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Als die junge Frau Kaudel ihrem Mann den Plan vortrug, Gartenkunst zu treiben, wurde ihr von seiner Seite auffallend begeisterter Zuspruch zu teil. Allerdings war das dazu verfügbare Gelände ziemlich beschränkt. Der ganze Hinterhof gehörte den Hunden und deren Hütten. Der schmale Streifen vor dem Haus führte zwar den Namen eines Vorgartens, konnte aber für diesen Zweck nicht in Frage kommen. Dafür befanden sich an allen Fenstern Blumenkästen. Blumenkästen umrahmten den leidlich geräumigen Balkon und in der Mitte des genannten Balkons standen sogar vier grün gestrichene Pflanzenkübel. Die junge Frau Kaudel hatte Umschau gehalten und sich die Verhältnisse klargemacht, ehe sie Blumenzucht zu ihrem Sport erkor.
»Rosen und derartiges,« sagte sie, »kann ich natürlich nicht züchten, wie es mein Vater daheim in unserm Garten tut, aber es gibt eine Menge Blumen, die in den Fensterkästen vorzüglich gedeihen werden.«
»Gewiß,« stimmte der Gatte bei. »Bisher habe ich sie immer vom Gärtner füllen lassen, aber wir werden viel mehr Freude daran haben, wenn du selbst Blumen ziehst.«
»Das denke ich ja eben! Außerdem wird mich’s beglücken, wenn ich etwas zu tun habe, und ich werde mir nichts mehr daraus machen, daß ich mit niemand sprechen kann, wenn du arbeitest — ich habe dann auch meine Arbeit!«
An diesem Nachmittag fuhr die junge Frau Kaudel aus und kam erst knapp vor der Essenszeit nach Hause. Sie hatte sich mit einem Dutzend populärer Zeitschriften über Gartenbau und verschiedenen dickbäuchigen Bänden versehen, die sie durchstudieren wollte, um die Sache gründlich zu betreiben.
Gleich nach der Mahlzeit zog sie sich, den »Gärtner«, die »Gartenkunst«, des »Gärtners Tagebuch«, »Liebhabergärtnerei«, den »Gartenbau« und »Blumenfenstergärtnerei« mit sich nehmend, ins Wohnzimmer zurück, und Kaudel konnte in seinem Arbeitszimmer ohne eine einzige Unterbrechung einen Artikel schreiben.
»Famoser Einfall, diese Gärtnerei!« frohlockte er im Innern. »Nun sind meine Abendstunden in Sicherheit.«
Am andern Morgen wartete seiner beim Frühstück eine kleine Überraschung. Seine Frau hatte im »Daily Telegraph«, den »Daily News«, der »Tageschronik« und der »Morgenpost« alle auf Gärtnerei bezüglichen Anzeigen und Notizen so emsig durchgegangen, daß drüber ihr Kaffee kalt geworden war, dann blickte sie auf und sagte: »Wilfrid, heute mußt du furchtbar nett gegen mich sein!«
»Ich bin immer nett gegen dich, Liebste — wenigstens habe ich den besten Willen dazu!«
»Ja, aber heute mußt du ›extra nett‹ sein! Du mußt selbst ausgehen und mir Gartenerde, eine Gartenhacke, einen Spaten, Blumendünger und einen Topf grüner Ölfarbe besorgen.«
»Mein liebes Kind,« rief Herr Kaudel betroffen, »das kann ich nicht! Ich habe ja keine Ahnung, wo man solche Sachen bekommt, ob man Gartenerde per Scheffel, Tonne, Kubikmeter oder Zentner kauft! Aber schreib nur auf, was du brauchst, dann schicke ich den Zettel in den Stall, und Arthur wird dir alles gut besorgen.«
»Wird er?« fragte die junge Frau Kaudel zweifelnd. »Ob Kutscher viel von der Gärtnerei verstehen …«
»O, Arthur ist ein vortrefflicher Gärtner,« versicherte Herr Kaudel. »Er wird dir in allen Stücken zur Hand gehen, die Kästen füllen, frisch anstreichen und so weiter.«
Die junge Frau Kaudel schüttelte den Kopf.
»Ich habe nicht im Sinn, irgend jemand an die Fensterkästen rühren zu lassen, sondern werde alles allein besorgen. Mein Blumengarten auf dem Balkon soll mein Blumengarten und nicht der des Kutschers sein!«
»Gedenkst du etwa, die Gartenerde eigenhändig einzufüllen?«
»Ganz gewiß. Das heißt man Blumen ziehen. Wenn ein andrer daran rührt, sind’s eben nicht mehr meine Blumen, und ich möchte dir zeigen, was ich zu stande bringe.«
Nach beträchtlichen Hin- und Herreden gelang es Herrn Kaudel, einen Vergleich zu stande zu bringen. Die Liste wurde aufgesetzt, und der Kutscher abgesandt, um alles zu besorgen, was für die Blumenkästen nötig war. Die Auslagen des ersten Tags betrugen zehn Pfund, was Herr Kaudel etwas teuer fand, aber seine Frau erklärte ihm, daß Gärtnerei anfangs immer ziemlich viel koste, mit der Zeit indes immer billiger komme, worauf er sich zufriedengab. Die junge Frau Kaudel füllte ihre Kästen, verbrachte einen Morgen mit Einkaufen von Blumenzwiebeln, schrieb an alle bedeutenderen Samenhandlungen um Kataloge und siedelte sich nachmittags auf dem Balkon an, mit grüner Ölfarbe versehen, die für die Vorderseite des ganzen Hauses ausgereicht hätte, und einem Pinsel, der so groß war, daß sie ihn mit beiden Händen halten mußte.
Als sie zum Fünfuhrtee hereinkam, mußte sie zwar tüchtig niesen, war aber in sieghafter Stimmung. Was sie am Leib hatte, war über und über mit grüner Farbe bekleckst, und sie mußte Gesicht und Hände mit Terpentin bürsten, ehe sie in die menschliche Gesellschaft zurückkehren konnte. Infolge davon verbreitete sie einen so überwältigenden Farb- und Terpentingeruch, daß Herr Kaudel erklärte, ihre Anwesenheit im Zimmer verursache ihm die heftigsten Kopsschmerzen.
»Sei doch nicht närrisch!« erklärte sie. »Wenn wir die Balkontüren schließen, kommt der Farbgeruch nicht herein, und Terpentingeruch ist nur gesund. Es ist sehr unfreundlich von dir, wenn du noch brummst, während ich dir so viel Geld erspare. Du brauchst jetzt doch keine Blumen mehr für den Balkon zu kaufen, denn den bepflanze ich dir umsonst!«
»Der Scherz hat zehn Pfund gekostet, ehe noch ein Samenkorn drin ist,« brummte der Gatte.
»Ja, das war der Anfang. Nachher kostet’s so gut wie nichts mehr. Wenn dir’s nicht recht ist, daß ich Blumen ziehe, so geb’ ich’s natürlich auf.«
»Nein, nein!« rief Kaudel hastig. »Pflanze du nach Herzenslust, Liebling, aber vergiß nicht, daß du versprochen hast, mich ganz aus dem Spiel zu lassen. Ich könnte keinen Kohlkopf ziehen, und wenn ich auf einer öden Insel verhungern müßte.«
»Ich werde dich gar nicht belästigen, Wilfrid. Was ich wissen muß, finde ich in meinen Büchern.«
Da seine Frau nicht nur ein Dutzend Bücher über Gartenkunst gekauft, sondern auch noch alle Bände aus der Leihbibliothek, die im Haus gewesen waren, gegen solche eingetauscht hatte, war Herr Kaudel allerdings auch der Meinung, daß sie die nötigen Hilfsmittel zur Hand habe.
»Ja, du wirst wahrhaftig alles finden können,« bemerkte er. »Ich glaube nicht, daß, mit Ausnahme des Britischen Museums, unter irgend einem Hausdach der Welt so viele Werke über Gartenkunst beisammen sind, wie bei uns.«
Inzwischen hatte Frau Kaudel nach dem Werke »Unser Garten« gegriffen und den Kopf dicht über die Blätter geneigt, so daß der Gatte sich unbemerkt aus dem Staub machen und in seinem Arbeitszimmer ein Kapitel des angefangenen Romans niederschreiben konnte.
Es war halb neun Uhr und Kaudel hatte sich nach einer leichten Mahlzeit und einem Blick in die Zeitungen wieder an die Arbeit gemacht. Er war eben an einer leidenschaftlichen Liebesszene zwischen dem jungen Helden und dem Mädchen, das er ihm beigesellen wollte, obwohl die ganze Welt sich dagegen auflehnte, als das Zimmermädchen mit einem Zettel hereinkam. Kaudel warf einen entrüsteten Blick auf die Eintretende, denn von neun Uhr abends an war sein Zimmer geheiligtes Gebiet. Sie fing den Blick auf und stotterte, um sich von Schuld reinzuwaschen: »Die gnädige Frau hat mir befohlen, das zu bringen …«
Stöhnend riß Kaudel das Briefchen auf und las: »Lieber Wilfrid! Da ich dir versprochen habe, dich nicht zu unterbrechen, komme ich nicht zu dir, aber sei so gut und laß mir durch Marie sagen, ob du Krokusse auf dem Balkon haben willst oder ob dir etwas anderes lieber ist. Ich muß es jetzt wissen, weil ich mit der heutigen Abendpost die Zwiebel bei Sutt bestellen möchte.«
Kaudel war sehr verstimmt über die Störung und kritzelte ärgerlich quer über die Zeilen: »Pflanze Brennesseln, wenn du magst, aber laß mich ungeschoren.«
Als er das Geschriebene ansah, mußte er selbst darüber lachen, und in befreiter Stimmung kehrte er zu seiner Liebesszene zurück. Aber er schrieb sehr unleserlich, und war ihm der Faden seines Dialogs abgerissen, so ließ dieser sich nicht so schnell wieder anknüpfen, weil er die Lupe zu Hilfe nehmen mußte, um sein eigenes Geschreibsel zu entziffern. Eben hatte er sie zur Hand genommen, als die Türe aufging und Frau Kaudel mit einem umfangreichen Katalog in der Hand hereinspazierte.
»O Wilfrid! Wie häßlich von dir, mir eine so grobe Antwort zu schicken, während du doch weißt, was ich für dich tue!«
»Du … für mich?« rief Kaudel.
»Ja, deinen Balkon schmücken. Ich möchte nur wissen, was für Blumen du zuerst haben möchtest.«
»Das ist mir ganz einerlei!« rief Kaudel gereizt. »Meinetwegen können sie alle zumal wachsen!«
Die junge Frau Kaudel zog die Augbrauen zusammen.
»Du bist wirklich sehr unfreundlich, Wilfrid, während ich dir doch eine Freude machen und dich nach deinen Lieblingsblumen fragen will!«
»Meine liebe Mabel, wenn ich Blumen haben will, kann ich sie mir blühend kaufen. Wenn dir’s Spaß macht, dich mit grüner Ölfarbe zu beschmieren und das Gärtnerei zu nennen, so kannst du das nach Belieben halten, ich aber habe dir vorhergesagt, daß ich keine Zeit dafür zu vergeuden habe. Pflanze, was dir Spaß macht, aber laß mich an meiner Arbeit.«
»Deine Arbeit! Deine Arbeit!« wiederholte Frau Kaudel tief gekränkt. »Die ist das einzige, woran dein Herz hängt, und meine Arbeit, die gilt dir natürlich nichts. Du sagst, ich solle Brennesseln pflanzen. Schön und gut, soll geschehen — auf ein paar Brennesseln, mehr oder weniger kommt’s in diesem Haus nicht mehr an!«
»Ist mir nie eingefallen, dich eine Brennessel zu nennen,« brummte Kaudel.
»Aber ich sage dir, daß du eine bist, eine Brennessel, die sticht, sobald man sie anredet. Schlimmer bist du als die Brennesseln unter den Pflanzen, denn die stechen wenigstens ihre eigenen Frauen nicht.«
»Darüber weiß ich nichts — ich bin kein Botaniker,« versetzte Kaudel, »aber tu mir den einzigen Gefallen und laß mich weiter arbeiten! Ich bin mitten in einer leidenschaftlichen Liebesszene.«
»Eine leidenschaftliche Liebesszene!« rief die junge Frau Kaudel, die Lippen höhnisch aufwerfend. »Du bist mir gerade der Rechte, Liebesszenen zu schreiben, während du die Frau, der du vor dem Altar Liebe und Treue geschworen hast, wegen eines Krokus für dein eigenes Blumenfenster beschimpfst! Aber das Haus mag jetzt zu Grund gehen, mir ist’s einerlei. Dein Balkon soll eine Schande vor der ganzen Nachbarschaft sein, und wer die leeren Blumenkasten sieht, mag denken, du könnest die paar Pfennige nicht aufbringen, um sie zu füllen. Verlange aber nicht, daß ich ein Haus bewohne, dessen Straßenseite nach Armut riecht. Ich will nicht, daß die Nachbarschaft sagt: ›Jetzt kann der arme Mann nicht einmal mehr seinen Balkon schmücken, weil seine Frau so viel Geld braucht.‹ Nicht als ob sie das aus meinem Anzug schließen könnten! Meinen Wintermantel habe ich so lang getragen, daß ich mich darin nicht mehr in die Hauptstraßen getraue, und ich besitze keinen Hut, den die ganze Nachbarschaft nicht auswendig wüßte.«
»Mabel, wenn du mich nicht zu einem Narren machen willst, so hör auf!« rief Kaudel. »Wie soll ich eine leidenschaftliche Liebesszene schreiben, während mir deine ungerechten Vorwürfe in den Ohren klingen?«
»O, du wirst leidenschaftlich und zärtlich genug sein mit der Feder, besonders wenn die Geliebte eben nicht deine Frau ist! Darum ist mir nicht bange! Und was deine Blumenkasten betrifft, so sollen sie Blumen haben — ich werde die Blumen von meinen alten Hüten nehmen und sie mit Haarnadeln in die Erde stecken! Freilich mußt du dich gedulden bis zum Sommer, denn einen Hut mit Frühlingsblumen habe ich überhaupt nicht — zu deiner Schande sei’s gesagt!«
»O bitte, fange mir nur nicht von Hüten an! Wenn du Frühlingsblumen darauf haben willst, so pflanze sie dort statt in die Fensterkasten.«
»Das soll geistreich sein, nicht? Ist das Witz oder Humor? Du sagtest mir doch, zwischen Witz und Humor sei eine himmelweite Kluft.«
»Nicht halb so weit als zwischen uns beiden, falls du nicht mit deinen Hüten und Blumenkasten abziehen und mich in Ruhe lassen wirst!«
»Drohst du mir, Wilfrid?« fragte die junge Frau Kaudel, sich zu ihrer vollen Höhe aufrichtend, die fünf Fuß vier Zoll betrug.
»Ich weiß nicht, was ich tue …«
»Wenn du nämlich die Absicht hast, dich von mir zu trennen, weil ich den Versuch gemacht habe, deine Blumenkasten zu bepflanzen, so bitte ich dich, mir das schriftlich zu geben. Es wäre mir nicht lieb, wenn mein Vater über die Gründe unserer Trennung im Zweifel sein könnte.«
»Was gehen meine Blumenkasten deinen Vater an?«
»Jetzt natürlich nichts mehr, aber er würde sich darum bekümmert haben. Er ist nämlich ein vorzüglicher Gärtner und ich würde an ihn geschrieben haben wegen des Balkons. Dann würde er im Gewächshaus alles Passende gesät und mir zur rechten Zeit die Setzlinge geschickt haben.«
»Gut!« sagte Kaudel. »Soll’ er nur tun! Laß ihn Krokusse und Narzissen und Nelken und Hyazinthen und Sonnenblumen und Stechpalmen pflanzen und herschicken, wenn sie am Blühen sind. Das wird dir alle Mühe ersparen, und du brauchst mich dann nicht wegen jedes Groschens für Samen zu quälen und zu stören.«
»Groschen! Ich habe jetzt schon zwölf Pfund für die Blumenkasten ausgegeben und dazu fünf Schilling von meinem eigenen Nadelgeld, und dafür wird — mir — wird mir — nichts zu teil — als — als Schmähungen!«
Die junge Frau Kaudel setzte sich in den amerikanischen Schaukelstuhl und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie rührte keine Hand, diese abzuwischen, sondern ließ sie ungestört herabtröpfeln, dem Mann zur Schmach, der ihre geliebten Krokusse in der Zwiebel geknickt hatte.
»Du sollst nie mehr wegen Blumen gestört werden,« erklang es unter Schluchzen. »Ich werde — morgen die Gartenerde herausnehmen und in einen Sack füllen und mit nach Haus nehmen und — und — mein Vater wird dir das Geld dafür schicken — und — und — ich werde meine Blumen daheim pflanzen, wo man — Blumen liebt — und mich …«
Jetzt kam das Taschentuch heraus und die feuchtschimmernden Augen verschwanden in seinem schneeigen Weiß.
»Die Tränen besiegten mich wie gewöhnlich,« schreibt Kaudel, »und ich habe demütig Abbitte geleistet für meine Herzlosigkeit gegen Blumenkasten. Bald hatte der Frühlingssonnenschein, der aus meines Weibes Augen brach, die Spuren des Aprilschauers vertilgt, und ich verbrachte den Rest des Abends mit Durchsicht der Samenkataloge. Schließlich bestellten wir um weitere fünf Pfund Samen und Zwiebel von Blumen, deren Namen ich noch niemals gehört hatte.
»Als ich am nächsten Tag zu meiner leidenschaftlichen Liebesszene zurückkehrte, kam ich durchaus nicht mehr in Zug damit. So ließ ich die Geschichte denn stecken, und schließlich habe ich das Mädel statt mit dem armen Helden mit einem reichen Mann verheiratet. Ich glaube, daß sie dabei auf die Dauer auch glücklicher geworden ist.«