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Hiil stammte aus Helsingfors, schrieb höchst unorthographisch und sprach entzückend miserabel französisch.
Der Engländer Chester, dem dieses von dem deutschen Dichter Moriz Adler, seinem Busenfreund, berichtet ward, ließ Hiil jedoch nicht deshalb allein sich präsentieren.
Moriz Adler war nämlich, so phantastisch es auch klingen mag, ein derart dummer Jude, daß dem Gerücht, er wäre lediglich ein uneheliches Erzeugnis des seligen Richard Dehmel, weithin Glauben geschenkt wurde. Sei dem nun, wie ihm wolle, Chester fand es im höchsten Grade verwertbar, daß dieser Moriz Adler, der über einen guten Wuchs verfügte, einnehmende Züge und ein konstant verheißungsvolles Lächeln, sein Dasein von einem einzigen, außerordentlich primitiven, immerhin aber in Ansehung seiner enormen Dummheit ganz erstaunlichen Truc bestritt: er behandelte nämlich die Damen, auf die er flog, wegwerfend, und diejenigen, auf die er nicht flog, desgleichen. Jenes hatte zur Folge, daß er lukrativst reüssierte, dieses, daß sein Renommée kontinuierlich stieg.
Chester war deshalb sofort davon überzeugt, daß Hiil unter allen Umständen eine ganz exorbitante Meinung von Moriz Adler mit sich herumschleppte, und drang auf eilige Präsentation.
Diese erfolgte in dem in Montreux befindlichen Salon der rituell schwankend beurteilten Russin Isabell Didenko, dem augenblicklichen Stall Moriz Adlers, und zwar an einem Abend, an dem weder Herr Casella noch Herr Bolo-Pascha erwartet wurden, die auch späterhin nicht mehr erschienen, teils weil vorsichtiger geworden, teils weil bereits verhaftet.
Chester ging mit der seiner Rasse eigenen, sehr bemerkenswerten Schlauheit ans Werk.
»Wie der gute Junge sich quält, gequält zu erscheinen,« äußerte er kühl, kaum daß er ein paar Worte mit Hiil gewechselt hatte.
»Sie spröchen von der Moriz Adler?« Hiil kräuselte süß die Oberlippe. »Sie wohl neidisch?«
»Ich?« Chester erstaunte erfreut. »Moriz Adler ist doch hoffnungslos erblüht – für Madame Didenko.«
Hiil lachte höhnisch in ihren wirklich lieblichen Busen hinein. »Aber söhen Sie dach nör, wie nachlässig er zu ühr spricht!«
»Ebendeswegen,« zielte Chester, agnoszierte augenblicks die erwünschte heftige Neugierde Hiils und zögerte nicht, die mit sehr schlecht versteckter Ungeduld hervorrieselnden Fragen langsam, zielbewußt und überaus beiläufig zu beantworten.
Hiil, die deshalb nach Erschöpfung dieses Themas nicht das geringste Interesse mehr für Chester aufzubringen vermochte, saß alsbald in der nächsten Nähe Madame Didenkos, der sie, entschlossen, um jeden Preis zu siegen, ziemlich unvermittelt mitteilte, Moriz Adler sei eigentlich gar kein Schweizer, sondern ein Boche und außerdem ein richtiger Spion; das sei auch die Meinung Chesters, fügte sie um einige Nuancen leiser hinzu.
Dieser, der seinen Busenfreund Moriz Adler soeben absichtsvoller Weise zugeflüstert hatte, daß Hiil ihn verabscheue, hielt der bald darauf von Madame Didenko an ihn gerichteten Frage, ob es wahr sei, daß Moriz Adler ..., sekundenlang regungslos stand, reflektierte ruhig, aber ergebnisvoll und kalkulierte nach einem kurzen Blick auf die wegen ihres Schachzugs doch ein wenig nervöse Hiil, daß es das Beste wäre, fast unmerklich mit dem Kopf zu nicken.
Noch am selben Abend warf Madame Didenko den deutschen Dichter Moriz Adler deutlich aus ihrem Salon.
Hiil, deshalb scheinbar sehr dekonzentriert, verabschiedete sich raschest, holte Moriz Adler vor dem Hause ein und schlief noch in derselben Nacht mit ihm.
Chester aber näherte sich Madame Didenko und um ein Gewaltiges seinem Ziel, das nicht so sehr darin bestand, zu Beträgen zu gelangen, als vielmehr, bereits anderwärts erhaltene zu rechtfertigen.
»Warum nur Casella sich nicht mehr blicken läßt,« sondierte er nach Verlauf zweier Tage.
»Ach, er wird einen Flirt haben. Und dann diese dumme Geschichte mit Bolo ...« fügte Madame Didenko nachdenklich hinzu.
»Bolo? Ich glaube nicht an seine Verhaftung,« log Chester.
»O doch ...« sagte Madame Didenko bestimmt, aber leise.
»Dann muß Ihnen diese neuerliche Geschichte ... mit Moriz ...«
»Schweigen Sie, ich bitte Sie!«
»Und da soll man noch sagen, daß die Deutschen sich nicht zu verstellen wissen.«
»Ach, ich habe große Lust, nach St. Moritz zu gehen. Für einige Zeit ...« Madame Didenko erhob sich nervös.
Dieses Gespräch genügte Chester, um die bald nach hergestellter Intimität während eines Spaziergangs gemachte Entdeckung, daß Madame Didenko unter dem Namen C. Cuslin postlagernd Briefe behob, dergestalt zu benützen: er füllte einen Nachsendungsantrag auf diesen Namen aus, kuvertierte ihn, warf ihn in einen Briefkasten und fuhr zwei Tage später nach Genf, wo er auf dem Postamt in der Rue du Stand die Briefe an C. Cuslin unbeanstandet behob.
Die Folge davon war, daß Madame Didenko gelegentlich einer Autofahrt den See entlang wie zufällig auf französisches Gebiet geriet und nicht mehr gesehen ward.
Tagsdarauf erschien ehester im Hotel Moriz Adlers und traf, woran er nicht gezweifelt hatte, Hiil daselbst an.
»Ist wahr, daß Madame Didenko ...?« fragte Hiil augenblicks.
»Ich glaube eher an eine Entführung,« meinte sachte Chester.
»Entführung?« wunderte sich Moriz Adler maßlos. »Aber wer sollte denn ...«
»Man munkelt – Casella,« jonglierte Chester.
»Casella? Niemals! Das ist dach einer Spion!« Hiil wandte sich empört ab.
»Ausgeschlossen,« versicherte Moriz Adler mit Kennermiene.
»Vielleicht also – Bolo.« Chester langweilte sich schon.
»Aber dör ist dach schon verhäftet.« Hiil lachte lieblich.
Chester zuckte leicht die Achseln und entfernte sich nach einer Viertelstunde, nicht ohne die beiden zu bitten, morgen den Tee bei ihm zu nehmen.
Am nächsten Mittag erhielt Moriz Adler folgenden Brief aus Villars, von der Hand Madame Didenkos:
Geliebter,
alles nur arrangiert, um Dich nicht zu verlieren. Die Szene bei mir wurde plötzlich nötig, da Renald sich als Freund meines Mannes entpuppte, was ich durch einen glücklichen Zufall erfuhr. Komm sofort! Ich wohne inkognito bei dem Förster Sesselli, drei Kilometer hinter dem Hotel Cumberland. Tausend Küsse von
Deiner Isa.
Da dem Brief eine Hundertfrancs-Note beilag, war Moriz Adler sehr entzückt, umsomehr, als Hiil in jeder Hinsicht an der von ihm erwarteten Pflege es fehlen ließ, und schrieb ungesäumt folgenden Brief:
Liebe Hill,
eine dringende Depesche ruft mich für einige Tage nach Bern. Entschuldige bitte mein unhöfliches Verschwinden. Ich bring Dir was Schönes mit. Bleib mir treu, hörst Du?
Dein Moriz.
Hierauf bestieg er den Schnellzug nach Villars.
Inzwischen nahm Hiil, die Moriz Adler nun wirklich für einen deutschen Spion hielt und sich selbst für eine mit seltener Intuition versehene Dame, bei Chester den Tee.
»Sie sind eine sehr schöne Frau,« sagte Chester nach einer Pause.
»Das weiß ich,« lächelte Hiil vergnügt.
»Damit aber imponieren Sie mir nicht.«
»Sie imitieren wohl dieses Moriz, dieses Idiot?«
»Ach nein,« sagte Chester. »Was ich an Ihnen schätze, ist der Umstand, daß Sie unorthographisch und überhaupt mühevoll Briefe schreiben, keine einzige Sprache wirklich beherrschen, aus Helsingfors sind, einer in jeder Beziehung unwichtigen Gegend, und nicht den Ehrgeiz haben, mehr sein zu wollen als eine schöne Frau.«
»Großartig!« lachte Hill. »Aber woher wissen alles Sie denn das?«
»Ich interessiere mich doch schon seit langem für Sie. Wollen Sie meine Freundin werden? Ich gebe Ihnen tausend Francs monatlich.«
»Abör Sie sind auch keine Spion?«
»Nicht daß ich wüßte!« Chester lachte aus vollem Halse, wurde aber doch plötzlich ein paar Sekunden lang bleich.
Hiil fuhr, da es Chester nicht mehr recht in der Schweiz gefiel, mit diesem anderntags nach Paris und später nach London.
Moriz Adler aber, sein Busenfreund, suchte zwei Tage lang vergeblich das Haus des Försters Sesselli. Nach stundenlangen verzweifelten Überlegungen betrachtete er träumerisch den Brief Madame Didenkos, betrachtete ihn abermals und schließlich ganz außerordentlich intensiv, wobei er endlich bemerken mußte, daß die Handschrift sehr geschickt nachgeahmt war.
Wütend und außerstande, zu begreifen, fuhr er nach Montreux zurück und sofort in das Hotel Chesters.
Aber noch nach drei Tagen begriff er absolut nichts. Ein selten dummer Jude.