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Im Dorfe Widderkopf war es in der Gemeindekanzlei ganz still, der Scholze, ein nicht mehr junger Landwirt, Franz Burak, saß am Tische und kritzelte mit Anstrengung etwas auf dem Papier, der Gemeindeschreiber aber, ein hoffnungsvoller junger Mann, mit Namen Zolzikiewicz, stand am Fenster und wehrte die Fliegen von sich ab.
Fliegen gab es in der Kanzlei wie in einem Schafstall, alle Wände waren von ihnen besudelt und hatten ihre frühere Farbe eingebüßt. Das Glas auf dem über dem Amtstische hängenden Bilde, das Papier, das Gemeindesiegel, das Kruzifix und die Amtsbücher waren mit zahlreichen Pünktchen bedeckt.
Die Fliegen krochen auf dem Scholzen herum wie auf einem ganz gewöhnlichen Beisitzer, besonders aber lockte sie das nach Nelkenöl riechende und mit Salbe eingeriebene Haupthaar des Herrn Zolzikiewicz … Über diesem pomadisierten Haupte erhob sich ein ganzer Schwarm, er lagerte auf dem Scheitel, lebende, bewegliche, schwarze Flecke bildend. Herr Zolzikiewicz erhob von Zeit zu Zeit vorsichtig die Hand und ließ sie dann schnell niederfallen, worauf ein Klatsch auf den Kopf hörbar wurde; der Schwarm flog summend in die Luft, und Herr Zolzikiewicz neigte sich, sammelte mit den Fingern die Leichen aus dem Haar und warf sie zu Boden.
Es war vier Uhr nachmittags, im ganzen Dörfchen war es still, denn die Leute waren zur Arbeit gegangen. Nur hinter dem Fenster der Kanzlei rieb sich eine Kuh an der Wand und zeigte von Zeit zu Zeit durch die Scheiben die schnaubenden Nüster mit dem am Maule hängenden Geifer. Zuweilen warf sie auch den schweren Kopf nach rückwärts, die Fliegen abwehrend, wobei sie mit dem Horn an die Wand stieß. Dann blickte Herr Zolzikiewicz durchs Fenster und rief: »He! Daß Dich die …«
Darauf betrachtete er sich im Spiegelchen, das am Fenster hing, und glättete sich die Haare.
Endlich unterbrach der Scholze die Stille.
»Herr Zolzikiewicz,« sagte er im masurischen Dialekt, »schreiben Sie einmal den Rappurt, mir stimmt's nicht recht. Sie sind ja Gemeindeschreiber.«
Aber Herr Zolzikiewicz war bei schlechtem Humor, und in diesem Falle mußte der Scholze alles selbst erledigen.
»Was folgt daraus, daß ich Gemeindeschreiber?« erwiderte er mit Geringschätzung. »Der Schreiber ist dazu da, an den Vorsteher und an den Kommissar zu schreiben; aber an einen Scholzen wie Ihr – schreibt selbst.« Dann fügt er noch mit majestätischer Verachtung hinzu: »Was ist denn so ein Scholze? Ein Bauer, basta! Mache aus einem Bauern was Du willst, er bleibt immer Bauer.«
Er blickte wieder in den Spiegel und brachte wieder seine Haare in Ordnung!
Der Dorfrichter fühlte sich aber verletzt und rief aus: »Schaut nur einmal den an! Habe ich nicht mit dem Kommissar Thee getrunken?«
»Thee!« erwiderte Zolzikiewicz nichtachtend. »Vielleicht noch dazu ohne Arrak?«
»Bitte sehr, mit Arrak!«
»Meinetwegen; ich schreibe aber den Rapport nicht.«
Da rief der Scholze erzürnt: »Wenn Sie ein so delikater Herr sind, warum haben Sie sich dann um den Gemeindeschreiberposten beworben?«
»Habe ich Euch darum gebeten? Ich habe nur aus Bekanntschaft mit dem Vorsteher …«
»O, große Bekanntschaft, und wenn er herkommt, machen Sie nicht einmal den Mund auf …«
»Burak! Burak! Ich warne Euch vor allzu loser Zunge. Ich habe Eure sämtlichen Bauern mitsamt dem Schreiberposten satt. Ein Mensch von besserer Erziehung wird unter Euch nur ordinär. Wenn ich böse werde, werfe ich Euch und die Schreiberei zum Teufel.«
»Bah! Was wollen Sie dann anfangen?«
»Was ich anfangen werde! Dachsparren werde ich noch nicht beißen gehen. Ein Mensch von besserer Erziehung weiß sich Rat; Ihr könnt also meinetwegen beruhigt sein. Erst gestern sagte der Revisor Stolbicki zu mir: ›Ei, Zolzikiewicz, Du bist ein Teufelskerl und nicht Unterrevisor, Du hörst ja das Gras wachsen!‹ Sagt man das einem Dummkopf? Ich niese etwas auf Euren Schreiberposten. Ein Mensch von besserer Erziehung …«
»O, o! Damit wird die Welt auch noch nicht zu Grunde gehen!«
»Die Welt wird nicht zu Grunde gehen, aber Ihr seid dann wie ein Pinsel in einem Schmiertopfe, und mit diesem Pinsel werdet Ihr in den Büchern schreiben. Ihr werdet Euch wohl fühlen, solange Ihr nicht den Stock durch Euren Samt spürt.«
Der Scholze begann sich am Kopfe zu kratzen: »Auch Sie stellen sich gleich auf die Hinterfüße.«
»Dann nehmt nicht gleich den Mund so voll.«
»Also lassen wir das.«
Es wurde wieder still, nur die Feder des Scholzen ächzte auf dem Papier.
Schließlich setzte sich der Scholze gerade hin, wischte die Feder an seinem Rocke und sagte: »Na also, mit Gottes Hilfe habe ich beendet.«
»Lest aber erst mal das Geschmiere durch.«
»Und wenn auch geschmiert, es ist aber alles darin, was nötig ist.«
»Lest doch einmal.«
Der Scholze nahm das Papier mit beiden Händen und begann zu lesen:
»An den Scholzen von Thürkette. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen. Vorsteher Koziel befohlen, die Militärverzeichnisse dicht bis zu Mutter Gottes und die Archive im Sprengel von Hochwürden, auch von unsern Bauern, die in Euern Sprengel als Schnitter gehen, verstanden, sollen geschrieben sein, auch die Garbenbinder schicken vor Mutter Gottes, wenn beendet achtzehn Jahre, denn wenn Ihr solches nicht macht, gibt's etwas auf den Kopf, was ich mir und Euch wünsche. Amen.«
Der ehrenwerte Scholze hörte jeden Sonntag, wie der Pfarrer seine Predigt schloß; er glaubte also, ein derartiger Schluß sei im amtlichen Schriftwechsel auch angebracht, während Zolzikiewicz in ein Gelächter ausbrach.
»So ist das also?« fragte er.
»Dann schreiben Sie es besser.«
»Das werde ich auch thun, es wäre eine Schmach für ganz Widderkopf.«
Darauf setzte sich Zolzikiewicz an den Kanzleitisch, nahm eine Feder, machte einige Kreise mit ihr in der Luft, wie um Anlauf zum Schreiben zu nehmen und begann zu schreiben.
In Kürze war die Bekanntmachung fertig; der Autor ordnete sich die Haare und las wie folgt:
»Der Scholze der Gemeinde Widderkopf
an den Scholzen der Gemeinde Thürkette!
»Da die Militärverzeichnisse auf Befehl der Behörde an dem und dem Tage dieses Monats und Jahres fertig sein müssen, gibt man dem Ortsrichter der Gemeinde Thürkette bekannt, daß die Matrikel der Insassen von Widderkopf vom Pfarramte in Thürkette zu erheben und der Gemeinde Widderkopf alsbald zuzusenden ist. Ebenso sind die dieser Gemeinde zuständigen und in Thürkette in Arbeit befindlichen Insassen für diese Zeit zu stellen.«
Der Scholze fing mit gierigem Ohre diese Töne auf und sein Gesicht drückte eine besondere Empfänglichkeit, ja eine fast religiöse Geistessammlung aus. Alles erschien ihm schön, feierlich, amtlich, wie zum Beispiel die Ausdrücke: »auf Befehl, bekannt machen, zu stellen«. Der Scholze hatte dafür einen furchtbaren Respekt, konnte es aber nicht erlernen und blieb beim ersten Anlauf stecken. Diesem Herrn Zolzikiewicz aber floß es nur so aus der Feder, so daß sie selbst in den Bezirkskanzleien es nicht besser machten. Man brauchte nun nur noch das Gemeindesiegel anzuräuchern und es aufs Papier zu drücken, daß der Tisch zitterte, und damit basta!
»Na, ein Kopf – bleibt ein Kopf,« sagte der Scholze.
»Bah!« sagte der schon besänftigte Zolzikiewicz, »ich tituliere mich doch Schreiber, also einer, der Bücher schreibt.«
»Sie schreiben also auch Bücher?«
»Ihr fragt, als ob Ihr nichts wüßtet; wer schreibt denn die Gemeindebücher?«
»Richtig,« sagte der Scholze und fügte nach einer Weile hinzu: »Die Listen werden mit Blitzesschnelle einlaufen.«
»Ihr solltet darauf schauen, die Taugenichtse los zu werden.«
»Die bringt selbst der liebe Gott nicht fort.«
»Ich will's Euch nur sagen, daß der Vorsteher über das Lumpenvolk in Widderkopf, wie er sagte, Klage führt. Er meinte, sie lägen immerfort in der Schenke. Burak, heißt es, hält sie nicht im Zaume, die Schuld fällt also auf ihn.«
»Ich weiß es,« sagte der Scholze, »alle Schuld wird auf mich geschoben. Als des Schmids Rosalie in die Wochen kam, ließ ihr das Gericht fünfundzwanzig aufzählen, damit sie es für die Zukunft wisse, daß so etwas für eine Jungfer nicht paßt. Wer hat's befohlen? Ich? Ich nicht, nur das Gericht. Was kümmert's mich, wenn auch alle Jungfern in die Wochen kommen. Das Gericht befiehlt, und mir gibt man die Schuld.«
Gerade jetzt stieß die Kuh draußen mit einem solchen Gerassel an die Wand, daß die ganze Kanzlei erzitterte.
Der Scholze schrie erzürnt: »He! Daß dich alle Schock Millionen …«
Der Schreiber, der am Amtstische gesessen, begann sich wieder im Spiegel zu betrachten.
»Es geschieht Euch schon recht,« sagte er. »Warum zieht Ihr nicht die Zügel an. Die Sauferei wird auch ihre Früchte tragen. Ein krankes Schaf steht an der Spitze und zieht alle in die Schenke.«
»Mir ist von einer Sauferei nichts bekannt; wer im Felde sich müde gearbeitet, muß auch seinen Durst stillen.«
»Und ich sage nur das eine, wenn wir erst den Rzepa los werden, dann wird Frieden und Ordnung in der Gemeinde herrschen.«
»Nun, soll ich ihm den Kopf abreißen?«
»Das wohl nicht. Es kommt jetzt die Aushebung, schreibt ihn nur auf die Liste, er zieht das Los, und basta!«
»Er ist ja verheiratet, hat sogar schon einen einjährigen Knaben.«
»Wer wird davon wissen? Er wird keine Klage führen, und thut er's, wer wird ihn anhören? Man hat zur Zeit der Rekrutierung anderes im Kopfe.«
»O, Herr Schreiber! Herr Schreiber! Euch geht's nicht um den Trunkenbold, wohl aber um sein Weib, und das ist wirklich eine Todsünde.«
»Was kümmert's Euch? Denkt lieber daran, daß Euer eigener Sohn schon neunzehn Jahre alt ist und auch losen muß.«
»Ich weiß es, aber ich gebe ihn nicht. Wenn ich ihn nicht anders frei machen kann, kaufe ich ihn los.«
»O, wenn Ihr ein so reicher Mann …«
»Hm, mit Gottes Hilfe bringe ich's zusammen.«
»Werdet Ihr achthundert Rubel Lösegeld zahlen?«
»Wenn ich sage, daß ich zahle, so zahle ich, und wenn Gott will, und ich Scholze bleibe, bringe ich's in ein paar Jahren wieder ein.«
»Ja oder nein. Ich bin auch bedürftig und muß meinen Anteil haben. Ein Mensch von besserer Erziehung kann immer etwas Besseres beanspruchen, und wenn wir Rzepa statt Eures Sohnes auf die Liste schreiben, wäre es für Euch eine große Ersparnis, denn achthundert Rubel findet man nicht auf der Straße.«
Der Scholze sann eine Weile nach. Die Hoffnung, eine so große Summe zu ersparen, machte ihn wankelmütig. »Bah!« sagte er endlich, »es ist doch immer eine gefährliche Sache.«
»Dafür habt Ihr nicht Sorge zu tragen.«
»Ich ängstige mich aber, daß Euer Kopf etwas zusammenbraut, und ich dann die Sache ausfechten muß.«
»Wie Ihr wollt, meinetwegen zahlt achthundert Rubel …«
»Ich sage nicht, daß es mir nicht leid wäre …«
»Ah! Warum thut's Euch leid, wenn Ihr denkt, daß Ihr es wieder einbringt? Ihr macht eben die Rechnung ohne Wirt. Man weiß natürlich noch nicht alles, wenn man aber erfährt, was ich weiß …«
»Sie nehmen mehr Kanzleigeld ein als ich.«
»Davon spreche ich nicht, nur von den früheren Zeiten …«
»Ich fürchte gar nichts. Ich that, was mir befohlen wurde.«
»Das werden wir an anderer Stelle sehen!«
Nach diesen Worten griff der Schreiber nach seiner Mütze und verließ die Kanzlei. Es war schon spät, die Leute kehrten vom Felde heim. Der Herr Schreiber begegnete vorerst fünf Mähern mit ihren Sensen auf den Schultern; sie verneigten sich mit dem Gruß »der Herr sei gelobt«; der Herr Schreiber nickte bloß mit seinem pomadisierten Haupte, ohne »in Ewigkeit« zu sagen, was für einen Mann von besserer Erziehung sich nicht schickte.
Wenn wir, wie es eigentlich sein müßte, die Lebensbeschreibungen aller unserer berühmten Männer hätten, würden wir in der Biographie dieses nicht alltäglichen Mannes lesen, daß er in Eselsfeld, der Hauptstadt des Eselsfelder Bezirkes, in dem auch Widderkopf lag, seine erste Bildung genossen habe. Im siebzehnten Jahre seines Lebens war der Jüngling Zolzikiewicz noch in der zweiten Klasse, und er hätte auch die höheren Klassen absolviert, wenn nicht bewegte Zeiten für ihn hereingebrochen wären, welche seine Laufbahn schädigten. Herr Zolzikiewicz stellte sich an die Spitze gleichgesinnter Kollegen und brachte denen, die ihn verfolgten, hauptsächlich seinen Professoren, eine Katzenmusik. Außerdem zerriß er Bücher, zerbrach Lineal und Feder, verließ Minerva und beschritt einen neuen Weg.
Jetzt brachte er es auf diesem Wege zum Gemeindeschreiber und machte sich Phantasien, wie wir bereits vernommen, von der Stellung eines Unterrevisors. Doch befand er sich als Gemeindeschreiber auch nicht übel. Jeder achtete ihn, weil er fast von jedem Insassen des Eselsfelder Bezirkes etwas wußte. Er wurde von vielen Personen besserer Erziehung gegrüßt, die Bauern zogen schon in der Ferne ehrerbietig die Mützen und riefen ihm zu: »Der Herr sei gelobt.« Hierbei merke ich aber, daß ich meinen Lesern genauer erklären muß, weshalb eigentlich Herr Zolzikiewicz nicht: »in Ewigkeit, Amen« erwiderte.
Ich habe schon erwähnt, daß er der Ansicht war, es zieme sich für einen Mann von besserer Erziehung nicht, es lagen aber noch andere triftige Gründe vor. Gewöhnlich sind durch und durch selbständige Geister dreist und radikal. So gelangte Herr Zolzikiewicz zu der Überzeugung, daß »die Seele ein Dunst sei und damit basta«. Auch las der Herr Schreiber aus dem Verlage des Warschauer Buchhändlers Herrn Breslauer: »Isabella von Spanien oder die Mysterien des Hofes von Madrid.« Dieser so sehr berühmte Roman hatte ihn so begeistert, daß er beabsichtigte, alles aufzugeben und nach Spanien zu reisen. »Ist es Marfori gelungen«, dachte er, »warum sollte es mir nicht gelingen?« Vielleicht wäre er auch hingereist, denn er kam jetzt zu der Einsicht, »daß sich doch der Mensch in so einem dummen Lande ruiniere«, es hielten ihn aber zum Glück andere Umstände zurück, von denen in diesem Heldengedicht später die Rede sein wird.
Infolge der Lektüre dieser in periodischen Heften zum großen Ruhme der polnischen Literatur von Herrn Breslauer herausgegebenen Isabella von Spanien besaß Herr Zolzikiewicz gar skeptische Anschauungen von der Geistlichkeit und somit von allem, was mittelbar oder unmittelbar mit dem Klerus in Verbindung stand. Er antwortete demnach den Mähern nicht: »in Ewigkeit, Amen«, sondern schritt ruhig weiter, bis er den Mädchen begegnete, die mit Sicheln auf den Schultern vom Felde heimkehrten. Sie kamen an einer großen Pfütze vorbei, mußten also den Gänsemarsch einhalten und sich rückwärts die Röcke heben.
Jetzt erst sagte Herr Zolzikiewicz: »Wie geht's Euch, meine Vögelchen?« blieb in der Mitte des Pfades stehen, raubte jeder Schönen einen Kuß und stieß sie – so aus Spaß – in die Pfütze. Die Mädchen schrieen lachend: »o weh! o weh!« wobei sie den Mund so weit aufmachten, daß man die Backenzähne sah. Nachdem sie schon vorbei waren hörte der Schreiber mit der größten Selbstzufriedenheit die Worte sagen: »Unser Schreiber ist doch ein hübscher, junger Herr.« – »Und rot wie ein Apfel.« Eine andere meinte: »Der Kopf duftet ihm wie eine Rose, man wird betäubt von dem Geruch!« Der Herr Schreiber ging weiter, seinen Gedanken nachhängend. In der Nähe einer Hütte hörte er, daß man gerade von ihm sprach und horchte, versteckt hinter einem Zaun. Auf der andern Seite des Zaunes befand sich ein dichter Obstgarten, worin Bienenstöcke standen, und nicht weit davon unterhielten sich zwei Bäuerinnen. Eine schälte Erdäpfel, die sie im Schoße liegen hatte, und die andere erzählte: .
»Ach! meine liebe Nachbarin, ich bin in der größten Angst, daß man mir meinen Franz zum Militär nimmt, ein Schauer durchläuft meine Glieder, wenn ich daran denke.«
»Geht zum Schreiber, nur zum Schreiber, erwiderte die Nachbarin, »wenn er nicht helfen kann, dann ist überhaupt keine Hilfe mehr.«
»Was soll ich ihm aber geben, meine Stachowa? Mit leeren Händen kann man nicht gehen. Der Scholze ist zugänglicher; bringt man ihm eine Schüssel Krebse, oder Butter, oder eine Henne, oder ein Bündel Flachs, er nimmt alles, denn er ist nicht wählerisch. Der Schreiber sieht nicht einmal darauf. O! der ist schrecklich ehrgeizig. Bei ihm muß man gleich mit einem Rubel herausrücken.«
»Ihr erlebt es nicht, daß ich Eier oder Hühner von Euch nehme,« brummte der Schreiber für sich. »Wer wird sich denn so gemein bestechen lassen! Geh mit Deiner Henne zum Scholzen.«
In solchem Selbstgespräch wollte er schon die Baumzweige zurückschieben und auf der Scene erscheinen und die Weiber anrufen, als er plötzlich das Rasseln eines Wagens vernahm. Der Herr Schreiber drehte sich um und sah dorthin. Im Wagen saß ein Herr, die Mütze schief aufgesetzt, eine Cigarette zwischen den Zähnen, und auf dem Kutschbocke saß jener Franz, von dem die Weiber vorhin gesprochen haben. Der Student neigte sich aus der Britschka, erkannte gleich Herrn Zolzikiewicz, grüßte ihn, mit der Hand winkend, und rief aus:
»Wie ist das Befinden, Herr Zolzikiewicz. Was gibt's Neues? Was macht die Haarpomade?«
»Dero unterthänigster Diener!« sagte Herr Zolzikiewicz, sich tief verbeugend. Als der Wagen sich entfernte, rief er ihm leise nach: »Daß Du den Hals brichst, ehe Du ankommst.«
Diesen Studenten konnte unser Schreiber nicht leiden. Es war dies ein Cousin der Herrschaft Skorabiewski, und er brachte bei ihr immer die Sommerferien zu. Zolzikiewicz konnte ihn nicht mal riechen, sondern fürchtete ihn wie Feuer, denn er war ein großer Spötter und trieb absichtlich mit Herrn Zolzikiewicz seinen Scherz. Einmal sogar ging er während einer Gemeindesitzung in die Kanzlei, sagte ihm geradezu, daß er dumm sei und bemerkte den Bauern, daß sie ihm gar nicht zu gehorchen hätten. Herr Zolzikiewicz wußte von allen andern etwas, nur dem Studenten konnte er nichts nachsagen.
Die Ankunft dieses Studenten kam ihm ganz ungelegen, er setzte also seinen Weg mit in Falten gezogener Stirne fort und hielt erst vor einer Hütte an, die abseits vom Wege stand. Er heiterte bei ihrem Anblick auf. Vielleicht war es eine ärmlichere Hütte als die anderen, sie sah aber anständig aus. Der Hofraum war sauber gefegt und mit Kalmus bestreut.
Vor der Thür der Hütte saß eine Bäuerin, klopfte Hanf und sang dabei ein Lied. Neben ihr lag ein Hund ausgestreckt, mit dem Maule Fliegen fangend, die ihm auf einem gerissenen Ohre saßen. Die Bäuerin war kaum zwanzig Jahr und wunderbar schön. Sie trug eine gewöhnliche Frauenhaube und hatte ein weißes Hemd an, das mit einem roten Bande zusammengeschnürt war. Sie hatte ein gesundes Aussehen, breite Schultern und Hüften und war sehr schlank in der Taille, dabei geschmeidig wie ein Reh. Die Gesichtszüge waren zart, der Kopf klein, die Gesichtsfarbe etwas blaß, nur von den Sonnenstrahlen goldig angehaucht; sie hatte große, schwarze Augen, Brauen wie gemalt, eine kleine Nase und Lippen wie Kirschen so rot. Das schöne, dunkle Haar kam unter der Haube hervor. Sobald der Schreiber in die Nähe kam, erhob sich der Hund, fing zu knurren an, zuweilen die Zähne fletschend.
»Hierher, Kruczek!« Schwarzer Haushund. Anm. des Übers. rief die Bäuerin mit einer wohlklingenden, zarten Stimme. »Wirst Du Dich kuschen. Hol Dich der …«
»Guten Abend, Rzepowa!« begann der Schreiber.
»Einen schönen guten Abend dem Herrn Schreiber!« erwiderte die Bäuerin, mit dem Hanfklopfen fortfahrend.
»Ist Ihr Mann zu Hause?«
»Auf Arbeit im Walde.«
»Schade! Es ist etwas für ihn von der Gemeinde.«
Eine Gemeindeangelegenheit bedeutet fürs gewöhnliche Volk immer etwas Unheimliches. Frau Rzepowa unterbrach das Hanfklopfen, blickte ängstlich auf und fragte mit Unruhe: »Nun? Was gibt es denn?«
Der Herr Schreiber trat ganz nahe zu ihr. »Laßt mich einen Kuß rauben, so sage ich's Euch.«
»Warum nicht gar!« erwiderte die Bäuerin.
Aber ehe sie sich's versah, hatte sie der Schreiber umfaßt und an sich gezogen.
»Herr, ich werde schreien!« rief die Rzepowa, sich heftig wehrend.
»Meine reizende Rzepowa … Marysiu!«
»Herr! Ist das eine Gottesplage! Herr!«
Dabei wehrte sie sich immer mehr; aber Herr Zolzikiewicz war ebenso kräftig und ließ sie nicht los. Jetzt kam ihr Kruczek zu Hilfe und stürzte sich mit wütendem Gebell auf den Schreiber, faßte ihn an der Hose, packte die Haut, und da er ein volles Maul fühlte, begann er an den gepackten Teilen zu reißen.
»Jesus Maria!« schrie der Herr Schreiber, ganz vergessend, daß er aux esprits forts Zu den Menschen besserer Erziehung. Anm. des Übers. gehörte.
Doch der Kruczek ließ den Herrn Schreiber nicht eher los, bis dieser ein Holzscheit erwischte und, nach rückwärts aufs Geratewohl schlagend, den Kruczek auf den Rücken schlug, so daß er jämmerlich heulend zurücksprang, indes begann er seinen Angriff von neuem.
»So rufe doch den Hund, diesen Teufel,« rief der Herr Schreiber, mit dem Holzscheite verzweifelt hin und her fuchtelnd.
Die Rzepowa schrie den Hund an und jagte ihn zum Thore hinaus. Beide sahen sich eine Weile stillschweigend an.
»O, welch' unglückliches Los! Habt Ihr denn an mir etwas Auffallendes erblickt?« sagte Rzepowa, ganz erschrocken über die blutige Wendung der Sache.
»Rache schwöre ich Euch!« schrie der Herr Schreiber. »Rache! Wartet, Rzepa wird unter die Soldaten kommen! Ich hätte Euch davor geschützt … aber jetzt … Ihr werdet sicherlich zu mir kommen … Ich aber räche mich an Euch …!«
Die arme Frau wurde leichenblaß, als ob sie von jemand geschlagen worden wäre. Sie faltete die Hände, öffnete den Mund, als wollte sie sprechen; nun nahm der Schreiber seine grünkarierte Mütze von der Erde, lief schnell davon, in einer Hand die häßlich zerrissene Nankinghose haltend, in der andern Hand das Holzscheit schwingend.