Heinrich Smidt
Meeresstille und hohe See
Heinrich Smidt

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Heinrich Smidt.

Der Mann, dessen köstliche Seegeschichten die ›Rheinische Hausbücherei‹ der Vergessenheit entreißen will, hat sich, auch von seinen poetischen Leistungen abgesehen, ein volles Anrecht auf die Dankbarkeit der Gegenwart erworben, deren stolzeste Errungenschaft eben der Ausbau einer mächtigen deutschen Kriegsflotte ist.

Als im Schicksalsjahre 1848 die besten Patrioten nach der alten Krönungsstadt am Main strömten, um als Vertrauensmänner und Beauftragte ihres Volks das Elend der Bundesverfassung zu beseitigen und eine würdigere politische Daseinsform für eine so ehrenreiche und große Nation zu finden, empfand man nichts so schmerzlich als die völlige Ohnmacht des Vaterlands zur See. Grade die Freiheitskämpfer jener Tage, die Herwegh und Freiligrath, hatten in schwungvollen Versen daran erinnert, daß noch aus der Hansa Zeiten deutsche Helden auf dem Grunde des völkerbefreienden Meeres schliefen und hatten im Traume ein deutsches Geschwader erblickt, von dessen Masten viel tausend Wimpel in den geliebten schwarz-rot-goldenen Farben wehten. Mit deutscher Gründlichkeit beschäftigten sich fortan die Tagesblätter, die Zeitschriften und zahlreiche Flugschriften in kurzen und langen Darlegungen mit der Lücke in der deutschen Wehrrüstung. Zugleich bemerkte man mit Erstaunen, daß die heimische Handelsflotte, die so völlig des militärischen Schutzes entbehrte, an Stärke nur hinter der Flagge Englands und der Vereinigten Staaten zurückbleibe. Wie traurig es aber um die deutsche Seegeltung bestellt sei, das offenbarte sich in eben jenen Tagen, als 1848 der dänische Krieg ausbrach und aller Herzen zur Teilnahme an dem Schicksale der schleswig-holsteinischen Volksgenossen hinriß. Schutzlos waren unsere Schiffe, einerlei ob sie den Mittel- und Kleinstaaten oder dem waffenstarken Preußen angehörten, den dänischen Fregatten preisgegeben, die sie als gute Prise nach Kopenhagen führten und alsdann die Mündungen der deutschen Ströme sperrten.

Es ist bekannt und soll hier nicht weiter verfolgt werden, wie sich gegen diese Schmach gleichmäßig in Süd und Nord der Nationalstolz aufbäumte und wie sich die wackern Männer der Paulskirche mit rastlosem Fleiß und mit Geschick die Gründung einer Flotte angelegen sein ließen. Schon im Sommer des nächsten Jahres verfügte man über eine schlagfertige wohlbemannte Flotille von Dampfkriegsschiffen und Kanonenbooten, nach dem Urteil Sachverständiger genügend, um eines Feindes, wie etwa der Dänen, sich zu erwehren, beider aber war inzwischen die Flut nationaler Begeisterung verrauscht, so daß auf Beschluß der Bundesversammlung im Frühjahr 1852 die mit so hohen Erwartungen ausgerüsteten Schiffe, dem deutschen Namen zur Schmach, meistbietend versteigert wurden.

Wie begreiflich, hatte sich die Marinekommission, die unter des klugen Kaufherrn und damaligen Reichsministers Duckwitz Vorsitz tagte, meist aus Hanseaten und Männern von der Wasserkante rekrutiert. Der Name Heinrich Smidt begegnet nicht darunter, wohl aber machte das Sturmjahr 1848 auch in seinem Leben Epoche. In Berlin, wo er bis dahin Journalist und freier Schriftsteller gewesen war, griff man auf seine Erfahrung zurück und berief ihn 1848 zum Mitglied der neuerrichteten Marineabteilung im Kriegsministerium, durch deren Einsetzung Preußen den ernsten Beschluß bekundete, sich aus eigner Kraft eine Kriegsmarine zu schaffen.

Seine Kenntnisse in Seesachen aber hatte Smidt bereits in jungen Jahren erworben. Geboren in Altona am 18. Dezember 1798 hatte er gleich nach der Konfirmation die Stadtschule verlassen, um als Kajütenjunge an Bord zu gehen. Mit Lust und Liebe hing er an seinem Berufe und nicht nur mit begreiflicher Neugier, sondern mit innerem Interesse nahm er die Wunder des Meeres in sich auf. Freilich auch die Kehrseite des damaligen Matrosenlebens hat er bitter empfunden. Noch sehr viel später klagte er, daß während der ganzen Dienstzeit ihn niemals einer der Schiffsoffiziere zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit ermuntert hätte. Im Gegenteil sei er wegen Zeitverlust gescholten und verspottet worden, wenn einmal der Zufall ihm ein Buch in die Hände führte. Ein unbarmherziges Hänseln fing dann gleich an und der Märtyrer der Wissenschaft konnte froh sein, wenn das Buch über Bord flog oder sonst verschwand, damit die Geschichte nur endlich vergessen werde. Um so ehrenwerter, daß der junge Smidt das Examen als Steuermann erster Klasse machte. Neun Jahre hindurch fuhr er auf allen Meeren und lernte wenigstens drei Weltteile ordentlich kennen. Dann trieb es ihn in die schleswig-holsteinische Heimat zurück, wo er in Eile seine Schulkenntnisse vervollständigte. Er studierte dann zunächst in Kiel und später in Berlin dem Namen nach Rechtswissenschaft, sehr bald aber hielten ihn seine literarischen Neigungen ausschließlich gefangen. Schriften mannigfachen Inhalts flossen in langer Reihe aus seiner Feder. Man hat aber das Gefühl, daß er nur dann so recht mit Leib und Seele bei der Sache ist, wenn er aus dem reichen Born seiner Jugenderlebnisse schöpft oder das Kauffarteiwesen jener Zeit in der Form der Novelle oder der größeren Erzählung dem Leser nahe bringt.

Von den Aufgaben des Seemanns und von seinen Pflichten dachte Smidt, der übrigens noch stets in Gang und Haltung den alten Kapitän verriet, wahrhaft hoch. Bei seiner großen Produktivität ließ er etwa seit dem Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts fast jährlich ein Buch erscheinen, von denen die meisten mit Recht der Vergessenheit anheimfielen, die aber damals auf das wirksamste dazu beitrugen, jenen Enthusiasmus für unser Seewesen zu wecken, der bereits 1848 wie mit Naturgewalt hervortrat und auch bis zur Gegenwart niemals versagte, wenn es galt, von der Nation neue, schwere Opfer für ihre Seegeltung zu fordern.

»Glaubt nur«, so ruft er einmal voll stolz aus, »es gibt kein Volk, das eifriger im Seewerk ist, als das deutsche. Diese Besonnenheit, diese Ausdauer suchen ihresgleichen. Wenn wir nicht, wie andere seebefahrene Nationen, unter unseren Schiffern einen Nelson, einen de Ruyter oder Tordenskjold finden, welche sich durch ruhmreiche Taten die Glorie der Unsterblichkeit errangen, so liegt es nur daran, daß wir keine Kanonenschiffe haben, an deren Bord allein die See-Lorbeeren wachsen. Der deutsche Seemann ist, so gut wie jeder andere, der höchsten Ausbildung fähig. Man gönne ihm nur Mittel und Wege«. Daß es mit der Ausbildung allgemein besser geworden sei, gab Smidt gern zu, aber dennoch schien ihm noch viel zu tun übrig: »Es sind von fleißigen Händen Samenkörner ausgestreut und hier und da ist die Saat, wenn auch spärlich, aufgegangen. Ich habe die meinen nicht müßig in den Schoß gelegt, ich will sie auch ferner rühren und fortarbeiten am großen Werk.« Allein aber vermöge er nur wenig auszurichten, daher wendet er sich immer und immer wieder mit beweglichen Bitten an die Reeder, indem er vor allem die Ansicht bekämpft, als ob die geistige Förderung der Schiffsmannschaft die Disziplin gefährde. Ganz im Gegenteil: das junge Volk wird seine Offiziere dann nicht allein fürchten, sondern auch lieben lernen. »Der Leichtmatrose, der die geistigen Brosamen sammelt, die von Euerm Tische fallen, wird nie ein unbändiger roher Bootsmann werden. Vor der Hand aber, meine Herren, die ihr die Macht in Händen habt, fangt getrost an, auf Euern eigenen Decks, nur um des eigenen Nutzens willen, für die sittliche und moralische Haltung Eurer Leute zu sorgen. Überall stehen Kajütenwächter, Jungmänner, Leichtmatrosen und wie sie sonst heißen mögen und falten bittend die Hände zu Euch empor. Laßt sie nicht vergebens bitten.«

Den entscheidenden Fortschritt aber erwartete Smidt auch in der Hinsicht von seinem Adoptivvaterland und dem Ausbau seiner Kriegsmarine. Mit Genugtuung stellt er fest, daß das immer mehr die Meinung der intelligenteren Köpfe werde, und bald nach Abschluß des Vertrags zwischen Oldenburg und Preußen über Abtretung des Terrains für die Anlage von Wilhelmshaven spricht er von dem reichen Segen für die ganze Handelsmarine Deutschlands, der in kürzester Zeit von dem Jadebusen ausgehen werde.

Und wenigstens die Vollendung und Einweihung dieses ersten großen preußisch-deutschen Kriegshafens, die in feierlicher Weise von König Wilhelm im Sommer 1869 vollzogen wurde, hat der alte Seefahrer noch erleben dürfen. Wenige Monate darauf, am 3. September, starb er zu Berlin, wo er zuletzt Archivar und Bibliothekar im Kriegsministerium gewesen war.

Fragt man nun, worin der eigentümliche Reiz der Seegeschichten Heinrich Smidts, die ihm den ehrenden aber über das Ziel hinausschießenden Namen eines deutschen Marryat eintrugen, bestanden habe, so wird man zunächst den kräftigen manchmal pathetischen Fluß seiner Erzählung und seine rege Phantasie nennen. Hinzukommt die glückliche Gabe, fremde Völker und Länder in der üppigen Pracht ihrer Landschaft naturgetreu zu schildern. Besser noch als die Angehörigen fremder Zonen gelingen ihm aber doch die schwerflüssigen Söhne der schleswig-holsteinischen Küsten: Die Fischer und Matrosen, die Steuerleute und Kapitäne. Dann verfolgt er mit Vorliebe das Schicksal der Seeleute, die des anstrengenden Seelebens müde sich irgendwo einen Ruheposten gesucht, sei es als Wärter am Hafendamm, als Jollenführer oder als Kneipwirt in der Hafenvorstadt oder aber in der verschwiegenen Düne, wo Schleichhändler ihr Wesen treiben. Das Schiff selbst, die kleine Welt des Matrosen, führt er uns in allen seinen Teilen und mit seinem ganzen Gerät mit der Liebe eines niederländischen Kleinmeisters vor. Wir nehmen teil an den Leiden der Auswanderer, die im Zwischendeck zusammengepfercht von Bremerhafen dem Lande vermeintlicher Freiheit entgegenfahren; wir erfahren, wie man bei den Mannschaften über die Offiziere und in der Kajüte über die Matrosen denkt und spricht. Not und Tod, die Leiden der Quarantäne und der Windstille, die Gefahren des Sturmes und des Feuers sowie des Aufruhrs der Mannschaft erleben wir mit. Ja auch in ferne, vergangene Zeiten folgen wir Smidt in seinen Novellen. Er zeigt uns den norddeutschen Kaufherrn und Reeder der früheren Jahrhunderte, vor allem aber weilt er mit Vorliebe bei den ruhmreichen Tagen, da Friedrich Wilhelm, der große Brandenburger, dem Ziel einer tüchtigen norddeutschen See- und Kolonialmacht schon so nahe gekommen zu sein schien. Aber auch andere Seehelden gelten ihm als Muster; viel gelesen und hochgeschätzt wurde namentlich sein Leben de Ruyters, der es mit seinen edlen echt germanischen Eigenschaften ihm wie jedem Deutschen angetan hat!

Bei den Kennern der zeitgenössischen Literatur begegnete Smidts Erzählungskunst ungeteiltem Beifall. Man fand, daß echte Seeluft drin wehe, freute sich des frischen Humors und der ungewöhnlich realistischen Kleinmalerei. Vor allem aber: man fühlte, daß es ihm Herzenssache war, die Fülle seiner Erlebnisse mit reichem Zusatz seiner freien Phantasie heraufzuschwören.

In der berühmten literarischen Gesellschaft zu Berlin, dem ›Tunnel‹, dem er angehörte, lasen die Mitglieder einander ihre literarischen Erzeugnisse vor. Da sah man denn häufig auch Smidts breitspurige Gestalt nach dem Tisch des Vorlesers hin wanken und mancher seufzte: »Schon wieder eine Seenovelle!« Aber es währte nicht lange, und der kräftige, wirkungsvoll modulierte Vortrag hatte selbst den Widerwilligen mit fortgerissen, die Echtheit der äußeren und inneren Stimmung, die drastisch erfundene Handlung, der frische Meeresgeruch, der aus dem Dialog wehte, das alles nahm die Zuhörer gefangen. Paul Heyse, dem man diese Kunde verdankt, fügt hinzu: »Uns dünkt, daß Heinrich Smidts Seeromane zumal für jüngere Leute eine erfreulichere Lektüre sein müßten, als die heutige Generation zu glauben scheint, und eine neue Ausgabe in zweckmäßiger Auswahl möchte wohl an der Zeit sein«.

Diese schönen Worte der Anerkennung finden auf die Gegenwart, die sich mehr und mehr von den Zuständen entfernt, die Smidt mit so glücklichem Griffel festgehalten hat, erst recht ihre Anwendung. Die ›Rheinische Hausbücherei‹ hat aus zweien seiner besten Novellensammlungen eine geeignete Auswahl getroffen, die ein umfassendes Bild seiner Erzählungskunst zu geben vermag und die Erinnerung an den trefflichen Patrioten und Flottenfreund wieder erneuern soll.

Wiesbaden, März 1911

E. Liesegang.


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