William Shakespeare
Das Leben und der Tod des Königs Lear
William Shakespeare

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Vierter Aufzug.

Erster Auftritt.

Ein freyes Feld.

Edgar tritt auf
Immer besser so, und wissen daß man verachtet wird, als immer verachtet und geschmeichelt werden. Das ärmste, niedrigste, verworrenste Geschöpf lebt immer in Hoffnung, und hat nichts zu befürchten. Klägliche Veränderungen treffen nur die Glüklichsten. Wer nichts verliehren kan, kan immer lachen. Willkommen dann, du unkörperliche Luft, der Unglükliche, den du unter den Elendesten hinunter geweht hast, ist deinen Stürmen nichts mehr schuldig.

Gloster tritt auf, von einem alten Manne geführt.

Aber wer kommt hier? Mein Vater, von einem fremden Manne geführt? – – Welt, Welt, o Welt! – – Und doch, wenn deine seltsamen Abwechslungen dich nicht verhaßt machten, wo ist der Greiß welcher sterben wollte?

Der alte Mann. O mein guter Lord, ich bin euer Pachter und euers Vaters Pachter gewesen, diese achzig Jahre.

Gloster. Gehe, gehe deinen Weg, guter Freund, geh, dein Beystand kan mir nichts nüzen, und dir könnt' er schädlich seyn.

Der Alte. Ihr könnt ja euern Weg nicht sehen.

Gloster. Ich habe keinen Weg, und bedarf also keiner Augen; ich strauchelte, da ich noch sah. Wie wahr ist es, was uns die Erfahrung so oft lehrt, unsre Mittelmässigkeit ist unsre Sicherheit, und selbst was wir entbehren, beweißt, daß wir es nicht nöthig haben – – O theurer Sohn Edgar, unglüklicher Gegenstand des Zorns deines betrogenen Vaters, möcht ich nur leben dich in meinen Armen zu fühlen, dann wollt' ich sagen, ich habe wieder Augen.

Der Alte. Wie? wer ist der?

Edgar. Ihr Götter, wer kan sagen, ich bin der Elendeste? Ich bin elender als ich jemals war.

Der Alte. Es ist der arme tolle Tom.

Edgar. Und doch kan ich noch elender werden; das Aergste ist noch nicht, so lang man noch sagen kan, das ist das Aergste.

Der Alte. Guter Freund, wo gehst du hin?

Gloster. Ist es ein Bettelmann?

Der Alte. Ein Thor und ein Bettler zugleich.

Gloster. Er hat noch einige Vernunft, sonst könnt' er nicht betteln. In dem Sturm der lezten Nacht sah ich einen solchen Burschen, der mich denken machte, der Mensch sey ein Wurm. Mein Sohn kam mir dabey in den Sinn; und doch war er damals fern von meinem Herzen. Seitdem hab ich mehr gehört. Was Fliegen für muthwillige Knaben sind, sind wir den Göttern; sie tödten uns zu ihrem Zeitvertreib.

Edgar. Gott helf dir, Meister.

Gloster. Ist das der nakende Bursche?

Der Alte. Ja, Mylord.

Gloster. Geh doch, oder wenn du mir zu lieb eine Meile oder zwoo uns nach Dover zuvorlauffen willt, so thu es um der alten Liebe willen, und bring etwas Kleidung für diese nakte Seele, die ich bitten will, mich zu führen.

Der Alte. Ach, Mylord, es ist wahnwizig.

Gloster. Das ist eine böse Zeit, wenn Wahnwizige die Blinden führen; thu was ich dir gesagt habe, oder vielmehr thu was du willst; alles überlegt, geh deinen Weg.

Der Alte. Ich will ihm den besten Anzug bringen, den ich habe; werde daraus was will.

(Geht ab.)

Gloster. Hieher, nakter Bursche.

Edgar. Der arme Tom friert, ich kan es nicht länger verheelen.

Gloster. Komm hieher, Bursche.

Edgar. Und doch muß ich; Gott behüte deine lieben Augen, sie bluten.

Gloster. Kennst du den Weg nach Dover?

Edgar. Gatter und Zäune, Postweg und Fußsteg: Der arme Tom ist um seine guten Sinnen gekommen. Gott behüte dich vor dem bösen Feind, alter Mann. Fünf Feinde sind auf einmal in dem armen Tom gewesen; Obidicut, der Hureteufel, Hobbididen, der Fürst der Taubheit; Mahu, des Stehlens, Mohu, des Mordens, und Flibbertigibbet, der Grimassen-Teufel, der seither die Kammer-Jungfern und Stuben-Mädchen besizt.Shakespear läßt den Edgar in seinen phantastischen Reden öfters auf eine niederträchtige Betrügerey etlicher Englischen Jesuiten zielen, die um selbige Zeit in Gesellschaften Stoff zur Unterredung gab, weil eben damals eine von dem nachmaligen Erzbischof von York Dr. Harsenet mit grosser Kunst und Stärke geschriebene Geschichte derselben zum Vorschein kam, unter dem Titel: Entdekung merkwürdiger Papistischer Betrügereyen, um Ihrer Majestät Unterthanen von ihrer Pflicht abzuziehen u.s.w. unter dem Vorwand Teufel auszutreiben, gespielt von Edmunds sonst Weston genannt, einem Jesuiten, und verschiedenen Römischen Priestern, seinen boshaften Gesellen. 1603. Diese Jesuitische Comödie wurde zur Zeit der berühmten Spanischen Armada gegen England gespielt, und hatte zur Absicht, zu Beförderung des Spanischen Vorhabens, Proselyten unter dem Pöbel zu machen. Die vornehmste Scene war in der Familie eines Hrn. Edmund Pekham, eines Catholiken, wo Marwood, ein Bedienter von Hrn. Anton Babington, Trayford, ein Bedienter des Hrn. Pekham und drey Kammer-Mädchen in diesem Hause für besessen ausgegeben, und von gedachten Priestern in die Cur genommen wurden. Die fünf barbarischen Teufel, von denen Edgar spricht, sind eben die, von denen ermeldte fünf dienstbare Personen besessen seyn sollten.

Gloster. Hier, nimm diesen Beutel, du den des Himmels Plagen allen Streichen des Unglüks ausgesezt haben. Daß ich elend bin, macht dich glüklicher. Theilet immer so, ihr Götter; Laßt den reichen, von Ueberfluß und Wollust berauschten Mann, der euern Schiksalen Troz bietet, und das Elend seiner Nebengeschöpfe nicht sehen kan, weil er's nicht fühlt, laßt ihn schleunig eure Allmacht fühlen; so wird Freygebigkeit den unmässigen Ueberfluß dämpfen, und ein jeder Mensch genug haben. Kennst du Dover?

Edgar. Ja, Herr.

Gloster. Es ist ein Hügel dort, dessen hoher und überhangender Gipfel fürchterlich über die angrenzende Tieffe herabsieht. Bring mich auf die äusserste Spize desselben, und ich will dir etwas geben, das deinem armseligen Zustand ein Ende machen wird; von dort aus werd' ich keinen Führer mehr nöthig haben.

Edgar. Gieb mir deinen Arm, der arme Tom soll dich führen.


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