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Anfang von Dr. Young's erster Nacht

War Seume's Abhandlung » Arma veterum« etc. (oben S. 33 ff.) als Anhang beigegeben. – A. d. H.

Der müden Schöpfung Arzt, der Balsamschlaf
Macht gleich der Welt den freundlichen Besuch,
Wo Glück ihm lächelt, flieht den Kummersohn,
Enteilt auf seinen Flaumenschwingen schnell
Dem Elend und läßt auf das Augenlid
Sich nieder, welches keine Thräne netzt.
Kurz war, wie stets, und ängstlich meine Ruh';
Wie glücklich, wer von ihr nicht mehr erwacht!
Doch dies auch war' umsonst, wenn in dem Grab
Noch Träume stören. Wie aus einem Meer
Von Träumen tauchend, bin ich jetzt erwacht,
Wo, wie im Sturm das kleine lecke Boot,
Mein banger, zweifelnder Gedanke trieb,
Wie ihn der Zufall warf, und die Vernunft
Nicht an dem schwachen Steuerruder saß:
Jetzt wieder wach, ist blos der Leiden Tausch,
Ein bittrer Tausch, für schmerzlich schmerzlicher.

Der Tag zu kurz für meinen Gram; die Nacht,
Auch im Zenithe ihres dunkeln Reichs,
Ist neben meinem Schicksal Sonnenschein.
Jetzt streckt in strahlenloser Majestät
Die Nacht von ihrem Thron von Ebenholz,
Die braune Göttin ihren Stab von Blei
Rund über unsre Welt in Schlummer aus.
Wie todt die Stille, Finsterniß wie tief!
Kein Auge sieht, es hört kein lauschend Ohr
Im schwächsten Tone einen Gegenstand.
Die Schöpfung schläft; es ist, als ob der Puls
Des Lebens stille stände und Natur
Selbst eine Pause machte, hehr und groß,
Prophetisch ihres Endes. Werde denn
Die Prophezeiung bald erfüllt, und zieh
Den Vorhang, Schicksal! nun verlier' ich nichts.
Ihr Zwillingsschwestern von der alten Nacht,
Du, Dunkelheit und Stille, die Ihr oft
Den keimenden Gedanken zur Vernunft
Empor nährt und auf ihn Entschlüsse baut.
Die Säule wahrer Majestät im Mann,
Steht jetzt mir bei! ich danke in dem Grab
Dem Grabe, Eurem Reich. Dort sinkt mein Bau
Ein Opfer Eurem Todtenheiligthum.
Doch wer seid Ihr?

Du, der einst in die Flucht
Mit mächt'gem Arm die Erstlingsstille triebst,
Als um den Ausgang Deines Feuerballs
Das Heer der Morgensterne jauchzend flog,
Du, dessen Wort aus fester Finsterniß
Den Sonnenfunken schlug, schlag jetzt aus mir
Der Weisheit Feuerstrahl, aus meinem Geist,
Der, wie der Geizhals heiß zu seinem Gold,
Zu Dir, zu seinem Trost und Schütze flieht!
Durch diese doppelt tiefe, tiefe Nacht,
Die Nacht in der Natur und meiner Brust,
Gieß, Vater, mitleidsvoll nur einen Strahl
Zu Licht und Stärkung; führe meinen Geist,
Ein Geist, der seinem Gram so gern entflöh'.
Führ ihn durch manche Scene der Natur,
Des Lebens und des Todes, hauche ihm
Aus jeder eine große Wahrheit ein.
Und meine Wallfahrt sei nicht weniger
Als mein Gesang die reinste Harmonie!
Lehr meine bessere Vernunft Vernunft
Und meinen besten Willen Richtigkeit,
Und stärke meinen festesten Entschluß,
Weisheit zu suchen, und laß immer dann
Mich in der göttlichen Gefolge sein!
Laß Deiner Prüfung Kelch, auf dieses Haupt,
Dem Kummer heilig, reichlich ausgeleert,
Nicht auf mein Haupt umsonst gegossen sein!

Die Uhr schlägt Eins. Wir merken nur die Zeit
Durch den Verlust; und eine Zunge ihr
Zu geben, ist dann Weisheit in dem Mann.
Als ob ein Engel spräche, hör' ich tief
Den heil'gen Ton. Er läutet, hör' ich recht,
Der abgeschiednen Stunden Todtenlied.
Wo sind sie? Bei den Jahren vor der Fluth.
Er ist ein Herold, welcher Eile ruft.
Wie viel ist noch zu thun? Hoffnung und Furcht
Stehn aufgeschreckt am schmalen Lebensrand
Und sehn mit stummer Todtenangst hinab;
Auf was? Auf eine bodenlose Kluft,
Furchtbare Ewigkeit, wie sicher mein!
Und kann mir Ewigkeit gehören? mir,
Dem armen Gnadensöldner eines Tags?
Wie arm, wie reich, wie niedrig und wie hehr,
Wie künstlich ist, wie wundervoll der Mensch,
Wie über alle alle Wunder hoch,
Der so ihn machte, der in unsern Bau
So fremde Endungen zusammenzog!
Aus manchen Stoffen sonderbar gemischt,
Von fernen Welten auserlesnes Band,
Und in der Wesen großem Kettenzug
Ein ausgezeichnetes bestimmtes Glied,
Das Mittel zu der Gottheit von dem Nichts,
Ein schwacher Abdruck unbegrenzter Kraft,
Des Ruhmes Erbe und des Staubes Sohn,
Hilfloser Engel, göttliches Insect:
Ein Wurm, ein Gott! ich zittre vor mir selbst,
Verliere mich in mir. Zu Hause fremd,
Irrt mein Gedanke auf und ab und blickt
Bestürzt umher, voll Wunder über sich.
Wie schwindelt, wie im Taumel, die Vernunft!

Welch Wunder für den Menschen ist der Mensch!
Selbst in dem Elend triumphirend groß,
Mit welcher Freude und mit welcher Furcht,
Jetzt in Entzücken, jetzt in Todesangst.
Was rettet mir das Leben, was zerstört's?
Ein Engelsarm entreißt mich nicht der Gruft,
Und Legionen Engel halten nicht
Mich eingeschlossen in dem Kerker fest.


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