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Der Unterschied des vorgeschrittenen vor dem roheren Denken zeigt sich am Unterschied der Motive, welche die Associationen der Vorstellungen bestimmen. Das zufällige Zusammensein in Raum und Zeit reicht zunächst hin, um die Vorstellungen psychologisch zu verknüpfen; die Vereinigung von Eigenschaften, die einen konkreten Gegenstand bildet, erscheint zunächst als ein einheitliches Ganzes, und jede derselben steht mit den ändern, in deren Umgebung allein man sie kennen gelernt hat, in engem associativem Zusammenhang. Als ein für sich bestehender Vorstellungsinhalt wird sie erst bewußt, wenn sie in noch mehreren und andersartigen Verbindungen auftritt; das Gleiche in allen diesen tritt in helle Beleuchtung und zugleich in gegenseitige Verbindung, indem es sich von den Verknüpfungen mit dem sachlich Ändern, nur im zufälligen Zusammensein am gleichen Gegenstand mit ihm Verbundenen mehr und mehr frei macht. So erhebt sich die Association über die Anregung durch das aktuell Wahrnehmbare zu der auf dem Inhalt der Vorstellungen ruhenden, auf der die höhere Begriffsbildung sich aufbaut, und die das Gleiche auch aus seinen Verschlingungen mit den verschiedenartigsten Wirklichkeiten herausgewinnt.
Die Entwicklung, die hier unter den Vorstellungen vor sich geht, findet in dem Verhältnis der Individuen untereinander eine Analogie. Der Einzelne sieht sich zunächst in einer Umgebung, die, gegen seine Individualität relativ gleichgültig, ihn an ihr Schicksal fesselt und ihm ein enges Zusammensein mit denjenigen auferlegt, neben die der Zufall der Geburt ihn gestellt hat; und zwar bedeutet dies Zunächst sowohl die Anfangszustände phylogenetischer wie ontogenetischer Entwicklung. Der Fortgang derselben aber zielt nun auf associative Verhältnisse homogener Bestandteile aus heterogenen Kreisen. So umschließt die Familie eine Anzahl verschiedenartiger Individualitäten, die zunächst auf diese Verbindung im engsten Maße angewiesen sind. Mit fortschreitender Entwicklung aber spinnt jeder Einzelne derselben ein Band zu Persönlichkeiten, welche außerhalb dieses ursprünglichen Associationskreises liegen und statt dessen durch sachliche Gleichheit der Anlagen, Neigungen und Thätigkeiten u. s. w. eine Beziehung zu ihm besitzen; die Association durch äußerliches Zusammensein wird mehr und mehr durch eine solche nach inhaltlichen Beziehungen ersetzt. Wie der höhere Begriff das zusammenbindet, was einer großen Anzahl sehr verschiedenartiger Anschauungskomplexe gemeinsam ist, so schließen die höheren praktischen Gesichtspunkte die gleichen Individuen aus durchaus fremden und unverbundenen Gruppen zusammen; es stellen sich neue Berührungskreise her, welche die früheren, relativ mehr naturgegebenen, mehr durch sinnlichere Beziehungen zusammengehaltenen, in den mannichfaltigsten Winkeln durchsetzen.
Eins der einfachsten Beispiele ist das angeführte, daß der ursprüngliche Zusammenhang des Familienkreises dadurch modifiziert wird, daß die Individualität des Einzelnen diesen in anderweitige Kreise einreiht; eins der höchsten die »Gelehrtenrepublik«, jene halb ideelle, halb reale Verbindung aller in einem so höchst allgemeinen Ziel wie Erkenntnis überhaupt sich zusammenfindenden Persönlichkeiten, die im übrigen den allerverschiedensten Gruppen in Bezug auf Nationalität, persönliche und specielle Interessen, sociale Stellung u.s.w. angehören. Noch stärker und charakteristischer als in der Gegenwart zeigte sich die Kraft des geistigen und Bildungsinteresses, das Zusammengehörige aus höchst verschiedenen Kreisen heraus zu differenzieren und zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzuschließen, in der Renaissancezeit. Das humanistische Interesse durchbrach die mittelalterliche Absonderung der Kreise und Stände und gab Leuten, die von den verschiedensten Ausgangspunkten hergekommen, und die oft noch den verschiedensten Berufen treu blieben, eine gemeinsame aktive oder passive Teilnahme an Gedanken und Erkenntnissen, welche die bisherigen Formen und Einteilungen des Lebens auf das mannichfaltigste kreuzten. Die Vorstellung herrschte, daß das Bedeutende zusammengehöre; das zeigen die im XIV. Jahrhundert auftauchenden Sammlungen von Lebensbeschreibungen, die eben ausgezeichnete Leute als solche in einem einheitlichen Werke zusammen schildern, mochten sie nun Theologen oder Künstler, Staatsmänner oder Philologen sein. Nur so ist es möglich, daß ein mächtiger König, Robert von Neapel, mit dem Dichter Petrarka Freundschaft schließt und ihm seinen eignen Purpurmantel schenkt; nur so war die Sonderung der rein geistigen Bedeutung von alledem möglich, was sonst als wertvoll galt, infolge deren der venetianische Senat bei der Auslieferung Giordano Bruno's an die Kurie schreiben konnte: Bruno sei einer der schlimmsten Ketzer, habe die verwerflichsten Dinge gethan, ein lockeres und geradezu teuflisches Leben geführt – im übrigen sei er aber einer der ausgezeichnetsten Geister, die man sich denken könne, von der seltensten Gelehrsamkeit und Geistesgröße. Der Wandertrieb und die Abenteuerlust der Humanisten, ja ihr teilweise schwankungsreicher und unzuverlässiger Charakter entsprach dieser Unabhängigkeit des Geistigen, das ihr Lebenszentrum bildete, von allen sonstigen Anforderungen an den Menschen; sie mußte eben gegen diese gleichgültig machen. Der einzelne Humanist wiederholte, indem er sich in der bunten Mannichfaltigkeit der Lebensverhältnisse bewegte, das Los des Humanismus, der den armen Scholaren und Mönch ebenso wie den mächtigen Feldherrn und die glanzvolle Fürstin in einem Rahmen geistigen Interesses umfaßte.
Die Zahl der verschiedenen Kreise nun, in denen der Einzelne darin steht, ist einer der Gradmesser der Kultur. Wenn der moderne Mensch zunächst der elterlichen Familie angehört, dann der von ihm selbst gegründeten und damit auch der seiner Frau, dann seinem Berufe, der ihn schon für sich oft in mehrere Interessenkreise eingliedern wird (z. B. in jedem Beruf, der über- und untergeordnete Personen enthält, steht jeder in dem Kreise seines besonderen Geschäfts, Amtes, Bureaus etc. darin, der jedesmal Hohe und Niedere zusammenschließt, und außerdem in dem Kreise, der sich aus den Gleichgestellten in den verschiedenen Geschäften etc. bildet); wenn er sich seines Staatsbürgertums und der Zugehörigkeit zu einem bestimmten socialen Stande bewußt ist, außerdem Reserveoffizier ist, ein paar Vereinen angehört und einen die verschiedensten Kreise berührenden geselligen Verkehr besitzt: so ist dies schon eine sehr große Mannichfaltigkeit von Gruppen, von denen manche zwar koordiniert sind, andere aber sich so anordnen lassen, daß die eine als die ursprünglichere Verbindung erscheint, von der aus das Individuum auf Grund seiner besondern Qualitäten, durch die es sich von den übrigen Mitgliedern des ersten Kreises; abscheidet, sich einem entfernteren Kreise zuwendet. Der Zusammenhang mit jenem kann dabei weiter bestehen bleiben, wie eine Seite einer komplexen Vorstellung, wenn sie psychologisch auch längst rein sachliche Associationen gewonnen hat, doch die zu dem Komplex, mit dem sie nun einmal in räumlich-zeitlicher Verbindung existiert, keineswegs zu verlieren braucht.
Hieraus ergeben sich nun vielerlei Folgen. Die Gruppen, zu denen der Einzelne gehört, bilden gleichsam ein Koordinatensystem, derart, daß jede neu hinzukommende ihn genauer und unzweideutiger bestimmt. Die Zugehörigkeit zu je einer derselben läßt der Individualität noch einen weiten Spielraum; aber je mehre es werden, desto unwahrscheinlicher ist es, daß noch andere Personen die gleiche Gruppenkombination aufweisen werden, daß diese vielen Kreise sich noch einmal in einem Punkte schneiden. Wie der konkrete Gegenstand für unser Erkennen seine Individualität verliert, wenn man ihn einer Eigenschaft nach unter einen allgemeinen Begriff bringt, sie aber in dem Maße wiedergewinnt, in dem die ändern Begriffe hervorgehoben werden, unter die seine ändern Eigenschaften ihn einreihen, so daß jedes Ding, platonisch zu reden, an so vielen Ideen Teil hat, wie es vielerlei Qualitäten besitzt, und dadurch seine individuelle Bestimmtheit erlangt: gerade so verhält sich die Persönlichkeit gegenüber den Kreisen, denen sie angehört. Innerhalb des psychologisch-theoretischen Gebietes ist ganz das Analoge zu beobachten; was wir das Objektive in unserm Weltbild nennen, was sich als das Sachliche der Subjektivität des Einzeleindrucks gegenüberzustellen scheint, das ist doch thatsächlich nur ein sehr gehäuftes und wiederholtes Subjektives – wie nach Hume's Meinung die Kausalität, das sachliche Erfolgen nur in einem oft wiederholten, zeitlich sinnlichen Folgen, und wie der substantielle Gegenstand uns gegenüber nur in der Synthese sinnlicher Eindrücke besteht. So nun bilden wir aus diesen objektiv gewordenen Elementen dasjenige, was wir die Subjektivität κατ εξοχην nennen, die Persönlichkeit, die die Elemente der Kultur in individueller Weise kombiniert. Nachdem die Synthese des Subjektiven das Objektive hervorgebracht, erzeugt nun die Synthese des Objektiven ein neueres und höheres Subjektives – wie die Persönlichkeit sich an den socialen Kreis hingiebt und sich in ihm verliert, um dann durch die individuelle Kreuzung der socialen Kreise in ihr wieder ihre Eigenart zurückzugewinnen. Übrigens wird ihre zweckmäßige Bestimmtheit so gewissermaßen zum Gegenbild ihrer kausalen: an ihrem Ursprung ist sie doch auch nur der Kreuzungspunkt unzähliger socialer Fäden, das Ergebnis der Vererbung von verschiedensten Kreisen und Anpassungsperioden her, und wird zur Individualität durch die Besonderheit der Quanten und Kombinationen, in denen sich die Gattungselemente in ihr zusammenfinden. Schließt sie sich nun mit der Mannichfaltigkeit ihrer Triebe und Interessen wieder an sociale Gebilde an, so ist das sozusagen ein Ausstrahlen und Wiedergeben dessen, was sie empfangen, in analoger, aber bewußter und erhöhter Form.
Ihre Bestimmtheit wird nun eine um so größere sein, wenn die bestimmenden Kreise mehr nebeneinander liegende, als konzentrische sind; d.h. allmählich sich verengende Kreise, wie Nation, sociale Stellung, Beruf, besondere Kategorie innerhalb dieses, werden der an ihnen teilhabenden Person keine so individuelle Stelle anweisen, weil der engste derselben ganz von selbst die Teilhaberschaft an den weiteren bedeutet, als wenn jemand außer seiner Berufsstellung etwa noch einem wissenschaftlichen Vereine angehört, Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist und ein städtisches Ehrenamt bekleidet; je weniger das Teilhaben an dem einen Kreise von selbst Anweisung giebt auf das Teilhaben an dem ändern, desto bestimmter wird die Person dadurch bezeichnet, daß sie in einem Schnittpunkt beider steht. Ich will hier nur andeuten, wie die Möglichkeit der Individualisierung auch dadurch ins Unermeßliche wächst, daß dieselbe Person in den verschiedenen Kreisen, denen sie gleichzeitig angehört, gam; verschiedene relative Stellungen einnehmen kann. Denn jeder neue Zusammenschluß unter gleichem Gesichtspunkt erzeugt sofort wieder in sich eine gewisse Ungleichheit, eine Differenzierung zwischen Führenden und Geführten; wenn ein einheitliches Interesse, wie es etwa das erwähnte humanistische war, für hohe und niedere Personen ein gemeinsames Band war, das ihre sonstige Verschiedenheit paralysierte, so entsprangen nun innerhalb dieser Gemeinsamkeit und nach den ihr eigenen Kategorieen neue Unterschiede zwischen Hoch und Niedrig, welche ganz außer Korrespondenz mit dem Hoch und Niedrig innerhalb ihrer sonstigen Kreise stehen. Indem die Höhen der Stellungen, welche eine und dieselbe Person in verschiedenen Gruppen einnimmt, von einander völlig unabhängig sind, können so seltsame Kombinationen entstehen, wie die, daß in Ländern mit allgemeiner Wehrpflicht der geistig und social höchststehende Mann sich einem Unteroffizier unterzuordnen hat und daß die Pariser Bettlergilde einen gewählten »König« besitzt, der ursprünglich nur ein Bettler wie alle, und, so viel ich weiß, auch weiter ein solcher bleibend, mit wahrhaft fürstlichen Ehren und Bevorzugungen, ausgestattet ist – vielleicht die merkwürdigste und individualisierendste Vereinigung von Niedrigkeit in einer und Höhe in anderer socialen Stellung. Auch sind hier diejenigen Komplikationen in Betracht zu ziehen, die durch die Konkurrenz innerhalb einer Gruppe entstehen; der Kaufmann ist einerseits mit anderen Kaufleuten zu einem Kreise verbunden, der eine große Anzahl gemeinsamer Interessen hat: wirtschaftspolitische Gesetzgebung, sociales Ansehen des Kaufmannsstandes, Repräsentation desselben, Zusammenschluß gegenüber dem Publikum zur Aufrechterhaltung bestimmter Preise und vieles andere – geht die gesamte Handelswelt als solche an und lässt sie Dritten gegenüber als Einheit erscheinen. Andererseits aber befindet sich jeder Kaufmann in konkurrierendem Gegensatz gegen so und so viele andere, das Eintreten in diesen Beruf schafft ihm im gleichen Moment Verbindung und Isolierung, Gleichstellung und Sonderstellung; er wahrt sein Interesse durch die erbittertste Konkurrenz mit denjenigen, mit denen er sich doch um des gleichen Interesses willen oft aufs engste zusammenschliessen muß. Dieser innerliche Gegensatz ist zwar auf dem kaufmännischen Gebiet wohl am krassesten, indes auch auf allen ändern bis herab zu der ephemeren Socialisierung einer Abendgesellschaft irgendwie vorhanden. Und wenn wir nun bedenken, welche Bedeutung für die Persönlichkeit das Maß hat, in dem sie Anschluß oder Gegensatz in ihren socialen Gruppen findet, so thut sich uns eine unermeßliche Möglichkeit von individualisierenden Kombinationen dadurch auf, daß der Einzelne einer Mannichfaltigkeit von Kreisen angehört, in denen das Verhältnis von Konkurrenz und Zusammenschluß stark variiert, und da jedem Menschen ein gewisses Maß kollektivistischen Bedürfnisses eigen ist, so ergiebt die Mischung zwischen Kollektivismus und Isolierung, die jeder Kreis bietet, einen neuen rationalen Gesichtspunkt für die Zusammenstellung der Kreise, denen sich der Einzelne anschließt: wo innerhalb eines Kreises starke Konkurrenz herrscht, werden die Mitglieder sich gern solche anderweitigen Kreise suchen, die möglichst konkurrenzlos sind; so findet sich im Kaufmannsstand eine entschiedene Vorliebe für gesellige Vereine, während das die Konkurrenz innerhalb des eigenen Kreises ziemlich ausschließende Standesbewußtsein des Aristokraten ihm derartige Ergänzungen ziemlich überflüssig macht und ihm vielmehr die Vergesellschaftungen näher legt, die in sich stärkere Konkurrenz ausbilden, z. B. alle durch Sportinteressen zusammengehaltenen. Endlich erwähne ich hier noch drittens die oft diskrepanten dadurch entstehenden Kreuzungen, daß ein Einzelner oder eine Gruppe von Interessen beherrscht werden, die einander entgegengesetzt sind und jene deshalb zu gleicher Zeit ganz entgegengesetzten Parteien angehören lassen. Für Individuen liegt ein solches Verhalten dann nahe, wenn bei vielseitig ausgebildeter Kultur ein starkes politisches Parteileben herrscht; dann pflegt nämlich die Erscheinung einzutreten, daß die politischen Parteien die verschiedenen Standpunkte auch in denjenigen Fragen, die mit der Politik gar nichts zu thun haben, unter sich verteilen, sodaß eine bestimmte Tendenz der Literatur, der Kunst, der Religiosität etc. mit der einen Partei, die entgegengesetzte mit der ändern associiert wird; die Linie, die die Parteien sondert, wird schließlich durch die Gesamtheit der Lebensinteressen hindurch verlängert. Da liegt es denn auf der Hand, daß der Einzelne, der sich nicht vollkommen in den Bann der Partei geben will, sich etwa mit seiner ästhetischen oder religiösen Überzeugung einer Gruppierung anschließen wird, die mit seinen politischen Gegnern amalgamiert ist. Er wird im Schnittpunkt zweier Gruppen stehen, die sich sonst als einander entgegengesetzte bewußt sind. Ganzen Massen wurde eine solche Doppelstellung zur Zeit der grausamen Unterdrückung der irischen Katholiken durch England aufgezwungen. Heute fühlten sich die Protestanten Englands und Irlands verbunden gegen den gemeinsamen Religionsfeind ohne Rücksicht auf die Landsmannschaft, morgen waren die Protestanten und Katholiken Irlands gegen den Unterdrücker ihres gemeinsamen Vaterlandes verbunden ohne Rücksicht auf Religionsverschiedenheit.
Die Ausbildung des öffentlichen Geistes zeigt sich nun darin, daß genügend viele Kreise von irgendwelcher objektiven Form und Organisierung vorhanden sind, um jeder Wesensseite einer mannichfach beanlagten Persönlichkeit Zusammenschluß und genossenschaftliche Bethätigung zu gewähren. Hierdurch wird eine gleichmäßige Annäherung an das Ideal des Kollektivismus wie des Individualismus geboten. Denn einerseits findet der Einzelne für jede seiner Neigungen und Bestrebungen eine Gemeinschaft vor, die ihm die Befriedigung derselben erleichtert, seinen Thätigkeiten je eine als zweckmäßig erprobte Form und alle Vorteile der Gruppenangehörigkeit darbietet; andererseits wird das Specifische der Individualität durch die Kombination der Kreise gewahrt, die in jedem Fall eine andere sein kann. Wenn die vorgeschrittene Kultur den socialen Kreis, dem wir mit unserer ganzen Persönlichkeit angehören, mehr und mehr erweitert, dafür aber das Individuum in höherem Maße auf sich selbst stellt und es mancher Stützen und Vorteile des enggeschlossenen Kreises beraubt: so liegt in jener Herstellung von Kreisen und Genossenschaften, in denen sich beliebig viele, für den gleichen Zweck interessierte Menschen zusammenfinden können, eine Ausgleichung jener Vereinsamung der Persönlichkeit, die aus dem Bruch mit der engen Umschränktheit früherer Zustände hervorgeht.
Die Enge dieses Zusammenschlusses ist daran zu ermessen, ob und in welchem Grade ein solcher Kreis eine besondere »Ehre« ausgebildet hat, derart, daß der Verlust oder die Kränkung der Ehre eines Mitgliedes von jedem ändern Mitgliede als eine Minderung der eigenen Ehre empfunden wird, oder daß die Genossenschaft eine kollektivpersönliche Ehre besitzt, deren Wandlungen sich in dem Ehr-Empfinden jedes Mitgliedes abspiegeln. Durch Herstellung dieses specifischen Ehrbegriffes (Familienehre, Offiziersehre, kaufmännische Ehre u. s. w.) sichern sich solche Kreise das zweckmäßige Verhalten ihrer Mitglieder besonders auf dem Gebiete derjenigen specifischen Differenz, durch welche sie sich von dem weitesten socialen Kreise abscheiden, sodaß die Zwangsmaßregeln für das richtige Verhalten diesem gegenüber, die staatlichen Gesetze, keine Bestimmungen für jenes enthalten. Einer der größten socialethischen Fortschritte vollzieht sich auf diese Weise: die enge und strenge Bindung früherer Zustände, in denen die sociale Gruppe als Ganzes, resp. ihre Zentralgewalt, das Thun und Lassen des Einzelnen nach den verschiedensten Richtungen hin reguliert, beschränkt ihre Regulative mehr und mehr auf die notwendigen Interessen der Allgemeinheit; die Freiheit des Individuums gewinnt mehr und mehr Gebiete für sich. Diese aber werden von neuen Gruppenbildungen besetzt, aber so, daß die Interessen des Einzelnen frei entscheiden, zu welcher er gehören will; infolge dessen genügt statt äußerer Zwangsmittel schon das Gefühl der Ehre, um ihn an diejenigen Normen zu fesseln, deren es zum Bestände der Gruppe bedarf. Übrigens nimmt dieser Prozeß nicht nur von der staatlichen Zwangsgewalt seinen Ursprung; überall, wo eine Gruppenmacht eine Anzahl von individuellen Lebensbeziehungen, die sachlich außer Beziehung zu ihren Zwecken stehen, ursprünglich beherrscht – auch in der Familie, in der Zunft, in der religiösen Gemeinschaft u.s.w. –, giebt sie die Anlehnung und den Zusammenschluß in Bezug auf jene schließlich an besondere Vereine ab, an denen die Beteiligung Sache der persönlichen Freiheit ist, wodurch denn die Aufgabe der Socialisierung in viel vollkommnerer Weise gelöst werden kann, als durch die frühere, die Individualität mehr vernachlässigende Vereinigung.
Es kommt hinzu, daß die undifferen zierte Herrschaft einer socialen Macht über den Menschen, wie ausgedehnt und streng sie auch sei, doch immer noch um eine Reihe von Lebensbeziehungen sich nicht kümmert und nicht kümmern kann, und daß diese der rein individuellen Willkür um so sorgloser und bestimmungsloser überlassen werden, je größerer Zwang in den übrigen Beziehungen herrscht; so mußte der griechische und noch mehr der altrömische Bürger sich zwar in allen mit der Politik nur irgend im Zusammenhang stehenden Fragen den Normen und Zwecken seiner vaterländischen Gemeinschaft bedingungslos unterordnen; aber er besaß dafür als Herr seines Hauses eine um so unumschränktere Selbstherrlichkeit; so giebt jener engste sociale Zusammenschluß, wie wir ihn an den in kleinen Gruppen lebenden Naturvölkern beobachten, dem Einzelnen vollkommene Freiheit, sich gegen alle außerhalb des Stammes stehenden Personen in jeder ihm beliebenden Weise zu benehmen; so findet der Despotismus häufig sein Korrelat und sogar seine Unterstützung in der vollkommensten Freiheit und selbst Zügellosigkeit der wenigen ihm nicht wichtigen Beziehungen der Persönlichkeiten. Nach dieser unzweckmäßigen Verteilung kollektivistischen Zwanges und individualistischer Willkür tritt eine angemessenere und gerechtere da ein, wo der sachliche Inhalt der Sitten und Tendenzen der Personen über die associative Gestaltung entscheidet, weil sich dann auch für ihre bis dahin ganz unkontrollierten und rein individualistisch bestimmten Bethätigungen leichter kollektivistische Anlehnungen finden werden; denn in demselben Maße, in dem die Persönlichkeit als Ganzes befreit wird, sucht sie auch für ihre einzelnen Seiten socialen Zusammenschluß und beschränkt freiwillig die individualistische Willkür, in der sie sonst einen Ersatz für die undifferenzierte Fesselung an eine Kollektivmacht findet; so sehen wir z.B. in Ländern mit großer politischer Freiheit ein besonders stark ausgebildetes Vereinsleben, in religiösen Gemeinschaften ohne starke hierarchisch ausgeübte Kirchengewalt eine lebhafte Sektenbildung u.s.w. Mit einem Wort, Freiheit und Bindung verteilen sich gleichmäßiger, wenn die Socialisierung, statt die heterogenen Bestandteile der Persönlichkeit in einen einheitlichen Kreis zu zwingen, vielmehr die Möglichkeit gewährt, daß das Homogene aus heterogenen Kreisen sich zusammenschließt.
Dies ist einer der wichtigsten Wege, den fortschreitende Entwicklung einschlägt: die Differenzierung und Arbeitsteilung ist zuerst sozusagen quantitativer Natur und verteilt die Thätigkeitskreise derart, daß zwar einem Individuum oder einer Gruppe ein anderer als einer ändern zukommt, aber jeder derselben eine Summe qualitativ verschiedener Beziehungen einschließt; allein später wird dieses Verschiedene herausdifferenziert und aus allen diesen Kreisen zu einem nun qualitativ einheitlichen Thätigkeitskreise zusammengeschlossen. Die Staatsverwaltung entwickelt sich häufig so, daß das zuerst ganz undifferenzierte Verwaltungszentrum eine Reihe von Gebieten aussondert, welche je einer einzelnen Behörde oder Persönlichkeit unterstehen. Aber diese Gebiete sind zunächst lokaler Natur; es ist also z.B. ein Intendant von sehen des französischen Staatsrats in eine Provinz geschickt, um nun dort alle die verschiedenen Funktionen auszuüben, die sonst der Staatsrat selbst über das Ganze des Landes übt; es ist eine Teilung nach dem Quantum der Arbeit. Davon unterscheidet sich die später hervorgehende Teilung der Funktionen, wenn sich dann z. B. aus dem Staatsrat die verschiedenen Ministerien herausbilden, deren jedes seine Thätigkeit über das ganze Land, aber nur in einer qualitativ bestimmten Beziehung erstreckt. Wenn die Specialisierung der Heilkunst schon im alten Aegypten für den Arm einen ändern Arzt ausbildete, als für das Bein, so war auch dies eine Differenzierung nach lokalen Gesichtspunkten, der gegenüber die moderne Medizin gleiche pathologische Zustände, gleichviel an welchem Körpergliede sie auftreten, dem gleichen Specialarzt überantwortet, sodaß wiederum die funktioneile Gleichheit an Stelle der zufälligen Äußerlichkeit die Zusammenfassung beherrscht. Die gleiche Form einer über die ältere Differenzierung und Zusammenfassung hinausgehenden neuen Verteilung zeigen jene Geschäfte, die alle verschiedenen Materialien für die Herstellung komplizierter Objekte führen, z. B. das gesamte Eisenbahnbaumaterial, alle Artikel für Gastwirte, Zahnärzte, Schuhmacher, Magazine für sämtliche: Haus- und Kücheneinrichtung u. s. w. Der einheitliche Gesichtspunkt, nach dem hier die Zusammenfügung der aus den verschiedensten Herstellungskreisen stammenden Objekte erfolgt, ist ihre Beziehung auf einen einheitlichen Zweck, dem sie insgesamt dienen, auf den terminus ad quem, während die Arbeitsteilung sonst nach der Einheitlichkeit des terminus a quo, der gleichen Herstellungart, stattfindet. Diese Geschäfte, welche die letztere freilich zur Voraussetzung haben, stellen eine potenzierte Arbeitsteilung dar, indem sie aus ganz; heterogenen Branchen, die aber an sich schon sehr arbeitsteilig wirken, die nach einem Gesichtspunkt zusammengehörigen, sozusagen die zu einem neuen Grundton harmonischen Teile einschließen. Eine Zusammenfassung zu einheitlichem socialem Bewußtsein, die durch die Höhe der Abstraktion über den individuellen Besonderheiten interessant ist, findet sich in der Zusammengehörigkeit der Lohnarbeiter als solcher. Gleichviel, was der Einzelne arbeite, ob Kanonen oder Spielzeug, die formale Thatsache, daß er überhaupt für Lohn arbeitet, schließt ihn mit den in gleicher Lage Befindlichen zusammen; das gleichmäßige Verhältnis zum Kapital bildet gewissermaßen den Exponenten, der an so verschiedenartigen Bethätigungen das Gleichartige sich herausdifferenzieren läßt und eine Vereinheitlichung für alle daran Teilhabenden schafft. Die unermeßliche Bedeutung, die die psychologische Differenzierung des Begriffs des »Arbeiters« überhaupt aus dem des Webers, Maschinenbauers, Kohlenhäuers etc. heraus hatte, wurde schon der englischen Reaktion am Anfang dieses Jahrhunderts klar; durch die Corresponding Societies Act setzte sie durch, daß alle schriftliche Verbindung der Arbeitervereine untereinander und außerdem alle Gesellschaften verboten wurden, welche aus verschiedenen Branchen zusammengesetzt waren. Sie war sich offenbar bewußt, daß, wenn die Verschmelzung der allgemeinen Form des Arbeiterverhältnisses mit dem speciellen Fach erst einmal gelöst sei, wenn die genossenschaftliche Vereinigung einer Reihe von Branchen erst einmal durch gegenseitige Paralysierung des Verschiedenen das ihnen allen Gemeinsame in helle Beleuchtung rückte, – daß damit die Formel und die Aegide eines neuen socialen Kreises geschaffen sei, dessen Verhältnis zu den früheren unberechenbare Komplikationen ergeben würde. Nachdem die Differenzierung der Arbeit ihre verschiedenartigen Zweige geschaffen, legt das abstraktere Bewußtsein wieder eine Linie hindurch, die das Gemeinsame dieser zu einem neuen socialen Kreise zusammenschließt. Ein ähnlicher, zu realen kollektivistischen Einrichtungen führender Zusammenschluß schafft den Kaufmannsstand als solchen. So lange die Arbeitsteilung noch nicht sehr vorgeschritten ist, sondern eine ganze Anzahl verwandter Aufgaben von dem gleichen Individuum, resp. dem gleichen Berufskreise, gelöst wird, also nur eine geringere Zahl von solchen vorhanden ist, da finden folgenreiche psychologische Verschmelzungen leicht nach zwei Seiten hin statt, oder vielmehr eine Einheit von Elementen, die von dem Standpunkte späterer Differenziertheit als Verschmelzung bezeichnet wird, indes ungenau, da dieser Ausdruck eine vorherige Getrenntheit von erst später mit einander verschmelzenden Elementen anzudeuten scheint. Erstens ist der höhere Begriff, der einer Anzahl verschiedenartiger Bethätigungen gemeinsam ist, noch nicht hinreichend von diesen in ihrer Einzelheit gelöst, um gemeinsame Handlungen und Einrichtungen hervorzurufen. So war es z. B. erst Sache der neuesten Kultur, daß die Frauen sich in großer Anzahl zusammenthaten, um politische und sociale Rechte zu erringen oder kollektive Veranstaltungen zu ökonomischen Unterstützungs- und anderen Zwecken zu treffen, die nur die Frauen als solche angingen; wir können annehmen, daß der Allgemeinbegriff Frau bis dahin für jede noch zu eng mit derjenigen Ausgestaltung desselben, die sie selbst darstellte, verschmolzen war, wofür es natürlich keinen Unterschied macht, ob die Loslösung dieses Allgemeinbegriffs die Quelle praktischer Gestaltungen ist oder umgekehrt äußere Notwendigkeiten zu jener drängten. Die Betätigungen der Frauen waren und sind eben im allgemeinen noch zu ähnliche, als daß ein von realem und praktischem Inhalt erfüllter Allgemeinbegriff hätte entstehen können, der ja überall erst durch verschiedenartige Einzelerscheinungen zum Bewußtsein gebracht wird; gäbe es nur eine einzige Art von Bäumen, so würde es zur Bildung des Begriffs Baum überhaupt nicht gekommen sein. So neigen auch Menschen, die in sich stark differenziert, vielfach ausgebildet und bethätigt sind, eher zu kosmopolitischen Empfindungen und Überzeugungen, als einseitige Naturen, denen sich das allgemein Menschliche nur in dieser beschränkten Ausgestaltung darstellt, da sie sich in andere Persönlichkeiten nicht hineinzuversetzen und also zur Empfindung des allen Gemeinsamen nicht durchzudringen vermögen. Die Normen für den kaufmännischen Verkehr werden um so reiner von den speciellen, für einen Zweig erforderlichen Bestimmungen abgelöst, in je mehr Zweige die wirtschaftliche Produktion auseinandergeht, während z. B. in Industriestädten, die sich wesentlich auf je eine Branche beschränken, zu beobachten ist, wie sich der Begriff des Industriellen noch wenig von dem des Eisen-, Textil-, Spielwaarenindustriellen losgelöst hat und die Usancen auch des anderweitigen, des industriellen Verkehrs überhaupt ihren Charakter von der das Bewußtsein hauptsächlich füllenden Branche entlehnen. Dabei stellen sich, wie angedeutet, die praktischen Konsequenzen einer Herausbildung höherer Allgemeinheiten nicht immer chronologisch als solche dar, sondern bilden wechselwirkend auch häufig die Anregung, die das Bewußtsein der socialen Gemeinsamkeit hervorrufen hilft. So wird z. B. dem Handwerkerstand seine Zusammengehörigkeit durch das Lehrlingswesen nahe gelegt; wenn durch übermäßige Verwendung von Lehrlingen die Arbeit verbilligt und verschlechtert wird, so würde die Eindämmung dieses Übels in einem Fache nur bewirken, daß die aus ihm herausgedrängten Lehrlinge ein anderes überschwemmten, sodaß also nur eine gemeinsame Aktion helfen kann, – eine Folge, die natürlich nur durch die Mannichfaltigkeit der Handwerke möglich ist, aber die Einheit aller dieser über ihre specifischen Differenzen hinaus zum Bewußtsein bringen muß.
Bewirkt die Differenzierung hier die Herausgliederung des superordinierten Kreises aus dem individuelleren, in dem er vorher nur latent lag, so hat sie nun zweitens auch mehr koordinierte Kreise von einander zu lösen. Die Zunft z. B. übte eine Aufsicht über die ganze Persönlichkeit in dem Sinne, daß das Interesse des Handwerks deren ganzes Thun zu regulieren hatte. Der in die Lehrlingsschaft bei einem Meister Aufgenommene wurde dadurch zugleich ein Mitglied seiner Familie u. s. w.; kurz, die fachmäßige Beschäftigung zentralisierte das ganze Leben, das politische und das Herzensleben oft mit eingeschlossen, in der energischsten Weise. Von den Momenten, die zur Auflösung dieser Verschmelzungen führten, kommt hier das in der Arbeitsteilung liegende in Betracht. In jedem Menschen, dessen mannichfaltige Lebensinhalte von einem Interessenkreise aus gelenkt werden, wird die Kraft dieses letzteren in demselben Maße abnehmen, als er in sich an Umfang verliert. Die Enge des Bewußtseins bewirkt, daß eine vielgliederige Beschäftigung, eine Mannichfaltigkeit zu ihr gehöriger Vorstellungen auch die übrige Vorstellungswelt in ihren Bann zieht. Sachliche Beziehungen zwischen dieser und jener brauchen dabei gar nicht zu bestehen; durch die Notwendigkeit, bei einer nicht arbeitsgeteilten Beschäftigung die Vorstellungen relativ schnell zu wechseln, wird ein solches Maß von psychischer Energie verbraucht, daß die Bebauung anderer Interessen darunter leidet und nun die so geschwächten um so eher in associative oder sonstige Abhängigkeit von jenem zentralen Vorstellungskreise geraten. Ein Mensch, den eine große Leidenschaft erfüllt, setzt auch das Entfernteste, jeder inhaltlichen Berührung mit jener Entbehrende, das durch sein Bewußtsein geht, mit ihr in irgendwelche Verbindung. Sein ganzes Seelenleben empfängt von ihr aus sein Licht und seinen Schatten; und eine entsprechende psychische Einheit wird jeder Beruf bewirken, der für die sonstigen Lebensbeziehungen nur ein relativ geringes Quantum von Bewußtsein übrig läßt. Hier liegt eine der wichtigsten inneren Folgen der Arbeitsteilung; sie gründet sich auf die erwähnte psychologische Thatsache, daß in einer gegebenen Zeit, alles Übrige gleichgesetzt, um so mehr Vorstellungskraft aufgewandt wird, je häufiger das Bewußtsein von einer Vorstellung zur andern wechseln muß. Und dieser Wechsel der Vorstellungen hat die gleiche Folge, wie in dem Falle der Leidenschaft ihre Intensität. Deshalb wird eine nicht arbeitsgeteilte Beschäftigung, wiederum alles Übrige gleichgesetzt, eher als eine sehr specialisierte zu einer zentralen, alles Übrige in sich einsaugenden Stellung in dem Lebenslaufe eines Menschen kommen, und zwar insbesondere in Perioden, in denen es in den übrigen Lebensbeziehungen noch an der Buntheit und den wechselvollen Anregungen der modernen Zeit fehlte. Und in dem Maße, in dem die einseitigere und deshalb mehr mechanische Beschäftigung jenen ändern Beziehungen mehr Raum im Bewußtsein gestattet, muß auch deren Wert und Selbständigkeit wachsen. Diese koordinierende Sonderung der Interessen, die vorher in ein zentrales eingeschmolzen waren, wird auch noch durch eine andere Folge der Arbeitsteilung gefördert, die mit der oben besprochenen Lösung des höheren Socialbegriffs aus den specieller bestimmten Kreisen .heraus zusammenhängt. Associationen zwischen zentralen und peripheren Vorstellungen und Interessenkreisen, die sich aus bloß psychologischen und historischen Ursachen gebildet haben, werden meist so lange für sachlich notwendig gehalten, bis die Erfahrung uns Persönlichkeiten zeigt, die ebendasselbe Zentrum bei ganz anderer Peripherie oder eine gleiche Peripherie bei anderem Zentrum aufweisen. Wenn also die Berufsangehörigkeit die übrigen Lebensinteressen von sich abhängig machte, so mußte sich diese Abhängigkeit mit der Zunahme der Beschäftigungszweige lockern, weil, trotz der Verschiedenheit dieser, vielerlei Gleichheiten in allen übrigen Interessen an den Tag traten. So gewinnen wir auch in den feinsten Beziehungen des Seelenlebens manche innere und äußere Freiheit, wenn wir ein sittlich nötiges Handeln und Fühlen bei Ändern von ganz anderen Vorbedingungen abhängig sehen, als sie bei uns mit jenem verbunden waren; dies gilt z. B. in hohem Maße von den ethischen Beziehungen der Religion, an welche letztere sich manche Menschen deshalb gebunden fühlen, weil alte psychologische Gewohnheit ihre sittlichen Impulse stets an religiöse knüpfte; da bringt denn erst die Erfahrung, daß auch religiös ganz anders gesinnte Menschen in ganz gleichem Maße sittlich sind, die Befreiung von jener Zentralisierung des ethischen Lebens und die Verselbständigung des letzteren mit sich. So mußte die wachsende Differenzierung der Berufe dem Individuum zeigen, wie die ganz gleiche Richtung anderweitiger Lebensinhalte mit differenten Berufen verknüpft sein kann und also vom Beruf überhaupt in erheblicherem Maße unabhängig sein muß. Und zu derselben Folge führt die gleichfalls mit der Kulturbewegung vorschreitende Differenzierung jener anderen Lebensinhalte. Die Verschiedenheit des Berufs bei Gleichheit der übrigen Interessen und die Verschiedenheit dieser bei Gleichheit des Berufs mußte in gleicher Weise zu der psychologischen und realen Loslösung des einen vom ändern führen. Sehen wir auf den Fortschritt von der Differenzierung und Zusammenfassung nach äußerlichen schematischen Gesichtspunkten zu der nach sachlicher Zusammengehörigkeit, so zeigt sich dazu eine entschiedene Analogie auf theoretischem Gebiet: man glaubte früher durch das Zusammenfassen größerer Gruppen der Lebewesen nach den Symptomen äußerer Verwandtschaft die hauptsächlichen Aufgaben des Erkennens jenen gegenüber lösen zu können; aber zu tieferer und richtigerer Einsicht gelangte man doch erst dadurch, daß man an scheinbar sehr verschiedenen Wesen, die man unter entsprechend verschiedene Artbegriffe gebracht hatte, morphologische und physiologische Gleichheiten entdeckte und so zu Gesetzen des organischen Lebens kam, die an weit von einander abstehenden Punkten der Reihe der organischen Wesen realisiert waren und deren Erkenntnis eine Vereinheitlichung dessen zuwege brachte, was man früher äußerlichen Kriterien nach in Artbegriffe von völlig selbständiger Genesis verteilt hatte. Auch hier bezeichnet die Vereinigung des sachlich Homogenen aus heterogenen Kreisen die höhere Entwicklungsstufe.
Wenn so der Sieg des rational sachlichen Prinzips über das oberflächlich schematische mit dem allgemeinen Kulturfortschritt Hand in Hand geht, so kann dieser Zusammenhang, da er kein apriorischer ist, doch unter Umständen durchreißen. Die Solidarität der Familie erscheint zwar gegenüber der Verbindung nach sachlichen Gesichtspunkten als ein mechanisch äußerliches Prinzip, andererseits dennoch als ein sachlich begründetes, wenn man es gegenüber einer rein numerischen Einteilung betrachtet, wie sie die Zehntschaften und Hundertschaften im alten Peru, in China und in einem großen Teil des älteren Europa zeigen. Während die socialpolitische Einheitlichkeit der Familie und ihre Haftbarkeit als Ganzes für jedes Mitglied einen guten Sinn hat und um so rationeller erscheint, je mehr man die Wirkungen der Vererbung einsehen lernt, entbehrt die Zusammenschweißung einer stets gleichen Zahl von Männern zu einer – in Bezug auf Gliederung, Militärpflicht, Besteuerung, kriminelle Verantwortung u. s. w. – als Einheit behandelten Gruppe ganz einer rationalen Wurzel, und trotzdem tritt sie, wo wir sie verfolgen können, als Ersatz des Sippschaftsprinzipes auf und dient einer höheren Kulturstufe. Die Rechtfertigung auch für sie liegt nicht in dem terminus a quo – in Hinsicht dieses übertrifft das Familienprinzip als Differenzierungs- und Integrierungsgrund jedes andere –, sondern im terminus ad quem; dem höheren staatlichen Zweck ist diese, gerade wegen ihres schematischen Charakters leicht überschaubare und leicht zu organisierende Einteilung offenbar günstiger als jene ältere. Es tritt hier eine eigenartige Erscheinung des Kulturlebens ein: daß sinnvolle, tief bedeutsame Einrichtungen und Verkehrungsweisen von solchen verdrängt werden, die an und für sich völlig mechanisch, äußerlich, geistlos erscheinen; nur der höhere, über jene frühere Stufe hinausliegende Zweck giebt ihrem Zusammenwirken oder ihrem späteren Resultat eine geistige Bedeutung, die jedes einzelne Element für sich entbehren muß; diesen Charakter trägt der moderne Soldat gegenüber dem Ritter des Mittelalters, die Maschinenarbeit gegenüber der Handarbeit, die neuzeitliche Uniformität und Nivellierung so vieler Lebensbeziehungen, die früher der freien individuellen Selbstgestaltung überlassen waren; jetzt ist einerseits das Getriebe zu groß und zu kompliziert, um in jedem seiner Elemente sozusagen einen ganzen Gedanken zum Ausdruck zu bringen; jedes dieser kann vielmehr nur einen mechanischen und für sich bedeutungslosen Charakter haben und erst als Glied eines Ganzen seinen Teil zur Realisierung eines Gedankens beitragen; andererseits wirkt vielfach eine Differenzierung, die das geistige Element der Thätigkeit herauslöst, sodaß das Mechanische und das Geistige gesonderte Existenz erhalten, wie z.B. die Arbeiterin an der Stickmaschine eine viel geistlosere Thätigkeit übt, als die Stickerin, während der Geist dieser Thätigkeit sozusagen an die Maschine übergegangen ist, sich in ihr objektiviert hat. So können sociale Einrichtungen, Abstufungen, Zusammenschlüsse mechanischer und äußerlicher werden und doch dem Kulturfortschritt dienen, wenn ein höherer Socialzweck auftaucht, dem sie sich einfach unterzuordnen haben und der nicht mehr gestattet, daß sie für sich den Geist und Sinn bewahren, mit dem ein früherer Zustand die teleologische Reihe abschloß; und so erklärt sich jener Übergang des Sippschaftsprinzips für die sociale Einteilung zum Zehntschaftsprinzip, obgleich dieses thatsächlich als eine Vereinigung des sachlich Heterogenen entgegen der natürlichen Homogeneität der Familie erscheint. –
Ferner: in primitiven Gesellschaften und namentlich in denjenigen, die durch Vereinigung elementarer, in sich schon geschlossener Gruppen gebildet werden, wird der Anführer zunächst für den Krieg, dann aber auch für dauernde Herrschaft sehr häufig durch Wahl berufen; seine Vorzüge bewirken, daß ihm die Würde spontan übertragen wird, die er an ändern Stellen durch eben diese Vorzüge vermöge Usurpation erlangt, die aber hier wie dort spätestens mit seinem Tode derart erlischt, daß nun irgend eine andere, durch ähnliche Vorzüge qualifizierte Persönlichkeit auf die eine oder die andere Weise sich des Prinzipats bemächtigt. Der sociale Fortschritt indes heftet sich gerade an das Durchbrechen des an die Vorzüge der Person geknüpften Verfahrens und an die Aufrichtung erblicher Fürstenwürde; obschon das vergleichsweise mechanische und äußerliche Prinzip der Erblichkeit Kinder, Schwachsinnige, in jeder Beziehung ungeeignete Persönlichkeiten auf den Thron bringt, so überwiegt die von ihm ausgehende Sicherheit und Kontinuität der Staatsentwicklung doch alle Vorteile des rationaleren Prinzips, nach dem die persönlichen Eigenschaften über den Besitz der Herrschaft entscheiden. Wenn die Reihe der Herrscher statt durch sachliche Auslese durch den äußeren Zufall der Geburt bestimmt wird und dies dennoch dem Kulturfortschritt günstig ist, so kann man nur insofern sagen, daß diese Ausnahme die Regel bestätigt, als sie zeigt, daß auch diese sich selbst untergeordnet ist, d. h., daß auch nicht einmal sie, nicht einmal die Verwerfung des äußerlich Schematischen durch das innerlich Rationale ihrerseits wieder zu einer schematischen Norm werden darf. Und endlich sei dafür das ziemlich analoge Verhalten angeführt, das der Monogamie ihren Vorzug vor der Promiskuität der Geschlechter verschafft hat. Ist es nämlich die Kraft, Gesundheit und Schönheit der Eltern, die die grösste Wahrscheinlichkeit für eine tüchtige Nachkommenschaft gewährt, so wird eine Depravierung der Gattung da zu erwarten sein, wo auch ihren gealterten und. herabgekommenen Mitgliedern die Gelegenheit zur Fortpflanzung gesichert bleibt. Dies aber ist gerade in der lebenslänglichen Ehe der Fall. Würde nach jedesmaligem Fruchtbringen einer Vereinigung jeder Teil von neuem das aktive und passive Wahlrecht dem ändern Geschlechte gegenüber haben, so würden diejenigen Exemplare, die inzwischen ihre Gesundheit, ihre: Kraft und ihre Reize verloren haben, nicht mehr zur Zeugung zugelassen werden, und es wäre außerdem die größere Wahrscheinlichkeit gegeben, daß die wirklich zu einander passenden Individuen sich zusammenfänden. Dieser, die rationalen Gründe wie den rationalen Zweck der geschlechtlichen Vereinigung stets von neuem berücksichtigenden Erneuerung der Auswahl steht die unverbrüchliche Dauer der ehelichen Verbindung, ihre Fortsetzung über das völlige Erlösche« der einstmals für sie bestimmenden Gründe hinaus – auch dann, wenn dieses Erlöschen nur das vorliegende Verhältnis trifft, während eine Vermischung jedes Teils mit irgendeinem ändern noch durchaus rational wäre, – als ein gewissermaßen äußerliches und mechanisches Verfahren gegenüber. Wie die Erblichkeit des Prinzipats statt der Erlangung desselben auf Grund persönlicher Eigenschaften einen schematischen Charakter trägt, gerade so bannt die lebenslängliche Ehe die ganze Zukunft eines Paares in das Schema eines Verhältnisses, das, für einen gegebenen Zeitpunkt zwar der adäquate Ausdruck seiner innerlichen Beziehungen, dennoch die Möglichkeit einer Variierung abschneidet, die die Gesamtheit im Interesse einer tüchtigeren Nachkommenschaft scheint wünschen zu sollen, wie sie dies in dem volkstümlichen Glauben ausdrückt, daß uneheliche Kinder die tüchtigeren und begabteren seien. Wie aber in jenem Falle die Stabilität durch ihre sekundären Folgen alle Vorteile einer aus sachlichen Momenten erfolgenden Bestimmung weit überholt, so schafft auch der äußerlich fixierte Übergang, gleichsam die Vererbung der Form einer Lebensepoche auf die andere, für das Verhältnis der Geschlechter einen Segen, der keiner Auseinandersetzung bedarf und für die Gattung allen Vorteil übertrifft, der aus der fortgesetzten Differenzierung eingegangener Verbindungen gezogen werden könnte. Hier würde also die Zusammenfügung des eigentlich Zusammengehörigen aus früherem heterogenem Zusammenschluß nicht kulturfördernd wirken.