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»Wir zogen also«, fuhr der Graf fort, »in die kleine Pflanzung ein, die Amadee von Monsieur Berthoud für uns gepachtet hatte; – obwohl nicht ganz zur Zufriedenheit unserer neuen Freunde, – wie Sie später hören werden.
Sie war beiläufig zehn Stunden von dem eigentlichen Kirchspiele der Attacapaer – und fünf von Madame Lacalles Pflanzung gelegen; – ein mürbes Fachgebäude wie alle Pflanzerhäuser, – mit breitem, vorspringendem Dache, einem Erdgeschosse, das zwei große Zimmer enthielt, die wieder mit Galerien umgeben waren, – weiter zurück ein Speicher, in dem unsere Leute schliefen, und im Hintergrunde drei Negerhütten, in denen unsere Milchkuh und die vier Schwarzen logierten: das Ganze von einigen Dutzend Katalpas überschattet. Etwa zwanzig Acker waren mit Welschkorn bepflanzt, das wir mit Monsieur Berthoud zur Hälfte hatten, das übrige war Urwald.
Schlicht, wie unsere neue Behausung aussah, traten wir unter das wettergebräunte Zypressendach mit einer Mischung von Gefühlen, die nur derjenige würdigen kann, der so wie wir im Schoße des Überflusses aufgewachsen, zehn Jahre auf der stürmischen See des Bürgerkrieges umhergetrieben, endlich wieder eine Erdscholle betritt, auf der er sein Haupt ruhig niederlegen kann. Wir standen einige Augenblicke an der Schwelle, einander anblickend und gerührt die Hände drückend, dann fielen wir uns bewegt in die Arme. Unsere Stimmung hatte einen Anklang von Religiösem.
Amadee hatte, wie eine gute Hausmutter, für jene kleinen Bequemlichkeiten Sorge getragen, die nirgends schwerer als in diesem Lande entbehrt werden, das doch die gröberen Bedürfnisse des Lebens wieder in so reichlichem Maße spendet. An den Ecken der Galerie hatte er in der Eile einige Schlafkabinette anbringen lassen, in denen unsere Betten, mit Moskitovorhängen versehen, standen, – von der Soupertafel lachte uns frisches Weizenbrot entgegen, ein Luxusartikel in dieser Gegend, den damals selbst die reichsten Pflanzer sich versagen mußten, mit einigen zarten jungen Outards Die oie cravattée Buffons; sie ist bedeutend größer als die gewöhnliche Gans, ihr Fleisch wohlschmeckend; um den Hals hat sie einen schwarzen Ring., die Jean geschossen. Freilich mußten wir uns statt Lafittes mit Kaffee und Milch und statt Champagners mit Ananaspunsch behelfen, aber der Abend war einer der fröhlichsten, den wir je verplauderten. Mehrere unserer Freunde, worunter Messieurs Bossompierre, Lacalle und der Kommandant, hatten uns begleitet, um, wie sie sagten, uns in unserer neuen Residenz zu installieren. Wir blieben bis Mitternacht beisammen und schliefen dann – seit Jahren hatten wir keine so ruhige Nacht gehabt.
Mit dem folgenden Morgen begann unser Pflanzerleben.«
»Bin sehr begierig, zu erfahren, wie Sie sich in Ihren neuen Verhältnissen gefielen«, meint Doughby.
Der Graf zuckte leicht die Achseln. »Je nun, wir taten anfangs so ziemlich, was wir die andern auch tun gesehen hatten – eher noch etwas mehr. Wir standen morgens um fünf Uhr auf, jäteten, hackten in den Welschkornfeldern oder dem Garten, was, wie Sie wissen, kein Pflanzer tut, nahmen hierauf eine Tasse schwarzen Kaffees, arbeiteten wieder eine Stunde, frühstückten und ergingen uns gegen den Chetimachas zu, in den hier ein kleines Bayou einmündet, um unser Mittags- und Abendmahl zu schießen. – Wild und Wassergeflügel war und ist noch immer in solchem Überflusse vorhanden, daß Sie bloß vor die Türe zu gehen brauchen, um Ihren Bedarf für die ganze Woche in kurzer Zeit zu erlegen. Bei zunehmender Hitze zogen wir uns in die Galerie zurück und schrieben, lasen oder musizierten. Ich und Lassalle spielten die Violine, Hauterouge blies die Flöte; der Mittag fand uns in der Regel bei gutem Appetit. Nachmittags ward eine Partie Billard gespielt, das wir uns gleichfalls in den ersten Tagen zusammengestümpert hatten; – zuweilen kamen Gäste, Monsieur Bossompierre oder der Kommandant, ein fröhlicher Picarde, – doch war dies nicht häufig der Fall, die Pflanzung war zu sehr entlegen; – zu unserem nächsten Nachbar hatten wir eine volle Stunde.
So vergingen die ersten vierzehn Lage leidlich, die nächst darauffolgenden schon weniger so.
Es fehlte uns so manches, auf das wir Verzicht zu leisten hatten, was uns allmählich härter fiel, als wir uns vorgestellt – denn man entbehrt leichter im abenteuerlich bewegten Kriegerleben als in der stillen Zurückgezogenheit eines geregelten Haushaltes, – und wir mußten wirklich vieles entbehren. Es war keine Rede von der Befriedigung jener Bedürfnisse, die dem höhern gesellschaftlichen Leben so unentbehrlich geworden sind. – In dem ganzen Kirchspiele waren bloß zwei Krämer, der nächste etwa sechs Stunden von uns, und die Buden beider enthielten kaum etwas anderes als Schnupf- und Rauchtabak, Pulver und Strohhüte, Messer und Gabeln und Wolldecken. Unser Keller war nur schlecht versehen, ein paar Bouteillen Bordeaux und Madeira für unvorhergesehene Fälle wie ein Schatz aufbewahrt; – so begann uns unser Pflanzerleben allmählich unbequem zu werden. Wir trösteten uns zwar über diese Schattenseiten mit der Hoffnung, die kommenden Kontraste würden sie um so angenehmer aufhellen; wir schwelgten in Ermangelung der Wirklichkeit in Träumen der Zukunft, aber es waren doch nur Träume, deren Realisierung im weiten Felde lag. Das Land war ein Paradies, das alles im Überfluß, beinahe ohne die mindeste Mühe gab; – es lag nur an uns, eine glückliche Existenz zu gründen; – aber bis dahin konnte eine geraume Zeit vergehen, die unsere Geduld auf eine harte Probe setzen mußte, wenigstens hatte es allen Anschein dazu. Die Schwierigkeiten, die bei unserer Ansiedelung zu überwinden waren, häuften sich; selbst mit unserer Schenkung hatte es ein eigenes Bewandtnis. In dem Instrumente war eine Strecke von 4000 Arpens, zwischen dem Teche und Vermillon, westlich vom Chetimachas für meine Familie reserviert, ohne daß die näheren Grenzen bestimmt gewesen wären. Es war mehr ein Vorbehalt, den der Abtretungskommissär unserer Regierung zugunsten seines Gönners, meines Großvaters, ausbedungen, als er Louisiana an den spanischen Bevollmächtigten übergab. Der Kommissär hatte von der Schönheit des Landes, der Milde des Klimas, der Fruchtbarkeit des Bodens offiziellen Bericht erhalten, war aber selbst nicht an Ort und Stelle gewesen. Es kam also darauf an, die viertausend Arpens gewissermaßen aus den verschiedenen später durch die Gouverneure bewilligten Schenkungen herauszuschneiden und soviel als möglich Unannehmlichkeiten und Prozesse zu vermeiden. Die Sache war nicht leicht, es gehörte dazu eine vollkommene Aufnahme des Terrains, eine genaue Kenntnis und Angabe der verschiedenen von den Einwohnern des Kantons angesprochenen Ländereien, – was um so schwieriger wurde, als der Kommandant seinen Posten erst kurz vor unserer Ankunft angetreten, sein Vorgänger, Monsieur Desclouettes, gestorben, und um die Verwirrung vollkommen zu machen, seinen erwachsenen Söhnen den Haß des sämtlichen Kirchspieles der Kreolen zum Erbteil hinterlassen hatte.
Während der fünfzig Jahre, die seit der Ansiedelung verflossen, hatten sich nämlich zahlreiche Herden sogenannter Maroon-Rinder in den Wäldern und Wiesen der Kantons gesammelt, die herrenlos und ungezeichnet von den Einwohnern als gute Beute, vorzüglich ihrer Felle halber, gejagt und getötet worden. – Bei diesen Jagden hatte es sich nun häufig ereignet, daß auch gezeichnete Rinder mit unterliefen. – Darüber waren Klagen entstanden, die den letzten Kommandanten bewogen, Hausuntersuchungen zu veranstalten, infolge welcher bedeutende Vorräte von Rinderhäuten bei mehreren der reichsten Pflanzer vorgefunden wurden. Die Gefängnisstrafe, die ihnen dafür zuerkannt ward, hatte bei diesen stolzen, einigermaßen verwilderten Herdenbesitzern einen tödlichen Haß gegen den Kommandanten und seine Familie zurückgelassen, der sich, wie es bei rohen leidenschaftlichen Gemütern häufig der Fall zu sein pflegt, auf alle jene erstreckte, die in irgendeiner Berührung mit den Desclouettes standen. So war im Kantone eine totale Spaltung entstanden; die alten Kreolen oder sogenannten Adeligen von der einen Partei, die Desclouettes, an die sich die Akadier angeschlossen, von der andern, und wir in der Mitte, wenn nicht zwischen zwei Feuern, doch zwischen zwei Stühlen.
Diese Spießbürgerfehde, so lächerlich sie im Munde des Kommandanten, der sich über beide Parteien lustig machte, auch klang, kam uns recht sehr ungelegen, da die Attacapaer oder Adeligen mit dieser wichtigen Streitfrage ihre Köpfe dergestalt angefüllt hatten, daß ihnen weder Zeit noch Lust erübrigte, auch nur einen Fuß für uns in Bewegung zu setzen, und die Akadier oder einen der Desclouettes anzusprechen, würde uns als nicht viel weniger denn offenbare Landesverräterei ausgelegt worden sein. So waren wir denn auf unsere eigenen Resourcen beschränkt, und Gott weiß es, armselig genug waren diese Resourcen.
Wir versuchten es, die Landschaft gegen den Vermillon hinüber auszukundschaften, um einen Lokationsplan zu entwerfen, allein, unser Eifer kühlte bald ab.
Der Europäer, dessen Augen an abgegrenzte Fluren, Felder, Wiesen und Wälder gewöhnt ist, hat gar keine Idee von der Verwirrung, ja Bewilderung, die den Neuling bei seinem Eintritt in diese endlos scheinenden Wiesen und Waldwüsteneien ergreifen. Es ist ein wahrer Schwindel, der ihn befällt – er fühlt, bewildert, sinnlos, wenn er allein oder in Gesellschaft weniger sie betritt. Es ist ihm, als ob er in die Fluten des Ozeans gestoßen, mit den die Sinne betäubenden Wellen kämpfte. Wir hatten es versucht, in westlicher Richtung gegen den Vermillon vorzudringen. Es ging, solange wir uns an die Wiesen hielten, obwohl wir häufig bis an den Gürtel im Sumpf versanken; allein, als wir in die furchtbaren Zypressenwälder kamen, bewohnt von Tausenden von Alligatoren, Tortue-Krokodilen und Reihern und Nachteulen, mit höchstens einem vermoderten Baumstamme hie und da, um zu fußen, und wo uns ein Fehltritt zwanzig Fuß im schwarzen Schlamme begraben mußte, verging uns die Lust. Wir versuchten es auf der andern Seite, durch Liquidambar- und Immergrüneichenwälder einzudringen; Dornen von ungeheurer Länge und Dicke und Lianen rissen uns in der ersten Stunde unsere Kleider in Fetzen.
Wir verwünschten das heillose Land und unsere Schenkung dazu und kehrten mißmutig in unsere vier Pfähle.
Oh, wie seufzten wir nach unserem Frankreich, nicht nach den göttlichen Soirées bei der St. Genievre, den brillanten Sophie Arnoults – ihren feinen Witzen, ihren herrlichen Weinen, nein, nach einem kleinen, noch so kleinen Fleckchen. – Meine Großmutter hatte noch im Jahre 81 vom Könige zwei Generalleutnantsstellen und eine Kavalleriebrigade für ihre Familie erhalten – ihr Enkel! – Ich war oft halb in Verzweiflung.
Wie gesagt,« fuhr der Graf fort – »wir wurden ungeduldig. Wir hatten uns die Sache leicht vorgestellt – glaubten mit unsern Resourcen ohne weiteres uns niederlassen, Häuser bauen, Felder bestellen zu können; – da standen wir, Welschkorn aushülsend, grabend, hackend, Siestas haltend, froh, mit saurer Milch unsern Durst löschen zu können. Mit all unsern Geldresourcen und Wechseln und Barschaften waren wir nicht imstande, uns ein Dutzend Bouteillen Champagner zu verschaffen.
Wir mochten bersten vor Ungeduld. Wir glaubten keine Zeit verlieren zu dürfen, und die Wahrheit zu gestehen, so hatten wir auch keine zu verlieren; ich hatte mein dreißigstes Jahr zurückgelegt. Lassalle und Hauterouge zählten einige Jahre weniger. Wir zwei, nämlich Lassalle und ich, hatten unsere Verlobten in Frankreich zurückgelassen, denen wir einen Herd, eine Hütte zu bauen vor Begierde brannten; – da saßen wir, – weder vor- noch rückwärts kommend, und die ewigen Geschichten der guten Attacapaer anhörend. Zwar wäre es uns ein Leichtes gewesen, uns in eine eingerichtete Pflanzung hineinzusetzen, – mehrere waren uns dringend, ja ungestüm zum Kaufe angeboten worden. Man hatte es sogar seltsam gefunden, daß wir nicht kauften, – allein wir hatten unsere guten Gründe. Was wir von dem damaligen Pflanzerleben sahen, war nicht geeignet, es uns von einer liebenswürdigen Seite darzustellen. Wir verstanden zudem nichts von dieser Wirtschaft, hatten unüberwindliche Abneigung gegen die Sklaverei, auch war uns klar geworden, daß nur fortwährende leichte Beschäftigung in diesem entnervenden Klima vor jenem Faulfieber schützen konnte, von dem wir die guten Attacapaer mehr oder weniger angesteckt fanden. Denn daß Weiße das Land, ohne ihrer Gesundheit zu schaden, bebauen können, sahen oder hörten wir vielmehr von den Akadiern, die großenteils ihre Felder ohne Sklaven bearbeiteten und dabei gediehen.
So war unsere Lage in den Attacapas nach Verlauf der ersten fünf Wochen beschaffen.
Das Klima hatte gleichfalls das Seinige beigetragen, uns mit Anwandlungen jener salzig-galligen Laune zu überraschen, die uns an den Kreolen und vorzüglich an ihren Damen so unangenehm berührt hatte; dazu die Milliarden Moskitos, die uns umsumsten, wo wir gingen, standen, saßen, bei Tag, bei Nacht. Unsere Lage war wirklich zum Verzweifeln.
Es war an einem heißen Septembernachmittage. Wir kamen von einem Besuche bei Bossompierre zurück, demselben Pflanzer, bei dem wir unser Absteigequartier nehmen sollten. Wie wir langsam, über unsern Häuptern die Sonnenschirme, durch die Gassen unserer Welschkornfelder dem Wohnhause zuritten, schallte uns vom Hofe gräßlicher Lärm und Geheul entgegen. Wir ritten schneller und erblickten zwei unserer Leute, die einen der gemieteten Neger peitschten. Ich schrie schon von weitem den beiden zu, inne zu halten, und viel hätte nicht gefehlt, ich würde die Peitsche auf ihren Rücken haben tanzen lassen, so fühlte ich mich empört. Amadee, der dabei stand und dem ich darüber Vorwürfe machte, unterbrach mich durch die Nachricht, daß der Neger die Strafe verdiene, denn durch seine Schuld sei die Milchkuh ausgebrochen.
Diese Worte trafen uns wie ein Donnerschlag.
Unsere Milchkuh ausgebrochen, an der unsere ganze Existenz hängt?
›Es ist leider so‹, bekräftigten uns unsere Leute.
Sie wissen,« unterbricht sich der Graf in seiner Erzählung, »daß der Reichtum der Attacapaer damals vorzüglich in Herden bestand, da der Baumwollen-, Zucker- und Reisbau, nur von wenigen betrieben, noch in seiner Kindheit lag. Diese Herden waren sehr zahlreich. Manche Kreolen besaßen an die viertausend Stücke und darüber, die im halbwilden Zustande auf den Wiesen und in den Wäldern herumliefen und jährlich einmal, höchstens zweimal, auf ein paar Tage in die sogenannten Corailles Einzäumung, Hürde. getrieben und da gezeichnet und wie man es nannte, adouciert An den Anblick von Menschen gewöhnt werden. wurden. Das war und ist jedoch bloß bei den tätigeren Herdenbesitzern der Fall. Viele sehen ihre Herden oft jahrelang nicht. Diese unverantwortliche Nachlässigkeit hat wieder zur schlimmen Folge, daß die Tiere, der Hitze, dem Überflusse, dem Mangel und Froste gleich ausgesetzt, trotz ihrer Schönheit in der Regel an irgendeiner innern Krankheit leiden, gewöhnlich verdorbenes Blut oder angesteckte Leber, und daher zur Benützung nicht wohl taugen. Es hatte Roche Martin nicht geringe Mühe gekostet, eine gesunde Milchkuh aufzutreiben, und wir waren froh, sie um den dreifachen Preis erlangt zu haben; denn den bequemen Kreolen auch nur zuzumuten, wegen einer Kuh die Herde oder einen Teil derselben in die Coraille zu bringen, würde als grobe Indelikatesse ausgelegt worden sein. Diese Milchkuh war nun ausgerissen. Der Neger, der das Futter für sie zu mähen hatte, hatte es bequemer gefunden, sie in der Nacht hinaus zu lassen und dafür auf einem unserer Pferde einen Besuch bei seiner schwarzen Geliebten, fünf Stunden weit, abzustatten. So waren Pferd und Kuh verloren, das erstere zehn Stunden ohne Wasser und Futter gejagt, war wenige Minuten vor unserer Ankunft draufgegangen, die zweite war, der Himmel wußte – wo zu finden. Der Neger glotzte uns an – gab aber keine Antwort auf meine Fragen. Jetzt tat es mir beinahe leid, den Arm Jeans aufgehalten zu haben.
Wir waren in Verzweiflung. Wohl nie hatte eine Kuh drei courfähige Edelleute in größere Verlegenheit gesetzt. Wir sahen darein, wie arme Seeleute auf einem entmasteten Wrack, vor deren Augen das letzte Wasserfaß vom Verdeck hinweggespült wird. Aber was ließ sich tun? Guter Rat war teuer. Ohne Milch konnten wir nicht leben – es war das einzige Getränk, das wir genossen, da wir den Taffia nicht vertragen konnten. – Wir mußten Anstalten treffen, der Flüchtigen wieder habhaft zu werden. Roche Martin konnte uns am besten Bescheid geben, zu Roche Martin wollten wir also, auf dem Wege zu ihm allenfalls die Gegend durchstöbern, im Fall die unglückselige Martha, so war sie getauft, irgendwo verweilte, und dann von ihm das weitere vernehmen.
Wir hatten drei Reit- und zwei Wagenpferde von Monsieur Bossompierre gekauft. Lassalle und Amadee, wurde beschlossen, sollten in westlicher Richtung, mehr gegen den Vermillon zu, die Gegend durchstöbern – wir eine östliche Richtung nehmen. Gerade wie wir im Begriffe waren aufzubrechen, kam Lacalle, der, wie er hörte, was vorgefallen, sich fröhlicherweise an uns anschloß. Amadee blieb nun zu Hause, nachdem er uns noch zuvor, so genau er es vermochte, die Richtung, die wir zu nehmen, angegeben hatte. Sie lag durch einen Liquidambar-Wald, aus dem ein sogenannter Indianerpfad in die große Prairie führte, – da angekommen, mußten wir rechts nordöstlich gegen den le boeuf hinauf, Hauterouge und Lacalle links gegen den Vermillon zu – Roche Martins Pflanzung war, wie gesagt, zum Vereinigungspunkte bestimmt.
Wir setzten uns unverweilt in Bewegung.
Es war zum ersten Male, daß wir den Indianerpfad betraten, der uns in eine Landschaft bringen sollte, die man uns immer als eine halbe Wüstenei geschildert, nur an einzelnen Punkten von den halbwilden Akadiern bewohnt, die, mehrenteils Jäger, die rohen Sitten der eingebornen roten Stämme angenommen hatten. Wir versahen uns daher zur Vorsicht mit Waffen.
Der Nachmittag war heiß, einer jener Septembertage, die bei uns das gelbe Fieber zeitigen. Unsere Sonnenschirme über unsern Häuptern, unsere Tiere durch Fliegennetze und Laubwerk gegen die Moskitos und Brulôts geschützt, trabten wir auf dem Indianerpfade durch den Liquidambarwald. Nach einer halben Stunde lag die Wiese vor uns, unabsehbar wie die gekräuselte Wellenfläche des Ozeans. Am fernen Himmelsrande stiegen düstere violettfarbige Wolkenmassen herauf, deren im Feuer vergoldete Ränder das ungeheure tiefblaue Himmelsgezelt in einen drohenden Rahmen faßten. Die Immergrün-Eichen, die den Liquidambar-Wald bekränzten, gaben zugleich jene leise ächzenden knarrenden Töne von sich, die immer Vorboten eines herannahenden Sturmes zu sein pflegen. Noch schienen aber die Wolkenmassen träge über den Wipfeln der fernen Waldsäume zu ruhen. Es war, als ob die ungeheure Hitze auch sie niederdrückte.
Wir schauten einen Augenblick hinüber auf die grandiosen Wolkenballen und sprengten dann auseinander. Bald verloren wir uns im hohen Grase aus dem Gesicht. Unsere Sonnenschirme über den Häuptern ritten wir in nordöstlicher Richtung.
Wir waren etwa eine Viertelstunde geritten, als wir auf eine Herde Rinder stießen, die wohl tausend Köpfe stark sein mochte, darunter mehrere hundert Pferde von der halbwilden mexikanischen Rasse.
»Die Rinder unserer Attacapas,« bemerkt der Graf zu Vergennes und d'Ermonvalle gewendet, »unterscheiden sich von unsern französischen sehr vorteilhaft durch ihre ungemein schönen Hörner, so daß sie mit ihrem schlanken Körperbau, ihren hohen Schenkeln und Füßen, sie sind in der Regel zwei und einen halben Fuß lang – in der Ferne gesehen, eher Hirschen als Kühen und Rindern gleichen; ihre meistens braunrote Farbe erhöht diese Täuschung. Sie weiden im ellenhohen Grase, kaum daß ihre Köpfe und Hörner zu sehen sind, bemerken zeitig den Ankömmling, lassen ihn bis auf dreißig oder vierzig Schritte herankommen, schnauben dann, die Köpfe aufwerfend, die Luft, stoßen ein kurzes Gebrülle aus, die Pferde ein kurzes Gewieher, und brechen auf allen Seiten auseinander.«
Unsere Tiere spitzten nicht wenig die Ohren, als wir vor der gewaltigen Herde anlangten, die uns eine Weile anstarrte und dann im wildesten Galoppe auseinanderstob, unsere aufgeregten Pferde – denn sie waren von derselben mexikanisch-spanischen Rasse, ihnen in die weite Graswüstenei nach. Wir waren trotz der ungeheuern Hitze nicht minder aufgeregt; – es war die erste wilde Jagd in den Attacapas. Scharf sprengten wir so vielleicht eine Stunde mit den wilden Tieren fort; sichtlich ungern ließen unsere ermüdeten Pferde von ihrem Wettrennen nach, fielen in einen langsamen Trab und hielten endlich stille. Wie wir aufblickten, war kein Horn, keine Mähne mehr zu sehen. Die Wiese lag hinter uns zur Linken und Rechten, vor uns eine ganz fremde, eine neue Landschaft, sanft ansteigende fünfzig bis sechzig Fuß hohe Hügel, die wie die Wellen der grünen Meeresbucht anschwellend, malerisch mit zerstreuten Klumpen von Immergrüneichen, Magnolien, Tulpenbäumchen besprenkelt waren; einzelne Damhirsche, die uns bis an die zwanzig Schritte herankommen ließen; der Anblick war für uns ganz neu. Wir hatten uns die Attacapas als eine zwar sehr gesegnete, fruchtbare, aber doch flache, monotone, dabei fieberische Landschaft gedacht. Was wir gesehen, bestätigte uns in dieser Voraussetzung. Hier kaum fünfzehn Meilen von unserer Pflanzung sahen wir uns so angenehm getäuscht. Wir sprengten den nächsten Hügel hinan, die Aussicht, die wir von seinem Rücken hatten, war entzückend.
Die Gegend, so weit das Auge reichte, war sogenanntes Wellenland, die Hügel sich wellenartig erhebend, senkend, hie und da Waldpartien, zwischen die hindurch das Auge die herrlichste Fernsicht genoß. Die Sonne näherte sich bereits den schwarzen düstern Wolkenmassen, und während ihre schief einfallenden Strahlen die ihnen zugekehrten Baumseiten in tausend glorreichen Tinten aufhellten, waren die abgewandten in jenes magische Clair obscur geworfen, das im amerikanischen Klima so außerordentliche Wirkungen hervorbringt. – Jede Immergrüneiche, jede Magnolie mit ihren wogenden Fächern und Kelchblumen, jeder Tulpenbaum mit seinen Pokalblüten bot diese tausend Tinten, dieses unbeschreiblich schöne Clair obscur dar.
Wir standen sprachlos, im Anstaunen dieser uns damals neuen nie gesehenen Schönheiten versunken. Um die Glorie der Landschaft zu vollenden, so schlängelten sich um mehrere der Hügel, die in der Ferne auftauchten, Seen und Seechen mit Mangroven gerändert, die wie silberne und goldene Adern uns aus der zauberischen Landschaft entgegenschimmerten.
›Hier ist ein glorreiches Land – ein Paradies!‹ rief ich entzückt, ›hier wollen wir unsere Hütten aufschlagen.‹
Lassalle unterbrach meinen Ausruf des Entzückens, aber ich hörte nicht, was er sagte – sah nichts als die herrliche Natur. Den Zufall, der mich in diese herrlichen Fluren gebracht, segnend, war mein einziger Gedanke, so viel und schnell als möglich von dieser Gegend zu sehen, in der ich mich unverzüglich niederlassen wollte. –
Wir ritten den Hügel hinab, auf einen zweiten zu, dessen Fuß von einem herrlichen Spiegel kristallhellen Wassers bespült, in dessen Mangrovenrändern zahllose Outards und Enten sich herumtrieben. Ich betrachtete abermals die Aussicht von diesem Hügel. Sie gefiel mir noch besser als die vom ersten.
Wir ritten dem dritten zu, hinan. In der schwelgerischen Augenweide, dem Vorgefühle des Entzückens, das meine teure Eleonore nun bald mit mir teilen würde, hatte ich die Kuh, alles um mich vergessen.
›Weißt du, Oberst,‹ unterbrach mich Lassalle, ›daß du ein ganzer Egoist geworden bist, in deiner Hast einen Lokationsplan zu finden?‹
Ich schaute Lassalle überrascht an – der Vorwurf war begründet. Es ist dieser Egoismus, der sich dem Einwanderer in Amerika gleichsam anlegt, er mag wollen oder nicht, – eine andere seltsame Eigenheit, ein Kontrast, der die Bewohner des Landes von den Europäern unterscheidet. Die Natur selbst dringt ihn auf.
›Ich glaube,‹ fuhr Lassalle fort, ›es ist hohe Zeit, uns nach Roche Martins Pflanzung umzusehen.‹
Er deutete bei diesen Worten auf die drohenden Wolkenmassen, die der Sonne immer näher kamen, und auf die Wipfel einer Immergrüneiche, in der sich das Säuseln stärker hören ließ.
Unsere Uhren zeigten fünf. Wir waren drei volle Stunden, zum Teile scharf geritten. So weit das Auge reichte, keine Spur von einer menschlichen Wohnung. Wald-, Wiesen-, Wasserpartien, aber keine Hütte, kein Haus. In ferner Weite glänzte uns ein heller langer Wasserstreifen aus einer Waldpartie entgegen, so bezaubernd, daß unsere Augen von dem Punkte sich nicht mehr losreißen zu können schienen. Wir riefen zugleich aus:
›Dort müssen Menschen wohnen.‹
›Und‹, setzte ich hinzu, ›wenn nicht, so will ich, meine Hütte da aufschlagen.‹
Wir ritten rasch dem wunderschönen Punkte zu, von dem uns jedoch noch manche Meile trennte. Einige Male hielten wir auf den Rücken der Wellenhügel, die auf unserem Wege lagen, um uns zu orientieren; auf dem letzten, den wir hinanritten, entfuhr Lassalle ein Hurra.
Er deutete dabei auf eine leichte bläuliche Rauchwolke, die um die Baumwipfel herumwirbelnd, vom Luftzuge schichtartig gegen Süden hinabgetrieben wurde. Aber keine Wohnung war zu sehen. Der Rauch kräuselte aus einer Waldpartie, aus der zugleich ungemein malerisch ein Flüßchen, wie aus einem Füllhorn geschüttet, hervorquoll. Die Ränder desselben waren, wie immer, mit der Mangrove eingefaßt, die gegen die Waldpartie zu mit Tränenweiden abwechselte, auf die wieder Grüneichen, Magnolien, Liquidambars folgten. Doch schienen diese gruppenweis zerstreut zu sein.
Wir beschlossen, auf alle Fälle in dieses deliziöse Walddunkel, in dem der Flußgott seine Wohnung aufgeschlagen zu haben schien, einzureiten. Die Sonne war verschwunden hinter den drohenden Wolkenmassen; das entfernte Rollen des Donners ließ uns nicht mehr am baldigen Ausbruche des Gewitters zweifeln.
Wir spornten unsere Tiere, die, eine Menschenwohnung witternd, rasch auf das Flüßchen zutrabten.
Noch waren wir etwa tausend Schritte von der Stelle, wo nach unserer Berechnung die Feuerstelle sein mußte, der der Rauch entstieg.
›Hörst du nichts, Oberst?‹ fragte mich auf einmal Lassalle.
Ich hatte etwas gehört; einer jener wunderbaren Töne, Klänge, die in unsern Wald- und Wieseneinöden so seltsam das Ohr berühren, war auch zu mir gedrungen.
Wir ritten näher.
Die Töne ließen sich abermals hören, sie klangen anfangs barsch, schrill, dann wie Sirenengelächter, Gesang, ungemein seltsam klangen sie, wie Geisterstimmen, auf den Fittichen der Windsbraut uns entgegengetragen.
›Wo sind wir, Oberst?‹ fragte Lassalle.
Ich schaute statt der Antwort in die Richtung, von welcher die Töne herkamen.
Wir ritten in derselben fort.
Das Flüßchen, etwa fünfzig Fuß breit, schien tief zu sein, wie es die Flüsse, oder in der Landessprache zu reden, die Bayous, in der Regel sind. Es kam so reizend aus dem Verstecke der Tränenweiden und Mangroven heraus, schien durch die Zweige hindurchzugleiten. – Abermals ertönte das Sirenengelächter. – Jetzt erkannten wir weibliche Stimmen, dazwischen Geklingel von Schellen und von metallenen Gefäßen, wie wenn erzene Instrumente mit Heftigkeit geschlagen würden.
Wir sahen uns befremdet an.
›Vorwärts!‹ ermunterten wir einander.
›Da ist ein gebahnter Weg‹, rief Lassalle, auf einen breiten Fußpfad deutend, der in das Waldesdunkel einführte.
Bald nahm uns das Laubdach der Grüneichen und Liquidambars auf, der Sirenengesang wurde immer vernehmbarer, je weiter wir vorkamen – wir waren imstande, einzelne Worte zu verstehen.
Der Fußweg führte zu einer sogenannten Gabel, von der drei Wege ausliefen. Wir folgten dem breitesten. Etwa hundert Schritte mochten wir geritten sein, als die Waldesdämmerung einer Helle wich. Einige zerstreute Immergrüneichen, mit Rasenbänken um ihre ungeheuern knorrigen Stämme, ein herrlicher Grasteppich, und endlich ein freier Platz und –
Wir sahen einander betroffen an.
Eine Villa, die vom jenseitigen Ufer des Flüßchens, kaum zweihundert Schritte, uns in die Augen schimmerte, so lieblich, so reizend! – Das Flüßchen von der sanften Anhöhe, auf der sie sich schwanenartig hinbreitete, beherrschend.
›Was sagst du, Oberst?‹ fragte Lassalle. ›Diese Villa.‹
›Wenn die Akadier so logiert sind,‹ war meine Antwort, ›dann verraten sie wenigstens mehr Geschmack als unser Kirchspiel Attacapaer.‹
›Adeligen, solltest du sagen‹, lachte Lassalle. ›Wahrhaftig, diese Adeligen – aber!‹ und wieder sah er verlegen auf die Villa hinüber, und ich gleichfalls.
Uns ward so sonderbar zumut. Bei all unserm Wunsche und Verlangen, ein Obdach gegen den Sturm zu finden, war die Erscheinung dieser Villa eine so kuriose!
Sie lag vom Ufer etwa hundert Schritte, auf dem sich sanft, beiläufig vierzig Fuß über die Wasserfläche erhebenden Uferkamme so wollüstig weich, als ob sie zum Sitze der Liebe hingebettet worden. Wie alle Häuser in den Attacapas hatte sie bloß ein Stockwerk, aber statt des häßlichen breiten spanischen Daches hatte sie ein flaches mit einer Galerie, an welcher Katalpas auf der einen, Magnolien von der andern Seite hinauf- und zusammenrankten. Die untere Galerie ruhte auf kannelierten weißen Säulen, die wie marmorne aussahen; die Jalousien waren herabgelassen, die Piazzas mit einem eisernen Geländer umgeben; von den Treppen gelangte man herab in ein Gärtchen, das von der Villa bis zum Fahrweg vorlief, der im Halbzirkel darumlaufend wahrscheinlich zu den hinten gelegenen Wirtschaftsgebäuden führte. – Das Ganze zeugte ebensosehr von feinem Geschmack als Reichtum seines Besitzers.
Lassalle fragte abermals: ›Wo sind wir?‹ ungewiß, ob wir näher sollten oder nicht.
Es war uns, als ob die Hütte eines Akadiers uns lieber gewesen wäre. Wir wußten uns beide nicht die seltsamen Empfindungen zu erklären. – Lassalle sumste das Couplet Favarts: L'amour, l'amour. – Endlich stiegen wir von unsern Pferden und zogen sie am Zügel hinter uns drein der Brücke zu. Sie bestand aus mehreren dicken Zypressenstämmen, die beide Ufer verbanden und wieder mit kürzern Querbalken und Pfosten belegt waren, so daß Wägen recht gut darüber fahren konnten. Statt der Geländer waren die Mangrovenzweige an beiden Seiten zu einem dichten Flechtwerke verbunden, das den Übersetzenden gegen Herabfallen schützte.
Wir hatten noch keine drei Schritte auf der Piazza getan, als ein abermaliges Gelächter sich dicht unter uns aus dem Wasser hören ließ, und zugleich zwei Wasserstrahlen links und rechts über unsern Häuptern zusammenfuhren.
Wir schauten einander an. –
Abermals lautes Gelächter, Geplätscher, zwei, vier, sechs schneeweiße Arme, die nicht fünfzehn Fuß von uns aus dem Wasser sich herausstreckten – abermals zwei Strahlen des flüssigen Elementes, und zwar in einer Fülle über unsere Köpfe hingeschnellt, die einer Traufe glich; gleich darauf ein Najadenkopf, der aus dem Wasserspiegel auftauchte – ein Alabasternacken folgte, ein Busen, wie aus kararischem Marmor gemeißelt; vom schneeweißen Batisthemdchen bedeckt, ein zweiter, dritter Kopf – Busen, drei Mädchengestalten erhoben sich im flüssigen Elemente, schienen zu stehen – sie riefen einer vierten schwarzen, zugleich erschallte das Knacken von Kastagnetten unter der Brücke, begleitet von dem Gesange zweier weiblicher Stimmen, die vier Mädchen reichten sich die eine Hand, und während sie mit der andern ruderten, traten sie zugleich mit den Füßen das Wasser und führten zu unserm Staunen eine Quadrille durch, die wir schöner, und buchstäblich gesagt, schwimmender nie gesehen hatten.
›Mein Gott, wo sind wir‹, fragte mich Lassalle mit einer Stimme, die wie beklommen klang.
Ein starkes Rollen des Donners unterbrach Gesang und Tanz. Eine der Galerie-Blenden öffnete sich, und ein weiblicher Kopf schaute heraus.
›Aspi, Leontine, Zoe, genug des Badens, die Bö! Hört ihr sie?‹
› Ben Maman!‹ lachten die drei Mädchen, die herrlichsten Reihen von Perlenzähnen zeigend, die wir je gesehen hatten.
Wir standen hinter dem Mangrovengeländer, ungesehen von den Mädchen, aber die Dame hatte uns entdeckt. Sie rief uns fröhlich zu.
› Eh ben Pierre! Sind Sie es? Es hohe Zeit sein, der Sturm im Anzuge sein.‹
Und so sagend, zog sie die Blende vollends auf und ließ uns ihre Büste sehen.
Jetzt erkannte sie ihren Irrtum.
› Eh ben! das nicht Pierre sein. – Ben Messieurs was wollen?‹
Und so sagend, verließ sie mit einem ungestümen Rucke das Fenster und erschien auf der Piazza, deren Stufen sie so schnell, als ihr starker Embonpoint zuließ, herabstieg. Sie war über die dreißig Jahre, konnte aber noch immer als wohl konserviert gelten, obwohl ihre Züge mehr grob als fein waren. Ihr Teint war brünett, die Lippen etwas groß, die Augen schwarz, nicht so fein geschnitten, wie es bei Kreolinnen der Fall zu sein pflegt, auch das Weiße rundete zu stark neben ihrer Rabenschwärze hervor; aber sehr schöne Zähne und ein Busen, der noch immer als reizend gelten konnte.
Wir waren, unsere Pferde hinter uns ziehend, über die Brücke in den Fahrweg gelangt, der, wie gesagt, um das Haus herumlief, aber nicht zu dem Haupteingange führte, zu dem man durch das Gärtchen gelangte, durch das die Dame heftig angeschritten kam. Sie hielt an der niedrigen Gartentüre, an die sie sich mit beiden Armen lehnte, so daß der volle Busen unserm Blicke offen lag. Sie war im Deshabillé, das nur nachlässig die üppigen, lüsternen Formen verhüllte. Eine Weile sah sie uns mißtrauisch an, dann fragte sie:
› Eh ben Messieurs! was wollen?‹
Hinter unserm Rücken hörten wir Geflüster, Gekicher. Wir wandten uns und sahen weiße Gewänder hinter den Mangrovenhecken, die die Flußränder einsäumten.
› Eh ben Messieurs! was wollen?‹ fragte die Dame abermals, im rauhern Tone.
Es war ein Ton, eine Stimme, die so ganz im Widerspruche mit allem war, was wir sahen, mit einem Worte, eine Stimme, wie wir sie an den sogenannten alten Bonnes unseres Paris zu hören gewohnt waren.
›Wer ist diese Person? Wie kommt diese lasterhafte Stimme in diesen süßen Sitz der Einsamkeit?‹ raunten wir einander zu. Wir waren in einer Verlegenheit, wie nicht leicht zwei französische Kavaliere. Das ›Wir suchen eine Milchkuh‹ wollte nicht heraus; wir mußten sehr alberne Gesichter gemacht haben.
›Aber Messieurs,‹ wiederholte sie, ›was wollen? Wir keine Leute, die wir nicht kennen, aufnehmen. Wir sehr eingezogen leben. Wir eine sehr respektable Familie sein. Wir von niemanden Besuche annehmen, die uns nicht aufgeführt sind.‹
›Pah! Ihre Respektabilität da, wo sie nicht bezweifelt wird, geltend zu machen‹, flüsterte mir Lassalle zu, und abermals sahen wir die Dame – sie uns an.
›Meine Herren gehen, wir sie nicht brauchen, da der Weg sein‹, sprach die Dame mit höhnendem Gelächter.
›Vergebung, Madame‹, nahm ich endlich das Wort; denn es handelte sich jetzt um ein Obdach in einem Sturme, der bereit war, über unsren Häuptern auszubrechen.
›Vergebung!‹ wiederholte ich; ›wir wünschen nichts weniger als Sie zu belästigen oder uns aufzudringen. Wir sind verirrt auf einem Ausfluge. Das einzige, um was wir bitten, ist ein wenig Futter für unsere Pferde und einen Führer, der uns den Weg nach Monsieur Berthouds Pflanzung zu zeigen imstande ist. Wir wollen dahin, sobald der Sturm vorüber, und gern den Dienst vergelten.‹
›Monsieur Berthouds Pflanzung? Monsieur Berthouds Pflanzung‹, wiederholte die Dame, uns schärfer fixierend. ›Diese Pflanzung, haben wir gehört, ist von einem Herrn Grafen und zwei Baronen gepachtet worden –?‹
Sie hielt inne und fixierte uns schärfer.
›Sie in den Attacapas wohnen?‹ fragte sie.
›Aufzuwarten.‹
›Und wo?‹
›Die Pflanzung, die ich genannt, ist einstweilen unsere Wohnung.‹
›Sie auf Monsieur Berthouds Pflanzung wohnen? Sie also der französische Graf sein?‹
Sie schaute uns nochmals an, und ihre Züge waren auf einmal freundlich geworden.
›Aspi, Leontine, Zoe, geschwind! – Ah, Herr Graf, Sie keiner Aufführung bedürfen. Sie willkommen sein, wo Sie hinkommen! Vergeben, Herr Graf! – Aber viele schlimme Herren zu uns kommen, und wir das nicht wollen, wir eingezogen leben.‹
Sie streckte ihre fleischigen Hände über das Gitter, um die unsrigen zu fassen, und da sie jetzt sah, daß wir noch die Pferde an den Zügeln hielten, schrie sie: ›Ahoi! Ahoi! Sippi, Midi, Josi! Hört ihr nicht? Die Pferde dem Herrn Grafen abnehmen. Geschwind die Pferde abnehmen. Herr Graf in den Garten eintreten.‹
Und die Gartentüre öffnend, streckte sie ihren Arm aus und erfaßte ohne weiteres den meinigen.
So standen wir, bis ein paar zerlumpte Neger kamen, die uns die Pferde abnahmen.
›Darf ich bitten,‹ bemerkte ich, ›den Pferden vorläufig etwas Heu geben zu lassen, dann erst Wasser und einige Welschkornkolben.‹
Sie wandte sich ungeduldig, mich hinterdrein ziehend.
›Ah, ein Herr Graf, und da um ein Pferd sich bekümmern‹, lachte sie. ›Ah, Sie kein Kreole sein, – man es sehen. Kein Kreolen-Gentilhomme sich um ein elendes Pferd bekümmern; welcher Gentilhomme sich um ein Pferd bekümmern?‹
›Und wer dieser Herr sein?‹ wandte sie sich, als wir an den Treppen der Piazza angekommen waren, an deren erster sie hielt, offenbar willens, sich vorher von der Respektabilität ihres zweiten Gastes zu überzeugen, ehe sie ihm Aufnahme gestattete.
› Monsieur le Baron de Lassalle, Madame‹, versetzte ich, ihr meinen Freund präsentierend.
› Monsieur de Lassalle, der junge Herr, der die reiche Mademoiselle de Morbihan geheiratet – Ben venu Monsieur de Lassalle!‹
Und sie fixierte ihn scharf einen Augenblick vom Kopf zu den Füßen, ein eigentümliches Lächeln überflog ihre Gesichtszüge. › N'importe‹, murmelte sie zwischen den Zähnen, den linken Arm ausstreckend und den Lassalles erfassend. – Während sie uns die Treppen hinanführte und an der Piazza hielt, suchte ihr Lassalle den Irrtum zu benehmen, allein sie plapperte in einem fort und zog uns, da die Eingangstüre nicht hinlänglich breit war, um alle drei in einer Reihe hindurch zu lassen, im Dreiecke in die Galerie hinein.
›Herr Graf Pimperolles!‹ bekomplimentierte sie mich, nachdem sie unsere Arme fahren gelassen, ›sich setzen – und vergeben – Madame Allain sogleich zurück sein.‹
Und so sagend, verließ die Madame Allain die Galerie, und wir setzten uns und schauten – einander an. –
›Sage mir doch, wo sind wir?‹ flüsterte mir Lassalle zu. ›Das ist keine Kreolin – und doch‹ – er sah sich in der Galerie um.
Sie war höchst geschmackvoll möbliert, es herrschte Luxus darin. Die Einrichtung von Acajou- und dem Louisiana-Kirschenbaumholze, – der Fußboden mit den damals noch sehr seltenen Seegras-Matten belegt, die Wände sehr schön tapeziert; die einzigen Spuren, daß wir uns in den Attacapas befanden, eine gewisse Unordnung, Kleider und andere Gerätschaften lagen pell mell auf den Sesseln, Sofas, Tischen, dem Fußboden umher, und ein starker Bisamgeruch duftete. Wir waren jedoch in keiner Kreolenpflanzung, so viel schien ausgemacht. Die Dame hatte in ihrem Wesen etwas keck Zudringliches, Unverschämtes, ihr fehlte der Anstand, die strenge Sittsamkeit, Häuslichkeit der Kreolinnen, selbst der Anflug von Indolenz. – Wer ist die gute Madame Allain? Wie kommt sie hieher? Sie hat etwas von unseren Modehändlerinnen oder, was dasselbe sagen will, Bonnes. Ihr ganzes Benehmen, ihre Stimme, ihre Züge verraten ein derlei Metier. Hatte sie sich mit den Früchten ihrer Triumphe in diese Einsamkeit zurückgezogen?‹
Wir wurden in diesen Querfragen durch zwei Negermädchen unterbrochen, die halbnackt, um den lüsternen Busen bloß ein rotes Band geschlungen, das das Röckchen hielt, hereintanzten, uns anlachten und dann aufräumten; Kleider, schmutzige Wäsche, alles, wie es umherlag, auf die Arme packten und damit zur Galerie hinausliefen.
Nochmals kamen sie, nahmen die Überreste; und gleich darauf folgte ein drittes, sehr zierliches schwarzes Mädchen, das Eau de Roses über die Matten hinspritzte.
Noch schauten wir den Bewegungen der lieblichen Schwarzen nach, als abermals die zwei Negerinnen erschienen, einen Korb mit Bouteillen, einen andern mit Tellern, einen dritten und vierten mit Backwerk und Früchten in den Händen. – Sie stellten die Erfrischungen auf einen Tisch, der hinter dem einen Sofa stand, und ordneten die Sessel, – alles im gehörigen Kreolen-Stile – bis auf die seltsame Madame Allain.
Wir waren aufgestanden und an die geöffneten Galerie-Blenden getreten. Die Lage der Villa war entzückend. Der Flußkamm, etwa fünfzig Schritte lang und breit, dachte sich sanft, kaum merkbar, gegen den Wasserspiegel zu ab, auch keine einzige Moskito ließ sich in der Galerie spüren. Der Wald war an mehreren Seiten gelichtet, aber mit Geschmack und partienartig, offenbar, um der Luft den Durchzug zu gestatten. Das Gärtchen, das zu unsern Füßen lag, war mit herrlichen Blumenbeeten geschmückt. Überall zeigte sich Geschmack mit Eleganz gepaart.
Die Dame trat jetzt herein, sie hatte in der Eile ihre Toilette gemacht, und wie sie im seegrünen Taffetkleide, das ihr etwas sonderbar stand – auf uns zukam, war sie ganz Freundlichkeit, Zutraulichkeit.
›Und wie Ihnen die Attacapas gefallen?‹ hob sie an, sich auf das Sofa niederlassend und mich neben sich ziehend.
›Sehr wohl würden sie uns gefallen, wenn alle Pflanzungen Ihrem herrlichen Landsitze glichen‹, war meine Antwort.
Ich konnte keine feinere Schmeichelei finden, es war mir unmöglich, selbst diese wollte nicht heraus.
›Die Chartreuse, ja die Chartreuse –‹
›Also Chartreuse haben Sie diesen lieblichsten aller Verstecke getauft? Fürwahr eine solche Karthause –‹
›Mit‹ – sie stockte, sah mich aber mit einem lüsternen Blicke an.
›Also das Herr von Lassalle sein?‹ fragte sie mich, auf Lassalle deutend, der noch stand.
›Aufzuwarten‹, erwiderte Lassalle.
›Ah, die Madame Lassalle sehr schön sein, sagt man. Ich sie nie gesehen haben. Sehr schön – aber mein Gott, Herr Graf, Sie ja ganz naß sein.‹
›Ein bißchen‹, war meine Antwort. ›Aber nochmals muß ich Sie versichern, daß Sie den Namen dieses Herrn mit dem unseres beiderseitigen Freundes Lacalle verwechseln –‹
›Gewiß die närrischen Mädchen Sie bespritzen – abscheulich. Aspi! Leontine! Zoe! ihr abscheulichen Kinder, was ihr getan?‹ plaudert sie fort, ohne auf meine Berichtigung zu hören.
›Die närrischen Mädchen‹, fuhr sie fort, ›am liebsten baden und tanzen, nichts als baden und tanzen, selbst im Flusse tanzen.‹
›Und Tänze, die die Najaden selbst beschämen würden‹, schaltete ich ein, um doch wenigstens ein Kompliment zu sagen.
›Najaden‹, versetzte sie; ›kenne die Demoiselles nicht, sind doch respektabel, Herr Graf? Meine Töchter sehr respektabel sein.‹
Lassalles Mundwinkel verzogen sich, ich mußte der Unterhaltung wieder eine ernsthafte Wendung geben.
›Aber ist denn das Baden nicht mit Gefahr verbunden, die zahllosen Alligatoren, von denen alle Flüsse und Gewässer wimmeln?‹ fragte ich.
›Oh, sie sich helfen, sie schreien, sie singen, sie an Pfannen, Kesseln, Kupferbecken schlagen, sie die Alligatoren weit verscheuchen.‹
›Das also die Ursache der seltsamen Klänge.‹
›Aspi!‹ sprach jetzt die Dame zu einem Mädchen, die in der Galerietüre erschien, ›Aspi! das Herr Graf Pimperolles sein, und das Herr Lassalle, der Mademoiselle Morbihan –‹
›Vergebung, Madame,‹ fiel ich ein – ›Sie sind im Irrtume. Dieser Herr ist der Baron Lassalle und nicht verheiratet. Den Sie meinen, der nennt sich de Lacalle.‹
Sie schüttelte ungläubig den Kopf und lächelte auf eine eigene Weise.
›Wir wissen, wir wissen – Aspi, Aspi, der Herr Lassalle also nicht verheiratet. – N'importe, n'importe. Herr Graf, das meine Tochter Aspi sein.‹
Wir erwiderten den Knicks der Tochter, und während unsere Augen ihre Züge flüchtig aufnahmen, begann mir etwas wie Licht über die Familie aufzugehen. Es mußte eine Farbige sein, war mein erster Gedanke. – Ich hatte zwar noch keine gesehen, wohl aber vieles gehört – und was ich gehört, traf hier vollkommen ein. Mutter sowie Tochter waren mehr kräftig, üppig als zart geformt, die Lineamente verrieten afrikanischen Ursprung, an der Hautfarbe vermißten wir jene gewisse Durchsichtigkeit, wie sie selbst an unsern dunkelsten Brünetten noch bemerkbar ist; die Fülle ihrer Mittelgestalt, die schneeweißen, scharfen Zähne, – alles stimmte überein. – Was mich aber frappierte, war der Ausdruck von Kraft, von Liebeskraft möchte ich sagen, an der Tochter. Ihre Züge waren nicht regelmäßig, nicht einmal schön, sie waren eher grob, die Augen groß, das Weiße schillerte stark hervor, aber in diesen Augen flammte eine so intensive Glut, und sie bohrten so zuversichtlich, so dämonisch in das Innerste hinein. Es war, als ob sich jeden Augenblick ihre Arme öffnen würden, um uns zu umschließen und festzuhalten und nimmer loszulassen. Sie war, wie gesagt, voll gebaut, aber herrlich gerundet, nur um die Mitte schien sie unverhältnismäßig stark, aber alles zitterte, bebte an ihr, wie sie abwechselnd uns, wieder die Mutter ansehend, sich wiegte. – In der Mutter Augen schien sich etwas wie Triumph zu spiegeln, nicht so in denen der Tochter, die stolz den Kopf aufwarf, uns einen Augenblick maß und dann dem Tische zuschritt, auf dem die Bouteillen und Erfrischungen standen. –
In diesem Augenblicke ließ sich der Ruf Maman! Maman! hören, und zwei Gestalten tanzten an die Glastüre der Galerie und hielten und schauten, und während sie so an der Schwelle schwebten, schwanden Schlüsse und Gedanken wie Seifenblasen. Diese zwei Mädchen waren keine Farbigen. – Unmöglich! – noch weniger konnte die Mutter zweier so herrlicher Geschöpfe das sein, wofür wir sie im ersten blinden Vorurteile niedergeschrieben hatten. Wir baten im Herzen um Vergebung wegen des groben Verdachtes.
Diese jungfräuliche Frische – dieses kindliche, heitere, unschuldige Wesen.
Leontine, Zoe, teure Kinder! Der Herr Graf Pimperolles. Erlauben Sie, Ihnen meine beiden Töchter Leontine und Zoe vorzustellen.
Und sie schwebten nun heran. Messieurs,« sprach der Graf, »ich habe viele Mädchen, schöne Mädchen in mannigfaltigen Gruppierungen und Lagen gesehen, ich hatte damals dreißig Jahre gelebt, mehrere dieser Jahre am Hofe verlebt, – aber doch waren mir noch keine zwei Gestalten vorgekommen, die so anreizend, lockend erschienen wären, wie Leontine und Zoe. – Sie waren im schneeweißen Batist-Peignoir, das weit und faltig, mehr wie ein Pudermantel, die herrlichen Formen umhüllte, das Spiel der Glieder, jedes einzelnen Gliedes, im unbeschreiblichen Reize, in halber Durchsichtigkeit erscheinen ließ. Sie schwebten langsam, sittig, verschämt auf uns zu, aber jeder Schritt ließ uns das Wellenspiel des reizendsten Körperchens schauen; – sie erröteten, aber so kindlich, so unbefangen heiter, und blickten so züchtig auf die Mutter, das Blut schoß ihnen übers Gesicht, über den Nacken bis zur Zehenspitze – wir glaubten die herrlichen Körperchen erröten zu sehen. Und sie verneigten sich so sittsam knicksend und sahen dann die Mutter, die Schwester so naiv kindlich an; sie wagten es kaum, die Augen aufzuschlagen.
Der Mutter Blicke ruhten mit sichtlichem Wohlgefallen auf den beiden Töchtern.
›Aber Leontine, Zoe!‹ begann sie endlich, und ein seltsames Lächeln umspielte ihre Züge. ›Was ihr tun? Herr Graf ja ganz naß?‹
Die Mädchen warfen endlich einen verstohlenen Blick auf uns.
Ein leises Gekicher entfuhr ihnen.
›Zur Strafe ihr die beiden Herren bedienen.‹
Und die Töchter sahen die Mutter fragend an und traten an den Tisch, an dem die ältere Schwester noch stand. Zaudernd legten sie die Hand an die Bouteillen.
›Wohl, Leontine,‹ mahnte die Mutter, ›du doch so blöde sein! und Zoe!‹
Und Leontinc füllte mit zitternder Hand, was sage ich, Hand, ihr ganzes Körperchen, jedes ihrer Glieder zitterte, aber es war ein eigentümliches Zittern – während sie die Gläser füllte.
Und die Mutter füllte vier kleinere Gläser – und Leontine und Zoe präsentierten uns die von ihnen gefüllten größeren.
Wir tranken. Der Wein war vortrefflicher Bordeaux.
Wir standen einen Augenblick, ohne ein Wort zu sprechen.
›Herr Graf! Sie noch vor einer Stunde nicht gehen können. Sie abwarten, bis der Himmel abkühlen, der Sturm vorübergehen.‹
›Glauben Sie, daß es einen Sturm gibt?‹
›Wenn regnen – nicht, – wenn nicht regnen – dann schrecklichen Sturm. Sie sich die Zeit angenehm vergehen lassen – uns entschuldigen.‹
Und meinen Arm erfassend, deutete sie auf das Sofa, ein verstohlener Blick wies Leontine ihren Platz an, dann ergriff sie den Arm Lassalles und führte ihn zu einer seitwärts stehenden Ottomane. Mutter und Tochter warfen noch den beiden Zurückgebliebenen einen vielsagenden Blick zu und verschwanden in der Galerietüre.
Ich sah Lassalle, er mich an. Sein Blick schien zu sagen: hier ist es doch nicht ganz richtig – der meinige desgleichen; – aber wieder, wenn wir die beiden herrlichen Geschöpfchen ansahen, die jetzt bebend, nicht weiter als sechs Zoll von uns saßen – oder vielmehr auf das Sofa hinsanken, – zitternd an Leib und Seele wie Schlachtopfer, die – unmöglich!
Leontine mochte der Jahre fünfzehn zählen, eine wunderschöne frische Knospe, sich entfaltend, reifend – auch nicht der leiseste Zug, der gemischtes Blut verraten hätte. Ihr Haar seidenweich – mehrere Flechten hingen noch feucht auf dem rosarot gefärbten Nacken, der bis zum Halswirbel entblößt war. Das ovalrunde Gesichtchen mit der fein geformten Adlernase, das schwarzbraune Auge mit den prachtvoll gewölbten Wimpern, der Teint blendend Milch und Blut, die Zähne so weiß, klein, durchsichtig wie Perlen – die Lippen leicht aufgeworfen, aber vom zartesten Kirschenrot, – der zarte Busen von keinem Mieder gehoben, klopfend in den Zuckungen – nun leicht verhüllt, wieder bloß zwischen den Falten hervorschimmernd; – und endlich die wunderliebliche Form selbst, zuckend, hüpfend, vibrierend, als ob flüssiges Quecksilber statt Blutes sich im Körper herumtriebe.
Mir begann seltsam zu werden.
Jetzt traten zwei Negermädchen ein von etwa fünfzehn und sechzehn Jahren. Sie waren bis auf den Gürtel nackt, ihre Röckchen von zwei roten Seidenbändern gehalten, reichten bis über die Knie, Fußbekleidung hatten sie keine. Wir hatten uns bereits so ziemlich an den Anblick dieser Halbnacktheit gewöhnt, aber diese beiden Mädchen waren von der Madagaskar-Rasse und Busen sowie Taille ausgezeichnet schön. Sie warfen einen lüsternen Blick auf uns, setzten sich dann wie Lieblingshündchen zu den Füßen ihrer beiden Gebieterinnen.
Alles, was ich Ihnen hier mit vielen Worten sage, geschah so natürlich, so ungezwungen, so rasch aufeinander, so leicht! wir hatten noch kein Wort zu sprechen Zeit gehabt, konnten auch jetzt nicht Zeit finden.
Kaum saßen die beiden Negerinnen zu ihren Füßen, als sie auch ihr Spiel begannen. Mira, so hieß die Schwarze, die sich auf der Matte vor Leontinen niedergelassen, hatte ihre Füße, ihre Hüften ineinander gekreuzt wie eine Indianerin, die Hände ihrer Gebieterin erfaßt, sie geküßt und sie einen Augenblick mit einem Blicke angesehen, feurig, schlau und lüstern; auf einmal wirbelten die beiden Mädchen ineinander – wie zwei Schlangen, die sich ineinander kreiseln. Die Szene streifte stark über die Grenzen der Schicklichkeit hinaus, aber so natürlich war das Spiel, daß der Blick unmöglich sich von den Bewegungen der beiden reizenden Mädchen abwenden konnte.
›Ruhig, Mira! Ruhig‹, rief Leontine.
Und ihre Hand fuhr über den Tisch und haschte nach einem Stück Zwieback, und sie brach es, und während sie ein Stückchen zwischen ihre schneeweißen Zähnchen warf, öffnete die Negerin ihr, ich kann es nicht anders nennen, schneeweißes Gebiß und fing das Bröckchen auf, und die beiden wurden so wühlig!
Und Leontine rutschte und hüpfte und sprang mit einer solchen Beweglichkeit auf dem Sofa herum, zehnmal in einer Sekunde an mich anprallend, abprallend, wieder anprallend, und doch berührten kaum ihre Füßchen die Matte.
Und während dieses Spiels, das mir heiß zu machen begann, ich versichere Ihnen, plapperten die beiden Mädchen so ungeniert, lachten so herzlich, so naiv, wiesen ihre Perlenzähne so lieblich durch die schwellenden Lippen!
›Es ist Ihnen vielleicht nicht unbekannt,‹ wendet sich der Graf an Vergennes und d'Ermonvalle, ›daß die Neger, und selbst jene Farbigen, deren Blut mehrere Male mit dem europäischen gekreuzt ist, unserer Sprache selten ganz mächtig sind und das Zeitwort nie gehörig anzubringen wissen. Ihre Sprache ist in der Tat mehr abgebrochenes Kindergeplauder und klingt unangenehm in den Ohren. Aber das Geplapper dieser beiden Mädchen war so musikalisch, hatte etwas so kindlich Naives, recht ins Innerste Dringendes! Jeder Laut war unaussprechlich zitternd, vibrierend.
Ich konnte mich nicht satt hören.
Die Negerin hatte Leontinens Füßchen erfaßt und sie leicht gekitzelt. Wie ein Federball prallte sie an mich an, ab, wieder an, und schaute mich an, so unschuldig, und ihre feurigen Augen ruhten so schelmisch auf mir!
›O, was Sie da haben?‹ rief sie, und bereits fuhr ihr bloßer weißer schwellender Arm – denn der weite Peignoir-Ärmel bedeckte die Arme nicht viel weiter als bis zu den Schultern – an meinen Hals, und ihre Finger hielten das Ludwigskreuz, das unter der Weste am Bande hing.
›Was das sein?‹
›Der Orden Ludwigs, holde Leontine‹, flüsterte ich, ihren Arm erfassend, um einen Kuß darauf zu drücken.
Sie aber schnellte empor und wieder zurück, und die Gliederchen, die elastischen Formen des Körperchens, die schwellenden Hüften zuckten, schwollen, schwebten und bebten unter den leichten durchsichtigen Fädchen des Batistmantels, der einzigen Hülle, die sie umwallte. – Das Geschöpf schien nicht Blut, flüssiges, siedendes Quecksilber schien sie in den Adern zu haben, so zuckte, sprang, tanzte alles in ihr, wie sie anprallte, abprallte im mutwilligen Spiele.
Alles das war Spiel, bloßes Spiel, aber es war, wie gesagt, heißes Spiel. Dies konnte unmöglich das lüsterne Spiel eines weißen Mädchens sein. Unmöglich! Das Blut Afrikas – in der heißen Zone in Siedhitze übergegangen, glühte zu sichtbar in diesen Adern, sprudelte mit jedem Pulsschlage versengender. Das Blut brannte – das Gehirn glühte – flüssiges Feuer rollte in meinen Adern. Meiner kaum mehr mächtig – sprang ich auf.
Wie ich aufsprang, erhaschte mein Blick den der Mutter. Es war aber dies ein Blick!
Die Alte war hinter der Glastüre gestanden, die halbe Stunde gestanden; denn eine halbe Stunde war wie eine Sekunde verflossen.
Ich wandte mich kalt zu Leontinen.
In dem Augenblicke rollte ein furchtbarer Donner über unsern Häuptern hin. Ich schrak zusammen ob der Stimme des Allmächtigen, die warnend zu mir sprach.
Lassalle war gleichfalls aufgesprungen.
›Lassalle!‹ rief ich, ›wir gehen, wir müssen gehen.‹
›Oberst, wo sind wir?‹ sprach er, auf mich zutaumelnd.
›Bei Madame Allain‹, fiel die Dame ein. ›Bleiben Sie, bleiben Sie.‹
›Unmöglich, Madame, wir sind versprochen, verlobt‹, versetzte ich, die Worte glitten mir unwillkürlich von der Zunge.
› Qu'importe‹, versetzte die Mutter mit gellendem Gelächter; › Qu'importe‹, wiederholten Leontine und Zoe.
›Nehmen Sie ein Glas Wein.‹
Ich nahm das Glas – der Schweiß stand mir in dicken Tropfen auf der Stirne.
Leontine nahm das ihrige, nippte und zog mich abermals auf das Sofa.
›Wir müssen gehen, holde Leontine – wir müssen, Madame Allain.‹
›Ah, Madame Lassalle eifersüchtig sein‹, lacht Madame Allain; – ›die Kreolinnen sehr eifersüchtig, ihren Herren nicht die kleinste Freude vergönnen.‹
›Sie vergeben‹, nahm ich abermals das Wort, denn ich fand, daß der Irrtum, der von ihrer schlechten Aussprache herrührte, die das c wie s klingen ließ, Unheil verursachen konnte; ›Sie vergeben, der Herr hier ist nicht verheiratet. Er ist, wie gesagt, Baron de Lassalle, Monsieur Ducalle de Lacalle hingegen hat Mademoiselle de Morbihan geehelicht, und – lag mir auf der Zunge – ich danke Gott, daß der nicht zugegen ist.‹
Sie lachte mir ungläubig ins Gesicht.
Das war mir ein neues Wort, aber es kräftigte mich in dem Entschlusse, so bald als möglich diese Charybdis zu verlassen. Ein einziger solcher Besuch war hinreichend, uns alle respektablen Häuser in den Attacapas zu verschließen.
›Lassalle,‹ sprach ich nochmals, ›wir müssen gehen.‹
›Müssen Sie gehen?‹ riefen die beiden Mädchen so mutwillig heiter!
›Sie kommen aber doch wieder?‹ fragte die Mutter.
›Gewiß, gewiß‹, versicherten wir.
Der Donner rollte abermals herauf, aber entfernter; ein starker Regen hatte die Luft abgekühlt, wir hatten vom ganzen Ungewitter nichts gehört als diese beiden letzten Schläge.
›Wir müssen gehen‹, wiederholte ich dringender. Mir brannten die Fußsohlen.
›So gehen Sie‹, sprach die Mutter verdrießlich.
Und während wir unsere beiden Strohhüte nahmen, erklangen die Töne eines Pianoforte aus dem Saale herüber; eine kunstfertige Hand spielte auf dem Instrumente und begleitete ein Couplet von Favart.
›Wie, Sie haben ein Pianoforte? In ganz Attacapas sahen wir keines.‹
›Kommen Sie, eine Quadrille zum Abschiede‹, baten die Mädchen.
›Nein, nicht jetzt, holde Leontine, das nächste Mal. Ich fühle zu heiß.‹
›Ein Franzose, ein Graf, und einer Dame Quadrille abschlagen‹, lachte Leontine, ohne jedoch beleidigt zu sein; – ›Pfui! Mira, Mira, komm denn!‹
Und die beiden Mädchen sprangen von den Matten auf, und herüber klangen die Töne des Pianoforte, und nach einigen Akkorden gingen sie in eine Quadrille über, und die vier Mädchen führten die Figuren durch, die Grazien selbst hätten sie nicht züchtiger, sinnlicher, reizender darstellen können.
Unsere Augen hingen an der Türe, an den herrlichen Gestalten. Die Quadrille ging in ein Menuett über. Abermals hielten die Mädchen an, uns forschend anschauend.
Sie erfaßten unsere Hände, nahmen uns die Hüte ab. –
Abermals verweigerten wir fest den Tanz.
Die Mädchen sahen uns mit einer momentanen Wolke auf der Stirne an, aber sie verflog; im nächsten Momente verneigten sie sich sittsam und waren im Begriffe, die Galerie zu verlassen.
›Also,‹ sprach die Mutter, ›Ihre Pferde in Bereitschaft stehen. Sie gehen?‹
›Adieu!‹ riefen Leontine und Zoe.
›Adieu! Und keinen Abschiedskuß?‹
›Abschiedskuß?‹ riefen Mutter und Töchter, während die beiden letzteren in der Glastüre verschwanden. ›Wo denken Sie hin?‹
Ich sah sie fragend an. Mein Blick mochte ihr seltsam erscheinen.
›Wo Sie hin denken? Sie in einem respektablen, ehrbaren Hause sein‹, sprach die Mutter, sich leicht in die Brust werfend.
›Gewiß, gewiß, zweifle gar nicht daran‹, murmelte ich. Das N'importe ließ mich die Worte nicht stärker aussprechen.
›Wollen Sie arrangieren,‹ flüsterte die Madame leiser, ›dann etwas anderes sein; Leontine –‹
›Ist ein allerliebstes Kind –‹
›Ein liebes Kind, das mir viele Freude verursachen, mein Stolz sein‹, bekräftigte die Mutter.
›Sie haben alle Ursache – eh ben!‹ sprach ich, auf dem Punkte abzugehen.
› Eh ben!‹ wiederholte sie, sich zu meinem linken Ohr heranneigend – › Eh ben! Fünftausend.‹ –
Ich schaute sie zweifelhaft an – wußte nicht, was sie sagen wollte. Wer konnte auch?
› Eh ben‹, wiederholte sie, ›fünftausend.‹
›Fünftausend?‹ wiederholte ich gedankenlos. –
›Sollen Sie –‹
›Wen, was?‹ fragte ich.
› Ganache!‹ sprach sie unwillig.
Ich schaute nochmals die Mutter an, sie mich.
›Sie doch bald wieder La Chartreuse sehen?‹
›Gewiß‹, sprach ich.
›Adieu!‹
›Adieu!‹
Und wir gingen; mit welchen Gedanken, Empfindungen, kann ich Ihnen nicht beschreiben, denn mir schwamm alles vor den Augen. Soviel erinnere ich mich jedoch, daß ich Lassalle mit hohler Stimme in das Ohr raunte: ›Gott sei Dank, daß Lacalle nicht mit uns war.‹
Ich habe vergessen, zu sagen, daß Lacalle mit mir reiten wollte, was ich mir aber, warum weiß ich selbst nicht, für dieses Mal verbat, so lieb mir sonst seine Gesellschaft war.
Sowohl er als Hauterouge waren noch nicht zurück, als wir spät in der Nacht ankamen. Wir begaben uns zur Ruhe, ohne ein Wort über das Abenteuer zu sagen. Wohl hatte die Chartreuse uns Stoff zum Nachdenken gegeben.«