William Shakespeare
Ende gut, alles gut
William Shakespeare

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Erster Akt

Erste Szene

Roussillon. Zimmer im Schloß der Gräfin.

Es treten auf Bertram, die Gräfin von Roussillon, Helena und Lafeu, sämtlich in Trauer.

 

Gräfin. Indem ich meinen Sohn in die Welt schicke, begrabe ich einen zweiten Gemahl.

Bertram. Und ich, indem ich gehe, teure Mutter, beweine meines Vaters Tod aufs neue; aber ich muß dem Befehl des Königs gehorchen, dessen Mündel ich jetzt, so wie für immer sein Vasall bin.

Lafeu. Ihr, gnädige Frau, werdet an dem Könige einen Gemahl finden; Ihr, Graf, einen Vater. Er, der so unbedingt zu allen Zeiten gut ist, muß notwendig auch gegen Euch sich so bewähren, denn Euer Wert würde seine Tugend erwecken, selbst wenn sie mangelte; und um so weniger wird diese Euch entgehn, da er sie im Überfluß besitzt.

Gräfin. Was für Hoffnung hat man für die Besserung Seiner Majestät?

Lafeu. Er hat seine Ärzte verabschiedet, gnädige Frau, unter deren Behandlung er die Zeit mit Hoffnung verschwendet und in ihrem Verlauf nur das gewonnen hatte, daß er mit der Zeit auch die Hoffnung verlor.

Gräfin.Dieses junge Mädchen hatte einen Vater – (oh, dies hatte! – welcher traurige Gedanke liegt darin!) dessen Talent fast so groß war als seine Rechtschaffenheit. Wäre es ihr ganz gleichgekommen, es hätte die Natur unsterblich gemacht, und der Tod, aus Mangel an Arbeit, hätte sich dem Spiel ergeben. Ich wünschte um des Königs willen, er lebte noch; ich glaube, das würde für des Königs Krankheit der Tod sein.

Lafeu. Wie hieß der Arzt, von dem Ihr redet, gnädige Frau?

Gräfin. Er war in seiner Kunst hochberühmt, und zwar mit größtem Recht: Gerhard von Narbonne.

Lafeu. Allerdings war er ein vortrefflicher Mann, gnädige Frau; der König sprach noch neulich von ihm mit Bewundrung und Bedauern. Er war geschickt genug, um immer zu leben, wenn Wissenschaft gegen Sterblichkeit in die Schranken treten könnte.

Bertram. Und woran leidet der König, mein teurer Herr?

Lafeu. An einer Fistel, Herr Graf.

Bertram. Davon habe ich noch nie gehört.

Lafeu. Ich wollte, es wüßte niemand davon! – War dies junge Mädchen die Tochter Gerhards von Narbonne?

Gräfin. Sein einziges Kind, Herr Ritter, und meiner Aufsicht anvertraut. Ich hoffe, sie wird durch ihre Güte erfüllen, was ihre Erziehung verspricht; ihre Anlagen sind ihr angeerbt, und dadurch werden schöne Gaben noch schöner, denn wenn ein unlautres Gemüt herrliche Fähigkeiten besitzt, so lobt man, indem man bedauert; es sind Vorzüge und zugleich Verräter; in ihr aber stehen sie um so höher wegen ihrer Reinheit. Ihre Tugend ist ihr angestammt, ihre Herzensgüte hat sie sich erworben.

Lafeu. Eure Lobsprüche, gnädige Frau, entlocken ihr Tränen!

Gräfin. Das beste Salz, womit ein Mädchen ihr Lob würzen kann. Das Gedächtnis ihres Vaters kommt nie in ihr Herz, ohne daß die Tyrannei ihres Kummers alle Farbe des Lebens von ihrer Wange nimmt. Nicht mehr so, meine Helena! Nicht so! damit man nicht glaube, du pflegst traurig zu scheinen, ohne es zu sein!

Helena. Allerdings pflege ich meine Trauer, aber ich bin auch traurig.

Lafeu. Gemäßigte Klage ist das Recht des Toten; übertriebener Gram der Feind des Lebenden.

Helena. Wenn der Lebende dem Gram erst feind ist, wird diesem das Übermaß bald tödlich werden.

Bertram. Teure Mutter, ich bitte um Euer Gebet für mich.

Lafeu (indem er Helena ansieht). Wie verstehn wir das?

Gräfin. Dich segn' ich, Bertram! gleiche deinem Vater
An Sinn wie an Gestalt; Blut so wie Tugend
Regieren dich gleichmäßig, deine Güte
Entspreche deinem Stamm. Lieb alle, wen'gen traue;
Beleid'ge keinen; sei dem Feinde furchtbar,
Durch Kraft mehr als Gebrauch; den Freund bewahre
So wie dein Herz. Laß dich um Schweigen tadeln,
Doch nie um Reden schelten. Was der Himmel
Dir sonst an Segen spenden und mein Beten
Erflehn mag, fall' auf dieses Haupt! Leb wohl! –
Mein Herr, noch nicht gereift zum Hofmann ist er,
Beratet ihn!

Lafeu. Was meine Lieb' vermag, sei ihm gewährt.

Gräfin. Der Himmel segne dich! Bertram, leb wohl! (Ab.)

Bertram (zu Helena). Die besten Wünsche, die in der Werkstatt Eurer Gedanken reifen können, mögen Euch dienstbar sein! Seid der Trost meiner Mutter, Eurer Gebieterin, und haltet sie wert!

Lafeu. Lebt wohl, schönes Kind! Ihr müßt den Ruhm Eures Vaters aufrechterhalten.

(Bertram und Lafeu gehen ab.)

Helena. Ach, wär's nur das! des Vaters denk ich kaum;
Und jener Großen Träne ehrt ihn mehr
Als seiner Tochter Gram. – Wie sah er aus?
Vergessen hab ich ihn; kein andres Bild
Wohnt mehr in meiner Phantasie – als Bertram.
Ich bin verloren! Alles Leben schwindet
Dahin, wenn Bertram geht. Gleichviel ja wär's,
Liebt' ich am Himmel einen hellen Stern
Und wünscht' ihn zum Gemahl; er steht so hoch!
An seinem hellen Glanz und lichten Strahl
Darf ich mich freun; in seiner Sphäre nie.
So straft sich selbst der Ehrgeiz meiner Liebe:
Die Hindin, die den Löwen wünscht zum Gatten,
Muß liebend sterben. O der süßen Qual,
Ihn stündlich anzusehn! Ich saß und malte
Die hohen Brau'n, sein Falkenaug', die Locken
In meines Herzens Tafel, allzu offen
Für jeden Zug des süßen Angesichts!
Nun ist er fort, und mein abgöttisch Lieben
Bewahrt und heiligt seine Spur. – Wer kommt? –
(Parolles tritt auf.)
Sein Reisefreund. – Ich lieb ihn seinethalb
Und kenn ihn doch als ausgemachten Lügner,
Ein gut Stück Narr und eine ganze Memme.
Doch dies bestimmte Böse macht ihn schmuck
Und hält ihn warm, indes stahlherz'ge Tugend
Im Frost erstarrt. Dem Reichtum, noch so schlecht,
Dient oft die Weisheit arm und nackt als Knecht.

Parolles. Gott schütz' Euch, meine Königin!

Helena. Und Euch, mein Sultan!

Parolles. Der? Nein!

Helena. Und ich auch nicht.

Parolles. Denkt Ihr über das Wesen des Jungfrauentums nach?

Helena. Ja, eben. Ihr seid so ein Stück von Soldaten; laßt mich Euch eine Frage tun. Die Männer sind dem Jungfrauentum feind, wie können wir's vor ihnen verschanzen?

Parolles. Weist sie zurück.

Helena. Aber sie belagern uns, und unser Jungfrauentum, wenn auch in der Verteidigung tapfer, ist dennoch schwach – lehrt uns einen kunstgerechten Widerstand.

Parolles. Alles vergeblich; die Männer, sich vor euch lagernd, unterminieren euch und sprengen euch in die Luft.

Helena. Der Himmel bewahre unser armes Jungfrauentum vor Minierern und Luftsprengern! Gibt's keine Kriegspolitik, wie Jungfrauen die Männer in die Luft sprengen könnten?

Parolles. Läßt sich denn ein vernünftiger Grund im Naturrecht nachweisen, das Jungfrauentum zu bewahren? Verlust des Jungfrauentums ist vielmehr

verständige Zunahme; und noch nie ward eine Jungfrau geboren, daß nicht vorher ein Jungfrauentum verloren ward. Das, woraus ihr besteht, ist Stoff, um Jungfrauen hervorzubringen. Euer Jungfrauentum einmal verloren, kann zehnmal wieder ersetzt werden; wollt ihr's immer erhalten, so geht's auf ewig verloren, es ist ein zu frostiger Gefährte: weg damit!

Helena. Ich will's doch noch ein wenig behaupten, und sollt' ich darüber als Mädchen sterben.

Parolles. Dafür läßt sich wenig sagen; es ist gegen die Ordnung der Natur. Die Partei des Jungfrauentums nehmen, heißt, seine Mutter anklagen; welches offenbare Empörung wäre. Einer, der sich aufhängt, ist wie solch eine Jungfrau; das Jungfrauentum gleicht einem Selbstmörder und sollte an der Heerstraße begraben werden, fern von aller geweihten Erde, wie ein tollkühner Frevler gegen die Natur. Das Jungfrauentum brütet Grillen, wie ein Käse Maden, zehrt sich ab bis auf die Rinde und stirbt, indem sich's von seinem eignen Eingeweide nährt. Überdem ist das Jungfrauentum wunderlich, stolz, untätig, aus Selbstliebe zusammengesetzt, welches die verpönteste Sünde in den zehn Geboten ist. Behaltet's nicht; Ihr könnt gar nicht anders als dabei verlieren. Leiht es aus, im Lauf eines Jahrs habt Ihr zwei für eins; das ist ein hübscher Zins, und das Kapital hat nicht sehr dadurch abgenommen. Fort damit!

Helena. Was aber tun, um es anzubringen nach eignem Wohlgefallen?

Parolles. Laßt sehn! ei nun, leiden vielmehr, um dem wohlzugefallen, dem es gefällt. Es ist eine Ware, die durchs Liegen allen Glanz verliert; je länger aufbewahrt, je weniger wert. Fort damit, solange es noch verkäuflich ist. Nutzt die Zeit der Nachfrage! Das Jungfrauentum, wie eine welke Hofdame, trägt noch seine Mütze, wenn sie schon außer Mode ist; reich aufgeputzt, aber unkleidsam wie eine Brosche, wie ein Zahnstocher, die kein Mensch mehr trägt. Die Jahreszahl macht sich besser auf einer Weinflasche als auf Eurem Gesicht; und die Jungfernschaft, die welke Jungfernschaft, ist wie eine verhotzelte französische Birne; sieht schlecht aus und schmeckt trocken; 's ist eine Backbirne; sie war früher besser; aber jetzt, wahrhaftig, ist's eine verhotzelte Backbirne. Was wollt Ihr damit machen?

Helena. Mit meiner Jungfernschaft – fürs erste nichts.
Nun warten tausend Liebsten deines Herrn,
Eine Mutter – eine Freundin – eine Braut –
Ein Phönix – eine Feindin und Monarchin –
Göttin und Führerin und Königin,
Ratgeberin, Verräterin und Liebchen,
Demüt'ger Ehrgeiz und ehrgeiz'ge Demut,
Harmon'sche Dissonanz, verstimmter Einklang
Und Treu' und süßer Unstern; und so nennt er
'ne Unzahl art'ger, holder Liebeskinder,
Die Amor aus der Taufe hebt. – Nun wird er –
Ich weiß nicht, was er wird – Gott send' ihm Heil;
Es lernt sich viel am Hof; und er ist einer …

Parolles. Nun, was für einer?

Helena. Mit dem ich's gut gemeint; und schade ist's …

Parolles. Um was?

Helena. Daß unserm Wunsch kein Körper ward verliehn,
Der fühlbar sei; damit wir Ärmeren,
Beschränkt von unserm neid'schen Stern auf Wünsche,
Mit ihrer Wirkung folgten dem Geliebten,
Und er empfände, wie wir sein gedacht,
Wofür uns kaum ein Dank wird.

(Ein Page tritt auf.)

Page. Monsieur Parolles, der Graf läßt Euch rufen. (Ab.)

Parolles. Kleines Helenchen, leb wohl! Wenn ich mich auf dich besinnen kann, will ich deiner am Hofe gedenken.

Helena. Monsieur Parolles, Ihr seid unter einem liebreichen Stern geboren.

Parolles. Unterm Mars!

Helena. Das hab ich immer gedacht: unterm Mars.

Parolles. Warum unterm Mars?

Helena. Der Krieg hat Euch immer so heruntergebracht, daß Ihr notwendig unterm Mars müßt geboren sein.

Parolles. Als er am Himmel dominierte.

Helena. Sagt lieber, als er am Himmel retrogradierte.

Parolles. Warum glaubt Ihr das?

Helena. Ihr geht immer so sehr rückwärts, wenn Ihr fechtet!

Parolles. Das geschieht um meines Vorteils willen.

Helena. So ist's auch mit dem Weglaufen, wenn Furcht die Sicherheit empfiehlt. Aber die Mischung, die Eure Tapferkeit und Eure Furcht in Euch hervorbringen, ist eine schönbeflügelte Tugend, und die Euch wohl ansteht.

Parolles. Ich bin so voller Geschäfte, daß ich dir nicht gleich spitzig antworten kann. Ich kehre zurück als ein vollkommner Hofmann, dann soll mein Unterricht dich hier naturalisieren, wenn du anders für eines Hofmanns Geheimnis empfänglich bist und begreifen willst, was weiser Rat dir mitteilt; wo nicht, so stirb dann in deiner Undankbarkeit, und deine Unwissenheit raffe dich hinweg. Leb wohl! Wenn du Zeit hast, sprich dein Gebet; wenn du keine hast, denk an deine Freunde. Schaff dir einen guten Mann und halte ihn, wie er dich hält, und so leb wohl! (Ab.)

Helena. Oft ist's der eigne Geist, der Rettung schafft,
Die wir beim Himmel suchen. Unsrer Kraft
Verleiht er freien Raum, und nur dem Trägen,
Dem Willenlosen stellt er sich entgegen.
Mein Liebesmut die höchste Höh' ersteigt,
Doch naht mir nicht, was sich dem Auge zeigt.
Des Glückes weitsten Raum vereint Natur,
Daß sich das Fernste küßt wie Gleiches nur.
Wer klügelnd abwägt und dem Ziel entsagt,
Weil er vor dem, was nie geschehn, verzagt,
Erreicht das Größte nie. Wann rang nach Liebe
Ein volles Herz und fand nicht Gegenliebe?
Des Königs Krankheit – täuscht mich nicht, Gedanken;
Ich halte fest und folg euch ohne Wanken. (Ab.)

 

Zweite Szene

Paris. Zimmer im Palast des Königs.

Trompeten und Zinken. Der König von Frankreich, einen Brief in der Hand, und mehrere Edelleute treten auf.

 

König. Florenz und Siena sind schon handgemein;
Die Schlacht blieb unentschieden, und der Krieg
Wird eifrig fortgesetzt.

Erster Edelmann.          So wird erzählt.

König. So weiß man's schon gewiß. Hier meldet Uns
Die sichre Nachricht Unser Vetter Östreich
Und fügt hinzu, wie Uns um schnellen Beistand
Florenz ersuchen wird; es warnt zugleich
Mein teurer Freund Uns im voraus und hofft,
Wir schlagen's ab.

Erster Edelmann.          Sein Rat und seine Treu',
So oft erprobt von Eurer Majestät,
Verdienen vollen Glauben.

König.          Er bestimmt Uns:
Florenz ist abgewiesen, eh' es wirbt.
Doch Unsern Rittern, die sich schon gerüstet
Zum Feldzug in Toskana, stell ich frei,
Nach ihrer Wahl hier oder dort zu fechten.

Zweiter Edelmann. Erwünschte Schule unsrer edlen Jugend,
Die sich nach Krieg und Taten sehnt.

König.          Wer kommt?

(Bertram, Lafeu und Parolles treten auf.)

Erster Edelmann. Graf Roussillon, mein Fürst, der junge Bertram. –

König. Jüngling, du trägst die Züge deines Vaters.
Die gütige Natur hat wohlbedacht,
Nicht übereilt, dich schön geformt. Sei drum
Auch deiner väterlichen Tugend Erbe!
Willkommen in Paris.

Bertram. Mein Dienst und Dank sind Eurer Majestät.

König. O hätt' ich jetzt die Fülle der Gesundheit,
Als da dein Vater und ich selbst in Freundschaft
Zuerst als Krieger uns versucht! Den Dienst
Der Zeiten hatt er wohl studiert und war
Der Bravsten Schüler. Lange hielt er aus;
Doch welkes Alter überschlich uns beide
Und nahm uns aus der Bahn. Ja, es erquickt mich,
Des Edlen zu gedenken. – In der Jugend
Hatt' er den Witz, den ich wohl auch bemerkt
An unsern jetz'gen Herrn; nur scherzen die,
Bis stumpf der Hohn zu ihnen wiederkehrt,
Eh' sie den leichten Sinn in Ehre kleiden.
Hofmann so echt, daß Bitterkeit noch Hochmut
Nie färbten seine Streng' und seinen Stolz:
Geschah's, so war's nur gegen seinesgleichen.
Und seine Ehre zeigt' als treue Uhr
Genau den Punkt, wo Zeit ihn reden hieß,
Und dann gehorcht' ihr Zeiger seiner Hand. Geringre
Behandelt' er als Wesen andrer Art;
Beugt ihrer Niedrigkeit den hohen Wipfel,
Daß sie sich stolz durch seine Demut fühlten,
Wie er herabstieg in ihr armes Lob!
Solch Vorbild mangelt diesen jungem Zeiten;
Und wär' es da, so zeigt' es uns zu sehr
Als rückwärts Schreitende.

Bertram.          Sein guter Nachruhm
Glänzt mehr von Eurem Mund als seinem Grabe;
So rühmlich preist ihn nicht sein Epitaph,
Als Euer königliches Wort.

König. O daß ich mit ihm wär'! Er sagte stets
(Mich dünkt, ich hör ihn noch; sein goldnes Wort
Streut' er nicht in das Ohr, er pflanzt' es tief,
Damit es keim' und reife): »Ich mag nicht leben« –
So sagt' er oft in liebenswertem Ernst
Im letzten Akt und Schluß des Zeitvertreibs,
Wenn man sich trennte, »ich mag nicht leben«, sprach er,
»Wenn's meiner Flamm' an Öl gebricht, als Schnuppe
Der jungen Welt, die mit leichtfert'gem Sinn
Nichts als das Neue liebt; die ihren Ernst
Allein auf Moden lenkt; bei der die Treue
Mit ihren Trachten wechselt.« Also wünscht' er.
Ich, scheidend, wünsche wie der Abgeschiedne,
Weil ich nicht Wachs noch Honig bringe heim,
Recht bald erlöst zu sein aus meinem Stock,
Raum gönnend Jüngern.

Zweiter Edelmann.          Sire, Euch liebt das Volk,
Wer Euch verkennt, wird Euch am meisten missen.

König. Ich füll 'nen Platz, ich weiß. – Wie lang ist's, Graf,
Seit Eures Vaters Arzt gestorben ist?
Man rühmt' ihn sehr.

Bertram.          Sechs Monat sind's, mein Fürst.

König. Lebt' er noch, hätt' ich's doch mit ihm versucht.
– Gebt mir den Arm! – Die andern schwächten mich
Durch mancherlei Behandlung; mag's Natur
Und Krankheit nun entscheiden. – Willkommen, Graf! –
Mein Sohn ist mir nicht teurer.

Bertram.          Dank, Eu'r Hoheit! –

(Trompetenstoß. Alle gehn ab.)

 

Dritte Szene

 

Roussillon. Zimmer im Schloß der Gräfin.

Es treten auf die Gräfin, der Haushofmeister und der Narr.

 

Gräfin. Jetzt will ich Euch anhören. – Nun, was sagt Ihr von dem jungen Fräulein?

Haushofmeister. Gnädige Gräfin, ich wünschte, die Sorgfalt, die ich angewandt, Euer Verlangen zu

befriedigen, möchte in den Kalender meiner früheren Bemühungen eingetragen werden; denn wenn wir selbst sie bekannt machen, verwunden wir unsre Bescheidenheit und trüben die helle Reinheit unsrer Verdienste.

Gräfin. Was will der Schelm hier? Fort mit Euch, Freund! – Ich will nicht allen Beschwerden glauben, die gegen Euch verlauten; es ist meine Trägheit, daß ich's nicht tue, denn ich weiß, es fehlt Euch nicht an Torheit, solche Schelmstücke zu unternehmen, und Ihr seid geschickt genug, sie auszuführen.

Narr. Es ist Euch nicht unbekannt, gnädige Frau, daß ich ein armer Teufel bin.

Gräfin. Nun gut!

Narr. Nein, gnädige Frau, das eben ist nicht gut, daß ich arm bin (obschon viele von den Reichen zur Hölle fahren), aber wenn Elsbeth es nur bei Euer Gnaden erreicht, daß Ihr sie unter die Haube bringen helft, so wollen wir schon sehn, wie-wir als Mann und Frau zusammen fortkommen.

Gräfin. Willst du denn mit Gewalt ein Bettler werden?

Narr.. Ich bettle nur um Eure gnädige Einwilligung in diese Sache.

Gräfin. In welche Sache?

Narr. In Elsbeths Sache und meine eigne. Dienst ist keine Erbschaft, und ich denke, ich gelange nicht zu Gottes Segen, bis ich Nachkommenschaft sehe; denn, wie die Leute sagen: Kinder sind ein Segen Gottes.

Gräfin. Sag mir den Grund, warum du heiraten willst.

Narr. Mein armes Naturell, gnädige Frau, verlangt es. Mich treibt mein Fleisch dazu, und wen der Teufel treibt, der muß wohl gehn.

Gräfin. Und das ist alle Ursach', die Eu'r Gnaden hat?

Narr. Die Wahrheit zu sagen, ich habe noch andre heilige Ursachen, wie sie nun so sind.

Gräfin. Darf die Welt sie wissen?

Narr. Ich bin eine sündige Kreatur gewesen, gnädige Frau, gerade wie Ihr und wie alles Fleisch und Blut; und mit einem Wort, ich will heiraten, damit ich bereuen könne.

Gräfin. Deine Heirat mehr als deine Sündhaftigkeit!

Narr. Es fehlt mir an Freunden, gnädige Frau, und ich hoffe, um meiner Frau willen Freunde zu finden.

Gräfin. Solche Freunde sind deine Feinde, Bursch!

Narr. Ihr versteht Euch wenig auf gute Freunde, gnädige Frau, denn die Schelme werden das für mich tun, was mir zuviel wird. Wer mein Land ackert, spart mir mein Gespann und schafft mir Zeit, die Frucht unter Dach zu bringen; wenn ich sein Hahnrei bin, ist er mein Knecht. Wer mein Weib tröstet, sorgt für mein Fleisch und Blut; wer für mein Fleisch und Blut sorgt, liebt mein Fleisch und Blut; wer mein Fleisch und Blut liebt, ist mein Freund: ergo wer meine Frau küßt, ist mein Freund. Wären die Leute nur zufrieden, das zu sein, was sie einmal sind, so gäbe es keine Skrupel in der Ehe. Denn Charbon, der junge Puritaner, und Meister Poysam, der alte Papist, wie verschieden ihre Herzen auch in der Religion sind, läuft's doch mit ihren Köpfen auf eins hinaus; sie können sich mit ihren Hörnern knuffen, so gut wie irgendein Bock in der Herde.

Gräfin. Willst du immer ein frecher, verleumderischer Schelm bleiben?

Narr. Ein Prophet, gnädige Frau; ich rede die Wahrheit ohne Umschweif.

Gedenkt nur an das alte Lied,
Es gilt noch heut wie gestern;
Was einmal sein soll, das geschieht,
Der Kuckuck sucht nach Nestern.

Gräfin. Geht nur, Freund, ich will die Sache ein andermal mit Euch verhandeln.

Haushofmeister. Wär' es Euer Gnaden nicht gefällig, daß er Helena zu Euch riefe; ich wollte von ihr reden.

Gräfin. Freund, geh und sag dem jungen Fräulein, ich wolle sie sprechen; ich meine Helena.

Narr (singt).
Verdient die Schöne, sprach sie dann,
Daß Troja ward zerstört?
O Narretei, o Narretei,
Herr Priam ward betört!
Worauf sie seufzt und weinen tut,
Worauf sie seufzt und weinen tut,
Und spricht: da könnt ihr sehn,
Ist von neun Schlimmen-eine gut,
Ist von neun Schlimmen eine gut,
Ist's eine doch von zehn.

Gräfin. Was? Eine gut von zehn? du verdrehst ja das Lied, Bursch.

Narr. Eine gute Frau unter zehnen, Gräfin, das heißt ja die Ballade verbessern. Wollte Gott nur alle Jahr' so viel tun, so hätte ich über die Weiberzehnten nicht zu klagen, wenn ich der Pfarrer wäre. Eine unter zehnen? Das glaub ich! Wenn uns nur jeder Komet eine gute Frau brächte, oder jedes Erdbeben, so stände es schon ein gut Teil besser um die Lotterie; jetzt kann sich einer das Herz aus dem Leibe ziehn, ehe er eine trifft.

Gräfin. Werdet Ihr bald gehn, Herr Taugenichts, und tun, was ich Euch befahl?

Narr. Daß ein Mann einer Evastochter gehorchen muß, und es erfolgt kein Ärgernis! Zwar ist Ehrlichkeit kein Puritaner, aber dennoch soll sie diesmal kein Ärgernis geben und den weißen Chorrock der Demut über dem schwarzen Priesterkleide ihres unmutigen Herzens tragen. Ich gehe, verlaßt Euch drauf; ich soll an Helena sagen, hierherzukommen. (Ab.)

Gräfin. Nun, also?

Haushofmeister. Ich weiß, gnädige Frau, Ihr liebt Euer Fräulein von Herzen.

Gräfin. Allerdings; ihr Vater hinterließ sie mir, und sie selbst kann, abgesehn von ihren Vorzügen, mit allem Recht auf so viel Liebe Anspruch machen, als sie bei mir findet. Ich bin ihr mehr schuldig, als ich ihr zahle, und werde ihr mehr zahlen, als sie fordern wird.

Haushofmeister. Gnädige Frau, ich war ihr neulich näher, als sie vermutlich wünschen mochte; sie war allein und sprach mit sich selbst, ihr eignes Wort ihrem eignen Ohr. Sie glaubte, das darf ich wohl beschwören, es werde von keinem Fremden vernommen. Der Inhalt war: sie liebe Euern Sohn. Fortuna, sagte sie, sei keine Göttin, weil sie eine so weite Kluft zwischen ihren Verhältnissen errichtet habe; Amor kein Gott, weil er seine Macht nicht weiter ausdehne als auf gleichen Stand; Diana keine Königin der Jungfrauen, weil sie zugebe, daß ihre armen Nymphen überrascht werden, ohne Schutzwehr für den ersten Angriff, noch Entsatz im ferneren Kampf. Dies klagte sie mit dem Ausdruck des bittersten Schmerzes, in dem ich je ein Mädchen habe weinen hören. Ich hielt es für meine Pflicht, Euch eiligst davon zu unterrichten, sintemal, wenn hieraus ein Unglück entstehen sollte, es Euch gewissermaßen wichtig ist, vorher davon zu erfahren.

Gräfin. Ihr habt dies mit Redlichkeit ausgerichtet, behaltet's nun für Euch. Schon vorher hatten mich manche Vermutungen hierauf geführt; sie hingen aber so schwankend in der Waagschale, daß ich weder glauben noch zweifeln konnte. Ich bitte Euch, verlaßt mich nun. Verschließt dies alles in Eurer Brust, und ich danke Euch für Eure redliche Sorgfalt; ich will hernach weiter mit Euch darüber sprechen.

(Haushofmeister ab.)

So mußt' ich's, als ich jung war, auch erleben.
          Natur verlangt ihr Recht; der scharfe Dorn
Ward gleich der Jugendrose mitgegeben,
          Die Leidenschaft quillt aus des Blutes Born.
Natur bewährt am treusten ihre Kraft,
Wo Jugend glüht in starker Leidenschaft;
Und denk ich jetzt der Fehl' in vor'gen Stunden,
Hab ich den Irrtum damals nicht gefunden. –
(Helena tritt auf.)
Es macht ihr Auge krank, ich seh es wohl.

Helena. Was wünscht Ihr, gnäd'ge Frau?

Gräfin. Du weißt, mein Kind, ich bin dir eine Mutter.

Helena. Meine verehrte Herrin!

Gräfin.          Eine Mutter –

Warum nicht Mutter? bei dem Worte: »Mutter«
Schien's, eine Schlange sähst du. Wie erschreckt dich
Der Name Mutter? Ich sage, deine Mutter,
Und trage dich in das Verzeichnis derer,
Die ich gebar. Wetteifern sehn wir oft
Pflegkindschaft mit Natur, und wundersam
Eint sich der fremde Zweig dem eignen Stamm;
Mich quälte nie um dich der Mutter Ächzen,
Doch zahlt' ich dir der Mutter Liebe dar –
Ums Himmels willen, Kind! Erstarrt dein Blut,
Weil ich dich grüß als Mutter? Sag, wie kommt's,
Daß dir die kranke Heroldin des Weinens,
Die mannigfarb'ge Iris, kränzt dein Auge?
Weil du mir Tochter bist?

Helena.          Das bin ich nicht!

Gräfin. Bin ich nicht deine Mutter?

Helena.          Ach, verzeiht!
Graf Roussillon kann nie mein Bruder sein;
Ich bin von niederm, er vom höchsten Blut;
Mein Stamm gering, der seine hochberühmt.
Er ist mein Herr und Fürst, mein ganzes Leben
Hab ich als Dienerin ihm treu ergeben.
Nennt ihn nicht meinen Bruder …

Gräfin.          Und mich nicht Mutter?

Helena. Ja, meine Mutter seid Ihr. Wärt Ihr doch
(Müßt' Euer Sohn nur nicht mein Bruder sein)
Ganz meine Mutter; wärt uns beiden Mutter,
Das wünscht' ich, wie ich mir den Himmel wünsche –
Nur ich nicht seine Schwester! Ist's nur dann vergönnt,
Wenn er mir Bruder wird, daß Ihr mich Tochter nennt?

Gräfin. Wohl, Helena;
Du könntest meine Schwiegertochter sein. –
Hilf Gott! du denkst es wohl? Mutter und Tochter
Stürmt so auf deinen Puls. Nun wieder bleich?
Mein Argwohn hat dein Herz durchschaut; nun ahn ich
Das Rätsel deiner Einsamkeit, die Quelle
Der bittern Tränen, offenbar nun seh ich,
Du liebst ihn, meinen Sohn. Verstellung schämt sich,
Dem lautern Ruf der Leidenschaft entgegen,
Mir nein zu sagen; darum sprich die Wahrheit,
Sag mir, so ist's; denn deine Wangen, Kind,
Bekennen's gegenseitig; deine Augen
Sehn es so klar in deinem Tun geschrieben,
Daß sie vernehmlich reden; nur die Zunge
Fesseln dir Sünd' und höll'scher Eigensinn,
Die Wahrheit noch zu hehlen. Ist's nicht so?
Wenn's ist, so schürztest du 'nen wackern Knoten!
Ist's nicht, so schwöre: Nein. Doch wie's auch sei,
Wie Gott mir helfen mag, dir beizustehn,
Ich fordre, daß du Wahrheit sagst.

Helena.          Verzeihung!

Gräfin. Sprich! Liebst du Bertram?

Helena.          Teure Frau, verzeiht!

Gräfin. Liebst du ihn?

Helena.          Gnäd'ge Frau, liebt Ihr ihn nicht?

Gräfin. Das frag ich nicht. Ich habe Pflicht und Grund
Vor aller Welt für mein Gefühl. Nun wohl!
Entdecke mir dein Herz; denn allzu laut
Verklagt dich deine Unruh'.

Helena.          So bekenn ich
Hier auf den Knien vor Euch und Gott dem Herrn,
Daß ich vor Euch und nächst dem Herrn des
Himmels Ihn einzig liebe. Arm, doch tugendhaft
War mein Geschlecht, so ist mein Lieben auch.
Seid nicht erzürnt, es bringt ihm keine Kränkung,
Von mir geliebt zu sein. Nie offenbart' ich
Ein Zeichen ihm zudringlicher Bewerbung;
Ich wünsch ihn nicht, eh' ich ihn mir verdient,
Und ahne nicht, wie ich ihn je verdiente!
Ich weiß, ich lieb umsonst, streb ohne Hoffnung;
Und doch, in dies unhaltbar lockre Sieb
Gieß ich beständig meiner Liebe Flut,
Die nimmer doch erschöpft wird. Gleich dem Indier
Gläubig in frommem Wahne flehend, ruf ich
Die Sonne an, die auf den Beter schaut,
Ohne von ihm zu wissen. Teure Herrin,
Laßt Euren Haß nicht meine Liebe treffen,
Weil sie dasselbe liebt wie Ihr. Nein, habt Ihr
(Eu'r würdig Alter bürgt die lautre Jugend)
Jemals in solcher reinen Glut der Neigung
Treulich geliebt und keusch gehofft (daß Diana
Eins schien mit Eurer Lieb'), o dann hegt Mitleid
Für sie, die ohne Wahl und Hoffnung liebt,
Alles verlierend, stets von neuem gibt,
Nie zu besitzen hofft, wonach sie strebt,
Und rätselgleich in süßem Sterben lebt.

Gräfin. Warst du nicht neulich willens, nach Paris
Zu reisen? Sprich die Wahrheit.

Helena.          Gnäd'ge Frau,
Das war ich.

Gräfin.          Und in welcher Absicht? Sag mir's.

Helena. So hört. Ich schwör's Euch bei der ew'gen Gnade!
Ihr wißt, mein Vater ließ Vorschriften mir
Von seltner Wunderkraft; wie seiner Forschung
Vielfache Prüfung als untrüglich sie
Bewährt erfand. Die hat er mir vererbt,
Sie in geheimster Obhut zu bewahren,
Als Schätze, deren Kern und innrer Wert
Weit über alle Schätzung. Unter diesen
Ist ein Arkan verzeichnet, viel erprobt,
Als Gegenmittel jener Todeskrankheit,
An der der König hinwelkt.

Gräfin.          Dies bestimmte
Dich, nach Paris zu gehn?

Helena. Der junge Graf ließ mich daran gedenken, Sonst hätten wohl Paris, Arznei und König
In meiner Seele Werkstatt keinen Eingang
Gefunden.

Gräfin.          Glaubst du wirklich, Helena,
Wenn du ihm dein vermeintes Mittel bötst,
Er werd' es nehmen? – Er und seine Ärzte
Sind eines Sinns: Er, keiner könn' ihm helfen,
Sie: keine Hilfe gäb's. Wie trauten sie
'nem armen Mädchen, wenn die Schule selbst
In ihrer Weisheit Dünkel die Gefahr
Sich selber überläßt?

Helena.          Mich treibt ein Glaube
Mehr noch als meines Vaters Kunst (des größten
In seinem Fach), daß sein vortrefflich Mittel,
Auf mich vererbt, von glücklichen Gestirnen
Geheiligt werden soll, und will Eu'r Gnaden
Mir den Versuch gestatten, setz ich gern
Mein Haupt zum Unterpfand für unsres Herrn Genesung zur bestimmten Zeit.

Gräfin.          Das glaubst du?

Helena. Ja, gnäd'ge Frau, gewißlich.

Gräfin.          Nun, wohlan!
So geb ich Urlaub dir und Liebe mit,
Geld und Gefolg und Gruß an meine Freunde
Am Hofe dort. Ich bleib indes daheim
Und fleh um Gottes Segen für dein Werk.
Auf morgen geh; und glaub mit Zuversicht,
Wo ich's vermag, fehlt dir mein Beistand nicht.

(Beide gehn ab.)


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