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III.
Die drei Lords.

»Morton, um Himmels willen, wo stecken Sie?«

»Mister Morton, was lassen Sie alle Welt auf sich warten?«

»Morton, mein Teurer, wo sind Sie?«

Unter diesen Ausrufungen waren zwei der lieblichsten Stutzer, die je englisches Pflaster getreten, in das Zimmer geschlüpft. Mehr Mädchen als Männer, waren ihre Formen zart, ihre Hände klein, ihre Wangen lilienblaß mit einer schmachtenden Röte, ihre Augen blau; zwei Zephire, wie sie in der Glashausatmosphäre des englischen Hochlebens umherflattern. Der dritte, der hinterdrein kam, war der etwas männlichere Lord Flirtdown. Die beiden ersteren hatten sich nach einer kurzen Begrüßung wie erschöpft auf das Sofa und die Ottomane geworfen. Lord Flirtdown war vor Morton stehen geblieben.

»Dem Himmel sei Dank! Die Toilette doch wenigstens gemacht, mein Diplomatiker!« rief Lord Flirtdown, der jedoch erst jetzt das Lorgnon erhob, um genauer zu prüfen.

»Und nennen Sie das Toilette gemacht, Flirtdown?« rief Lord Ormond vom Sofa herüber.

»Und das Ding da eine Krawatte?« lachte der dritte, der von der Ottomane aufgesprungen und das Lorgnon auf die fashionabelste Weise in die Augen gedrückt, mit komischem Entsetzen die Krawatte beschaute.

»So kommen Sie doch her, Mono, kommen Sie her, Flirtdown.«

Und die drei Herrlichkeiten stellten sich vor Morton hin und schlugen ein lautes Gelächter auf.

»Nein, 'pon honour, Mister Morton,« rief Lord Ormond mit einer Flötenstimme, »diese Krawatte, sie sieht aus, als wäre sie in einer wahren Hänglaune um den Hals gedreht.«

»In wahrer Verzweiflung, lieber Morton, 'pon honour 'pon honour, statt: upon honour. Auf Ehre.!« bekräftigte der Marquis Mono.

»Versichere Ihnen, Morton, sähe man Sie in Westend, alle Welt blieb stehen, 'pon honour

»Sie wären inadmissible mit dieser Krawatte in D–ehouse, 'pon honour! Gestehen Sie es nur, in diesem sowie in vielen anderen Punkten seid Ihr Yankees mit Eurer gepriesenen Freiheit noch hundert Jahre zurück.«

»Pompey, frische Krawatten!« rief Morton.

»Sie geben es also stillschweigend zu? Sie tun wohl daran, lieber Morton! Besehen Sie sich nur im Spiegel. Ein Ungetüm, versichere Ihnen, 'pon honour! Ich sage Ihnen, die Krawatte ist der Probierstein, an dem man den Gentleman erkennt; sie ist dem Manne, was der Gürtel, die Coiffüre den Damen ist. Zeigen Sie mir eine Krawatte auf hundert Schritte, und ich will Ihnen sagen, ob der Kopf, unter dem sie sitzt, der eines Gentleman ist. Keine Täuschung möglich, 'pon honour! Aber erlauben Sie, daß ich Ihren valet de chambre mache. Ist das Ihr – wie heißen Sie das Ding da?« fragte er mit einem spöttischen Seitenblick auf Pompey, den er mit seinem Lorgnon fixierte – »doch nicht Ihr valet de chambre?«

» Varlet de shame Schamloser Schelm.!« schrie der entrüstete Pompey. »Pompey kein shame varlet sein.«

Und die drei Lords schlugen ein hellautes Gelächter auf.

»Aber wissen Sie, Morton,« rief Lord Flirtdown, »daß Pompey mit muß. Versichere Ihnen, Mylords,« wandte er sich an den Marquis und Viscount, »ist gar kein übler Alter, hat ein ungemein aristokratisches Air. Man sieht ihm an, daß er in einem Hause, das seinen Adel nicht vergessen, gelebt hat. Morton, nehmen Sie ihn auf alle Fälle mit. Und lassen Sie die Krawatten sehen und erkennen Sie unsere ungeheuchelte Freundschaft, die wir Crockfords verließen, um Sie hier in diesem horriblen Erdenwinkel abzuholen.«

»Seid liebe Leute,« versetzte Morton mit einem frostigen Lächeln, das die Lords einen Augenblick stutzen machte. Sie hatten ihre gelb glacierten Handschuhe abgezogen und prüften die von Pompey gebrachten Krawatten mit Kenneraugen.

»Alles, was wir sagen, raides mortes,« bemerkte der Marquis Mono, »für einen Gehängten nicht übel passend.«

» Raide ginge noch,« versicherte Lord Ormond. »Es verrät einen gewissen Grad von Bestimmtheit, etwas Positives, einen kecken Egoismus, die große Triebfeder, die Potenz der heutigen Zivilisation.«

»Dem Piston,« fügte Lord Flirtdown bei. »Es liegt etwas Geniales in der Selbstsucht, etwas Erhabenes – etwas Exklusives – 'pon honour!«

»Die Krawatte steht dann wie wegwerfend, isoliert,« versicherte der Marquis Mono.

»In gewissen, großartigen Verhältnissen, streng aristokratisch, – starr wie der Herzog,« meinte Lord Ormond.

»Es ist eine eigene Kunst, 'pon honour!« fiel der Marquis Mono mit wichtiger Miene ein.

»Nicht Kunst, nichts von Kunst darf dabei im Spiel sein, lieber Mono«, belehrte ihn Lord Ormond. »Takt ist die Sache; nicht wahr, Morton?« fragte er diesen, mit einem spöttischen Seitenblick auf seine beiden Gefährten.

Und die drei brachen wieder in ein lautes Gelächter aus und überreichten, noch immer lachend, Morton die ausgelesene Krawatte.

Dieser war ungemein ernst geblieben.

»Nach meinem Gout,« versicherte Lord Ormond, »ist sie noch immer zu raide. Mein Gout ist der leichte, naive, ein gewisses Air von Naivität, von Originalität. Meine Krawatte soll gleichsam wie auf den Hals hingezaubert sein, wie durch Inspiration. Mir wenigstens scheint sie noch immer zu steif; aber Ihr Yankees liebt das Steife.«

»Flirtdown,« sprach Morton, der, die Krawatte in der Hand, in die Türe des anstoßenden Kabinettes getreten war, »bemerken Sie Lord Ormond, daß ich ein Virginier bin und Hotspurs Blut in meinen Adern habe. Einstweilen, Gentlemen, entschuldigen Sie mein Entfernen.«

»Alle Teufel, was ist das?« riefen der Marquis Mono und Lord Ormond.

»Pompey, was soll das?« fragte Lord Flirtdown. »Hat dein Master die blue devils

»Nein, aber die blue fools«, grinste der Alte.

Und die drei Lords sahen sich einander an und brachen wieder in ein lautes Gelächter aus.

»Inzwischen«, flüsterte Lord Flirtdown, »muß ich Euch nur im Vorbeigehen bemerken,« er legte den Zeigefinger auf den Mund, »daß Ihr den Spaß nicht zu weit treiben dürft. Er ist zwar ein Yankee, aber einer der Unsrigen und Leutnant in ihrer Marine, und das will etwas bedeuten. Schießt Euch, 'pon honour! die Schwalbe im Fluge herab.«

»Mit Pistolen?« fragte Lord Ormond.

»Sah ihn zwanzig, ohne zu fehlen, nacheinander herabbringen.«

»Pah! Und was kümmert das uns; sans souci ist mein Wahlspruch. Wer wird da Rücksichten nehmen? Ich tue, als bemerkte ich nichts. Wird doch Spaß verstehen.«

»Sagen Sie mir doch zum Teufel, Flirtdown, was er eigentlich hier in London will, und dann in diesem detestabeln Verstecke?«

»Pah!« meinte der Marquis, »so eine Art Mission wegen ihrer Zwiebel und Whisky- und Mehlfässer und Schinken, mit denen sie unser Westindien zu beglücken gedenken. Man sollte ihnen den Bettel gönnen. Sind eine wahre Krämernation, diese Yankees. Und, sagt mein Alter, zanksüchtig und krakeelisch. Man hat mehr Plage mit ihnen als mit all den Großmächten zusammengenommen. Gäbe es nur ein halbes Dutzend solcher Republiken in der Welt, sagt er, möchte der Teufel regieren. Je absoluter eine Macht, desto angenehmer die diplomatischen Verhältnisse, sagt er, 'pon honour

Morton war wieder eingetreten.

»Hören Sie, Morton, Sie sind also ein slip von einem Diplomaten. Wissen Sie die letzte Neuigkeit, mit der man sich in den exklusiven Zirkeln herumträgt?« fragte der Marquis.

Morton gab keine Antwort.

»Ist aber ein prächtiges Mädchen, diese Sonntag«, versicherte Lord Flirtdown.

»Eine Deutsche zwar,« bemerkte Lord Ormond, »hat aber doch ein wunderschönes Gestelle. Mir unbegreiflich, wo sie die niedlichen Füße her hat.«

»Der einzige Artikel, in dem die deutschen Schönen großtun«, kicherte der Marquis.

»Nun wissen Sie aber,« fuhr Lord Ormond fort, »daß unser Count Paul, wie ihn die Damen der – – nennen, ihr ganz rasend die Kur macht; hat ihr einen prächtigen Schmuck von Smaragden präsentiert.«

»Pardon! Es waren Saphire«, berichtigte ihn Lord Flirtdown.

»Sie wird sich heute in D–ehouse mit der Malibran und Pasta hören lassen«, bemerkte Lord Ormond.

»Unsere Alten klubten Waren im Klub (Kasino) versammelt, beratschlagten, intrigierten. den ganzen lieben Vormittag in Charlesstreet. Warum kamen Sie nicht, Morton? Lady Warnhall wollte sie Miß Wicliffe aufführen.«

»Aber der Herzog«, fiel Lord Ormond ein, »hat den Tippo Saib gekauft; 'pon honour! Ein prächtiges Tier, im Bau ganz die Eclipse, versichern die ältesten Gentlemen vom Turf Die Gentlemen vom Klub der Wettrenner.

»Wird in D–ehouse sein, mit einem ganzen Gefolge deutscher Prinzen.«

»Huldreich und bettelarm«, lachte der Marquis.

»Sind ein eminenter Kopf, Seine Gnaden der Herzog, ein Kraftgenie, der erste Mann des Jahrhunderts, 'pon honour!« versicherte Lord Flirtdown.

»Hat es bewiesen, der Herzog, wissen Sie?« bekräftigte wieder Lord Ormond.

»Hat verdammt Haare auf den Zähnen, hat es Winchelsea gezeigt«, setzte wieder Flirtdown hinzu.

»Hat Proben abgelegt, bei Waterloo und in Spanien«, Lord Ormond.

»Wenn der mit Ihrem alten Jackson anbinden würde, dürfte ihn mores lehren. Ist ein alter Halbbarbar, Ihr Jackson.«

»Ja,« bemerkte Morton trocken, »hat sich vor Neworleans sehr barbarisch gegen Euch benommen. Pompey, den Ballhut und Mantel.«

»Pah!« gähnten die drei Lords, die, nachdem sie Mortons Toilette nochmals durch ihre Lorgnons geprüft, mit einer graziösen Tournure, die ein Dutzend Zeitungen und Broschüren von einem Lesesessel zur Erde brachte, das Appartement verließen. Auf der Schwelle der Haustüre hielten sie an, lachten nochmals laut auf und schlugen dann den Weg durch das enge Gäßchen ein, auf dem ihnen der alte Pompey bis zum Wagen vorleuchtete.

»Alles erstorben, wie tot die Cockneys«, kicherte Lord Ormont, indem er auf die öden Häusermassen deutete; » 'pon honour! Ein schönes Ding, das Leben da zu beginnen, wo die andern aufhören. Nicht wahr, Mister Morton? Eigentlich ist nur der englische Gentleman frei, das heißt, er kann tun, was er will – Queensbury! Grandioser Kerl! Mehr Jungfern entjungfert, als er Haare auf dem Haupte hat – sich dessen vor George selbst gerühmt. Dürften Sie das in Ihrem Philadelphia tun? Pah! Unsere Herrlichkeit war nahe daran, in diesem verdammten quäkerischen Neste in einer Ihrer Wachstuben für eine Nacht Quartier nehmen zu müssen; und warum? Weil wir einer einfältigen Quäkerin einige handgreifliche Zärtlichkeiten zuteil werden ließen. Aber der Herzog, teurer Morton!«

»Welcher?« fragte dieser. »Der von Queensbury Der berüchtigte Wüstling und Freund Georg IV. oder –?«

»Mister Morton weiß vielleicht nicht, daß der Herzog von D–e seinen heutigen Ball vorzüglich zur Feier des Sieges gibt, den der große Herzog in beiden Häusern erfochten hat«, bemerkte Lord Ormond wichtig.

»Über wen?« fragte Morton lakonisch.

» 'pon honour!« erwiderten die Lords, mit einem mitleidigen Blicke auf den Virginier.

»Ah, meine Lords,« fiel der Marquis im spöttischen Tone ein, »Mister Morton ist selbst ein Diplomat.«

»Allen Respekt«, entgegnete Lord Ormond in demselben spöttischen Tone; »aber man kann ein großer, ein bedeutender Diplomat sein, ohne deshalb den Geist des großen Herzogs zu ergründen. Wissen Sie, Mister Morton,« setzte er belehrend hinzu, »das Oberhaus hat heute einen Sieg davongetragen – einen Sieg, der die Gewalt und das Reich für die kommenden siebzig Jahre abermals in unsere Hände gibt. Und diesen Sieg verdankt das Oberhaus Seiner Gnaden dem Herzog of – –n, der ihn erfochten hat für die Peerage.«

» 'pon honour! Es war eine sublime Rede, die er vorgestern hielt. Wissen Sie, Mono, wie er gesagt hat, daß unsere Konstitution das non plus ultra menschlicher Weisheit ist?«

»Ein prächtiger, erhabener Gedanke, das; nicht wahr, Mister Morton! Der Herzog! 'pon honour

»Sie werden ihn sehen, Mister Morton, den großen Herzog, den Beherrscher der Welt, der Rußland mit seinem kleinen Finger und Frankreich mit seinen Sporen regiert.«

»Wird aber oft abgeworfen; sah ihn erst gestern im Regentzirkus das Pflaster küssen«, versetzte Morton.

»Pah!« meinten die Lords gähnend.

Und unter dieser geistreichen Unterhaltung waren sie vor dem Wagen Lord Flirtdowns angekommen, der am Eingange von –street, einem armseligen Genèvreladen gegenüber hielt, in dessen verpesteter Atmosphäre ein einsames Talglicht kümmerlich schmachtete, um dieses herum gruppiert, wie Schatten der Unterwelt, einige jener unglücklichen Nachtwandlerinnen, die die nächtliche Sintflut in diesen traurigen Winkel zurückgedrängt hatte. Die drei Lords warfen einen fastidieusen Blick auf die gespenstigen Dienerinnen der Wollust und brachen abermals in ein gellendes Gelächter aus. » Look A-gin-court! Look A-gin-court!« riefen sie mit einer Stimme. » Look Agincourt Wortspiel, das einen Genèvreladen und die Schlacht gleichen Namens bedeutet.!« schrien sie abermals, die greulichen Sünderinnen durch ihre Lorgnons beäugelnd.

Morton war mit allen Symptomen des Ekels an den Wagen geeilt und im Begriffe, in diesen einzusteigen. Ein Lakai in reicher Livree hielt ihn am Arme zurück. Neben ihm stand ein elegant gekleideter Fremder.

» Mister Morton of Mortonhall?«

»Das ist mein Name.«

»Ist dieser Ihr Wagen«, sprach der Fashionable, auf eine elegante Karosse mit zwei prachtvollen Pferden deutend, die hinter der Ecke stand.

Morton starrte den Fremden und dann die Equipage an.

»Sie ist aus dem Atelier Walkers,« sprach der Fashionable, »und ich zweifle, ob Seine Majestät eine in ihren Remisen haben, die mit ausgesuchterem Gout gebaut ist.«

Morton erwiderte kein Wort.

»Steht samt den Pferden zur Verfügung Mister Mortons, und zwar auf Befehl des sehr achtbaren Mister Lomonds.«

Morton schaute auf den Kutschenschlag. Das Wappen seiner Familie glänzte ihm in goldener Emaille entgegen.

»Ich werde die Ehre haben,« fuhr der Fremde fort, » Mister Morton of Mortonhall zu begleiten.«

Dieser stand noch immer wie träumend. Mechanisch, kopfschüttelnd stieg er endlich in den Wagen, dessen Türe eben zugeschlagen wurde, als die drei Lords heranprallten.

»Alle Teufel, was ist das?« schrie Lord Ormond.

Die drei Lords standen mit offenen Mäulern.

»Ich glaube, der Yankee hat uns eine Nase gedreht.«

»Der große Herzog selbst hätte es nicht in noblerem Stile tun können«, lachte Lord Ormond.

»Ich sagte Euch so«, sprach Lord Flirtdown. »Ihr habt den Scherz zu weit getrieben. Ist nicht zu spassen mit den Amerikanern. Sie werfen Euch statt des Glases die ganze Flasche an den Kopf.«

Morton hörte noch die Lords nachrufen; aber im Schnauben und Brausen der Pferde und dem Rollen des Wagens verschallten die Stimmen, und er warf sich, betäubt von den widersprechendsten Empfindungen, in die Ecke.


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