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Meine kleine Freundin Isabella! – Ungeduldig und neugierig bist Du wie eine schlechtgezähmte weiße Maus; überall hinein steckst Du Dein schnupperndes Näschen . . . So gestatte mir denn – (um Dich zu dämpfen) –, daß ich Dir hiermit die allerälteste Tempelschildkröte vorstelle, die es vermutlich gibt . . . Wo wir sind, Du verwöhnte Kreatur? – Nun, an einem Ort, der den grellsten Kontrast bildet zu Deiner weltlich-seidenbunten Flüchtigkeit: im Kek-Lok-Kloster zu Ayer-Itam sind wir, bei Penang.
Verlange nicht, daß ich Dir die roten Charaktere deute, die auf dem Panzer der Alten gepinselt sind. Vermutlich ist sie ein Überbleibsel des Schöpfungstages und ist ein wandelndes Memorandum des Lieben Gottes. – Das Antlitz des Ewigen hat so viele Facetten wie ein Fliegenauge; so kann sie sich denn, aus ihrer späteren Jugend, noch gut der Tage entsinnen, da Prinz Gotamo anhub, die Welt zu verachten und der Vervollkommnung entgegenzureisen. Abgesehen darum von periodischen Salat-Opfern ist unsre Freundin inkarnierte Wunschlosigkeit; hochgezüchtete Entsagung. Da sie über ihr wahres Alter selbst Kenner im unklaren läßt, so ist es wohl möglich, daß das Auge dessen, der Tiere zu töten verbot, wie ein Stern über dem Schlammpfad ihrer Jugend wachte . . .
Heute hat man sie ihrer selbstgewählten Absperrung unter Entenfutter und Lotosblättern entrissen und sie auf die Marmorfliesen herausgezerrt. Noch ist sie verschüchtert, denn man hat ihr, um sie zu beleben, mit dem Gongklöppel, womit man nur den tönenden Holzfisch dreschen darf, einen Hieb auf den Rücken versetzt. Ein kleiner Tempelgehilfe hat es getan und eine geflüsterte Rüge des Bruders Pförtner dafür eingesteckt, die ihn völlig zerschmettert hat. Drum ziele auch Du nicht, Isabella, mit Deinem keulenförmigen Sonnenschirm nach ihrem Hornschnabel. Siehst Du: jetzt faßt sie Mut. Diese stinkenden Fischchen machen sie lebendig! Und wir haben unsre Freude an ihrem halspendelnden archaischen Gehaben. Wir stehen ergriffen vor der Tatsache, daß ihr schiefes gelbes Auge schon Dinge spiegelte und mißverstand, die unsre wackeren Hexenrichter genau so verständnislos betrachteten. Und Du wirst mir zugeben, Isabella, daß diese zwei Zentner lebender Schildpattsubstanz ein vertracktes Symbol sind für das Zeitlose und Zähe der Dummheit. Und es wird Dir lieber sein, bald zu enden, aber fröhlich und produktiv, als Dich sehr lange, in Entenfutter eingepökelt, von Generationen gelbgewandeter Mönche in einem Buddhistenkloster verehrt zu wissen . . . Nein; Du bist kein Aushängeschild für Lebensflucht.
Vier Mönche nahen sich nun und schieben, leicht ächzend, die Alte über den Marmorrand in den Teich zurück. Es platscht beträchtlich. Sie geht unter wie ein Fels; nur eine perlmutterne Blase schwankt hervor. Vielleicht grübelt sie in der grünen Dämmerung darüber nach, warum man sie beansprucht hat. Eine festumrissene Vorstellung davon, daß sie von einer Eintagsfliege des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem philosophischen Stoßgebet mißbraucht wurde – (geschweige denn zur Stärkung des Lebensgefühls eines hübschen Mädchens) –, wird ihr wohl kaum kommen. Denn von Rechts wegen, schon aus Anstand, müssen wir uns ihren Pflegern zugesellen, die sich sonnen. Also nimm, Isabella, für die nächste halbe Stunde eine Maske vor! Sei alt und weise!
Werfen wir den Zeitbegriff über die Mauern! – So; – jetzt sind wir ein Klub geworden von höchst privater Observanz. Wir haben den hohen Grad lächelnder Schlauheit erreicht, der hinter Klostermauern gedeiht. Komm' hinüber, auf jene Terrasse, vor den Ausblick auf schlanke Palmenhaine und die neue rosagekalkte Pagode, die Seine kürzlich verblichene Majestät von Siam gestiftet hat und zu deren völliger Kostenabtragung auch wir beisteuern dürfen . . . Hier trinken wir grünen Tee aus altertümlichen Kannen. Servierende Laienmönche, gelbe zischelnde Heinzelmänner, erfreuen uns mit wächsernem Lächeln. Schenken wir uns es, mit ihnen schwatzen und ihre Phantasie in Wallung setzen zu wollen. Ich möchte sämtlichen Greisen der Erde, besonders den emsigen und erfolgreichen, wünschen, daß sie mit einem Blick auf diesen Spielzeugladen der Wunschlosigkeit dereinst ihren letzten Seufzer tun. Es ist dies alles so heiter, so kindlich farbig, und so alt.
Die Entsagung hat sich hier zur Ruhe gegeißelt; sie tändelt nur noch mit dem Hüftstrick. Der Gedanke an Wiedergeburt ist in diese Seelen gesunken wie ein unverrückbarer Stein. – Alles ist eitel; nur zu Gast sind wir bei den Dingen.
Was aber ewig ist – (schenk' Dir noch eine Tasse ein, mein Kind!) – sind diese abgestuften Terrassen mit ihren Teichen voll von Schildkröten und bemoosten Goldfischen – (reich' auch mir noch ein henkelloses Täßchen, doch verbrenne Dir nicht die Finger!) –; sind diese Blumenständer aus Majolika; sind die rotgoldenen Kapellendämmerungen mit ihren feisten, grüngolden bronzierten Dämonen (den geiferspeienden, hier bezwungenen Drachentieren unsrer sterblichen Brust). –
Ewig sind die seßhaften Alabasterphilosophen mit Antlitzen so verschmitzt, so lächelnd-langlidrig.
Ewig ist jene kleine Chinesin, die zwischen gespreizten Fingern schwelende Räucherkerzen hält, herzklopfend darauf bedacht, korrekt zu beten und die lächelnden Antlitze unter Glas nicht zu erbosen.
Ewig sind die nackten braunen Malaienkinder, deren melodisches Gurren über die Terrassen schallt – (o tötet kein Tier und kränkt keines dieser Kleinen!) –; sind die gebrauchsblanken Horoskopstäbchen; sind die Porzellanreptilien auf den Dachfirsten . . . O holder Spuk inmitten blaubesonnter Gelassenheit! O kleiner Albdruck im Mittagsschlaf östlicher Völker! Ewig ist der Summton des Windes in der Gongscheibe; ist der lila Doldenstrauch, von Hummelfliegen umbraust; – bist Du selbst, Isabella.
Denn auch Du kehrst unablässig wieder im Rad der Dinge, tausendfach neu vermummt . . . Und Deine straffe Jugend erschafft stets neue künstliche Daseinsformen als schlauen Protest gegen das alte Übel: – das des Geboren-Werdens und Leben-Müssens – ob man will oder nicht!