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Wo das Wasser noch nicht das Rad der Mühle getrieben, trug es noch die Verpestung der Fabriken in sich: erst später, lange hinter der Mühle, klärte es sich im Grün der Wiesen wie eine sündige Seele, die sich läutert unter dem Himmel.
Auf die Mühle zu, dem Zickzack des Wassers bedächtig folgend, das sie durch sanfte schwäbische Hügellandschaft führte, schritten zwei Spaziergänger. Das wohlwollende glatte Gesicht und die ein rundes Bäuchlein umhüllende Soutane des einen deuteten auf geistlichen Beruf, während der andere mit Anzeichen höheren Beamtentums nicht hinterm Berg hielt, als da waren: Backenbart, goldene Brille und abgezirkelte Grandezza beim Aufsetzen des Knaufstocks. – An diesem prangenden Julisamstag hatten sie beide in einer Waldschenke gespeist und waren nun auf dem Rückweg in die Kreisstadt.
Da wurden sie aus ihren beschaulichen Gedanken gerissen. Eine kleine Rotte von Häuslerjungen brach aus dem Wald und lief ihnen voll Erwartung voraus. »Was gibt's ?« rief der Pfarrherr. – »In der Mühle ischt wieder Krach!« schrien sie zurück; und vorwärts stoben sie, wie um den Beginn einer Zirkusvorstellung nicht zu versäumen. – D. Hilarius Degele stand still, entfaltete sein Taschentuch, barg sein gerötetes Gesicht darin und blickte dann leise seufzend mit seinen guten Augen nach der Mühle hinüber.
»Was soll's denn da geben?« erkundigte sich der Stadtamtmann Egidius Matterlin.
»'s ist unser Ketzer«, sprach Degele in drolliger Verzweiflung. »Der alte Hader; wahrscheinlich mit dem Knecht oder der Tochter. Zwar Stühle und Töpfe fliegen wohl nicht herum; aber genug irre Worte, um selbst ein Juristenhirn wie Ihres zu verrücken. Ich muß da wieder einmal eingreifen; 's ist meine trübe Pflicht. Dieser Reibedanz! Gott wird ihm das Fell noch gerben und Handschuhleder daraus machen, dem schwarzen Gemeindeschaf. Arbeitsam sonst und friedsam – aber der Sparren! Der wunderliche Sparren!«
»Ein Phantast, dieser Mühlentischler ?«
»Gott bewahre Sie! Haben Sie noch nichts gehört? Aber 's ist denkbar. Er hat weder Anverwandte noch Freunde und fällt sich nur selbst zur Last. Offenste Bereitschaft hab' ich schon verschwendet an den Verstockten. Bestechendstes Argument gesetzt gegen das krause Wesen. 's ist leichter, eine Kuh in den brennenden Stall zu treiben als diesen Elenden in den Kirchenschoß. – Doch setzen wir uns. Unter das Bäumchen dort.«
»So laß uns denn, o Phaidros, der Ruhe pflegen unter jener schattenspendenden Platane«, zitierte der Humanist. »Also, was gibt's mit dem verrückten Tischler?«
»Dies ist ein verkrüppelter schwäbischer Kirschbaum«, sagte der Pfarrer aufschnaubend, »und die Angelegenheit ebenso unhellenisch. Unter Maria Theresia – so sagt man mir – waren die Vorfahren dieses Gotthold Reibedanz ausgewandert. Nach Siebenbürgen. Von dort kommt auch er. Von jeher war er verbissen, in unfrohem Ehrgeiz; das hat man dort nicht gern. Gott ist denen gefälliger, die sich freudig tummeln. Die anderen, die Seine Gnade herabzwingen wollen mit finsterer Gewalt, die lehnt Er ab. Der Meister hat allerlei angedeutet; so reime ich mir's zusammen. Als er Geld gehamstert hatte, geschah ihm das, was er ›Erleuchtung‹ nennt. – Ich nenn's Verfinsterung. Freilich, besser noch so eine Art Glauben als überhaupt keiner; darum habe ich mich abgegeben mit ihm.«
»Das war tolerant, Hochwürden.«
»Um die Seelen zu erfassen, muß man sie erst volllaufen lassen vom Irrtum. Ein reifer Irrtum fällt dann vom Stengel wie eine faule Frucht. Der Irrtum wird mürbe; der Meister reift mir entgegen. Zwischendurch ist so lautes Unwesen nur ein – Umweg zu uns.«
»Was für ein Sektierer ist er denn ?«
»Einer der Unglücklichen, die sich Neu-Irvingianer nennen. Statt des Kreuzes hängen sie in den Betsaal die Symbole der vier Evangelisten: Engel, Löwe, Stier und Adler. Ich habe mich, recht widerwillig, befaßt mit ihren Doktrinen. Der Meister verweist mich auf ihr Blättlein; ›Zepter Juda‹ nennen sie's. Eine arme Näherin – so heißt's darin – bezeichnete zwölf Mannsbilder als Apostelwiedergeburten. Vom Spirito Sancto, so verkündete sie hochtrabend, sei sie geküßt, und sie sei demnach ihrer Sache gewiß und sicher. Und da unser Herr übergegangen sei in die Apostel, so sei auch jeder der sotanen Männer ein Teilstück, sozusagen ein christliches Zwölftel. Der brave Tischler läßt sich durchaus nicht überzeugen, daß hier ein fieberkranker Schwarmgeist, ein ekstatischer Blaustrumpf mit dem Dogma umspringt, als sei es Großmutters löcheriger Regenschirm; daß es einen schmunzeln macht, wie sie aus ein paar schlichten Gemütern sozusagen eine Heiligenkonkurrenz aufrufen will. Als ob nicht von Sankt Petro die legitime Kette liefe, angeschmiedet vom Herrn an Seinen Fels!... Und wie sie ihre Favoriten im Rundschreiben an Welt- und Kirchenbehörde ankündigt, ist nicht ohne Selbstbewußtsein. Diese zwölf Apostel, sagt sie, würden nie sterben. – Sie raten recht, Matterlin; sie sind doch gestorben, soweit sie reif waren. Aber man half sich. Man stattete sie etwas besser aus. Man gab ihnen die Macht der ›Versieglung‹; in jede Lücke springt nun ein neuer Kandidat mit den ›Geistesgaben der Urkirche‹; der Heilige Vater ist daher im vorhinein eine anmaßende Überflüssigkeit. Wenigstens sagt das Meister Reibedanz. Er selbst –« der Pfarrer kicherte – »ist der Apostel Johannes.«
»Also«, meinte der Stadtamtmann, »nicht gerade der allerbescheidenste Posten. Mit dem Symbol des Adlers.«
»Spricht fast für ihn. – Die einfältige Seele: das Beste ist ihm gut genug. Einmal im Jahr fährt er nach Ruppin in apostolischer ›Mission‹ und ›versiegelt‹ dort Hinz und Kunz; teilt aus vollem Säckel ›ewige Seligkeit‹ aus. Mit mir diskutiert er gern, wenn's ihn packt; läßt mich gelten als Kollegen von der Irrtumspartei, der Mitleid verdient. – Doch, Matterlin, mich dünkt, wir schaffen's nicht mehr in rechter Zeit zur Stadt; brechen wir jetzt auf. Ich habe mich ohnedies etwas zu warm geredet für einen Diener Gottes. Ich müßte es mir aufsparen. Ich brauche meinen Zorn bald genug wieder ungeschwächt für den Menschen, denn er schickt mir die Kleine nicht zur Kommunion.«
Sie schritten fürbaß.