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Schicketan war mit der immer noch banalen, aber zweifellos oft vernünftigen Absicht in Berlin geblieben, sich reich zu verheiraten. Er hatte sich allerdings nicht freiwillig dazu entschlossen, sondern teils einem wohlgemeinten Rat seines Freundes Fidikuk folgend, teils unter dem Einfluß einer gewissen Müdigkeit, die wiederum verursachte, daß er nicht mit der ihm eigenen Energie Ausschau hielt, vielmehr tagelang in Berlin umherbummelte, als würde die reiche Braut ihm von selber vor die Füße stolpern.
Da begab es sich, daß Schicketan eines Nachmittags, als er den Kurfürstendamm überquerte, einer eleganten hübschen Dame begegnete, deren Bekanntschaft er vor Jahren gemacht hatte. Er eilte auf sie zu, kam aber zu spät. Denn plötzlich war ein junger Mann neben sie getreten, der allem Anschein nach sie hier erwartet hatte.
Schicketan ging schnell an dem Paar vorbei, da er die Situation für unbrauchbar hielt, legte aber Wert darauf, gesehen zu werden. Er erstaunte darüber, in dem jungen Mann einen äußerlich höchst unscheinbaren Spengler-Epigonen namens Hungel zu agnoszieren, den er persönlich kannte, und gleichwohl nicht gegrüßt zu werden. Der Zufall wollte es, daß Schicketan drei Tage später Hungel im Café Schilling an das Schienbein stieß. Man begrüßte einander lachend, tauschte kleine Erinnerungen aus und kam, nicht ohne Schicketans geschicktes Dirigieren, auch auf Frau Klipprich zu sprechen.
Als Schicketan sich von Hungel verabschiedete, war er über die gegenwärtigen Lebensumstände Frau Klipprichs im allgemeinen orientiert: sie war inzwischen von ihrem Gatten schuldfrei geschieden worden und in Zehlendorf-West Besitzerin einer schloßähnlichen Renaissance-Villa, die sie allein und infolge ihrer trüben Eheerfahrungen sehr zurückgezogen bewohnte. Da Schicketan sich erinnerte, daß Frau Klipprichs Vater ein sehr reicher Gummi-Fabrikant sein sollte, war sein Interesse so sehr gestiegen, daß er den taktischen Fehler beging, den Wunsch auszusprechen, Frau Klipprich wiederzusehen. Zu seinem Erstaunen war Hungel verlegen geworden und hatte, als hätte er es vergessen, rasch hingeworfen, Frau Klipprich habe ihn sogar gebeten, wenn er Schicketan begegnen sollte, ihm zu sagen, daß sie ihn gerne einmal bei sich sehen würde; und zum Überfluß hierauf dem Gespräch so 79 unvermittelt eine andere Wendung gegeben, daß Schicketan nicht im Zweifel darüber war, was ihn dazu bestimmt hatte. Dies umsomehr, als Schicketan weder die Adresse Frau Klipprichs kannte noch die Zeit, zu der sie Besuche zu empfangen pflegte, weder die Fahrtverbindung noch die Telefon-Nummer, welche er auch nach wiederholtem Suchen nicht zu finden vermochte.
Schicketans Müdigkeit war wie fortgelächelt. Seine alte Energie kehrte wieder, wie stets, wenn lukrativen Zielen der Ehrgeiz sich verband, einen Gegner matt zu setzen. In wenigen Minuten wußte er die Wohnung Hungels und anderntags durch wohlüberlegte telefonische Anfragen mit mehrfach verstellter Stimme es zu erreichen, Hungels Wege für den folgenden Tag zu erfahren. Er lief ihm in der Tauentzienstraße in die Hände, zeigte sich über die Maßen erfreut über dieses schnelle Wiedersehen und war abermals sehr erstaunt, von Hungel zu hören, daß Frau Klipprich ihm aufgetragen habe, Schicketan für Sonntag zum Tee einzuladen und ihn zu diesem Zweck im Café Schilling zu suchen. Schicketan dankte, versprach zu kommen und lächelte nicht einmal darüber, daß Hungel auch jetzt noch sich darauf beschränkte, ihm mitzuteilen, die Fahrtverbindung und der Weg zur Villa seien überaus kompliziert, er werde jedoch halb vor fünf im Café Schilling auf ihn warten und ihn persönlich hinausbegleiten.
Schicketan, davon überzeugt, daß Hungel zu diesem Rendezvous nicht erscheinen würde, machte sich Sonntag bereits um drei Uhr nachmittags auf den Weg zum Vorort-Bahnhof, der linker Hand hinter dem Potsdamer liegt. Da die Abgangszeit der Züge seit einer Woche mit dem Fahrplan divergierte, verlor Schicketan drei Viertelstunden, so daß es bereits ein Viertel nach vier war, als er Zehlendorf-West erreichte. Daselbst begab er sich unverzüglich zum Gemeinde-Amt, wo er nach langem Warten Frau Klipprichs Adresse erfuhr und auch den Weg gewiesen erhielt. Dieser stellte sich alsbald als wirklich kompliziert heraus. Und als, nach fortwährendem Fragen, es Schicketan endlich gelungen war, die Villa zu finden, zeigte seine Uhr fünf Uhr fünfzehn.
Die alte Frau, die ihm öffnete, teilte ihm verwundert mit, Frau Klipprich befinde sich in Berlin, und wackelte noch schneller mit dem Kopf, als sie hörte, daß es sich um eine persönliche Einladung handle. Sie ließ Schicketan nur ungern eintreten und konnte sich nicht entbrechen, grinsend zu äußern, es werde wohl sehr lange dauern.
Es dauerte auch wirklich lange. Und zwar bis sechs ein halb. Um welche Zeit Hungel erschien, der sich ausführlich darüber ärgerte, 80 solch Pech gehabt zu haben: er habe während der letzten Tage Frau Klipprich wegen Zeitmangels nicht gesehen und ihr die Mitteilung von der Bestellung ihrer Einladung erst vor zwei Stunden telefonisch machen können, und zwar leider nur ihren Eltern, zu denen aber, wie er bestimmt wisse, Frau Klipprich heute sich begeben werde, so daß sie unter allen Umständen von seiner, Schicketans, Anwesenheit in ihrer Villa noch erführe, obwohl freilich doch nicht abzusehen sei, wann sie und ob überhaupt . . .
Schicketan weidete sich an Hungels Eifer und Ungeschick und versicherte geruhsamster Miene, er habe Zeit und werde warten, möge es auch bis zehn Uhr nachts dauern; schließlich werde Frau Klipprich ja doch einmal heimkehren.
Hungel kämpfte, wenn auch nicht mit vollem Erfolg, seine Wut nieder und mußte es sich gefallen lassen, daß Schicketan ihn zu einem Gespräch zwang, das jener, um nicht zu zeigen, daß er ihn durchschaue, so heiter zu gestalten wußte, daß Hungel trotz seinem tristen Zustand einige Male lachen mußte.
Frau Klipprich kam halb vor zehn nach Hause. Hungel war ihr, sobald er den Wagen hatte vorfahren hören, auf die Treppe entgegengeeilt, von wo aus Schicketan aufgeregte und unwillige Stimmen vernahm. Nachdem er eine halbe Stunde allein geblieben war, kam Hungel mit der Nachricht, Frau Klipprich bitte um Entschuldigung, sie mache Toilette.
Endlich, nach einer weiteren Stunde, die unter feixenden Konversationsversuchen verronnen war, erschien Frau Klipprich in einer allerliebsten Abendrobe. Es war nicht zu verkennen, daß sie ihrer Toilette höchste Gewissenhaftigkeit hatte angedeihen lassen. Sie erschöpfte sich in Entschuldigungen; es müsse wie verhext gewesen sein, daß Hungel . . . und sie könne es einfach nicht begreifen . . .
Schicketan begriff umso besser. Und ließ, während man selbdritt vorzüglichen Tee trank und unzählige Sandwichs verschlang, keine Gelegenheit vorüber, seine liebenswürdigsten Seiten vorzuweisen und Hungel vorsichtig zu ironisieren. Dies bewirkte, daß Frau Klipprich bereits um elf Uhr ihrem Hungel allerlei Schmollendes verabreichte, ja sogar zu kleinen Verweisen sich verstieg. Was Hungel, ziemlich deutlich desequilibriert, damit quittierte, daß er schon nach einer Stunde zum Aufbruch drängte.
Frau Klipprich wehrte sich heldenhaft. Hungel aber ließ nicht locker, und da Schicketan seinen ersten Besuch nicht zu einem nächtlichen Tête-à-tête mißbrauchen, andererseits Frau Klipprich ihn auch nicht dazu auffordern durfte, blieb Hungel Sieger.
81 Nicht lange. Denn am übernächsten Tag rief Schicketan, der inzwischen mit den Geheimnissen der Gesellschafts-Anschlüsse sich vertraut gemacht hatte, telefonisch an und wurde für den folgenden Tag zum Tee gebeten.
Als er nurmehr wenige Schritte von der Gartentür der Villa entfernt war, tauchte miteins Hungel vor ihm auf, der ohne Zweifel irgendwo auf der Lauer gelegen war, um die Ankunft seines Gegners abzupassen. Obwohl Schicketan dieses Vorgehen nur damit sich zu erklären vermochte, daß Hungel ihn mit Frau Klipprich nicht allein lassen wollte, glaubte er an einem gewissen Plus von Heiterkeit zu erkennen, daß Hungel etwas plane. Glücklicherweise. Denn andernfalls hätte Schicketan vielleicht doch geglaubt, was Hungel ihm, als sie gemeinsam Frau Klipprichs Erscheinen erwarteten, wie nebenbei mitteilte: daß Frau Klipprich sich so lange nicht blicken lasse, weil sie indisponiert sei, unwohl . . . ein Zustand, der bei ihr stets langwierig und sehr schmerzhaft sich äußere, so daß sie in jeder Hinsicht dringend der Schonung bedürfe.
Schicketan, der Hungels Manöver, ihn zu veranlassen, seinen Besuch abzukürzen und etwaige Angriffspläne vorderhand zu begraben, sofort durchschaute, tat, als Frau Klipprich, wiederum in einer entzückenden Robe, eintrat, als wäre er zerstreut, und beschränkte sich darauf, die banalste Konversation zu machen.
Hungel war überzeugt, ihn unschädlich gemacht zu haben. Er zögerte deshalb nicht länger, seine Scharte vom letzten Mal dadurch auszuwetzen, daß er sich plötzlich mit der Behauptung erhob, eine wichtige Verabredung zu haben und sehr zu bedauern, die beiden allein lassen zu müssen.
Als dies geschehen war, arrangierte Schicketan sich weitläufig in ein Fauteuil und holte, mit Hilfe einer Zigarette, eines seidenen Taschentuchs und eines kleinen Flacons, auch szenisch weit aus.
Frau Klipprich saß ihm gegenüber auf dem Sofa, die schönen Hände lieblich in den Schoß gebettet, und harrte mit harmonischer Wohlerzogenheit und geschmackvollen kleinen Koketterien dessen, was so außergewöhnliche Vorbereitungen mit Recht versprachen.
»Man muß den zurückgebliebenen Dampf eines Weggegangenen sich verziehen lassen.« Schicketan sah erst jetzt auf. »Wenn man nicht in getrübter Atmosphäre sich beeinträchtigt wissen will.«
Frau Klipprich drückte ihre schmalen rosigen Fingernägel noch schmaler, während sie mit hell läutender Stimme sich verwahrte: »Ich schätze Hungel sehr. Er ist ein absolut zuverlässiger Mensch.«
82 »Das ist vor allem bequem.« Schicketan steckte den Hals des Flacons sich in die Nase und schnupfte geräuschvoll an ihm. »Alle Eigenschaften, die man an anderen schätzt, müssen diesen Vorzug haben, wenn sie nicht entwertet werden wollen.«
Frau Klipprich, welche die Richtigkeit dieser Behauptung dumpf bezweifelte, widersprach unsicher: »Es gibt auch unbequeme Vorzüge.«
»Sie irren.« Schicketan trocknete sich mit dem Taschentuch die trockenen Mundwinkel. »Ein Vorzug, der anfängt, unbequem zu werden, ist nurmehr eine Eigenschaft, die man bestenfalls nachsichtig duldet.«
Frau Klipprich hielt es für einfacher, direkt zu antworten: »Sie mögen Hungel nicht.«
»Wie alle Leute, die überaus philosophisch parlieren, privatim aber, wenn ihre Interessen in Gefahr sind, nicht weniger schieben als alle anderen.«
»Und ich wiederhole Ihnen, Herr Schicketan, daß Sie Hungel eben nicht mögen. Ich habe wohl auch bemerkt, daß er . . . Das ist verzeihlich.«
Das Zimmermädchen trat ein, um den Tisch abzuräumen.
Nachher war es schwierig, geschickt auf das vorhergegangene Gespräch zurückzukommen. Schicketan überlegte nicht lange, sondern zog es vor, es kurzerhand wiederaufzunehmen. »Was macht Hungel eigentlich? Wenn er bloß wie Spengler dichten würde, das ginge noch an. Aber ich fürchte, er hat eine – Lebensaufgabe.«
Frau Klipprich steifte sich ein wenig. »Gewiß.«
»Ach«, stöhnte Schicketan spöttisch und ließ seine Zigarette wie gelangweilt fallen. »Lebensaufgaben sind die primitivste Form der Hysterie.«
Frau Klipprich ärgerte sich, als hätte es ihr selber gegolten. »Hungel ist nicht hysterisch.«
»Da ich beobachtet habe, daß er nicht Ihr Geliebter ist, ja Sie nicht einmal nachhaltig beeinflußt hat, dürfte meine Auffassung die richtigere sein.«
Frau Klipprich erboste sich beinahe, weil sie dieses versteckte Lob sich bereits als Manko deutete. »Ist man hysterisch, wenn man ein bißchen eifersüchtig ist?«
»Das wohl nicht. Aber wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, dort den Wächter zu spielen, wo man nie Besitzrechte hatte.«
In dieser Art, bald amüsant bald médisant, sprach Schicketan noch lange Zeit, bis Frau Klipprich, immer mehr in Laune 83 gebracht, ihn zum Abendessen zu bleiben bat. Beim Dessert spiralte das Gespräch nurmehr um sehr lockere Dinge, Frau Klipprichs Finger erregt um das Obstbesteck und Schicketans Gehirn sich vor den Sprung.
Er erhob sich plötzlich, nahm Frau Klipprich an der Hand, wies, als sie neugierig aufgestanden war, mit ausgestrecktem Arm auf den gestirnten Nachthimmel und führte sie so zu der auf dem Wege zum Fenster befindlichen Chaiselongue, auf die er sie blitzschnell niederwarf und sich auf sie . . . Der Sturm war unternommen. (Unblutig.)
Und bereits nach zehn Minuten verziehen. Denn Frau Klipprich hauchte hold: »Karl, wirst du . . . werden Sie . . .« – »Ja.«
»Hier bei mir?«
»Hier bei dir.«
»Immer?«
»Immer.«
»Aber Hungel?« Sie errötete lustig.
»Der hat doch seine Lebensaufgabe.«
»Und du . . .« Ihre Augen sprühten lachend auf. »Du hast – Druckknöpfe.«
»Bereit sein ist alles, süße Lissy.«
Nach etwa einer Stunde, die heißeste Lust und verrücktes Geplauder zugleich erfüllt hatten, vernahm Schicketans feines Ohr von der Straße her einen ihm nur zu bekannten Pfiff.
Weshalb Schicketan, nachdem er sich, mühselig genug, frei gemacht hatte, eine halbe Stunde später aus dem Garten trat, wo Fidikuk, bereits ungeduldig wartend, ihm überstürzt mitteilte, die Polizei habe nun doch Wind bekommen und die Heirat würde also an der unvermeidlich schlechten Auskunft scheitern.
Schicketan tobte. »Und deshalb mußtest du mich jetzt stören? Ausgerechnet jetzt?«
Fidikuk grinste gemein. »Nee, deswejen nich jerade. Aba ik rate dia, vaschwinde noch vor der Morjen jraut. Wat biste ooch janze Tache lang rumjeschweddert for nischt und wieda nischt? Mit so vill Marjarine uffm Koppe jeht nur een Varrickter in de Sonne.«
»Warum also?« Schicketan pfitschte wütend mit dem Stock. »Warum?«
»Et is wejen . . .« Fidikuk zögerte teilnahmsvoll.
»Die Sache mit Amanda am Ende gar?«
Fidikuk nickte still.
»Verflucht und angespien! Und ich bin so müde!«
Der Sturm auf die Villa war wie gewonnen so zerronnen. 84