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Mister Stopps Diener Bob

»Wie sieht Bob aus?« fragte das Kasperle neugierig, als der Wagen mit den Reisenden N. zurollte.

»Dick ist er und dumm,« sagte Mister Stopps.

»Oh!« Kasperle machte kein sehr erfreutes Gesicht, und Mister Stopps verwunderte sich, als Kasperle kläglich sagte: »Dann gefällt er mir nicht.«

»Er uird dir schon gefallen, er ist sehr unangenehm,« erklärte Mister Stopps. Dick, dumm, unangenehm, und dann soll er einem gefallen? Das Kasperle schüttelte den Kopf und rief ein bißchen patzig: »Nä, dann gefällt er mir doch nicht. Dann ist er gräßlich.«

»Aber Kahspärle, mein lieber Bob ist nicht gräßlich. So etuas darfst du nicht sagen.«

Kasperle hätte sicher noch viel gesagt, wenn nicht die Kutsche gerade wieder an dem Wagen mit dem lieblichen kleinen Fräulein vorbeigerollt wäre.

»Na, immer noch so langsam?« rief der Postillon dem alten Kutscher zu, der den anderen Wagen lenkte.

Doch der gab keine Antwort, griesgrämig sah er vor sich hin, und das schöne, blasse Fräulein weinte heute gar.

Kasperle winkte ihr zu, er schnitt allerlei Gesichter, aber diesmal lächelte das Fräulein kein bißchen. Da nahm Florizel seine Geige und spielte gar süß darauf, dazu sang er sein Lied:

»Nur nit verzagt,
Bald der Morgen tagt.«

Da weinte das schöne Fräulein noch heftiger, aber sie winkte doch wieder mit dem Tüchlein herüber. Kasperle regte sich über die Tränen des lieblichen Kindes ordentlich auf, und er gab Mister Stopps einen Rippenstoß und sagte: »Die mußt du auch mitnehmen.«

»Uen soll ich mitnehmen?«

Es dauerte ein Weilchen, ehe Mister Stopps Kasperles Wunsch begriffen hatte, dann sagte er freilich, es ginge nicht an, einfach ein fremdes Fräulein mitzunehmen.

»Aber sie weint doch,« schrie Kasperle ganz böse.

»Sie hört auch wieder auf.« Mister Stopps war ein bißchen ärgerlich, denn das Kasperle verlangte noch zehnmal, die Fremde sollte mitreisen. Es war ganz ungebärdig, wollte gerade heulen, als ganz nah die Türme und Häuser einer großen Stadt auftauchten. In einer größeren Stadt als Torburg war Kasperle, noch nie gewesen. Er riß den Mund weit auf und grinste alle Vorübergehenden an, und ein lautes Rufen und Verwundern entstand. Was war das für ein schnurriger Mensch, der da im Wagen saß?

»Lassen Se Kasperle nicht rausgucken, sonst gibt’s was,« mahnte der Kutscher. Aber seine Mahnung kam zu spät. Denn gerade rollte der Wagen an einer Schule vorbei, und die war eben aus. Kasperle steckte den Kopf weit hinaus, schnitt ein Räubergesicht, dann eins, das blitzdumm war, und da umrannten die Kinder die Postkutsche so, daß die Pferde erschrocken stehen bleiben mußten.

»Kahspärle.« Mister Stopps packte Kasperle und zog ihn in den Wagen hinein. Aber da wurde es ganz schlimm. Die Buben kletterten auf das Trittbrett, die Mädel bettelten unten, sie wollten alle den komischen Jungen sehen.

»Das gibt’s nicht,« rief Mister Stopps.

»Ich bin müsemausetot,« schrie Kasperle aus dem Wagenwinkel heraus.

Ein jauchzendes Geschrei war die Antwort. »Holla he, er sagt, er wäre tot, müsemausetot,« brüllten ein paar Buben.

»Zeig doch, wie tot du bist!« Kasperle streckte flugs die Zunge heraus und machte flink ein Mister Stopps-Gesicht.

»Mehr,« kreischten die Kinder, »er sieht wie der häßliche Mann im Wagen aus.«

Das war selbst dem gutmütigen Mister Stopps zu viel. Klitsch, klatsch bekam Kasperle eins aufs Hosenbödle, und Mister Stopps rief streng: »Ueiter fahren!«

Aber wie soll ein Kutscher fahren, wenn hundert Kinder um ihn herumwuseln und diese hundert Kinder noch dazu schreien wie auf einem Kinderfest.

»Es geht nicht,« brummte der Kutscher verzagt.

Da nahm Florizel seine Geige und spielte heiter und sacht, es klang wie einer Mutter liebes Mahnen:

»Geht nach Haus,
Geht nach Haus,
Mädels und Buben!
Seid nicht wild!
Vater schilt
Und Mutter bang
Wartet schon lang.
Gehet heim,
Gehet heim,
Buben, Mägdelein!
Kasperlein
Will schlafen ein.
Müd’ ist der Wicht,
Stört ihn nicht.«

Da schloß Kasperle gleich seine Augen, er tat, als ob er schliefe.

Das wollten die Kinder aber noch sehen, doch da mahnte Florizel wieder:

»Geht doch heim,
Geht doch heim,
Mädels und Buben!
Mittagszeit,
Essen bereit,
Sorgend Eltern schauen aus.
Nach Haus, nach Haus!«

Es war wunderbar, Florizels Lied trieb die Kinder heim, und Kasperle schlief wirklich ein. Er wachte erst wieder auf, als der Wagen vor einem stattlichen Hause hielt, dem vornehmsten Gasthof der Stadt. Über der Tür hing ein dicker, silberner Mond, und Mister Stopps schüttelte Kasperle und sagte: »Uir sein da, und hier sein der Mondschein.«

Kasperle rieb sich die Augen, sah hinaus und sagte verdutzt: »Ih nein, die Sonne scheint.«

»Oh no, Mondschein.«

»Das ist doch die Sonne.«

»No, ich uill in den Mondschein.«

Da hätten sich Kasperle und sein Herr beinahe gestritten, aber Florizel sagte: »Kasperle, dummes, Mondschein heißt der Gasthof.«

»Ach so, ja das muß einer eben erst wissen.«

»Und da sein Bob, mein lieber Bob.«

Ja, da stand Bob. Neben einem schlanken, großen jungen Mann, der ungeheuer gutmütig aussah, stand einer, der war klein, dick, kugelrund, und sein Gesicht sah aus, als hätte er das schlechte Wetter vom ganzen Jahr eben verschluckt. Oh, Bob gefiel Kasperle nicht. Klein, dick, unangenehm, es stimmte alles. Aber Kasperle dachte, ich will Freundschaft mit ihm schließen, denn wenn ihn Mister Stopps gern hat, kann er so übel nicht sein. Er lief auf den Dicken zu, platschte ihm auf den Magen und rief: »Guten Tag, Bob! Ich bin Kasperle.«

»Daß du ein frecher Kasper bist, sehe ich,« brummte der Dicke, »aber mich Bob zu schimpfen, das verbitt’ ich mir. Da hast du deinen Dank!«

Wutsch, saß dem Kasperle eine kräftige Maulschelle im Gesicht, und vor Schreck kugelte er gleich zu dem Wagen zurück.

»Oh, wie böse,« rief der Schlanke, der neben dem Dicken stand, »oh, und da ist mein Herr, Mister Stopps!«

Der Schlanke sprang herzu, Mister Stopps schlug ihm vertraulich auf die Schulter und sagte: »Guten Tag, Mister Bob. Wie geht’s dir? Und da sein Kahspärle. Oh, so dumm! Kasperle, uarum hast du mit dem fremden Mann geredet?«

»Der hat gedacht, ich wäre es,« antwortete Bob vergnügt.

»Das hat er übel genommen. Aber was ist das für ein sonderbarer Junge, Mister Stopps?«

»Das sein Kahspärle.«

Kasperle heulte. »Ich hab’ doch nur Bob guten Tag gesagt.«

»Das sein hier Bob.«

»Nä,« rief Kasperle, »Sie haben gesagt, er wäre dick, dumm und unangenehm, und das ist der da.«

Der Dicke hatte das Wort gehört, wütend kam er herbei und schrie: »Was, ich soll dick, dumm und unangenehm sein?«

»Ich denken, Sie sind dünn, klug und angenehm,« rief Mister Stopps sehr streng und sehr würdevoll.

»Ach so, ja das bin ich.« Der Dicke blähte sich auf, Kasperle schaute verwirrt Mister Stopps an. Was redete der nur? Aber da lachten Florizel und Bob alle beide, denn sie merkten, der gute Mister Stopps hatte die Worte verwechselt. Bob, der gar kein Engländer war, wußte gleich, was sein Herr meinte. Er beugte sich zu Kasperle, hob es auf und sagte ihm das, und Kasperle lachte wie toll. Er schloß gleich gute Freundschaft mit Bob, denn den konnte man wohl leiden. Er lachte mit Kasperle um die Wette, und als beide an dem Dicken vorbeigingen, sagte er vergnügt: »Herr Dummklug von Angenehm!«

Weil Kasperle aber gar so lachte, machte der Fremde doch ein verdrossenes Gesicht und brummte: »Ich bin der Herr von Löwenzahn, merk Er sich das!«

»Und ich bin der Graf Kasperle von Torburg, und das da ist der Prinz Stopps von England, merk Er sich das auch,« schwätzte Kasperle, denn er nahm das Gerede des Fremden nicht für Wahrheit.

Der aber war wirklich dumm. Er sah nicht, wie Kasperles Äuglein zwinkerten. Er verneigte sich ganz tief und sagte demütig: »Oh, verzeihen Sie, Herr Graf, daß ich –«

»Ja, ich bin bitterböse, daß Sie mich geschlagen haben, und der Prinz von England sagte, Sie wären dick, dumm und unangenehm.«

Herrn von Löwenzahn brannten die Ohren. Von einem englischen Prinzen für dumm und unangenehm erklärt zu werden, war höchst betrüblich. Er hielt Kasperle, der davonlaufen wollte, am Ärmel fest und bat: »Ach, lieber kleiner Graf, Sie sind ein sehr spaßiges Herrlein, seien Sie mir nicht mehr böse!«

»Doch,« schrie Kasperle den Herrn von Löwenzahn an. Dem gellte die Stimme schrecklich in den Ohren, und er prallte ordentlich zurück. Da war Kasperle schon auf und davon, ehe sich der Herr von Löwenzahn noch recht besonnen hatte, und weil Kasperle Mister Stopps, Florizel und Bob schon im Flur des Gasthauses stehen sah, schlug er flink einen Purzelbaum und fiel just vor dem Wirt vom Mondschein nieder.

»Alle guten Geister, was ist denn das?«

»Das ist das weltberühmte, einzige lebendige Kasperle Graf von Torburg,« schrie Kasperle den Wirt an, »wir reisen um die ganze Welt herum, mein Herr, der Prinz Stopps von England –«

»Ein Prinz?« Der Mondscheinbesitzer verneigte sich tief, ein Kasperle, das ein Graf war, und ein Prinz waren noch nie bei ihm eingekehrt. Und ehe Mister Stopps noch etwas sagen konnte, rannten alle, Kellner, Hausdiener und Stubenmädchen, durcheinander, und alle riefen: »Die besten Zimmer müssen gerichtet werden.«

»Ich habe doch schon welche bestellt,« sagte Bob.

»Gilt nicht, gilt nicht,« rief der Wirt, »die sind nicht gut genug.«

»Kasperle, du bist ein Strick,« sagte Bob. Er nahm Kasperle und wollte ihn an den Ohren ziehen, aber da sah ihn das unnütze Kasperle treuherzig an, und Bob sagte: »Ich hab’ dich aber doch lieb.«

Mister Stopps sagte gar nichts, er war nur verwundert über das Geschrei um sich her, und er ließ sich schieben und drängen, und wenn einer eine Verbeugung vor ihm machte, fragte er jedesmal: »Bob, uas uill er?« Und dann verneigte sich Bob und machte auch eine tiefe Verbeugung, und der Wirt nannte ihn dann: »Herr Kammerherr!«

Die Gäste wurden wirklich in die besten Zimmer geführt, und Mister Stopps wollte sich gerade umziehen, als der Wirt in das Zimmer gerannt kam. Er verbeugte sich fortwährend, und wollte sich gerade erkundigen, wie es seinem Gaste gefiel, als Kasperle ihm mit dem linken Bein einen Nasenstüber gab. »Na, das mach’ ich nach,« dachte Bob, und ritsch! bekam der Wirt von rechts auch einen. Da rannte der erschrocken aus dem Zimmer und schrie draußen seiner Frau zu, sie sollte ja nicht in die Nähe des Prinzen gehen, der hätte sehr sonderbare Gewohnheiten. Dies hörte Bob, und Bob war beinah so ein Schelm wie das Kasperle. Er nahm den Kleinen zur Seite und tuschelte ihm etwas zu.

»Fein!« schrie Kasperle und purzelbaumte durch das Zimmer, und auf einmal kugelte er Mister Stopps beinahe um. »O Kahspärle,« stöhnte der, »ich uollte ausruhen, mir hinlegen.«

»Ich auch!« Kasperle kuschelte sich an Mister Stopps und der sagte: »Du sein ein gutes Kahspärle.«

»Es ist Essenszeit!« Der Kellner Fritz, der sich sehr fein benehmen wollte, stürzte in das Zimmer, verneigte sich, und – da hatte er seinen Nasenstüber von Bob.

»Oh Bob, uas sein das?« rief Mister Stopps erschrocken, während Fritz heulend und jammernd aus dem Zimmer lief.

»Kasperlemode.« Für lange Antworten war Bob nicht, aber diesmal wollte Mister Stopps doch mehr von der Mode wissen.

Da kam Herr von Löwenzahn in das Zimmer, und ehe er noch wußte, was los war, hatte er von rechts und links einen Nasenstüber. Bob und Kasperle standen gleich darauf steif wie zwei Säulen da.

»Was ist das?« rief Herr von Löwenzahn entrüstet.

»Sitte!« antwortete Bob.

»Wo?«

»Wo.«

»In England?«

»In England.«

Bob stand steif wie ein Pfahl, er wiederholte wie ein Leierkasten die Fragen.

»Das ist dumm, ganz dumm,« rief Herr von Löwenzahn, während Mister Stopps, der ruhig auf seinem Sofa lag, den fremden Herrn durch ein Opernglas betrachtete.

»Uer sein das?«

»Herr von Löwenmaul,« erklärte Bob.

»Zahn, Zahn,« schrie der kleine aufgeregte Herr.

»Von Maulzahn,« sagte Bob.

»Löwenzahn, Dummkopf.«

»Herr Löwenmaulzahn von Dummkopf.«

Herr von Löwenzahn platzte beinahe vor Ärger, aber da lachte plötzlich das Kasperle, eben wie nur ein Kasperle lachen kann, und darüber verlor Bob auch beinahe seine Ruhe. Er machte aber noch die Türe weit auf, und der Herr von Löwenzahn schoß hinaus wie eine feurige Rakete.

»Uff,« stöhnte Mister Stopps, »uas sein hier für komische Leute! Ich uill essen, aber hier unten ist uider etuas los.«

Darüber freuten sich Kasperle und Florizel. Bob lachte vergnügt dazu, und dann ging er steif und feierlich, um unten das Mittagessen für seinen Herrn, den Prinzen Stopps von England, zu bestellen. Dabei kam er in einen Seitenflur, dort stand Herr von Löwenzahn, der fuhr mal mit dem linken, mal mit dem rechten Bein in der Luft herum. Er wollte den Gruß, der in England Sitte war, lernen, denn der gute Herr von Löwenzahn war schrecklich dumm, und von England wußte er nur, daß die Leute dort manchmal sonderbar waren.

»So,« sagte Bob und fuhr Herrn von Löwenzahn an die Nase.

»Frech!« schrie der.

»Sind Sie selbst, Herr von Löwenmaulzahn,« und damit verneigte sich Bob, ging den Flur entlang, und weg war er.

Ein paar Minuten später gab es ein vergnügtes Mahl in dem Wohnzimmer des Mister Stopps. Kasperle aß wie ein paar Scheunendrescher. Bob legte ihm immer die größten Stücke auf. Florizel war auch vergnügt, aber als Mister Stopps bat: »Ein Lied,« da sang er doch eine traurige Weise:

»Steh’ im hellen Mondenschein,
Seh’ mich um und bin allein.
Mein Liebchen ist vorbeigefahren;
Nach hunderttausend Jahren
Treff’ ich sie erst auf einem Stern
Und sag’: Feinsliebste, hab’ dich gern.«

»Sehr merkuürdig, nach so langer Zeit,« brummte Mister Stopps, und dann schlief er sanft ein.

Kasperle wäre auch gern eingeschlafen, aber Bob nahm ihn am Hosenbödle und sagte: »Komm du mit, du mußt mein Lehrmeister sein.«

Und während Mister Stopps schlief, Florizel mit seiner Geige durch die Stadt spazierte, kasperten Bob und Kasperle in Bobs Zimmer, und Kasperle fand, Bob wäre beinahe ein richtiges Kasperle, aber nur beinahe. Zu einem ganz richtigen Kasperle muß man geboren sein. Und Bobs Vater war eben nur ein Schneider gewesen, der zeitlebens auf dem Brett gesessen hatte.

An diesem Nachmittag schlossen die beiden eine dicke, dicke Freundschaft, und Bob versprach dem Kasperle, er würde ihm auch seine Urheimat suchen helfen.


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