Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kasperle will Schlagsahne essen

Es ließ sich gut leben in der Schwarzen Ente. Kasperle dachte erst, er wäre im Wirtshaus zum Grünen Kranze, aber dann war es doch die Schwarze Ente. Schwarz war darin nichts, alles hell und sauber, das Essen gut, die Betten weich, im Gärtlein duftete und blühte es, und vom Walde her kam köstliche Luft.

Die schöne Angela, die schon so viele trübe Tage in ihrem jungen Leben gehabt hatte, dachte auch, es müsse sich gut wohnen in dem uralten gemütlichen Haus. Mister Stopps wollte auch bleiben, aber Florizel, Bob und Kasperle sagten, sie hätten eine schreckliche Sehnsucht, in das Schweizerland zu kommen. Die drei Schelme hatten aber ein gedrücktes Gewissen; sie dachten an Herrn von Löwenzahn, an Angelas Vormund und die Tante. Wenn die ihre Spur fanden, dann würde es schlimm werden. Darum nur schnell fort!

»Wenn wir erst weiter in der Schweiz sind, sind wir sicher,« meinte Florizel.

Mister Stopps fand die Geschichte komisch, aber er gab nach, ließ anspannen und fuhr am nächsten Tage in das Schweizerland hinein.

Traratrara! Der Kutscher blies, Kasperle steckte seine große Nase zum Wagenfenster hinaus. Wo sind denn nun die großen Schlagsahneberge?

Ja, wo waren sie? Nebel verhüllte alles, und der Nebel wurde zum Regen. Da rauschte ein Wasserfall, und Florizel sagte, das wäre der Rheinfall von Schaffhausen, aber er war nur nicht zu sehen. Dann kamen sie nach Zürich, und es goß in Strömen. Den See sah Kasperle erst, als er drinnen lag, und am Fraumünster stieß er sich beinahe die Nase kaputt.

»Es wird schon aufhören,« tröstete Florizel. Aber es hörte nicht auf. Man fuhr im Regen durch Luzern und überquerte den Brünigpaß. Es regnete lustig weiter. Bald flossen Wäscheleinen vom Himmel, bald regnete es Bindfaden: plitsch, platsch, es regnete, ohne an ein Aufhören zu denken.

Auf dem Brienzer See lag der Nebel wie ein Scheuerlappen, und als man in Interlaken war, konnte man meinen, man säße auf einer wüsten Insel. Alles grau rings herum. Dazu war es kalt, und Mister Stopps klapperte vor Frost. Kasperle klapperte flink mit, der tat es aber nur aus Übermut.

»Man muß heizen,« rief Bob.

»Ja, Feuer,« sagte Mister Stopps, und »Feuer, ach ja!« flüsterte die zarte Angela, die schon beinahe blau gefroren war.

»Und morgen wird schönes Wetter, die Wolken teilen sich,« tröstete Florizel.

»Das sagste jeden Tag,« brummte Kasperle unwirsch, »und ich sehe nichts von der Schlagsahne.«

»Du kannst noch genug essen. Paß auf, morgen steht dir ein ganzer dicker Berg voll vor der Nase.«

Da mußte auch Mister Stopps lachen, der warnte: »Iß nur nicht zu viel!«

Kasperle lugte abends zum Fenster hinaus. Es regnete zwar noch immer, aber in der Ferne sah er doch etwas Weißes schimmern. Vielleicht stimmte es mit dem Schlagsahneberg. Und dann träumte er die ganze Nacht davon, und früh, als er aufwachte, schien ihm wirklich die Sonne auf die Nase. Kasperle sprang auf und rannte an das Fenster, und da – wahrhaftig, da saß ein großer, großer Schlagsahneberg mitten auf der Wiese, ganz nahe schien er, ganz nahe. Kasperle wußte noch nichts davon, daß die Ferne im Gebirge nahe scheinen kann. Er dachte: »Nu aber los! Zu dem Schlagsahneberg ist’s nur ein Katzensprünglein.« Und flugs fuhr das Kasperle in die Höschen. Auf einem Tisch im Wohnzimmer, durch das er leise schlich, sah er eine Schüssel stehen, die nahm er mit. Er dachte: »Jetzt hol’ ich Schlagsahne zum Frühkaffee.« Und auf und davon lief das Kasperle.

Im Gasthof schliefen noch alle, nur Florizel war auf, und ging draußen über die Wiesen und sang, sah aber kein Kasperle laufen. Das flitzte flink an ihm vorbei, hörte gar nicht auf sein Lied:

»Berge im Schnee,
Blaustrahlender See,
Enziane blühn
Auf Matten grün.
Schönes Land,
Schweizerland,
Sei mir gegrüßt!«

Da war das Kasperle vorbei, und kein Mensch hatte es gesehen. Kasperle lief wie der Wind. Weiter rückte der schneeweiße Berg, immer weiter.

Da lief ein Mann dem kleinen Kerl in die Quere, und den fragte Kasperle nach dem Weg.

»Wohin?«

»Dahin, Schlagsahne holen.«

»Ah, so guet!« Der Mann verstand zwar nicht, was Kasperle meinte, aber er sah die Schüssel. Am Weg war eine Käserei, dahin mochte das Bübli laufen wollen! Er zeigte geradeaus, und Kasperle rannte geradeaus.

Lieber Himmel, wie weit war das bis zu dem Schlagsahneberg! Die Sonne brannte, dem Kasperle wurde es heiß, die Schüssel wurde ihm schwer. Er setzte sich am Wegrand nieder und tat einen kellertiefen Seufzer. Sollte er heimgehen?

I nein, damit Florizel und Bob ihn noch auslachten! Lieber nicht. Aber die Schlagsahne lockte auch. Also stand Kasperle wieder auf und ging weiter. Es ging jetzt bergauf. Ein Wald kam, dahinter schimmerte es weiß, also brauchte das dumme, dumme Kasperle sicher nur durch den Wald zu gehen, dann war es am Ziel. Nach zehn Schritten kam ein Berg, und Kasperle begann zu steigen, und wilder wurde der Wald, steiler der Weg, und auf einmal stand das Kasperle mutterseelenallein in einer tiefen, tiefen Einsamkeit, und über ihm kreiste ein riesiger Vogel. Es war ein Adler!

Kasperle erschrak. Er wußte, Adler entführen auch manchmal Kinder, warum nicht ein Kasperle?

Vor Schreck ließ es die Schüssel fallen und rannte heimwärts. Ja, heimwärts, wenn es nur den rechten Weg gewußt hätte. Kasperle überlegte: »Jetzt muß das Wirtshaus und der Ort, der Interlaken heißt, bald kommen,« aber immer einsamer, immer stiller wurde es ringsum. Zuletzt gab es keinen Weg mehr, kein Mensch antwortete auf Kasperles Klagen und Rufen, nur über ihm zog der Adler seine Kreise.

 

Inzwischen war Mister Stopps aufgewacht. Er rief nach Bob und Kasperle. Bob kam, Kasperle nicht.

»So ein Faulpelz, der schläft noch! Na, ich werde ihn wecken,« sagte Bob. Er ging an Kasperles Bett und rief: »Aufstehn, du kleiner Faulpelz!« Und dann nahm er die Decke weg, und – da lag kein Kasperle mehr im Bett.

Er wird unten bei Florizel sein, dachte Bob.

Just da kam Florizel ins Zimmer, seine Augen glänzten, auf seinen Lippen lag noch ein Lied, er trillerte:

»Angela, du allerschönste Maid,
Wach auf, wach auf, ’s ist Sonnenzeit.«

»Und Kasperle?« fragte Bob.

»Ja, Kasperle liegt gewiß noch im Bett,« antwortete Florizel.

»Das tut er eben nicht.«

»Dann ist er bei Angela.«

»Meinetwegen nenne du Angela Tom,« rief Florizel und ging, um Angela zu fragen. Doch die wußte nichts von Kasperle, und niemand im Hause wußte etwas von ihm. Es hatte ihn nicht einmal jemand fortlaufen sehen.

»Mein Kasperle ist ausgerückt,« schrie Mister Stopps.

»Nein, das ist er nicht. Ausreißen tut er nicht mehr, aber eine Dummheit hat er vielleicht gemacht. Man muß ihn suchen,« meinte Florizel.

Alle liefen auf die Straße, selbst die schöne Angela, und gerade fand sie den Mann, der Kasperle hatte laufen sehen. Der Mann wußte gleich Bescheid, als Angela den Kleinen beschrieb. Der habe was holen wollen, was Komisches – Schlagsahne.

Der Mann lachte über das Wort, aber Angela lachte nicht. Sie ahnte plötzlich, wohin Kasperle gelaufen war. Der hatte den Scherz für Ernst genommen.

»Oh, du dummes, dummes Kasperle!« Angela rannte zurück, und erzählte.

Mister Stopps, Florizel, Bob, alle drei riefen auch: »Ist Kasperle dumm!« aber dann dachten sie doch, ja, dumm ist das Kasperle, aber fort ist es auch. Man muß es suchen gehen.

Sie gingen alle vier zusammen weg. Es wollte keins zurückbleiben. Erst dachten sie: »Na, wir finden es bald!« Aber dann wurde es immer stiller und einsamer. Sie konnten rufen, soviel sie wollten, das Kasperle war nicht zu finden, und niemand hatte es gesehen. Die Sonne stand schon hoch, da kehrten die vier um, denn Mister Stopps sagte: »Vielleicht ist er inzwischen wiedergekommen. So weit wird er nicht sein.«

Aber Kasperle war nicht wiedergekommen.

Nun wuchs die Sorge. Florizel und Bob beschlossen, das Kasperle nochmals zu suchen, Angela mußte bei Mister Stopps bleiben. Ein wegkundiger Führer begleitete die beiden, und der Bauer, der Kasperle den Weg gewiesen hatte, ging auch mit.

Kaum waren die vier zum Ort hinaus, da fuhr, rissel-rassel, eine große Reisekutsche vor, und Angela sah zu ihrem Entsetzen darin ihren Vormund, die Tante und Herrn von Löwenzahn sitzen. Sie erwischte just noch einen Kellner am Jackenzipfel, und bat ihn, er möchte Mister Plumpudding nicht stören.

»Wer ist denn das?«

»Na, der Herr auf Nummer zehn, und ich bin sein Diener Tom.«

»Ich denke, Mister Plumpudding heißt Mister Stopps,« stotterte der Kellner verdutzt.

»Aber Mister Stopps ist doch eben in die Berge gegangen, das Kasperle zu suchen,« rief Angela. Sie zitterte dabei wie Espenlaub, und der Kellner fragte: »Warum zitterst du so?«

»Weil ich mich erkältet habe und mich ins Bett legen muß!« Husch, weg war Angela. Der Kellner aber ging hinab, da fragte ihn Herr von Löwenzahn: »Ist Mister Stopps oben?«

»Nein, nur Mister Plumpudding. Mister Stopps sucht Kasperle.«

»Wo sucht er es denn?«

»Kasperle ist auf die Jungfrau geklettert.« Das hatten die Reisenden noch nie gehört, daß man diesen Berg besteigen könne, und Herr von Löwenzahn rief gleich:

»Ich will auch hinauf.«

»Aber erst wollen wir uns ausruhen.« Die Tante sah sich um. »Plumpudding? Den Namen habe ich noch nie gehört. Hat er Dienerschaft bei sich, vielleicht noch eine Nichte?«

»Oh, der hat nur Tom bei sich.«

»So? Und Bob? Mister Stopps Diener?«

»Bob ist mit auf die Jungfrau gestiegen!«

»Du siehst, Liebe,« brummte der Onkel, »sie sind alle weg, wir können uns ausruhen.« Da alle sehr müde waren, legten sie sich in ihre Betten und schliefen bis zum späten Nachmittag. Angela aber saß zitternd in ihrem Zimmer, bis sie endlich wagte, leise hinauszugehen. Da kam sie denn an den Weg, den Florizel und Bob gegangen waren, um das Kasperle zu suchen. Die mußten weit, weit wandern und fanden das Kasperle nirgends. Und wie sie so gingen, kamen sie an eine Almhütte. Ziegen und Kühe liefen draußen herum. Da die Sonne just untergehen wollte, glühten die weißen Schneeberge rosenrot, und Florizel setzte sich auf eine Bank vor der Hütte und sagte: »Hier muß ich einmal ausruhen. Das vermaledeite Kasperle!«

Grad in dem Augenblick kam eine Frau aus der Hütte, die lachte über das ganze Gesicht und rief immerzu: »Ich muß mich totlachen, totlachen!«

»Warum denn, gute Frau?«

»Ach,« sagte die Frau, »mein Mann hat heute ein Bergwichtlein gefangen, just als es ein Adler davontragen wollte, das macht so ungeheure Späße.«

»Das ist Kasperle,« schrien Florizel und Bob. Und es war Kasperle, das saß in der Almhütte auf einem Butterfaß und kasperte den Hüttenleuten etwas vor.

»Oh Kasperle!«

»Florizel, Bob!«

Da lag das Kasperle samt Butterfaß auf dem Boden. Und nun erst merkte es, daß es angebunden war.

Die Sennen wollten es auch nicht leiden, daß Kasperle abgebunden würde. So ein Wichtlein brächte Glück, sie wollten es behalten, sagten sie.

Das gab ein Handeln. Vergebens erzählten der Bauer und der Führer, wer Kasperle war, die Sennen wollten es nicht freigeben. Und da es sechs waren, dachten Florizel und Bob schon, sie müßten wirklich ohne Kasperle abziehen. Da fing das auf einmal sein allerschaurigstes Räubergebrüll zu brüllen an, und schnitt dazu die fürchterlichsten Gesichter. Es sah aus wie ein Räuber, ein Teufele und wie die böse Köchin im Goldenen Knopf.

Die Almleute erschraken. Dazu drohte ihnen Kasperle noch mit grimmigster Miene, und die Frau sagte flink: »Nein, so einen Unhold wollen wir gewiß nicht in unserem Hüttli haben. Hinaus mit ihm! Hätte den nur der Adler geholt.« Sie schnitt rasch den Strick durch, und hops saß Kasperle dem Florizel auf dem Rücken. Es drehte sich, als der rasch mit ihm zur Türe ging, flink noch einmal um und machte ein lustiges Schelmengesicht.

»Es soll bleiben! Ihr seht doch, es ist nicht böse.«

»Es soll bleiben,« riefen alle, aber Bob und Florizel rannten mit ihrem Kasperle so schnell sie konnten, davon.

»Kasperle, du heilloser Wicht, gleich machst du dein schlimmstes Gesicht!« keuchte Florizel, der an dem kleinen Kerl schon zu tragen hatte.

»Hach,« schrie Kasperle und sah gleich wie die Prinzessin Gundolfine aus. Ein schlimmeres Gesicht konnte es nicht machen. Es war auch schlimm genug. Die Almleute purzelten vor Schreck fast den Berg wieder hinauf. Wehklagend rannten sie davon, und Kasperle lachte und lachte, bis Bob sagte: »Kasperle, sei still, dir platzt noch dein Bäuchlein.«

»Das kann’s nicht,« schrie Kasperle kläglich. »Es ist nichts drin.« Florizel setzte den Kleinen ab, denn niemand verfolgte sie mehr. »Ich dachte, du bist von der vielen Schlagsahne satt,« sagte der Spielmann neckend.

Aber da wurde Kasperle fuchsteufelswild. Es, wußte nun schon, daß die Sahne Schnee, ewiger Schnee war, und vor Wut und Herzeleid fing er jämmerlich zu heulen an. Er klagte dazu, seine Füße täten ihm arg weh, und Bob nahm ihn auf den Arm, tröstete ihn sacht und sagte: »Wenn wir zurückkommen, bekommst du Schlagsahne und darfst so lange schlafen, wie du willst.«

Es kam aber alles anders als Bob sagte und Kasperle hoffte. Als sie alle spät heimkamen, kauerte Angela in der Nähe des Wirtshauses und flüsterte zitternd: »Sie sind da!«

»Wer denn? Die Sennleute?« kreischte Kasperle.

»Halt den Mund, Kasperle,« sagte Florizel, »jetzt müssen wir es klug machen, damit der Vormund die arme Angela nicht erwischt.«

»Klug,« sagte Kasperle, aber ihm rutschte sein Stimmlein aus, und es gellte laut durch das Haus: »Klug.«

»Himmel, mir war es gerade, als habe jemand geschrien,« sagte die Tante, aber glücklicherweise hatte Bärbe nichts gehört, da schlief die Tante wieder ein, auch Herr von Löwenzahn schlief, und der Vormund schnarchte, sie hörten niemand und nichts.


 << zurück weiter >>