George R. Sims
Erinnerungen einer Schwiegermutter – Erster Band
George R. Sims

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Achte Erinnerung.

Oben auf dem Omnibus.

Meine zweite Tochter Maud war, wie ich schon erwähnt zu haben glaube, die Schönheit der Familie. Sie hat ihr einnehmendes Aeußere von meiner Seite geerbt und gleicht mir mehr als irgend ein andres meiner Kinder, obschon ich das vielleicht nicht aussprechen sollte.

Wenn ich mich mal zufällig im Spiegel sehe, wird es mir schwer, zu glauben, daß ich dereinst ein schönes Mädchen war und John Tressiders Aufmerksamkeit erregte, als er oben auf einem Omnibus an meines Vaters Hause vorbeifuhr.

Wie es scheint – er hat es mir später so erzählt – blickte ich eben über den Fenstervorsetzer im Wohnzimmer und sah zu, wie sich zwei Hunde in der Straße rauften. In dem Augenblick schaute Mr. Tressider, damals ein hübscher junger Mann, von seiner Zeitung, die er auf dem Wege nach der City las, in die Höhe.

Es war bei ihm ein Fall von »Liebe auf den ersten Blick«. »Was für ein reizendes Geschöpf!« rief er aus und träumte den ganzen Tag von mir. Am Abend ging er zu Fuß nach Hause, statt den Omnibus zu benutzen, und nahm seinen Weg durch unsre Straße, bis er unser Haus wiedererkannte, und das Glück – oder ich sollte vielleicht sagen: das Schicksal!– wollte es, daß ich wieder über den Vorsetzer guckte, gerade als er stehen blieb, um sich unsre Hausnummer auf seiner Manschette aufzuschreiben.

Unsre Augen begegneten sich, und als ich einen jungen Mann erblickte, der mich fest ansah – um nicht zu sagen, anstarrte – schlug ich die meinen nieder und trat vom Fenster zurück.

Wie wenig ließ ich mir träumen, daß ich meinen zukünftigen Gatten gesehen hatte, aber so war es. Nachdem er sich meine Wohnung aufgeschrieben, ging Mr. Tressider in einen Fischladen, der gleich um die Ecke lag, und kaufte ein paar Seezungen, die er, wie er mir nachher erzählte, in die Tasche steckte und vergaß. Er hatte seinen Ueberrock in den Schrank gehängt und nicht wieder getragen, da warmes Wetter eintrat, und erst, als die Leute im Hause sich über den Gestank nach faulen Fischen zu wundern und zu beklagen anfingen, fielen sie ihm wieder ein. Der arme Mensch! Er war verliebt, und da kann man auch ein paar Seezungen in der Ueberrockstasche vergessen.

Er kaufte die Fische nur, um einen Vorwand zu einer Unterhaltung mit dem Händler zu haben, und fragte ihn, ob er wisse, wer Nummer 17 (unsre Nummer) wohne, denn er wollte natürlich gern meinen Namen wissen. Als er ihn in Erfahrung gebracht hatte, ging er nach Hause und zerbrach sich den Kopf, auf welchem Wege er eine Einführung bei uns erlangen könne.

Ein Mädchen zu lieben, das man nicht kennt, ist sehr schlimm, denn das wirkliche Leben ist nicht so, wie es in alten Balladen und Romanen geschildert wird. In unserm neunzehnten Jahrhundert kann sich ein junger Mann nicht in den Vorgarten stellen und die Guitarre spielen, und es gibt auch keine hübschen Pagen, durch die er Billetdoux schicken könnte, und wenn es solche gäbe, wäre ich noch lange nicht das Mädchen gewesen, auf so etwas einzugehen.

Er sah also ein, daß eine förmliche Vorstellung unbedingt notwendig sei, aber er fand unter allen seinen Freunden niemand, der uns kannte, was nicht sehr zu verwundern ist, denn wir waren erst vor kurzem vom Lande nach London gezogen. Alles, was er thun konnte, war demnach, jeden Tag bei uns vorbeizufahren und nach unsern Fenstern zu schielen, in der Hoffnung, daß ich 'mal wieder über den Vorsetzer im Wohnzimmer sähe. Das war eins von den niedrigen Dingern aus Drahtgaze, wie sie in meinen jungen Jahren Mode waren, die man jetzt aber nur noch selten zu sehen kriegt.

Manchmal war ich da, manchmal nicht. Ich glaube nicht, daß ich ihn bemerkt haben würde, wenn er nicht eines Tages den Hut abgenommen hätte; wobei er so furchtbar rot wurde, daß ich es trotz des Nebels sehen konnte.

»So 'ne Unverschämtheit!« sagte ich zu mir selbst, aber danach war ich – wie es kam, weiß ich selber nicht – fast immer am Fenster, wenn der Neunuhrdreißig-Omnibus der Favoritlinie vorbeifuhr, und natürlich mußte ich sehen, wer obenauf saß, und das war stets der hübsche, junge Mann.

Den Hut nahm er nicht wieder ab, weil ich seinen Gruß nur mit einem eiskalten Blick erwidert hatte, aber er errötete jedesmal, und zuletzt, als ich sah, daß er sah, daß ich ihn gesehen hatte (du meine Güte! Was für ein Stil! Aber ich bin eben keine Schriftstellerin von Beruf), entdeckte ich, daß ich ebenfalls errötete.

Meine Ueberraschung und Verlegenheit könnt ihr euch vorstellen, als ich bei einer kleinen Tanzgesellschaft drüben in Peckham, die wir besuchten, im ersten Menschen, den ich beim Eintritt erblickte, den hübschen jungen Mann vom Omnibus erkannte.

Viele Jahre sind seitdem vergangen, meine Kinder sind um mich her herangewachsen, und kleine Enkel klettern mir auf den Schoß und nennen mich Großmama, aber wie ich so dasitze und im ersterbenden Abendrot eines Sommertages diese Erinnerungen niederschreibe, sehen meine Augen durch die darin emporsteigende Feuchtigkeit, und ich erschaue mich als glückliches, errötendes Mädchen. Ach, die lieben alten Tage, wo alles so freundlich und so schön aussah, wo die Welt so hell vor uns lag! Ich kann mich erblicken, wie ich an jenem Abend aussah, in meinem weißen Muslinkleid mit dem kurzen Leibchen, der hübschen rosa Schärpe, den Tanzschuhen mit den Kreuzbändern und meinen langen gewebten Handschuhen, die mir über die Ellbogen reichten. Du liebe Zeit! Wer hätte wohl gedacht, daß ich eines Tages eine arme, abgehetzte Schwiegermutter sein würde, mit Rheumatismus und Gicht und schlimmen Kopfwehtagen und Kindern, über die ich mich fast zu Tode sorge, denn einige davon sind gar zu zart. Und wer hätte wohl gedacht, daß der hübsche junge Mann vom Omnibus, der immer so rot wurde, wenn seine Blicke den meinigen begegneten, eines Abends nach Hause kommen und Kartoffelklöße zum Fenster hinauswerfen würde?

Etwas Derartiges habe ich sicher nicht erwartet, als ich zitternd und errötend den sich lächelnd verbeugenden jungen Mann vom Omnibus vor mir stehen sah. Er wurde mir vom Sohne des Hauses als Mr. John Tressider vorgestellt und bat mich um die Ehre des nächsten Tanzes.

Was ich antwortete, weiß ich nicht mehr, aber es muß wohl wie ja gelautet haben, denn als die junge Dame am Klavier anfing, eine Quadrille zu spielen, trat ich mit Mr. Tressider in die Reihe, und als der Augenblick kam, wo der Tänzer seinen Arm um die Dame legt, da fiel mir plötzlich ein, daß er mich bemerkt, wie ich ihn über den Fenstervorsetzer angesehen hatte, und ich wurde feuerrot.

Trotz meiner begreiflichen Verwirrung ging aber alles ganz gut. Er war sehr nett und spielte nicht einmal auf den Omnibus und den Fenstervorsetzer an, was mir eine große Beruhigung war. Er erzählte mir, die Leute, die den kleinen Ball gaben, seien sehr alte Freunde von ihm, und nachdem der Tanz vorüber war, stellte er mich seiner ebenfalls anwesenden Schwester vor. Meine Mama gesellte sich zu uns und nahm an der Unterhaltung teil, und wir fanden, daß unsre besten Freunde in London, die Smiths, auch Freunde seiner Familie waren.

Wir tanzten noch einige Tänze zusammen, und er führte mich auch zu Tische, und da ich eine Landpomeranze war, erschien es mir, als ob ich im Feenreiche sei, und war über alles entzückt. Ich betrachtete ihn immer verstohlen von der Seite, wenn er nicht nach mir hinsah, und jedesmal kam er mir hübscher vor als das letzte Mal. Wir zogen auch Knallbonbons zusammen auf, und er war sehr unartig, denn er bestand darauf, die Verse, die wir darin fanden, laut vorzulesen. Einer hieß: »Wer hat je geliebt und kennt nicht Liebe auf den ersten Blick?« und das war, wie ich später erfuhr, von einem Dichter Namens Marlowe, der schon vor Shakespeare gelebt hat; damals aber glaubte ich, der Zuckerbäcker sei der Verfasser, und ich sagte, es sei ein ganz hübscher Gedanke.

Darauf sah mir Mr, Tressider mit einem schelmischen Blick in die Augen und fragte mich: »Glauben Sie das auch?« und ich antwortete: »Ich weiß wirklich nichts davon.« Nun forderte er mich auf, ein wenig Champagner zu trinken, und winkte einen Bedienten herbei, doch ließ ich mein Glas nur zur Hälfte füllen, weil ich nicht an Champagner gewöhnt war. In jenen Tagen gab es in so kleinen Gesellschaften, wie die war, wo ich John Tressider kennen lernte, nur zwei Sorten Champagner, rosa oder weißen, und so großartige Namen, wie er heute hat, waren unbekannt. Ich weiß noch, als ob es gestern gewesen wäre, wie der Bediente herbeikam, in jeder Hand eine Flasche, und mich leise fragte: »Rosa oder weiß. Miß?«

Fünfunddreißig Jahre sind seit jenem Abend dahingegangen, aber ich sehe ihn noch vor mir, und mein altes Herz klopft schneller, wenn ich an John Tressider denke, wie er an der Thür stand und das Lampenlicht auf seinem lockigen Haare spielte, und wie er Mama und mich zum Wagen begleitete und sich verbeugend und uns nachsehend stehen blieb, als wir davonfuhren.

»Was für ein angenehmer junger Mann!« sagte meine Mutter.

»Findest du?« antwortete ich, als ob ich es kaum der Mühe wert gefunden hätte, ihn anzusehen.

War das nicht recht schlecht von mir?

Ach! Der schöne Traum der ersten Liebe! Warum erwachen wir daraus und finden, daß es nur ein Traum war? Nun, ich darf mich nicht beklagen, ich habe viel Segen erfahren dürfen, und wenn man auch manchmal Geduld mit ihm haben muß, so ist John Tressider doch kein schlechter Gatte und Vater gewesen, wie eben Gatten und Väter heutzutage sind, und meine lieben guten Kinder sind eine große Freude für mich, trotz der vielen Sorgen und Angst, die sie mir gemacht haben. Nun habe ich meine Enkelkinder, die lieben Würmer, und wenn sich mir ein Paar Kinderärmchen um den Hals legen und ich fühle ein Paar Kinderlippen auf der Wange, dann weiß ich, daß ich nicht umsonst gelebt und gelitten habe.

Aber ich glaube wirklich, die glücklichste Zeit meines Lebens war die, die unmittelbar auf diese Gesellschaft folgte, denn ich wußte, daß John Tressider mich liebte. Jetzt, wo wir einander vorgestellt waren, konnte ich natürlich seinen Gruß erwidern und ihm zulächeln, das war nun nicht mehr unpassend. Es dauerte nicht lange, da trafen wir uns wieder bei der Familie Smith. Dort wurde Johns Mutter mit der meinen bekannt, und von da an standen unsre beiderseitigen Familien auf ganz freundschaftlichem Fuße und besuchten einander, und eines Tages gestand mir John, er habe mich geliebt seit dem ersten Augenblick, wo er mich vom Verdeck des Omnibus' gesehen habe, wie ich über den Fenstervorsetzer hinwegschaute. Und als er mich darauf fragte, ob er mir nicht allzu widerwärtig sei, was konnte ich da antworten? Ich wies ihn sogleich an meine liebe Mutter, mein Papa zog Erkundigungen über seine Verhältnisse ein, und sowie meine Eltern zufriedengestellt waren, verlobten wir uns.

Das ist alles so lange her, so sehr lange, und nun bin ich eine alte Frau (obgleich ich thatsächlich gar nicht so aussehe und auch in meinem Wesen nicht alt bin), und John Tressider, der sich sehr gut gehalten hat, namentlich was seine Gesichtsfarbe und Haar anlangt, obschon dieses nicht mehr ganz so braun ist als damals, sitzt bis in die ersten Morgenstunden auf und liest die Times und kommt kalt wie ein Frosch zu Bett und nimmt das Leben so leicht und sorglos und überläßt allen Aerger im Hause und mit den Dienstboten und der Familie und den Schwiegersöhnen und -Töchtern mir.

Manchmal, wenn ich einen von meinen Kopfwehtagen habe und geärgert worden bin, dann sage ich zu meinen Kindern: »Ach, meine Lieben, wartet es nur erst ab, bis ihr durchgemacht habt, was ich durchgemacht habe. Mir zu sagen, ich solle mir keine Sorgen machen, ist ganz schön, aber meine Nerven sind vollkommen zerrüttet, und ich werde eine alte Frau.« Manchmal kommt es nur so vor, als ob ich nie ein munteres, junges Mädchen gewesen sein könnte, das für sehr schön galt, aber es hängt ein Bild von mir im Eßzimmer, das gemalt wurde, als der kleine John drei Jahre alt war, und wer es sieht, kann sich überzeugen, daß es keine leere Prahlerei ist, wenn ich sage, daß Maud ihre Schönheit von mir geerbt hat.

Ich bin als junge Mutter dargestellt, mit einer Rose in meinem üppigen schwarzen Haare, das nach der Mode jener Zeit zurückgekämmt ist, und mein kleiner John im Kittelchen liegt in meinem Schoße und hält ein paar Kirschen in der Hand.

Wie oft rufen Leute, die das Bild sehen, aus: »Was für eine schöne Dame!« und wenn ich ihnen dann erkläre: »Das ist ein Bild von mir,« dann antworten sie: »Wirklich? Wie schön müssen Sie gewesen sein!« in einem Tone, der andeutet, daß sie es meinem gegenwärtigen Aussehen nach nicht geglaubt hätten. Aber es ist doch der Fall, und meine Tochter Maud gleicht mir in hohem Grade, obgleich ihr Profil mehr dem der Kaiserin Eugenie, wie sie noch jung war, ähnelt.

Maud war schon als Kind ganz außerordentlich hübsch, und alle Welt meinte, sie werde zu einem schönen Mädchen heranwachsen, und wir mußten sehr vorsichtig sein, sie nicht allzu offen bewundern zu lassen, damit sie nicht eitel werde.

Als Kinder hatten meine beiden ältesten Töchter immer die großartigsten Vorstellungen. Wie oft habe ich heimlich lachend zugehört, wenn sie sich aus Tischtüchern, die sie sich umbanden, Hofschleppen gemacht hatten, Arm in Arm im Garten umherstolzierten und sich Lady Eveline und Lady Araminta nannten.

Weiß der Himmel, wo sie ihre Vorstellungen herhatten oder solche Namen hörten, wenn nicht von den Dienstboten, die das Londoner Journal lasen und wohl in ihrer Gegenwart davon gesprochen haben mögen. Wenn man spielenden Kindern zuhört, muß man sich über die sonderbaren Ideen wundern, die sie auflesen, ebenso wie über die wunderbaren Ansichten darüber, was sie werden wollen. Alle meine Jungen hatten sich schon in früher Kindheit für den Beruf eines Omnibuskutschers oder Eisenbahnschaffners entschieden, nur Tommy wollte Maler werden und reizende Bilder auf den Bürgersteig malen, wie der alte Mann, der in Hampstead Road zu sitzen pflegte und Proben seiner Kunst aufs Pflaster zeichnete. Tommy begann seine Künstlerlaufbahn, als er sieben Jahre alt war und einen kleinen Farbenkasten zum Geburtstag erhalten hatte. Ich werde nie den Schreck vergessen, den ich empfand, als ich einst, von einem Besuch zurückkehrend, entdeckte, daß er ins Wohnzimmer geraten war und begonnen hatte, die Thür mit einem Landhause, wie er es sich vorstellte, in blau und grün, mit schwarzem Rauch, der aus drei ziegelroten Schornsteinen kam, zu verzieren.

Da sie im Spiele oft große Damen vorstellten, fingen die Jungen an, ihre Schwestern damit zu necken, und nannten Maud Lady Araminta, welcher Name dann an ihr hängen blieb.

Sie war durchaus kein eitles Mädchen, aber ein sehr empfindsames und nervöses Kind. Ihre Leiden begannen erst, als sie erwachsen war und ihre Brüder das arme Mädchen mit seinen Liebhabern zu Tode quälten.

Von dem Herrn mit dem roten Schnurrbart und der Baßposaune habe ich schon erzählt. Danach kam ein Witwer, den wir schon seit vielen Jahren kannten. Er war sehr aufmerksam gegen Maud, aber wir dachten natürlich nie im Traume daran, daß er sich in sie verlieben würde, obgleich ihre Brüder sie mit ihm neckten und sie Nummer zwei nannten. Sie trieben die Sache so arg, daß das arme Mädchen manchmal bei Tisch zu weinen anfing, aber sie wurde nie heftig.

Eines Tages kam mein Mann zu mir und teilte mir mit, Mr. Briggs habe mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob er ihm gestatte, sich um Maud zu bewerben, und ob er glaube, daß sie genug Neigung für ihn empfinden könne, um ihn zu heiraten.

Ich schlug die Hände überm Kopfe zusammen, als ich das hörte.

»Wie, der Mann muß toll sein, wenn er sich einbildet, daß wir etwas Derartiges zugeben würden,« sagte ich.

Er war sehr reich, aber wenigstens fünfzig alt und hatte einen erwachsenen Sohn und eine Tochter, die mindestens ebenso alt war als Maud. Ich ließ diese in mein Zimmer kommen und teilte ihr die Sache mit.

»Mein Kind,« sprach ich, »hast du Mr. Briggs lieb? Ich meine, lieb genug, um seine Frau zu werden?« Das liebe Mädchen machte einen Augenblick ein ganz possierliches Gesicht und brach dann in Lachen aus.

»O Mama,« rief sie, »du willst doch nicht sagen, daß er dir gesagt habe, er liebe mich?«

Ich erzählte ihr, er habe mit ihrem Vater über diese Angelegenheit gesprochen, und sie schien' ganz überrascht – offenbar hatte sie nie an etwas Derartiges gedacht.

Wir gaben Mr. Briggs eine höflich dankend ablehnende Antwort, und damit war die Sache zu Ende. Er blieb eine Zeitlang aus unsrem Hause fort und erschien erst wieder, als er uns seine zweite Frau vorstellen konnte, eine Dame, die in Hinsicht ihres Alters viel besser für ihn paßte, als unsre süße Maud.

Auch der nächste Bewerber um ihre Hand war wieder ein alter Witwer. Es war wirklich zu sonderbar, daß sie eine solche Anziehungskraft für alte Herren besaß.

Sein Name war Johnson und seine Töchter waren Schulgefährtinnen Sabinens und Mauds. Sie waren eng befreundet, so daß sie sich gegenseitig häufig besuchten. Der alte Mr. Johnson vollführte die unglaublichsten Dinge, wie mir meine Mädchen erzählten. Er kam manchmal als Admiral oder General verkleidet in die Stube, und einmal sogar als Clown, und da hatte er im richtigen Clowntone gerufen: »Komm sie rein, komm sie rein in die gute Stube!« so daß die Mädchen halb tot vor Angst waren. Seine Söhne und Töchter spielten gern Theater, und daher waren allerhand Anzüge im Hause, die er zu seinen Verkleidungen benutzte. Aber ein vernünftiger Mensch hatte doch so etwas nicht gethan.

Eines Tages, wo die Mädchen zum Gabelfrühstück bei Johnsons waren, zog er plötzlich einen Beutel voll Goldstücke aus der Tasche, schüttete sie alle in die Suppenschüssel und fing dann an, die Suppe mit samt den Sovereigns auf die Teller zu schöpfen. Natürlich ließen die Mädchen sie auf den Tellern liegen, aber sein sonderbares Benehmen beunruhigte sie sehr. Als das Dienstmädchen kam, um die Teller zu wechseln, befahl ihm Mr. Johnson, sie unter das Sofa zu stellen, was bewies, daß Methode in seinem Wahnsinn war. Das Dienstmädchen sollte die Goldstücke nicht nehmen.

Obgleich wir wußten, wie seltsam Mr. Johnson zu Zeiten war, könnt ihr euch doch mein Erstaunen vorstellen, als meine liebe Maud eines Tages sehr aufgeregt nach Hause kam. »Ach, Mama,« sprach sie, »der gräßliche Mr. Johnson! Ich gehe nie wieder hin. Er hat wirklich in seinem eigenen Garten, wo die Mädchen Croquet spielten, vor mir gekniet und mich gefragt, ob ich seine Frau werden wolle.«

»Liebes Kind,« entgegnete ich, »das darfst du nicht ernsthaft nehmen, das war einer seiner seltsamen Scherze.«

Allein am nächsten Tage, als die Mädchen spazieren gingen, folgte ihnen Mr. Johnson, und als er sie eingeholt hatte, sagte er Maud, er sei Millionär, und wenn sie ihn heiraten wolle, dann werde er sich einen ausländischen Titel kaufen und sie solle Gräfin werden. Er faselte einen solchen Unsinn, daß es den Mädchen ganz unheimlich wurde und Sabine endlich sagte: »Wenn Sie Maud etwas mitzuteilen haben, dann kommen Sie doch zu uns. Mein Vater ist in der Regel um acht Uhr zu Hause.« Dann versuchten sie, ihm zu entschlüpfen, aber der alte Mann hatte sie verfolgt, gräßliche Gesichter geschnitten und zum Erstaunen der Vorübergehenden so laut gerufen, daß, wenn Maud ihn nicht erhöre, er sich als gemeiner Soldat anwerben und in der Schlacht bei Waterloo totschießen lassen wolle.

Mein armes Kind war ganz angegriffen und zitterte wie Espenlaub, als sie mir dieses furchtbare Abenteuer erzählte. Ich suchte sie zu beruhigen und sagte ihr, es sei ganz klar, daß der alte Herr vollständig verrückt sei und einen Wärter haben müsse. Auch versprach ich ihr, mit ihrem Papa darüber zu reden und ihn zu bitten, zu Mr. Johnson zu gehen und von ihm zu verlangen, daß er diese Verfolgung einstelle.

Allein um sieben Uhr am selben Abend, während wir bei Tische saßen – Mr. Tressider speiste auswärts – hörten wir plötzlich ganz ungewöhnliche Töne in unsrem Vorgarten, und da stand der alte Mr. Johnson in bloßem Kopf mit einem Banjo und sang:

»Komm in den Garten, süße Maud,
Entflohen ist die schwarze Nacht,
Komm in den Garten, süße Maud,
Das Auge des Geliebten wacht,
O, laß mich länger nicht alleine,
Denn mich friert schrecklich an die Beine.«

Maud fing an zu weinen, mein Sohn William aber sprang auf und sagte, er wolle hingehen und dem alten Esel ein paar geben, doch suchte ich ihn zurückzuhalten.

»Nein, nein,« sagte ich, »um alles in der Welt keinen öffentlichen Skandal; das brächte die Geschichte erst recht herum. Der alte Mann ist ja offenbar nicht zurechnungsfähig.«

»Ob er verrückt ist oder nicht, ist mir ganz einerlei,« entgegnete William, »er hat kein Recht, hier in unsern Garten zu kommen, und ich werde doch meine Schwester nicht so beschimpfen lassen.«

Ich weiß nicht, welchen Ausgang die Sache genommen hätte, wäre nicht in diesem Augenblick einer von den jungen Johnsons, der gehört hatte, was sein Vater treibe, ganz atemlos angekommen. Er nahm ihn am Arme, und es gelang ihm, ihn nach Hause zu führen. Noch am selben Abend kam der junge Mann wieder, um wegen des ärgerlichen Vorfalles um Entschuldigung zu bitten. Er erzählte uns, daß der arme alte Herr schon seit einiger Zeit ganz zweifellos geistig gestört sei; jetzt sei die Sache aber so weit gekommen, daß die Familie beschlossen habe, ihn in eine Irrenanstalt zu bringen.

Und das geschah zu meiner großen Beruhigung, denn wenn sie es nicht gethan hätten, ich glaube, Maud hätte sich nicht wieder vor die Thür gewagt. Das arme Mädchen! Wirklich eine angenehme Lage, auf der Straße Liebeserklärungen von einem Verrückten anhören zu müssen, der alt genug war, ihr Großvater sein zu können!

Als die schlimmste Aufregung und Angst überwunden und Maud auf einige Zeit zu Freunden aufs Land geschickt worden war (ihre Nerven waren wirklich ganz herunter), sprach ich zu meinem Manne, wir schienen nichts als Unannehmlichkeiten mit »Mauds Liebhabern«, wie die Jungen sie nannten, haben zu sollen. Es war in der That zu abgeschmackt, daß ich bei einer so reizenden Tochter von ältlichen Witwern und Verrückten belästigt wurde, die meine Schwiegersöhne werden wollten. Und als John Tressider mir entgegnete: »Stell dir nur 'mal vor, du wärest die Schwiegermutter eines Verrückten,« da war ich so wütend, daß ich ihn hätte ohrfeigen mögen.

Glücklicherweise gab es keine so schrecklichen Abenteuer mehr, und bald darauf begann ein junger Herr, der mir stets ganz außerordentlich gut gefallen hatte, ständiger Besucher unsres Hauses zu werden. Er kam als Freund meines Sohnes William, und nach dem, was ich beobachtete und was die Jungen gelegentlich andeuteten, schien es mir so, als ob er ein Auge auf Maud geworfen habe, und ich konnte sehen, daß er auch ihr keineswegs zuwider war.

Obgleich ein sehr netter Mensch und ein durch und durch feiner und gebildeter Herr, der auch einer guten Familie angehörte, war seine Stellung doch nicht so, wie ich sie mir gewünscht hätte, denn ich will nur gestehen, ich hatte immer gehofft, daß Maud die beste Partie von der Familie machen werde.

In dieser Welt können wir jedoch nicht alles so haben, wie wir gern möchten, und als Frank Leighton sich später, bildlich gesprochen, mir zu Füßen warf und mich beschwor, meinen Einfluß bei Mr. Tressider geltend zu machen, damit er seine Einwilligung zu einer Verbindung zweier liebenden Herzen gäbe – seins und Mauds – da gewann die Mutter in mir die Oberhand. Ich vergaß meine Träume und Hoffnungen (Selbstlosigkeit ist stets einer meiner hervorragendsten Charakterzüge gewesen), entsann mich meines eigenen ersten Liebestraumes (wovon ich euch im Anfang dieses Kapitels erzählt habe), und versprach dem jungen Paare meine herzliche Fürsprache.

Nun habt ihr von Mauds Liebhabern gehört; in der nächsten Erinnerung werde ich euch von Mauds Mann erzählen.


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