Fehler und Mängel ihrer Mitmenschen mit Nachsicht, indem sie den Einfluß der Umstände auf die Bildung des Charakters und die beschränkte Widerstandskraft schwacher und energieloser Naturen gegenüber der Versuchung und dem Irrtum in Betracht ziehen. »Ich sehe keinen begangenen Irrtum,« sagt Goethe, »den ich nicht auch hätte begehen können.« Deshalb rief ein weiser und guter Mann aus, als man einen Verbrecher nach Tyburn schleifte: »Da schleifte man auch Jonathan Bradford – wenn ihn nicht Gottes Gnade behütet hätte!«
Das Leben ist im allgemeinen das, wozu wir es machen. Der Heitere baut sich eine heitere Welt, der Finstere eine finstere. Wir finden gewöhnlich in unserer Umgebung unser Temperament widergespiegelt. Wenn wir zänkisch sind, so ist sie es auch; sind wir unversöhnlich und unbarmherzig gegen sie, so ist sie es wieder gegen uns. Als jemand aus einer Abendgesellschaft heimkehrte, beklagte er sich gegen einen Schutzmann, daß ein unheimlich aussehender Kerl ihm folge; es zeigte sich, daß dies sein Schatten war. Und so ist es gewöhnlich mit unserm Schicksal, es ist größtenteils nur der Widerschein unseres eigenen Lebens. Wenn wir mit andern Menschen in Frieden leben und ihre Achtung erwerben wollen, müssen wir ihre Persönlichkeit respektieren. Jedermann hat seine Eigentümlichkeiten in Wesen und Charakter wie in Gestalt und Gesichtszügen, und wir müssen im Verkehr mit andern dieselben Rücksichten nehmen, die wir erwarten.
Wenn wir uns auch unserer Eigentümlichkeiten nicht bewußt sind, so existieren sie doch gewiß. Es gibt ein Dorf in Südamerika, wo der Kropf so verbreitet ist, daß es als Gebrechen gilt, keinen zu haben. Eines Tages kam eine Gesellschaft Engländer durch den Ort, als sich sofort eine Schar Neugieriger sammelte, die höhnend ausrief: »Seht diese Leute – sie haben keinen Kropf!«
Viele Leute legen viel Gewicht darauf, was andere von ihnen und ihren Eigentümlichkeiten denken. Einige sind zu sehr veranlagt, immer die schlimmste Seite zu nehmen und denken daher, von sich auf andere schließend, immer gleich das Schlimmste. Über es ist häufig der Fall, daß die Unfreundlichkeit anderer, wo sie wirklich vorkommt, nur der Widerschein unserer Unliebenswürdigkeit und Maßlosigkeit ist. Noch öfter kommt es vor, daß die Sorgen nur Ausgeburten unserer Phantasie sind. Und wenn auch unsere Umgebung unfreundlich von uns denkt, so werden wir die Sache nicht besser machen, wenn wir uns gegen sie erbittern. Wir setzen uns dabei nur unnötig ihrer Launenhaftigkeit oder Bosheit aus. »Das Böse, das aus unserm Mund kommt,« sagt George Herbert, »fällt oft in unsern Busen zurück.«
Der große und gute Philosoph Faraday erteilte in einem Briefe seinem Freunde, dem Professor Tyndall, folgenden an praktischer Lebenserfahrung reichen Rat: »Laß mich als alten Mann, der durch Erfahrung gereift ist, dir sagen, daß ich in meiner Jugend die Absichten anderer Leute oft falsch deutete, und daß sie oft nicht verstanden, was ich von ihnen voraussetzte; und weiter, eine allgemeine Regel, es war oft besser, wenn ich ein wenig schwer von Begriffen war bei Sätzen, die einen Stachel enthielten, und dann wieder schnell auffaßte, wenn sie ein freundliches Gefühl enthielten. Die Wahrheit kommt schließlich doch an den Tag, und wenn sich die Gegenpartei im Unrecht befindet, kann man sie leichter durch Nachsicht als durch Heftigkeit von ihrem Unrecht überzeugen. Was ich sagen will, ist: Es ist besser, den Resultaten der Parteilichkeit gegenüber blind zu sein, aber desto bereitwilliger den guten Willen anzuerkennen. Man empfindet auch mehr Glück in sich, wenn man den Frieden fördert. Du kannst dir kaum vorstellen, wie oft ich in ungerechter und übermütiger Weise, wie ich glaube, angegriffen worden bin, und doch habe ich mich erfolgreich bemüht, Antworten der gleichen Art zu unterdrücken. Und ich weiß, ich war nie der verlierende Teil.«
Während sich der Maler Barry in Rom aufhielt, stritt er sich wie gewöhnlich mit Künstlern und Dilettanten über Kunst und Kunsthandel herum. Da schrieb ihm sein Freund Edmund Burke – immer der großmütige Freund kämpfenden Verdienstes – gütig und verständig: »Glaube mir, lieber Barry, die Waffen, mit der die Mißgunst der Welt bekämpft wird, und die Eigenschaften, durch die wir uns mit ihr und sie mit uns versöhnen, sind Mäßigung, Sanftmut, ein wenig Nachsicht gegen andere und viel Mißtrauen gegen uns selbst. Dies sind nicht Eigenschaften eines kleinen Geistes, wie manche denken mögen, sondern Tugenden schöner und edler Art und unserer Natur würdig, wie sie zu unserer Ruhe und unserm Glück beitragen. Denn nichts ist einer edlen Seele unwürdiger, als das Leben in Streitigkeiten und Zänkereien – in mürrischem Benehmen gegen die Umgebung zu verbringen. Wir müssen mit den Menschen in Frieden leben, wenn nicht um ihret-, so doch um unsertwillen.«
Niemand kannte den Wert der Selbstbeherrschung besser als der Dichter Burns, und niemand konnte sie andern beredter lehren; aber wenn es zur Tat kam, war Burns einer der Schwächsten. Er konnte es sich nicht versagen, auf Kosten anderer einen beißenden Witz zu machen. Einer seiner Biographen bemerkt von ihm, daß nicht viel dazu gehörte, sich auszurechnen, daß er um zehn Witze sich hundert Feinde machte. Aber dies war noch nicht alles, der arme Burns konnte auch seine Begierden nicht beherrschen, sondern ließ ihnen frei die Zügel schießen.
Eins der Laster, dem Burns zum Opfer fiel – wohl ein Hauptlaster, weil es so viele andere nach sich zieht – war der Trunk. Er war nicht eigentlich nur Trunkenbold, aber weil er der Versuchung mit ihren schimpflichen Wirkungen leicht erlag, erniedrigte und verdarb er seine ganze Natur.
Aber der arme Burns steht nicht allein, denn von allen Lastern ist die Trunksucht, damals wie jetzt, am meisten populär, erniedrigend und zerstörend. Wenn es einen Tyrannen gäbe, der seine Untertanen zwingen würde, ihm ein Drittel oder mehr ihres Verdienstes zu opfern und zugleich verlangte, sie sollten sich einer Lebensweise ergeben, die sie zum Tier erniedrigt, den Frieden und die Wohlfahrt der Familie zerstört und Krankheit und den Keim des frühen Todes in sie säte, was für Protestversammlungen, was für Riesenprozessionen würden da veranstaltet! Was für Reden und Ansprachen an den Geist der Freiheit – was für Aufrufe gegen eine so ungeheuerliche und unnatürliche Tyranney! Und doch existiert ein solcher Tyrann unter uns: die Herrschaft ungezügelter Begierden, gegen die keine Waffengewalt, keine Rede etwas ausrichtet, solange die Menschen sich freiwillig in ihre Sklaverei begaben.
Die Macht dieser Tyrannei kann nur durch moralische Mittel bekämpft werden – durch Selbstzucht, Selbstachtung und Selbstbeherrschung. Es gibt keinen andern Weg, der Herrschaft der Begierden zu widerstehen. Keine staatliche Reform, keine Ausdehnung des Stimmrechts, keine verbesserte Regierungsform, kein Mehr von Schulbildung kann den Charakter eines Volkes erhöhen, das sich freiwillig sinnlichen Neigungen hingibt. Sich unedlen Vergnügungen hingeben, heißt das wahre Glück vertreiben; denn die Moral geht unter und alle Energie, alle Kraft und Gesundheit des Individuums wie des Volkes wird zerstört.
Eine mutige Selbstbeherrschung zeigt sich auf viele Arten, aber am klarsten in einer ehrenhaften Lebensführung. Menschen ohne die Tugend der Selbstverleugnung sind nicht nur ihren eigenen, selbstsüchtigen Wünschen unterworfen, sondern stehen auch gewöhnlich unter der Herrschaft von andern, die ähnlichen Sinnes sind. Was andere tun, tut er auch. Sie müssen den allgemeinen Anschauungen huldigen und verschwenden ihr Geld wie ihre Nachbarn – ohne an die Folgen zu denken – dadurch, daß sie eine Lebensführung anstreben, die ihre Mittel weit übersteigt. Jeder reißt den andern mit sich fort und keiner hat den Mut, inne zu halten. Sie können der Versuchung, auf großem Fuße zu leben, nicht widerstehen, wenn es auch auf Kosten der anderen geschieht, und sie geraten immer tiefer in Schulden, bis sie keinen Ausweg mehr finden. Diese Handlungsweise ist moralische Feigheit, Furchtsamkeit und ein Mangel an männlicher Unabhängigkeit des Charakters. Ein rechtschaffener Mensch scheut sich, etwas zu scheinen, was er nicht ist, oder sich reicher zu stellen, als er wirklich ist, oder eine Lebensführung anzunehmen, welche seine Verhältnisse nicht rechtfertigen. Er hat den Mut, eher sich nach seiner Decke zu strecken, als auf Kosten anderer zu leben; denn wer in Schulden verfällt, weil er über sein Einkommen hinaus lebt, ist im Grunde genommen ebenso unredlich, als wer die Tasche anderer bestiehlt. Vielen mag diese Ansicht übertrieben streng erscheinen, aber sie ist doch wahr. Auf Kosten anderer leben ist nicht nur eine Unehrlichkeit, sondern eine Unwahrhaftigkeit. Das Sprichwort George Herberts, daß »Schuldenmacher Lügner sind,« wird durch die Erfahrung bestätigt. Shaftesburg sagt irgendwo, daß der Wunsch, etwas zu haben, was wir nicht besitzen, und etwas zu scheinen, was wir nicht sind, die Wurzel aller Unsittlichkeit ist.
Der ehrenhafte Mann lebt bescheiden und bezahlt redlich. Er sucht nicht für reicher zu gelten, als er wirklich ist, oder ruiniert sich nicht dadurch, daß er sich in Schulden stürzt. Wie der Mann nicht arm ist, dessen Mittel zwar klein, aber dessen Wünsche wohlbeherrscht sind, so ist der reich, dessen Mittel seine Bedürfnisse übersteigen. Als Sokrates einst sah, wie eine Menge von Kostbarkeiten, Juwelen und wertvollem Geräte mit großem Pompe durch Athen gebracht wurde, sagte er: »Nun sehe ich, wieviel ich nicht begehre.« »Ich kann alles außer der Selbstsucht verzeihen,« sagte Perthes.
Man kann dem Gelde infolge einer höheren Lebensauffassung gleichgültig gegenüberstehen wie z. B. Faraday, der Reichtum dem Streben nach Wissenschaft opferte. Wenn man dann die Genüsse haben will, die man durch Geld erkaufen kann, so muß man sie sich redlich verdienen und nicht von den Mitteln anderer leben wie die, welche sich in Schulden stürzen, die sie nicht bezahlen können. Als man Maginn, der immer tief in Schulden steckte, fragte, wieviel er für seinen Wein bezahle, antwortete er, das wisse er nicht, aber er glaube, »man schreibe es in einem Buche auf.«
Dieses »Aufschreiben« hat sich als das Verderben vieler schwacher Personen erwiesen, die der Versuchung nicht widerstehen können, Waren auf Kredit zu nehmen, wenn sie gerade kein Geld dazu haben. Aber leider ermutigt die geschäftliche Konkurrenz die Schuldenmacher, und die Gläubiger verlassen sich darauf, daß das Gesetz ihnen im Notfall zur Hilfe kommt. Als Sydney Smith einst in eine andere Stadt zog, verbreiteten die Lokalblätter die Nachricht, er wäre ein Mann von großen Konnexionen, und man warb deshalb von allen Seiten um seine »Kundschaft«. Aber er klärte seine neuen Nachbarn schnell auf. »Wir sind ganz und gar keine großen Leute,« sagte er, »wir sind nur ehrliche Leute – die ihre Schulden bezahlen.«
Sheridan gehörte auch zu diesen Unglücklichen, die immer ausgeben und borgen. Er war impulsiv und sorglos in seinen Ausgaben und geriet bei jedem in Schulden. Als er als Kandidat von Westminster auftrat, machte ihn hauptsächlich seine arge Verschwendung unpopulär. »Eine Menge armer Leute,« sagt Lord Palmerston in einem Briefe, »sammelte sich um die Tribüne und verlangte Bezahlung der Rechnungen.« Inmitten seiner Bedrängnis war Sheridan wie immer leichtherzig und machte manchen guten Witz auf Kosten seiner Gläubiger. Lord Palmerston war selbst bei einem Diner Sheridans zugegen, als die Gerichtsvollzieher als Kellner verkleidet zur Pfändung erschienen.
Sir Walter Scott war eine grundehrliche Natur und seine gewaltigen und entschlossenen Anstrengungen, seine Schulden oder vielmehr die Schulden der Firma zu bezahlen, in deren Bankerott er verwickelt war, ist uns immer als einer der größten Charakterzüge in seiner Lebensgeschichte erschienen. Als sein Verleger bankerott machte, schien er ebenfalls vor dem Ruin zu stehen. Es fehlte ihm in seinem Unglück nicht an Sympathie und seine Freunde erboten sich, genug Geld aufzubringen, um sich mit seinen Gläubigern auseinanderzusetzen. »Nein,« sagte er stolz, »diese meine rechte Hand soll alles arbeiten.« »Wenn wir auch alles verlieren,« schrieb er an seinen Freund, »werden wir doch die Ehre unbefleckt erhalten.«
Während seine Gesundheit schon unter der Überarbeitung zu leiden begann, »schrieb er weiter wie ein Tiger«, wie er sich selbst ausdrückt, bis er keine Feder mehr halten konnte, und obgleich er seine übermäßigen Anstrengungen mit dem Leben bezahlte, rettete er doch seine Ehre und Selbstachtung.
Jedermann weiß, wie schnell Scott seinen »Woodstock«, das »Leben Napoleons« (das er für sein letztes Werk hielt), Artikel für den » Quarterly«, die »Chronik von Canongate«, »Vermischte Schriften« und die »Erzählungen eines Großvaters« hinwarf – alles wurde in Sorge, Kummer und Bedrängnis geschrieben. Den Ertrag dieser Werke erhielten seine Gläubiger. »Ich könnte nicht ruhig schlafen,« schrieb er, »wie ich es jetzt in dem Bewußtsein kann, den Dank meiner Gläubiger und meine Pflicht als Mann von Ehre und Gewissen zu tun. Ich sehe einen langen, öden, dunklen Weg vor mir, aber er führt zu fleckenlosem Rufe. Wenn ich unter der Arbeit sterbe, wie es sehr wahrscheinlich ist, so sterbe ich ehrenvoll. Wenn ich meine Aufgabe erfülle, habe ich den Dank aller Beteiligten und die Billigung meines Gewissens.«
Und dann folgten mehr Artikel, Memoiren und sogar religiöse Abhandlungen, »Das schöne Mädchen von Perth«, eine neu revidierte Ausgabe seiner Novellen, »Anna von Geierstein«, weitere »Erzählungen eines Großvaters« – bis ihn plötzlich der Schlag rührte. Aber kaum hatte er sich wieder soweit erholt, daß er eine Feder halten konnte, so begab er sich wieder an den Schreibtisch, verfaßte »Briefe über Dämonenlehre und Zauberei«, einen Band schottischer Geschichte für Gardners Enzyklopädie und eine vierte Reihe »Erzählungen eines Großvaters«, in seiner »Französischen Geschichte«. Vergebens rieten ihm die Ärzte, die Arbeit aufzugeben, er wollte sich nicht überzeugen lassen. »Mir das Arbeiten verbieten, ist gerade so, als wenn Molly den Kessel aufs Feuer setzte und sagte: »Jetzt koche nicht, Kessel,« sagte er zu Dr. Abercrombie; und er setzte hinzu: »Wäre ich untätig, so würde ich wahnsinnig werden.«
Durch die Früchte dieser ungeheuren Anstrengungen verminderten sich Scotts Schulden schnell, und er glaubte nach ein paar Jahren weiterer Anstrengung ein freier Mann zu sein. Aber es sollte anders kommen. Er schrieb mit geringerem Geschick Werke wie »Graf Robert von Paris«, bis ihn ein neuer heftigerer Schlaganfall traf. Er fühlte jetzt, daß es mit ihm zu Ende ging, seine physische Kraft war dahin, er war in allem nicht mehr der Alte, und doch verlor er weder Mut noch Beharrlichkeit. »Ich habe schrecklich gelitten,« schrieb er in sein Tagebuch, »weniger körperlich als geistig, und ich wünsche oft, ich könnte einschlafen, ohne wieder zu erwachen. Aber ich will den Kampf zu Ende führen, wenn ich kann.«
Er erholte sich wieder so weit, daß er »Das gefährliche Schloß« schreiben konnte, obgleich seine schriftstellerische Kraft dahin war. Und dann unternahm er seine letzte Reise nach Italien, um Ruhe und Gesundheit zu suchen, während der er zu Neapel trotz allen Abratens sich täglich mehrere Stunden mit der Abfassung eines neuen Romans beschäftigte, der indessen nie erschienen ist.
Scott kehrte nach Abbotsford zurück, um hier zu sterben. »Ich habe viel gesehen,« sagte er bei seiner Rückkehr, »aber nichts, das meinem Hause gliche – da müßt ihr mir noch mehr Vorschläge machen!« Einer seiner letzten Aussprüche, die er in lichten Augenblicken machte, war seiner würdig. »Ich bin vielleicht der fruchtbarste Autor meiner Zeit gewesen,« sagte er, »und es ist mir ein Trost, daß ich keines Menschen Glaube getäuscht, keines Menschen Grundsätze verdorben oder etwas geschrieben habe, das ich auf dem Totenbette ausgetilgt wünsche.« Sein letztes Wort an seinen Schwiegersohn war: »Lockhart, ich kann vielleicht nur eine Minute mit dir reden. Lieber Sohn, sei tugendhaft – sei religiös – sei ein guter Mensch. Nichts anderes wird dich trösten, wenn du einmal hier liegst.«
Das pietätvolle Benehmen Lockharts war seines großen Verwandten würdig. Das »Leben Scotts«, das er später schrieb, beschäftigte ihn mehrere Jahre und hatte großen Erfolg. Doch hatte er selbst keinen pekuniären Vorteil davon, denn er händigte den ganzen Ertrag den Gläubigern Scotts für eine Schuld ein, für die er nicht im geringsten haftbar war, aber er tat dies, beeinflußt von seinem Ehrgefühl und zum Gedächtnis des großen Toten.