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Ein Papagei, auf dessen entspreizten Schwingen alle Palettenfarben flammen, krallt sich an Noras Schulter. Man ist im verwunschenen Hintergarten der Villa in Solo, wo Mijnheer van Kersten seine Menagerie untergebracht hat. In Korbkäfigen gackert, kreischt, pfeift und flötet es von allerlei talentierten Vögeln; einige knarzen in Sundadialekten, hüsteln oder lachen häßlich –: zur steten Freude der kleinen Dienerinnen oder zum kläffenden Ärger einer zitterbeinigen Rotte von Rehpinschern.
Der Papagei hängt flatternd an Noras Hals. Er will ihr Ohrgehänge stehlen und gurrt in eigensinniger Habgier. Kehmerdill befreit sie von dem Untier, und während er den kleinen Krallenriß an ihrer Schulter mit kölnischem Wasser reinigt, umfängt jene wirbelnde Willenlosigkeit, jene wunschlose Schwäche seinen Kopf, die ihn jedesmal bei der Berührung ihres Leibes überwältigt. – Sein Mund sinkt mit einem tiefen Kuß in ihre Halsgrube, und seinen Kopf umfassend erschauert sie und blickt mit verschwimmendem Ausdruck in die Hecke aus zerfetzten Pisangblättern, durch die das Blau des Vormittags lodert . . .
Dumpfer Duft treibt herzu . . . Ist es der 169 Blumenduft der alten de Ruyter? Das kommt von den Orchisrabatten, die auch der Hofarchitekt züchtet. Kehmerdill klammert sich an seine Freundin mit einem tastenden Schutzbedürfnis. Das Frühere war so häßlich und singt noch in seinem Blut wie Gift. Hier aber ist er versteckt, ist er geschützt; hier kann nichts an ihn heran; gut und unauffindbar hat er sich verkrochen; und diese seltenste Frau steht in der Bresche der Schutzwehr und läßt niemanden herzu. Ganz und gar geborgen sind sie beide . . .
Zwei mächtige Ulmer-Doggen gibt es hier, zwischen denen Nora sich zuweilen niederläßt. Diese betten die silbergrauen Köpfe in ihren Schoß und grübeln löwenhaft, während die Frau ihnen spielerisch mit der Hand über die Schnauzen fährt . . . Die Kreatur fühlt sich verstanden, wo sie weilt. Der ganze Haushalt liegt ihr zu Füßen, einschließlich des Hausherrn. Denn auch mit Mijnheer van Kersten steht es so, daß er es ohne Unterlaß »müllernd« und fingerspreizend betont, wie Nora ihm ans Herz gewachsen ist!
Wann tut er das? In den Pausen, die sein onkelhaftes Regime zuläßt, das er über seine zwanzig kleinen Dienerinnen führt. Zum größten Teil stehen diese im zartesten Alter . . . Die Babu, die Beschließerin und drei ältere Matronen kontrollieren den menschlichen Vogelstall. So huscht und purzelt das kleine Weibsvolk, trägt Tabletts, putzt den Messingfrosch und die Gipsgöttin und weiß sich kein Ende des flüsternden Staunens und Tuschelns im Winkel . . . Mijnheer in seinen gebatikten Hosen ist ein gutgemischter menschlicher Cocktail, in dem die Bläschen der Lebensfreude 170 sieden. Fröhliche hellblaue Schlitzaugen glänzen aus rundem tropengelben Gesicht. Haar und Schnurrbart sind eisengrau, und sein Format deckt sich mit dem seines Mäzens, des Susuhunan. Während jedoch der Herrscher über ein dreifaches Kinn und vierzig Orden verfügt, besitzt Mijnheer nur ein Doppelkinn und den »Nassau-Oranien«. Auch ist sein Wanst bescheiden, während Seine Hoheit fünf Meter Sarongtuch benötigen.
Der Susuhunan hat seinem Freund auch den Direktorposten des Vergnügungsparkes geschenkt. Nicht zuletzt ist es das Gefühl dieser wasserdichten Sinekure, was die Lebensfreude des guten Greises dauernd auf dem Siedepunkt hält. Daher sein ständiges glucksendes Glücksgeschrei und dabei, gleichsam aus Selbsterhaltungstrieb in Überfülle, die Geschäftigkeit im Hause; ja, er ist ein rechter Haustyrann, und das Weibsvolk muß dran glauben. Oft auch säuselt der Zephir und er patscht auf ein niedliches Hinterteil, krault unter kicherndem Kinn . . . So ist es klar, daß er trotz seiner Jahre noch keiner Auffrischung bedarf. Nur die Leber rührt sich zuweilen. Das sind die vielen Reistafeln . . . Darin verläßt er sich auf Kehmerdill; dieser legt die Grenzen der Diät weitherzig aus . . .
Der Hofarchitekt ist zwischen den Rabatten aufgetaucht und nähert sich ihnen, – zwei, dreimal über die Schulter spähend. Bei ihnen angelangt, dämpft er seinen Diskant zum Flüstern.
171 »Es ist Besuch da; – Besuch aus Batavia.«
Kehmerdill kramt umständlich eine Zigarette hervor. Noras Lippen werden blutleer. – Doch der Hofarchitekt zwinkert vergnügt.
»Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, meine Freunde. – Ich habe kein Wort davon gesagt, daß Sie hier sind. Ich will mich nur bei Ihnen vergewissern, daß ich ihn empfangen darf. – – Es ist der Raden Kusuma.«
Blitzartig tritt eine Szene in Noras Gedächtnis. Es ist bei der »Soirée« des Doktors, und sie fühlt ihren Blick von dem scheinschläfrigen Lid eines Inders ertappt wie von einer Falle. – Sie hört sein Wort, das er wie einen Pfeil in ihre Unterhaltung sandte. Und sie denkt an ein Auge, das die Kraft hat sie zu entkleiden. Nein; sie kann ihn nicht sehen; sie will ihn nicht sehen.
Kehmerdill sieht sie erstaunt an.
»Warum nicht? – Er ist ganz uninteressiert. – Er ist diskret.«
»Er ist nicht uninteressiert! Ich habe das Gefühl, er intrigiert . . .«
»Du tust ihm unrecht . . .«
»Otto, im Moment, wo der Mann uns hier sieht, weiß er Bescheid. Du kannst dich schon verlassen auf meine Intuition . . .« Sie sieht ihn großäugig an. »Ich spür's . . . Immer hab' ich es gespürt, wenn ein Unglück begann . . . Laß Kersten ihn fortschicken; Du kannst deiner Freunde nicht sicher sein. Es gibt keine Freundschaft in diesem Land.«
172 »Phantastin! – Nun gut, Mijnheer, lassen Sie uns in den Zimmern servieren.«
»Er hat ohnedies wenig Zeit,« meint Kersten. – »Er sagt, er sei in dringenden politischen Angelegenheiten hier. Er wird wohl im Hotel speisen; und Sie, meine Freunde . . .« Jäh schnappt er ab; sein Tonfall schraubt sich höher und wird zu einem Trällern; sein Schritt zum kleinen Step. Denn im Dämmerlicht der Rabatten, zwanzig Schritte hinter ihm, steht reglos eine in Rohseide und schmalkrempigen Panama gekleidete mittelgroße Gestalt. Kurz nur dauert diese Reglosigkeit; dann kommt Kusuma, die Augen mit der Hand schützend, in weißen Schuhen schlendernd näher. Herzlich breitet er die Hände aus.
»Wie ist das!« ruft er. – »Du hier, Doktor?«
Er bettet des Doktors Hände zwischen seine weichen, leicht gehöhlten; dann wendet er sich Nora mit emporgezogenen Schultern zu: »Mein Kompliment, Mevrouw!«
»Mein Erholungsurlaub, Kusuma. – Welch ein Zufall!«
»Ist es nicht ein wenig heiß hier, Doktor, für einen Urlaub?«
»Man kennt mich zu gut in Garoet. – Ich wollte einmal gänzlich für mich sein.«
»Für dich. – Sehr verständlich.« Kusumas schwarze Augen wandern zwischen dem Freund und der Frau hin und her. – »Du verfluchst wohl nun unser Zusammentreffen?« – Sein Lachen perlt. – »Nun, ich will dir nicht lästig sein; Freude und Überraschung, 173 dich hier zu sehen, reißen mich hin . . . Ich darf mich zurückziehen?«
»Sie haben gewiß dringende Geschäfte hier?« fragt Nora leise und spielt an ihren Ohrgehängen, während ihre Augen die goldene Kette an seiner Jacke nicht verlassen.
»Gewiß,« erwidert er sanft. »Ich hatte einen Auftrag auszurichten an Mijnheer van Kersten; nun ist das erledigt . . .«
Der Hofarchitekt springt endlich ein.
»Sie bleiben selbstverständlich zu Mittag hier, Raden,« ruft er lustig aus und schlägt ihm auf die Schulter. »Ich muß Ihrer Bescheidenheit noch rechtzeitig den Riegel vorschieben . . . Was faseln Sie von ›Zurückziehen‹ und ›dringenden Geschäften‹? Der Susuhunan ist daran gewöhnt, daß nicht alles im Eiltempo geht. Das haßt er selber. Kommt, meine Freunde, mit mir auf die Veranda; dort trinken wir ein ›Pahitje‹ . . . Und beim Essen feiern wir diesen einzigartigen Zufall!«
Nora geht automatisch mit. Als Kehmerdill sie fragend ansieht, zwingt sie sich ein Lächeln ab.
»Glaubst du,« fragt sie flüsternd, »an diesen Zufall?«
Während des Essens ist Kusuma sehr lebhaft. Steigt ihm der Sekt zu Kopf? Er ist schelmisch; er steckt seine sieben europäischen Jahre heraus, spreizt einen kleinen blendenden Fächer von sieben Sprachen. – »Für jedes Jahr eine, meine Herrschaften!« – Man lacht, kauderwelscht, ist animiert; und Noras Verdacht 174 schläft ein. Es ist wirklich ein origineller Zufall. Derlei ist möglich. Auch Kehmerdill schwatzt.
Mau hechelt den Susuhunan durch. Der Raden ist vollendeter Weltmann; er weiß ein Witzchen zu schätzen; er ist nicht umsonst bereist wie kaum ein Zweiter. Mehrmals sagt er: »Oh là-là« und »Je m'en fiche«. Kein Zweifel, der französische Sekt . . .
»Du bist in Form heute. Wie im Volksraad.«
»C'est ça. – Ich bin unter Freunden, Doktor. Es ist eine öde Beschäftigung, immer die Ohren zu spitzen, das muß man in Batavia.«
»Als Arrivé . . . Als künftiger Regent . . .«
»Du scherzest. Mevrouw hört dich gern scherzen? Sieh doch, wie sie lächelt . . . Wie pass' ich in so einen Käfig, den mir der Doktor zuweist? Regent von Batavia . . . Oh là-là . . . Es ist sehr nahe bei Buitenzorg . . . Doch immerhin: Der Käfig ist vergoldet.«
»Besser als Bantam?«
»Mehr Platz, Doktor. Die Regie . . . Aber Pardon; ich gerate ins Schwatzen. Das macht Mevrouws Freundlichkeit. Vorhin war sie etwas zerstreut. Wie?«
»Man hat an viel zu denken, Herr Kusuma.«
»Das ist keine Antwort für eine schöne Frau.« Nach diesem Geschäker leitet er sofort wieder auf sein Lieblingsthema über, nämlich auf sich selbst.
»Du fragst, Doktor, ob mir die Idee von Bantam gefällt . . .«
»Nun, das wäre nicht übel! Meinen Segen hast du zum Sultanat. Aber das wäre hoffnungslos antiquiert.«
175 »Sage das nicht,« winkt Kusuma ab und in seiner Schelmerei schwingt ein ernsterer Unterton. »Ich wäre sogar ein leidlich moderner Monarch; das kannst du glauben. Mein Vetter, Seine Hoheit von Solo, spricht allerdings, Gott behüte, nur die Landessprachen. Orientiert ist er nicht; es dauert zu lang, bis eine Information durch sein Fett sickert. Wie soll er auch Luft bekommen, wenn er ein halbes Dutzend Translateurs bezahlt und für eine Spazierfahrt Eingaben nötig hat? Wenn er seine Apanage bilanzieren muß bis zum Quartjes genau? Wenn er wegen eines Diamanten, den er braucht, sich mit dem Residenten herumraufen muß? Was wäre da die Rettung? Taschengeld, und wieder Taschengeld . . . Es ist ein Jammer, Herrschaften; es ist eine Blamage . . . Um diesen Preis, Doktor, schenke ich dir Bantam.«
»Ich nehme es mit Handkuß samt der Zauberpraxis meines Schwagers. Und du bleibst Beamter und auf deinem Posten.«
Kusuma hat sich warm geredet. Unbeirrt fährt er fort:
»Ja; der Anblick der Fürsten . . . Ist er nicht tragisch? Es ist eine Zwickmühle. Sie sind wie bunte Fische in der Reuse; wann es dem fröhlichen Kaufmann gefällt, zieht er das Netz in die Sonne. Ein bißchen pumpen sie noch mit den Kiemen und werfen Farben . . . Das dauert aber nur noch ein paar Jahrzehnte . . .«
Hier merkt er, daß er zuviel sagt. Man lauscht ihm zu aufmerksam. So stopft er das Loch im Gespräch mit ornamentalem Gelächter.
176 »Mijnheer van Kersten,« fügt er an, »sorgt schon dafür, daß es noch länger dauert. Er ist unsterblich und meint es gut mit uns. Er ist kein Kaufmann mit der Zange. Er ist ein Hofmann.«
»Wie du lügen kannst,« denkt Kehmerdill. Laut sagt er: »Aber der Holländer wird die Insel nicht erben. Eher schon ein Indo mit mongolischem Typ.«
»Späßchen, Doktor,« gurrt Kusuma halb perplex.
»Gottverdammich,« kräht der Gastgeber. »Was soll diese Politik! Wir sind eine Familie.«
Dies sagt er mit Brustton. Es herrscht sonniger Familiensinn.
»Ich möchte Seine Hoheit sehen,« meint Nora lüstern.
Kusuma ist sehr gefällig. »Noch heute,« verspricht er, »werden Sie meinen Vetter sehen! Noch heute! Ihr Wunsch ist mehr als Befehl; er ist Lebenszweck . . .«
»Sie zaubern?«
»Was denn! Kersten und ich arrangieren das während Ihres Mittagsschläfchens! – Und morgen? Morgen werden Sie ihm vorgestellt! Dem ›Zehnten Nagel der Welt‹!«
Die beiden haben sich wieder auf ihren Strohcouchetten ausgestreckt. Sie hören das Gespräch Kusumas mit dem Gastgeber aus dem Speisezimmer dringen als eintöniges Gemurmel. Dann entschlummern sie.
Es ist schwüler heute als sonst. Es wird vier Uhr, und es hat noch nicht geregnet.
Der Doktor erwacht zuerst. Er fühlt eine ungeheure 177 Mattigkeit. Er setzt sich auf und beschließt, heute und morgen »auf dem laufenden« zu sein. Einen schiefen Blick schenkt er der schlummernden Nora. Langsam zieht er die Dose hervor und nimmt seine Prise. Noch halb schlafblind ist er; so sieht er nicht, daß er beobachtet wird.
Im Gang hinter ihm steht Kusuma. Dieser nimmt mit tiefem Interesse davon Kenntnis, daß der Doktor das Prischen genehmigt.
Auch dies ist ein origineller Zufall.
Jetzt erst beginnen heute die fernen Böllerschüsse im Blau. Nicht lauter als das Klirren im Porzellan bewegen sich Kusumas Segeltuchschuhe . . . Er hält die Arme vor der Brust gekreuzt und starrt auf Noras Bein. Der Rock entblößt es bis weit übers Knie. Es ist ein vollendet schönes Bein und steckt bis zur Hälfte des Schenkels in weißer Seide. Kusuma steht reglos; kaum atmet er. Sein Gesichtsausdruck ist der eines sprungbereiten Tieres.
Der Doktor blickt hinaus und schnuppert. Hinter den Sykomoren huscht das Netz eines Blitzes über den ganzen brütenden Horizont. Merkwürdig, – denkt er – daß das Zucken in der Wolkenwand trotz des Sonnenscheins sichtbar ist, rötlich wie der Schimmer eines Pulses. – Dann dreht er sich um und sieht Kusuma.
Ein überraschter Ausruf entfährt ihm. – Kusuma lächelt.
»Ich wollte dich soeben wecken, Doktor,« flüstert er. »Dich und Mevrouw. Es kann jeden Augenblick geschehen, daß die Pangérans kommen . . .«
178 »Die Prinzen! – Welch ein Aufsehen! Du übertreibst . . .«
»Für dich, mein Freund, ist dieser Aufwand gut genug . . . Ich habe heute Audienz. Morgen vormittag werde ich euch dem Sultan präsentieren. Er wird ein Tänzchen, ein Wajang-Orang geben . . . Lebe wohl!«
Er legt einen Regenmantel um die Schultern und schlüpft, ihn mit den Händen vor der Brust zusammenraffend, zu seinem Sado zurück, der hinter dem Plastilinelefanten wartet . . .
Nora sieht ihn gerade noch durch ihr Gesichtsfeld schweben. Mit einem Griff nach ihrem Rock schnellt sie empor. Kehmerdill fingert in der Tasche nervös an der Dose. Hat Kusuma es bemerkt? Ach, es ist ja belanglos, ob er's weiß oder nicht . . . 179