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Die Preußen hatten Warschau zwar belagert, aber nicht genommen. Suwarow verstand das Ding besser, erschien, nahm, zog siegend in die Stadt ein und befreite die russischen Gefangenen.
Seumes Freunde in Leipzig hielten ihn als ein Opfer der revolutionären Wut für verloren; aber wie wurden sie überrascht und nicht wenig erfreut, als er gerettet und wohlbehalten wieder vor ihnen stand. Er kam auf Befehl der russischen Kaiserin nach Sachsen, als Begleiter und Beistand des jungen Majors Muromzow, Sohn des Obersten, der bei Katharina viel gegolten hatte und, auf dem Schlachtfelde schwer verwundet liegend, in polnische Gefangenschaft geraten war. Der Jüngling, welcher durch die Brust geschossen war, suchte Heilung und wurde durch den vortrefflichen Eckhold in Leipzig völlig wiederhergestellt. Diese Sendung war ehrenvoll für Seume, und er konnte nun mit Sicherheit darauf rechnen, im russischen Dienst bald einen bedeutenden Posten zu erhalten, als am 27. November 1796 der Tod die große Monarchin von der Erde wegnahm und Seumes schöne Hoffnungen auf einmal wieder vernichtete. In einer gehaltvollen Schrift: »Über das Leben und den Charakter der Kaiserin von Rußland Katharina II.«, die im Anfange des Jahres 1797 in Leipzig erschien, hat Seume den Charakter und die Taten seiner Gönnerin kurz, unparteiisch, würdig und meisterhaft geschildert. Wer ihn für einen unruhigen, mit den Maßregeln aller monarchischen Regierung unzufriedenen Menschen gehalten hat, der wird nach Lesung jener Schrift eine andere Meinung von ihm bekommen und die Gründe wie den Zusammenhang seiner politischen Meinungen erst recht beurteilen können.
Paul I. bestieg nun den russischen Thron. Seine Maximen und Beschlüsse haben vielen wehe getan, auch Seume litt darunter. Alle russischen Offiziere im Auslande wurden strenge zurückberufen, und die nicht gleich kamen, wurden auf der Liste ausgestrichen. Seume war auf Befehl Katharinens in Leipzig; sein Geschäft war ohne seine Schuld noch nicht vollendet; denn Eckholds Kunst und die Heilung der Natur richtete sich nicht nach einem kaiserlichen Ukas; demungeachtet strich man auch ihn aus. Aber Seume war nicht weniger ein harter Kopf als Paul I. Er schrieb und protestierte so lange und so nachdrücklich, bis man ihm einen ehrenvollen Abschied sandte und zugleich die Erlaubnis erteilte, wieder zum Dienst zurückkommen zu können. Auf diese Erlaubnis leistete aber der Leutnant Verzicht, wohl einsehend, daß seine Art und Weise mit Pauls I. Art und Weise gar nicht verträglich war, und blieb frei und unabhängig in Sachsen. Der Charakter des Kaisers ist übertrieben getadelt; Seume hat ihn in mancher Rücksicht gerechtfertigt und richtiger beurteilt in einer Schrift, die unter dem Titel: »Zwei Briefe über die neuesten Veränderungen in Rußland« 1797 herausgekommen ist und manche noch jetzt interessanten Nachrichten über die Organisation und die treffliche Kleidung des russischen Militärs enthalten, wodurch man geneigt werden kann zu glauben, daß andere Nationen manches davon nachgeahmt haben. Er lebte jetzt wieder in Leipzig von der Schulmeisterei – wie er zu sagen pflegte–, von dem Unterricht im Englischen und Französischen. Seine Leiden und Freuden waren die nämlichen, welche überhaupt dem Menschen zuteil werden, wenn er ein stark fühlendes Herz und einen gebildeten Geist, wenn er eine Bildung hat, die kein Gepräge fremder Gewalt ist, sondern aus dem eignen Geiste durch die von Gott mitgeteilte Kunst entstand.
Ich würde gesagt haben, er habe von jetzt an das Privatleben erwählt, wenn man also ein Leben nennen könnte, welches angewendet wird, für das Beste der ganzen Menschheit zu wirken. Er suchte keine Militärstelle, weil nach seiner Meinung das deutsche Militär nicht für das stritt, was er für das Beste hielt, und weil er auswärtigen Kriegern nicht helfen wollte, Deutschland einst, wie er voraussah, den Folgen des Krieges auszusetzen. Er suchte kein Amt – in einem Amte durfte er das nicht öffentlich sagen, was er mündlich und schriftlich sagen wollte – und er brauchte kein Amt; denn der Unterhalt für ihn, der so wenig bedurfte, war leicht zu gewinnen, und an Erheiterung konnte es ihm nicht fehlen, weil ihm jedes gute Haus, jedes edle Herz offenstand und er den feinsten Sinn für wahre Geselligkeit hatte.
Der Buchhändler Göschen, welcher damals einige schöne Ausgaben deutscher klassischer Schriftsteller druckte, bat Seume, zu ihm nach Grimma zu kommen und die Revision der Handschriften und des Drucks zu übernehmen. Er nahm die Einladung an, arbeitete mit Liebe und Treue und lebte hier in der reizenden Natur, in den Bergen und Schluchten, an den lieblichen Ufern der Mulde. Im Jahre 1800 gab er bei einem andern Buchhändler seine Gedichte heraus. Sein Umgang waren einige gebildete Familien jener Gegend und einige Jünglinge, welche er durch Lehren und Beispiele bildete, zur Entbehrung und Ertragung gewöhnte. War der Winterabend recht unangenehm, so stand er bei anbrechender Nacht von seiner Arbeit auf, ging noch zu diesem oder jenem Freunde auf dem Lande und gebot dem Zögling, in einer Stunde ganz allein nachzukommen. Hatten sie dann wieder ausgeruht, so wandelten sie in dicker Finsternis durch Schneegestöber und Sturm, durch Hügel, Berge und Hohlwege nach Grimma zurück. Es wurde auch wohl zum Mittage beim allerschlechtesten Wetter des Monats Dezember ein Spaziergang von sechs tüchtigen Stunden nach Leipzig beschlossen, um dort in das Schauspiel zu gehen, welches um sechs Uhr abends anfängt. War das Stück geendigt und eine warme Suppe gegessen, so ging die Reise unaufhaltsam gleich zurück, und der Mentor und sein Zögling kamen bald nach Mitternacht wieder in ihrer Wohnung an. Nicht allein die Härte des Winters, sondern auch die Hitze und die Gefahr des Sommers soll die Jugend ertragen lernen. Ein Freund lebte allein auf dem Lande und litt viel von dem Einfluß der Gewitter auf seinen Körper. In einer schrecklichen Mitternacht flogen Blitze auf Blitze vom Himmel, und ein Donnerschlag unterbrach den andern; da dachte Seume an seinen Freund, machte sich stracks mit seinem Zögling auf und erschien bei dem Leidenden als ein freundlicher Engel in der gefährlichen Nacht. Einer dieser Zöglinge, welcher jetzt in Wien ein geschickter Tonkünstler ist, hatte eine sehr zarte, weichliche Natur; demungeachtet wurde diese vermittelst jener Übungen so gestärkt, daß er den letzten Feldzug der Österreicher gegen die Franzosen, ohne sich zu schonen, tapfer mitgemacht und die größten Fatiguen glücklich ausgehalten hat. Die Jünglinge wurden durch diese strenge Erziehungsart zwar hart, aber nicht rauh, stark, aber nicht wild, sie blieben in ihrem Innern sanft und fähig des schönen Genusses der stillen, häuslichen Freuden, welche auch ihr Lehrer so gern und so innig genoß. Wenn seine Freunde ein Familienfest feierten, so durfte Seume nicht fehlen, und sie haben ihn da recht herzlich froh gesehen. Es sind noch viele Gedichte vorhanden, worin er jenen glücklichen Stunden ein Monument gesetzt hat, die jetzt von den Besitzern als heilige Pfänder seiner Freundschaft angesehen werden. Eins bei dem Wiegenfeste eines kleinen Mädchens gedichtete soll hier abgedruckt werden, weil es so leicht und ungezwungen ist.
Der Tag
Mag
So schaurig
Novemberlich sehn,
Er ist doch nicht traurig,
Ist schön.
Das Jahr
War
Dem feinen Geschöpfchen
Mit niedlichem Köpfchen
Ein Blumenaltar:
So werde
Die Erde
Dem lieblichen Mädchen von Jahr zu Jahr!
Nun Lottchen,
Du drolliges Bild,
Du bist ja so wild,
Lauf bald nun ein drolliges Trottchen
Kosakisch,
So schnakisch,
Wie kaum es der liebe Papa
In artiger Gruppe
Der lärmenden Truppe
Der häuslichen Polterer sah.
Seumes einfache, klare und treuherzige Sprache mit dem Landvolke bewog Göschen, auf einem ländlichen Spaziergang, ihn aufzumuntern, ein Sittenbuch für den Stand zu schreiben, den er so gut kannte und den er liebte. Er schenkte die Handschrift seinem Freunde, dem würdigen Pastor Schieck in Pomsen, und sie ist nach dem Tode ihres Verfassers unter dem Titel: »Nachlaß moralisch-religiösen Inhalts« gedruckt worden. Für das Honorar derselben hat ihr ehemaliger Besitzer der Gemeine des Dorfs Groß-Steinberg eine neue Altar- und Kanzelbekleidung besorgt zum Andenken an den edlen Mann, welcher eines Bauern Sohn war.
Es haben sich hier und dort einige Vers- und Reimmeister, welche in der reinen Kunstform viel geleistet zu haben glauben, mit der Frage vernehmen lassen: ob Seume auch ein Dichter sei? Besteht das Wesentliche der Poesie in hoher Begeisterung, kühnen Gedanken, in tiefem Gefühl des Großen und Schönen, in Gebilden, welche in der Seele entstehen und welche die Seele wahr, lebendig, ergreifend, wohlklingend und melodisch ausspricht, so ist Seume ein Dichter, ungeachtet er kein romantisches Gedicht gemacht hat, sondern nur das poetische Talent zur Unterstützung jener Ideen benutzte, für welche er seine Nation empfänglich machen wollte. Alle seine für das Publikum bestimmten Gedichte sind nur Vorübungen und Vorläufer zu einem großen Lehrgedicht: »Asträa«, welches er nicht ausführen konnte, weil ihn der Tod zu früh überraschte. Durch Schillers Thalia wurde das Gedicht an Münchhausen allgemein bekannt. Schnorr las dasselbe, und es riß ihn so hin, daß er nicht eher ruhte, bis er die Bekanntschaft des Dichters gemacht hatte. Aus dieser Bekanntschaft, von den Musen geknüpft, entstand ein Bund der Freundschaft, den zu lösen die Zeit nicht vermochte. Bei Schnorr, diesem echten Künstler, wenn, wie Lessing meint, der Kunstsinn den Künstler macht, bei Schnorr, diesem braven Hausvater, der eine zahlreiche Familie durch unermüdeten Fleiß und Entsagung aller erkünstelten Bedürfnisse erhält und trefflich erzieht, bei dem heiteren, durch und durch guten Schnorr aß Seume gewöhnlich des Abends sein Butterbrot und seine Kartoffeln, trank Wasser, wiegte die Kleinen eins nach dem andern auf seinem Schoß und lebte und webte hier in der Kunst und in der wahren, lieblichen Natur.