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1. Verhältnis zu Platon. Der Entwicklungsgedanke. 2. Die Faktoren des Werdens. 3. 4. Potenzialität und Aktualität. Die Natur als Stufenbau. 5. Die Bewegung. 6. Der göttliche Geist als erstes Bewegendes. 7. Das Allgemeine und das Besondere. 8. Das Weltgebäude. 9. Die obere und die untere Welt. Raum und Zeit. 10. Die Erklärung der Einzelvorgänge. Dynamische Naturanschauung. 11. 12. Zur Kritik der Methode. Die Teleologie.
1. Die von Platon vertretene Annahme einer Welt von Ideen als des wahrhaft Wirklichen, welches eine Welt der Erscheinung oder des Halbwirklichen bedingt, hielt Aristoteles für zwecklos, so lange es nicht gelingen wollte, das Hervorgehen dieser aus jener in bestimmter Weise begreiflich zu machen. Zum Verständnis etwa des sinnlich gegebenen Menschen-, Tier- oder Pflanzenwesens eine übersinnliche Idee des Menschen, des Tieres oder der Pflanze, neben oder über dem in der Erfahrung gegebenen Wesen der Schönheiten oder der Tugenden eine Idee der Schönheit, der Tugend, der Gerechtigkeit u. s. w. als solcher zu stellen, ohne die Frage zu beantworten, wie die sinnlichen oder erfahrungsmäßigen Daseinsweisen der betreffenden Klassen aus dem abstrakten Inhalte der entsprechenden übersinnlichen Muster in concreto hervorgehen, schien ihm gleichbedeutend mit einer nutzlosen Verdoppelung des Wirklichen. Und zwar hauptsächlich deshalb, weil daraus nicht einleuchten will, woher der charakteristische Unterschied stammt, durch den die Erfahrungswelt sich von der der Ideen abhebt, nämlich der Charakter des Werdens und der Entwicklung, der an jener im Gegensatze zu der Ideenwelt heraustritt. Trotzdem ist Aristoteles keineswegs ein Gegner der platonischen Grundanschauung. Auch für ihn steht es fest, daß für die Menge der sinnenfälligen Erscheinungen und Individuen es bestimmte gattungsmäßige Normen giebt, die als solche die letzten Gründe ihres Daseins ausmachen, und von denen her es somit selbst erst zu erkennen und zu begreifen ist. Er glaubt auch mit Platon, daß nicht in dem mechanischen Zusammenhange der Dinge der letzte Erklärungsgrund liege für die Eigentümlichkeit der Naturprozesse, sondern in dem Gesichtspunkte des Zweckes und des Guten. Die Welt als Ganzes ist ihm wie jenem ein einheitlicher, auf einem geistigen (göttlichen) Grunde beruhender Organismus. Auch an dem Grundbegriffe der Ideen als des Einheitlichen und Bleibenden gegenüber dem Vielfältigen und Veränderlichen hält er fest. Aber das Moment des Vorbildlichen tritt darin für ihn zurück hinter das des Bedingenden und Bewirkenden in Hinsicht der Erscheinungswelt. Nicht als überweltliche Werte, sondern als innerweltliche, in den Dingen selbst wirkende Potenzen will er sie gefaßt wissen, und in diesem Sinne als die Richtung gebenden Kräfte in und für den Prozeß des Werdens, der sich als das Wesentliche der Erfahrungswelt hervorthut. Ideen, Dinge und Materie sollen nicht als drei verschiedene Rangstufen oder Grade des Wirklichen auftreten, sondern als die zusammenwirkenden Faktoren einer und derselben Wirklichkeit, die in diesem Zusammenwirken dasjenige bedingen, was in der Natur und im Leben als das Wesentliche der Entwicklung heraustritt. Während für Platon die Überzeugung bestand: Das Vielfältigwerden ist um des einheitlichen Seins (der Ideen) willen, gilt für Aristoteles, daß das einheitliche Seiende, die Ideen, dasjenige sind, wodurch das Werden und der Zusammenhang der Dinge ihr Dasein und das Gesetz ihrer Entwicklung finden.
Das Bedeutungsvolle dieser Anschauung liegt hauptsächlich darin, daß Aristoteles durch sie den platonischen Hauptgesichtspunkt für die Wissenschaft erst wirklich lebensfähig gemacht hat. Wenn auch, wie wir sehen werden, die Besonderheit ihrer Ausführung dem thatsächlichen Hergange innerhalb des Naturlebens nur unvollkommen gerecht wird, so will dies im Grunde nicht allzuviel besagen gegenüber der Thatsache, daß die Auffassung der Welt und insbesondere der Natur unter dem Gesichtspunkte der Entwicklung, und zugleich der Gedanke, daß der Inhalt und Vollzug dieser selbst sich durch aufweisbare Faktoren zureichend müsse bestimmen lassen, hier zum erstenmale zu voller Deutlichkeit und Anschaulichkeit gelangte. Die Auffassung der Welt als eines Entwicklungsprozesses war zwar auch früheren Systemen (Heraklit, Empedokles, Demokrit, Anaxagoras) nicht fremd gewesen. Aber die formgebenden Triebkräfte für einen solchen im Einzelnen und im Ganzen hatten sich bei allen unzureichend erwiesen zum Begreifen namentlich des organischen Charakters, der im Weltganzen und seinen Teilen hervortrat; die Wendung dagegen, welche Aristoteles dem platonischen Grundgedanken gab, in dem Hinweise nämlich auf die den Naturprozessen im Ganzen wie im Einzelnen vorausliegende Tendenz auf Ausprägung bestimmter typischer Gestaltungen, für deren Verwirklichung die stofflichen Qualitäten nur das Mittel und die Unterlage abgeben, machte den Entwicklungsgedanken thatsächlich erst zum unverlierbaren Eigentum des wissenschaftlichen Bewußtseins.
2. Die theoretische Darlegung nun dieses Gedankens gewinnt Aristoteles vermittelst einer eingehenden Analyse des Werdens, wie sie noch von keinem der bisherigen Denker ins Auge gefaßt worden war, und deren Inhalt in Kürze folgender ist.
Das Werden als der Prozeß der natürlichen Entstehung und Veränderung vollzieht sich vermittelst einer bestimmten Anzahl fester und überall durchgreifender Faktoren. Den einen derselben und zugleich die Grundlage des Prozesses bildet das allgemeine Substrat (ὑποκείμενον) aller Veränderungen, dasjenige, woraus etwas wird, und worein es sich wieder auflöst, der allgemeine Stoff, die Materie (ὓλη). Innerhalb der Materie aber wirkt der eigentlich schöpferische Faktor für das Werdende, die Triebkraft der Idee oder, mehr im Sinne des Aristoteles ausgedrückt, der Formbestimmtheit (εἶδος, μορφή) d. h. des Gattungstypus, wodurch in die Unbestimmtheit des Stoffes Gliederung und Gestaltung kommt. Jedes solche Formprinzip (τὸ τί ἦν εἶναι) wirkt aus einem Teile der Materie die seinem (des Prinzips) Begriffe oder Typus entsprechenden Einzeldinge. Jedes bestimmte Ding ist mithin ein Produkt aus Materie und Form. Nicht die Form selbst wird oder entsteht, sondern unter ihrer Richtung gebenden Wirkung wird oder entsteht das ihr allgemeines Wesen zum Ausdruck bringende Ding aus der Materie. Und die Form als die wirkende Kraft des Gattungstypus ist nicht über oder jenseits, sondern eben innerhalb der Materie, von der sie selbst aber keineswegs erzeugt oder bedingt ist. Ihr zufolge liegt im Wesen der Materie immer schon von Haus aus der Zug und Trieb nach Form und Gestaltung; die Materie hat ihr Wesen darin, für die Wirksamkeit der Form zugänglich (d. h. bildsam) zu sein. Der hierauf beruhende Werdeprozeß aber kommt in Gang erst durch den Anstoß von seiten eines dritten Faktors, nämlich der äußeren Ursache (τὸ κινοῦν). Damit aus der Materie ein Ding von bestimmter Form und Beschaffenheit werde, bedarf es des Daseins und Wirkens eines bereits bestehenden Dinges, und zwar eines derselben Gattung. Zum Entstehen etwa einer bestimmten Pflanze muß es bereits derartige Pflanzen geben, welche reifen und Samen absetzen, in welchem durch seinen Kontakt mit dem Erdboden der in jenen beschlossene Typus als reale Triebkraft zur Wirkung kommt. Im Gegensatz zu dem von außen kommenden Anstoß ist diese typische Triebkraft oder die »Form« (Idee) die innere Ursache des Werdens und das Ausschlaggebende für die Form des nachher Gewordenen. In diesen metaphysischen Verhältnissen liegt bei Aristoteles das Analogon desjenigen, was die moderne Auffassung des Naturgeschehens als die Gesetzmäßigkeit des Werdens bezeichnet. Vermöge der Wirksamkeit der Form oder Idee ist, sobald die äußere Ursache gewirkt hat, in der Materie ein Prozeß eingeleitet, dessen Endresultat die Form der betreffenden Gattung an sich trägt. Als die im Innern treibende und lenkende Ursache ist nun aber die Form zugleich der Zweck (τέλος) des Werdeprozesses. Alles Werden ist (mit einem modernen Ausdruck) zielstrebig, und zwar auf Grund der inneren Wirksamkeit der Form. Der Anstoß von seiten der äußeren Ursache dient dazu, aus dem bezüglichen Stoffe das zu machen, worauf er gemäß dem in ihm wirkenden Gattungstypus angelegt ist; er verhilft dem mit dem inneren Formtriebe gegebenen Zwecke der Entwicklung zu seiner Verwirklichung. In dem Entstehungsprozeß z. B. eines lebenden Wesens auf Grund der Zeugung sind die wirkenden Kräfte, deren sich hierbei (nach Aristoteles) die Natur bedient, die Wärme und Kälte. Diese selbst sind aber nach Maß und Richtung bestimmt durch die innere Natur des Zeugungsstoffes, der seinerseits aus dem unmittelbaren Nahrungsstoffe der elterlichen Organismen, nämlich aus dem Blute stammt, und in dem daher von vornherein als immanenter Zweck dieses ganzen Naturprozesses die Tendenz auf Herausbildung eines jenen gleichartigen Organismus liegt.
3. Zu den hiermit abgeleiteten Grundbegriffen für das Verständnis des Werdens (Materie, äußere und innere Ursache, Zweck) treten nun bei Aristoteles noch zwei andere, die sich gleichfalls erst durch seine Analyse in die wissenschaftliche Begriffswelt eingebürgert haben. Solange der Werdeprozeß vermittelst der äußeren Ursache noch nicht in Gang gesetzt ist, existiert das Ding, zu dem er werden soll, noch nicht in Wirklichkeit, ist noch nicht aktuell (ἐνεργείᾳ) vorhanden; sofern aber der Formtrieb in dem Stoffe (z. B. der Keimtrieb im Samen) doch immer schon als vorhanden betrachtet werden muß, als eine Anlage, die gleichsam nur darauf wartet, in den Prozeß der Verwirklichung übergeführt zu werden, kann man sagen, das betreffende Ding existiere bereits potentiell (δυνάμει) oder der Möglichkeit nach. Diese Unterscheidung der Begriffe der Möglichkeit und Wirklichkeit (δύναμις und ἐνέργεια) ist für die Naturauffassung und für die Philosophie des Aristoteles überhaupt grundlegend. Der Philosoph bedarf ihrer, um den Gegensatz zwischen Materie und Form zu einem fließenden zu machen, und das Naturganze darzustellen als eine Stufenfolge niederer und höherer Existenzformen im Sinne eines stetig von unten nach oben abgestuften Gesamtbaues. Der Begriff der Möglichkeit oder der Potenz (im Sinne von Anlage) fällt bei ihm in gewissem Grade zusammen mit dem der Materie, sowie der Begriff der Energie oder Wirklichkeit mit dem der Form: alle Dinge sind potentiell bereits in der Materie enthalten; sie ist die allgemeine Realpotenz der Dinge; mit dem Heraustreten einer bestimmten Form dagegen ist der Uebergang in die Wirklichkeit gegeben. Aber auch was schon Wirklichkeit und Form besitzt, kann selbst wieder den Stoff oder die Materie abgeben für ein Anderes, das weiter aus ihm wird; so der Marmor für die Statue oder die bereits vorhandene Pflanze für die Frucht, die sie tragen wird, oder der Knabe für den Mann, zu dem er sich entwickelt. Von dem Gesichtspunkt dieses Verhältnisses von Potenzialität und Aktualität aus, unter Hinzunahme des Gedankens, daß auch dem Unorganischen ein Minimum von Leben zuzuerkennen sei, erscheint die Natur als ein Stufenbau von Gattungen der Lebensformen, innerhalb dessen jede höhere Stufe die Existenz der andern als Vorbedingung voraussetzt. Als Vorläufer der modernen Entwicklungslehre darf Aristoteles daraufhin freilich nur mit Vorbehalt betrachtet werden. Von einer Umwandlung der niederen Arten in höhere ist bei ihm noch nicht die Rede, wohl aber davon, wie nachmals namentlich Goethe sich die Sache zurechtlegte: daß die Natur zu allem, was sie macht, nur »in einer Folge« gelangen kann: s. Siebeck, Goethe als Denker (Klassiker der Philos. XV.) S. 106 f. das Hervortreten der höheren Gattungen setzt das Bestehen der niederen voraus. Und hiermit im Zusammenhang steht eine anderweitige Grundauffassung: die Wirksamkeit der Form hat in der zu ihr gehörigen Materie es doch nicht bloß mit dem Entgegenkommen des dort von Haus aus bestehenden Triebes nach Form zu thun, sondern daneben auch mit dem Widerstand des Stoffes, den sie erst überwinden muß, und dieser ist auf den unteren Stufen stärker als auf den oberen, in denen er übrigens auch noch gelegentlich in mancherlei Unvollkommenheiten und zufälligen Mißbildungen innerhalb des Organischen sich zu Tage legt. Die unteren Formen und Gattungen sind also für Aristoteles nur insofern die Möglichkeit (Potenzialität) für die höheren, als sie durch die in ihnen geleistete Ueberwindung des Stoffes durch den Formtrieb diesem letzteren die Möglichkeit gewähren, sich nun erst der Hervorbringung vollkommnerer und höherer Bildungen zuzuwenden.
4. Man begegnet vielfach der Ansicht, daß Aristoteles seine Lehre von der Beschaffenheit der Faktoren des Werdens und ihrem gegenseitigen Verhältnis ursprünglich von der Art und Weise abgesehen habe, wie innerhalb des Kulturlebens technische und künstlerische Leistungen zustande kommen. Das Ergebnis der auf dieses Gebiet bezüglichen Analyse habe er dann auf das Wesen des organischen Naturprozesses übertragen, und so allerdings für Natur- und Geistesleben eine gemeinsame Grundanschauung erhalten. Daß es ihm nun auf diesen letzteren Umstand besonders ankam, ist jedenfalls zuzugeben; die Uebertragung aber von dem einen Gebiet auf das andere hat sich m. E. vielmehr in der entgegengesetzten Richtung vollzogen. Bei einem Verfahren, wie es jener Ansicht zufolge stattgefunden haben soll, wäre Aristoteles schwerlich zu so maßgebender Betonung des im Stoffe selbst wirkenden Formtriebes gekommen; die Art und Weise ferner, wie er den Vorgang des Werdens bei der technisch-künstlerischen Produktion in seiner Gleichartigkeit mit dem Grundvorgang beim Naturwerden aufzuzeigen sucht, hätte nicht eine so äußerliche und gezwungene Analogie zum Ergebnis gehabt, wie es nach seiner Darstellung thatsächlich der Fall ist. Dieser zufolge ist, wo z. B. ein Haus gebaut wird, ebenfalls eine Materie (Stein und Holz) gegeben; ferner in der äußeren Ursache (die in der Person und Handlung des oder der Bauenden vorhanden ist), eine innere, nämlich der im Geiste des Architekten waltende Formgedanke des beabsichtigten Hauses, der als solcher zugleich den Zweck darstellt, welcher durch den Hergang des Bauens erreicht werden soll. In diesen Faktoren zusammengenommen liegt die potenzielle Existenz des Hauses, die nun ihre Aktualität durch den aus ihrem Zusammenwirken bedingten Prozeß der Erbauung erhält. Eine Vergleichung dieser Darstellung mit der im Bisherigen vorgeführten des Naturprozesses zeigt unschwer, daß die Wirksamkeit der »Form« als innere Ursache auf beiden Seiten etwas ganz Verschiedenes ist: auf der einen die bewußte Vorstellung, die nicht aus der Materie heraus, sondern von außen in sie hineinwirkt, auf der andern der unbewußte, in und mit dem Dasein der Materie selbst immer schon gegebene Trieb nach bestimmter Ausgestaltung. Auch über den wesentlichen Unterschied in der Auffassung der Materie auf beiden Seiten hat Aristoteles zu leicht hinweggesehen. Und wir blicken hier an der Hand der Erläuterung gerade dieses Begriffes auf einen Grundmangel seiner Begriffsphilosophie. Der abstrakte und der konkrete Begriff der Materie wollen sich bei ihm nicht ohne Widerspruch vereinigen lassen. Im Hinblick auf Thatsachen, wie die, daß der Same als die Materie der Pflanze noch nicht die Pflanze selbst ist, läßt sich die Materie in abstracto bezeichnen als das Nichtseiende, welches die Möglichkeit hat, ein Seiendes zu werden. Sofern dagegen das Samenkorn sich doch immerhin schon als ein bestimmtes Ding darstellt, aus welchem ein anderes Ding (die betreffende Pflanze) erst entstehen soll, bezeichnet der Begriff der Materie in concreto ein bestimmtes Wirkliches (Seiendes), das sich zu einem andern Bestimmten entwickeln oder aus dem (wie beim Bau des Hauses aus Steinen und Holz) ein anderes Bestimmtes hergestellt werden kann. Diese beiden Auffassungen vertragen sich, so lange es sich um den Begriff der Materie im relativen Sinne handelt, d. h. im Sinne eines bereits bestimmten (geformten) Etwas, woraus ein anderes Bestimmtes werden kann. Sie widerstreiten sich aber, sobald der absolute Begriff der Materie, d. h. die Materie lediglich als Gegensatz zur Formbestimmtheit in Frage kommt, oder (was dasselbe bedeutet) sofern das Denken nicht umhin kann, die als Materie für anderes Bestimmtes bereits vorliegenden bestimmten Dinge selbst schließlich auf eine letzte, eine Ur-Materie, d. h. eine Materie noch ohne jede Formbestimmtheit zurückzuführen. Denn zum Begriffe der Materie in relativem Sinne gehört (wie beim Samenkorn) ihr Determiniertsein durch eine bestimmte Qualität oder Form bereits mit hinzu; der absolute Begriff derselben aber als des Nichtseienden, welches die Möglichkeit hat (oder ist), ein bestimmtes Seiendes zu werden, schließt von vornherein das Vorhandensein irgend einer bestimmten Qualität von ihr aus. In den Erklärungen nun der einzelnen Natur- oder technischen Vorgänge herrscht bei Aristoteles der relative, in den rein metaphysischen Erörterungen von dem Verhältnis der Materie zur Form dagegen der absolute Begriff, der sich aber bei jedem Versuch, einen bestimmten Prozeß vermittelst des Begriffs der Materie zu erklären, als unzulänglich erweist. Jener Widerstreit würde sich lösen durch die Erwägung, daß die Materie in absolutem Sinne (als Möglichkeit oder Potenzialität zu allem Wirklichen) selbst nichts Wirkliches ist, sondern nur ein Erzeugnis des abstrahierenden Denkens. Aristoteles selbst sieht aber an diesem Umstand vorbei und betrachtet die qualitätslose Materie selbst schon als eine Art von Wirklichkeit, nämlich als eine unvollkommene Aktualität, die zur Vervollständigung noch der Wirksamkeit der Form bedürfe. Er bemerkt dabei nicht, daß von dem Begriffe des Wirklichen sich das Merkmal des Qualitativen nie und nimmer abtrennen läßt, und daß ein potenzielles Wirkliches im Sinne des qualitätslosen Wirklichen nicht bloß eine thatsächliche Unmöglichkeit, sondern auch ein logischer Widerspruch ist.
5. Für das Stadium des Uebergangs nun, der innerhalb der Gattung von der Potenzialität in die Energie überleitet, führt Aristoteles noch einen dritten Grundbegriff ein, durch welchen erst das Ganze der Natur als Prozeß einheitlich zusammengehalten erscheint. Er bestimmt diesen Uebergang vermittelst des Begriffs der Bewegung (κίνησις). Unter Bewegung versteht Aristoteles nicht lediglich die äußere Veränderung des Ortes, sondern jeden Prozeß des Uebergangs von Materie in Form, und die Bewegung in diesem Sinne beruht nach seiner Anschauung letztlich auf der immer bereits im Stoffe vorhandenen Wirksamkeit der Form, deren Wesen und Inhalt sie eben aus dem Stadium der bloßen Möglichkeit in die Wirklichkeit überführt. In Konsequenz dieser Anschauung ergiebt sich nun für den Begriff der Energie selbst noch eine neue Unterscheidung. Im Verhältnis zur Potenzialität nämlich ist die Bewegung selbst schon Energie, denn sie ist ja der Träger der Verwirklichung dessen, was im Stoffe der Anlage nach vorhanden ist. Das Erreichen dieses Zieles aber, also das Heraustreten der vollen und ganzen Aktualität des Dinges ist der Abschluß des Prozesses der Bewegung, der zu diesem Ziel geführt hat. Der Begriff' der Energie schließt mithin den der Bewegung ein, enthält aber zugleich mehr, und im Hinblick hierauf macht Aristoteles in diesem Begriffe selbst noch eine Unterscheidung vermittelst der bestimmteren Begriffe der Energie und Entelechie. Die Energie als Bewegung ist die Verwirklichung als Prozeß, die Entelechie dagegen bezeichnet das erreichte Ziel des Prozesses selbst, das als solches den Vorgang der Bewegung bereits hinter sich hat. Was aber so schließlich als fertiges Resultat im Sinne der Entelechie heraustritt, kann nichts anderes sein als ein solches, das von vornherein durch die in der Materie wirkende Triebkraft der Form bereits bestimmt, also der Möglichkeit nach schon da war. Daher der für die aristotelische Naturphilosophie durchgreifende Satz: Was der Entwicklung nach das Spätere ist, ist dem Wesen und der Form nach das Frühere. Sofern weiter die beiden Zustände, welche durch die Bewegung verknüpft werden, nämlich die der Möglichkeit und der Verwirklichung, einen begrifflichen Gegensatz zum Ausdruck bringen, kommt in den Begriff der Bewegung weiter die Bestimmung, daß sie ihrem Wesen nach den Uebergang von einem Zustand zu dem entgegengesetzten bezeichnet. Da ferner, wie schon gesagt, das Potenzielle nur aus sich selbst, d. h. ohne den Anstoß von seiten der äußeren Ursache, nicht zu etwas Formbestimmtem werden kann, so setzt die Bewegung immer außer dem Bewegten noch ein bereits aktuell Bewegendes und als solches den Anstoß zu der neuen Bewegung Bewirkendes voraus, und dieser Satz soll auch da gelten, wo anscheinend Selbstbewegung vorhanden ist, wie denn z. B. in dem lebendigen Wesen die Seele als das Bewegende von dem Leibe als dem Bewegten zu unterscheiden ist. Ueberall aber, wo dieses Verhältnis tatsächlicher Einwirkung eines bewegenden aktuellen Faktors auf ein in den Prozeß der Bewegung überzuführendes Potenzielles (d. h. Veränderungsfähiges) gegeben ist, und äußere Hindernisse aus dem Spiel bleiben, tritt die entsprechende Bewegung von selbst (naturgemäß) ein. Daher entsteht, nach Aristoteles, keine Bewegung oder Veränderung durch Wirkung in die Ferne, sondern Bewegung ist nur möglich durch »Berührung«. Als Arten der Bewegung oder Veränderung endlich unterscheidet Aristoteles die quantitative oder die Zu- und Abnahme, die qualitative oder die Verwandlung einer Substanz oder eines Zustandes in einen andern, und die räumliche Bewegung oder Ortsveränderung. Eine anscheinend als vierte auftretende Art, nämlich das Entstehen und Vergehen im absoluten Sinne, will er nicht als Bewegung in eigentlicher Bedeutung bezeichnet wissen, da jenes sich als Uebergang aus dem Nichtsein in das Sein, dieses dagegen als solcher aus dem Sein in das Nichtsein darstellt, während Bewegung oder Veränderung im eigentlichen Sinne nur als Uebergang von einem Zustand des Seienden in einen andern ebendesselben gefaßt werden darf. Ein absolutes Entstehen und Vergehen giebt es aber nach seiner Ansicht überhaupt nicht, da innerhalb des Weltganzen immer nur Verwandlung aus einem Ding oder Zustand in einen andern vorliegt. Von jenen drei Arten aber der Bewegung lassen sich die beiden erstgenannten schließlich immer auf die dritte, also auf die räumliche zurückführen. Denn Zu- und Abnahme beruht auf Hinzutreten und Entfernen stofflicher Teile unter Beharrung der Form; Qualitäts-Verwandlung ferner ist bedingt durch das (räumliche) Zusammentreffen des Bewegenden, das die Veränderung veranlaßt, mit dem Bewegten, d. h. dem, worin sie hervorgebracht wird, und dasselbe gilt von den Vorgängen des relativen Entstehens und Vergehens. Den verschiedenen Arten der Veränderung liegt also die räumliche Bewegung immer zu Grunde. Aristoteles will sie aber dessen ungeachtet nicht, wie die Atomistik gethan hatte, als den ausschließlichen Träger des Werdens und der Veränderung betrachtet wissen. Der Anstoß zu einem Werdeprozeß durch die äußere Ursache vermittelst der räumlichen Bewegung ist, nach seiner Ansicht, zwar unumgänglich, bedeutet aber eben nur das erste Glied in dem Ablaufe des Vorgangs, der dann in ausschlaggebender Weise von der Wirksamkeit der Form und der mit ihr gesetzten Zielstrebigkeit abhängig ist.
6. Der endgültige Abschluß dieses ganzen Gedankenkreises liegt nun für Aristoteles in der Frage nach dem absoluten Anfang, dem letzten Grund und Prinzip der Bewegung. Daß in dem Dasein der Bewegung oder Veränderung selbst für ihn nicht, wie für Heraklit, das Wesen der Welt aufgehen kann, ist schon aus der voraufgegangenen Analyse des Werdeprozesses ersichtlich. Für eine Weltauffassung, die das Wesen der Veränderung und überhaupt des Geschehens in der qualitativen Einwirkung der Form auf die Materie erblickt, für das Inkrafttreten der Formwirksamkeit aber selbst immer schon einen durch räumliche Bewegung mitbedingten Anstoß voraussetzt, muß sich zuletzt der Ausblick nach einem obersten Prinzip ergeben, in dessen Wesen es liegt, das Dasein der Formen und den Anstoß zu ihrer Wirksamkeit im letzten Grunde zugleich zu bedingen. Der Naturzusammenhang ist eine Kette von Ursachen und Wirkungen, für die man, da sie nach Aristoteles' Ansicht nicht ins Unendliche gehen kann, einen obersten Punkt suchen muß, an dem sie gleichsam befestigt ist. Man muß mithin eine letzte Ursache annehmen, also eine solche, die nicht selbst erst aus einer vorausliegenden Realpotenz in Wirklichkeit heraustritt, sondern absolute Wirklichkeit ist, höchste (ewige) Energie und Aktualität, ein Etwas, welches den Werdeprozeß von Materie und Form bedingt und begründet, ohne selbst Prozeß, also auch ohne materiell zu sein. Zu dem Weltganzen muß als sein Bestandteil etwas gehören, was der Grund dieser Bewegung des Ganzen, und somit als ein Teil der Welt doch nicht selbst schon Bewegung, sondern Bewegungs prinzip ist. Die Welt muß einen unbewegten Grund der Bewegung enthalten. Dieser immaterielle, für sich selbst unbewegte Beweger der Welt ist nun, nach Aristoteles, der göttliche Geist (νοῦς): Gottes Wesen ist reiner Geist und als solcher reines Denken oder, wie er sagt, Denken des Denkens (νόησις νοήσεως), d. h. ein Denken, worin der Unterschied von Subjekt und Objekt, von Denkendem und Gedachtem aufgehoben ist. Das menschliche Denken, (so dürfen wir uns diese Auffassung zurechtlegen), hat seinen Gegenstand außerhalb seiner selbst, in der ihm gegenüberstehenden Welt; es ist wesentlich ein die Formen der Welt nachbildendes Denken. Das göttliche dagegen bezieht sich auf die Welt insofern, als es diese Formen selbst ursprünglich denkt und damit auch zur konkreten Wirksamkeit bringt. Gottes Wesen selbst besteht in dem System von Ideen, welche dem Menschen als die die Ausgestaltung der Welt bedingenden Typen und Prinzipien vorliegen, und von seinem eigenen Denken lediglich nachgedacht werden.
Aristoteles bezeichnet Gott nirgends ausdrücklich als den Schöpfer, wohl aber als den Beweger der Welt. Auch von dem Verhältnis der Gesamtbewegung der Welt zu Gott soll nämlich gelten, was von der Bewegung überhaupt gilt, nämlich daß sie nur möglich ist durch Berührung: Gott bringt die Bewegung der Welt hervor, indem er diese berührt. Diesen Satz kann Aristoteles freilich nur behaupten, indem er dem Begriff der Berührung eine Erweiterung giebt, die von seinem ursprünglichen Sinn und Zweck abseits liegt. Berührung im eigentlichen Sinne setzt Wechselwirkung zwischen dem Berührten und Berührenden, also für beide Faktoren zugleich Wirken und Leiden voraus. Daß Gott aber in irgend einem Sinne leide (Passivität habe), kann von ihm, dessen Wesen reine Aktualität sein soll, nicht gesagt werden. Das Berühren der Welt (d. h. das auf die Welt Wirken) von seiten Gottes, wodurch die Bewegung entsteht, muß also einen andern Sinn haben, als das Berühren und Bewegung-Wirken innerhalb des Weltganzen selbst. Dem zufolge lehrt Aristoteles, Gott bewege die Welt insofern, als diese nicht umhin könne, zu ihm, als dem Schönsten und Besten, hinzustreben – ein Gedanke, zu dem freilich eine weitere Klarlegung nicht gegeben wird. Er würde eine solche im Grunde auch nicht vertragen, ohne in die pantheistische Auffassung des Verhältnisses von Gott und Welt hineinzuführen, vermittelst der Annahme nämlich, daß das göttliche Wesen auch durch die materielle Beschaffenheit der Welt und der irdischen Natur, wenn auch in abgestufter Stärke, hindurch walte, und daß deshalb der Welt im Ganzen wie im Einzelnen ein Zug und Trieb einwohne nach Realisierung der Ideen und Formen, die als ewige Gedanken in Gottes Geiste liegen. Die Gegensätze des theistischen und des pantheistischen Denken sind aber für Aristoteles überhaupt noch nicht in ausgeprägter begrifflicher Fassung vorhanden. Wie das Heer, so führt er aus, zusammengehalten wird durch die Disziplin, die aber selbst erst bedingt ist durch die Person des Feldherrn, so besteht die Welt durch das Gute, das in ihr selbst enthalten ist als Welt-Ordnung; diese ihrerseits aber ist und besteht nicht an und durch sich selbst, sondern durch Gott, (durch dessen Denken sie selbst erst bedingt ist). Dieses Gleichnis zeigt, daß bei Aristoteles in der Gottesfrage ein Standpunkt vorliegt, der mit Bewußtsein über den Zwiespalt, der nachmals als der des Theismus und Pantheismus bezeichnet wurde, hinausliegt. Zur Auflösung aber des Problems bezüglich der Einwirkung Gottes auf die Welt trägt er nichts bei, weil er hier eben nur formuliert, nicht aber begrifflich analysiert und begründet ist. Von einer Entstehung der Welt durch den göttlichen Willen ist jedenfalls bei Aristoteles keine Rede.
7. Ganz in Analogie zu dieser Unaus Getragenheit der Gottesfrage befindet sich bei Aristoteles die Stellung, die er zu dem allgemeinsten Problem des bisherigen philosophischen Denkens einnimmt, wie es insbesondere durch die Entwicklung des Platonismus im Gegensatze zu der voraufgehenden atomistischen und sophistisch-individualistischen Weltauffassung ins Licht gestellt war, – zu der Frage nämlich, ob man die »Substanz« der Wirklichkeit in dem Allgemeinen oder in dem Individuellen zu suchen habe: Ist das Grundbedingende für die Eigenart und den Zusammenhang des Gegebenen in denjenigen Objekten zu suchen, die nur dem Denken erfaßbar sind, also in den Ideen und ihren begrifflichen Verhältnissen, so daß die Einzeldinge lediglich als Material und Mittel zur Realisierung jener anzusehen sind? Oder sind umgekehrt diese in ihrer sinnlichen Individualität das Grundlegende, und die allgemeinen (begrifflichen) Inhalte, die von ihnen ausgesagt werden, demgemäß nur Arten und Weisen, wie das menschliche Denken sich innerhalb der Fülle und Mannigfaltigkeit dieses Wirklichkeitsbereichs orientiert und ihn für seine Zwecke übersichtlich und durchsichtig macht? Kürzer und speziell aristotelisch ausgedrückt: Ist der Gattungstypus (die »Idee«), z. B. der Pflanze oder die Einzelpflanze als »Substanz« im wahren Sinne zu betrachten? Für die Neubegründung der philosophischen und überhaupt der wissenschaftlichen Weltbetrachtung handelte es sich in erster Linie um eine Entscheidung betreffs der hier bezeichneten Alternative. Der Streit der Meinungen hinsichtlich derselben geht bei Lichte betrachtet durch die ganze Geschichte der Philosophie, und es beruht nicht auf einer Schwäche, sondern eher auf einem Vorzuge in der Denkweise unsres Philosophen, daß er selbst zu keiner abschließenden Stellungnahme dazu gekommen ist, deswegen nämlich, weil er sich die von jeder der beiden Seiten her wirkenden Motive und Perspektiven zum erstenmal mit voller Bestimmtheit zum Bewußtsein brachte. Daß das »wahre Sein« sich in den Einzeldingen (mit Einschluß der Einzelpersönlichkeiten) zur Darstellung bringt, war für seinen lebendigen Wirklichkeitssinn außer Zweifel. Ebenso klar sah er aber das Andere, daß ein wirkliches Wissen von den Dingen nirgends im und am Einzelnen beschlossen bleibt, sondern seinem Inhalt nach stets auf ein Allgemeines ( allgemeine Eigenschaften, Gesetze, Verhältnisse u. dgl.) hinauskommt. Die Art, wie er selbst nun dieses Grundproblem erledigt, ist nun freilich nichts anderes als eine Unterscheidung in Worten, die es schließlich auf der Stelle läßt, wo er es gefunden hat. Er erklärt die Individuen für Substanzen »erster«, und die allgemeinen Typen und Realitätsbeziehungen für solcher »zweiter Ordnung« (πρῶται-δεύτεραι οὐσίαι), womit im Grunde für beide Arten von Wirklichkeit weder hinsichtlich ihres Ranges, noch hinsichtlich ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und Bedingtheit etwas Aufhellendes und Abschließendes gesagt ist.
8. Die Bewegung nun, die Gott in der Natur bedingt, ist nach Aristoteles keine unvermittelte, sondern geht durch verschiedene Abstufungen hindurch, die gegeben sind durch die Konstruktion des Weltgebäudes im Ganzen. Das Universum in seinem Verhältnis zur Bewegung und ihrem göttlichen Grunde denkt sich Aristoteles im Anschluß an die antiken astronomischen Anschauungen, die bekanntlich die Erde als den festen Mittelpunkt der Welt betrachteten, und den Himmel als eine um diese sich wölbende Hohlkugel. In dieser dachte man sich zuerst (von der Peripherie her) die Fixsterne und unterhalb derselben die Region der Planeten, (zu denen auch Sonne und Mond gerechnet wurden). Jedes Gestirn ist nach dieser Theorie befestigt an einer »Sphäre«, d. h. an einer unsichtbaren, aber doch materiell (ätherisch) gedachten Kugelschale, die mit der Erde konzentrisch ist und vermittelst der ihr eigentümlichen Bewegung innerhalb vierundzwanzig Stunden sich, und damit auch den von ihr getragenen Stern, um die Erde herumführt. Die Fixsterne sind (nach der Lehre des Astronomen Eudoxos) sämtlich an einer einzigen Sphäre befestigt; zur Erklärung der Eigentümlichkeiten der Planetenbewegung aber glaubte man eine Vielheit von Sphären annehmen zu müssen, und zwar in der Weise, dass auf jeden einzelnen Planeten eine Mehrzahl von ihnen kam, von denen jede selbst wieder hinsichtlich der Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung ihre Besonderheiten hatte, so daß aus der Kombination dieser vorausgesetzten Eigenschaften der Sphären die thatsächlich beobachtete Bewegung des betreffenden Planeten begreiflich erschien. Diese astronomische Theorie brachte nun Aristoteles in eine genauer durchdachte Verbindung mit seinen metaphysischen Anschauungen von dem Wesen der Bewegung und des göttlichen »ersten Bewegers«, und dieser Vorgang wurde für den wissenschaftlichen Ausbau der Kosmologie auf mehr als ein Jahrtausend hin bedeutungs- und – verhängnisvoll. Denn daß im Altertum und Mittelalter das heliozentrische Weltsystem, zu dem es damals keineswegs an Ansätzen gefehlt hat, nicht durchgedrungen ist, lag zwar in erster Linie daran, daß man noch nicht imstande war, es rechnungsmäßig mathematisch zu beweisen, ganz besonders aber an dem Umstande, daß die entgegengesetzte geozentrische Auffassung durch die Art und Weise, wie Aristoteles sie zum Ausbau einer festgefügten philosophischen Weltbetrachtung verwendete, anscheinend eine endgültig vernunftgemäße Bestätigung erhielt. Diese Verbindung nun seiner metaphysischen Prinzipien des Werdens und der Bewegung mit den kosmologischen Ansichten der geozentrischen Anschauung ergab bei Aristoteles eine Konstruktion des Weltgebäudes, deren hauptsächlichste Züge folgende sind.
Dem göttlichen Geiste zunächst steht der oberste Teil des Himmels, die Welt der Fixsterne, deren Sphäre alles umschließt, was in Raum und Zeit ist. Der Fixsternhimmel gilt ihm für unwandelbar und leidenlos, und zwar deshalb, weil man an ihm, (was bei dem damaligen Stande der astronomischen Beobachtungsweise ohne Instrumente ja unausbleiblich war), noch nie eine Veränderung beobachtet hatte. Seine Materie kann demgemäß auch nicht die der (veränderlichen) irdischen Dinge sein; sie besteht nicht aus den uns bekannten vier Elementen, sondern aus dem reinen Aether als der fünften Substanz und damit, (wie man später sagte), der Quintessenz des Weltalls. Seine Bewegung ferner ist die schlechthin gleichmäßige wandellose Kreisbewegung. Inner- (oder unter-) halb der Fixsternregion befindet sich die der Planeten. Sie ist schon unvollkommener als der oberste Himmel, weil sie dem ersten Beweger ferner steht. Den Anstoß zu ihrer Bewegung erhält sie deswegen auch nicht von diesem, sondern erst von der des Fixsternhimmels und sie ist darum auch nicht mehr die reine Kreisbewegung, sondern eine ungleichmäßig zusammengesetzte in schiefen Bahnen. Im Mittelpunkt des Ganzen endlich ruht die Erde, deren Beschaffenheit noch größere Unvollkommenheit aufweist. Denn der Wechsel und die Veränderung, die auf ihr herrscht, ist durch die mannigfaltige und ungleiche Bewegung bedingt, die aus der Planetenwelt auf sie herabwirkt. So hat sich schon bei Aristoteles in Bezug auf das Verhältnis der Erde zum Himmel die Vorstellung eines Gegensatzes ausgebildet, der nachmals für die religiöse Weltanschauung des Mittelalters eine besondere Bedeutung erhielt: jene verhält sich zu diesem wie das Unvollkommene zum Vollkommenen, wie das Materielle zum Aetherischen, wie das Irdische zum Himmlischen. Auch der sehr nachhaltige Glaube, daß die Gestirne den Wechsel der Dinge regieren, hat für das Abendland seine Wurzel in der Lehre des Aristoteles von dem Einfluß des Fixstern- und Planetenhimmels auf die sublunarische Welt.
9. Der Begriff der Natur hat nach alledem für Aristoteles einen weiteren und einen engeren Sinn, je nachdem er sich auf die Welt im Ganzen oder auf den Bereich des Irdischen bezieht. Für beide Bereiche gemeinsam gilt die Definition, daß Natur dasjenige sei, was ein Prinzip der Bewegung und damit auch ihres Gegensatzes, der Ruhe, in sich enthalte. Auch der Gegensatz von Materie und Form, sowie die Ordnungen des Räumlichen und Zeitlichen greifen für beide Gebiete durch. Aber die Art der Materie und dem entsprechend die der Bewegung ist in der angegebenen Weise verschieden. Demgemäß erscheint in dem oberen kosmischen Gebiete die Herrschaft des Aktuellen gegenüber dem Materiellen oder Potenziellen in viel höherem Maße überwiegend, und zwar soll dies auch von demjenigen Verhältnisse von Materie und Form gelten, das sich uns, wie wir weiterhin sehen werden, in dem Unterschied von Leib und Seele zur Anschauung bringt. Aristoteles nimmt mit Bewußtsein den von der Volksmythologie gehegten Gedanken, daß auch die Gestirne beseelte Wesen, und zwar von höherer Natur als die irdischen, seien, in den Zusammenhang des kosmologischen Denkens herein, worin dieser sich dann bis zu den Zeiten Kepplers, der ihn wenigstens anfänglich auch noch nicht glaubte entbehren zu können, behauptet hat. Er mußte in Verbindung mit der astronomischen Sphärentheorie, (die Aristoteles selbst noch weiter auszubauen bemüht gewesen ist), bis zum Aufkommen der kopernikanischen Weltanschauung das wissenschaftliche Surrogat abgeben für dasjenige, was nachher die Entdeckung des Gravitationsgesetzes geleistet hat.
Für die obere und untere Welt gemeinsam ferner ist für Aristoteles ihr Beschlossensein in Raum und Zeit. Für diese beiden Formen des Naturdaseins hat er gleichfalls neue und für die Folgezeit maßgebende Bestimmungen gefunden. Einen leeren Raum giebt es für ihn nicht, und der Raum reicht ihm überhaupt nicht weiter als die mit Materie erfüllte Natur; denn er ist, wie Aristoteles definiert, nichts anderes als der Ort oder Platz (τόπος), den ein Ding einnimmt, und dieser ist bestimmt durch die Grenze des umschließenden Körpers gegen den umschlossenen. Und wie der Raum gebunden ist an das Dasein der Dinge, so die Zeit an das ihrer Bewegung. Sie ist »das Maß oder die Zahl der Bewegung in Bezug auf das Vorher und Nachher«, also die Reihe von Momenten, aus denen sich die Kontinuität der Bewegung zusammensetzt. Zeitbildend aber ist die Bewegung, wie Aristoteles ausdrücklich hervorhebt, nur für das Subjekt, welches zählt; denn ohne einen zählenden Verstand giebt es keine Zahl der Bewegung, mithin auch kein Bewußtsein der Zeit. Auch das Problem der unendlichen Teilbarkeit von Raum und Zeit hat Aristoteles bereits näher ins Auge gefaßt. Zu seiner Lösung soll ihm gleichfalls die Unterscheidung der Begriffe der Potenzialität und Aktualität verhelfen: das Räumliche und Zeitliche ist dem Gedanken nach ins Unendliche teilbar; diese Art der Teilbarkeit ist aber eben nur potenziell, nicht aber der Wirklichkeit nach vorhanden.
Ein durchgreifender Unterschied aber zwischen beiden Welten liegt nach der aristotelischen Anschauung darin, daß die obere (siderische) Region zufolge ihrer höheren Natur der Veränderlichkeit enthoben ist, während diese für den sublunarischen Weltbereich gerade das allgemeinste charakteristische Merkmal bildet. Sie besteht in der Wechselwirkung, welche die Elemente gegeneinander ausüben; der Anstoß dazu soll aber durch das Herabwirken der am Himmelsgebäude, speziell von der Region der Planeten her, stattfindenden Bewegung bedingt sein. Denn in dieser herrscht nicht mehr, wie in der Sphäre der Fixsterne, die reine Kreisbewegung, weil die unteren Sphären von der oberen mit herumgeführt und dadurch an den einzelnen Gestirnen komplizierte d. h. nicht mehr kreisförmige Bewegungen erzeugt werden. Als die Wirkungen nun, welche diese Planetenbewegungen auf die irdische Welt ausüben, betrachtet Aristoteles in erster Linie den Wechsel von Wärme und Kälte. Da ihm außerdem die Sonne für denjenigen unter den Planeten gilt, der am stärksten auf die Erde herabwirkt, so beruht ihm der Wechsel des Entstehens und Vergehens auf der Erde hauptsächlich darauf, daß jene infolge der Neigung ihrer Bahn den verschiedenen Teilen der Erde bald näher, bald ferner steht Näheres über diesen Teil der aristotelischen Kosmologie s. bei Zeller, die Philosophie der Griechen IIb (4. A.) S. 464 ff.. Diese Wechselwirkung der Elemente infolge ihrer ungleichmäßigen Erwärmung bedingt nun nach der hier waltenden dynamischen Grundanschauung, (auf die sogleich noch weiter eingegangen werden wird), eine Umwandlung der Stoffe ineinander, und in diesem Umsetzungsprozesse werden die Stoffe selbst unter der Einwirkung der von den Himmelskörpern ausgeführten Bewegungen beständig vom Zentrum des Weltganzen, also von der Erde nach der Peripherie hin, d. h. von unten nach oben und wieder von oben nach unten geführt. Diese Thatsache dient als Ausdruck eines metaphysischen Verhältnisses. Der Kreislauf des Werdens nämlich auf der Erde ist dasjenige Moment, wodurch diese selbst in der Form, wie es für sie allein möglich ist, also annähernd an dem Vorzuge der Unvergänglichkeit teilnimmt, welche den Gestirnen im absoluten Sinne zukommt.
Wie schon von hier aus erhellt, bildet den Schlußstein der aristotelischen Metaphysik die Lehre von der Ewigkeit der Welt, die von ihren spekulativen Grundannahmen aus, also von den Bestimmungen über das Verhältnis von Materie und Form und über das des göttlichen Bewegers zum Weltganzen, ferner aus der Ansicht vom Wesen und den Bedingungen der Bewegung sich als letzte Konsequenz herausstellt. Eine ausdrückliche Hervorhebung findet sie u. a. namentlich in demjenigen, was der Philosoph über die Beschaffenheit des Fixsternhimmels und überhaupt des oberen Teiles des Weltganzen lehrt, dessen allem Wechsel und aller Gegensätzlichkeit enthobenes Wesen nicht nur qualitative und quantitative Veränderung, sondern auch vorzeitliches Entstehen und Vergehen ausschließt. Sie bildet so zu der räumlichen Geschlossenheit der Welt die nach der Seite des Zeitlichen hinliegende analoge Ergänzung. Wie der Kreis, in dessen Form die obere Welt sich räumlich bewegt, die in sich geschlossene Raumlinie darstellt, so die Ewigkeit die in sich geschlossene Zeit. Wie bei der Kreisbewegung bei jedem einzelnen Punkte nicht noch nach besondern Ursachen für die Einhaltung oder Veränderung der Richtung gefragt zu werden braucht, so ist die Ewigkeit bei Aristoteles diejenige Auffassung der Zeit, welche die Frage ausschließt, warum in einem bestimmten Punkte derselben eine absolute Veränderung (Entstehen oder Vergehen) eintrete. Den wesentlichen Charakter, die naturgemäße Eigentümlichkeit der Welt als Ganzes bildet ihre absolute Zulänglichkeit, wenigstens in dem Sinne, daß der Grund einer Veränderung für das Ganze als solches von vornherein nicht besteht. Das Ganze als das absolut Naturgemäße (Unbedingte) muß zugleich das absolut Erste und Ewige sein und umgekehrt. Diese in sich selbst ruhende Naturgemäßheit des Ganzen als solchen schließt auch sowohl Steigerung wie Nachlassen aus. Die Welt (mit Einschluß des »ersten Bewegers«) erscheint als ein Ganzes, worin die Vielheit der Prinzipien sich gegenseitig zu einem einheitlichen und durch sich selbst getragenen, durch nichts außer sich bedingten Totaleffekte bestimmt.
Daß diese Weltauffassung nicht bloß dem metaphysischen Interesse, sondern auch dem ästhetischen Bedürfnisse in hervorragender Weise gerecht wird, braucht nicht erst erörtert zu werden. Die ästhetische Befriedigung darf und kann freilich nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen, welchen die Gesamtkonstruktion hinsichtlich des gegenseitigen Verhältnisses ihrer Grundpositionen unterliegt, und die sich namentlich hinsichtlich der behaupteten Einheitlichkeit des Weltganzen erheben. Zunächst zwar scheint ein Dualismus in der Bestimmung desselben dadurch vermieden zu sein, daß die Welt mit Einbeziehung des unbewegten »ersten Bewegenden« als eines integrierenden Teiles des Ganzen sich als ein lebendes Gesamtwesen darstellt, das den Grund und Anfang seines Seins und Geschehens in sich selbst trägt. Bei näherer Betrachtung aber zeigt es eine Vereinigung von Gegensätzen, deren organische Zusammenfügung mehr behauptet als bewiesen ist, sofern der immaterielle erste Beweger, also der göttliche Geist, doch als von Ewigkeit her »an sich« bestehend und auf die ebenfalls von Ewigkeit mit der Materie bestehende Welt wirkend zu denken ist. Wie innerhalb dieses Gesamtwesens Materialität und Immaterialität sich gegenseitig bedingen und auf einen gemeinsamen Grund zurückführen lassen, ist eine Frage, die auch angesichts der Behauptung, es sei der Materie wesentlich, nach Form zu streben, eine offene bleibt. Denn gerade, auf Grund wovon dieses Streben nach der Form oder dem Immateriellen hin in der Materie liege, bleibt ganz im Dunkeln. Gerade das Versagen der Spekulation an diesem Punkte hat nachmals, in der Fortbildung der peripatetischen Lehre bis zu der der Stoa hin, wieder auf diejenige Position zurückgeführt, die Aristoteles durch die Annahme eines ersten unbewegten Bewegers der Welt ausschließen wollte, nämlich dazu, das absolute Werden als solches wieder zum Weltprinzip zu machen. Denn in diesem sind, scheinbar wenigstens, diejenigen Schwierigkeiten, in die bei ihm die oben bezeichnete Frage vom Verhältnisse des göttlichen Einzelwesens zur Welt und des Immateriellen zum Materiellen hineinführt, nicht vorhanden, weil hier die genannten Glieder der Gegensätze von vornherein überhaupt nicht als wirklich bestehend angesehen werden.
10. In der Erklärung der Einzelvorgänge innerhalb der irdischen Natur selbst kommt nun bei Aristoteles wieder der platonische Grundzug seiner Weltanschauung zum Vorschein, und zwar vor allem darin, daß die Methode, welche hier durchgreift, sich im ausgesprochenen Gegensatze zu der der mechanischen Physik befindet, wie sie namentlich durch die Atomistik vertreten wird und bereits vor seiner Zeit durch die hellenischen Begründer jener Theorie angebahnt worden war. Aristoteles hat ihr eine eingehende Kritik gewidmet, bei der er sich natürlich nur an die damalige unvollkommene Ausgestaltung derselben halten konnte. Sein Hauptbedenken dagegen beruhte darauf, daß er sich von ihrer Grundvoraussetzung von der qualitativen Gleichartigkeit der Urbestandteile des Stoffes im Hinblick auf die Thatsachen nicht wollte überzeugen lassen. Außerdem fand er mit Recht, daß sich aus der Atomtheorie in der bisherigen Gestalt weder die stetige Raumerfüllung noch die Umwandlung eines Stoffes in den andern (z. B. des Dampfes in Wasser) genügend erklären lasse. Der erstere Einwand ergab sich ihm angesichts der Annahme Demokrits, derzufolge den einzelnen Atomen nur verschiedene (unveränderliche) Gestalt zukommen sollte, der andere aus dem Umstande, daß jene Theorie den Anschein qualitativer Umwandlung in der Hauptsache lediglich auf Ausscheidungen innerhalb der Atomkomplexe, nämlich der kleineren und feineren aus der Masse der größeren, zurückzuführen suchte. Lediglich aus Gestalt und Größe, bei sonstiger absoluter Eigenschaftslosigkeit der Atome, wollten die thatsächlichen Unterschiede in den Eigenschaften der Dinge sich nicht ableiten lassen. Außerdem sah er ganz richtig, daß die demokritische Lehre keine zureichende Begründung für die Bewegung der Atome aufzeigen konnte und namentlich auch die Unterschiede der Schwere nicht zulänglich zu erklären vermochte. Dieser Gegensatz gegen die Atomistik machte Aristoteles, (der hier übrigens ebenfalls unter dem Einflusse Platons steht), zum Vertreter der dynamischen Naturanschauung, und er ist der Erste, der sie auf allen Gebieten mit methodischem Bewußtsein im großen Stil durchgeführt und als das maßgebende Erkenntnisverfahren behandelt hat. Worauf sie bei ihm beruht, läßt sich schon aus der Analyse seines Kausalitätsbegriffes abnehmen. Es waltet hier eine Auffassung der Natur, derzufolge die Vorgänge und Zustände in den Dingen sich aus der Annahme eigenartiger, den einzelnen Gattungsgebieten entsprechender innerer Triebkräfte erklären sollen, die als wirkende Qualitäten über den bezüglichen Stoff herrschen und aus ihm das machen, was der in ihm vorausliegenden Tendenz gemäß ist, – wobei mit Bewußtsein von der Erklärung des Gewordenen durch quantitative Verhältnisse kleinerer und kleinster Stoffteile abgesehen wird. Das mechanische Zusammentreten der Teile zu einem qualitativ bestimmten Ganzen soll von vornherein durch das Wesen und die Wirksamkeit des Gattungstypus bedingt gedacht werden. Alle Bewegung und Gestaltung ist hiernach nicht von außen, sondern von innen her bedingt; die Eigentümlichkeit des Ganzen wird nicht aus dem Zusammenwirken der Teile abgeleitet, sondern die Beschaffenheit und Funktion der Teile aus der das Ganze einheitlich durchwaltenden Gesamtkraft zu begreifen gesucht. Das Ganze, wie Aristoteles sagt, ist früher als der Teil. Die Art und Weise, wie die Teile zusammengesetzt sind, kann zwar den Erkenntnisgrund abgeben für die Art von Qualität, die als der Gattungstypus des betreffenden Dinges oder Vorganges (und damit zugleich als sein »Zweck«) sich darstellt, ist aber nicht als der Realgrund für die Entstehung des typischen Charakters der Erscheinung selbst aufzufassen, da sie vielmehr von diesem selbst her erst bedingt ist.
In der methodischen Begründung und Vertretung dieser Anschauungsweise liegt nun thatsächlich eins der größten wissenschaftlichen Verdienste der aristotelischen Philosophie. Die dynamische Auffassung der Natur ist zufolge der Eigenheit des Verstandes für das Begreifen des Naturzusammenhangs in letzter Instanz ebenso unausweichlich, wie mit und neben ihr die mechanische. Unter dem Eindrucke der großartigen Entwicklung, welche nach dem Ausleben des Aristotelismus im Mittelalter die moderne Naturwissenschaft (seit Galilei, Gassendi, Newton u. a.) nach der Seite der atomistisch-mechanischen Betrachtungsweise hin genommen hat, ist diese Thatsache vielfach verdunkelt worden, und infolgedessen wurde Aristoteles vielfach als der Vertreter einer Methode angesehen, welche dazu bestimmt gewesen sei, von der entgegengesetzten überwunden und endgültig abgethan zu werden. Dem gegenüber hat nun aber nicht bloß die spekulative Philosophie jederzeit auf der Ansicht bestanden, daß Kraftwirkungen aus dem äußerlichen Zusammenwirken von Stoffelementen immer nur insofern hervorgehen, als in der Eigentümlichkeit der mechanischen Prozesse sich die Eigenart vorausliegender Kräfte zu dem für die Natur unsres Verstandes maßgebenden gesetzmäßigen Ausdruck bringt; – auch die Naturwissenschaft selbst ist, so oft es sich um die Erfassung der tieferliegenden Zusammenhänge der mechanischen Gesetzmäßigkeit handelt, je und je wieder genötigt gewesen, die quantitativ bestimmbaren Gesetzmäßigkeiten auf letzte qualitative Unterschiede in der Grundlage des Naturwirklichen zurückzuführen, eine Thatsache, zu der außer der Physik mit ihrer Unterscheidung einer ponderablen und imponderablen (atomistischen) Materie, sowie von potenzieller und kinetischer Energie namentlich die Chemie in ihren Grundtheorien (Valenzunterschiede der Atome u. a.) den Beleg liefert. Auch die Ergänzungen und Umbildungen, denen der Darwinismus bis zur unmittelbaren Gegenwart herab sich hat unterziehen müssen, haben immer mehr der Einsicht Vorschub geleistet, daß die von ihm aufgezeigten Faktoren der organischen Entwicklung sich ohne einen dynamischen Einschlag des Gewebes, durch die Hinzunahme der Wirkung »innerer Bildungstriebe« und anderer »neovitalistischer« Momente nicht als vollkommen zulänglich wollen erweisen lassen. Vergl. O. Liebmann, Gedanken und Thatsachen (Strassbg. 1901) II. S. 151. 164. Die in quantitativen Verhältnissen zum Ausdruck kommende Gesetzmäßigkeit der Naturprozesse erweist sich in der eigentümlichen Art der Beziehungen, die sie je nach den verschiedenen Gebieten des Naturgeschehens an den Tag legt, nicht als der Produzent, sondern als das Produkt unterliegender eigenartiger Kraftqualitäten. Als das richtige Verhalten zu dem hervortretenden Gegensatze des Mechanischen und Dynamischen in der Natur stellt sich an der Hand der neueren Forschung immer mehr das heraus, daß man durch die sorgfältige Ermittelung des Quantitativen sich zu vorsichtiger Bestimmung und Abgrenzung der jenem zu Grunde liegenden und in ihm sich zum Ausdruck bringenden Kraftqualitäten anleiten lasse. Hierin liegt allerdings zugleich das Andere, daß der Schluß auf die Beschaffenheit dieser Kräfte immer (objektiv) an die spezifische Eigentümlichkeit der jeweilen vorliegenden mechanischen Gesetzmäßigkeit anzuknüpfen hat, und nicht (subjektiv) auf bloßen Vermutungen oder auf Hineintragung von irgendwelchen heterogenen, sei es mystischen oder teleologischen oder ästhetischen Gesichtspunkten beruhen darf. Es ist nun die schwache Seite im Wesen der Naturauffassung bei Aristoteles, daß sich ihm dieses Verhältnis der dynamischen zur mechanischen Seite des Naturprozesses noch bei weitem nicht in ganzer Klarheit zum Bewußtsein brachte. Die »exakte« Forschung war zu seiner Zeit noch lange nicht entwickelt genug, um hinreichend erkennen zu lassen, daß die Bestimmung der in der Natur wirkenden Qualitäten und Kräfte aller Orten unausweichlich durch die Analyse der mechanischen, also quantitativen Verhältnisse hindurchführt, vermittelst deren sich jene zur Erscheinung bringen. Es fehlte, um diesen Weg wirklich gangbar zu machen, sowohl was Methoden als was Instrumente betraf, an den feineren Hilfsmitteln der Beobachtung, und damit namentlich auch an der Möglichkeit zur Aufweisung mathematischer Gesetzmäßigkeiten. Zur Bestimmung der Qualität der Naturkräfte mußte in erster Linie der Augenschein dienen, und zur Ergänzung von dessen Ergebnissen sah sich Aristoteles bei der bezeichneten Sachlage fast mit Naturnotwendigkeit auf die Heranziehung teleologischer und ästhetischer Voraussetzungen angewiesen, um eine subjektiv befriedigende Erklärung der jeweilig vorliegenden Probleme zu gewinnen.
11. Zwar die obersten Gesichtspunkte für die Methode seiner Naturerklärung sind für alle Zeiten mustergültig geblieben. So der Grundsatz, daß die Subjektivität des Forschers zurückzutreten habe gegenüber der objektiven Wahrheit der Dinge. Ferner die Vorschrift, die Dinge möglichst in ihrem Entstehen zu betrachten und dabei besondern Wert auf ihre Entwicklungsgeschichte zu legen. Gegenüber dem Platonismus mit seinem Streben, das Notwendige in der Beschaffenheit des Einzelnen aus allgemeinen Sätzen zu deduzieren, besteht Aristoteles auf der besonderen Erörterung an der Hand der Analyse eines gegebenen Materials und verlangt für diese selbst vor allem eine natürliche Gruppierung auf Grund einer möglichst großen Anzahl von Einzelthatsachen, (in deren Sammlung er selbst für seine Zeit augenscheinlich viel geleistet hat). Aber auch der allgemeinen Betrachtungsweise, insbesondere der teleologischen, weiß er giltige heuristische Prinzipien abzugewinnen: so den Grundgedanken, daß die Natur nichts Ueberflüssiges thue, z. B. nicht für denselben Zweck mehrere Organe zur Verfügung stelle. Aus der Tendenz ferner, die Welt als Kosmos mit einheitlichem Zwecke zu fassen, entspringt bei ihm das Streben, die Naturentwicklung als Stufengang vom Niedern zum Höhern aufzuzeigen, wobei jenes als Unterlage für dieses und damit als Mittel zum Zweck erscheint, der Mensch aber als die oberste Stufe und zugleich als der oberste Zweck der Natur. Die Natur wirkt alles in allmählichen und stetigen Uebergängen, läßt in der Stufenleiter der Wesen nichts unvermittelt auftreten und gelangt so stetig vom Unvollkommenen zum Vollkommenen, wobei sie aber dennoch oder vielmehr gerade deswegen immer den kürzesten Weg einschlägt. Sie wirkt mit der kleinstmöglichen Anzahl von Mitteln überall da, wo sie Platz hat, und duldet kein Leeres. Für den Forscher selbst ergiebt sich hieraus wieder die Vorschrift, aus möglichst wenig Prinzipien zu erklären. Auch das Wesen und die Tragweite der Hypothese hat Aristoteles mit Hilfe dieser Anschauungen im wesentlichen richtig bestimmt: sie darf sich nicht an die Stelle des Beweises setzen, sondern bedarf vielmehr ihrerseits der Begründung; sie hat die Aufgabe, zu den gegebenen Thatsachen solche hinzu zu erraten, ohne deren Vorhandensein sich der sichtbare Thatbestand nicht ausreichend erklären läßt, und darf sich dabei nicht mit klar erkannten Wahrheiten, wie z. B. den mathematischen, in Widerspruch setzen; sie soll endlich nur solche Angaben machen, wofür die Erfahrung genügende Analogien darbietet Zu dem Folgenden vgl. Eucken, die Methode der aristotelischen Forschung, Berl. 1872..
Der vollen und ganzen Wirkung dieser fruchtbaren Ausblicke nach allgemeinen Richtungslinien für Naturforschung und Naturphilosophie standen nun freilich andrerseits von der Lage des Zeitalters her noch erhebliche Schranken entgegen. Bei dem Mangel an Mitteln zur schärferen sinnlichen Beobachtung mußte das »Besondere« sich meistens weit einfacher und gleichmäßiger darstellen, als es wirklich war. Infolgedessen wurde die Erklärung aus möglichst wenig Prinzipien häufig zu einer gewaltsamen Ausdeutung möglichst vieler Thatsachen durch eine und dieselbe Annahme; oft genug besteht sie in einer voreiligen Uebertragung der Ergebnisse aus einem Gebiete der Beobachtung auf ein davon verschiedenes. Ein besonderer Nachteil lag in dem Umstande, daß es an Handhaben fehlte, um das Quantum der Kräfte genau zu messen. Aristoteles fühlt das gelegentlich selbst, z. B. bei der Betrachtung des Wesens der Wärme, wobei er sich für seine Zwecke, wie fast überall, mit der Annahme eines qualitativen Gegensatzes (Eigenwärme und übertragene Wärme) behelfen muß, ohne damit ein einheitliches Kriterium für die Ableitung ihrer Erscheinungen zu gewinnen. Infolge jenes Mangels erschien ferner eine Veränderung für die Beobachtung meistens als ein ihrem Ursprung Entgegengesetztes, als ein Umschlagen des Dinges oder Zustandes in eine absolut verschiedene Natur, und die Sinnenwelt überhaupt schien deswegen aus lauter spezifischen Gegensätzen zu bestehen, wie Kalt-Warm, Feucht-Trocken, oder allgemeiner: Naturgemäß-Naturwidrig u. dgl. Eine einheitliche Natur des Stoffes ließ sich hierbei in concreto nicht aufweisen. So wird denn z. B. der Gegensatz von Leicht und Schwer auch zu einem absoluten gemacht und infolgedessen einem Teile des Stoffes die Eigenschaft der Schwere überhaupt abgesprochen. Aehnlich verhält es sich mit der Bestimmung der irdischen und himmlischen Natur. In jener soll der Gegensatz herrschen, von dieser soll er ausgeschlossen sein, und als Grund wird angeführt, daß die Himmelskörper den Sinnen keine Veränderung zeigen. Nach alledem wird denn eine allgemein durchgeführte einheitliche Naturerklärung von vornherein zur Unmöglichkeit, und so ist es seit Aristoteles bis zu dem Zeitalter Galileis geblieben.
Innerhalb der irdischen Natur aber geht die Methode der Beobachtung infolge alles dessen in der Hauptsache auf Aufsuchung qualitativer Gegensätze ohne Anwendung der Mathematik und namentlich auch ohne genaue und zielbewußte Verwertung des Experiments. An wirklichen Versuchen hat man es allerdings schon vor Aristoteles keineswegs fehlen lassen. Die meisten derselben sind aber entweder zu einfach oder nicht unter dem richtigen Gesichtspunkt angestellt, und die Berichte darüber zum großen Teil geradezu wunderlich in der Angabe des Thatbestandes, den man dabei schließlich zu bemerken glaubte. An ausreichender Verifikation der Thatsachen und ihrer Verhältnisse läßt es Aristoteles in der Regel auch da fehlen, wo sie möglich gewesen wäre, weil ihm die Wichtigkeit gerade dieses methodischen Prinzips noch nicht in zulänglicher Weise aufgegangen war.
12. Von schiedlich-friedlicher Trennung der Ziele und Methoden zwischen Naturwissenschaft und Philosophie, wie sie sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts (wenn auch schwerlich für alle Zeiten), herausgebildet hat, ist bei Aristoteles nicht die Rede. Er hielt mit Platon daran fest, daß die Fachwissenschaften ihren Inhalt in den Rahmen der allgemeinen philosophischen Weltanschauung einzuordnen und ihre obersten Gesichtspunkte von dorther zu bekommen haben. Das Bedenkliche für die Wissenschaft lag hierbei nur darin, daß die Philosophie, insbesondere die Metaphysik auch betreffs der fachwissenschaftlichen Forschung nicht nur das letzte, sondern überall, wo die physikalische Erklärung und Ableitung der Einzelvorgänge noch versagte, das erste Wort haben sollte. Und dies gilt vor allem von der teleologischen Betrachtungsweise, also derjenigen, welche nicht nur die Berechtigung, sondern auch die thatsächliche Eigentümlichkeit des Einzelnen aus dem Zweck herleitet, den es auf Grund seiner Stellung innerhalb des großen Ganzen zu erfüllen hat oder – zu haben scheint. Der Ausblick in diese Richtung war für Aristoteles schon durch seine Ansicht von der Ziel- und Formstrebigkeit der Materie allerwärts nahegelegt. Unter ihrer Wirkung wurden von vornherein die quantitativen Verhältnisse für die Erklärung der Naturerscheinungen als belanglos hingestellt. Noch bedenklicher aber war der Umstand, daß vielfach, wo ein Zweck nicht augenscheinlich zu Tage treten will, der Erklärer sich für berechtigt hält, ihn hinzu zu erdenken. Hieraus ergaben sich bei Aristoteles z. B. Behauptungen, wie die: die Natur habe einige Gattungen von Tieren so und so gebaut, damit sie andere Gattungen nicht so schnell vertilgen können; oder: der Zweck der Hoden sei, eine zu starke Erregung der Leidenschaften zu verhüten. Weiter wurde durch die bezeichnete Tendenz ein unberechtigter Unterschied in die Erklärung des Allgemeinen (Gattungsmäßigen) und des Individuellen hineingetragen. Individuelle Eigenschaften, wie Haar- oder Augenfarbe, sollen nur aus dem Stoffe erklärt werden, weil sie für den Zweck, d. h. den Gattungstypus gleichgültig sind, – ein Grundsatz, der dann doch wieder z. B. bei der Erklärung der Aehnlichkeit, welche die Kinder mit den Eltern zeigen, durchbrochen wird. Andrerseits diviniert Aristoteles gelegentlich aus der Voraussetzung, daß die Entwicklung überall in erster Linie auf das Art- und Gattungsmäßige gehe, die richtige Ansicht, daß in der embryonalen Entwicklung sich zuerst die allgemeinen Züge und erst allmählich die besonderen herausstellen. Teleologisch bedingt sind ferner allgemeine Angaben, wie die, daß die Zeit des Entstehens und Vergehens der Dinge eine von Natur gleich große sei, ferner, daß jede naturgemäße Bewegung, da sie einem bestimmten Ziele zustrebe, aus sich selbst heraus aufhören müsse, – eine Annahme, welche einem der wichtigsten Grundsätze wissenschaftlicher Naturerklärung, der Lehre von dem Beharren der Kraft, von vornherein den Weg verlegte, und damit natürlich auch dem Bestreben, nach den exakten Gründen eines Aufhörens und überhaupt einer Veränderung zu forschen. Hierher gehört weiter die Meinung, daß als das Naturgemäße das anzusehen sei, was der Zahl nach fest begrenzt ist, woraus z. B. gefolgert wird, die Zahl der Arten sei überall festbestimmt und unveränderlich. Philosophische Probleme ferner werden für erklärt gehalten, wenn es gelingt, entgegensetzte oder verwandte Qualitäten miteinander in einen anscheinend zweckvollen Zusammenhang zu bringen, wie denn z. B. das Gehirn lediglich als ein Abkühlungsapparat für die aus dem Herzen aufsteigende Wärme angesehen wird. Durchweg wird außerdem in der Physiologie nicht die Funktion eines Organs aus seiner Struktur sondern diese aus jener erklärt. – Auf die Frage, warum wohl die Bewegung eines Gestirns ohne Aufhören fortgehe, nicht aber die des geworfenen Steins, hat Aristoteles die Antwort, das liege an dem Gegensatze von »naturgemäßer« und »naturwidriger« Bewegung.
Wo nun ein konkreter Zweck für einen Vorgang oder eine Beschaffenheit sich nicht will aufweisen lassen, muß als Ersatz für den teleologischen Gesichtspunkt der ästhetische aushelfen. Die Thätigkeit der Natur, heißt es gelegentlich, geht nicht nur auf das Nützliche, sondern besitzt auch ein Streben nach bestimmten Formen als solchen: sie macht daher den Körper möglichst symmetrisch und die einzelnen Organe zweiteilig. Sie geht außerdem auf feste Begrenzung durch Zahlen: daher die drei Dimensionen der Körper, die drei verschiedenen Gebiete der Elemente, sofern es absolut leichte, absolut schwere, und in der Mitte befindliche geben müsse; das Licht stuft sich dreifach ab in den Farben des Regenbogens. Die Natur sucht ferner Extreme zu vermeiden und fügt daher der Wirkung des einen Organs oft ein entgegengesetztes hinzu, wie (nach dem vorhin Bemerkten) der Thätigkeit des Herzens die des Gehirns. Das Einfachere ist »das Bessere« gegenüber dem Mannigfaltigen: aus diesem Grunde soll die Anzahl der Elemente als möglichst niedrig angesetzt werden u. dgl. – Unter die Wirkung dieses Gesichtspunktes gehören auch manche Voreiligkeiten in der Anwendung der Analogie, die den Mangel eines wirklich induktiven Verfahrens zur Erkennung der Naturgesetze ersetzen müssen: wie die Körper der organischen Wesen, so hat auch die Erde Jugend und Alter, nur daß nicht die Erde als Ganzes, sondern immer nur einzelne Teile altern. Das Erdbeben wird gelegentlich in Analogie gesetzt mit dem Zittern und Pulsieren des Herzens. Wie aus Erde, Wasser und Luft bestimmte Wesen gebildet sind, so soll es auch solche geben, die aus Feuer bestehen, und diese werden dann, da sie sich auf der Erde nicht finden, auf dem Monde zu suchen sein u. a. m.
Wie man aus alledem sieht, hat Aristoteles seinen richtigen Grundsatz, den allgemeinen Gesichtspunkt immer erst aus der besonderen Erörterung an der Hand der Analyse der gegebenen Einzelthatsachen zu gewinnen, vielfach unfruchtbar gemacht, weil er es mit demselben verträglich findet, die Einzelthatsachen selbst sich von vornherein vermittelst teleologischer und ästhetischer Gesichtspunkte zurechtzulegen. Die spezifisch naturwissenschaftliche (mechanische) Erklärung erscheint dem gegenüber bei ihm mehr als Notbehelf da, wo die entgegengesetzte nicht mehr zureichen will, z. B. wo er die Sphärentheorie seiner astronomischen Vorgänger zu ergänzen sucht durch die Annahme, daß es nicht bloß vorwärts, sondern auch rückwärts bewegende Sphären für die einzelnen Gestirne gebe, weil er nur so die thatsächlichen Erscheinungen in der Bewegung der Himmelskörper ausreichend glaubte erklären zu können. Meteore, Sternschnuppen, Kometen und die Milchstraße betrachtet er als Ansammlungen von trocknen und brennbaren Dünsten, welche sich durch die Bewegungen der Gestirne entzünden. Die Erdbeben entstehen durch Dunstmassen, die als Winde in die Erde eindringen. Die Wolkenbildung wird zurückgeführt auf Verdunstungen, denen die Flüssigkeit auf der Erdoberfläche unter der Einwirkung der Sonnenwärme unterliegt, und auf die Abkühlung der aufsteigenden Dünste in der Höhe. So gehen die beiden entgegengesetzten Arten der Naturerklärung bei Aristoteles oft genug regellos durcheinander und zur Aufstellung eines festen Prinzips für die Arbeitsteilung zwischen der mechanistischen und teleologischen Erklärung der Naturvorgänge ist es hier noch nicht gekommen.