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Das » Alastor« betitelte Gedicht ist als ein allegorisches Bild eines der interessantesten Zustände der menschlichen Seele zu betrachten. Es schildert einen Jüngling von unverdorbenem Gemüth und abenteuerlichem Geiste, den eine Phantasie, die durch Vertrautheit mit allem Vortrefflichen und Erhabenen entflammt und geläutert ist, zur Betrachtung des Weltalls leitet. Er trinkt mit vollen Zügen aus den Quellen der Erkenntniß, und bleibt dennoch ungesättigt. Die Erhabenheit und Schönheit der äußeren Welt prägt sich tief in seine Gedanken ein, und verleiht ihren Gestaltungen eine unerschöpfliche Vielseitigkeit. So lange sein Streben sich auf so unendliche und unermessene Gegenstände zu lenken vermag, ist er heiter, ruhig und Herr seiner selbst. Aber es kommt eine Zeit, wo ihn diese Gegenstände nicht mehr befriedigen. Sein Geist erwacht endlich plötzlich, und dürstet nach dem Verkehr mit einem ihm ähnlichen Geiste. Er schafft sich in seiner Phantasie das Wesen, das er liebt. Da er mit den Spekulationen der erhabensten und vollkommensten Naturen vertraut ist, vereinigt die Vision, in welcher er seine eigenen Vorstellungen verkörpert, alles Wunderbare, Weise und Schöne, was der Dichter, der Philosoph oder der Liebende sich zu malen vermöchte. Die geistigen Fähigkeiten, die Phantasie, die Funktionen der Sinne tragen sämmtlich Verlangen nach der Sympathie entsprechender Kräfte in anderen menschlichen Wesen. Der Dichter, wie er hier geschildert wird, vereinigt all' diese Forderungen, und überträgt sie auf ein einziges Bild. Er sucht vergebens nach einem Ebenbilde dieser Schöpfung seiner Phantasie. Gebrochen von seiner Enttäuschung, steigt er in ein frühes Grab.
Dies Gemälde ist für den wirklichen Menschen nicht ohne Belehrung. Das auf sich selbst gestellte Alleinstehen des Dichters rächte sich durch die Furien einer unwiderstehlichen Leidenschaft, die ihn schnellem Untergang entgegentrieben. Aber die Macht, welche die Leuchtsterne dieser Welt mit plötzlicher Verfinsterung und Vernichtung trifft, indem sie ihnen ein allzu reizbares Gefühl für ihre Einwirkungen gab, verurtheilt die niederen Geister, welche sich von ihrer Herrschaft loszusagen wagen, zu langsamer und schleichender Vernichtung. Ihr Schicksal ist niedriger und ruhmloser, sowie auch ihre Schuld verächtlicher und schädlicher ist. Diejenigen, welche, von keinem edlen Irrthume verlockt, von keinem heiligen Durst nach zweifelhaftem Wissen angespornt, von keinem hehren Wahnbild betrogen, Nichts auf dieser Erde lieben und Nichts jenseit derselben hoffen, sondern sich fernhalten von allem Mitgefühl mit ihrem Geschlechte, sich nicht freuend mit den Fröhlichen und nicht trauernd mit den Betrübten, Diese und ihres Gleichen trifft ein gerecht abgemessener Fluch. Sie verzehren sich, weil Niemand mit ihnen gemeinschaftlich fühlt. Sie sind moralisch todt. Sie sind weder Freunde, noch Liebende, noch Väter, noch Bürger dieser Welt, noch Wohlthäter ihres Vaterlandes. Unter Denen, welche ohne menschliches Mitgefühl zu existiren versuchen, müssen die reinen und zarten Seelen durch das heftige, leidenschaftliche Sehnen nach verwandten Herzen untergehen, sobald ihnen die öde Leere ihres Geistes plötzlich fühlbar wird. Alle Andern, die Selbstsüchtigen, Verblendeten und Verstockten, sind jene in den Tag hinein lebenden Rotten, welche, nebst ihrem eigenen Elend, das immerwährende Elend und die trübe Einsamkeit der Welt verschulden. Diejenigen, welche ihre Mitwesen nicht lieben, führen ein unfruchtbares Leben, und bereiten ihrem Alter ein elendes Grab.
Die Guten sterben jung,
Und deren Herzen trocken wie der Staub
Des Sommers, brennen bis zum letzten Stumpf!
Alastor,
oder
Der Geist der Einsamkeit.
Nondum amabam, et amare amabam, quacrebam
quid amarem amans amare.
Confess. St. August.
Luft, Erde, Meer, geliebte Brüder mir!
Wenn unsre große Mutter meiner Seele
Ein Fünkchen echter Frömmigkeit verlieh,
Zu fühlen eure Lieb', und dies Geschenk
Mit meiner Liebe dankbar zu vergelten;
Wenn je des Morgens Thau, des Mittags Duft,
Des Abends prächt'ger Sonnenuntergang,
Der hehren Mitternacht tiefathmend Schweigen;
Wenn je des Herbstes Seufzen durch den Wald;
Der Winter, der mit Schnee und Eiseskronen
Das fahle Gras, die kahlen Neste ziert;
Wenn je die Wonneschauer, da der Lenz
Die ersten Küsse haucht, mir theuer waren;
Wenn keinen Vogel oder Käfer ich
Mit Wissen je verletzte, sondern stets
Als mir verwandte Wesen sie geliebt: –
O, dann vergebt mir dieses Ruhmeswort,
Geliebte Brüder, und entzieht mir jetzt
Nicht einen Theil der altgewohnten Gunst!
Mutter der unergründlich hehren Welt,
Weih dies erhabne Lied! Denn immer liebte
Ich dich, und dich allein; ich spähte
nach
Dem Dunkel deines Pfads und deinem Schatten,
Und in die Tiefe deiner Räthsel blickt
Mein Herz allzeit hinab. Ich bettete
In Grüften und auf Särgen mich, allwo
Der Tod die dir entrungenen Trophäen
In langer Reih' verzeichnet, und ich hoffte
Das Lösungswort für jene stürmischen Fragen
Nach dir und deinen Kindern endlich doch
Zu finden, wenn ich einen Schemen zwänge,
Mir als dein Bote zu verkünden, wer
Und was wir sind. In einsam stillen Stunden,
Wenn durch der Nacht geheimnißvolles Schweigen
Ein geisterhaftes Flüstern nur erbebt,
Hab' ich, dem Alchymisten gleich, der kühn
Sein Leben setzt an eine finstre Hoffnung,
Seltsames Wort getauscht und ernste Blicke
Mit meinem keuschen Lieb, bis sich aus Thränen
Und athemlosen Küssen wundersam
Ein Zauber wob, so mächtig, daß die Nacht
Verrathen mußte, was du ihr vertraut. –
Und wenn du mir auch bis zum heut'gen Tag
Noch nie dein innerst Heiligthum enthülltest,
Ward doch in unsagbaren Träumen mir,
In Dämmrungsphantasien und Tagsgedanken
Genug entschleiert, daß ich heiter jetzt
Und ruhig, gleich der langvergess'nen Harfe,
Die in der Halle eines einsam öden
Und tief geheimnißvollen Tempels hängt,
Erwarte deinen Odem, große Mutter,
Auf daß mein Lied im Einklang mit dem Säuseln
Der Luft, mit Wald- und Meeresrauschen klinge,
Und mit den Stimmen aller Kreaturen,
Des Tages und der Nacht vereinten Hymnen,
Wie mit des Menschenherzens tiefstem Schlag. –
Ein Dichter lebt' einst, dessen frühes Grab
Nicht Menschenhand mit frommer Ehrfurcht baute;
Es thürmten nur des Herbstwinds Zauberwirbel
In öder Wildniß eine Pyramide
Von welkem Laub ob seines Leibes Rest;
Ein holder Jüngling – trauernd kam kein Mädchen,
Um seines ewigen Schlummers einsam Bett
Mit des Cypressenkranzes ernstem Laub
Und mit bethränter Blumen Zoll zu schmücken;
Sanft war er, brav und edel, doch kein Sänger
Rief seinem dunklen Loos ein Klaglied nach;
Er lebte, sang und starb in Einsamkeit.
Es weinten Fremde seinem brünst'gen Lied,
Und wenn er ungekannt vorüberging,
Erseufzten Jungfraun schmachtend, und verzehrten
Vor Sehnsucht sich nach seinen glühnden Augen.
Erloschen ist nun ihre sanfte Gluth,
Und Schweigen, das in seiner Stimme Klang
Verliebt, hat ihre stumme Musik nun
Verschlossen in des Grabes rauhen Bann.
Es nährten seine Kindheit Silberträume
Und hehre Phantasien. Jedweder Anblick
Und Ton der weiten Erde und der Luft
Fand einen Wiederhall in seinem Herzen.
Die Quellen göttlicher Philosophie,
Sie flohen seine durst'gen Lippen nicht;
Und alles Große, Gute, Liebliche,
Was je ein Mund in Wahrheit oder Dichtung
Geheiligt, fühlt' und wußt' er. Als die Kindheit
Entschwunden war, schied er vom kalten Herd
Und aus dem fremdgewordnen Heimatland,
Um wundersamer Wahrheit nachzuforschen
In unentdeckten Landen. Manche Wüste
Und mancher Wildniß Labyrinth durchirrte
Furchtlos sein Fuß; und seines holden Blicks
Und seiner süßen Stimme Macht gewann
Von Wilden Obdach ihm und Mahl. Er folgte
Den räthselvollen Schritten der Natur,
Gleichwie ihr Schatten, wo der glühe Rauch
Des feuerspeinden Bergs ob den Gefilden
Von Schnee und Eis emporsteigt; oder wo
Die träge Fluth des Erdpechsees beständig
An schwarzen, kahlen Inseln brandet; oder
Wo zackige Höhlen, die, im Dunkel tief
Verborgen, sich erstrecken zu den Quellen
Des Feuers und des Giftes, unzugänglich
Der Habgier und dem Stolz, ihr blitzend Dach
Von Gold und Diamanten Wölben ob
Zahllosen, unermeßlich weiten Hallen,
Mit Säulen von Krystall und Perlennischen
Und Thronen, die von Chrysolith erbaut.
Doch hatt' auch jene Schau von größrer Pracht
Als Gold und Edelstein: die grüne Erde
Mit ihrem wechselvollen Himmelszelt,
In seinem Herzen nicht das ew'ge Recht
Auf Liebe und Bewunderung verloren;
In einsam stillen Thälern weilt' er gern,
Die Wildniß sich zur Heimatstatt erwählend,
Bis, angelockt von seinem sanften Blick,
Das Eichhorn und die Taube traulich ihm
Die Atzung aus der frommen Hand entnahmen,
Und die Gazelle, die zusammenschrickt,
Wenn nur das dürre Laub im Dickicht rauscht,
Die scheuen Schritte hemmte, um ein Bild,
Das ihre eigne liebliche Gestalt
An Schönheit übertraf, zu schaun.
Er suchte
Auf seinen Wanderfahrten, von dem Flug
Erhabener Gedanken angespornt,
Vergangner Zeiten hehre Trümmer auf: –
Tyrus, Athen und Baalbek und die Wüste,
Wo einstmals Salem stand, und Babylon's
Gesunkne Thürme, Memphis, Theben auch,
Die ew'gen Pyramiden, und was irgend
An wundersamer Mähr auf Obelisken
Von Alabaster, auf dem Jaspisgrab
Und auf der Sphinx verstümmeltem Gebild
Des dunklen Aethiopiens Hügel bergen.
Dort weilt' er unter eingestürzten Tempeln,
Riesigen Säulen und phantast'schen Bildern
Von übermenschlichen Gestalten, wo
Marmor-Dämonen kalt das eherne
Geheimniß des Zodiakus bewachen,
Und Todte an den stummen Mauern rings
Eingruben ihre schweigenden Gedanken;
Er brütete den langen heißen Tag
Ob dieser Chronik von der Erde Jugend,
Und starrte auf die sprachlos stummen Bilder;
Selbst wenn der Mond mit unbestimmten Schatten
Die düstern Hallen füllte, ruht' er nicht
Von seinem Werke, sondern späht' und spähte,
Bis, wie ein Blitz der Eingebung, der Sinn
Sich seinem träumenden Gehirn enthüllte,
Und das Geheimniß der Geburt der Zeit
Vor seinem Auge klar erschlossen lag.
Indessen bracht' ihm täglich eine Maid
Arabiens aus des Vaters Zelt ihr Mahl,
Und breitet' ihre Matte ihm zum Lager
Und stahl von Ruh und Tagwerk sich hinweg,
Um seiner Schritte Pflegerin zu sein.
Sie liebt' ihn, doch aus tiefer Ehrfurcht wagte
Sie nicht, ihm ihre Liebe zu gestehn;
Sie wachte Nächtens über seinen Schlaf,
Selbst schlummerlos, auf seine Lippen blickend,
Die, halb getrennt, der unschuldsvollen Träume
Gleichmäß'gen Odemzug entsandten; dann,
Wenn vor dem Morgenroth der blasse Mond
Noch mehr erblasste, kehrte sie verstört
Und bleich und matt zu ihrem Zelt zurück.
Der Dichter wanderte begeistrungsvoll
Durch Persien und Arabien, durch die Wüste
Karmaniens, und über die Gebirge,
Die luftigen, aus deren Eiseshöhlen
Der Indus und der Orus niederstürzen;
Bis fern in Kaschmir's einsam stillstem Thal,
Wo Duftgewächse unter hohlen Felsen
Zu einer schattigen Laube sich verzweigen,
An eines plätschernden Baches Ufer er
Die müden Glieder streckte. Ein Gesicht
Kam über seinen Schlummer hier, – ein Traum
Von Hoffnungen, die seine Wange nie
Zuvor geröthet. Ein verschleiert Mädchen,
So träumt' er, säße neben ihm und spräche
Mit feierlichen Tönen sanft ihn an.
Die Stimme glich der Stimme seiner Seele,
Wie er bei ruhigem Denken sie vernahm;
Und ihre Musik hielt, wie wenn das Säuseln
Der Lüfte sich mit Stromesrauschen mischt,
Sein innerst Herz in ihrem Zaubernetz
Voll bunten Wechsels lange festgebannt.
Von Wissen sprach, von Wahrheit, Tugend sie,
Von hehren Hoffnungen erhabner Freiheit,
Von allen seinen theuersten Gedanken,
Von Poesie, selbst eine Dichterin.
Bald strömte ihres reinen Geistes Gluth
Durchdringend Feuer durch ihr ganzes Wesen,
Und wilde Rhythmen hub sie an, indeß
Ein bebend Schluchzen ihr die Stimme halb
Erstickte, die von sanfter Inbrunst schwoll.
Nur ihre schönen Hände waren bloß,
Und sie entlockten einer Wunderharfe
Seltsame Melodie, und in der Adern
Vielästiger Verzweigung sprach das Blut
Beredtsam eine unsagbare Mähr.
Das Pochen ihres Herzens hörte man
Der Musik Pausen füllen, und ihr Odem
Fiel in die Unterbrechung des Gesangs
Wildathmend ein. Auf einmal stand sie auf,
Als könnt' ihr ungeduldig Herz nicht länger
Ertragen mehr die Last; – er wandte sich,
Und sah in ihres Wesens warmem Licht
Erglühen unterm luftgewobnen Schleier
Die herrliche Gestalt; die Arme jetzt
Entblößt und sehnend zu ihm ausgestreckt,
Das dunkle Lockenhaar im Nachtwind fluthend,
Der Augen Strahl gesenkt, die holden Lippen
Bleich, bebend vor Erwartung aufgethan.
Vom Uebermaß der Liebe sank und siechte
Sein starkes Herz. Ein Schauer fasst' ihn an,
Sein Athem stockte, und er breitete
Die Arme aus, um an sein Herz zu pressen
Die wogende Brust. Erst wich sie scheu zurück,
Dann, überwältigt von Entzücken, schloß
Sie ihn mit wahnsinnwildem Ungestüm
Und jauchzendem Schrei in ihre Schattenarme.
Nacht hüllte sich um sein geblendet Auge,
Und Finsterniß verschlang das Traumgesicht;
Und wieder wälzte seine dunklen Wogen,
Wie eine schwarze Fluth, im Lauf gehemmt,
Der Schlaf zurück auf sein gebanntes Hirn.
Emporgeschreckt, erwacht' er von dem Zauber; –
Das kalte weiße Licht des Morgens, tief
Im West der bleiche Mond, die grellen Hügel,
Das ferne Thal, die stummen Wälder breiten
Vor seinem Blick sich aus. Wohin entflohn
Die Himmelsfarben, die ob seinem Lager
Als Baldachin sich wölbten gestern Nacht?
Die Klange, die ihn süß in Schlaf gewiegt,
Die Majestät der räthselvollen Erde,
Die Wonne, die Verzückung? Müde starrt
Und leer sein Auge auf die Oede, wie
Der Mond im Meer zum Himmelsmonde aufblickt.
Der Geist der holden Erdenliebe sandte
Ein Traumgesicht auf Dessen Schlaf hinab,
Der seiner Gaben auserlesenste
Verachtet hat. Nun jagt er eifrigst
nach
Jenseit des Träumereichs dem flücht'gen Schatten,
Und überspringt die Schranken. Wehe, weh!
War Odem und Gestalt und Wesen so
Verrätherisch verknüpft? Verloren, ach,
Verloren ewig nun im finstern, öden,
Pfadlosen Reich des Schlafs die Huldgestalt!
Führt uns des Todes dunkles Thor, o Schlaf,
In dein geheimnißvolles Paradies?
Und führt das lichte Bild des Regenbogens,
Der Berge, die im stillen See sich spiegeln,
Zur schwarzen Wassertiefe nur hinab,
Indeß des Todes blau Gewölb, umwallt
Von ekelhaftem Dunst, wo jeder Schatten,
Der aus der Gruft Verwesungsnacht entsteigt,
Sein Auge vorm verhassten Tag verbirgt,
Dein Wonnereich, o Schlaf, vor uns erschließt?
Der Zweifel plötzlich überfluthete
Mit Macht sein Herz; das ungestillte Sehnen,
Das er erweckte, stachelte sein Hirn
Wie der Verzweiflung Qual.
So lang der Tag
Am Himmel noch erglänzte, hielt der Dichter
Mit seiner Seel' ein stummes Zwiegespräch.
Doch Nachts erschien die wilde Leidenschaft,
Gleich dem Gespenste eines Fiebertraums,
Und schreckt' ihn auf aus seiner Ruh', und jagte
Ihn in die dunkle Nacht. Gleichwie ein Adler,
Umringelt von der grünen Schlange Leib,
In seiner Brust die Gluth des Giftes fühlt,
Und, wahnsinnswild vor Qual, durch Nacht und Tag,
Durch Sturm und Windesruhe und Gewölk,
Des weiten Lüftereiches Wüstenein
In blindem Flug durcheilt: so floh der Dichter,
Vom lichten Schatten seines Traums gespornt,
Beim kalten Schein der einsam öden Nacht
Durch Sumpfesdickicht und durch steile Schlüfte,
Achtlosen Schritts die monderhellte Schlange
Aufstörend. Endlich tagte seiner Flucht
Das Morgenroth, und überhauchte ihm
Mit seinen Lebensgluthen wie zum Hohn
Die todesbleiche Wange. Fürbaß schritt er,
Bis er von Petra's steiler Höhe fern,
Gleich einer Wolke tief am Himmelsrand,
Den riesigen Aornos ragen sah.
Durch Balkh, und wo der Partherkönige
Verlass'ne Gräber ihren Trümmerstaub
In alle Winde streuen, schritt er vorwärts,
Die Stunden trüb vergeudend Tag um Tag,
In seiner Brust den tiefen Kummer tragend,
Der ewig fraß an seines Lebens Gluth.
Sein Leib war hager jetzt, sein flatternd Haar,
Gedörrt vom Herbste wundersamen Leids,
Pfiff Klagelieder in dem Sturm; die Hand
Hing schlaff und knochig in der welken Haut;
Nur in den dunklen Augen brannte noch
Das Leben und die Gluth, die es verzehrte,
Wie heimlich Feuer in dem Ofen glimmt.
Der Landmann, der mit menschlich milder Hand
Ihm Nahrung reichte, sah den flücht'gen Gast
Erstaunt voll Grausen an. Der Bergeshirt,
Der die gespenstige Erscheinung traf
An schwindelndem Abgrund, wähnte, daß der Geist
Des Sturms mit jachem Odem, Blitzesaugen
Und Füßen, die im aufgethürmten Schnee
Spurlos dahingeeilt, vom Laufe ruhte.
Das Kind barg ängstlich in der Mutter Kleid
Sein Antlitz, von der Augen Gluth erschreckt,
Und sah ihr wunderbares Leuchten oft
In Träumen spätrer Zeit. Doch junge Mädchen,
Von der Natur belehrt, verstanden halb
Das Weh, das ihn verzehrte, nannten ihn
Mit falschen Namen Freund und Bruder, drückten
Beim Scheiden ihm die marmorblasse Hand,
Und schauten feuchten Augs hinab den Pfad,
Auf dem er ihres Vaters Thür verließ.
Am öden Strand Chorasmiens, wo sich trüb
Die Wüste faulender Moräste dehnt,
Hemmt' endlich er den Schritt. Zum Meeresufer
Trieb's ihn gewaltig hin. Dort weilt' ein Schwan
Im hohen Schilfe eines trägen Stroms.
Er schwang sich auf, als sich der Dichter nahte,
Und stieg mit starken Schwingen himmelan,
Hoch übers unermeßlich weite Meer
Sein Glanzgefieder tragend. Jener folgte
Mit seinem Blick des Vogels Flug, und sprach:
»O schöner Vogel, du hast eine Heimat!
Du fliegst zum Neste hin, wo dein Gespons
Den Weichen Silberhals um deinen schmiegt,
Und bei der Heimkehr dich mit Augen grüßt,
Die zärtlich von der Lust Entzücken strahlen.
Und was bin ich, daß ich hier weilen sollte,
Mit einer Stimme, die noch süßer ist
Als dein hinsterbend Lied, mit größrem Geist,
Mit schönerer Gestalt als du begabt,
Um an die taube Luft, die blinde Erde,
Und an den Himmel, der kein Echo hat
Für meine Gluthgedanken, zu vergeuden
So überlegne Kraft?« – Ein düstres Lächeln
Verzweiflungsvoller Hoffnung zitterte
Um seinen Mund. Er wußte, daß der Schlaf
Erbarmungslos das theure Bild umschloß;
Und selbst der stumme Tod, der, ach! vielleicht
So treulos wie der Schlummer, lockte ihn
Nur schattenhaft, mit doppelsinnigem Lächeln
Verspottend seiner eignen Wunder Reiz.
Erschreckt von seinen brütenden Gedanken,
Späht' er umher. Kein schöner Dämon war
Ringsum zu sehn, kein grausenvoller Anblick,
Kein Mißton rings, als in der eignen Brust.
Da plötzlich sah sein unstät suchend Auge
Ein kleines Boot, das nah dem Ufer schwamm.
Längst war's verlassen, denn die Planken klafften
Von manchem Riß, und bei der Fluth Gewog
Erbebte sein gebrechlich morscher Kiel.
Ein ruheloser Trieb drängt' ihn, dem Kahn
Sich zu vertraun, und auf der öden Wüste
Des Oceans einsamen Tod zu suchen;
Denn jener mächt'ge Schatten, wußt' er, liebt
Der schlammigen Tiefe vielbevölkert Haus.
Der Tag war schön und sonnig; Meer und Himmel
Erglomm in seinen Strahlen, und vom Ufer,
Die Wellen schwärzend, heftig blies der Wind.
Der Sehnsucht seines Herzens folgend, sprang
Ins Boot der Wandrer, spreitete den Mantel
Hoch aus am kahlen Mast, und setzte sich
Auf seinen einsam stillen Platz, und fühlte,
Wie, gleich der Wolke, vom Orkan gejagt,
Der Nachen übers ruhige Wasser schoß.
Sowie ein Kahn in Silberträumen fliegt,
Von duftiger Winde Hauch dahingeführt
Durch glänzendes Gewölk, so rasch durchglitt
Das Boot die dunkle, schaumgekrönte Fluth.
Ein Sturmwind trieb es fort mit jäher Macht
Und ungestümen Stößen durch die Brandung
Des weißbehelmten, zornig wilden Meers.
Und hoch und höher sträubten ihren Kamm
Die Wellen unterm Geißelhieb des Sturmes,
Sowie die Schlange, die der Aar umkrallt.
Doch ruhig heiter in dem grausen Kampfe,
Wo Well' auf Welle prallt, und Sturm auf Sturm
Herniedertobt, und wo die schwarze Fluth
Sich in des Strudels dunklen Abgrund stürzt,
Saß der Poet, das Steuer fest umklammernd,
Als sollten ihn der Tiefe Geister leiten
Zu jener heißgeliebten Augen Licht.
Der Abend kam; die Purpurstrahlen färbten
Mit Regenbogenglanz den sprühnden Gischt,
Der sich ob seinem Meerespfade hoch,
Bald hier, bald dort, zu einem Schaumdach wölbte.
Langsam dem Ost enthob die Dämmrung sich,
Mit ihrer Locken dunklerm Kranz umschattend
Des Tages heitre Stirn und Strahlenaugen.
Dann kam die Nacht in ihrem Sternenkleid.
Von allen Seiten stürmten schrecklicher
Der bergigen Meereswildniß tausend Ströme
Zum Krieg herbei, in wildem Aufruhr donnernd.
Als höhnten sie des Sternenhimmels Ruh'.
Das kleine Boot flog vor dem Sturm dahin,
Flog immer, immer noch dahin, wie Schaum
Des Winterstromes jähen Fall hinabschießt;
Jetzt weilt es auf dem Rand zerschellter Woge,
Und jetzt weit hinter ihm zerbirst der Schwall,
Ob dessen Sturz der Ocean erbebt.
So sicher trieb es weiter seinen Pfad,
Als ob die welke menschliche Gestalt
An seinem Bord ein Gott der Elemente
Gewesen sei.
Um Mitternacht ging auf
Der Mond, und sieh! die himmelhohen Felsen
Des Kaukasus, deß eisbedeckter Grat
Wie Sonnenlicht inmitten Sternen glänzt,
Um deß zerklüfteten Fuß in ew'gem Kampf
Die Strudel und die Wellen rastlos toben,
Sind nah dem Blick. – Wer wird ihn retten, wer? –
Fort schießt das Boot, von siedender Fluth gejagt, –
Der Klippen schwarze Zackenarme strecken
Sich nach ihm aus, zerborsten hängt der Berg,
Der unheildräunde, übers Meer hinab,
Und schneller, immer schneller fliegt das Boot,
Mit übermenschlicher Gewalt, am Abhang
Der flücht'gen Welle, die es trägt, dahin.
Dort gähnte eine Höhlung, und verschlang
In ihrer Schlüfte Windungen das Meer.
Unaufgehalten weiter schoß das Boot.
»Traumbild und Liebe!« rief der Dichter laut,
»Ich sah den Pfad, auf dem du mir entflohst.
Nicht lange mehr soll Schlaf und Tod uns trennen!«
Der Nachen trieb hinab der Höhle Windung.
Das Tageslicht schien endlich auf die Fluth
Des finstern Stroms; und wo der tollste Kampf
Der Wogen ruht, schwamm langsam jetzt das Boot
Auf unergründlich tiefem Fluß dahin.
Wo der zerspaltne Berg die schwarzen Schluchten
Dem Licht des azurblauen Himmels bot,
Bevor der ungeheure Wasserschwall
Zum Grund des Kaukasus hinunterschoß
Mit einem Donnertone, der die Felsen,
Die ewigen, erschütterte, da füllte
Die Fluth mit Einem Wirbelsturz den Schlund;
In unermeßlich schnellen Kreisen stieg
Die Springfluth Stuf' auf Stufe, und zerbarst
Im Wechselanprall an den knorrigen Wurzeln
Gewalt'ger Bäume, die die Riesenarme
Ausstreckten über ihr in Finsterniß.
Inmitten stand ein sumpfig schwarzer Teich
In fürchterlicher, trügerischer Ruh',
Der jed' Gewölk verzerrend spiegelte.
Ergriffen von des steigenden Strudels Schwung,
Dreht sich, und dreht, und dreht mit Schwindelhast
Von Zackenring zu Ring empor das Boot,
Bis an der äußersten Windung jähem Rand,
Wo, sich durch einen Felsenspalt ergießend,
Die Wasser überströmen, und inmitten
Des Wogenkampfs ein glatter Spiegel blieb,
Der Nachen schaudernd schwebte. Wird er stürzen
Hinunter in den Abgrund? Wird die Fluth
Des Widerstroms ihn in den Schlund verschlingen?
Wird er versinken jetzt? Ein leiser Hauch
Des Westwinds schwellt sein ausgespanntes Segel,
Und sieh! auf sanftbewegtem Strome gleitet
Er zwischen moosbegrünten Ufern hin,
Von einem Haindach überwölbt; und horch!
Des grausen Strudels fernes Brüllen mischt
Dem Säuseln sich des tönereichen Hains.
Wo das umschattende Gebüsch zurückweicht,
Und eine kleine grüne Matte läßt,
Schließt sich die Bucht, von Ufern eingeengt.
An deren Rande goldne Blumen stets
Im ruhigen Krystall der klaren Fluth
Die niederwärts gesenkten Augen spiegeln.
Der Wellenschlag des Bootes störte sie
Im sinnenden Geschäfte, das bis heut
Des irren Vogels Flug, des Windes Kosen,
Des Schilfrohrs Fallen und ihr eigenes
Verwelken einzig noch gestört. Den Dichter
Ergriff das Sehnen, sein verdorrtes Haar
Mit ihres Farbenglanzes Pracht zu schmücken;
Doch in sein Herz kam Einsamkeit zurück,
Und er entschlug des Wunsches sich. Noch hatte
Der starke Trieb, der in der Wangen Gluth,
Dem trüb gesenkten Blick, dem siechen Leib
Verborgen glimmte, nicht sein Amt erfüllt;
Und hing ob seinem Leben, wie der Blitz
Aufleuchtet im Gewölk, eh' sich's entladet,
Und eh' die Fluth der Nacht sich um ihn schließt.
Die Mittagssonne schien jetzt auf den Wald,
Ein riesig Schattenmeer, deß braune Pracht
Den Thalgrund einer engen Schlucht umgürtet.
Dort spotten mächt'ge Höhlen, eingehaun
Dem dunklen Fuß der himmelhohen Felsen,
Des Waldes Klageton im Widerhall.
Das dichtverschlungne Laubwerk und Gezweig
Wob Dämmrung um des Dichters Pfad, als er,
Von Liebe, Traum, Gott oder mächt'germ Tod
Gelenkt, im Herzen der Natur die Ruhstatt
Sich suchte, ihre Wiege und sein Grab.
Dunkler und dunkler breiten sich die Schatten.
Mit knorrigem Riesenarm umschlingt die Eiche
Der Buche helles Laub. Die Pyramiden
Der schlanken Ceder bilden, hochgewölbt,
Erhabne Kuppeln, unter denen tief,
Wie Wolken am smaragdnen Himmelszelt,
Der Esche und Akazie Blätter bleich
Und zitternd hangen. Bunten Schlangen gleich,
In Irispracht und Feuerfarben schillernd,
Umklammert Schlinggewächs, mit tausend Blüthen
Besternt, der Bäume graue Stämme rings;
Und wie der Kinderaugen heitrer Strahl
Mit sanftem Sinn und unschuldsvollster List
Die Herzen der Geliebten hold umflicht,
So rankt es sich um die vermählten Zweige,
Noch mehr befest'gend ihren Bund. Das Laub
Webt aus des Tages dunkelblauem Licht
Und aus der Mittagshelligkeit der Nacht
Ein vielverschlungnes Netz, so wandelbar
Wie zauberhafter Wolken Truggebilde.
Im Schatten dieser Baldachine dehnt
Sich schwellender Matten sammetweiches Moos,
Von würz'gen Kräutern duftend, und erhellt
Von tausend lieben kleinen Blüthenaugen.
Die schwärzeste Schlucht entsandt' aus ihren Büschen
Von Bisamrosen, mit Jasmin verzweigt,
Ein seelbetäubend Düften, das den Wandrer
Einlud zu holderem Geheimniß noch.
Dämmrung und Schweigen halten hier im Thal,
Wie Zwillingsschwestern, ihre Mittagswacht,
Und schweben unterm Schattendach dahin,
Gleich Dunstgestalten, flüchtig nur erblickt.
Dahinter rauscht ein blinkend schwarzer Quell
Von tiefkrystallner Fluth, und spiegelt ab
Das dichtverwobene Gezweige droben,
Und jedes hängende Blatt, und jeden Fleck
Des blauen Himmels zwischen ihrem Dach;
Und Nichts verwischt das Bild im Wasserspiegel,
Als eines Sternes Flimmern, der das Gitter
Des Laubes hin und wieder hell durchblitzt,
Ein bunter Vogel, der im Mondlicht ruht,
Ein prächtiges Insekt, das lautlos fliegt,
Und noch den Tag nicht kennt, eh' seine Schwingen
Dem Aug' des Mittags ihre Pracht gezeigt.
Der Dichter kam hieher. Im dunklen Grund
Der stillen Quelle sah er abgespiegelt
Durchs wirre Haar der Augen bleiches Licht;
Sowie das Menschenherz, das sich im Traum
Hinwegschwingt übers dunkle Thor des Grabes,
Sein eigen trügrisch Bildniß dort erblickt.
Er hört der Blätter und des Grases Rauschen,
Das eines ungewohnten Wesens Nähe
Erschreckt zu künden scheint, und hört das Plätschern
Des holden Bachs, der jenem Quell entströmt.
Ein Geist schien neben ihm zu stehn, gehüllt
In kein Gewand von Silber oder Licht,
Aus Allem, was die Erd' an Majestät,
Geheimniß oder Anmuth beut, gewebt; –
Im Waldesrauschen nur, im stummen Quell,
Im Bachgeplauder und im Abenddämmern,
Das tiefre Schatten jetzt entsandte, redend,
Hielt Zwiesprach er mit ihm, als wären sie
Die einz'gen Wesen in der weiten Schöpfung.
Nur, wenn sein Blick tief sinnend sich erhob,
So glänzten seines Brütens düstrem Schaun
Zwei Sternenaugen, die mit heiterem,
Azurnem Lächeln ihm zu winken schienen.
Dem Licht gehorsam, das in seiner Seele
Erglomm, folgt' er den Windungen des Thals.
Muthwillig floß und wild der kleine Bach
Durch manche grüne Schlucht im Waldesschatten.
Zuweilen murmelte er feierlich
Und ernst mit dumpfer Melodie durchs Moos;
Dann tanzt' er über glatte Kiesel hin,
Im Springen lachend, frohen Kindern gleich;
Dann wieder schlich er ruhig durchs Gefild,
Jedwedes Kraut und jede Blume spiegelnd,
Die über seinem stillen Spiegel hing.
»O Bach, deß Quell so unermeßlich tief,
Wohin fließt dein geheimnißvoller Strom?
Du bist ein Abbild meines Lebens mir.
Die dunkle Ruh', der Wellen blinkend Spiel,
Die hohlen Schlünde, die du birgst, dein Lauf,
So unsichtbar, dein unerforschter Quell,
Sie alle gleichen mir; und sicher mag
Das unermess'ne Meer, der weite Himmel
So leicht mir sagen, welche schlammige Höhle,
Welch flücht'ge Wolke dein Gewässer hegt,
Als mir das Weltall Kunde geben kann,
Wo diese lebenden Gedanken einst
Verweilen werden, wenn, auf deinen Blumen
Gebettet, mein vermoderndes Gebein
Im Hauch des Windes bleicht!«
Er wanderte
Am grasigen Uferhang des kleinen Baches;
Ins grüne Moos eindrückt' er seinen Fuß,
Der von des Fiebers Gluth erzitterte.
Gleich einem Kranken, der in Wahnsinnslust
Vom Fieberlager aufspringt, eilt' er fort;
Doch nicht, gleich ihm, der finstern Gruft vergessend,
In die er niedersteigen muß, sobald
Des matten Taumels Flamme sich verzehrt.
Mit raschen Schritten in der Bäume Schatten
Geht er des Murmelbaches Lauf entlang;
Und jetzt vertauscht den ernsten Waldesdom
Er mit dem lichten Glanz des Abendhimmels.
Aus dürrem Moose lugte grau Gestein,
Und hemmte des empörten Baches Wellen;
Den rauhen Abhang überschatteten
Des feinen Schachtelhalmes schlanke Stengel,
Und knorrige Wurzeln alter Fichten nur,
Zweiglos und blitzversehrt, umklammerten
Den harten Boden. Ein allmählicher,
Doch grausenhafter Wechsel! Denn, wie schnell
Die Jahre fliehn, die glatte Stirn sich runzelt,
Das braune Haar erbleicht, und gläsern starr
Die einst thauglänzenden Augensterne funkeln:
So wich der Blumen Pracht, der kühle Schatten
Des grünen Hains, mit seinem holden Duft
Und süßen Schalle, hinter ihm zurück.
Doch ruhig folgte er dem Strom, der jetzt
Mit stärker Fluth des Thales Labyrinth
Durchrollte, und mit winterlicher Hast
Die Bahn sich grub in kühngeschwungnen Krümmen.
Ringsum jetzt thürmten Felsen sich empor,
Seltsam geformt, die ihre schwarzen Zinnen
Im Abendlicht erhoben, und ihr Grat,
Des Gießbachs Bett verfinsternd, zeigte droben,
Inmitten wankend morschen Steingerölls,
Vielrissige Klüfte, schwarze Höhlenrachen,
Aus deren Windungen des Stromes Brausen
In tausendfachem Echo wiederscholl.
Sieh! wo der Engpaß gähnend weit sich dehnt,
Stürzt schroff hinab der Berg, und scheint die Welt
Mit seiner Klippen Kamm zu überhängen;
Denn unten breiten sich, vom falben Mond
Und von der bleichen Sterne Glanz beschienen,
Gewalt'ge Ströme, inselreiche Seen,
Lichtblaue Berge, dämmernde Gefilde,
Gehüllt ins bleiern matte Abenddunkel,
Und an des fernen Horizontes Saum
Die purpurglühnden Hügel, deren Leuchten
Sich mit dem Zwielicht mischt. Der Vordergrund
Erhob in nackter, strenger Einfachheit
Sich als ein Widerspiel der weiten Welt.
Ein Fichtenbaum, im Fels gewurzelt, streckte
Die schwanken Aeste übern Abgrund hin,
Bei jedem Windesstoß eintönig ächzend,
In jeder Sturmespause klagevoll
Sein feierliches Lied mit dem Geheul,
Gezisch und Donnern heimatloser Ströme
Verbindend, während jäh der breite Fluß
Schäumend den rauhen Pfad hinuntereilt,
Und in die unermess'ne Tiefe stürzt,
Im flücht'gen Winde seine Fluth verstäubend.
Allein die graue Schlucht, der Fichtenbaum
Und wilde Bergstrom waren Alles nicht: –
Ein stiller Winkel war noch dort. Am Saume
Der steilen Höh', begrenzt von knorrigen Wurzeln
Und losgebröckelten Felsenquadern, sah
Er heiter auf die finstre Welt hinab,
Und heiter zu dem Sterngewölb empor.
Es war ein ruhig Plätzchen, das im Schooß
Des Grausens selbst zu lächeln schien. Der Epheu
Umschloß mit rankenden Armen das Gestein,
Und zierte mit dem immergrünen Laub
Und dunkler Beeren Glanz den glatten Estrich
Des jungfräulichen Grunds, und hieher trug
Des Herbstwinds wilde Brut in neckischem Spiel
Die lichten Blätter, deren welkes Laub,
In rother, gelber oder bleicher Pracht,
Sich mit dem Stolz des Sommers messen darf.
Hier weilt jedweder sanfte Wind, deß Hauch
Die Wildniß Ruhe lieben lehren kann.
Ein Schritt, ein einz'ger Menschenschritt hat je
Die Stille seiner Einsamkeit betreten, –
Und Eine Stimme seinen Wiederhall
Allein geweckt; – die Stimme, die hieher kam,
Sich wiegend auf der Winde Fittigen,
Und die das schönste Menschenbild verlockt,
In dieser öden Wildniß zu bestatten
Der hehren Glieder Pracht und Lieblichkeit,
Zu opfern den erhabnen Stolz, sein Lied
Dem fühllos rauhen Sturme zu vertraun,
Und in dem feuchten Laub und Höhlenschutt,
Draus Moosgeflecht und bunte Blumen keimen,
Der Wangen Farbenspiel, die schneeige Brust,
Der dunklen Augen müden Blick zu bergen.
Die bleiche Mondessichel schwebte tief
Am Saum des Horizonts, und goß ein Glanzmeer
Ueber die fernen Berge. Fahler Nebel
Erfüllte weit die unbegrenzte Luft,
Und sättigte sich in dem Mondenlicht.
Kein Stern erglomm, es regte sich kein Laut,
An jenem Abgrund schliefen selbst die Stürme,
Die grimmigen Gespielen der Gefahr,
In seinem Arm gewiegt. – O Sturm des Todes,
Deß unsichtbare Hast die Nacht durchbraust!
Und du, gigantisches Geripp, das du,
In deiner allverheerenden Gewalt
Seit je ihr unentrinnbar Schicksal leitend,
Der König dieser schwachen Erde bist:
Vom Blutgefild der Schlacht, vom Krankenhaus,
Dem pestumqualmten, von dem heil'gen Lager
Des Patrioten, von dem schneeigen Pfühl
Der Unschuld, vom Schafott und Throne ruft
Dich eine mächt'ge Stimme. Die Vernichtung
Ruft ihren Bruder Tod. Mit Mordbegier
Die Welt durchstreifend, hat er eine seltne
Und königliche Beute dir bereitet;
Von ihr gesättigt, raste nun, und laß,
Wie Blumen oder kriechendes Gewürm,
Die Menschen still ins Grab hinuntergehn,
Und länger nicht gebrochner Herzen Zoll
An deinem Altar unbeachtet spenden!
Als in das Thor der grünen Einsamkeit
Der Wandrer eintrat, wußt' er, daß der Tod
Ob seinem Haupte schwebe. Doch bevor
Sein hoher, heil'ger Geist entfloh, verweilte
Er bei den Bildern der Vergangenheit,
Die seine stille Seele hehr umwebten,
Dem Flüstern tönereicher Winde gleich,
Das hinwallt durch ein dämmerndes Gemach.
Dort auf der alten Fichte rauhen Stamm
Stützt' er die bleiche, abgezehrte Hand;
Sein müdes Haupt lehnt' er auf einen Stein,
Mit Epheu überwachsen; seine Glieder,
In regungsloser Todesschlaffheit, ruhten
Am sanften Abhang jener finstern Schlucht.
So lag er dort, und ließ gemessnen Flugs
Der Lebenskräfte letzten Puls entströmen.
Die Quäler Hoffnung und Verzweiflung schliefen;
Es störten seine Ruhe weder Furcht,
Noch ird'sche Pein. Nur was die Sinne schauten,
Und was sein schmerzenloses Sein empfand,
Das schwächer jetzt und schwächer still verrann.
Gab Nahrung seines Denkens ruhigem Strom,
Bis er nur leis und lächelnd athmete.
Sein letzter Blick fiel auf den mächt'gen Mond,
Deß breite Sichel an dem Westrand schwamm
Der weiten Welt, und ihre falben Strahlen
Verwebte mit der Dunkelheit der Nacht.
Jetzt ruht auf den gezackten Hügeln sie,
Und als das prächt'ge Meteor versank,
Rann matt und matter auch das Blut des Dichters,
Das mit der Fluth und Ebbe der Natur
In mystisch tiefem Einklang immer floß.
Und als zwei kleine Fünkchen nur des Lichts
Noch durch das Dunkel glänzten, tönte kaum
Sein leises Athmen durch die stille Nacht.
Bis auch der letzte Strahl erloschen war,
Erbebte seines Herzens Pulsschlag noch.
Jetzt stockt er – zuckend regt er jetzt sich wieder.
Doch als in schwarzer Nacht der Himmel thronte,
Umhüllten die geheimnißvollen Schatten
Ein Menschenbild, still, kalt und regungslos,
Der leeren Luft und stummen Erde gleich.
Wie jener Nebel, den die goldnen Strahlen
Der Sonne färbten, eh' des Abends Hauch
Zum finstern Bahrtuch ihn verdunkelte,
War jetzt die herrliche Gestalt zu schaun –
Bewegungslos, gefühllos und entgöttert, –
Ein schwaches Saitenspiel, durch dessen Saiten
Des Himmels leiser Wind melodisch strich, –
Ein schöner Strom, den tausendstimmig rauschend
Die Wellen einst genährt, – ein Jugendtraum,
Den Nacht und Zeit für immer ausgelöscht,
Todt, düster, schweigend und vergessen jetzt.
O, wär' Medea's Zaubertrank zur Stelle,
Der, wo ein Tropfen nur zur Erde fiel,
Der schönsten Blumen Flor entkeimen ließ,
Und aus dem blätterlosen Winterzweig
Der Frühlingsblüthen frischen Duft entlockte!
O, lieh' uns Gott, in Giften so verschwendrisch,
Den Kelch, den nur Ein Sterblicher geleert,
Der jetzt, des ew'gen Zorns Gefäß, ein Sklave,
Nicht stolz ist auf den grausen Fluch, den er
Alleine trägt, der ew'ge Weltenwandrer,
Einsam, dem Todesdämon gleich! O, wär'
Des Magiers Traum in seiner Zauberhöhle,
Wenn er mit todeskrampfigen Händen noch
Des Tiegels Aschenrest nach Macht und Leben
Mit finsterm Blick durchwühlt, das einzig wahre
Gesetz, das diese holde Welt regiert!
Doch du entschwandest wie ein Nebelflor,
Gekleidet in der Morgenröthe Strahlen, –
Ach, du entflohst, du Edler, Milder, Schöner,
Des Genius und der Anmuth hehrer Sohn!
Herzloses viel geschieht in dieser Welt,
Viel' Würmer, Thiere, Menschen leben fort,
Und rings von Meer und Berg, aus Stadt und Wildniß
Erhebt die mächt'ge Erde feierlich
In stiller Vesper oder Jubelpsalmen
Noch ihre Stimme – aber du entflohst!
Du kennst nicht mehr und liebst nicht mehr die Bilder
Der bunten Scene, welche deinem Wink
So gern gehorchten und nun bleiben, ach!
Wo du geschieden bist. – Den bleichen Lippen,
In ihrem Schweigen noch so hold; den Augen,
Des Schlummers Bild im Tode; der Gestalt,
Die noch der Wurm nicht zu verletzen wagt,
Fließ' keine Thräne, – selbst nicht in Gedanken!
Auch wenn die Farben schwanden, und die Züge,
Die göttlichen, vom Wind verheert, nur noch
In dieses schlichten Liedes Rhythmen leben,
Laßt keiner hohen Verse Pracht, beklagend
Das Angedenken Dessen, was da schied,
Laßt keines Bildwerks und Gemäldes Schmerz
In kalter Ohnmacht ihre Kraft verschwenden.
Denn Kunst, Beredsamkeit und aller Prunk
Der Welt sind schwach und nichtig, den Verlust,
Der ihren Glanz verdunkelt, zu beweinen.
Ein Schmerz, »zu tief für Thränen«, ist's, wenn Alles
Auf einmal jäh hinweggerissen wird,
Wenn ein gewalt'ger Geist, der rings die Welt
Mit seinem Licht bestrahlte, den Verwaisten
Nicht Seufzer, Klagen und den wilden Aufruhr
Der sehnsuchtsvollen Hoffnung gönnt als Trost, –
Blasse Verzweiflung nur und kalte Ruhe,
Den großen weiten Rahmen der Natur,
Der Menschendinge räthselvoll Gewebe,
Geburt und Grab, die nicht sind, was sie waren.