Willy Seidel
Das siebenköpfige Tier
Willy Seidel

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II

»Wann spürtet Ihr denn zuerst Eure ›Erleuchtung‹, Meister?« fragte Molk, der Knecht, mit hämischem Unterton und sehr laut.

Der Tischler Gotthold Reibedanz gab dem Balken, den das Sägeblatt des Blockgatters kreischend durchtanzt hatte, einen Stoß. Das dicke Brett fiel in einer Wolke gelben Holzstaubs klappernd auf die Seite. Molk und sein Brotherr standen sich mit hängenden Armen gegenüber. Reibedanz wischte sich mit dem Handrücken schweißverklebtes Sägemehl von der Stirn. Der Schuppen wurde durchtost vom Rhythmus des leerlaufenden Gatters, an dem die Pleuelstange der Welle stieß und zerrte. Der Tischler liebte die Frage des Knechtes; wohlvorbereitet traf sie ihn.

»Molk«, sagte er rauh und ebenso laut und krauste die Hakennase, »das ist vierzehn Jahre her, in Ungarn, da sagte unser HErr zu mir, träumenderweise: ›Nimm die Zara zu dir, das Zigeunermensch, die Verworfene.‹ – Da droben liegt sie nun.«

Er deutete mit dem Daumen nach dem Kirchhof am Hügel. »›Du bist mein Lieblingsapostel‹, hat Er mir weiter gekündet. ›Noch ist der Heilspfad dunkel. Aber Johann der Evangelist hat sich zur Wiederkunft erkoren deinen Leib. Üb' Sanftmut!‹ – Und die Zara ist bei mir, den Kopf voll Münzen wie ein Rabennest und das Hemd gänzlich offen auf der Brust. Weg von mir, Versucherin! Geprügelt hab' ich sie und den Hobel nach ihr geworfen. Schachmatt hab' ich ihn gesetzt, den Satan, auf Geheiß des HErrn. Da ward sie zahm. Ihre Seele hab' ich verwaltet für ihn, so gut ich's vermocht. Bis Er sie hinwegnahm von mir.«

»Sie muß einen Narren gefressen haben an Euch.«

»Was da! Vor ihrem Buhlen floh sie. Der wollt' sie umbringen, weil sie seinen Eßtopf mit dem Rock gestreift. Derlei Aberwitz herrscht noch bei den Heiden. Sie war geächtet, und ich hab' mich ihrer erbarmt.«

»Und habt sie aus Erbarmen gefreit.«

»Jawohl. Was lacht Ihr so töricht ? Gefreit hab' ich sie und versiegelt.«

»Was heißt das, Meister ?«

»Ich als Apostel« – der Meister hob jetzt seine Stimme zum Singsang – »darf versiegeln. Das ist meines Amtes, und wen ich versiegle, der wird teilhaft der ewigen Seligkeit. So erspart' ich dem HErrn die Mühe der Läuterung; sauber ging sie ein zu Ihm. Fort war das Heidentum, ganz fort.« Er war bleich, und sein Schnurrbart zitterte. »Und das Kind, Molk – mir anvertraut vom HErrn –, das Kind der Sünde, auch dieses hab' ich versiegelt.«

Molk kratzte sich den Kopf.

Um die Schlafenszeit setzte der Knecht sich auf einen Bretterstapel und schmauchte. Da kam, in der Dämmerung, das Kind Seraphine, das »Kind der Sünde«, um die Ecke.

Mit kleingekniffenen Augen musterte er sie und erkannte das sprossende Weibtum der Vierzehnjährigen; die beim Schlendern leicht sich wölbenden Hüften; die kecke kleine Brust unter der blauen Schürze. Sie trat näher und peitschte mit einer Weidengerte die Luft.

Die kurze Oberlippe gab dem halboffenen Mund was Zutrauliches. Zwei Schneidezähnchen schimmerten hervor. Das Kinn war flach; und so schien das Gesichtlein zu schnuppern, zu kosten. Sommerfleckig war der Sattel der spitzen Nase; darüber floh die Stirn rasch ins düsterrote Haar, das wie Glutgezüngel die schuldlose Verderbtheit der Züge rahmte.

Sie hieb sich mit der Gerte an die Wade und schnitt eine Reihe von kleinen Grimassen dabei. Auf seine einladende Gebärde hin schwang sie sich auf den Stapel und ließ die Beine baumeln. »Der Vater«, sprach sie, und ihre Stimme war sehr hell und süß, »der Vater, Molk, hat er Euch von seiner Erleuchtung erzählt?«

»Hat Sie's gehört, Jungfer ?«

»Ja. Und von der Mutter.«

»Sag' Sie, Jungfer ... war Ihre Mutter eine Zigeunerin?«

»Freilich, Molk. Sie ließ das Zaubern nicht. Vater war sehr bös mit ihr.«

Nach einer Pause sagte Molk: »Seltsam.«

Stockend erst, dann eifriger sprach Seraphine: »Ich hab' mich immer gefürchtet vor ihr. Wenn ich's Vater sagte, daß sie zauberte, dann prügelte er sie, und dann ging mir's selber schlecht. Der liebe Gott schickte ihr ein Bauchgrimmen, als sie am Weihnachtsabend gezaubert; daran mußte sie sterben.

Aber das ist schon vier Jahre her, und der liebe Gott wird ihr wohl verziehen haben. – Manchmal half es ja auch, was sie tat.«

»Was tat sie denn ?«

»Sie hatte immer das Heidentum, sagt Vater. – An Neumond, denkt, da sang sie die Nacht durch in ihrer Sprache; das sollte die bösen Geister verscheuchen während des Mondwechsels, und das Apostelwesen von Vater, sagte sie, wäre nicht stark genug, und sie wollte ihm helfen. Das ärgerte Vater, und er sang gegen sie an; noch lauter. Überall hat man's gehört, und ich schämte mich. Und wenn mir was fehlte, schmorte sie Kräuter mit Igelschmalz; das mußte ich essen. Einmal« – das Kind wurde immer lebhafter – »kam sie mit einer lebenden Fledermaus. ›Schließ die Augen‹, sagte sie. Ich spür' ein Getropf auf dem Leib, und da blinz' ich und seh', sie erwürgt die Fledermaus.«

Ein Schauer lief durch Seraphines Körper.

»Das war eine große Sünde. Ich konnte Mutter lang nicht leiden. Sie quälte ja Gottes Kreatur.«

»Des Teufels Kreatur«, sagte Molk bedächtig. »Aber half es der Jungfer ?«

»Es half, aber ich konnte nicht froh sein. Sie küßte mich, so heftig, wißt Ihr, Molk, als ob sie auch mich wollte würgen und ihren Groll auslassen an mir, weil Vater nie lieb zu ihr war und sie immer nur ins Gebet nahm. Ich hatte Angst vor ihr, und doch mußt' ich tun, was sie sagte. Und damals zur Weihnacht... Sie zieht mich fort in den Wald, bei hohem Schnee, halbwegs auf den Hügel. Da bindet sie einen Weiden- und Tannenschößling zusammen und begräbt's im Schnee. ›Was machst du, Mutter?‹ frag' ich. – ›Halt den Mund‹, sagt sie ganz heiser, ›sonst bläst's dir den Verstand zum Mond. Ich mach die Hochzeit der Bäume.‹ Da seh ich auf einmal einen Schatten wie einen Baum, riesig groß, viel schöner als den Christbaum, und die Sterne sind drin die Lichtlein. Nun fangen drunt' die Glocken zu läuten an; mit eins ist er weg, der Baum, und sie sagt: ›Jetzt darfst reden. Das war der Allsamenbaum. Der bringt Glück.‹«

»Und kam's drauf, das Glück ?«

»Eitel Unglück. – Wir essen zur Nacht, und sie kriegt erschrecklich Bauchgrimmen, und nichts will helfen. Vater sitzt am Bett und redet auf sie ein wegen ihres Heidentums und versiegelt sie mit Apostelbildlein. Da ruft sie mich und sieht mich so bös an mit den schwarzen Augen. ›Du hast's ihm verraten‹, spricht sie, ›und nun muß ich sterben. Aber froh soll er dein nicht werden. Ich leg' einen Fluch auf dich‹, schreit sie und speit nach mir. ›Du sollst meine Hündlein hüten dein Leben lang.‹ – ›Mutter!‹ schrei ich, ›ich hab's nicht verraten.‹ Aber sie murmelt nur noch und ist bald tot. Sagt, Molk: was hat sie wohl gemeint mit ihren Hündlein ?«

Seraphine schwieg und nahm eine Haarsträhne zwischen die Lippen.

Molk sah sie von der Seite an. Sie schlang die Arme ums emporgezogene Knie. Molks Hand senkte sich bebend und schloß sich um dies runde Knie wie um eine Frucht. Plötzlich, als verbrenne er sich, zuckte er hinweg und starrte in die Dunkelheit, als lausche er.

Dort unter dem Hause lief das Wasser. Es schoß über ein Wehr von schlammgrün zerfaulten Brettern und trieb im verengten Bett Schaumwirbel unter das Rad. Molk sah einen kleinen Schatten, der sprang dort hin und wider, und dann einen zweiten, einen dritten...

Er spuckte aus und sprach bedächtig: »Ich weiß, Jungfer, was die Mutter gemeint hat. Das braucht Sie nicht zu wissen; Sie wird's innewerden.«

»Was ist's damit, Molk ? Sagt mir um Jesu willen...«

»Bet' Sie, Jungfer. – Bet' Sie!«


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