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An Mme. de Grignan
Les Rochers, Mittwoch, 23. September 1671
Jetzt sind wir, mein liebes Kind, wieder in der scheußlichsten Zeit, die man sich nur vorstellen kann: seit vier Tagen herrscht ein beständiger Sturmregen; all unsere Alleen stehen unter Wasser, und man kann nicht mehr darin spazieren gehen. Unsere Maurer, unsere Zimmerer müssen im Hause bleiben. Wie ärgere ich mich über dieses Land und wie sehne ich mich nach der Sonne, die bei Euch scheint, aber vielleicht sehnt Ihr Euch nach unserem Regen.
Ich bleibe in meinem Zimmer und lese, denn ich wage es nicht, die Nase herauszustrecken. Mein Herz ist zufrieden, weil ich annehme, daß Du gesund bist; da kann ich schon die Stürme ertragen. Ohne die Ruhe meines Herzens könnte ich den schlimmen Streich, den uns der September spielt, nicht ertragen, denn das ist doch ein Verrat in der jetzigen Jahreszeit, wo wir zwanzig Arbeiter im Hause haben.
Ich lese weiter in der »Moral« von Nicole, die mir köstlich scheint. Ich habe allerdings noch keine Lehre gegen den Regen darin gefunden, aber ich hoffe, sie noch zu finden, und die Ergebung in den Willen Gottes könnte mir genügen, wenn ich nicht ein spezifisches Mittel wünschte. Kurz und gut, das Buch ist bewundernswert; niemand schreibt wie diese Herren, denn ich rechne stets Pascal dazu, wenn es sich um etwas Schönes handelt. Man hört so gern 43 von sich und seinen Gefühlen reden, daß, selbst wenn es ein Tadel ist, man entzückt davon ist. Ich habe sogar der »Aufgeblasenheit« des Herzens dem Übrigen zuliebe verziehen, und ich bleibe dabei, daß es kein anderes Wort gibt, um die Eitelkeit und den Stolz zu erklären, die ja eigentlich nur Wind sind. Aber Du magst ein anderes Wort suchen. Ich lese einstweilen das Buch mit Vergnügen zu Ende.
Wir lesen auch die Geschichte Frankreichs von dem König Johann an. Ich suche mir sie im Kopfe klarzulegen, zum mindesten so gut wie die römische Geschichte, in der ich weder Verwandte noch Freunde habe; in der französischen Geschichte findet man wenigstens bekannte Namen. Solange wir also Bücher haben, wollen wir uns nicht aufhängen. Du kannst Dir wohl denken, daß ich in dieser Stimmung unserem Mousse nicht unangenehm bin. Für unsere Erbauung haben wir die Sammlung der Briefe des Herrn de Saint-Cyran, die Herr d'Andilly Dir schicken wird und die Du bewundernswert finden wirst. Das ist alles, mein Kind, was Dir eine wirkliche Einsiedlerin sagen kann.
Man berichtet mir, daß Mme. de Verneuil sehr krank ist. Der König unterhielt sich eine Stunde lang mit dem guten Herrn d'AndillyDieser erschien nach 26jähriger Abwesenheit zum erstenmal wieder am Hofe, um dem König dafür zu danken, daß er seinem Sohne, dem Marquis de Pomponne, das Ministerium des Auswärtigen übertragen hatte. und zwar sehr freundlich, sehr heiter, sehr gutmütig. Es freute ihn, diesem lieben alten Herrn seinen Geist zu zeigen und sich von ihm bewundern zu lassen. Er sagte, es freue ihn sehr, Hrn. de Pomponne gewählt zu haben, er erwarte ihn mit Ungeduld und werde sich seiner annehmen, da er wisse, daß er nicht reich sei. Er sagte zu dem guten alten Herrn, es liege eine gewisse Eitelkeit darin, daß er in seinem Vorwort zu »Josephus« gesagt habe, er sei achtzig Jahre alt; das sei eine Sünde. Man lachte darüber, und der König sagte, er solle nicht glauben, daß er ihn in seiner Wüste in Ruhe lassen werde; er werde ihn holen lassen, denn er wolle ihn sehen, da er in so mancher Hinsicht ein berühmter Mann sei. Als der gute Herr ihn seiner Treue versicherte, erwiderte der König, 44 daran zweifle er nicht, und wenn man Gott gut diene, so diene man auch seinem König gut. Er schickte ihn zum Essen und ließ ihn in seiner Kalesche spazieren fahren und sprach einen ganzen Tag voll Bewunderung von ihm. Hr. d'Andilly aber ist entzückt und sagt von Zeit zu Zeit zu sich: »Ich muß mich demütigen«, wie wenn er das nötig hätte. Du kannst Dir denken, wie erfreut ich war und welchen Anteil ich daran nehme.
Wenn nur meine Briefe Dir ebensoviel Vergnügen bereiten, wie die Deinigen mir. Mein liebes Kind, ich umarme Dich von ganzem Herzen.
An Mme. de Grignan
Les Rochers, 7. Oktober 1671
Du weißt, daß ich bei meiner Lektüre immer ein bißchen eigensinnig bin. Diejenigen, mit denen ich spreche oder denen ich schreibe, haben ein Interesse daran, daß ich gute Bücher lese. Das, von dem ich jetzt sprechen will, ist von Nicole, und zwar seine Abhandlung »Wie der Frieden zwischen den Menschen zu erhalten ist«. Meine Beste, ich bin entzückt davon, ich habe niemals etwas Nützlicheres, Geistvolleres und Klareres gesehen. Wenn Du es nicht gelesen hast, lies es, und wenn Du es gelesen hast, lies es wieder mit erneuter Aufmerksamkeit. Ich glaube, jedermann erkennt sich darin; ich wenigstens glaube, daß es für mich geschrieben ist; ich hoffe auch davon zu profitieren, ich will mich wenigstens bemühen. Du weißt, daß ich es nicht ausstehen kann, wenn die alten Leute sagen: »Ich bin zu alt, um mich zu ändern.« Ich verzeihe leichter einer jungen Person, wenn sie so redet. Die Jugend ist so liebenswürdig, daß man sie anbeten müßte, wenn die Seele und der Geist so vollkommen wären wie der Körper. Aber wenn man nicht mehr jung ist, dann muß man sich vervollkommnen und an guten Eigenschaften zu gewinnen suchen, was man an Liebenswürdigkeit einbüßt. Es ist schon lange her, daß ich die Betrachtungen gemacht habe, und aus diesem Grund will ich täglich an meinem Geist, meiner Seele, meinem Herzen und meinen Gefühlen arbeiten. 45
An Mme. de Grignan
Les Rochers, 21. Oktober 1671
Weißt du, daß Wölfe in meinem Wald sind? Ich habe zwei oder drei Wächter, die mit der Flinte auf der Schulter mich des Abends begleiten. BeaulieuDer Haushofmeister der Marquise. ist der Anführer. Seit zwei Tagen haben wir zwischen elf Uhr und Mitternacht den Mondschein mit unsrer Gegenwart beehrt. Vorgestern sahen wir einen schwarzen Mann, und ich rüstete mich schon, ihm mein Strumpfband zu verweigernAnspielung auf einen Volksaberglauben und eine darauf sich beziehende Geschichte, die Mme. de Grignan ihr kurze Zeit zuvor in einem Brief erzählt hatte. Er näherte sich und es stellte sich heraus, daß es La Mousse war. Etwas weiter sahen wir einen weißen Körper ausgestreckt, mutig gingen wir auf ihn los – es war ein Baum, den ich vergangene Woche hatte fällen lassen. Das sind doch ganz außerordentliche Abenteuer; ich fürchte, daß Du in Deinem Zustand darüber erschrickst, trink ein Glas Wasser, Liebste.
An Mme. de Grignan
Paris, 9. März 1672
Wir bemühen uns, unsern guten KardinalDer Kardinal de Retz, der während des Bürgerkriegs der Fronde Erzbischof von Paris und ein Haupt der Frondeurs war, verlor nach der Unterdrückung des Aufstands sein Erzbistum, wurde gefangen gesetzt, entfloh, reiste in Europa herum und erhielt endlich die Erlaubnis nach Paris zurückzukehren. Befreundet mit Mme. de Sévigné, erfreute er sich ihrer Besuche, als er in den letzten Jahren seines Lebens leidend war. Er starb 1670 und hinterließ berühmte Memoiren. zu erheitern. Corneille hat ihm ein Stück vorgelesen, das in einiger Zeit aufgeführt werden soll und an seine früheren erinnertDie neue Tragödie, die Corneille dem Kardinal vorlas, war seine »Pulchérie«, die aber bei der Aufführung nicht gefiel.. Molière wird ihm nächsten Samstag seinen 46 »Trissotin« vorlesen, ein sehr lustiges StückMme. de Sévigné bezeichnet so die »Femmes savantes«, in welchem Stück der einfältige pedantische Trissotin eine der ergötzlichsten Figuren bildet.. Despréaux will ihm seinen »Lutrin« und seine »Poetik« gebenDer »Lutrin« (Das Chorpult) ist ein heroisch-komisches Epos von Boileau-Despréaux; dasselbe war damals noch nicht im Druck erschienen, so wenig wie desselben Dichters Art Poétiques. Beide wurden erst 1674 veröffentlicht. Um so mehr interessierten die einzelnen Proben, die der Dichter in Privatkreisen vorlas.. Das ist alles, was man für ihn tun kann. Der arme Kardinal liebt Dich von Herzen, spricht oft von Dir, und es ist leichter für ihn, Lobeshymnen auf Dich zu beginnen als sie zu enden. Leider kann uns nichts trösten, wenn wir daran denken, daß man uns eine liebe Tochter geraubt hat; ich wäre sogar böse, wenn ich getröstet werden könnte. In dieser Beziehung rühme ich mich weder der Festigkeit noch der Philosophie, ich lasse mich von meinem Herzen leiten. Man behauptete neulich, und ich glaube, es Dir schon mitgeteilt zu haben, die wahre Größe des Herzens werde nach der Fähigkeit gemessen, mit der es zu lieben wisse. Dann finde ich mich sehr groß; diese Lehre könnte mich eitel machen, wenn ich nicht tausendfachen Anlaß hätte, bescheiden zu bleiben.
An Mme. de Grignan
Paris, 16. März 1672
Du fragst mich, teures Kind, ob mir das Leben noch immer sehr lieb ist. Ich bekenne Dir, daß es an schwerem Kummer für mich reich ist, aber der Tod ist mir noch mehr zuwider. Ich bin unglücklich darüber, daß er alles hier abschneidet, und wenn ich wieder von vorn anfangen könnte, wäre ich sehr zufrieden. Ich befinde mich in einem Zustand, der mich verwirrt, denn ich bin ohne meine Zustimmung ins Leben gesetzt worden, ich muß auch wieder daraus scheiden, und das verstimmt mich. Zudem, wie werde ich daraus scheiden? Wo? durch welche Türe? Und wann? Und wie? Werde ich tausend und tausend Schmerzen 47 ausstehen und in Verzweiflung sterben? Wird mich ein Gehirnschlag treffen? Werde ich durch einen Unglücksfall sterben? Wie werde ich mit meinem Gott stehen? Wie werde ich vor ihm erscheinen? Werde ich aus Furcht und aus Not zu ihm zurückkehren? Werde ich nur einzig das Gefühl der Furcht haben? Was kann ich hoffen? Gebührt mir das Paradies? Gebührt mir die Hölle? Welche Alternative! Welche Verlegenheit! Nichts ist närrischer, als sein Heil aufs Ungewisse stellen, und doch ist nichts natürlicher, und das dumme Leben, das ich führe, ist leicht zu verstehen. Ich quäle mich mit diesen Gedanken, und der Tod ist mir so fürchterlich, daß ich das Leben mehr darum hasse, weil es zu ihm führt, als um der Dornen willen, die sich uns entgegenstellen. Du wirst mir sagen, daß ich ewig leben möchte. Ganz und gar nicht, aber wenn man mich um meine Meinung gefragt hätte, so wäre ich gern in den Armen meiner Amme gestorben. Viele Unannehmlichkeiten hätte ich dann vermieden, und der Himmel wäre mir dann leicht und sicher zuteil geworden. Doch zu etwas anderm.
Ich bin außer mir, daß Du »Bajazet« von jemand anderm als von mir bekommen hast. Der Barbin, der Kerl, haßt mich, weil ich keine »Prinzessinnen von Cleve« und von »Montpensier« verfasse»Bajazet«, Tragödie von Racine, erschien zuerst im Druck 1672. Mme. de Sévigné schickte ihrer Tochter gern alle literarischen Neuigkeiten. Diesmal war ihr Barbin, der Buchhändler, zuvorgekommen. Sie sagt scherzend, Barbin hasse sie, weil sie keine Romane schreibe, die solchen Beifall fänden, wie die zwei erwähnten Werke der Gräfin La Fayette.. Dein Urteil ist gut und Du hast gesehen, daß ich ganz Deiner Meinung bin. Ich wollte, ich könnte Dir die ChampmesléDie Schauspielerin Champmeslé wird schon im 14. Brief erwähnt. Racine studierte ihr die Rollen in seinen Stücken ein, und er galt als ein Meister des Vortrags. schicken, um Dir das Stück recht lebendig zu machen. Die Rolle des Bajazet ist kalt, die Sitten der Türken sind falsch geschildert, sie machen nicht so viel Umstände, um sich zu verheiraten, die Lösung ist schlecht vorbereitet, man versteht den Grund der großen Metzelei nicht. Es sind aber auch hübsche Rollen darin, nur keine vollkommen schöne, nichts Hinreißendes, keine Tiraden wie bei Corneille, bei denen es einen schaudert. 48 Wir müssen uns wohl hüten, liebe Tochter, ihm Racine gleichzustellen, der Unterschied muß uns klar bleiben. Es finden sich kalte und schwache Stellen in »Bajazet«, und er wird niemals etwas Beßres als »Alexandre« und »Andromaque« hervorbringen»Alexandre«, die zweite Tragödie Racines, erschien 1665. Sie zeigt noch die damals herrschende affektierte Manier. Mit seiner »Andromaque« schuf der Dichter sein erstes Meisterwerk und eröffnete der französischen Tragödie eine neue Bahn.. Nach dem Urteil vieler Leute und, wenn ich mich dabei zu nennen wage, auch nach dem meinen, steht »Bajazet« weit unter diesen. Racine macht Schauspiele für die Champmeslé, aber nicht für die kommenden Jahrhunderte. Wenn er einmal nicht mehr jung ist und aufhört verliebt zu sein, wird die Geschichte ganz anders werden. Hoch lebe also unser alter Freund Corneille! Verzeihen wir ihm manchen schlechten Vers für die göttlichen, erhabenen Schönheiten, die uns entzücken! Sie sind unnachahmlich und zeigen den Meister. Despréaux spricht sich noch entschiedener aus, mit einem Wort, das ist der gute Geschmack, glaube mir.
An Mme. de GrignanVon Juli 1672 bis Oktober 1673 war die Marquise de Sévigné bei ihrer Tochter in der Provence.
Paris, 28. Dezember 1673
Ich fange meinen Brief schon heute an und werde ihn morgen fertig schreiben. Ich beginne mit dem Kapitel über Eure Pariser Reise. Durch Janet wirst Du hören, daß La Garde sie für sehr notwendig hält und sagt, Ihr solltet um Urlaub bittenJanet, ein Edelmann aus der Provence. – Der Marquis de La Garde war ein Vetter des Grafen Grignan und der Familie immer sehr zugetan.. Vielleicht hat er ihn schon erlangt, denn Janet war bei M. de PomponneDem Minister.. Du sagst zwar, Eure Reise sei nicht nötig, und die Gründe, die Du vorbringst, sind so vernünftig und Du stellst die der andern, die Dich zur Reise bewegen wollen, als so nichtig hin, daß ich ganz 49 niedergeschlagen bin. Ich kenne den Ton, den Du anschlägst, meine Tochter, ich kann ihn nicht überbieten, und besonders wenn Du mich fragst, ob es möglich ist, daß ich, die mehr als jeder andre an Eure Zukunft denken sollte, Euch in eine übermäßige Ausgabe stürzen und die Last, die Ihr jetzt schon mit Mühe tragt, noch vermehren wolle, und so weiter. Nein, mein Kind, ich will Euch nicht so viel Böses antun, Gott behüte! Und da Du die Vernunft, die Weisheit und die Philosophie selbst bist, will ich nicht, daß man mich als närrische, ungerechte und frivole Mutter anklage, die alles durcheinander bringt, alles zugrunde richtet und die aus weibischer Zärtlichkeit Euch verhindert, dem richtigen Gefühl zu folgen. Aber ich hatte geglaubt, Ihr könntet die Reise machen, Ihr hattet mir's versprochen. Und wenn ich denke, was Ihr in Aix für die Schauspieler, die Feste und die Gastmähler während des Karnevals ausgebt, glaube ich immer noch, es würde Euch weniger kosten hierherzukommen, wo Ihr gar nichts mitzubringen brauchtet. M. de Pomponne und M. de la Garde sprechen mir von tausend Angelegenheiten, bei denen Ihr nötig seid. Ich bin ganz zu Eurem Empfang bereit, mein Herz freut sich dieser Aussicht, Du bist nicht guter Hoffnung und brauchst Luftveränderung. Ich hoffe sogar, M. de Grignan werde Dich diesen Sommer über bei mir lassen, damit Du nicht die Reise in zwei Monaten machen müßtest wie ein Mann. Alle Eure Freunde waren so gefällig mir zu sagen, ich hätte ganz recht, Euch mit ganzer Seele herbeizuwünschen: auf all das baute ich. Du findest, daß das alles nicht richtig und wahr ist, so weiche ich der Notwendigkeit und Deinen Vernunftgründen. Ich will versuchen, Deinem Beispiel zu folgen und mich zu fügen; und ich werde den Schmerz, der nicht gering ist, wie eine mir von Gott auferlegte Buße ansehen, die ich verdient habe. Es wäre schwer, eine größere und schmerzlichere für mich zu ersinnen. Doch muß ich alles opfern und mich hineinfinden, den Rest meines Lebens von der getrennt zu sein, die meinem Herzen am teuersten ist, die meinen Geschmack, meine Neigungen teilt, mein Inneres kennt, die mich mehr als je liebt. All das soll ich Gott geben; ich will es mit seiner Hilfe tun, und ich werde die Vorsehung bewundern, die zugibt, daß Ihr in Eurer Stellung 50 neben so viel Größe und so viel Annehmlichkeiten auch so viel Abgründe findet, die alle Freuden des Lebens rauben. Die Trennung verwundet mein Herz zu jeder Stunde des Tages und selbst in den Stunden der Nacht mehr als mir lieb ist. So sind nun einmal meine Empfindungen, sie sind nicht übertrieben, sondern einfach und ehrlich; ich werde sie meinem Seelenheil opfern. Doch damit Schluß; ich werde Euch nicht mehr davon reden, werde unaufhörlich über die unüberwindliche Macht Eurer Gründe und Eure bewundernswerte Klugheit nachdenken, und versuchen, Euch nachzuahmen.
An Mme. de Grignan
Paris, 16. Januar 1674
Eben erhalte ich Deinen Brief vom 7. Ich gestehe Dir, meine Liebste, daß er mich mit einer so lebhaften Freude erfüllt, wie mein Herz, das Du doch kennst, sie kaum fassen kann. Es ist empfänglich für alles, und ich würde es hassen, wenn es so auf meine Interessen bedacht wäre, wie auf die Deinigen. Du kommst also! Mir könnte nichts Angenehmeres widerfahren, aber ich will Dir meinerseits etwas sagen, auf das Du nicht gefaßt warst; ich schwöre Dir nämlich vor Gott, daß, wenn Hr. de La Garde Eure Reise nicht für notwendig gefunden hätte und wenn sie in der Tat nicht für Eure Geschäfte notwendig wäre, ich wenigstens dieses Jahr nicht auf das Vergnügen gerechnet hätte, Euch zu sehen; es ist also nicht meine unendliche Zärtlichkeit, die Euch zur Reise veranlaßt, sondern die bloße Vernunft. Ich sehe das ein, so schwer es mir auch fällt, aber ich bin manchmal auch in meiner Schwäche stark, wie es die philosophischsten Menschen sind. Nach dieser offenen Erklärung verheimliche ich Euch nicht, daß ich von Freude erfüllt bin, und da der Verstand mit meinen Wünschen übereinstimmt, so bin ich gegenwärtig durchaus zufrieden, und ich werde jetzt nur darum besorgt sein, Euch gut zu empfangen. 51
Mme. de Sévigné, Mlle. de Méri und M. de Corbinelli an Mme. de Grignan
Paris, 5. Februar 1674
Von Mme. de Sévigné
Heute vor vielen Jahren, meine Teuere, kam ein Geschöpf zur Welt, das bestimmt war, Dich lieber zu haben als alles auf Erden; ich bitte Deine Einbildungskraft weder nach rechts noch nach links zu gehen:
»Und jener Mensch, Sire, war ich selbstMme. de Sévigné war den 5. Februar 1626 geboren, es waren also seitdem 48 Jahre verflossen. Der Vers, den sie zitiert,
Cet homme-là, Sire, c'était moi-même
ist aus Clément Marots Epistel an König Franz I. »Au roi, pour avoir été dérobé.« Mme. de Sévigné kannte auch die älteren französischen Dichter..«
Gestern waren es drei Jahre, daß ich eine der schmerzlichsten Erfahrungen meines Lebens machte: Du zogst nach der Provence und bist noch dort. Mein Brief würde lang werden, wenn ich Dir alle Bitternis, die ich empfand, schildern wollte und allen Kummer, der darauf folgte. Doch zu etwas andrem. Ich habe heute keinen Brief von Dir erhalten; ich weiß nicht, ob einer kommen wird, ich glaube es nicht, es ist schon zu spät. Ich erwartete einen mit Ungeduld; ich hätte gern gewußt, ob Ihr von Aix abgereist seid, um auszurechnen, wann Ihr hierher kommt. Jedermann fragt mich danach, und ich weiß nicht, was ich antworten soll. M. de Pomponne möchte mich gerne hier haben und findet Eure Anwesenheit noch nötiger als wir. Er wird versuchen, die Rathausgeschichte vor Eurer Ankunft nicht besprechen zu lassen; aber wir wollen sie nicht so behandeln, als wenn sie Euch etwas anginge. Nicht zuviel auf einmal! . . . Ich denke nur an Euch und Eure Reise; wenn ich nach Absendung dieses Schreibens Briefe von Dir bekomme, so sei versichert, daß ich alle Deine Befehle ausführen werde.
Ich schreibe Dir heute etwas früher als gewöhnlich. 52 M. de Corbinelli und Mlle. de Méri sind bei mir, sie haben mit mir gespeist. Ich gehe zu einer kleinen Oper von Molière, die bei Pelissari aufgeführt wirdPelissari war ein reicher Bankier, der mit Gourville befreundet war, und viele Schriftsteller und Künstler in seinem Hause sah. Er veranstaltete große Gesellschaften und Konzerte. Louis de Rollier († 1688) war ein bekannter Musiker.. Es ist eine sehr schöne Musik. Der Prinz, der Herzog und die Herzogin werden auch dort seinCondé, sein Sohn und dessen Gemahlin, siehe die Anmerkung zum Brief Nr. 16.. Von da gehe ich vielleicht zum Souper zu Gourville mit Mme. de La Fayette, dem Herzog, Mme. de Thianges und M. de Vivonne, von dem man Abschied nimmt, da er morgen abreist. Wird aus der Partie nichts, so gehe ich zu Mme. de Chaulnes; die Hausfrau hat mich sehr gebeten und den Kardinälen Retz und Bouillon habe ich's versprechen müssen. Der erstere kann es kaum erwarten, bis er Dich sehen kann, er liebt Dich zärtlich. Soeben schickt er mir einen Brief.
Man glaubte, Mlle. de Blois hätte die Blattern, doch ist es nicht der FallMlle. de Blois war eine uneheliche Tochter des Königs.. Man hört nichts über die Nachrichten aus England und schließt daraus, daß sie nicht gut lauten. Im ganzen Karneval hat man einen oder zwei Bälle in Paris gehabt und nur wenige Masken. Es herrscht große Traurigkeit. Die Gesellschaften in Saint-Germain sind peinlich für den König und nur veranstaltet, weil eben Karneval ist.
Pater Bourdaloue hielt an Mariä Lichtmeß eine Predigt, die jedermann entzückte; er sprach mit solcher Kraft, daß die Höflinge zitterten, und niemals hat ein Prediger des Evangeliums die christlichen Wahrheiten so eindringlich und so edel verkündet. Es sollte gezeigt werden, daß jede Macht dem Gesetz unterworfen sein muß, nach dem Vorbilde unsres Heilands, der im Tempel dargestellt wurde; kurz, mein Kind, er trieb's bis zur höchsten Vollendung, und manche Stellen waren so wie sie der Apostel Sankt Paulus gesprochen hätte.
Der Erzbischof von ReimsLe Tellier, Bruder des Ministers Le Tellier, der unter seinem zweiten Titel Marquis de Louvois bekannter ist. fuhr gestern wie ein 53 Sturmwind von Saint-Germain hierher zurück. Wenn er sich schon für einen Grand Seigneur hält, so halten seine Leute noch fester an diesem Glauben. Sie passieren Nanterre – traratrara, sie begegnen einem Reiter – »Platz! Platz!« Der arme Mann will ausweichen, sein Pferd will nicht; der Sechserzug wirft Roß und Reiter um und stürmt über sie hinaus, so gut, daß der Wagen umfällt. Anstatt sich gefälligst rädern und verstümmeln zu lassen, erheben sich Roß und Reiter wunderbarerweise – der eine besteigt das andre, und fort geht es in eiliger Flucht, während die Lakaien und der Kutscher und sogar der Erzbischof hinter ihm her schreien: »Haltet den Schurken – hundert Stockprügel für ihn!« Der Erzbischof hat die Geschichte selbst erzählt und gesagt: »Wenn ich den Lump gefaßt hätte, ich hätte ihm die Knochen entzweigeschlagen und die Ohren gestutzt.«
Ich speiste gestern bei Gourville, man trank auf Deine Gesundheit. Lebe wohl, sehr Geliebte und sehr Liebenswerte, ich kann Dir nicht sagen, wie ich mich nach Dir sehne . . .
Ich überlasse die Feder an Mlle. de Méri und Corbinelli, der schläft.
Von Mlle. de Méri
Man verlangt, ich soll Ihnen schreiben, und mir ist der Wein zu Kopf gestiegen; wie ist es da möglich, einen Gedanken zu fassen, der dieses Briefes würdig wäre? Ich erhalte keine Nachrichten mehr von Ihnen, so gebe ich auch keine mehr von mir. Kommen Sie also zurück, und ich spare alle Neuigkeiten für diese Zeit auf. Ich erhalte Ihren Brief vom achtundzwanzigsten, der mir sagt, daß Sie reisen; erlassen Sie mir, Ihnen meine Freude zu schildern, ich meine, Sie müßten sich sie vorstellen können. Adieu, meine Schöne, in acht Tagen werde ich Sie umarmen. Ist es möglich? Ich fürchte, bis dahin zu sterben.
Von Mme. de Sévigné
Du wirst schuld sein, daß sie den Wein nicht mehr liebt, und Du wirst Dich rühmen können, durch Dein Kommen diesen Sieg davongetragen zu haben, der, unter uns gesagt, 54 nicht klein ist, denn sie trinkt wie ein Loch und betrinkt sich regelmäßig zweimal am Tag. Man gibt mir morgen eine Oper, mit Guilleragues und seiner ganzen Familie.
Von Corbinelli
Sie werden kommen, und wir werden mit Ihnen plaudern, wenn Sie Zeit haben, bald zu zweien, bald zu dreien. Wir reden oft von Ihnen, wie Sie sich wohl denken können. Vor allem aber, glaube ich, werden Sie jeden, der Sie sieht, mit Freude erfüllen. Oppède ist angekommen und M. de Marseille folgt ihm baldDer Bischof von Marseille. Wenn Sie kommen, möchte ich nicht, daß Sie mit Unbeteiligten über Ihre Streitigkeiten reden. Aber kommen Sie schnell, und dann wollen wir mit Muse politisieren.
Von Mme. de Sévigné
Ich erhalte soeben Deinen Brief vom 28., er entzückt mich. Fürchte nicht, Geliebte, daß meine Freude verrauche, sie hat einen so warmen Untergrund, daß sie nicht lau werden kann. Ich denke an nichts als an die außerordentliche Freude, daß ich Dich sehen und umarmen darf. Meine Liebe und meine Art zu lieben, sind aus einem Stoff, der den gewöhnlichen und selbst den am meisten geschätzten weit übertrifft.
An Mme. de Grignan
Paris, 24. Juli 1675
Es ist sehr heiß heute, teuerste Schöne, und anstatt mich in meinem Bett hin und her zu werfen, kam mir die Lust, aufzustehen, obgleich es erst fünf Uhr morgens ist, um ein wenig mit Dir zu plaudern.
Der König kam Sonntag früh nach Versailles. Die Königin, Mme. de Montespan und alle Damen hatten seit Samstag ihre gewöhnlichen Gemächer inne. Gleich nach seiner Ankunft machte der König seine üblichen 55 Besuche. Der einzige Unterschied ist der, daß man in den Dir bekannten großen Sälen spielt. Ich bin so schlecht über Versailles unterrichtet, weil ich gestern abend von Pomponne zurückkam. Mme. de Pomponne hatte d'Hacqueville und mich so dringend eingeladen hinzukommen, daß wir nicht abschlagen konnten und wollten. Mme. de Pomponne hatte nicht so sicher auf ihre SchwesterMme. de Vins. gerechnet als auf uns, weil dieselbe badet; doch war sie nicht so grausam, uns ohne sie gehen zu lassen. Wir reisten Montag abend ab. M. de Pomponne war wirklich sehr froh, uns zu sehen, und war mir außerordentlich dankbar für den kleinen Ausflug. Du bist in der kurzen Zeit mit aller nur möglichen Freundschaft und Achtung gefeiert worden. Wir haben doch geplaudert. Einer unsrer Scherze war, daß wir wünschten, alle Dinge, die man zu sehen glaubt und nicht sieht, in ihrer wahren Gestalt beobachten zu können. Der Spaß unterhielt uns sehr. Wir wollten d'Hacquevilles Kopf zerschlagen, um hineinzusehen, und stellten es uns sehr lustig vor, daß die meisten Dinge, die wir zu sehen glauben, uns ganz anders erscheinen würden. Da glaubt man, daß man sich in diesem Haus anbetet, und sieh – man haßt sich aufs grimmigste, und so geht's mit allem. Du glaubst, die Ursache eines Ereignisses sei das und das? Ganz im Gegenteil! Mit einem Wort, der kleine Teufel, der uns den Vorhang wegzöge, würde uns prächtig unterhaltenDie Stelle erinnert an die Idee, die fast ein halbes Jahrhundert später Le Sage in seinem »Hinkenden Teufel« ausführte. Le Sage fand die Anregung zu seinem Buch in dem spanischen Roman »El diablo cojuelo« von Guevara (1570–1644), und möglicherweise hatte auch Mme. de Sévigné oder jemand in der Gesellschaft diesen gelesen und davon erzählt.. Du siehst, Geliebte, daß man viel Muße haben muß, wenn man sich damit unterhält, Dir solche Kleinigkeiten zu erzählen. Das kommt davon, wenn man so früh aufsteht; so macht's auch der Bischof von MarseilleWieder eine kleine Bosheit. Der Bischof war unermüdlich, wenn er etwas erlangen wollte, und machte seine Besuche in aller Frühe., wenn's Winter wäre, hätte ich heute Visiten mit Fackellicht gemacht. 56
Ihr habt also immer noch euren NordwindDer Mistral, der aus den Bergen hervorbricht und in der Provence gefürchtet wird.; ach, mein Kind, wie unangenehm ist der! Wir haben hier warmes Wetter, nur in der Provence ist's kalt. Ich bin überzeugt, daß unser Reliquienschrein den Umschlag bewirkte, denn sonst würden wir, wie Du, bemerken, daß die Sonne und die Jahreszeiten verändert sind. Ich glaube, daß ich darin, wie Du, die wahre Ursache der vielen Unglückstage, die wir erlebt, erkannt hätte. Ich für mein Teil, mein Kind, war wirklich traurig darüber, so wie ich auch die ganze Freude empfand, Sommer und Winter mit Dir zu verleben. Aber wenn man mit Kummer sieht, daß diese Zeit vorüber, für immer vorüber ist, möchte man sterben. Man muß statt dieses Gedankens die Hoffnung auf Wiedersehen walten lassen.
Ich warte auf etwas Kühle, um mich zu purgieren, und auf etwas Frieden in der Bretagne, um abzureisen. Mme. de Lavardin, Mme. de La Troche, M. d'Harouys und ich besprechen unsre Reise, und wir wollen uns nicht in den Aufruhr stürzen, der unsre Provinz beunruhigtÜber Lavardin und d'Harouys siehe Anm. zu Brief Nr. 27; der Marquis de La Troche war Rat beim Parlament zu Rennes.. Er nimmt täglich zu. Die Teufel kamen sengend und brennend bis nach Fougères, das ist doch ein bißchen zu nahe bei les RochersFougères liegt nördlich von Vitré, etwa 5 Stunden von Les Rochers entfernt. – Der Aufstand des Jahres 1675 in der Bretagne wurde durch die steigenden Geldforderungen der Regierung hervorgerufen. Man hatte von Paris aus neue Steuern, besonders auf Tabak und Stempelpapier, ausgeschrieben. Das war ein Eingriff in die Rechte der Stände. Diese boten eine jährliche Gabe von 5 Millionen, wenn man die verhaßten Erlasse zurückzöge. Ludwig XIV. ging auf den Vorschlag ein, die Bretagne zahlte fortan 5 Millionen, und wenige Jahre später – im Jahre 1675 –, erschienen dieselben Steueredikte von neuem. Dieser Wortbruch entfesselte einen Sturm des Unwillens in der Provinz, der Gouverneur wurde in Rennes beleidigt, die Bauern überfielen die Steuerämter, erschlugen die ihnen mißliebigen Beamten, verbrannten die Akten und verweigerten jede Abgabe. Überall loderte der Aufstand empor und richtete sich bald auch gegen den Adel. Mme. de Sévigné hatte nichts zu leiden, denn sie hatte die Bauern nicht bedrückt. König Ludwig schickte einige Regimenter von der Rheinarmee, 6000 Mann, in die Bretagne, wo sie blutige Vergeltung übten.. Man hat von neuem ein Bureau in Rennes geplündert. Mme. de Chaulnes ist halb tot über die 57 Drohungen, denen sie täglich ausgesetzt ist. Gestern sagte man mir, sie wäre gefangen, und zwar hätten sogar die Gemäßigten sie zurückgehalten, die M. de Chaulnes nach Fort-Louis sagen ließen, daß sie Gefahr liefe, in Stücke gerissen zu werden, wenn die Truppen, die er verlangt hat, einen Schritt in der Provinz vorwärts tunStatt Fort-Louis muß man wohl Port-Louis lesen. Port-Louis ist der Hauptort der Landschaft Morbihan in der Bretagne.. Indessen ist es nur zu wahr, daß man Truppen schicken muß, und man tut recht daran, denn bei dem Stand der Dinge sind halbe Maßregeln nicht am Platz. Aber es wäre unklug, abzureisen, bevor man sieht, was aus dem furchtbaren Durcheinander wird. Man glaubt, daß sich die ganze schöne Gesellschaft zur Zeit der Ernte trennen wird, denn sie müssen doch ihr Getreide heimbringen. Es sind ihrer sechs- bis siebentausend, von denen der geschickteste kein Wort französisch versteht. M. BoucheratBoucherat war königlicher Kommissar in der Bretagne. erzählte mir neulich, daß ein Pfarrer in Gegenwart seiner Pfarrkinder eine Standuhr empfing, die man ihm aus Frankreich (denn so sagen sie) geschickt hatte. Sie schrien alle in ihrer Sprache, das sei die Salzsteuer, sie sähen es wohl. Der kluge Pfarrer antwortete in demselben Ton: »Ganz und gar nicht, meine Kinder, das ist nicht die Salzsteuer, das versteht ihr nicht, das ist das Jubiläumsjahr.« Im selben Augenblick lagen sie alle auf den Knien. Was sagst Du zu dem feinen Verstand des Herrn? Wie es auch sei, man muß abwarten, was aus dem Durcheinander wird. Ich verzögere meine Reise nur ungern; sie ist nach meinem Wunsch angesetzt und vorbereitet, und kann nicht auf eine andre Zeit verlegt werden, ohne mir viele Pläne zu stören. Aber Du kennst meinen Glauben an die Vorsehung; darauf muß man immer zurückkommen und in den Tag hineinleben. Meine Reden sind vernünftig, wie Du siehst, aber sehr oft sind es meine Gedanken nicht. Es gibt einen Punkt, den Du leicht erraten kannst, wo mir die Resignation nichts hilft, die ich den andern predige. Mlle. d'Eaubonne 58 vermählte sich vorgestern. Dein Bruder möchte gern seine Offiziersstelle aufgeben und dagegen Oberst des Regiments »Champagne« werdenDieser Wunsch erfüllte sich nicht.. M. de Grignan war es auch. Aber alle vernünftigen Leute sind der Ansicht, daß man in den jetzigen Zeiten seine Ausgaben nicht um fünfzehn- bis sechzehntausend Franken erhöhen solleEin Oberst hatte zu repräsentieren, und Mme. de Sévigné veranschlagte die jährlichen Kosten einer Oberstenstelle sehr gering.. Es sind eine Menge Leute mit dem König zurückgekommen: der Großmeister der Artillerie, dann Soubise, Termes, Brancas, la Garde, Villars und der Graf de Fiesque. Von dem letzteren wäre man versucht, zu sagen: di cortesia piu che di guerra amico»Mehr Freund der Galanterie als des Krieges.«, er war erst vor einem Monat bei der Armee eingetroffen. – M. de Pomponne sagt, man könne die Schlacht nicht sehnlicher wünschen, noch sich entschlossener und williger in die ersten Reihen stellen, als der König es tat, als man bei Limburg eine Schlacht für unvermeidlich hielt. Er erzählte uns bewundernswerte Züge von dem König und seiner Art, mit den Leuten umzugehen, besonders mit dem Prinzen und dem Herzog; all diese Einzelheiten sind sehr angenehm zu hören.
Übrigens, mein Kind, die bewußte Vase ist angekommen, sie gleicht so ziemlich dem JubiläumsjahrDer Uhr des Pfarrers in der Bretagne, s. oben., ist schwerer und viel weniger schön, als wir dachten. Es ist eine Antike, die sich Vase nennt, aber schlecht gearbeitet ist. Sie paßt vortrefflich nach Grignan, aber nicht nach Paris. Unser guter Kardinal hat es damit gemacht, wie mit seiner Musik, er lobt sie, ohne etwas davon zu verstehen. Du mußt Dich eben einfach bedanken und ihn glauben lassen, man wäre von seinem Geschenk entzückt. Sonst wäre sein Kummer zu groß. Du mußt auch nicht glauben, daß er das Geschenk für etwas anderes als eine Bagatelle hält, und es wäre eine große Unhöflichkeit, es zurückzuweisen. Bis Dein Brief kommt, will ich ihm einstweilen danken. Als ich Dir vorschlug, Du mögest ihm zuraten, seine Geschichte zu schreiben und sich damit zu unterhalten, hatte man mich ebenfalls aufgefordert, ihm das zu sagen. 59 Seine Freunde wünschten es, damit er sehe, daß alle, die ihn lieben, derselben Ansicht sind. Er ist ganz wohl, und nicht wie im letzten Winter; die Diät und das einfache Fleisch haben ihn hergestellt, und ich habe die frohe Überzeugung, daß sein Leben noch nicht abgeschlossen ist.
Die Frau Großherzogin und Mme. de Sainte-Mesme haben hier viel von Deiner Schönheit gesprochenMarguerite Louise d'Orléans, Großherzogin von Toskana, Stiefschwester der »Mademoiselle«, Prinzessin von Montpensier, war damals zu Besuch nach Frankreich gekommen und in der Provence von dem Grafen und der Gräfin Grignan begrüßt worden. Die Gräfin de Sainte-Mesme war die Gemahlin des Oberst-Stallmeisters der Großherzogin.; Du hattest also das hübsche Gesicht, das ich so lieb habe; behalte es nur solange Du kannst, Du hättest Mühe, ein ähnliches zu finden. M. de Pomponne ist überzeugt davon, er kann nicht aufhören, davon zu sprechen. Ohne die Reise nach Pomponne hätte ich die Prinzessin gesehen. Jedermann hier findet sie, wie Du sie geschildert hast. Sie hat Mme. de RaraiDie Marquise de Rarai war die Erzieherin des Herzogs Gaston von Orléans. von dem schlechten Abendessen erzählt, das sie Dir in Pierrelatte vorgesetzt habe, aber noch mehr sprach sie von Deiner Schönheit und Liebenswürdigkeit. Sie ist entsetzlich traurig. Mme. de Montmartre nahm in Fontainebleau Beschlag von ihr; sie wird in einem abscheulichen Gefängnis wohnen und ist von den Guisarden erdrücktMme. de Montmartre, d. h. die Äbtissin des Klosters Montmartre bei Paris, hieß eigentlich Françoise Renée de Lorraine de Guise. Die Großherzogin von Toskana war mit den Guisen verwandt und stieg im Kloster zu Montmartre ab; sie lebte dort sehr zurückgezogen, wie Mme. de Sévigné am 19. August meldet..
Mme. de Montlouet hat die Blattern; der Kummer ihrer Tochter ist groß, und die Mutter ist in Verzweiflung darüber, daß ihre Tochter sie nicht verlassen will, um Luft zu schöpfen, wie man ihr verordnet. Ihren Verstand halte ich zwar nicht für den feinsten, aber das Gemüt, meine Liebe, ist ganz wie bei uns, sie sind ebenso zärtlich und 60 ebenso natürlichDie Marquise de Montlouet wurde von den Blattern befallen, während sie ihre kranke Tochter pflegte. Mme. de Sévigné fand das sehr rührend. Sie selbst handelte nicht anders, als ihre Tochter etwa 20 Jahre später erkrankte. Sie eilte nach Schloß Grignan in der Provence und wurde wie Mme. de Montlouet von den Blattern befallen, die sie auch hinrafften.. Du sagst mir so außerordentlich gute Worte über Deine Freundschaft zu mir und wie hoch Du sie stellst, daß ich wahrlich nicht wage, Dir zu sagen, wie ich davon gerührt war, und Dir die Freude, die Zärtlichkeit und Dankbarkeit zu schildern, die ich dabei empfand. Doch da Du zu wissen glaubst, wie ich Dich liebe, wirst Du es leicht verstehen.
Ich habe das Paket mit Deinen Seidenstoffen; ich möchte gerne jemand finden, der sie Dir mitnähme, es ist zu klein für die Frachtwagen und zu groß für die Post. Ich glaube, von dem Brief könnte ich das gleiche sagen. Lebe wohl, mein liebes, teures Kind, ich kann Dich nie zuviel lieben, welcher Kummer auch an diese Zärtlichkeit geknüpft sei. Die Liebe, die Du für mich empfindest, verdiente noch mehr, wenn es möglich wäre.
Ich will nicht von Deinen Geschäften sprechen, obgleich sie mir, wie Du Dir denken kannst, sehr am Herzen liegen. Es geht mir zu nah, deshalb sage ich nichts davon. Der gute Abbé und ich sprechen manchmal darüber. M. de Grignans Leidenschaft zu borgen, und zu borgen, um Bilder und Möbel dafür zu kaufen, wäre nicht glaublich, wenn man es nicht vor Augen sähe. Wie verträgt sich das mit seinem Rang, seiner Ehre und der Freundschaft, die er Dir schuldet? Denkt er nicht, daß er Deine Geduld mißbraucht, und hält er sie für unerschöpflich? Hat er kein Mitleid mit Dir? Was hast Du getan, um in solches Elend zu kommen? Und wir sollen glauben, daß er Dich lieb hat. Ja, eine schöne Freundschaft das! Zähle auf die meine, mein liebes Kind, die wird Dir gewiß nie fehlen. Erprobe sie in Deinem großen Kummer, und komme in die Arme, die Dir stets offen sein werden. Ich wollte nicht soviel darüber sagen, aber warum sich zurückhalten und nicht die Wahrheit sagen? Bei uns wirst Du wahrhaft geliebt. 61
Wie liebenswürdig ist alles, was Du über eine Reise nach der Bretagne mit mir sagst! Du trägst Dich schon lang mit dem Gedanken, ich halte sie auch ebensolang für das Schönste auf der Welt, und baue Luftschlösser. Aber ich möchte irgendeinen Jesuiten dazu haben, damit Du disputieren könntest.
Aufschrift: An meine sehr Geduldige, wenn sie den ganzen Brief liest.
An M. de Grignan
Paris, Mittwoch, den 31. Juli 1675
Ich schreibe Ihnen. lieber Graf, um Ihnen einen der schmerzlichsten Verluste mitzuteilen, die Frankreich treffen konnte, den Tod Turennes. Ich schreibe es Ihnen selbst, weil ich überzeugt bin, daß er Ihnen nah geht und Sie ebenso betrübt sind wie wir. Die Nachricht kam Montag nach Versailles. Der König war darüber so bekümmert, wie man es bei dem Verlust des größten Feldherrn und des edelsten Menschen der Welt sein muß. Der ganze Hof war in Tränen, und M. de Condom fiel fast in OhnmachtBossuet, Bischof von Condom. Mme. de Sévigné nennt ihn noch so, obwohl er auf das Bistum verzichtet hatte.. Man wollte gerade einen Ausflug nach Fontainebleau machen: nun wurde alles abgesagt. Nie ist ein Mann so aufrichtig betrauert worden, das ganze Stadtviertel, wo er wohnte, ganz Paris, das ganze Volk war in Aufregung und Verwirrung. Die Leute blieben beieinander stehen und beklagten den Verlust des Helden. Ich sende Ihnen im folgenden einen genauen Bericht über seine letzten Lebenstage.
Nach einer außerordentlichen Führung während dreier Monate, die die Leute vom Fach nicht genug bewundern können, kommt der letzte Tag seines Ruhmes und seines Lebens. Er hatte die Freude, die feindliche Armee vor sich weichen zu sehen, und am 27., an einem Samstag, ritt er auf eine kleine Anhöhe, um ihren Marsch zu beobachten. Er hatte die Absicht, ihre Nachhut anzugreifen und 62 meldete mittags dem König, er habe in diesem Gedanken Brissac sagen lassen, man möge die vierzigstündigen Gebete abhalten. Er zeigte zugleich den Tod des jungen d'Hocquincourt an, und daß er dem König den Ausgang des Unternehmens durch einen Kurier melden werde. Diesen Brief siegelt er und schickt ihn um zwei Uhr ab. Dann begibt er sich mit acht oder zehn Begleitern auf den kleinen Hügel; von weitem schießt man aufs Geratewohl, und die unglückliche Kanonenkugel geht ihm mitten durch den Körper. Sie können sich die Klagen und Tränen der Armee vorstellen. Der Kurier ging gleich ab; er kam Montag an, wie ich schon sagte, so daß im Verlauf einer Stunde der König einen Brief von Turenne und die Nachricht seines Todes bekam. Seitdem ist ein Edelmann vom Gefolge Turennes angekommen; der sagt, daß die Armeen einander nahe stehen, daß M. de Lorges an Stelle seines Onkels befehligt und daß die Armee in die tiefste Trauer versenkt istM. de Lorges war der Sohn einer Schwester Turennes und erhielt später den Herzogstitel.. Der König hat augenblicklich den Herzog hingesandt, um den Befehl einstweilen zu übernehmen, bis der Prinz zur Armee kommtCondé, der berühmte Feldherr.. Aber da dessen Gesundheit schwach und der Weg weit ist, muß man für die Zwischenzeit alles Mögliche befürchten. Es ist schlimm, wenn man denkt, daß der Prinz sich so ermüden soll. Gott lasse ihn glücklich wiederkehren! M. de Luxembourg bleibt als Oberfeldherr in Flandern. Die Generalleutnants des Prinzen sind de Duras und de La Feuillade, der Marschall Créquy bleibt, wo er ist. Gleich am Tag nach der Nachricht schlug Louvois dem König vor, den Verlust dadurch auszugleichen, daß er anstatt eines Generals deren acht ernannte (das heißt doch dabei gewinnen!). Mit einem Schlag machte man acht Marschälle von Frankreich: de Rochefort, bei dem sich die andern bedanken können, de Luxembourg, Duras, La Feuillade, d'Estrades, Noailles, Schomberg und Vivonne, wohlgezählte achtDer Marquis de Rochefort war jünger als die andern Generale. Da Louvois ihn zum Marschall machen wollte, mußte er die sieben anderen Dienstälteren ebenfalls zu dieser Würde vorschlagen, wollte er sich nicht zuviel Gegner schaffen. Man erzählte sich ein Witzwort der Marquise de Sévigné, die mit Bezug darauf, daß Turenne durch acht neue Marschälle ersetzt wurde, gesagt haben soll, man habe einen Louisdor in Sousstücke umgewechselt.. 63
Stellen Sie darüber Ihre Betrachtungen an.
Sie kennen den Haß des Grafen de Gramont gegen Rochefort; ich sah ihn gestern, er ist wütend; er hat ihm geschrieben und hat es dem König erzählt. Sein Brief lautet:
»Monseigneur!
Die Gunst tat wohl so viel als das VerdienstEin Vers aus Corneilles »Cid« I. 4. 12.. Deshalb sage ich Ihnen nichts weiter.
Der Graf von Gramont.
Adieu, Rochefort.«
Ich glaube, Sie werden den Gruß so beurteilen, wie man ihn hier beurteilt hat.
Unsere sechstausend Mann sind bereits auf dem Marsch, um unsere Bretagne zu verderben; zwei Provençalen sind mit dem Auftrag betraut worden, Fourbin und Vins. M. de Pomponne hat ihnen unsere armen Güter anempfohlen. M de Chaulnes und M. de Lavardin sind in Verzweiflung. Wenn die Provençalen jemals die Narren spielen, wünsche ich nicht, daß man Bretagner schicke, um sie zu strafen. Bewundern Sie nicht, wie wenig mein Herz an Rache denkt?
Mein lieber Graf, das ist alles, was wir bis jetzt wissen. Als Lohn für einen sehr liebenswürdigen Brief, schreibe ich Ihnen einen, der Ihnen Kummer machen wird. Wir haben den ganzen Winter von der Vollkommenheit des Helden erzählen hören; nie war ein Mensch der Vollkommenheit so nahe, und je mehr man ihn kannte, desto mehr liebte man ihn, und um so mehr beklagt man ihn.
Adieu, Ihr beiden, ich küsse Euch tausendmal. Ich bedauere Euch, daß Ihr niemand habt, mit dem Ihr die große Nachricht besprechen könnt. Es ist so natürlich, sich einander alles mitzuteilen, was man darüber denkt. Wenn Ihr traurig seid, so seid Ihr, was wir hier sind. 64