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Aus: »Neue Vesta. Kleine Schriften zur Philosophie des Lebens und zur Beförderung der häuslichen Humanität. Herausgegeben von Fr. Bouterwek«. Achter Band. Leipzig, bei Gottfried Martini. 1806. S. 105-120. – A. d. H.
Aus einem größeren Gedichte, Asträa genannt. Damit der Leser einigermaßen wisse, was das Ganze sei, hier nur einige Worte. Das Gedicht wird drei Theile haben. Erstens, was der Mensch nach den unverdorbenen Grundanlagen seiner Natur einst war; also ein philosophisches Gemälde eines wenigstens theilweise nicht unwahrscheinlichen goldenen Jahrhunderts. Zweitens, was der Mensch durch Irrthum, Betrug und Bedrückung aller Art geworden ist; also leider eine nicht ganz erbauliche Synopse der Geschichte. Drittens, was der Mensch dessen ungeachtet mit Anstrengung seiner reinen Kraft noch werden könnte; also eine moralisch-kosmische Epanorthose. Der erste Theil ist längst geschrieben: weiß der Himmel, wenn Verhältnisse und Stimmung mir erlauben werden, fortzufahren.
Wer ist der Beter dort am majestätischen Eichbaum?
Seine emporgehobenen Blicke glänzen voll Andacht
Durch das ernste stille Dunkel der Schatten zum Himmel.
Seine Seele spricht von seinem Gesichte; die Locken
Fließen in wallendem Silber um seine bräunlichen Schläfe,
Und die Hände falten sich fest am knotigen Stabe.
Dank und Entzückung scheinen von seiner Lippe zu schweben,
Und sein Antlitz lacht wie die heiter sinkende Sonne,
Welche ihr flüssiges Gold noch über die Felsen herabgießt.
Siehe, dort wallen Chöre in tiefer festlicher Stille
Langsam vorwärts, näher zum ehrwürdigen Alten,
Der hier einsam vertieft in seinen Empfindungen da sitzt.
Männer, auf deren Stirne die Würde der göttlichen Tugend
Still thront, kommen am Arme gleicher sanfterer Weiber
Unter den Eichen daher; um Einiger Schädel beginnen
Schon die Locken zu greisen, doch Mannkraft stählt noch die Sehnen.
Mit dem Ausdruck frommer Entzückung eilen sie schnell nun
Zu dem patriarchalischen Alten und küssen mit Ehrfurcht
Nach der Reih' ihm die Hände und gießen ihr wallendes Herz aus,
Seinen Festtag mit einem festlichern Abend zu krönen.
Wenige Worte nur fallen gebrochen von glühenden Lippen;
Aber ihr Geist ist Feuer und strömet von Seele zu Seele;
Große Tropfen der Freude zittern dem alten Vater
Von der Wimper herab; er stammelt das heiße Gefühl nur.
Rechts her rauschen im Fluge der rüstigen stürmenden Jugend
Mit dem Kranze der Eiche die Jünglinge durch die Gebüsche,
Ihn um die Schläfe des glücklichen Ueberraschten zu winden;
Und die Mädchen eilen, aus niedlich geflochtenen Körben
Rund um das Heiligthum ein Tempe von Blumen zu schütten.
Alle stimmen nunmehr in liebliche Wechselgesänge,
Den gefeierten Tag vor seinen Gefährten zu segnen,
Welche der Himmel mit Glück aus seiner Urne herabgoß.
Festlich und festlicher tönt die heilige frohe Versammlung,
Steiget in höheren Flammen zu höher begeisterter Andacht,
Bis in himmlischem Feuer nun Alles ein einziger Chor wird.
Ihr Gesang schließt, und in lauter schöner Verwirrung
Strömen von allen Seiten, rufend und stammelnd und lallend,
An den Händen und auf den Armen der Schwestern und Mütter
Alle Kleinen heran, den Armen des Alten entgegen;
Eine hoffnungsvolle liebenswürdige Menge.
Keine Bilder erreichen das herrliche bunte Gewimmel,
Wie sie sich Alle zu seinen Knieen mit Emsigkeit drängen;
Wie er dann zärtlich die jüngsten nach der Reih' auf den Arm nimmt
Und, als wäre jeder sein Erstgeborner, sie küsset;
Wie die Plauderer lieblich mit kleinen Fingern die Locken
Seines geduldigen Silberhauptes jubelnd durchwühlen;
Wie er Kinn und Wange der rosigen Knaben und Mädchen
Lächelnder streichelt und sanft liebkosend goldene Lehren
Jedem kleinen vertraulichen Schwätzer väterlich einflößt.
Ernstere Stille herrscht nun im Kreise; die blühenden Enkel
Treten mit Ehrfurcht zurück; nur noch ein freudiges Flüstern
Unter den Jünglingen summt und unter den lauschenden Mädchen.
Schüchtern langsam tritt aus dem immer wachsenden Haufen
Ein erhabener Jüngling hervor, auf dessen Gesichte
Die hoch wogende glühende Farbe des Abendroths zittert.
Aengstlicher, als er dachte, naht er dem Jubelvater,
Und das lautere Flüstern umher benimmt ihm die Stimme,
Da zu seiner Errettung ein wackerer Alter hervortritt.
»Hundertjähriger Freund,« sprach dieser zum Manne des Festes,
»Siehe, der Jüngling, mein Enkel, da steht er auf einmal vor Angst stumm,
Liebet Deiner Enkelin Tochter, die schöne Mehala,
Schön, wie die Göttin der Blumen die duftenden Thäler durchwandelt.
Zwanzig Monde schon liebt er das liebenswürdige Mädchen,
Und er hat sein Herz ihr gesagt, und sie hat ihn gehöret;
Ihre Herzen sind einig, das wissen die Flüsterer dort wohl.
Mit der Morgensonne bracht' er ihr thauige Blumen,
Flocht ihr am Mittag die Sommerlaube zu dichteren Schatten,
Sahe des Abends der Kommenden von dem Hügel entgegen,
Seine lieblichsten Lieder ihr zum Willkommen zu singen.
Oft bei der Arbeit hab' ich ihn, oft im Gesange belauschet,
Väterlich einsam jeden Wunsch der Seele gehöret.
Ihre Eltern, unsere Kinder, billigen freudig
Dieses glückliche Band; der heutige festliche Tag war
Ihrer Hoffnung gewiesen, damit Dein Segen sie segne.«
Stammelnd küßte der Jüngling dankbar die Hände des Alten.
Muthvoll hatte er einst den schweren geschliffenen Jagdspieß
Nah in den Bug des Löwen geworfen, das Schrecken der Gegend
Unerschrocken getödtet; jetzt fehlten dem Glücklichen Worte,
Da ihm vor hoher Entzückung trunkener mächtig das Herz schlug.
»Höre, Mehala,« ruft freundlich der Alte, »mein Liebling, Mehala!«
Und das Mädchen trat näher aus ihrer Gespielinnen Reihen,
Die mit lächelnden Blicken die schöne Gespielin verfolgten;
»Hast Du die Botschaft gehört? Was sagst Du, meine Mehala?
Komm, komm zu mir und rede! siehe, der Löwenbezwinger
Bittet sanft wie ein Lamm; Du kennst ihn doch, liebe Mehala?«
Lauter erhob sich das Flüstern im Chore der scherzenden Jugend.
Wie vom Winde bewegt die jüngste der Rosen, die aufblüht,
Nach dem Stamm um Unterstützung stehend sich neiget,
Also sank voll sittiger Scham an den freundlichsten Ruhplatz,
An den Nacken des Patriarchen und lispelte leise,
Hörbar kaum dem nahen Geliebten, das Mädchen: »Ich lieb' ihn!«
»Komm und sei mir ein Sohn mehr!« sagte der Greis zu dem Jüngling,
Und mit Dank umarmten ihn kindlich die neuen Verlobten,
Hingen an seinen Schultern und sahen ihm zärtlich ins Antlitz,
Da er die Worte des Segens väterlich über sie aussprach.
Wie ein höherer Geist, vom Geiste der Geister befehligt,
Seine Sendungen sagt den niedern Geistergeschlechtern,
Also stand und sprach der Alte mit göttlicher Würde.
In dem Auge des Hundertjährigen glühte der Jugend
Feuer noch einmal empor, der Abendstern spiegelte freundlich
In dem Glanze sich ab, und wie ein Strahlenkreis wehte
Um sein silbernes Haupt, da er die Kinder umarmte:
»Werde gesegnet vom Himmel,« so sprach er, »Mehala, mein Liebling,
Werde gesegnet, mein Sohn! die Tugend segnet sich immer;
Eure Verbindung sei nun das nächste Fest, das wir feiern!«
Und er legte die Hände der Kinder zum Bunde zusammen,
Lächelte freundlich und trat zurück und ließ sie allein stehn.
Plötzlich schlang sich die jüngere Schaar wie ein Blumengewinde
Um die Bebenden her und tanzte den fröhlichsten Reihen
Unter Gesängen der Freude und Freundschaft und sittigen Liebe.
Hoch erröthend schmiegte Mehala, verbergend ihr Antlitz,
Sich an Sadik's Schulter, des einzigen treuen Geliebten,
Der in dem Ring der Gespielen mit schöner Verwirrung umhersah.
Als der Reihen sich schloß und Hesperus höher emporstieg
Durch die Strahlengefilde, als durch die Wipfel der Buchen
Hinter dem Felsen hervor nun Luneus mildester Schimmer
Auf die Glücklichen blickte und um die Wimpern der Kinder
Und um die Augen der Alten der süße narkotische Mohnthau,
In der Blumen Balsam gemischt, mit süßer Gewalt floß,
Brachte die Ruhe der Freude die schöne frohe Versammlung
Von dem kleinen Hügel zurück in die friedlichen Hütten.
Gleich elysischen Kindern führten Mehala und Sadik
Froh in der Mitte den väterlichen Fürsten des Tages.
Vor ihm her schwärmten die Knaben, und hinter ihm kamen in Reihen.
Langsam, traulicher kosend und segnend, die Väter und Mütter,
Alle seine Kinder, ein herrliches langes Gefolge.
Alle begrüßten den Greis zum Abschied, und perlende Tropfen
Zitterten freudig im Mondlicht ihm von der glänzenden Wange,
Als er die kleine gesegnete Schaar den Eltern zurückgab.
Unter Gedanken des Lebens und unter Gedanken des Todes,
Diese auch Leben für ihn, schlich er am knotigen Stabe
Nun in die Kammer der Ruh', wo seine geliebteren Söhne
Um sein Lager noch standen, den Schlummer des Alten belauschend,
Und dann leiseren Tritts die heilige Schwelle verließen.
Nunmehr schlummert die Gegend in stiller lispelnde Laute:
Nur Philomele flötet noch einsam im Rosengebüsche;
Nur im thauigen Thale hallen noch fernher die Glocken
Einer späten Heerde, die von den Bergen zurückschleicht;
Nur die Jünglinge singen, trunken der Freuden des Tages,
Schönerer Hoffnungen voll, noch unter den Linden des Hügels,
Nah genug, um noch die Schläferinnen zu stören,
Ihre begeistertsten Lieder fallen und steigen und sinken,
Bis der Zauber der Flöte die Melodieen durchwehet
Und in sanfteren, sanfteren Tönen zur Ruh' hinabzieht.