Walter Serner
Zum blauen Affen
Walter Serner

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La dupe glissée

Während Shup sich wild wusch, pfiff er: »Cousine, cousine, si gentille, si câline . . .«

Zwischendurch verbeugte er sich, die Hände türkisch über der Brust gekreuzt, vor dem bemerkenswerten Busen einer weiblichen Photographie, die ihm gegenüber bespritzt an der Wand baumelte. Hierauf benützte er unter anderem einen halbblinden Handspiegel, lächelte sich begeistert zu, grimassierte und ging schließlich ärgerlich, wenn auch nicht grundlos auf die Treppe.

Daselbst hörte er ein aus der Etage unter ihm dringendes heiseres Frauenorgan: ». . . man muß doch den Mädchen in diesem Alter die Möglichkeit geben . . .«

Shup retirierte sich fluchtartig. »Gräßlich!«

Auf seiner Chaiselongue plazierte er genießerisch ein Stückchen Würfelzucker auf die Zunge und goß langsam Wasser nach. Diese Prozedur wiederholte er eben zum dritten Mal, als, ohne anzuklopfen, Yvonne eintrat:

»Was machst du denn da? Fehlt dir etwas?«

»Nein, mein Engel. Ich frühstücke.«

Yvonne lachte so lange, daß Shup gemächlich ihr Handtäschchen öffnen und sieben Gianaclis und drei Francs daraus entfernen konnte.

Yvonne wurde endlich still. Dann aber platzte sie, wie bis an die Lippen voll, von neuem los.

»Du hast ein schlechtes Gewissen,« orakelte Shup, beobachtend die Unterlippe beißend. »Dieses Gelächter ist auch in Ansehung meiner ganz außerordentlichen Fähigkeiten zu viel, ma chérie

»Shup, hast du heute Zeit?«

Shup schloß überlegend langsam die Augen.

»Mensch, tu doch nicht so!«

Shup war gerührt: »Nun, mein Engel?«

»Affe! . . . Willst du um sechs Uhr im Café de la Fregatte sein?«

»de la Freg . . . Kenne ich nicht.«

Yvonne zerrte ungestüm an einem vorhangähnlichen Gebilde in der nächsten Umgebung des Fensters. »Natürlich kennst du es. Diese Kaschemme in der Rue du Bac.«

»Ça va?« Rosanette stand plötzlich in der Tür.

Yvonne begann eigenartig zu summen. Die Marseillaise.

104 »Ah, du bist hier?« Rosanette setzte sich mit unvorstellbarer Vornehmheit auf eine Art Podium.

Ein gefährliches Schweigen hub an.

»Chou-ou-crou-ou-oute!« Eine absonderliche Kreuzung von Schrei, Pfiff und hohem C, zog dieses Wort von der Straße herauf langgedehnt durch den Raum.

Shups dadurch entstandenes glückliches Lächeln verging, als er sah, wie Yvonne nach ihrem Handtäschchen griff und intensiv darin herumkramte.

Und schon sprang sie auf Shup zu und riß ihm die Zigarette aus den Fingern. »Voilà, Gianaclis! Also hast du auch meine drei Francs! Her damit, du Affe!«

Shups Muskeln spielten kurz, bevor er sich lässig und drohend erhob.

»Au revoir, Shup! Da bin ich nicht gern dabei!« Rosanette segelte in gut gelungenem Faltenwurf auf die Tür zu.

»Qu'est-ce que tu fais avec cette gougnotte-là?« rief Yvonne wohlgezielt.

Rosanette bremste augenblicklich. Ihre schwungvollen Falten legten sich. Ihr hübsches Gesicht wurde trotz bedeutendem Farbenarrangement puterrot.

Etliche Sekunden war es, als glotzten die drei auf den imaginären Mittelpunkt des Dreiecks, das sie ins Zimmer standen.

Dann aber kollerte die Wut Rosanettes von der Zunge: »Et toi? Qu'est-ce que tu fais au Café de la Fregatte? Avec ce Laurent, cette tapette sans le sou, hein?«

Ohne daß es Shup möglich gewesen wäre, zu sehen, wie es geschah, lagen die beiden plötzlich eng umschlungen und stöhnend einander in den Armen. Dann aber fuhren jäh Hände hoch, spitze Schreie explodierten, Kleider prasselten, Haare spritzten.

Shup schob verächtlich das Hemd am Handgelenk ein wenig zurück. »Fünf Uhr.«

Hut und Rock unterm Arm verließ er unbemerkt das Zimmer, das er lächelnd zweimal geräuschlos abschloß. »Man muß doch den Mädchen in diesem Alter die Möglichkeit geben, sich zahm zu prügeln . . .« –

»Monsieur Laurent?« fragte Shup höflich den jungen Mann, den ihm der Kellner gezeigt hatte.

Monsieur Laurent nickte heftig, sah Shup stürmisch in die Augen und sprang auf.

Shup beschwichtigte ihn mühsam, behauptete, bereits seit Wochen vergeblich um den Mut gerungen zu haben, sich ihm zu 105 nähern, legte ihm tiefernst die Hand auf den Arm und ließ einschlüpfen, daß er seine Freundin Yvonne nicht mehr so zu schätzen wisse wie früher, seit er ihn gesehen.

»Yvonne?« wiederholte Monsieur Laurent, bis in den Kragen hinein verlegen.

»Sie kennen sie? Aber meine Freundin heißt Chevigny.« Shup nannte absichtlich einen falschen Familiennamen.

»Ah! Die Yvonne, die ich kenne, nennt sich Grobet.«

›Also Yvonne!‹ Shup besichtigte mit Ergötzen den erlöst-qualligen Zustand von Laurents Visage und sagte schnell: »Grobet? Ah, von der habe ich bereits gehört. Und genügend Reichliches! Nehmen Sie sich um des Himmels willen in acht! Das ist eine ganz gefährliche Person!«

Monsieur Laurents Mandelaugen verbogen sich. »Wirklich?«

Es war für Shup nun Fibelarbeit, herauszukitzeln, was er zu wissen wünschte. Er erfuhr, daß Yvonne Laurent vorgeschlagen hatte, sich als Dame zu verkleiden, um auf diese Weise leichter arbeiten zu können, daß sie sich dazu bereit erklärt hatte, ihn ununterscheidbar anzulernen und geschickt einzuführen, und daß sie sich ein nettes Honorar ausbedungen.

Shup beschimpfte sich innerlich grauenhaft wegen seiner unverzeihlichen Voreiligkeit und war gerade im Zuge, Yvonne zur klügsten und herzensgütigsten Kokotte umzustilisieren, als er ein Taxi vor dem Café halten sah und einen ganz außergewöhnlich derangierten, ihm aber dennoch sehr bekannten Hut darin erblickte.

Yvonne und Rosanette tänzelten Arm in Arm heran.

Monsieur Laurent drückte sich hinter die spanische Wand, nicht ohne zuvor seinen Picon vernichtet zu haben.

Shup trat gravitätisch auf die beiden frisch gekitteten Freundinnen zu.

»Hein?« höhnte Yvonne. »Also eifersüchtig? Was für ein Affe du doch bist! Das hätte ich dir nicht zugetraut!«

Rosanette lächelte kindlich. »Ich habe Yvonne erzählt, was wir mit dem alten Schussele vorhaben und daß ich nur deshalb zu Ihnen kam, Shup.«

Shup beeilte sich unglaublich, verständnistriefend zu schmunzeln. Er kannte gar keinen alten Herrn namens Schussele. ›So ein Aas, diese Rosy, aber tüchtig!‹ sagte er sich erfreut. »Und wie kamt ihr aus dem Zimmer?«

»Rosanette warf ihr leeres Täschchen auf die Straße, als eben ein hübscher Junge vorbeiging, und der holte dann den Schlosser.«

»Gut,« äußerte Shup gnädig. »Aber nächstens, liebe Yvonne, 106 sei bitte vorsichtiger, obwohl ich mich sehr freue, daß du so viel Unternehmungslust zeigst . . .«

»Wie?« Yvonne wunderte sich ärgerlich. »Vorsichtiger?«

»Ja. Dein Laurent ist nämlich ein Spitzel,« triumphierte Shup, um die Oberhand nicht einzubüßen. 107

 


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