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Im Februar türmten sich Eisdünen am Strande auf. Im Sprunge erstarrte Wellen waren es über Sand und Seeschlamm. Eine glitzernde Hügelkette trennte das Land vom Meer. Das spiegelte und funkelte in abertausend Kristallen. Bärtiger Tang war dazwischen und wie grüne gläserne Nadeln gefrorene Fäden von Wassermoos. Der Eishauch des Himmels hatte sich über Land und See gelegt, so daß alles in einer lichtgrauen Glocke eingeschlossen schien, von deren Wandungen eine tönende Kälte ausging, unter den Schritten knirschte und im Hauche des Mundes knitterte. Die Boote lagen wie festgefroren am Strand.

Der Dranshoper See spannte sich wie ein milchiges Fenster zwischen den Ufern, an deren Rande sich die kleinen Gehöfte tiefer duckten, als suchten sie im Erdreich nach verlorenen Sonnenstrahlen.

Die Männer und Frauen saßen zu Hause. Keiner wollte vom Herd fortgehen oder vom warmen Ofen. Fische gab es schon seit Wochen nicht mehr. Man lebte von dem, was im Hause war. Oft gab es nur Kartoffeln und Salz. Wer eine magere Kuh im Stalle hatte wie Simon Gülke, konnte jetzt stolz auf diesen Besitz sein, und wer in vergitterten Kisten Kaninchen hielt, bekam sogar hin und wieder Fleisch.

In diesem unzufriedenen Monat, dessen Tage aus Frost und Kälte kamen, einem hart zusetzten und sich in lange starre Nächte wandelten, die mit eisigem Atem durch die Ritzen an Tür und Fenster hereinfuhren, wurde Öllerke geboren. Er kam warm, rund und mit großem Geschrei auf die Welt.

Als Hilke fühlte, daß ihre Stunde da war, schickte sie Andrees zu Kiek Möns.

»Es ist bei uns so weit«, sagte er und drängte die Alte, damit sie sich mit ihren Vorbereitungen gegen die Kälte, in die sie nun hinausmußte, beeilte. Sie hatte vier Röcke übereinander gezogen und man sah ihren Kopf kaum unter den dicken wollenen Tüchern.

Stim Kaat erwartete sie unruhig. Er war beständig zwischen Bett und Tür auf und ab gegangen.

»Macht er schon Wesens von sich?« fragte Andrees.

»Er meldet sich schon«, bestätigte Stim Kaat und ging mit Kiek Möns in die Kammer.

Andrees blieb in der Küche und bereitete aus schöner brauner Zichorie einen heißen Trank. Er brühte eine große Kanne voll auf und tat den letzten Zucker hinein. Daneben stellte er einen Topf mit Milch, die er schon am Morgen von Gülke geholt hatte. Ab und zu horchte er an der Tür.

Stim Kaat kam in die Küche, um zwei Stricke zu holen.

»Bemerkt man ihn schon?« fragte Andrees besorgt.

»Wir wollen ihn jetzt ans Licht befördern«, antwortete Stim Kaat hastig und ging mit den Stricken in die Kammer. Er sollte sie am Fußende des Bettes befestigen, damit Hilke sich daran aufrecken und das Kind leichter hinausstoßen könnte. Aber ehe Stim Kaat den zweiten Knoten geschürzt hatte, war Öllerke schon da.

Da lag nun ein rundes, winziges Menschenkind, das aus Leibeskräften schrie, so daß man es nicht erst zu klopfen brauchte. Es war aus einem behüteten Dämmern in das grelle Licht geworfen worden, das in die Augen sticht und beißt. Darum brüllte Öllerke, der nun aus dem mütterlichen Hafen in ein großes fremdes Leben schwimmen sollte. Dieses Leben hatte nicht mehr die betuliche Enge, in der Öllerke bisher geruht hatte, sondern es überfiel ihn mit einer ungekannten Weite, und so strampelte Öllerke und wehrte sich vom ersten Augenblick an gegen das Fremde, das von allen Seiten hereindrängte.

Kiek Möns aber sagte:

»Wer laut anklopft, kommt an den Tisch. Um den braucht ihr euch keine Sorge zu machen, aber wenn ihr auf meinen Rat hören wollt, nennt ihn nicht nach Christian Deep oder Peter, auch nicht nach deinem Vater, Stim Kaat. Das alles ist vergangen. Laßt ihn neu anfangen.«

Sie überlegten, auf welchen Namen Öllerke wohl getauft werden könnte. Schließlich sagte Stim Kaat:

»Er soll Martin heißen, das ist ein guter Name. Mit dem kann er schon zufrieden sein.«

Sie hatten ganz vergessen, daß Andrees ungeduldig in der Küche wartete. Jetzt steckte er vorsichtig den Kopf durch die Tür.

»Man hört ihn doch schon«, sagte er vorwurfsvoll.

Stim Kaat hielt ihm den Kleinen entgegen, aber Hilke schrie auf, weil sie fürchtete, daß die Hände des Vaters zu groß und zu stark wären.

»Er ist ganz dein Schlag«, begutachtete Andrees, »der wird dir bald an die Hand gehen.«

Öllerke war um die Feierabendstunde angekommen, und als ihn jetzt Kiek Möns auf Hilkes Bitte im warmen Tuch hinüber zu Mole Deep trug, ging Stim Kaat mit der Lampe voraus, und Andrees folgte bedächtig.

So traten sie hinter einander mit dem Neugeborenen in die Stube. Stim Kaat hielt die Lampe hoch und Andrees stand an der Tür wie ein Wächter, die Klinke fest in der Hand.

Kiek Möns hielt Öllerke zu Mole Deep hin.

Mole Deep blieb reglos, ihr Gesicht veränderte sich nicht. Sie hatte mit diesem Leben abgeschlossen, und es gab nichts, was sie hätte bewegen können, ihre Gedanken noch einmal auf diese Welt zu richten.

Kiek Möns aber nahm die Hand der Reglosen und legte sie leise auf Öllerke.

Am nächsten Tag hatte alles wieder den gleichen Gang.

Als Öllerke schon anfing, nach den Dingen zu greifen, die man ihm hinhielt, legte ihm Kiek Möns eines Tages einen blanken Fisch auf den Tisch und einen harten Taler, den sie mitgebracht hatte. Sie hob Öllerke auf, und sein dickes Händchen sollte nun entscheiden, was das Leben einmal aus ihm machen würde, einen Menschen, der mit Geld in der Tasche klimpern konnte, oder einen armen Fischer, der sich mühsam durch das Leben schlagen mußte.

Stim Kaat und Hilke standen dabei und lachten über Kiek Möns' Einfall.

Andrees aber blieb ernst.

»Wenn der Kleine sich bloß nicht für den Hungerbeutel entscheidet«, sagte er bedenklich, doch Öllerke krähte hell auf und patschte mit beiden Händen auf den Tisch. Unter der einen Faust hielt er den Fisch, unter der anderen den Taler.

Stim Kaat kniff Hilke in die Seite und lachte:

»Das ist eine gute Arbeit, was!«

Die Sonne stand gegen das Fenster, und die Eisblumen mußten langsam zertropfen.

Dann kam der laue Regenwind und machte die See frei. Stim Kaat und Hannes Lietz fuhren nun jeden Tag hinaus und stellten die Netze nach jungen Lachsen. Dabei mußten sie auf den Pirks achtgeben, daß er nicht im raschen Flug herabschoß und ihnen die Fische aus dem flachen Netz holte. Das war eine Möwenart, die am Strande tolpatschig mit rundem Körper auf dünnen Beinen stand, zutraulich war und tat, als ob sie harmlos wäre. Es war ein schlauer Vogel, der einem gutartig entgegensah, aber diese Augen hatten es in sich. Der Pirks sah den Fisch metertief im Meer. Da mußte man rechtzeitig die Ruderstange nehmen.

Wenn Andrees jetzt die Fische zurechtmachte, lag Öllerke neben ihm in einem Waschkorb. Fand Andrees einen besonders fetten Fisch im Netz, dann zeigte er ihn jedesmal dem Kleinen, der ihn gerne gehabt hätte.

Eines Tages kam Wine, um sich mit Hilke zu besprechen. Rode Harms hatte Pudmar das Geld für das Gut besorgt und es war Karla dadurch möglich geworden, das Haus in Dranshop zu kaufen. Nun sollte Wine mit in die Stadt, aber sie hatte keine Lust dazu. Sie schützte zwar den Großvater vor, der auf sie angewiesen wäre, doch war es im Grunde Hannes Lietz, der sie hielt.

»Ist denn das mit Dranshop bestimmt?« fragte Hilke. »Fräulein Karla zieht auf alle Fälle in die Stadt, der Kauf ist schon perfekt gemacht, aber Syrrha hat sich noch nicht dazu entschieden. Sie möchte gern in Börshoop bleiben.«

»Das wär für sie das Beste«, meinte Hilke, »sie soll sich ruhig von Karla trennen, dann kann sie wenigstens mal Atem holen. Was sagt denn Vrena dazu?«

»Der gehts gar nicht schnell genug mit Dranshop. Jeden Tag ist sie jetzt bei uns und beredet mit Karla die Einrichtung. Es werden neue Möbel angeschafft, da machen sie ihre eigenen Entwürfe für.«

»Wenn Karla in Dranshop wohnt, wird Rode Harms Vrena nicht mehr oft zu Hause sehen. Lehr mich einer die Schwestern kennen«, sagte Hilke.

»Wenn es nicht anders ist, arbeite ich wieder in der Räucherei«, entschloß sich Wine, »nach der Stadt kriegt mich keiner, aber vielleicht kann ich bei Fräulein Syrrha bleiben, wenn sie das Haus auf der Düne behält.«

Syrrha entschied sich für Börshoop. Sie hatte sich mit Karla auseinander gerechnet. Frems blieb bei ihr, für dessen Unterhalt Karla monatlich etwas hinzugab. Es hätte ihr nichts ausgemacht, den alten Kutscher auf die Straße zu setzen, aber Syrrha war dagegen und hauptsächlich auch Vrena, der Rode Harms die Unmöglichkeit eines solchen Beginnens klargemacht hatte. So gab Karla dieser Sentimentalität, wie sie es nannte, nach.

Syrrha behielt auch Wine im Hause, die nun einen leichten Dienst hatte, denn Syrrha war anspruchslos geworden und hielt sich nicht mit Wirtschaftsfragen auf.

Wie sie ihre Tage hinbrachte, konnte man nicht sagen. Man sah sie kaum mit einem Buch oder mit irgendeiner Beschäftigung. Es war eine Trägheit über sie gekommen, von der sie willenlos hingetrieben wurde, ohne daß sie versuchte, sich von ihr zu befreien. So wenigstens schien es. Für sie selber waren die Tage nicht träge und schwerflüssig, sondern sie reichten aus dem geruhsamen Tal ihrer Stunden Träume herauf, die sich wie ein Regenbogen über die Wirklichkeit spannten und in den sieben Farben eines fremden Gestirns das glückhafte Leben vorgaukelten.

Syrrha empfand es wie eine Wohltat, daß sie nun allein war, und mit jedem Tage entfremdete sie sich mehr ihren Schwestern.

Man vergaß Karla Sterenbrink sehr bald in Börshoop, und da auch Vrena für die Fischer nicht mehr zu den Sterenbrinks rechnete, so wurde dieses alte Geschlecht in Börshoop nur noch durch Syrrha vertreten, die man ›das Fräulein‹ nannte. Man empfand es auch als eine Freundlichkeit, daß Syrrha sich jetzt öfter im Dorfe sehen ließ und behandelte sie mit Hochachtung. Besonders der alte Kars sprach gern von ihr, mit dem sie nun öfter als früher auf den Dranshoper See hinausruderte.

Vrena hielt sich wochenlang in Dranshop auf, um ihrer Schwester Karla bei der Einrichtung des Hauses zu helfen. Karla war ganz versessen darauf gewesen, dieses Haus zu bekommen. Sie hatte das enge Leben in Börshoop satt und hatte für sich die Stadt mit tausend Erwartungen umgeben. Aus diesem Grunde nur war sie auf den Verkauf des Gutes an Pudmar eingegangen.

Im Stillen kränkte es sie noch oft, daß jetzt Hilkes Schwager den Sterenbrinkschen Besitz übernommen hatte, denn solange sie lebte, blieb Jürgen Pudmar für sie nur der Verwandte einer Magd.

Durch diesen Verkauf jedoch wurden ihre Wünsche schneller erfüllt als sie gehofft hatte, so daß sie nun eine angenehme Wohnung in Dranshop besaß und darüber hinaus noch einen Überschuß von den Mieterträgen, die das Villenhaus einbrachte.

Für Pudmar war dieser Kauf noch mit einer besonders günstigen Gelegenheit verbunden. Außer dem Geld, das ihm Rode Harms beschaffte, gab ihm die Stadt Dranshop eine Hypothek unter der Bedingung, in dem Gutshause ein Ferienheim einrichten zu können. Pudmar war auf diesen Vorschlag eingegangen. Er selbst wäre zwar gerne in das Gutshaus gezogen, um dadurch nach außen hin seinem Namen eine größere Bedeutung zu geben, aber Martha hatte sich geweigert:

»Laß uns erst sehen, wie alles läuft. Deinem Vater hat dieses Haus genügt, da kanns dir wohl auch recht drin sein.«

Pudmar hörte im allgemeinen nicht auf das, was Martha sagte, aber in diesem Falle gab er ihr schließlich recht. Vielleicht dachte er auch daran, daß derjenige, der hoch baut, tief fallen kann. So war er wohl dem Schicksal gegenüber unsicher, das ihm die ersehnten Felder so bald beschert hatte und von dem man nicht zuviel auf einmal verlangen durfte.

Er richtete sich aber im Wirtschaftsgebäude eine Stube ein und blieb oft tagelang auf dem Gut.

Als Öllerke geboren wurde, hatte Pudmar durch Martha einen Geldschein geschickt. Stirn Kaat schmunzelte darüber, denn es war ein Betrag, mit dem man schon etwas anfangen konnte. Durch Zufall hatte Andrees gehört, daß Brattke aus Bögerlant wieder eine Kuh verkaufen mußte. Der Hof war überschuldet und mit jedem Quartal ging es weiter abwärts.

Stim Kaat und Hilke beschlossen, diese Kuh, die etwas über hundert Mark kosten sollte, zu kaufen. Da ihr Geld dazu nicht ausreichte, gab Hannes Lietz von seinem Ersparten hinzu. Er hatte mit Wine darüber gesprochen, denn ihre Heirat war für den Sommer beschlossen worden. Wine war mit dem Kauf einverstanden. Sie wußte, wie wichtig es war, eine Kuh im Stall zu haben. Als ihr Großvater nach Jans Tode gezwungen war, die eigene Kuh zu verkaufen, war es einem oft schwer angekommen, ohne Milch und Butter leben zu müssen. So würden sie nun mit Stirn Kaat eine Kuh gemeinsam haben, die über ihren täglichen Bedarf hinaus Milch geben sollte.

Dem Kauf dieser Kuh waren vielerlei Erwägungen voraus gegangen. Die Wände des Schuppens, der nun als Stall dienen mußte, sollten abgedichtet werden. Auch ein Fenster mußte man einsetzen. Dann sprach man mit Martha wegen des Strohes als Streu und wegen Futter, das man für die Kuh brauchen würde, solange sie noch im Stall stand und das Wetter nicht erlaubte, sie auf die Weide zu schicken. Martha versprach ihnen beides. So fuhr Andrees eines Tages hin und holte Langstroh und Häcksel. Man hatte also alles vorbereitet und konnte nun die Kuh holen.

Jöken Mürk gab seine guten Ratschläge.

»Paßt auf, daß sie kein Lumpenfresser ist. Meine Kuh war immer hinter dem Rock her, wenn ich ihn an den Zaun gehängt hatte. Auch das Bett hätt sie beinah gefressen, als es gesonnt wurde. Das sind Leckerbissen für solch Tier. Zahlt auch nicht gleich, was Brattke verlangt. Ihr müßt ihn ein bißchen drötzen. Er muß die Kuh loswerden. Da wird er schon nachlassen. Wenns so weit ist, wollen wir ihr junges Rohr geben, das milcht gut. Da wird sich Öllerke freuen!«

An einem Morgen, als umständliches Wetter war und man nicht hinausfahren konnte, gingen Stim Kaat und Hannes Lietz zu Brattke. Sie sahen sich das Tier an, quängelten und mäkelten und taten so, als wäre es keine zehn Taler wert. Endlich wurden sie handelseinig. Es war eine siebenjährige, etwas magere, aber wie Brattke behauptete, gute Milchkuh.

»Glaubt nicht, daß ich sie euch für den Preis ließe, wenn kein Muß dahinter säße«, sagte er, »aber wir scheinen hier auf dem falschen Pferd zu sitzen. Es reitet mit uns direkt zum Teufel.«

Frau Brattke, deren hageres Gesicht spitz über dem schwarzen Kleid saß, jammerte noch wegen des Alten.

»Was der uns mit seiner Krankheit gekostet hat«, lamentierte sie. »Als er starb, war nicht ein Pfennig in seiner Tasche. Wir mußten ihm das Begräbnis richten. Man konnte ihn ja schließlich nicht wie einen Bettler in die Grube schicken.«

Stim Kaat sah ärgerlich auf:

»Er hat gearbeitet, so lange es ging. Ich kenne ihn doch auch. Was ihr hier habt, ist doch von ihm.«

Frau Brattke fuhr ihn an:

»Sollte ers vielleicht einem Fremden vermachen? Das ist doch ganz selbstverständlich, daß es die Kinder kriegen! Lange genug haben wir drauf warten müssen, ehe er auf Altenteil ging. Und nun weiß man nicht, wie lange mans halten kann.«

»Komm«, sagte Stim Kaat und nahm die Kuh an den Strick. Hannes Lietz gab ihr noch einen Schlag, weil sie nicht gleich mitgehen wollte.

Als sie auf der Landstraße waren, meinte Stim Kaat:

»Es ist schlimm, wenn man statt 'ner Tochter den Teufel als Kind hat. Der alte Brattke hätte was Besseres verdient, aber seine Frau war schon ein Satan!«

Bei Drüsel kehrten sie ein, um sich mit einem Branntwein aufzuwärmen, denn der Märzwind war ihnen scharf in die Glieder gefahren.

In der Ecke saß Christof Hingsten. Er war bei dem Pastor von Bögerlant gewesen und hatte das Geld für den Kronleuchter hingebracht:

»Er wird extra in Dranshop für die Kirche angefertigt. Da ist ein alter Schmiedemeister, der kann das. Es soll nämlich kein gewöhnlicher Leuchter sein. Ich hatte mir gedacht, daß ein paar Engel daran befestigt werden, die auf Posaunen blasen. Und auch die Lichthaken müßten Engelsköpfe sein. Ich denke, daß der Himmel einem so etwas schon zugute schreiben wird.«

»Wir haben wohl denselben Weg?« fragte ihn Stim Kaat, als sie gingen.

»Ich will mich hier in Bögerlant noch etwas umsehen«, antwortete Christof Hingsten ausweichend. Er bog ohne Gruß ab, und sie sahen ihn langsam über die Felder stapfen.

Kurz vor der Räucherei trafen sie Rode Harms. Stim Kaat erkannte ihn zuerst nicht, denn Rode Harms trug den langen alten Mantel seines Vaters und hatte eine blaue Schirmmütze auf, wie die Börshooper Fischer sie trugen.

Er blieb stehen und sagte:

»Bei euch ist ja nun ein Junge angekommen!«

»Man hat auch sowas gehört«, antwortete Stim Kaat kurz.

»Meine Frau hatte Wäsche für ihn bereit gelegt, aber nun ist sie schon seit Wochen in Dranshop. Da ist es wohl vergessen worden. Ich wills aber Alma sagen.«

»Macht euch keine Mühe«, sagte Stim Kaat und trieb die Kuh weiter.

Rode Harms ging verstimmt seines Weges. Seitdem er an jenem Abend in den Zwölfen bei Kiek Möns gewesen war, versuchte er immer wieder, mit den Börshooper Fischern in Fühlung zu kommen, aber sie machten ihm diese Heimkehr, zu der er mit allen Fasern seines Herzens bereit war, schwerer, als er geglaubt hatte. Sein inniger Wunsch, wieder mit Börshoop verflochten zu sein, hatte ihm bisher nur Verdrießlichkeiten eingetragen. Vrena war ärgerlich nach Dranshop gefahren. Ihrer Meinung nach begann Rode Harms sich zu vernachlässigen. Sie verstand es nicht, warum er den Winter über in dem alten Mantel herumlief und aus welchem Grunde er die Gesellschaft der Fischer suchte, von denen er sich früher zurückgehalten hatte. Er saß jetzt öfter abends bei Drüsel in der Wirtschaft allein am Tisch und horchte hinüber zu den Gesprächen der anderen. Oft setzte sich der Wirt zu ihm, weil er sich verpflichtet fühlte, den Gast, der sich früher so selten sehen ließ, mit allerhand Neuigkeiten zu unterhalten. Rode Harms ging kaum auf dies Geschwätz ein und lehnte es auch ab, als ihm Drüsel einen Platz an dem reichen Bauerntisch zuweisen wollte.

Er sprach jetzt gern mit Per Stieven und erkundigte sich auch, wie weit es mit der Heirat wäre, denn er hatte durch Alma davon gehört. Das ging nun langsamer, als Stieven gedacht hatte. Es mußten allerhand Papiere besorgt werden, und es war gut, daß Hede Lorm einen hellen Kopf hatte und auf alle Fragen, die von der Behörde gestellt wurden, zu antworten verstand.

»Laßt es mich nur rechtzeitig wissen«, sagte Rode Harms, »ich will mit auf der Hochzeit sein.«

Er plauderte auch gern mit Mute, die jetzt oft bei Alma in der Küche saß. Vor allem freute es ihn, daß die Kleine keine Scheu vor ihm hatte, sondern ihm zutraulich mit tausend Fragen entgegen kam. Sie hatte für alles ein offenes Auge, und da sie besonders Tiere gut leiden konnte, nahm Rode Harms sie einmal mit auf Karl Hingstens Hof und zeigte ihr die Ställe, in denen es Kühe, Schweine, Pferde und sogar Schafe gab.

»Ich kenne den alten Christof«, sagte Mute zu Karl Hingsten, »der ist doch dein Vater.«

Karl Hingsten ging nicht darauf ein. Er war ärgerlich darüber, daß der Alte seiner Meinung nach sich herumtrieb. Es verdroß ihn auch, daß man über seinen Vater lachte und ihn für einen nahm, der seine Sinne nicht mehr ganz bei einander hatte. Da er nicht wußte, daß Rode Harms Pudmar das Geld für die Gutsfelder verschafft hatte, glaubte er auch, daß der alte Christof seinem früheren Schwiegersohn dazu verholfen hätte, ihm zum Tort, wie es eigensinnige alte Menschen oft tun. Daß Christof sich jetzt öfter in Bögerlant blicken ließ, erhöhte noch seinen Verdruß, denn er sah nicht die Sehnsucht des Alten darin, wieder zu Hause zu sein, sondern er nahm es für ein mißgünstiges Herumspionieren.

An einem frühen Morgen im März ging Karl Hingsten auf das Feld, durch das die Pflugschar jetzt breite Furchen zog. Der Knecht, der den Pflug führte, war erst vor kurzem eingestellt und Hingsten wollte sehen, wie er sich bei der Arbeit anließe. So stand er am Feldrain und sah prüfend über die aufgebrochenen Schollen. Der Knecht ließ sich nicht in seiner Arbeit stören, sondern ging Schritt für Schritt gleichmütig hinter dem Pflug.

An einem Knick bückte er sich plötzlich und hob einen Stock auf. Er hatte das Pferd angehalten und betrachtete ihn lange. Darüber wütete sich Karl Hingsten, lief über das Feld und schrie den Knecht an. Er riß ihm den Stock aus der Hand und wollte ihn fortschleudern. Doch zögerte er und sah den Stock an, der ihm auf einmal bekannt vorkam.

Man ist als Kind mit vielen Dingen aufgewachsen, mit dem Stuhl, darauf man zuerst hatte sitzen dürfen, mit dem Schrank, hinter dem man sich versteckte, mit dem Becher, aus dem man täglich seine Milch trank. Man weiß auch noch, wie der Teller aussah, auf dem man seine Kartoffeln weich gedrückt bekam, und die Bütte, in der man gebadet wurde. Aber alle diese Dinge traten zurück hinter Vaters Stock. Dieser Stock war Kamerad und Erzieher. Man durfte wie auf einem Steckenpferd auf ihm reiten, man konnte über ihn springen und mit ihm nach den Spatzen werfen. Er stand einem auch bei, wenn ein fremder Hund kam, oder der Ganter hinter einem herfauchte. Man bekam ihn auch zwischen Schulter und Ellenbogen gesteckt, damit man lernte, sich gerade zu halten. Man konnte ihn wie ein Gewehr schultern und über den Hof marschieren oder ein Tuch daran binden und wie eine Fahne vor sich hertragen. Dieser Stock war alles, er war Mast und Fernrohr, Zeltstange und Trompete, Lanze und Spaten. Zu allem, was ein kindliches Gehirn ausdenken konnte, war ein solcher Stock geschickt. Doch mußte man vor ihm hin und wieder auch auf der Hut sein, wenn er in Vaters Hand durch die Luft fuchtelte oder nach dem Rücken zielte. Da konnten einen dann nur die flinken Beine retten.

Karl Hingsten betrachtete den Stock in seiner Hand noch immer.

›Es ist Vaters Stock,‹ dachte er, ›ich kenne die runde Krücke genau. Auch die Spitze, die über der Zwinge noch ein Astauge hat. Der Stock ist gut seine fünfzig Jahre alt. Großvater ist schon daran gegangen.‹

Er ließ den Knecht ohne Aufsicht weiter pflügen und ging mit dem Stock nach Hause. Auf dem Hofe rief er seine Kinder zusammen. Vier Stück waren es, zwei Jungens und zwei Mädchen. Sie hatten alle hartnäckige runde Schädel unter strohigem Haar. Auch war eins beinahe so groß wie das andere. ›Da will keins nachstehen‹, sagte man in Bögerlant.

Karl Hingsten zeigte seinen Kindern den Stock. Er ließ ihn durch die Luft pfeifen, daß sie erschraken, und lachte dazu.

»Das ist Großvaters Stock«, sagte er, »der Alte hat ihn wohl nicht mehr nötig. Ich hab ihn auf dem Feld gefunden. Da hat er ihn für euch hingelegt, ihr Rackerzeug! Damit soll ich euch den Buckel vollhauen, wenn ihr wieder in die Äpfelkammer geht oder die Finger in das Mus steckt.«

Frau Hingsten hörte verwundert die Worte mit an.

Sie war eine runde behagliche Frau und tat gerne ihr Herz auf. Von Kind an hatte sie ein gut gestopftes Bett gehabt, und sie brauchte nie mit dem Pfennig zu rechnen. Sie erkannte das dankbar, und weil sie wußte, daß ein zufriedenes Gemüt der beste Lobgesang vor Gott ist, so hielt sie sich danach, und ihr Tun und Lassen wölbte sich wie ein warmes Dach über ihre Familie.

Es war ihr in den letzten Jahren schwer nachgegangen, wie schlecht ihr Mann mit dem Vater auskam und daß kaum ein Tag verging, an dem Karl nicht zornig über, den Alten redete. Sie waren wie zwei giftige Kampfhähne, die gegen einander losfuhren, und die man nicht zur Ruhe bringen konnte. Sie hatte sich redliche Mühe gegeben, ihren Mann umzustimmen, und wenn er sich auch sonst unter ihren guten Worten wohlfühlte, so war er in diesem Falle unerbittlich geblieben, und weil sie darüber Unfrieden im eigenen Hause fürchtete, so hatte sie schließlich von Karl abgelassen und einer gütigen Fügung des Himmels vertraut, die einmal diesem Zwist zwischen Vater und Sohn ein Ende machen möchte.

Als sie jetzt Karl in einer heiteren Derbheit von dem gefundenen Stock des Vaters zu den Kindern reden hörte, griff sie diese gute Laune gleich auf. Sie verstand es, beim Mittagessen in Karl kleine Erinnerungen zu wecken, und weil die Kinder über diese kuriosen Geschichten lachen mußten, so kam Karl Hingsten immer mehr ins Erzählen.

Nach dem Essen sagte er zu seiner Frau:

»Man hat sich über den Alten oft zu Schanden geärgert. Er wollte nie Wort haben, daß man alt genug ist, um seine Sache selbst zu führen. Aber schließlich ist er der Vater, und wer weiß, wie man selbst einmal mit dem eigenen Sohn auskommt.«

Er kam auch in den nächsten Tagen öfter noch auf ihn zu sprechen.

 


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