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An Mme. de Grignan
Les Rochers, 8. Dezember 1675
Kaum war mein Brief fort, so kamen achthundert Mann Kavallerie nach Vitré, mit denen die Prinzessin sehr wenig zufrieden ist. Sie sind freilich nur auf dem Durchmarsch, aber sie benehmen sich, als ob sie in einem eroberten Land wären, trotz unserer guten Heirat mit Karl VIII. und Ludwig XII.Die Bretagne wurde endgültig mit Frankreich vereinigt, als die Herzogin Anna von Bretagne 1491 König Karl VIII. heiratete. Der König gelobte, alle Freiheiten und Privilegien des Landes hochzuhalten. Im Jahr 1499 reichte König Ludwig XII. der verwitweten Königin Anna die Hand und gab dem Land das gleiche Versprechen wie sein Vorfahr.. Die Deputierten sind von Paris zurückgekehrt. Der Bischof von Saint-Malo, Gnémadeuc, ein Verwandter von Euch und noch dazu ein »infulierter Strohkopf«, wie Frau von Choisy sagte, ist in der Sitzung des Landtags erschienen. Er ist von der Güte des Königs ganz entzückt und besonders von der Aufmerksamkeit, die derselbe für ihn gehabt hat. Daß er so freundlich war, auch den Ruin der 111 Provinz mit sich zu bringen, ließ er ganz unbeachtet. Wie taktvoll ist es, so zu Leuten zu reden, die über den schlechten Stand ihrer Finanzen in Sorge sind! Er meldete, daß Se. Majestät mit der Bretagne und ihrem Geschenk zufrieden sei, daß er das Geschehene vergessen habe und zum Zeichen seines Vertrauens achttausend Mann hierher schicke, wie man eine Equipage nach Hause schickt, wenn man sie nicht mehr braucht. M. de Rohan beträgt sich ganz anders und zeigt sich als guten Patrioten. Da hast Du meine hundsschlechten Nachrichten, ich möchte gern welche von Dir haben und wissen, was mit Euerm Generalprokurator geschehen ist.
Lebe wohl, meine Liebste, ich wünsche Dir eine gute Gesundheit, das ist das beste Mittel, die meine zu erhalten, die Dir doch am Herzen liegt; sie ist übrigens sehr zufriedenstellend. Ich umarme Dich zärtlich; könntest Du doch sehen, wie liebenswürdig und unterhaltend mein Sohn ist. Doch da ist er, man darf ihn nicht verwöhnen.
Von Charles de Sévigné
Ich finde Les Rochers recht angenehm. Meine Mutter betätigt immerfort ihre Liebe zu diesem Besitz und tut wahre Wunder. Der »Herzensgute« hat heute den ganzen Nachmittag Alleen abgesteckt, die Kapelle ist fertig, und in acht Tagen wird Messe darin gelesen. Gott erhalte uns eine so gute Mutter, mein Schwesterchen, und einen so guten Onkel! Ich sage Dir nichts von meiner Stelle, alles wird gut enden, weil es so lang schon schlecht geht. Ich umarme Dich tausendmal und M. de Grignan auch, den ich liebe und hochschätze. Eben ruft die Mutter: »Mein Gott, ich habe dem ›Kater‹ nichts gesagt,« ich weiß nicht, von wem sie spricht, aber sie hat mir später gesagt: »Mein Kind, grüße M. de Grignan.«
An Mme. de Grignan
Les Rochers, 11. Dezember 1675
. . . Um noch einmal auf das Unglück unserer Provinz zurückzukommen, alles ist voll Kriegsvolk. Trotz der Prinzessin werden auch Soldaten nach Vitré kommen. 112 MonsieurDer Bruder des Königs. nennt sie seine liebe, gute Tante, ich finde aber nicht, daß sie deshalb besser behandelt wird. Viele Soldaten ziehen durch die Stadt La Guerche, die dem Marquis de Villeroi gehörtDie Stadt La Guerche liegt 6 Stunden südlich von Vitré., und oft verlassen sie die Straße und bestehlen und berauben die Bauern. Die Bretagne ist tief unglücklich über eine derartige Heimsuchung, an die sie nicht gewöhnt ist. Unser Gouverneur hat eine allgemeine Amnestie erlassen; er gibt sie mit der einen Hand, und mit der andern gibt er achttausend Mann, denen er soviel zu befehlen hat wie Du, sie haben ihre Weisung. M. de Pommereuil soll kommen, wir erwarten ihn täglichPommereuil wurde als königlicher Intendant in die Bretagne geschickt.. Er hat die Inspektion der kleinen Armee, und wird sich bald rühmen können, nebenher auch ein ganz schönes Gouvernement zu besitzen. Er ist ein ehrenwerter Mann und ein Schöngeist im Richterstand. Er ist mir sehr befreundet, aber ich zweifle, daß es sich so gut mit ihm auskommen läßt, wie mit Eurem Intendanten, den Ihr so gut gezähmt habt; wenn er nur nicht versetzt wird!Die Intendanten wurden allmählich immer mehr die eigentlichen Vertreter der Regierung in den Provinzen, während die Gouverneure nur noch zu repräsentieren hatten. Ich kann Dir heute keine Nachrichten über das Languedoc geben, wie Du wünschst, Du mußt mit denen aus der Guienne vorliebnehmen. Ich finde, daß sie bevorzugt wird, und daß man sehr milde gegen sie ist. Wir sind nicht so glücklich; wenn wir Protektion hätten, brächte sie uns mehr Schaden als Nutzen, nur weil zwei Menschen uns hassen. Ich glaube, wir werden doch die drei Millionen auftreiben, oder sie wenigstens versprechen, ohne daß unser Freund zugrunde gerichtet wirdd'Harouys.. Es regt sich bei den Ständen etwas wie Freundschaft für ihn, und man denkt nur daran, wie man ihn vor dem Untergang bewahren kann. Ich glaube, ich habe genug über diesen Gegenstand gesagt.
Ich bin froh, daß Ihr nicht nach Grignan zurückgegangen seid, das wäre eine Ermüdung und eine Ausgabe gewesen. Sage mir, ob die Kinder nicht zu Euch kommen. 113 Wir haben hier herrliches Wetter und machen prächtige neue Alleen. Mein Sohn unterhält uns und ist uns von großem Wert. Er fügt sich dem Geist des Ortes, an dem er sich befindet, und überträgt aus dem Krieg und vom Hof in diese Einsamkeit nur, was davon zur Unterhaltung nötig ist. Wenn es regnet, sind wir weniger zu bedauern, als es von weitem aussieht. Die Zeit, die wir hier zubringen wollen, wird vergehen wie anderswo.
Ich habe dem Chevalier geschrieben, um ihm zu sagen, wie leid es mir tut, daß er mich in Paris nicht getroffen hat. Wir hätten schön gejammert über unsre Gesellschaft vom vergangenen Jahr, und wir würden Turennes Tod aufs neue beweint haben. Ich weiß nicht, was Du für eine Meinung von der Prinzessin hastDie Prinzessin von Tarent hatte 1672 ihren Gemahl verloren.; sie ist ganz und gar keine Artemisia, hat ein Herz wie Wachs und rühmt sich dessen. Sie sagt scherzend, sie habe ein lächerliches Herz. Das meint sie im allgemeinen, aber die Welt bezieht es auf Einzelheiten. Ich hoffe, ich setze dieser Lächerlichkeit Schranken, denn ich halte ihr lange Reden über die Frauen, deren Herz gar zu liebebedürftig ist und die darum nur verachtet werden. Ich rede wunderbar; man hört mich an und stimmt so viel als möglich zu. Ich fühle mich dazu verpflichtet und will die Ehre haben, sie auf den rechten Weg zu bringen.
Was Du über Fidèle sagst, ist sehr unterhaltend und hübschMme. de Sévignés Hund, siehe Brief Nr. 63.. Ich habe mich wie eine wahre Kokette aufgeführt. Ich schäme mich und rechtfertige mich, wie Du gesehen. Denn es ist ganz gewiß, daß ich trotz La Rochefoucaulds MaximenLa Rochefoucauld, Maxime 73: »Man kann Frauen finden, die nie ein Liebesabenteuer gehabt haben; aber man findet selten eine, die nur eins gehabt hat.« nach dem Ruhm strebte, nur einen Hund geliebt zu haben, und Marphise setzt mich in Verlegenheit. Ich weiß nicht, was ich machen soll, welche Gründe kann ich ihr angeben? Ganz unmerklich kommt man ins Lügen, ich werde ihr wenigstens alle Umstände erzählen, die mich zu dem neuen Verhältnis verleitet haben. 114
Als ich die Geschichte der Juden las, sagte ich: Wenn Gottes Gnade mich als Jüdin hätte zur Welt kommen lassen, würde ich mich in ihrer Religion wohler fühlen als in irgendeiner andern, außer in der wahren. Ich finde sie prächtig. Dir muß sie in diesem Jahr der Ruhe und der Schlafröcke, wo Du ein Beispiel der Frömmigkeit abgeben könntest, noch besser gefallen; niemals wäre der Sabbat besser geheiligt worden, als in Deinem großen Sessel.
An Mme. de Grignan
Les Rochers, 12. Januar 1676
Ich bin entzückt darüber, daß Du die »Essais de Morale« liebst. Hatte ich nicht recht, zu sagen, das wäre etwas für Dich? Sobald ich angefangen hatte, sie zu lesen, dachte ich nur noch daran, Dir sie zu senden. Du weißt, daß ich mitteilsam bin und daß ich nicht gern ein Vergnügen allein genieße. Man glaubt, nur in diesem Buche Französisch gelesen zu haben.
Wir haben Tränen gelacht über jenes Mädchen, das in der Kirche ein Lied, über das sie gebeichtet hatte, laut sang. Das ist doch wenigstens ein neuer köstlicher Scherz. Ich finde, daß sie recht hatte. Jedenfalls wollte der Beichtvater das Lied hören, da er sich nicht damit begnügte, daß das Mädchen es ihm gebeichtet hatte. Ich glaube, den Beichtvater zu sehen, wie er selbst über das Abenteuer lacht. Wir berichten Dir oft lustige Sachen, aber sowas können wir nicht heimzahlen.
Von Charles de Sévigné an Mme. de Grignan
Les Rochers, 12. Januar 1676
Ich bin in übler Laune, ich habe soeben mit dem Herzensguten eine ernste Unterhaltung über die schlechten Zeiten gehabt, und Du weißt, wie dieses Kapitel das Herz zerreißt.
Wegen der »Essais de morale« bitte ich Dich ganz untertänig um Verzeihung, da ich Dir sagen muß, daß 115 mir die Abhandlung von der Selbsterkenntnis schwer verständlich erscheint; sie ist sophistisch, manche Stellen sind der reine Unsinn, und, was die Hauptsache ist, sie sind fast immer langweilig. Ich beehre die »Weise, wie man Gott versuchen kann« mit einer Billigung, aber Du, die Du den guten Stil liebst und Dich so gut darauf verstehst, wenn man nach dem Deinen schließen darf, – kannst Du den neuesten Stil von Port Royal mit dem Pascals vergleichen? Gerade der letztere verleidet einem jede andre Schreibweise. Nicole bringt eine Menge schöner Worte in seinen Schriften an, das ermüdet und macht einem zuletzt ganz übel; es ist, als wenn man zu viel BlancmangerWeiße Gallerte mit Mandeln. äße; das ist meine Meinung. Um Dich zu besänftigen, sage ich Dir, daß ich mich in vielen Kapiteln mit Montaigne ausgesöhnt habe. Einige finde ich bewundernswert und unnachahmlich; andre wieder kindisch und extravagant, bei diesen widerrufe ich nicht. Wenn Du Josephus zu Ende gelesen hast, bitte ich Dich, es mit einer alten Moralabhandlung von Plutarch zu versuchen, deren Titel lautet: »Wie man den Freund von dem Schmeichler unterscheiden kann.« Ich habe sie in diesem Jahr wiedergelesen, und sie hat mir noch besser gefallen als das erstemal.
Lebe wohl, mein schönes Schwesterchen.
An Mme. de Grignan
(Charles de Sévigné in die Feder diktiertMme. de Sévigné litt seit einigen Wochen an Gelenkrheumatismus.).
Les Rochers, 9. Februar 1676
So ist richtig das eingetroffen, geliebte Tochter, was wir vorausgesehen haben. Ich sehe im Geist Deine Sorge und die traurigen Betrachtungen, während ich schon wieder hergestellt bin. Ich fürchtete den Eindruck dieser Nachricht für Dich, da ich weiß, wie Du für mich fühlst, aber Du hast ja den Verlauf der Krankheit gesehen, die nichts 116 Gefährliches hat. Wir hatten nicht die Absicht, Dich zum Beginn zu täuschen, wir sprachen Dir von einem steifen Hals und glaubten, es bliebe dabei. Aber am folgenden Tage zeigte sich, daß es ein Rheumatismus war, die schmerzhafteste und unangenehmste Krankheit der Welt. Obgleich ich schon hergestellt bin und in meinem Zimmer auf und ab gehe, auch schon in der Messe war, habe ich noch viel warme Umschläge. Wirklich, die Unfähigkeit, zu schreiben, ist ein sonderbar Ding, und hat bei Dir ganz den schlimmen Eindruck gemacht, den ich befürchtete. Wirst Du glauben, daß mir unser »Wasser der ungarischen Königin« während meiner ganzen Krankheit widerlich war? Ich sehe, mit welcher Ungeduld Du unsern zweiten Brief erwartet hast, und ich danke M. de Roquesante, daß er Deine Sorge teilte. Es gibt Helden in der Freundschaft, auf die ich große Stücke halte. Ich danke den Kleinen, daß sie Gott so innig gedankt haben, und ich verspreche M. de Grignan ein paar Zeilen von meiner eignen Hand, sobald man mir meine Umschläge abgenommen hat. Ich bitte Dich ernstlich, allen Damen und allen Leuten, die sich für meine Gesundheit interessiert haben, zu danken; obgleich ich ihren Eifer nur der Absicht zuschreibe, Euch zu gefallen, hat er mich doch erfreut, und ich ersuche Dich, ihnen meine Dankbarkeit auszudrücken. Ich fürchte, daß mich Dein Bruder verlassen muß, und das macht mir Sorge. Man spricht ihm nur von Revuen, Brigaden und Krieg. Die Krankheit hat all unsre schönen Pläne zerstört. Auf alle Fälle lasse ich Helene kommen, um nicht überrascht zu werden; mit der Zeit werden wir ja wohl wieder vereinigt. Ich beschwöre Dich, sorge für Dich und Deine Gesundheit, Du kannst mir keinen bessern Freundschaftsbeweis geben. Lebe wohl, geliebtes Kind, ich umarme Dich von ganzem Herzen. Der Frater will an M. de Grignan schreiben.
Charles de Sévigné an M. de Grignan
Obgleich meine Schwester ihre Aufregung sorgsam zu verbergen bemüht war, können Sie überzeugt sein, mein teurer Bruder, daß ich jede nur erdenkliche Vorsicht gebraucht haben würde, sie zu schonen, im Fall uns die Krankheit meiner Mutter die geringste Sorge gemacht 117 hätte. Glücklicherweise aber hatten wir nur den Kummer, sie unerträgliche Schmerzen dulden zu sehen, ohne daß je ein Anschein von Gefahr gewesen wäre. Sie haben das auch aus unsern Briefen ersehen können, die Sie beruhigten. Seien Sie versichert, lieber Bruder, ich versäumte bei der Gelegenheit meine Pflicht nicht; meine Schwester nimmt einen solchen Platz in meinem Herzen ein, daß ich sie nicht vergessen kann. Gegenwärtig sind wir voll Freude, die Gesundheit meiner Mutter kehrt sichtlich zurück, und ich tröste mich über die Krankheit, weil sie dadurch lernen wird, sich zu schonen wie eine Sterbliche, und weil ich ihr es zu verdanken habe, daß ich einen liebenswürdigen, freundschaftlichen Brief von Ihnen erhalten habe.
An Mme. de Grignan
Ich komme wieder zu Dir, mein Schwesterchen, um Dir die Fragen zu beantworten, die Du in Deinen letzten Briefen gestellt hast. Man hätte es wie der Kammerdiener meines verstorbenen Onkels, des Bischofs von Chalon, machen müssen, der sagte: »Der Herr hat seit gestern das viertägige Fieber.« Wir haben Dir alles gesagt, was zu sagen war. Bedanke Dich schön bei uns und laß Dir nicht beifallen, uns über irgend etwas zu zanken; Du hättest unrecht. Wir haben den Abbé de Chavigny zum Bischof von Rennes bekommen. Du wirst finden, wir könnten froh darüber sein, nur mußt Du dabei vergessen, wie sehr er Montaigne verabscheut. Ich umarme Dich tausendmal, mein Schwesterchen. Ich bitte Dich, sage nochmals die besten Grüße an M. de Grignan. Endlich habe ich einen Brief von ihm an jemand anders als an Dich gesehen, ich werde ihn auch als ein Denkmal seiner Güte und als Ehrenzeichen aufbewahren; das beweist doch meine Erkenntlichkeit zur Genüge.
An M und Mme. de Grignan
Paris, 29. April 1676
Ich muß Dir zuerst sagen, daß Condé in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Sturm genommen worden 118 istDie Stadt Condé liegt an der Schelde; sie war damals befestigt und im Besitz der Spanier. Am 17. April 1676 hatte sie der Marschall de Créqui eingeschlossen. In der Nacht vom 25. auf den 26. wurde sie erstürmt.. Zuerst macht einem die Nachricht Herzklopfen, man fürchtet, den Sieg teuer erkauft zu haben. Dem ist aber ganz und gar nicht so, meine Schönste, er kostet uns nur wenige Soldaten und nicht einen Mann von Namen. Das heißt man ein vollkommenes Glück.
Mme. de Brinvilliers ist nicht so vergnügt wie ich, sie ist im Gefängnis und verteidigt sich ziemlich gut. Sie bat gestern, man möge sie Piket spielen lassen, weil sie sich langweile. Man hat ihre Bekenntnisse gefunden; sie sagt darin, daß sie mit sieben Jahren kein Mädchen mehr war, und daß sie in derselben Weise weitergelebt hat, daß sie ihren Vater, ihre Brüder, eins ihrer Kinder vergiftete, auch sich selbst, aber nur um ein Gegengift zu probieren. Medea tat nicht so viel. Sie hat anerkannt, daß die Bekenntnisse von ihrer Hand geschrieben sind; das ist eine große Dummheit, aber sie behauptet, ein hitziges Fieber gehabt zu haben, als sie dieselben schrieb. Es seien Wahnsinnsphantasien, die man nicht ernst nehmen dürfeDie Marquise de Brinvilliers wurde als Giftmischerin verfolgt; sie floh nach England, wurde nach Frankreich gelockt und verhaftet. Die folgenden Briefe berichten von ihrem Prozeß und ihrer Hinrichtung. Der französische Hof wurde in jenen Jahren überhaupt durch Vergiftungen, wirkliche oder vermeintliche, in Schrecken gesetzt..
Die Königin war mit »Quanto«Madame de Montespan. zweimal bei den Karmeliterinnen, letztere setzte sich in den Kopf, dort eine Lotterie zu veranstalten. Sie ließ alles, was Nonnen gefallen kann, herbeibringen, und veranstaltete ein großes Fest im Kloster. Sie sprach viel mit der Schwester Luise de la MiséricordeMadame de la Vallière., und fragte sie, ob sie wirklich so vergnügt wäre, wie man sagte. »Nein«, sagte sie, »ich bin nicht vergnügt, aber ich bin zufrieden.« »Quanto« sprach viel von dem Bruder Monsieurs, und ob sie ihm nichts sagen lassen wolle, sie werde es ausrichten. Obwohl vielleicht über diese Manier gereizt, bewahrte jene ihren liebenswürdigen Ton und antwortete: »Alles, was Sie wollen, 119 Madame, alles, was Sie wollen.« Das alles wurde mit Anmut, Geist und aller erdenklichen Bescheidenheit gesagt. Später wollte »Quanto« speisen, sie gab einen Doppel-Louisdor, damit man alles kaufe, was man zu einer Sauce braucht. Sie bereitete diese selbst und aß mit wunderbarem Appetit. Ich erzähle Dir die Tatsache ohne irgendeinen Kommentar.
Ich versichere Sie, Herr Graf, mir wäre die Gnade, von der Sie mir sprachen, tausendmal lieber als die Seiner Majestät. Ich glaube, Sie sind meiner Ansicht und begreifen auch meinen Wunsch, Ihre Frau zu sehen. Sie sind nicht Herr in Ihrem Haus, wie der Kohlenbrenner, sondern im Gegenteil, Sie sind es mehr als alle Kohlenbrenner der WeltBei einem Etikettestreit hatte der König eine Entscheidung gegeben, die den Grafen d'Armagnac zu Einwendungen bewog. Der König beharrte auf seinem Beschluß, worauf sich der Graf mit den Worten fügte: »Der Köhler ist Herr in seinem Haus.«. Nichts wird Ihnen vorgezogen, in welchem Zustand man auch sei; aber seien Sie großmütig, und wenn man noch einige Zeit die gute Frau gespielt hat, lassen Sie sie auch die gute Tochter spielen. Auf diese Art erfüllt man alle seine Pflichten, und das einzige Mittel, mir das Leben wiederzugeben, ist der Beweis, daß Sie mich ebensosehr lieben, wie ich Sie.
Mein Gott, wie seid Ihr komisch, Ihr sprecht noch von Cambrai! Wir werden schon eine andre Stadt erobert haben, bevor Ihr die Einnahme von Condé erfahrt. Was sagt Ihr zu unsrem Glück, das unsern Freund, den Türken, nach Ungarn ruft? Jetzt freut sich Corbinelli, und das Kannegießern kann losgehen.
An Mme. de Grignan
Vichy, 28. Mai 1676
Gerade jetzt habe ich zwei Briefe von Dir erhalten, der eine kommt von Paris, der andre von Lyon. Du entbehrst ein großes Vergnügen dadurch, daß Du niemals solche Lektüre hast. Ich weiß nicht, wo Du alles, was Du sagst, hernimmst; es ist so schön und so richtig, daß man immer 120 wieder aufs neue überrascht ist. Du hast recht, wenn Du glaubst, daß ich ohne Aufregung schreibe und daß meine Hände besser sind. Sie schließen sich noch nicht, und das Innere der Hand ist sehr geschwollen und die Finger auch. Das verursacht mir Zittern und nimmt meinen Bewegungen die Anmut. Aber ich kann sehr gut die Feder halten, und deshalb fasse ich mich in Geduld. Ich habe heute angefangen zu duschen, es ist eine ganz gute Vorbereitung für das Fegefeuer. Man ist ganz nackt in einem kleinen unterirdischen Raum, wo sich ein Rohr mit dem heißen Wasser befindet, das eine Frau dahin richtet, wohin man es verlangt. Wenn man kaum ein Feigenblatt als Kleidung behält, fühlt man sich in recht demütigender Lage. Ich wollte meine zwei Kammerfrauen mitnehmen, um bekannte Gesichter zu sehen. Hinter dem Vorhang steht jemand, der einem während einer halben Stunde Mut zuspricht. Für mich war es ein Arzt aus GannatGannat ist eine Stadt in der Nähe von Vichy., den Mme. de Noailles in alle Bäder mitnimmt, und den sie sehr gern hat. Es ist ein anständiger junger Mann, kein Scharlatan, und ohne vorgefaßte Meinung; sie hat ihn mir aus reiner Freundschaft geschickt. Ich behalte ihn, und wenn es mich auch meine Haube kostet, denn die hiesigen Ärzte sind mir unerträglich. Der Mann unterhält mich. Er sieht nicht wie ein schlechter Arzt aus, er ist geistreich und anständig, auch hat er Welt, kurz, ich bin mit ihm zufrieden. Er sprach also mit mir, während ich auf der Folter war. Denke Dir einen Wasserstrahl auf eines Deiner Glieder gerichtet, heißer als Du Dir's nur vorstellen kannst. Zuerst alarmiert man alle Geister, und dann bearbeitet man die leidenden Gelenke. Wenn man aber ans Genick kommt, ist das ein Feuer und eine Überraschung, die sich nicht schildern lassen, und doch ist das die Hauptsache. Man muß alles aushalten, und man hält es auch aus und verbrennt nicht. Dann legt man sich in ein warmes Bett, wo man stark schwitzt, und das heilt. Auch dabei erweist sich mein Arzt als angenehm, denn anstatt mich zwei Stunden lang der Langweile zu überlassen, die bei dem Schwitzen unvermeidlich ist, lasse ich ihn mir vorlesen, und das zerstreut mich. Diese 121 Lebensweise werde ich nun sieben oder acht Tage lang führen; ich dachte erst auch dabei zu trinken, aber man will nicht, es wäre zu viel. So wird meine Reise etwas länger dauern. Man hat mich hierher geschickt, um einmal gründliche Wäsche zu halten, und man tat recht daran; es ist als wenn ich einen neuen Vertrag mit dem Leben und der Gesundheit abschlösse. Und wenn ich Dich, meine Teure, wiedersehen kann und Dich zärtlich und freudig umarmen darf, kannst Du mich vielleicht immer noch Deine bellisima madre nennen, und ich werde nicht auf den Titel der Mamaschönheit verzichten, mit dem mich M. de Coulanges beehrt hat. Du siehst, mein Kind, daß es nur von Dir abhängt, mich auf diese Weise wieder aufzuwecken. Ich will damit nicht sagen, daß Deine Abwesenheit mein Übel hervorgerufen habe; im Gegenteil, es scheint, daß ich nicht genug geweint habe, da mir noch so viel Wasser übrig bleibt. Aber wahr ist es doch, daß auf mein Leben ein Schatten fällt, weil ich ohne Dich leben muß, und mich nicht daran gewöhnen kann.
An Mme. de Grignan
Vichy, 1. Juni 1676, abends
Lassen Sie sich heimgeigen, Frau Gräfin, mit Ihrem Vorschlag, ich solle Ihnen nicht mehr schreiben. Wisse denn, daß das meine Freude ist und das größte Vergnügen, das ich hier habe. Du schlägst mir eine lächerliche Diät vor, lasse mich dieser Neigung in voller Freiheit nachgeben, da ich in allen andern Dingen, die ich für Dich tun möchte, behindert bin. Lasse Dir nicht einfallen, seltener zu schreiben. Ich nehme mir Zeit dazu, und das Interesse, das Du an meiner Gesundheit hast, hält mich ab, irgend etwas zu tun, was ihr schaden könnte. Deine Betrachtungen über die Opfer, die man der Vernunft bringt, sind sehr richtig und für uns im Augenblick ganz am Platz. Es ist wahr, daß nur die Liebe zu Gott uns in dieser und jener Welt zufrieden machen kann. Es ist schon lange her, daß man das sagt, aber Du hast es in einer Weise gesagt, die mir auffiel. 122
Doch reden wir von der reizenden Dusche, ich habe sie Dir schon beschrieben. Ich bin an der vierten und werde bis zu acht gehn. Mein Schweiß ist so reichlich, daß er die Matratze durchnäßt; ich denke, es ist alles Wasser, das ich getrunken, seit ich auf der Welt bin. Wenn man ins Bett kommt, ist man ganz hin, der Kopf und der ganze Körper sind in Bewegung, alle Lebensgeister in Aufruhr, überall pocht es. Ich bleibe eine Stunde ohne den Mund aufzutun, während dessen beginnt der Schweiß und dauert zwei Stunden lang. Um nur ja die Geduld nicht zu verlieren, lasse ich mir von meinem Arzt vorlesen. Ich nötige ihn, die Philosophie Deines Vaters Descartes zu studieren, und gebrauche Redensarten, die ich von Dir hörteMme. de Grignan war eine eifrige Anhängerin der Philosophie des Descartes.. Bald werde ich allein sein und bin froh darüber. Wenn mir nur die schöne Landschaft bleibt, der Fluß Allier, die vielen Gehölze, die Bäche, Wiesen, Schafe, Ziegen, und die Bäuerinnen, welche die BourréeLändlicher Tanz in der Auvergne. im freien Feld tanzen, dann sage ich gern allem übrigen Lebewohl. Die Gegend allein könnte mich heilen. Der Schweiß, der alle andern Menschen schwächt, gibt mir Kraft und zeigt mir, daß meine Schwäche nur vom Überfluß kam, der in meinem Körper vorhanden war. Meine Knie sind viel besser, meine Hände wollen noch nicht recht, aber sie werden mit der Zeit schon wollen. Vom Fronleichnamstag an trinke ich noch acht Tage, und dann werde ich mit Trauer denken, daß ich mich von Dir entferne. Es wäre mir wirklich eine große Freude gewesen, Dich für mich allein zu haben, aber Deine Bedingung, daß jedes wieder allein nach Hause kehren müsse, hat mich entsetzt. Reden wir nicht weiter davon, mein Kind, es ist geschehen. Denke darüber nach, ob es möglich wäre, daß Du mich im Winter besuchst, ich meine, Du müßtest Lust dazu haben, und M. de Grignan macht mir diese Freude gewiß gern. Ich muß Dir nur sagen, daß Du dem Wasser unrecht tust, wenn Du es für schwarz hältst, – schwarz, nein; heiß, ja. Die Provençalen würden sich nicht an das Getränk gewöhnen. Aber wenn man einen Grashalm oder eine Blume in das kochende Wasser wirft, kommt 123 sie so frisch wieder heraus, als ob man sie eben gepflückt hätte. Und anstatt die Haut zu braten und sie hart zu machen, wird sie durch das Wasser zart und glatt. Reime Dir das zusammen.
Lebe wohl, mein teures Kind; soll man nur dann von dem Bade Nutzen haben, wenn man seine Tochter nicht mehr liebt, dann verzichte ich darauf. Du sagst mir so liebenswürdige Dinge, und bist selbst nur zu liebenswürdig, wenn Du willst. Nicht wahr, Herr Graf, Sie sind glücklich, sie zu besitzen? Welch ein Geschenk habe ich Ihnen gemacht!
An Mme. de Grignan
Vichy, 4. Juni 1676
Ich bin heute mit meiner Dusche und meiner Schwitzerei fertig geworden; ich glaube in acht Tagen sind meinem Körper mehr als acht Pinten Wasser entzogen worden. Ich bin überzeugt, daß mir nichts besser tun konnte, und denke nun für den Rest meines Lebens von allem Rheumatismus befreit zu sein. Die Dusche und das Schwitzen sind sicherlich unangenehm, aber es gibt eine gewisse halbe Stunde, wo man trocken und frisch ist und Hühnerbrühe trinkt. Ich rechne diese Augenblicke nicht zu den kleinen Freuden, es ist eine köstliche Zeit. Mein Arzt sorgte, daß ich nicht vor Langeweile starb, er unterhielt mich damit, daß er von Dir redete. Er ist heute abgereist, wird aber wiederkommen, denn er liebt gute Gesellschaft, und seit Mme. de Noailles war es ihm nicht mehr so gut gegangen. Morgen werde ich eine leichte Arznei nehmen, hierauf acht Tage lang trinken, und dann ist's fertig. Ich habe gestern selbst eine Rose in die kochende Quelle geworfen, sie schwamm lang darin herum, und dann zog ich sie so frisch heraus, als wenn sie vom Strauch käme. Eine andre warf ich in ein Pfännchen mit heißem Wasser, sie war im Augenblick gekocht. Dieses Experiment, von dem ich hatte sprechen hören, machte mir Freude. Es ist sicher, daß das Wasser hier Wunder tut.
Daß unser Kleiner in seinem Wuchs den Grignans 124 nachschlägt, freut mich sehr. Du schilderst ihn mir als hübsch und liebenswürdig; seine Schüchternheit hat Dir ganz unnötige Sorge gemacht. Du beschäftigst Dich mit seiner Erziehung, und das ist ein Glück für sein ganzes Leben, das ist der Weg, ihn zu einem tüchtigen Mann zu machen. Du siehst, wie gut es war, ihm Hosen anzuziehen; sie sind Mädchen, solange sie Kleider tragen.
Du verstehst meine Hände nicht, liebe Tochter, gegenwärtig kann ich schon teilweise mit ihnen tun, was ich will, aber ich kann sie nur so weit schließen als nötig ist, um die Feder zu halten. Die Handfläche macht noch keine Anstalt dünner zu werden. Was sagst du zu den hübschen Überbleibseln des Rheumatismus? Der Kardinal de Retz schrieb mir neulich, daß die Ärzte seine Kopfschmerzen einen Rheumatismus der Häute genannt hätten, welch verteufelter Name! Bei dem Wort Rheumatismus hätte ich beinahe geweint.
Küsse die Kleinen von mir, die Ausgelassenheit Paulinens gefällt mir. Will der »kleine Kleine« durchaus leben, ganz gegen die Meinung von Hippokrates und GalenDer »kleine Kleine« war ein Acht-Monats-Kind.? Mir scheint, er wird ein ganz außerordentlicher Mann werden. Die Hartherzigkeit, die Du Deinen Kindern beibringst, ist wirklich etwas sehr Bequemes. Deine Kleine denkt jetzt, Gott sei Dank, weder an Vater noch an MutterDie Tochter der Gräfin Grignan war seit dem Frühjahr 1676 in einem Klosterpensionat zu Aix in der Provence.. Diese glückliche Eigenschaft hat sie nicht von Dir, Du liebst mich zu viel, und ich finde, daß Du Dich zu viel mit mir und meiner Gesundheit beschäftigst. Du hast schon zu viel darunter gelitten.
An Mme. de Grignan
Vichy, 8. Juni 1676
Mein größter Kummer ist der, daß Du nicht sehen kannst, wie man die Bourrées hierzulande tanzt. Es ist wirklich überraschend. Bauern, Bäuerinnen, mit richtigem Gehör wie Du, und mit einer Leichtigkeit, einer Geschicklichkeit – 125 kurz, ich bin entzückt davon. Ich bestelle jeden Abend eine Violine und eine Schellentrommel, die mich vier Sous kosten, und in den Wiesen und dem hübschen Gehölz ist es eine Freude, die letzten Schäfer und Schäferinnen des Lignon tanzen zu sehenDer Lignon ist ein kleiner Nebenfluß der Loire, und berühmt durch den Schäferroman »Asträa«, der an seinen Ufern spielt. Es ist mir unmöglich, Dich nicht zu derartigen Streichen herbeizuwünschen, so vernünftig Du auch bist.
Du fragst mich, ob ich fromm bin, meine Beste; nein, aber es tut mir leid. Doch kommt es mir vor, als löste ich mich etwas von dem ab, was man Welt nennt. Alter und Krankheit geben uns Zeit zum Nachdenken. Was ich aber an den andern erspare, gebe ich, scheint es, Dir, und so komme ich im Land der Frömmigkeit kaum weiter.
Mme. de Montespan ist am Donnerstag von Moulins abgereist. Das Schiff, auf dem sie fuhr, hatte der Herr Intendant für sie herrichten lassen. Es war gemalt, vergoldet, mit roten Damastmöbeln ausgestattet, und trug tausend Namenszüge und Wimpel, mit den Farben von Frankreich und Navarra. Nie hat man etwas Schöneres gesehen, es kostete ihn mehr als tausend Taler. Aber die Schöne bezahlte ihn durch einen Brief, den sie gleich an den König schrieb, und der, wie sie ihm sagte, nur von der Pracht der Ausrüstung erzählte. Sie wollte sich den Frauen nicht zeigen, aber die Herrn sahen sie unter dem Schutz des Herren von Morant, des Intendanten. Sie hat sich auf dem Allier eingeschifft, um bei Nevers in die Loire einzufahren, auf der sie bis nach Tours gelangt, und dann geht sie nach Fontevrault. Dort erwartet sie die Rückkehr des Königs, die sich wegen des Vergnügens, das er am Kriegshandwerk hat, verzögert. Ich weiß nicht, ob man über diese Vorliebe entzückt ist.