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2. Brief

An Frau Saville, London

Archangel, 28. März 18..

Wie langsam hier doch die Zeit vergeht, mitten in Eis und Schnee! Der zweite Schritt zur Ausführung meines Planes ist getan. Ich habe ein Schiff gemietet und bin daran, meine Matrosen zu heuern. Die, welche ich schon angeworben habe, scheinen mir Leute zu sein, auf die man sich verlassen kann und die unbegrenzten Mut besitzen.

Aber etwas fehlt mir, Margarete, ein Freund. Wenn ich von dem Enthusiasmus meiner Erfolge glühe, dann habe ich keinen Menschen, mit dem ich meine Freude teilen kann; und habe ich Mißerfolge, dann ist niemand da, der mir zuspricht und mich wieder aufmuntert. Ich werde meine Gedanken dem Papier anvertrauen, das ist wenigstens etwas; aber immerhin ist es doch ein armseliges Mittel zur Aufnahme unserer Gefühle. Ich bedürfte eines Mannes, einer gleichfühlenden Seele. Du wirst mich vielleicht sentimental schelten, aber ich kann nichts dafür, ich brauche einen Freund. Ich habe niemand um mich, der, zugleich vornehm und mutig, gebildet und verständig, von denselben Neigungen wie ich, imstande wäre, meinen Plänen zuzustimmen oder davon abzuraten. Welch guten Einfluß könnte ein solcher Freund auf Deinen armen Bruder haben! Ich bin zu unüberlegt und verliere bei Schwierigkeiten zu rasch die Geduld.

Was helfen aber alle Klagen? Auf dem weiten Ozean werde ich ebensowenig einen Freund finden wie hier in Archangel mitten unter Kaufleuten und Seefahrern. Nicht als ob ich sagen möchte, daß diese rauhen Naturen ohne jegliches menschliche Fühlen wären. Mein Leutnant zum Beispiel ist ein Mensch von außerordentlichem Mut und unvergleichlicher Tatkraft, geradezu begierig nach Ruhm. Oder wenn ich mich deutlicher ausdrücken muß, begierig, in seinem Beruf Hervorragendes zu leisten. Er ist Engländer und hat sich mitten in seinem Berufe, fern von aller Kultur, einige feine menschliche Regungen zu bewahren gewußt. Ich lernte ihn zuerst an Bord eines Walfischfängers kennen. Da er hier in Archangel keine geeignete Beschäftigung zu haben schien, war es mir ein leichtes, ihn für mich zu gewinnen.

Der Maat ist ein Mann von vorzüglichen Anlagen und auf dem Schiffe beliebt wegen seiner Milde und der vornehmen Behandlung der Mannschaft. Dieser Umstand, verbunden mit seiner untadeligen Ehrlichkeit und seinem rücksichtslosen Mut, brachten mich zu dem Entschluß, den Mann anzuwerben. Meine einsam verbrachte Jugend, der Einfluß, den Du in meinen späteren Jahren auf mich geübt, haben mein Gemüt derart verfeinert, daß mir der übliche rohe Ton an Bord ein Greuel ist; ich habe ihn von jeher für unnötig gehalten. Es ist daher sehr begreiflich, daß ich mich der Dienste eines Mannes versicherte, der zugleich wegen seiner Herzensgüte als auch wegen des großen Einflusses auf seine Untergebenen bekannt war.

Meine Gefühle kann ich Dir nicht beschreiben, die mich beseelen, jetzt, wo ich so nahe der Erfüllung meiner Träume bin. Es ist unmöglich, Dir auch nur annähernd die Empfindungen zu schildern, die alle meine Reisevorbereitungen begleiten. Ich bin im Begriff, unerforschte Landstriche zu betreten, die Heimat des Nebels und des Schnees; aber ich werde nicht nach Albatrossen jagen, deshalb sei um meine Sicherheit nicht besorgt.

Werde ich Dich erst wiedersehen, wenn ich nach langer Fahrt durch ungeheure Ozeanweiten einmal an der Südspitze von Afrika oder Amerika herauskomme? Solche Erfolge darf ich ja gar nicht erwarten; aber ich bringe es jetzt nicht über das Herz, die Kehrseite der Medaille zu betrachten. Schreibe mir jedenfalls so oft als es Dir möglich ist, vielleicht erreichen mich Deine Briefe gerade dann, wenn ich ihrer am notwendigsten bedarf. Ich habe Dich herzlich lieb. Denke auch Du meiner in Liebe, wenn es sich treffen sollte, daß wir uns nimmer sehen. Stets Dein getreuer Bruder

Robert Walton.


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