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Alte Freunde finden sich

Als Madame Käsewurm die Haustüre aufmachte, drehte sie das elektrische Licht an und Kasperle geriet in die höchste Verwunderung, wie es auf einmal so strahlend hell wurde. Eilfertig stürzte es auf das geheimnisvolle Ding zu, patsch – standen alle im Dunkeln und Meister Hirsebrei fiel beinahe die Treppe hinauf, er schrie: »Aufdrehen, Licht machen!«

Kasperle dachte, nun muß ich andersrum drehen, und ehe ihn jemand hindern konnte, drehte und drehte er und – da war die Sache kaputt.

So etwas!

Die Kasperlespieler merkten, daß ein lebendiges Kasperle auch seine Dummheiten macht, und Meister Drillhose sagte: »Das kann ja gut werden, wenn Kasperle alle Neuheiten ausprobieren will. Der fährt noch mit einem Luftschiff.«

»Huch!« Kasperle hielt sich den Bauch vor Lachen.

»Warum lachst du denn so?« fragte Meister Hirsebrei.

»Weil man doch nicht mit einem Schiff in der Luft herumfahren kann.«

»Doch, kann man.«

»Kann man nicht. Ist ’ne Schwindelei.«

Kasperle war nicht zu belehren und Meister Drillhose sagte: »Man muß ihm alles zeigen. Es gibt sehr viel Neues in der Welt, seit Kasperle damals eingeschlafen ist.«

»Was denn noch?«

»Radio zum Beispiel.«

»Ist das was zum Essen?«

»Oh du Schafsköpfle, du Mondkälble,« rief Meister Drillhose, »du mußt noch viel lernen.«

»Nie!«

»Was nie?«

»Mag nicht lernen.«

»Du wirst schon müssen.«

»Nie.«

»Was denn wieder nie?«

»Mag nicht müssen.«

Sie standen noch alle in dem dunkeln Hausflur und stritten, denn Madame Käsewurm war gegangen, ein Licht zu holen. Als sie damit kam, hörte sie gerade Kasperles letztes Wort und sie sagte ganz streng: »Jeder muß im Leben, jetzt mußt du langsam die Treppe hinausgehen, sonst fällst du.«

»Nie,« rief Kasperle wieder und purzelbaumte eins zwei die Treppe hinauf und oben war er. Das ging freilich flinker als bei den drei alten Leuten, die nur langsam die Treppe erstiegen. Oben knipste Madame Käsewurm wieder und Kasperle wollte es wieder nachmachen. Da bekam er eins auf die Hände, das war derb, und Kasperle fing ein Mordsgebrüll an.

»Sei doch still,« rief Madame Käsewurm, »sonst weckst du noch meinen Kasperleprinzen auf, und wie soll man zwei Kasperle satt kriegen.«

»Das ist wahr,« sagten die beiden Kasperlespieler, »einer ist genug.«

»Es klopft,« schrie Kasperle, »jemand kommt.«

Es klopfte wirklich, und das alte Fräulein lief zur Türe und machte sie auf, während Meister Drillhose sein Kasperle hinter eine spanische Wand schob; niemand sollte es sehen.

Vor der Tür aber stand niemand, kein Nasenspitzle war zu sehen.

»Wer ist da?« schrie Meister Hirsebrei.

»Ich,« ertönte eine Stimme.

»Wer ist ich?« fragte das alte Fräulein.

»Ich,« tönte es wieder zurück.

»Wer ist ich?« fragte nun Meister Drillhose lauter.

»Ich,« klang es wieder.

»Zum Donnerwetter, wer ist ich?« Jetzt wurde der Meister böse, aber wieder erklang es nur: »Ich.«

Das ist doch eine merkwürdige Geschichte. Meister Drillhose wunderte sich, und Meister Hirsebrei wunderte sich und auch das alte Fräulein wunderte sich. Wer sich nicht wunderte war Kasperle, der hatte die Stimme wohl erkannt, denn so redete nur ein Kasperle, und er rief: »Das war ein Kasperle, ein Kasperle steht vor der Türe.«

»Himmel, mein Kasperle!« Madame Käsewurm stürzte auf einen schöngezierten Schrank zu und öffnete den und zum allgemeinen Erstaunen spazierte ein Kasperle heraus. Es war zwar gekleidet wie ein feiner Rokokoherr, aber an seiner großen Nase und den frechen Glitzeraugen erkannte man das Kasperle.

»Bimlim,« schrie Kasperle Peringel, dem auf einmal einfiel, daß er das Rokokokasperle schon vor vielen, vielen Jahren gesehen hatte. Das Prinzlein sah sich um. Es sah die fremden Menschen, sah Kasperle und gähnte. »Ich habe geschlafen«, sagte es. »Uah, ich hab noch nicht ausgeschlafen. Uah.«

Und damit drehte er sich um und spazierte in den Schrank zurück und wollte weiterschlafen, doch Peringel, der Schlingel, zupfte ihn an der Nase und zog ihn aus dem Schrank heraus: »Hier geblieben,« rief er, »jetzt kaspern wir zusammen.«

»Uah, ich bin doch so müde.«

»So war er immer,« schrie Peringel, »er hat immer geschlafen. Ich muß ihn stupsen,« und er stupste ihn, aber ordentlich.

Da wurde der Prinz etwas munterer, sah Peringel an und fragte: »Wo kommst du denn her?« Gerade als hätten sie sich gestern getrennt, so klang es.

»Von dem Monde.« Kasperle kobolzte über einen Stuhl und riß beinahe Madame Käsewurm samt dem Stuhl um. Aber Meister Hirsebrei sprang noch hinzu und hielt die alte Dame auf.

»Vom Monde?« Bimlim riß seine Augen weit auf, als sollten sie so groß wie Vollmonde werden. »Das ist aber weit. Wie lange warst du denn unterwegs?«

»Er glaubt’s, er glaubt alles!« Kasperle überschlug sich fast vor Vergnügen und Bimlim fing an zu weinen. »Er lacht mich aus.«

»Das sind ja zwei nette Kerle, die spielen Kasperletheater ohne mein Zutun,« rief Meister Hirsebrei.

»Ich spiele nicht Kasperletheater, so was kann ich nicht.«

»Na was machst du dann?« fragte Meister Drillhose.

»Ich esse.«

»Ist ’n bißchen wenig.« Meister Hirsebrei schüttelte den Kopf.

»Und schlafe.«

»Ist auch zu wenig.«

Knurrrknurrr ging es da los und Madame Käsewurm schrie: »Ihre Katze, Meister Drillhose, sie beißt mein Kasperle.«

Jemine war das Prinzlein flink auf dem Tisch, auf einmal konnte es springen.

Kasperle aber bog sich vor Lachen: »Das war mein Magen. Wenn man fünfundsiebzig Jahre geschlafen hat, hat man doch Hunger.«

»Ich habe auch Hunger,« schrie der Prinz.

»Wo ist denn der versprochene Kuchen?« fragte Meister Drillhose.

Ja, wo war er?

Es fand sich, daß Bimlim darauf saß.

»Mein schöner Kuchen, ganz breit hat er ihn gesessen!«

»Der kleine Kuchen,« rief Kasperle erschrocken, »wie soll man davon satt werden?« und ehe es sich jemand noch recht versah, hatte Kasperle den Kuchen unter Bimlim vorgezogen und schluck, schluck hatte er ihn verschlungen.

»Ich will auch was.«

Da wollte Madame Käsewurm in ihre Speisekammer gehen und Brot holen, aber die beiden Kasperles sagten, Brot wäre nicht genug.

»Was soll es denn noch sein?«

»Wurst und Schinken und Eingemachtes und –«

»Da könnte ich ja meinen ganzen Vorrat bringen.«

»Mal ansehen, was da ist,« bettelte Kasperle.

Und Madame Käsewurm war so unschuldsvoll und ließ sich von den beiden Kasperles in ihre Speisekammer begleiten und eins zwei drei waren die Eßvorräte gefressen, denn gegessen war das nicht, es war geschlungen, wie zwei Wölfe fielen die beiden über alles her, sogar einen großen Topf voll saurer Gurken aßen die beiden auf.

Madame Käsewurm aber ging weinend in die Stube. »Nun habe ich nichts mehr zu essen,« klagte sie, »und das Kasperle kann ich nicht satt kriegen, ach wenn es doch wieder einschlafen möchte!«

Das sagte Meister Drillhose von seinem Kasperle auch, die beiden Schelme aber wollten nichts mehr vom langen Schlaf wissen.

Sie merkten aber doch, daß die vier alten Leute in Sorgen waren, und Peringel, der Schlingel, sagte treuherzig: »Immer essen wir nicht so viel.«

»Und wenn ihr viel weniger eßt, wir können euch überhaupt nicht satt kriegen, wir sind arm.«

»Was ist denn das?« fragte Bimlim.

»Wir haben kein Geld.«

»Was ist denn das?«

»Huch, er ist immer noch so dumm wie er war,« rief Peringel, aber das Prinzlein sagte:

»Ich bin nicht dumm, ich bin das echte Kasperle.«

»Unsinn, das bin ich, so ’n Kasperle wie mich kannst du suchen.«

»Streitet euch nicht,« rief Meister Hirsebrei, »mir ist etwas eingefallen.«

»Was denn?« fragten alle.

»Was Gutes.«

»Wenn es nur nicht wieder rausfällt,« rief Kasperle naseweis.

»Mund halten und zuhören.«

»Was wollen Sie denn sagen?« fragte Madame Käsewurm.

»Ja, was denn?« fragte Meister Drillhose.

»Er will, wir sollen kaspern,« schrie Peringel, »los Bimlim.«

»Unsinn, still.«

»Bimlim still, wir sollen nicht kaspern.«

»Halt doch die Klappe!« Meister Hirsebrei wurde wütend, aber Bimlim sagte: »Was soll ich halten?«

»Den Schnabel.«

»Ich habe keinen Schnabel, ich habe einen Mund, ich bin doch kein Vogel.« Bimlim war beleidigt, aber Meister Hirsebrei war auch beleidigt: »Wenn alle dazwischen reden, kann ich nicht sagen, was ich will,« rief er.

»Ich habe kein Wort gesagt.« Nun war Meister Drillhose auch beleidigt und Madame Käsewurm sagte etwas spitz: »Ich habe gar nicht geredet.«

»Nein, wir haben nichts gesagt.« Meister Drillhose sah wütend auf Meister Hirsebrei, nur Frau Mariechen sagte nichts, desto lauter schrie Kasperle: »Es wird nichts Vernünftiges sein, was er sagen will.«

»Doch, es ist etwas sehr Wichtiges.«

»Na, dann sag’s doch.«

»Stille.«

»Ich bin ja stille.«

Kasperle war nun auch beleidigt, und Meister Hirsebrei sah in lauter beleidigte Gesichter und er rief: »Nun sag’ ich’s nicht.«

»Was denn?«

»Was ich sagen wollte.«

»Was wolltest du denn sagen?«

»Daß wir zu Kasperles alten Freunden gehen wollen.«

»Die sind doch tot!« schrie Kasperle.

»Zu den Urenkeln,« meine ich.

»Was sollen denn die?«

»Geld fürs Kasperle geben.«

»Ach so, das war der Plan.«

Als Meister Drillhose das sagte, merkte Meister Hirsebrei erst, daß er seinen Plan enthüllt hatte, und er brummte wieder: »Nicht ausreden läßt man mich.« Zu seinem Verdruß schüttelte nun auch noch Meister Drillhose den Kopf, und Madame Käsewurm schüttelte ihn noch heftiger und dann sagten sie beide wie aus einem Munde: »Unsinn, die haben kein Geld.«

»Was ist denn das?« fragte Bimlim wieder und Kasperle schrie zornig:

»Die haben kein Geld.«

»Sie hatten es, sie sind verarmt. Die Michaels waren reich und die Severins auch, nun sind sie arm.«

»Jemine,« schrie Kasperle, »das ist aber schlimm.«

»Ja, sehr schlimm.«

»Aber was zu essen haben sie schon noch für mich.«

»Wohl kaum.«

Da senkte Kasperle die Nase, er fand das gar nicht hübsch. Aber auf einmal glitzerten seine Äuglein, er schrie: »Aber Mister Stopps war doch so schrecklich reich.«

»Halt,« rief Meister Drillhose, »zu dem kannst du auch gehen, er ist der Enkel von deinem alten Mister Stopps und er ist wirklich sehr reich. Er hat seinen Enkel bei sich, aber er ist ein schnurriger Herr.«

»Dann kaspern wir ihm was vor, da wird er schon lachen. Nicht wahr, Bimlim?«

»Uah, uah, ich bin so müde.«

»Aber essen willste?«

»Ja freilich.«

»Dann mußt du auch kaspern, wer essen will, muß kaspern,« schrie Peringel, der Schlingel.

»Weiß der Himmel,« sagte Meister Hirsebrei und schlug sich auf sein Knie, »du bist ja ein ganz vernünftiger Kasper. Wer essen will, muß erst kaspern.«

»Na ob! Ich bin auch mal in die Schule gegangen,« schrie Kasperle.

»Kannst du denn lesen?«

»Nä.«

»Schreiben?«

»Nä.«

»Rechnen?«

»Nä.«

»Was kannste dann?«

»Nischt. Es ist so lange her, ich habe alles verschlafen.«

Als Kasperle »verschlafen« sagte, fing Bimlim gleich wieder zu gähnen an: »Uah, uah, ich bin so müde.«

»Aber du hast doch 150 Jahre geschlafen,« rief Meister Drillhose.

»Uah, das ist doch nichts, ich habe eben noch nicht aus – ausgeschlafen – geschlafen.«

»So ein Faulpelz,« rief Meister Hirsebrei.

Aber das nahm Madame Käsewurm übel. Faulpelz wollte sie ihr Kasperle nicht schelten lassen. Sie nahm ihn und trug ihn in ihr eigenes Bett und Peringel sprang nach und bald schliefen die beiden wieder fest. Meister Drillhose aber sagte: »Es ist gut, daß sie schlafen, ich hatte schon Angst, sie hätten sich überschlafen.«

»Überfressen eher,« rief Meister Hirsebrei, »hoffentlich finden wir jemand, der uns die beiden satt macht.«

»Ja, hoffentlich,« sagten auch die andern.

»Vielleicht schlafen sie wieder achtzig Jahre.«

»Am besten wär’s,« antworteten die Kasperlespieler der alten Dame, »heutzutage ist selbst mit einem echten Kasperle nichts anzufangen.«


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