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Im Januar war der Dranshoper See zugefroren. Auf Schlittschuhen fuhren die Fischer über die Fläche, wenn sie nach Bögerlant wollten, und die Segelschlitten wurden hervorgeholt, um schnell einmal nach Dranshop herüberzukommen. Die Kinder hatten ihren Spaß, kraxelten am Ufer umher oder taten es schon dem Garnsherrn gleich, der trotz seines Alters geschickt über das Eis glitt, die Hände auf den Rücken gelegt und den Körper etwas vorgebeugt, um leichter die Luft zu durchschneiden.
Es war jetzt eine lustige Zeit für die Sterenbrinks. Die Pferde mit Glocken und kleinen Schellen, so jagten sie im Schlitten über den See. Karla auf dem hinteren Sitz, der sich in einen Schwanenhals ausbog. Sie hielt die Zügel, feuerte die Pferde an und konnte sie nicht schnell genug laufen lassen. Syrrha und Vrena saßen dicht aneinander, in Decken gehüllt und Pelzwerk.
In ihrem Hause gab es in diesen Wochen manche Gasterei, denn ihre Dranshoper Freunde ließen sich gern zu Schlittenfahrten einladen, borgten Segelschlitten von den Fischern aus und hatten allerhand Einfälle, von denen man in Börshoop noch lange sprach.
Auch Konsul Behnke kam öfter zu ihnen im eigenen Schlitten und ließ es sich nicht nehmen, jedesmal bei Rode Harms mit vorzufahren. Ab und zu gelang es ihm auch, ihn zu einer Schlittenfahrt zu überreden, und sie fuhren dann durch das weiße Land mit klingelndem Schellengeläut, die Männer voran, um den Weg zu prüfen, und hinter ihnen die Sterenbrinks, bis es Karla gefiel, in rasender Fahrt an ihnen vorbei zu sausen, so daß sie oft weit zurückblieben.
Durch diese Besuche gab es für Hilke viel zu tun und es vergingen manchmal Tage, ehe sie wieder bei ihrer Mutter mit vorsprechen konnte. Dann aber brachte sie stets eine volle Tasche mit, denn es war bei Mole Deep ärmer geworden als jemals. Der Herbst war stürmisch gewesen und man hatte oft tagelang nicht hinausfahren können.
Nun war die See nicht mehr offen, und die Strandfischer saßen müßig herum.
In den früheren Jahren hatte Mole Deep für die schlechten Monate immer etwas zurücklegen können, aber in diesem Jahre, seit Rode Harms sich in Börshoop aufgetan hatte, war ihr das nicht möglich gewesen. Dazu kam, daß man kein Land hatte wie die wohlhabenderen Seefischer. So war Mole Deep froh, wenn Hilke ihr etwas brachte oder wenn Andrees, der sich noch immer wöchentlich auf dem Pudmarschen Hofe einstellte, mit einem gefüllten Korb von Martha zurückkam. Peter äußerte sich nicht darüber, aber er ging mürrisch und stumm durchs Haus.
Auch bei Per Stieven war die Not eingekehrt. Nun half er hin und wieder bei Rode Harms, verdiente dadurch ein paar Mark und brachte sich so mit Alma mühselig durch. Als Stim Kaat das erste Mal von Stievens Arbeit in der Räucherei hörte, war er aufgefahren und hatte ihm Vorwürfe gemacht, aber er mußte schließlich einsehen, daß die Not um das tägliche Leben keine großen Fragen zuläßt.
Auch der Danziger hatte sich bei Rode Harms einstellen lassen. Als die Tage kälter wurden, war er zu ihm gekommen und hatte um Arbeit nachgefragt. Rode Harms konnte ihn gut gebrauchen, denn Kog kannte alle Dörfer der Umgegend, besonders auch die an der Küste, und so fuhr er jetzt oft über Land, um Fische für Rode Harms in den kleinen Dörfern aufzukaufen. Er hatte bald eine große Geschicklichkeit darin und es gelang ihm bei seinem Geschwätz, immer etwas am Preise zu drücken, das dann in seine eigene Tasche floß. So ging es ihm gut, und er gewöhnte sich an, abends in der Drüselschen Wirtschaft zu sitzen und gewaltig einher zu reden.
Einmal in dieser Zeit, ehe die See starr wurde, hatten Stim Kaat und Peter Deep Glück. Zahlreich war der Dorsch in ihre Netze gegangen. Das gab einen frohen Abend, als sie ihren Fang bargen, und Andrees reihte schmunzelnd die Fische im Rauch auf. Am nächsten Tage fuhr er mit Körben beladen nach Dranshop und machte ein gutes Geschäft. Den Rest setzte er bei den Bauern in Bögerlant ab.
Als er die Geldstücke Mole Deep auf den Tisch zählte, begann sie vor Freude zu weinen.
So konnte man über die nächste Zeit hinwegkommen, denn man hatte sich daran gewöhnt, es sich mit Kartoffeln und Milch genügen zu lassen.
Andrees hatte in Bögerlant auch auf dem Hofe des Karl Hingsten vorgesprochen. Was ihm sonst nicht passierte, der Bauer rief ihn in die Stube, holte zwei Gläser und goß Schnaps ein. Er gab Andrees auch eine Zigarre. Das war ein seltener Genuß, und der Alte fühlte sich verpflichtet, sofort von Pudmar zu erzählen, denn er ahnte schon, worauf Karl hinaus wollte.
Der alte Christof habe noch immer das große Wort. Man solle ihn bloß mal hören, wenn er so herumschnauzt. Letzthin hat der Knecht seinetwegen aufgeschmissen. Jürgen Pudmar wage gar nicht, das Maul gegen ihn aufzumachen. Er spekuliere wohl auf das Geld, das der Alte noch habe. Martha könne einem schon leid tun. Wenn sie das Kind nicht hätte, wäre sie sicher schon davongelaufen. Mit dem Kind wäre es auch oft ein Elend. Es sei anfällig und man trage manchen Taler seinetwegen zum Doktor.
Das interessierte Karl nun weniger und er unterbrach Andrees in seiner Rede.
»Also der Pudmar denkt, der Alte gibt ihm auch noch das Letzte. So läuft der Hase!«
Er lachte grimmig und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß Andrees zusammenfuhr. Sie saßen dann noch ein Weilchen, und Andrees berichtete, wie Jürgen Pudmar sich mit den Aalen gehabt hatte.
»So ein Geizkragen«, rief Karl, »nun, das soll man mir nicht nachreden«, und er gab für Mole Deep ein Stück Speck mit.
Andrees konnte sich zuhause nicht genug tun, wie nobel und splendide Karl Hingsten wäre.
»Es liegt bloß am Alten. Ein Aas ist das. Wenn sowas mit dem Tod abginge, wäre auch nicht schade. Dann hätte es Martha wenigstens leichter.«
Mole Deep stimmte ihm zu.
Wenn Andrees hin und wieder zum Verkauf unterwegs war, ging er jetzt immer zuerst zu Karl Hingsten. Der wies ihn zwar nicht ab, doch gab er ihm auch nichts extra, und so schwankte Andrees wieder, ob nicht doch auch etwas Schuld bei Karl läge.
Eines Tages, als das Geld für die Dorsche schon zu Ende ging, kam Andrees unverhofft mit einem Korb Fische. Er tat sehr geheimnisvoll damit und wollte durchaus nicht mit der Sprache herausrücken. Schließlich gestand er, daß er den Danziger unterwegs getroffen hätte. Peter wurde wütend und verlangte, daß die Fische zurückgebracht würden.
Stim Kaat, der hinzukam, lachte: »Wenn wir seine Fische auffressen, hat er wenig Verdienst. Man soll den Geldsack schädigen, wos geht.«
Andrees gab ihm sofort recht und tat so, als hätte er bloß aus diesem Grunde die Fische genommen.
Mole Deep sagte nichts dazu, doch sie stand schon mit den Fischen am Herd und bereitete ein gutes Essen.
Hede Lorm hatte sich seit jenem Abend nicht wieder bei Mole Deep sehen lassen. Vor der Tür hatten sie ab und zu ein Wort gewechselt, aber sonst tat Hede Lorm, als hätte sie viel zu schaffen. Sonntags aber war sie nach wie vor bei Drüsel zum Tanz und hielt es noch immer mit Jan Mürk, nur daß sie ihn von oben herab behandelte und die anderen sich wunderten, daß er es sich gefallen ließ.
Wenn sie Stim Kaat sah, sagten sie sich im Vorbeigehen Guten Tag, aber weiter sprachen sie nichts.
Eines Tages kam Jakob Tharden zu Mole Deep. Man wußte schon, um was es sich handelte. Andrees hatte es von Jöken Mürk erfahren. Bei Pudmar waren schon neue Stiele in die Eisäxte geschlagen, das hatte er gesehen, aber zum Fragen war er nicht mehr gekommen. Jürgen liebte es nicht, wenn Andrees sich mit den Burschen in ein Gespräch einließ. »Das gibt bloß Tratscherei.«
Andrees merkte bald, daß da nichts zu schwatzen war. So trollte er meistens wortlos davon, so schwer es ihm auch ankam.
Mole Deep fühlte sich geehrt, als der Garnsherr selbst mit vorsprach. Sie bat ihn, Platz zu nehmen und wischte schnell die Bank ab. Doch Jakob Tharden blieb stehen und brachte alles Nötige in drei Sätzen an. Die Börshooper hatten einen Eisfischzug vor. Das Netz sollte bis an die Bögerlanter Seite gezogen werden. Rode Harms hatte schon alles mit ihm und Pudmar gesprochen. Er wollte den ganzen Fang kaufen, und alle Fischer, die mittaten, sollten gleichmäßig am großen Garnsgeld beteiligt sein.
»Das ist wirklich ein Glück«, sagte Mole Deep, »wir haben schon den Tischkasten ausgekratzt, so knapp ist es diesmal.«
Sie wollte eine längere Klage loslassen, doch Jakob Tharden schnitt ihr das Wort ab.
»Das soll sein, Mole Deep. Wenns köstlich gewesen, dann ist es auch bloß Mühe und Arbeit gewesen. So stehts in der Heiligen Schrift. Ich hab nun alles vorgebracht. Wenn ihr dabei sein wollt, kann Andrees bei Pudmar Bescheid sagen.« Dann ging er zu Per Stieven.
Am Abend gab es einen harten Tanz. Peter weigerte sich. »Das könnte denen so passen. Wo sie ein paar kräftige Arme brauchen, da finden sie her. Sonst ist man Dreck. Ich soll wohl für die ein Ackergaul sein, der sich bloß abrackert. Denk nicht dran.« Und er warf die Tür zu.
Mole Deep jammerte vor Andrees: »Der wird an seinem Dickkopf nochmal zu Grunde gehn. Lieber läßt er seine eigene Mutter verhungern, als daß er den kleinen Finger rührt für die vom See. Ich habe auch nichts mit ihnen im Sinn, aber so weit braucht ers doch nicht zu treiben. Was soll man bloß mit dem Jungen anfangen?«
Andrees mußte zu Hilke gehen und ihr den Fall vortragen. Sie sollte kommen und mit Peter sprechen.
»Manchmal hört er auf sie. Es ist ein verständiges Mädchen, das weiß er.«
Hilke kam. Peter war auf dem Hof und schlug Holz für den Herd zurecht.
Sie sagte freundlich: »Hoffentlich habt ihr gutes Wetter zum Fang. Wenn bloß der Schnee nicht stiebt. Das setzt sich einem in die Augen.«
»Das kannst du wo anders anbringen, deinen Glückwunsch. Ich mach nicht mit.«
»Das kriegst du fertig. An das schöne Geld denkst du wohl nicht.«
»Ich will kein Geld, das aus dem seiner Tasche kommt.«
»Was hat er dir denn getan? Du kannst es ihm doch nicht verwehren, wenn er räuchert. Du solltest dich lieber mit ihm gut stellen. Er ist kein Unmensch, soviel hat man schon gehört.«
»Das haben, dir wohl die Fräuleins gesteckt. Die werden schon wissen, was sie gut von ihm schwatzen. Er hockt ja immer bei ihnen im Schlitten. Ist wohl da Schoßhund was?«
»Mit dir ist nicht zu reden. Sprich einer mal mit einem, der keinen Verstand annimmt.«
»Schluß nun. Wenn du bloß deshalb gekommen bist! Die Mutter hat wohl drum geschickt. Das sah ihr ähnlich.«
Er schlug auf das Holz ein und antwortete ihr nicht mehr. Das brachte sie in Zorn.
»Dann iß nur weiter, was von Martha kommt. Das paßt dir wohl so.«
Er griff nach einem Scheit und warf nach ihr. Das Holz flog dicht an ihrem Kopf vorbei. Sie lachte auf. »Da liegt ein größeres. Nimm doch das!« Dann ging sie in die Stube.
»Es ist mit ihm nicht zu reden, Mutter. Laß ihn machen, was er will. Schick Andrees hin, damit der wenigstens nicht um sein Geld kommt. Es ist überhaupt ein Wunder, daß er hier noch aushält. Bei Harms könnte er es besser haben.« »Das würde er schon Christians willen nicht tun. Nein nein, Hilke, das kriegt er nicht übers Herz. Aber daß Peter nicht will, er bringt uns noch an den Bettelstock.«
»Nun wein nicht mehr, Mutter. Wer kann den Menschen ändern. Das sitzt ihm im Blut. Der würde sich lieber totschlagen lassen, als aus der Hand fressen.«
Peter kam herein und warf das Holz in die Kiste. »Nun, noch nicht fertig?«
Er ging an den Herd und legte nach. Das Wasser siedete schon.
»Wie wärs, wenn du uns einen Kaffee machtest, Mutter?«, sagte er freundlicher und stuppte sie an die Schulter. Sie sah ihn erstaunt aus ihren verweinten Augen an.
»Gleich, Junge, gleich, das ist ja nur ein Augenblick.«
Sie holte den Zichorien aus dem Spind und brühte ihn auf.
So saßen sie zu dritt um den Tisch und schlürften den heißen Trank.
»Da ist noch ein bißchen Zucker«, sagte sie und teilte ihn zwischen Peter und Hilke.
Sie sprachen von dem Garnsherrn und wie rüstig er noch wäre.
»Hättest sehen sollen, wie er so ankam. Er ging kaum durch die Tür, so hoch hält er sich. Jeden Morgen soll er noch um vier aufstehn und gleich an den Strand gehen. Er wäscht sich da unten, Sommer und Winter. Und wenn man bedenkt, wie schwer ers gehabt hat.« Mittendrin sagte Peter:
»Du kannst Andrees sagen, daß er bei dem Eiszug mitmacht. Er soll Pudmar gleich Bescheid bringen, damit sies wissen. Andrees hat eine geschickte Hand für sowas. Er kann die Twele nehmen und das Netz mit runterdrücken.«
»Dann werden sie wohl wieder die Nacht in Bögerlant bleiben, bei den Bauern, wie jedes Jahr. Da gibts ordentlich was zu trinken. Die lassen sich nicht lumpen.«
»Sie brauen ja ihr Bier selbst. Was macht das da schon? Und die Unsern bringen ja auch Fische mit. Die kommen schon nicht zu kurz, die Bauern. Sie wissen, wo sie bleiben.«
»Dann wird Andrees da auch aufm Heu schlafen. Hoffentlich kommt er zu Karl Hingsten. Mit dem steht er sich so gut. Da erzählt er immer von.«
Mole Deep hätte gern noch an Peter ein Wort gewendet, aber sie ließ es lieber, denn man saß nur selten so gemütlich beim Kaffeetrinken.
»Soll er machen, was er will«, sagte sie vor der Tür zu Hilke. »Er hat ein gutes Herz. Ich will ihm nicht reinreden. Es ist seine Sache, und der Himmel wird es schon mal besser mit uns meinen.«
Sie war noch ganz glücklich über die kleine freundliche Stunde.