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In meinem Gedächtnis haften drei polynesische Bilder: Eine Massenpantomime auf Tonga, zu Ehren des Königs Siaosi; – dann, im Schoß einer samoanischen Familie, der hohnvolle Triumph der Unmündigen über die Angst; – und endlich eine abseitige, alpdruckschwüle Zeremonie, wo man dem Tod das eigne Medusenhaupt entgegenhielt wie einen Schild.
Er mag fünfundfünfzig Lenze zählen, der gute König Siaosi, den die Engländer »Peter« nennen und dem sie auf die gemästete Schulter, die seine Palmbeachjacke strafft, Freundschaftsklapse geben . . .
Und heute – im Juni 1914 – zählt er sechsundfünfzig, und das ist ein buntes, trommelndes, jauchzendes, mächtig entfaltetes Abenteuer, das schon wochenlang vorher auf den Tonga-Inseln mit festlichem Singsang umgeht und nun, Ende Juni, in Nukulaofa zum Austrag gebracht wird. Ob er selbst solchen Anteil nimmt, steht dahin, denn er ist ein phlegmatisch disponierter Souverän. Zum mindesten glaube ich, daß ich es auf meine Art genau so, und irgendwie intensiver, mitgenießen werde, daß er sechsundfünfzig wird.
Nukulaofa kommt nicht aus den Wellen hervorgekrochen mit einem Halbdutzend Hügelspitzen, sondern schwimmt auf den Wassern als schnurgerade Linie von Palmenhäuptern, als flacher Hain, der mit weitem Schwung seine Arme öffnet. Man gleitet an der rotbraunen Leiche eines gestrandeten Schiffes vorbei. Wir gehen an Land: da schlüpfen kleine gestreifte Eidechsen über die Wege, zwischen karminroten Sträuchern und faulenden Orangen, und schleppen ihre Schwänze davon wie gewellte Blitze aus grünblauen Funken. Die Leute sind schlank; ihre Stimmen sind hoch; sitzen sie zusammen, so gurrt es wie aus einem mächtigen Taubenschlag. Die ganze Insel ist von festlichen, heiteren, leisen Akkorden durchklungen.
Es kommt eine große Mauer und wir gehen zum Tor hinein. Gegenüber einer weißgetünchten anglikanischen Holzkirche mit Schnitzereien am Dach steht der Palast des Königs, ein geräumiges Bungalow und die doppelte Veranda samt ihren Stufen ist ganz von Zuschauern besetzt. In der Mitte auf einem vergoldeten Schaukelstuhl, feist, kurzhaarig, kupferfarben, sitzt der König in einem Kranz von Familienmitgliedern und Räten . . . Wir Weißen nehmen uns recht kümmerlich aus auf dem Hintergrund so strotzenden Prunkes.
Auf dem Rasenplatz vor der Kirche, hufeisenförmig, sind die Tänzer aufgestellt; eine Reihe von Männern und vor ihnen hocken die Schönen.
Dann beginnt der Tanz, eine Art stilisierten Naturballetts. Die Mädchen bleiben hocken und wippen mit hellen Fußsohlen zur Drehung ihrer Oberkörper, von Händeklatschen begleitet. Gleichzeitig regen sich die Männer: sie bohren die Hände in die Hüften und tun kriegerische Schritte im wiegenden Wechsel der Bewegung. Dazu singen sie in dunklen Stimmen; vor ihnen, wie ein Schleierfall, hängt der hellere Refrain der Mädchen.
In meinem Kopf beginnen die Orgeltöne weiter zu dröhnen; die Farben durcheinanderzufließen. Die ozeanische Brise ist entschlummert, die Sonne sticht; ein Duft liegt auf der Wiese wie ein Gas von entnervender Süße. Immer schneller geschehen die Ausfälle mit rechtwinklig gebeugtem Knie. Sie feuern sich an, »jach, jach« dazu keuchend. Ich sehe nichts, als diese Reihe rundlicher Mädchen, als diese Sammet- (!) und Seidenkleider, mit Bastmatten umwickelt; sie sind mit Blätterbüscheln und scharfriechenden Blumen bis an die Hälse besteckt wie Kühe bei malaiischen Hirtenfesten; flammende Buntheit ist's und rasselnder Takt von Fruchthülsenbündeln an fetten, nackten, kaffeebraunen Waden . . . Immer irrer, immer maschinenhafter wogen die Reihen vor meinen halbgeschlossenen Augen, bis sich zuletzt eine einzige Farbenwoge mit durchdringendem Gesamtschrei auf mich zu stürzen scheint . . . »Ripping, what?« sagt jetzt ein Jüngling aus Aukland und handhabt in Seelenruhe seinen Kodak. – Dies gibt mich der Erde wieder.
»Malié!« ruft jetzt der Hauptsprecher Siaosis, ein Mann mit einer ungeheuren Cäsarennase, wie man sie bisweilen auch auf Fiji findet: ein brauner Tiberius von zweihundertundfünfzig Pfund. Er wiederholt sein rauhes Beifallsgeschrei, so oft die Tanzfiguren wechseln. Der König jedoch im Rahmen der Tür auf seinem Paradesessel grunzt nur. Er lächelt zwar andauernd nach der Weise lackierter Schaukelpferde, doch in seiner Brust, die nackt und blautätowiert aus der offenen Jacke quillt, sitzt Mißbehagen. Das machen die vielen schwarzen Kästchen, die ständig in seiner Richtung gezückt werden. Später, nach Ablauf des Programms, erhebt er sich und gibt eine Art gutturalen Begrüßungstoastes von sich, der einem trillernden Gesang ohne Interpunktionen gleicht. Ich seh' ihn noch dastehn. Er tändelt mit seinem Roßschweifwedel; der goldene Schaukelstuhl hinter ihm pendelt sich aus, wie ein drollig-bekräftigendes Nicken.
Dann kommen die Engländer hinzu, nennen ihn »Peter« und »jolly old fellow« und schleppen ihn zu einer obligaten Begießung seines Geburtstages davon, höchst unzeremoniell, mit Klapsen auf die gemästeten Schultern. Vielleicht wird er später, beim Whisky-Soda, sehr vergnügt, und vielleicht hat man ihm an demselben Abend noch einige Konzessionen abgehandelt . . . Das tiefe Kristallblau des ozeanischen Himmels dunkelt gemach herein, und im Zwielicht löst sich das Märchen leise auf.
Es ist auf Sawaii, in Sasina, da nehme ich an der nächtlichen Unterhaltung einer samoanischen Familie teil.
Schon geraume Zeit sind zwei Kinder von acht bis zehn Jahren, ein Mädchen Lepeki und ein Junge Tiatia, in Streit geraten. Erst als dieser Zank seinen Höhepunkt erreicht, und sie als lebender Ball, aus dem scharfe Laute dringen, in den Lichtkreis der Lampe rollen, schenkt die plaudernde Runde dem Unwesen flüchtig Beachtung.
Zuerst geschieht dies nur aus Höflichkeit für mich, denn man selber fühlt sich nicht gestört: sind es doch nicht die eigenen Kinder! Elternlose kleine Bastarde sind das, die in den Dörfern aufgefüttert werden! Und Kinder sind ja überhaupt wenigstens in diesem Alter noch wie Hunde oder Fliegen! So vergibt man sich eigentlich etwas, wenn man sie bemerkt . . . Darum lächelt man wie entschuldigend hinterdrein. –
Doch man muß zu schärferen Mitteln greifen. Denn Lepeki beißt Tiatia in die Beine und dieser, wütend auf die strampelnden Glieder der Schwester einhauend, schreit tief mit Brustton: »Ui!!« mit einem »i«, das schneidend und zeternd die Nachtstille stört. So setzt sich denn auf einmal eine alte Großmutter in Positur und wendet ihre schielenden Augen drohend den Kindern zu, wobei sie mit blecherner Stimme spricht:
»Laupanīni ma Laupanāna!«
Verblüfft halten die Kleinen inne. Die Gesichter der Erwachsenen verziehen sich in phlegmatischem Vergnügen. Die instinkthafte Furcht vor den beiden warnenden Namen, die drohend und dunkel in der Luft hängen, lähmt die beiden Menschlein. Solche Silben erschafft die Natur, wie sie Schreckfarben an Tieren erzeugt. Und die schielende Großmutter greift in den Brunnen der eigenen Brust, gräbt darin mit kundigen Händen und läßt Geschehnisse entstehen, runenhaft raunend, gewaltig und naiv. Den Kindern stockt der Atem. Sie lauschen; ihre Seelen sind zu weißen Maulbeermatten. geworden, auf die man die dunklen Pflanzenfarben eines Schreckmärleins pinselt. Ohne mir Mühe zu geben, versetze ich mich in die junge Seelen, in den empfindlichen Schauder der fröhlichen Sonnenpflanzen, die man zu kurzer Strafe plötzlich mit Nacht umgibt. O Anhauch des Unerforschten, des kindlich Feindseligen, des ewig Schauerlichen!
Wie heißt der Schrecken? »Tulivaipupūla« heißt er; er wächst aus der Erzählung hervor; er setzt sich vor die Kinder und lächelt tückisch. Weit auseinanderstehende Augen hat er, halb geschlossen aus Behagen an seiner beklemmenden Macht. Er raschelt wie mit faulem Laub, er leuchtet von dumpfen Lichtern, er ist wie eine Regennacht im Unterholz: geheimnisvoll und gefräßig.
»Ha!« spricht die Alte. »Es gab ein Ehepaar! Und es hatte zwei Söhne! Laupanīni und Laupanāna! Die Eltern wollten in der Pflanzung arbeiten . . . Sie ermahnten die Söhne: »Laßt die Jalousien des Hauses herunter, so als ob niemand daheim wäre! Macht das Wasser an der Schöpfstelle nicht trüb! Brecht das Zuckerrohr hinter dem Hause nicht ab!« Und dann gingen sie in den Busch auf die Taro-Plantage.
Was taten die beiden Knaben? Furchtbar ungezogen waren sie und ungehorsam! Sie sammelten die heruntergefallenen Blätter, sie machten die Jalousien auf, trübten das Wasser und raspelten Zuckerholz. Ha! Wer näherte sich da vom Walde her? Ein A-itu (böser Waldgeist)! – »Was macht ihr hier?« fragte er. – »Wir sitzen hier und machen nichts.« – »Wenn eure Eltern wiederkommen«, sagte er, »sollen sie mir meine Herkunft sagen; findet ihr's nicht heraus, dann schlachte ich euch alle.«
Die Eltern kamen zurück und sahen, daß die Söhne nicht gehorsam waren. – »Warum habt ihr nicht gehorcht?« – Sagten die Knaben: »Der A-itu Tulivaipupūla ist aus dem Wald gekommen«, und erzählten, was er ihnen gedroht habe. Die Eltern nahmen ihre Jungen vor und prügelten sie durch. Deren Beine zitterten, und sie liefen fort in die Richtung nach Mulisanūa. Die Eltern verfolgten sie, Tag und Nacht. Tag und Nacht. Noch auf der Straße packten sie sie und sangen das Klagelied: »Laupanīni und Laupanāna! Kommt doch wieder zu uns zurück! Taro bekommt ihr und warmen Yams! Fische erbeutet bei Fackellicht!«
Die Knaben sangen die Antwort: »Tafitopūa und Ogapūa! Geht euren Weg und kehret heim! Denn wir müssen nach Mulifanūa; müssen zum Teufel in Mulisanūa!« – –
Alle Erwachsenen in der Hütte klatschen in die Hände, um den Refrain zu singen, und trommeln auf die Matten. Die grausame Großmutter tut einen gemächlichen Zug aus ihrer langen Zigarette. Ihr linkes Auge ist starr auf die armen Sünder gerichtet; das rechte bohrt sich in die Dunkelheit. Hart und heiser hat sie ihr Verslein gesprochen. Nun spült sie sich die Kehle mit einem Schluck Kawa frei, denn der Napf wird wieder herumgetragen. Der arme kleine Tiatia muß ihn tragen; als er die schreckliche Sybille bedient, zittert seine Hand vor Schreck. Er sinkt zurück, und erbarmungslos mit Zischlauten fährt sie fort:
»Die Eltern gingen zurück. Sie konnten den Zauber nicht brechen und ließen die Kinder weiterziehen nach Mulifanūa. Dort wohnten sie mit dem Teufel zusammen. Er forderte sie auf, ihm den Kopf zu kraulen, und schlief ein. Er hatte so große fremdartige Läufe, daß sie drei Holzschüsseln damit füllten!
Da sprach Laupanāna: »Ich habe lange genug deinen Kopf gekratzt; nun bin ich durstig.« Der Teufel erwachte und fragte: »Warum weinst du?« – »Ich bin durstig.« – Da sagte der Teufel zu Laupanīni: »Klettere auf den Baum vor meinem Hause und hole Nüsse.« – Als der Junge raufkletterte, wuchs der Baum. Er kletterte den ganzen Tag und erreichte die Krone nicht. Erst abends erreichte er die Nüsse und warf sie herab. Er kam herunter, entfaserte sie und brachte sie ins Haus: »Trinke, Laupanāna!« – Dieser trank und trank, doch immer mehr Saft war in der Nuß. »Ich kann nicht mehr, ich platze!« – Der A-itu drohte: »Wenn du sie nicht austrinkst, mußt du sterben!« Als er sah, daß der Junge nicht mehr trinken konnte, löste er den Zauber, und die Nuß ward leer. Da sagte Laupanāna: »Nun bin ich hungrig!« Der Teufel sagte: »Kocht euch was auf dem Samoaofen!« Die Jungen gingen hin, machten Feuer, erhitzten Steine. »Mit welchen Blättern sollen wir den Ofen bedecken?« Der Teufel sagte: »Kämpft, wer stärker ist, wirft den Schwächeren über den Ofen.« Die beiden kämpften, und Laupanīni fiel auf die heißen Steine. Er wurde gebraten. Da sagte Laupanāna entrüstet zum Teufel: »Was hast du gemacht? Nun ist mein Bruder tot!«
Da fraß der Teufel den Laupanāna.« – –
Die Großmutter ist zu Ende und schnalze mit der Zunge. Lepeki beginnt zuerst zu weinen. Es ist ein elementares Schluchzen, das ihre Wangen und Nasenlöcher in Nässe badet. Was aber geschieht mit Tiatia?
Sein Grauen ist nicht geringer als das der Schwester. Doch er findet einen männlichen Ausweg, um es zu bekämpfen. Er steht auf und bohrt die Hände, zu Fäusten geballt, rechts und links des Nabels in sein rundes Bäuchlein. Die Angst erzeugt an ihm, in possierlichster Verkleinerung, das Bild eines erzürnten Mannes. Dann tut er kriegerische Schritte nach beiden Seiten, mit spitzwinklig gebeugtem Knie und völlig auswärtsgedrehten Füßen.
Gesten uralter Tänze bewegen seine Glieder, unbewußt mit der täppischen Grazie, die alles Junge, alles Tastende an sich trägt: so als lausche sein inneres Ohr fernen Kampfgesängen, dem Gestampf, dem Geklapper langer Reihen rhythmisch bewegter Männer. Ja, dies Herausstechen der Ellenbogen und diese nach innen verdrehten Handgelenkeū–: sind sie nicht Erbe heftiger Zeiten?
Sein Vorvätergeist zupft an ihm, läßt ihn agieren wie eine seltsame Schattenpuppe, wie einen kleinen Dämon, der plötzlich dem übersatten Friedensblut Seines Volkes entspringt: Ein Bild unausrottbaren, atavistischen Trotzes. So bekämpft er sein eigenes Grauen; so bekämpft er, tanzend und höhnend, schluchzend vor Angst und Wut, den mächtigen Schatten des Waldteufels und scheucht ihn zurück: und während sein kleiner Körper sich krümmt, strafft und bäumt, schreit er: »Puii!!« mit rundem Mund, runden Augen, runden Backen, und faucht dazu wie eine Katze.
Denke ich daran, so ist mir, als vagiere mein Geist auf magisch-gefährlichem Pfad; als sei dies Erlebnis ein Wechselbalg erhitzter Phantasie.ū–ū–ū–
Es gibt heute noch die Institution der »Beerdigungsgilde« von Fasito-o. – Vor meinem innren Auge wandelt der schauerliche Vorgang beim Begräbnis der Dorfjungfrau Moga-Moga, des »Käfers«, noch einmal vorüber. Eine Kolik an verdorbenem Büchsenlachs hatte sie hinweggerafft. Die Missionare durften es nicht erfahren; und so hatte man sich die Ausübung der alten Sitte gleichsam stiebitzt. So ist sie noch auf die rechte Art ins Grab gekommen, die Dorfjungfrau, – und hat sich der Sina zugesellt in den Bergen . . .
Die Knaben haben die Beschneidungsriten seit zwei Wochen überstanden und die Tätowierung brennt noch frisch auf ihren Schenkeln. Sie ist vor drei Tagen eingeätzt worden, und sie spüren die Frühlingsfieber der Mannbarkeit.
Der »Käfer« liegt unter einer Matte; die Frisur ballt sich ihr wie ein Kissen unter dem Kopf.
Natürlich wollen die Knaben sehen, wie man sie wäscht; mehrmals hat man sie verjagt.
So halten sie sich bescheiden, stumm und ein wenig lüstern im Hintergrund; sie hören zu, wie man über die Tugenden der Verblichenen schwatzt. Weil sie immer zugegen sind, wo es wochenlange Kettenmahlzeiten gibt, haben sie dabei ein scharfes Auge auf die Schweine und Hühner . . .
Vier Großmütter bedienen die Kawabowle; sie schlürfen gurgelnd der Rangfolge nach. Dann beginnen sie zu plärren, endlos auf- und niederwippend, in der weinerlichen Ekstase ihres Alters.
Den Knaben wird heiß und kalt: Nun geschieht etwas.
Es ist schwer zu sagen, was es ist; sie hören ein dumpfes taktmäßiges Geräusch, das näherkommt wie drückendes Verhängnis. Alle reden erregt und stellen die Richtung fest: ja, das ist die Ankunft der »Beerdigungsgilde«.
Die Knaben starren durch die Hüttenpfosten hindurch, die eine Schlucht von Grün umrahmen. Dort am Ende des Weges taucht ein Mann auf, ein zweiter, ein dritter, bis ein Zug von zwanzig Leuten sich entwickelt hat . . . Sie kommen langsam in Sicht.
Der Gesang der vier Großmütter erlischt zu einem dünnen Winseln; ihrer Trauerinbrunst ist das Mark entzogen. Der weiße Sandweg ist von den Schatten der Palmstämme gesprenkelt und gitterartig von Licht durchbrochen. Ein brauner Körper bewegt sich hindurch; zögernd und ruckweise. Ab und zu erblitzen Glanzlichter auf seiner Haut: sie ist geölt. Um seinen Hals starrt ein Kragen aus Haifischzähnen. Die Tätowierung strotzt unter dem Öl in sattem Blau. Er tanzt an der Spitze der anderen, die Maulbeermatten tragen; die Matten schwanken wechselnd bei der Arbeit der Hüften.
Die Weise, wie der Führer sie leitet, in gebändigtem Vortanz, der alle Muskeln erschüttert, ist das Höchste an animalischer Eitelkeit . . . schamlos naht er sich, unwiderstehlich, warm und widerlich: der Manaia von Fasito-o.
Er erreicht den Dorfplatz.
Die Hütte leert sich; die Knaben werden verscheucht mit den übrigen; denn die Worte des dumpfen Gesangs sind vernehmlich. Aber trotzdem wagen es die Knaben, kreuzbeinig hockend, und ein wenig lüstern aus einer der halbgeschlossenen Nebenhütten zu lugen.
Sie sehen den schimmernden Zug von Jünglingen um die Hütte wandeln, ihre Wünsche sind allein darin mit der toten Taupou . . .
Grüne Nüsse regnen draußen von der Palme in den Sand; der Manaia hat sie erklettert. Jetzt sitzt er wieder am Boden; seht ihr ihn? Er schreit im höchsten Falsett des Ärgers; er spaltet die Nüsse mit dem Hartholzstab und entfasert sie mit der Kraft der Leidenschaft; wie gut verstehen wir seinen Zorn, du tote Taupou! Wie unterfingst du dich, zu sterben, bevor du so leuchtendem Mannestum deinen Tribut entrichtet! Sieh, er speit nach dir, er verachtet dich; begreifst du das?
Du regst dich nicht. Die Nußmilch läuft dir übers Gesicht; du blinzelst nicht einmal. Du verschläfst deine tiefste Schande. Deine Sippschaft ist gewichen, sie wurde zur Erde, Baum und Strauch. Du kennst keine andere Verwandtschaft mehr; der Manaia mag sich heiser schreien! –
Nun spüren die Knaben ein festliches Verlangen nach den Hühnern und stehlen sich herüber.
Die andern folgen ihnen, und bald ist die Hütte wieder voll. Sie schmausen gebackene Bananen und Hühner, doch den Knaben quillt der Bissen im Mund. Sie staunen ihr Idol an: die tote Moga-Moga.
Man hat sie geschmückt und aufgesetzt. Sie sitzt am Mittelpfosten, kreuzbeinig; die Hände, voll von Schildpattringen, ruhen im Schoß. Ihr Haar steht wie ein Dach vom Kopfe ab. Auf ihm lastet ein Bambusgestell, der Aufsatz der Braut . . . Quasten roter Federn schwanken daran, weinroter Flaum, gerupft aus den Brüsten von Honigsaugern. Ockergelbe und schwarze Maulbeermatten umbauschen ihre Hüften.
Der Manaia erhebt sich; zwei Jünglinge greifen ihr unter die Schultern. Und das Fabelhafte, das Bejubelte geschieht: die Taupou steht auf.
Man singt leiernd und leise; man pocht und trommelt. Die Taupou stolpert ein wenig; man muß ihr helfen. Sie fällt fast der Länge nach hin, doch man ergreift sie sicher.
Sie ist nicht lustig; sie scheint nicht aufgelegt zum Tanzen, denn ihr Kopf, mit einer schleudernden Bewegung, wirft den Turm aus Bambus voll Unmut nach vorn. Sie tut einen ungeschickten Schritt über die eirunden Steine, die die Hütte umrahmen. Draußen angelangt, fällt sie dem Manaia in die Arme, fällt sie auf ein Polster warmer Muskeln, an das Herz des keuchenden Lebens. Der Manaia umfaßt sie und macht zuckende Schritte; das Gefolge gliedert sich an.
Der Takt des Siwa wird wilder.
Kaum streift sie den Boden mehr; ihre Füße fahren rhythmisch durch die Luft. Gellende Verse lohnen ihr; es dröhnt: »Mali'e, Mali'e!«
Ihre Muschelketten klirren, ihre Mattenröcke rascheln; ihre Glieder baumeln und schlenkern . . . Der Manaia schwenkt sie herum. Sie wirbelt in der Flamme seiner tierischen Kraft dahin wie eine bunte Puppe von fremdem Blut, fremdem Puls wild belebend getroffen . . . Es ist, als ob sie ein ärmliches letztes Mal nach Wärme giere, von Sehnsuchtspein nach dem allzufrüh und schändlich geraubten Leben geschüttelt, nun sie sengende Sonne um sich spürt und blendendes Grün; als ob es sie noch einmal nach Licht verlange, nach Gastereien, Nachtgesprächen, Umarmungen und tiefen Atemzügen bis hinauf in ein leidloses Alter. –ū– So tanzt sie ihren letzten Tanz, die Dorfjungfrau Moga-Moga, nach schrillem, hoffnungslosem, verzücktem Takt; so tanzt die Taupou von Safai ihren Totentanz.