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Und wie ich am späten Morgen die Augen reibe, finde ich Luisens Nestchen leer und sie über alle Berge. Ich werfe mich in den Schlafrock, und die Ereignisse des frühen Morgens treten wieder vor den beschauenden Blick. Seltsam und wieder seltsam! – Nathan und Vignerolles und Emilie! – Diese letztere will mir nicht aus dem Kopfe. Offenbar hat sich das einfältige Mädchen – denn das ist sie bei all' ihrer Superklugheit – durch das illustre Wappenschild und die dreihundert Neger blenden lassen. Der Knoten muß aber schon längere Zeit im Knüpfen begriffen sein, und mehr als eine Hand hat damit zu tun gehabt. Wohl, sie will es, und das mit offenen Augen, und folglich hat niemand etwas darein zu reden. Zum Glück ist er ein Ehrenmann, – ein sehr großes, unabhängiges Vermögen, bloß eine einzige Tochter. Aber sechzig, oder wenigstens neunundfünfzig und ein halbes, und achtzehn, – der Abstand ist zu groß!
Und während diese Gedanken in meinen Gehirnkammern zirkulieren, schlüpft Luise im Peignoir herein, ihr Gesicht ein wahres Bulletin von wichtigen Tagesneuigkeiten, ihr auf der Ferse das Kammerzöfchen.
»O du Siebenschläfer! Das ganze Haus ist im Salon, im Garten und Park. Und nur du –«
»Im Schlafrocke. Und das werden die andern auch noch sein.«
»Nichts dergleichen, alle sind bereits in Gala, – der Papa, die Mama, der Graf. Wir müssen eilen mit unserer Toilette.«
»Was, in Gala? Der Papa, die Mama?«
»Alles gratuliert, hat bereits gratuliert; die Sache ist abgetan.«
»Was ist abgetan?«
»Mein Gott, was ist abgetan!« ruft sie ungeduldig. »Der Graf hat feierlich um Miß Emilie Warren angehalten, und sein Antrag ist nicht nur angenommen – nachmittags soll bereits die Einsegnung vor sich gehen. Es ist hinauf zum Père Hilaire und hinab zum Squire Turnip gesandt worden.«
»Das geht doch wirklich ein bißchen rasch, ich möchte sagen, zu jugendlich ungeduldig rasch. Diese Sehnsucht! Man sollte beinahe glauben – er will eilen, damit er nicht übereilt wird.«
»Aber die Angelegenheit ist schon lange im Zuge, seit länger als einem halben Jahre im Zuge.«
»Was, seit länger als einem halben Jahre im Zuge? Nach deinen Worten wäre also Emilie mit dem Grafen und Doughby zu gleicher Zeit in Verhältnissen gestanden?«
»Ganz und gar nicht. Sie stand nie mit Doughby in Verhältnissen. Alles rührte bloß von Mistreß Houston her, die damals ganz für Doughby gestimmt war und Emilie zwang, seine Bewerbungen zuzulassen. Sie war nie für Doughby, war fest entschlossen, so wie sie nur aus dem Bereiche der Tante käme, sich gegen ihn unumwunden auszusprechen.«
»Das ist ja wieder eine so verwickelte Geschichte, daß man absolut nicht klug werden kann. Aber erlaube mir nur, zu bemerken, teure Geheimrätin, daß Emilie in diesem Falle ein wenig weit gegangen. Sie hat Präsente von Doughby angenommen.«
»Weil sie mußte, weil Mistreß Houston für Mister Warren eine bedeutende Bürgschaft in Neuorleans übernommen. Höre nur, der Graf hatte ihre Bekanntschaft in der Hauptstadt auf dem Balle der Tante M–y gemacht, auf den sie gleichfalls geladen war. Die alte Baronesse bemerkte schon damals, daß sie auf ihn Eindruck gemacht, und wir, Julie und ich, spürten gleichfalls etwas dergleichen und zogen ihn damit auf. Der Graf schien die Sache ernsthaft zu nehmen, und so viel wir entnehmen konnten, wurde eine kleine ehrbare Intrige enfiliert und damit der Anfang gemacht, daß die Baronesse Emilie einen merkbaren Wink über die Eroberung, die sie gemacht, gab, bei welcher Gelegenheit sie natürlich die Eigenschaften unseres lieben Papa Vignerolles recht eklatant hervorhob. Weiter aber, als daß Tante M – y Emilie die Aussicht eröffnet, Gräfin von Vignerolles und eine der reichsten und geachtetsten Damen des Landes zu werden, weiter geschah damals gar nichts.«
»Aber das war, sollte ich glauben, genug, einer superklugen, halb erfrorenen Yankeein, die für Dollars ihr bestes Herzblut versilbern würde, den Kopf zu verdrehen.«
»Ganz und gar nicht. Wohl mag es sie in ihrem Entschlusse, Doughby bei erster Gelegenheit den Laufpaß zu geben, bestärkt haben; aber dieses wurde von dem Grafen ganz und gar nicht beabsichtigt.«
»Ganz und gar nicht beabsichtigt! Warum denn also die Insinuation?«
»Mein Gott! Warum denn also die Insinuation! Warum? Weil der Graf, du weißt, du kennst seine Delikatesse, seinen Zartsinn.«
»Ja, Zartsinn! Der Henker hole diesen Zartsinn, Delikatesse und Finesse; darin ist er Meister. Welcher Cidevant wäre es nicht?«
»So höre doch nur«, unterbricht mich Luise ungeduldiger. »Der Graf, der etwas von einer Liaison zwischen Doughby und Emilie erfahren, und daß diese Liaison vorzüglich durch Mistreß Houston herbeigeführt worden, benahm sich gewiß auf die delikateste Weise. Er wollte sich, trotz allem Zureden der Baronesse, Emilie um keinen Preis weiter nähern, obwohl die Baronesse M – y aus dem Benehmen Emiliens sehr wohl absah, daß ihr die Partie mit dem Grafen gar nicht gleichgültig wäre. Aber mit seiner gewohnten Delikatesse äußerte er sich: er fühle nur zu wohl, daß mit seinen fünfundfünfzig Jahren –«
»Neunundfünfzig und ein halbes, mit Erlaubnis, Madame«, verbesserte ich.
»Unterbrich mich nicht mit deinen neunundfünfzig und einem halben. – Also mit seinen neunundfünfzig Jahren in die Schranken mit Doughby zu treten, fühle er wohl, müßte ein Ridikül auf ihn werfen, sagte er. Er müsse also Baronesse M–y dringend ersuchen, keine weiteren Schritte weder bei Mistreß Houston noch Mister Warren oder Emilie zu tun. Er weigerte sich absolut und standhaft, ihre Freiheit durch sein Vortreten auch nur im mindesten zu beschränken. Ja, er tat mehr, er erklärte, er sähe es lieber, sie würde selbst in ihrem Entschlusse, Doughby die Hand zu geben, bestärkt. Das war seine Äußerung.«
»Seltsame, unerhörte Großmut!« rief ich. »Leben wir denn noch immer im Jahr eintausendachthundertundachtundzwanzig, oder! – beinahe sollte ich glauben, wir haben einen Rücksprung in das Säkulum des Königs Artur und seiner Tafelrunde getan.«
»Ah, er ist wirklich in jeder Hinsicht ein edler Mann, eine Perle, George. Du weißt aber vielleicht nicht, daß zwei Wochen nach der Abreise der beiden Warren und Doughbys er gleichfalls hinauf in den Norden ging, um das Wasser von Saratoga zu trinken. Natürlich war er der festen Meinung, die Hochzeit sei bereits vorüber. Als er aber in Saratoga ankam, erfuhr er die Wendung, welche die Dinge genommen, von Emilie selbst, die er während seines Aufenthaltes zum Gegenstande des Neides aller Nordländerinnen machte. Seine Equipagen standen ihr zu Diensten. Du weißt, seine Einkünfte belaufen sich nahe an hunderttausend Dollars.«
»Ja, die Equipagen. Das ist die Hauptsache.«
»Das Benehmen Emilies ließ ihm wohl nichts zu wünschen übrig, und jetzt erst erlaubte er sich Schritte bei den Eltern. Höre nur weiter und urteile, mit welcher Delikatesse.«
»Er erklärte den Warrens offen seine Absichten auf ihre Tochter, sagte ihnen, daß das ruhige, würdevolle und so fein geschliffene Betragen Emilies ihm Bürgschaft für eine glückliche Ehe und ein Verhältnis sei, wie er es gerade wünsche, und daß er so zu dem Entschluß gekommen, ihr seine Hand anzutragen; jedoch halte er es ebenso für notwendig, allen Täuschungen nach Kräften den möglichen Spielraum zu versagen und Miß Emilie ganz freie Wahl und hinlängliche Zeit zur Überlegung zu lassen. Sie würden, sagte er, seine Absicht nicht verkennen, wenn er ihnen einen etwas eigenen Weg vorschlage, den er aber Emilie, seinem Alter und sich selbst schuldig sei. Er habe deshalb nicht bei der Tochter, sondern vielmehr bei ihnen, den Eltern, angefragt, teils um die Freiheit Miß Emilies sicherzustellen, teils um sich nicht dem Ridikül eines Korbes preiszugeben.«
»Wohl, liebe Luise, willst du so gut sein, diesen preziösen eigenen Weg weiter zu verfolgen, oder wenigstens anzudeuten, damit wir endlich zum Ausweg aus diesem überdelikaten diplomatischen Matrimonial-Labyrinthe kommen?«
Luise schüttelt ungeduldig das Köpfchen. »Er bat die Warrens, Emilie von seinen achtungsvoll ergebenen Gesinnungen und Absichten zu unterrichten und ihm ihren Entschluß, nicht schriftlich, nicht mündlich, sondern tätlich kundzutun. Es würden nämlich durch Vermittlung einer der ersten Damen von Neuorleans Schritte bei Mistreß Houston getan werden, um sie zu vermögen, Miß Emilie sogleich in ihr Haus zurückzuladen. Die Annahme dieser Einladung würde er für gleichlautend mit der Annahme seines Antrages betrachten. Dann erst würde er förmlich um die Hand Emilies anhalten und sie, die Eltern, um so mehr bitten, ihre Hände ineinander zu legen und zu dem Endzwecke herab nach Louisiana zu kommen, als, soviel er gehört habe, die Angelegenheiten Mister Warrens ohnedem seine Gegenwart in Louisiana erheischten und diese durch seine Vermittlung am schnellsten abgetan würden.
Die Eltern nahmen diesen Vorschlag an, und Emilie wurde vierzehn Tage darauf von Tante Houston in den zärtlichsten Ausdrücken gebeten, wieder ihr Haus durch ihre Gegenwart zu beglücken. Sie kam natürlich, Mistreß Houston hatte unterdessen von Baronesse M–y einen Wink erhalten, und so arrangierte sich das Ganze ohne Zwang, und vor einer halben Stunde –«
»Ging der Graf als Gewinner aus dem Spiele davon, das wäre also das Ergebnis. Gar nicht übel, obwohl zu viel Diplomatik dabei im Spiel war; für glücklich werden sollende Ehen aber, liebe Luise, sind diese diplomatischen Kunstgriffe selten gute Vorläufer. Wollen unterdessen das Beste hoffen.«
»Aber was willst du, George? Freilich ist er sechzig Jahre, oder wollte ich sagen neunundfünfzig, aber noch immer ein schöner Mann, und sein Rang, sein Vermögen.«
»Alles recht! Für Emilie mag dieses wohltun, aber glaube mir –«
»Ah! Nun kann ich mir so manches erklären, was mir damals unerklärbar war. Die mysteriöse Anspielung Papas, als ich das erstemal mit Euch heraufkam, den Tag nach unserer Bekanntschaft.«
»Welche Anspielung?«
»Auf meine fünfzehnhundert Meilen lange Irrfahrt, um die schöne Miß Emilie Warren zu sehen und zu spät zu kommen; und den haut ton der Hauptstadt, der ihm in den Ohren gesummt. Wohl, ich bin es zufrieden. Beneide ihn nicht. Bin mit dem zufrieden, was ich habe, und gäbe es nicht für zehn Emilien. Nicht wahr, Luise?«
»Gäbest du es nicht? Und doch scheint dich etwas zu pikieren.«
»Ganz und gar nicht. Gratuliere der Miß, daß sie glücklich unter die Haube kommt, und zwar unter eine reiche Haube, denn das war doch für sie die Hauptsache.«
»Aber kostete doch einige Mühe, und viele Köpfe mußten in Bewegung gesetzt werden – selbst Papa.«
»Auch der?«
»Mußte er nicht? Beinahe hätte sie ihm, du weißt ja, als Doughby uns den furchtbaren Streich spielte – Charles war, ich kann selbst nicht begreifen –«
»Ganz in Feuer und Flammen; – gefangen.«
»Ja, es kam Papa sehr ungelegen – denn die Liaison mit Adelaide war zwischen Madame Lacalle und Papa so viel als beschlossen. Er war damals sehr böse.«
»Und wahrscheinlich wußte Charles so wenig wie Julie, die den Bearmill, wie Doughby ihn nennt, zu beglücken bestimmt war, daß er Miß Lacalle ins Brautgemach führen sollte.«
»Im Gegenteil, sie lieben sich von Kindesbeinen an, nur war sie ihm seit den letzten fünf Jahren aus den Augen gerückt, weil sie mit Genievre in der Abtei in Paris war, wo sie ihre Erziehung erhielt. Die Verlobung soll heute gleichfalls stattfinden, die Einsegnung zu Weihnachten.«
»Das geht ja wahrhaftig Schlag auf Schlag.«
»Das ist noch nicht alles. Ahnst du nicht? Auch Genievre.«
»Genievre?«
»Auch mit ihr ist's richtig. Darum kam D'Ermonvalle herüber. Sie erhält die Besitzungen des Grafen in Frankreich, den Anteil, der ihm von der Milliarde zugefallen, und eine bedeutende Summe, um die Familiengüter wieder herzustellen. Dagegen behält sich der Graf das, was er in Louisiana erworben, zur freien Disposition vor. Es ist bedeutend, denn er hat über dreihundert Neger, und Emilie kann sich glücklich schätzen.«
»Wohl, diese Einteilung und Verteilung seiner Glücksgüter zeigt auf alle Fälle einen höchst klugen, billigen und achtungswerten Charakter. Ich glaube jetzt selbst, Emilie wird mit ihm glücklich sein. Er ist wirklich ein Ehrenmann, das beweist auch seine unwandelbare, jede morgue aristocratique so ganz verleugnende Freundschaft für Nathan.«
»Ah, Nathan! Weißt du aber, daß dieser Nathan auch ein gewaltig reicher, großer Mann ist, für den auch ein Graf Freundschaft haben kann, ohne sich etwas zu vergeben?«
»Gewaltig reicher, großer Mann, der Squatter-Regulator?«
»Er ist nicht Squatter mehr. Er ist jetzt Besitzer eines Landstriches von mehreren hunderttausend Ackern, eines Landstriches, größer als irgend eine Paroisse So werden die alten Counties oder Grafschaften in Louisiana genannt. in Louisiana.«
»Besitzer aus eigener Machtvollkommenheit, solange ihn die Mexikaner nicht weiter treiben.«
»Nein, er hat für sein Land, das mehrere zwanzig Stunden lang und breit ist, von der mexikanischen Regierung eine Schenkung erhalten.«
»Das wäre! Und wie hat er dieses Wunder bewirkt?«
»Erinnerst du dich des jungen Mexikaners, der, als du mit uns heraufkamst, in unserem Hause so zurückgezogen lebte? Er war einer der mexikanischen Generale, die in der vorletzten Revolution zu flüchten gezwungen wurden. Es gelang ihm, bis nach Texas zu entkommen, wo ihn aber seine Verfolger einholten und er ohne die Dazwischenkunft Nathans und der Seinigen ermordet worden wäre. Nathan trieb die Verfolger ab und behielt den General und seine Frau mehrere Wochen lang bei sich; dann sandte er ihn zum Grafen, der ihn wieder Papa vermachte, weil von hier die Verbindung mit Mexiko leichter ist. Gerade an unserem Trauungstage kam die Nachricht, daß eine neue Revolution seine Partei wieder an die Spitze gerufen, und denselben Tag ging er über die Grenze. Einige der Söhne und Enkel Nathans begleiteten ihn bis tief ins mexikanische Gebiet, und zum Dank erhielt Nathan vor einigen Wochen die Schenkung.«
Und während mein liebes Weibchen referiert, wird sie so ungeduldig unter den Händen der Zofe; sie zuckt und windet und dreht sich; aber so wichtig die Toilette ist, die Relation ist es mehr, – alles muß zuerst heraus, ehe diese ihren Teil bekommt.
»Holla Howard!« ruft es von der Tür. »Noch nicht segelfertig?«
»Das ist der tolle Doughby.«
»Alles ist in Jubel und Glorie, lieber Schwager. Bräute und Bräutigams in Hülle und Fülle. Der alte Turnip ist heraufbestellt. Doch kommt! Alle fragen, wo Ihr steckt.«
»Wir kommen, wir kommen, lieber Doughby, nur einen Augenblick Geduld.«
Endlich ist die letzte Nadel angesteckt, und wir ziehen aus, die Herrlichkeiten zu sehen. Der erste, der uns in den Weg kommt, ist Amadee, in der allergrößten Gala, einen enormen Blumenstrauß am Busen. Dann rennt Papa an uns an: »Wo seid Ihr, Kinder? Geschwind, das Frühstück wird gleich aufgetragen.« Dann stürmt Hauterouge an uns vorbei. »Ah, teure Luise! Liebster Howard! Kommen Sie doch.« Und ein Dutzend mehr schwirren an uns vorbei und dem Garten zu.
Und im Garten flimmert und rauscht es in lauter hochzeitlichen Kleidern. Genievre und D'Ermonvalle, und Charles und Adelaide, und der Graf und Emilie, und wir hinter ihnen, und rund um sie eine so liebliche bewegliche Flora! Wie sie sich jetzt der Piazza zu bewegt, von der die Glocke das Zeichen zum Frühstück gibt, konnte ich mich nicht enthalten, einen Augenblick stille zu stehen, um sie zu betrachten.
Unter ihnen ragt der alte Nathan wie eine tausendjährige Lebenseiche oder ein gotischer Dom über die ihn umgebende Pflanzen- oder Häuserwelt empor, ein ehrwürdiges Bild unverwüstlicher Kraft, unbezwingbarer Ausdauer. Er sticht in seinem Lederwamse, Inexpressibles und Linseywoolsey-Rocke so grell gegen die eleganten Fashionables und die allerliebst um ihn herumtrippelnden und schwebenden Dämchen ab, aber in den eisernen Zügen, den mild leuchtenden Augen und der unbeschreiblichen Ruhe, die über sein ganzes Wesen ausgegossen ist, liegt wieder etwas so imposant Ehrwürdiges, als die personifizierte praktische Lebensweisheit, die Selbsterziehung je zuwege gebracht. Mir wird nun das innige Verhältnis des Grafen zu ihm klar. So schlingt sich die Rebe um den kräftigen Stamm. Wie ich ihn sehe, Hand in Hand mit seinem Freunde und Emilie, klingt mir der zart tröstende Zuruf Coleridges in den Ohren:
Hath he not always treasures, always friends
The great good man? Three treasures, love and light
And calm thoughts, regular as infants breath.
Hat er nicht jederzeit Schätze, Freunde, der gute, große Mann? Drei Schätze, Liebe, Licht und Seelenruhe, so regelrecht als des Kindes Odem!
Und schweigend drücke ich dem Grafen die Hand, mein Blick spricht mehr als meine Worte.
Es herrscht eine mehr feierliche als fröhliche Stimmung, wie bei Leuten, die nach langen Stürmen endlich in den Hafen eingelaufen, erst allmählich ihre vorige Lustigkeit wieder gewinnen. So waren wir in stiller Freude in den Saal eingezogen, still hatten wir die Sitze genommen.
Da erhob sich nach einer Weile Nathan lang und langsam, in seiner Hand das gefüllte Madeiraglas.
Wir schauten den Greis erwartend an.
»Mitbürger und Mitbürgerinnen! Freundinnen und Freunde! Und besonders Ihr, teurer Freund und Oberst, und geehrte Landsmännin und Braut! Erlaubt mir, einem alten Manne, seinem Toast ein paar Worte voranzuschicken.
Habe von achtzig Jahren fünfzig verlebt, ohne zu kennen, was man einen Herzensfreund, einen sich selbst vergessenden Freund nennt, einen Freund, treu bis in den Tod. Hatte zwei Freunde, auf die ich mich immer verlassen, und die mich auch nie verlassen. Und war der eine – der große Freund droben, und war der andere – mein Selbst. Und waren das die beiden einzigen wahren Freunde, und kalkulierte nicht, daß es noch einen dritten geben könne. Gab aber einen dritten, und zwang sich dieser dritte in mein Herz ein und meine Seele, und lehrte mich etwas kennen, das ich auf dieser Erde nicht kennen gelernt hatte: wahre Freundschaft. Und sind nun dreißig Jahre, daß ich kenne, dreißig Jahre, daß ich weiß, was Freundschaft ist, was ich in meinen früher verlebten fünfzig Jahren nicht gekannt, nicht gewußt. Und preise ich diese glückliche Kenntnis und will sie in Ehren halten alle Tage meines Lebens, und sollen es meine Kinder. Habe aber die Notion, tritt jetzt wieder ein dritter Freund zwischen uns beide, teurer Freund und Oberster! Und wäret Ihr dreimal daran, hinüber zu scheiden in das Land Eurer Geburt, und dreimal wichet Ihr meinen Bitten und bliebet eine Zierde des Landes Eurer Wahl, ein Vater Eurer Schwarzen. Und seid Ihr, liebe Landsmännin, diese dritte, die uns den Freund im Lande festhalten soll. Und bitte ich Euch also, ihn festzuhalten, den loyalen Untertan seines Fürsten, die Zierde seines Adoptivlandes, den milden Vater seiner Schwarzen. Bin der festen Notion, Ihr werdet ihn festhalten und seine Tage ihm versüßen bis ins späteste Alter, und ihm liebende, treue Gattin sein. Und bringe ich Euch beiden jetzt meinen Glückwunsch und trinke auf Euer Wohl und auf die Fortdauer unserer Freundschaft hier und dort droben!«
»Hier und dort droben!« fielen wir alle bis zu Tränen gerührt ein, während die beiden schluchzenden Freunde sich umschlungen hielten.
Mögen die drei Freunde hoch leben, und lange!
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