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4. Das Tier in der Falle.

Am fünften oder sechsten Tage darauf, ich weiß es selbst nicht genau, saßen im Alkoven der Gastwirtschaft der Beisitzer Gomula, der Scholze Burak und der junge Rzepa. Der Scholze trank aus dem Glase.

»So streitet doch nicht um des Kaisers Bart,« sagte der Scholze.

»Ich sage, daß Frankreich Preußen nicht nachgibt,« meinte Gomula, mit der Faust auf den Tisch schlagend.

Rzepa sagte: »Der Preuße, der Hundsfott ist gar schlau.«

»Was nützt hier seine Schlauheit? Der Türke ist stark und hilft dem Franzosen.«

»Was Ihr da erzählt! Am stärksten ist ›Harubanda‹.« (Garibaldi.)

»Nun habt Ihr das Richtige getroffen … Wo bekommt Ihr aber den ›Harubanda‹ her?«

»Ich finde es nicht für nötig, ihn so lange zu suchen. Die Leute erzählen sich, daß er mit Schiffen und einer großen ›Harmee‹ auf der Weichsel umhersegelt. Das Warschauer Bier hat ihm nicht geschmeckt, denn etwas Gutes gewöhnt, machte er gleich kehrt.«

»Schimpfet nicht. Jeder Schwab ist ein Jude.«

»Harubanda ist doch kein Schwab.«

»Was denn?«

»Bah! Was? So ein Kaiser wie die andern, basta!«

»O! Ihr seid aber sehr schlau!«

»O! Ihr seid nicht viel schlauer.«

»Nun, wenn Ihr so schlau seid, so sagt mir, wie hieß der erste Mensch bei seinem Zunamen?«

»O, er hieß Adam.«

»Das war sein Vorname, aber sein Zuname?«

»Wie kann ich das wissen?«

»Seht Ihr! Ich weiß es aber. Er hieß mit Zunamen: ›Allein‹.«

»Ihr wollt die Leute zum Narren halten.«

»Glaubt Ihr's nicht, nun so hört:

›Meeresstern, der Du den Herrn
Mit Deiner Milch genährt,
Todeskeim, den gepfropft
Der erste Mensch allein.‹

Nun, heißt er nicht ›Allein‹?«

»Hm, das scheint doch wahr zu sein.«

»Trinken wir lieber eins,« sagte der Scholze.

»Eure Gesundheit, Gevatter!«

»Eure Gesundheit!«

»Chajim!«

»Schulim!«

»Der Herr gebe seinen Segen!«

Alle drei tranken, es war zur Zeit des französisch-preußischen Krieges, und der Beisitzer Gomula kehrte zur Politik zurück.

»Trinken wir noch,« sagte Burak nach einer Weile.

»Gott segne es!«

»Der Herr Gott vergelt's!«

»Na, auf Eure Gesundheit!«

Wieder leerten sie die Gläser, und da sie Arrak tranken, der schnell in den Kopf stieg, stellte Rzepa das leere Glas kräftig auf den Tisch und rief aus:

»Eh! Das ist was Gutes, was Feines!«

»Trinken wir noch eins!« sagte Burak.

»Schenkt ein!«

Der Scholze schenkte Rzepa immerfort ein, so daß Rzepa immer röter wurde.

»Hm,« sagte er endlich zu Rzepa, »wenn Ihr auch so viel Kräfte hättet, einen Sack Erbsen mit der Hand auf die Schulter zu werfen, so hättet Ihr doch Angst, in den Krieg gehen zu müssen.«

»Da braucht' ich keine Angst zu haben. Wenn man schlagen muß, so schlägt man eben darauf los.

»Kleine Leute haben Courage, große sind kräftig und haben Furcht,« meinte Gomula.

»Das ist nicht wahr!« sagte Rzepa, »ich bin doch kein Feigling.«

»Weiß man das …« erwiderte Gomula.

»Aber ich sage Euch,« antwortete Rzepa, seine Faust von der Größe eines Brotes ballend, »wenn ich Euch damit zwischen die Rippen komme, geht Ihr auseinander wie ein altes Faß.«

»Oder auch nicht.«

»Wollt Ihr eine Probe machen?«

»Nur Ruhe,« warf der Scholze ein. »Ihr wollet wohl gar hier Streit anfangen? Trinken wir lieber noch ein Gläschen.«

Sie tranken wieder, aber Gomula und Burak nippten nur, während Rzepa sein ganzes Glas Arrak hinuntergoß, so daß es ihm vor den Augen schon duster wurde.

»Nun könnt Ihr Euch umarmen,« sagte der Scholze.

Sie küßten sich. Rzepa weinte, was ein Zeichen war, daß er ziemlich angetrunken sei. Darauf fing er zu jammern und zu klagen an, daß ihm vor vierzehn Tagen ein gutgenährtes Kalb nachts im Stall verendete.

»O, was für ein Kalb hat unser Herrgott mir genommen,« rief er voll Jammer aus.

»Na, ärgere Dich nicht!« sagte Burak. »Der Schreiber erhielt einen Brief, wonach von jetzt an der herrschaftliche Wald der Gemeinde gehört.«

»Das ist richtig,« erwiderte Rzepa. »Hat der Herr den Wald gesäet?«

Er begann schon wieder: »Ach, so ein Kalb; wenn es die Kuh beim Saugen mit der Stirne gestoßen, machte sie einen Sprung in die Luft, bis an die Balken.«

»Der Schreiber sagte …«

»Was ist für mich der Schreiber!« unterbrach Rzepa erregt, »mir ist es gleich:

Heißt er Matz
Oder Ignatz!«

»Wenn Ihr nur nicht Rache sucht! Trinket doch!«

Man trank, und Rzepa wurde ruhiger und setzte sich anständig auf die Bank, da öffnete sich die Thür: die karierte Mütze, die aufgestülpte Nase und das Bocksbärtchen des Schreibers wurden sichtbar.

Rzepa hatte die Mütze nach hinten geschoben, nun ließ er sie auf die Erde fallen, erhob sich schleunigst und sagte: »Gott zum Gruß.«

»Ist der Scholze hier?« fragte der Schreiber.

Darauf erwiderten drei Stimmen: »Hier!«

Als der Schreiber näher trat, kam eiligst der Gastwirt Schmul mit einem Glase Arrak herbei. Zolzikiewicz rümpfte die Nase und nahm am Tische Platz.

Jetzt herrschte tiefe Stille.

Endlich sagte Gomula: »Herr Schreiber!«

»Was gibt's?«

»Verhält es sich wirklich so mit dem Walde?«

»Es ist richtig so. Die ganze Gemeinde muß nur das Gesuch unterschreiben.«

»Ich unterschreibe nicht,« rief Rzepa aus, der, wie alle Bauern, eine besondere Scheu hatte, unter irgend eine Sache seine Unterschrift zu setzen.

»Es wird Dich niemand darum bitten. Wenn Du nicht unterschreibst, bekommst Du keinen Anteil. Es steht Dir frei.«

Rzepa kratzte sich am Kopf, der Schreiber aber wendete sich an den Scholzen und an den Beisitzer und sprach in einem Amtstone: »Mit dem Walde verhält es sich wie schon angegeben, jeder muß seinen Anteil umzäunen, um keinen Unfrieden hervorzurufen.«

»Der Zaun wird aber mehr kosten, als der Wald wert ist,« sagte Rzepa.

Der Schreiber achtete nicht auf seine Worte. »Die Regierung weist zur Deckung der Kosten für den Zaun einen Betrag an,« fuhr er weiter fort. »Jeder hat noch seinen Vorteil dabei, denn es kommen auf jeden Mann fünfzig Rubel.«

Dem Rzepa leuchteten die Augen wie einem Betrunkenen.

»Wenn es so ist, dann unterschreibe ich. Wo ist das Geld?«

»Bei mir,« sagte der Schreiber. »Hier ist das Schriftstück.«

Nachdem er die Worte gesprochen, zog er ein vierfach gefaltetes Papier hervor und las etwas vor, was die Männer in Wirklichkeit nicht verstanden, wobei sie sich ungemein freuten. Wenn Rzepa nüchtern gewesen, hätte er sicher bemerkt, wie der Scholze dem Beisitzer zuwinkte.

Dann, o Wunder! zog der Schreiber wirklich Geld hervor und sagte: »Wer wird zuerst unterschreiben?«

Sie unterschrieben der Reihe nach, und als Rzepa die Feder ergreifen wollte, schob der Kanzler das Schriftstück beiseite und sagte: »Willst Du etwa nicht? Hier geschieht alles freiwillig.«

»Weshalb sollte ich nicht wollen?«

Da rief der Schreiber: »Schmul!«

Schmul machte sich an der Thür des Alkovens sichtbar. »Ni? Was wünschen der Herr Schreiber?«

»Zeuge sollst Du sein, daß hier alles aus freiem Willen geschieht.«

Darauf wendete er sich wieder an Rzepa: »Vielleicht willst Du nicht?«

Rzepa hatte schon unterschrieben und einen Juden aufs Papier gekleckst, fast so groß als Schmul selbst, worauf er das Geld vom Schreiber nahm, volle fünfzig Rubel, die er im Gurt verwahrte und ausrief: »Gebt noch einmal ›Harrak‹ her!«

Schmul brachte eine Flasche, schenkte immer wieder ein, und sie tranken weiter.

Darauf stützte sich Rzepa mit den Fäusten auf die Knie und schlummerte, dabei wiegte er einigemal hin und her, taumelte, fiel von der Bank, indem er für sich sprach: »Gott sei mir Sünder gnädig!« und schlief ein.

Die Rzepowa holte ihn aber nicht ab, sie wußte, daß sie etwas von ihm abkriegt, wenn er so angetrunken ist.

Er schlief mithin die ganze Nacht in der Schenke und erwachte erst früh, als die Sonne aufging. Er schaut, blickt mit den Augen – seine Hütte ist doch das nicht, das ist ja die Schenkstube, gestern befand er sich im Alkoven.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

Er schaut ernster um sich, die Sonne geht auf und scheint durch die geröteten Scheiben. Schmul steht am Fenster, den Gebetmantel umgehangen und die Tefilim am Kopfe und um den linken Arm gebunden, er wackelt hin und her und betet.

»Schmul, mit Deinem Hundeglauben!« rief Rzepa aus.

Schmul erwiderte nichts, sondern betete weiter.

Rzepa fing an, sich zu betasten, wie es jeder Bauer thut, der die Nacht in der Schenke geschlafen. Er fühlte Geld in seinem Gurt.

»Jesus Maria! Was soll das bedeuten?«

Schmul hörte auf zu beten, nahm den Gebetmantel und den Gebetriemen ab und begab sich in den Alkoven, um alles aufzubewahren, ruhig und langsam kehrte er zurück.

»Schmul?«

»Ni, was willst Du?«

»Was habe ich da für Geld?«

»Wie, Du Dummer, das weißt Du nicht? Du bist gestern mit dem Scholzen übereingekommen, daß Du für dessen Sohn losen willst. Das Geld hast Du an Dich genommen und den Kontrakt unterschrieben.«

Nun wurde Rzepa bleich wie die Wand; er warf die Mütze auf die Erde, dann fiel er selbst und begann zu schreien, daß die Scheiben klirrten.

»Ni, paßt Dir der Soldat nicht?« fragte Schmul phlegmatisch.

Eine halbe Stunde später kam Rzepa in die Nähe seiner Hütte. Die Rzepowa, die mit dem Essen beschäftigt war, hörte das Thor knarren und rannte ihm wütend entgegen.

»Du Trunkenbold!« begann sie.

Bei seinem Anblick erschrak sie, denn er kam ihr ganz verändert vor.

»Was ist mit Dir?«

Rzepa kam weiter, konnte aber kein Wort hervorbringen. Er nahm auf der Bank Platz und blickte zur Erde. Sie fragte ihn aus, und er sagte alles: »Sie haben mich verraten und verkauft.«

Nun jammerte sie fürchterlich, er weinte mit, das Kind in der Wiege fing an schreien; der Kruczek heulte dazu vor der Thür so kläglich, daß aus den anderen Hütten die Weiber mit den Kochlöffeln auf den Hof rannten und eine die andere fragte: Was ist denn bei Rzepas vorgefallen?«

»Er muß sie geschlagen haben, oder so etwas ähnliches!«

Indessen jammerte die Rzepowa noch mehr als Rzepa selbst, denn sie liebte ihn ja, die Arme, mehr als alles in der Welt.


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