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»Massa!« brummte ein eisgrauer Neger, der unter der Schar herbeigehinkt war, um dem Oberst vom Pferde zu helfen. »Massa lange ausgeblieben. Mistreß angst geworden; glauben, Massa wieder einmal auf die Briten Jagd gemacht.«
»Das nicht, alter Kauz; aber deinen Renard habe ich dir tüchtig eingeschweißt. Überlaß ihn aber für heute dem Tom, und du sorge, daß dieses edle Blutpferd sogleich als überritten behandelt wird. Sieh' zu, daß es am ganzen Leibe abgerieben, und zwar trocken abgerieben wird, bis es in einen leichten Schweiß gerät; dann in dicke Wolldecken gehüllt, die Füße mit warmem Wasser gewaschen und gleichfalls in Decken gehüllt. Um die Medizin kommst du auf die Office. Sei sorgfältig; es ist ein prachtvolles Tier. Es heißt Cyrus.«
»Und der Reiter ein erbärmlicher –« brummte der alte Wollkopf. »Der kein Gemman sein.«
»Halt's Maul, du alter Narr!« bedeutete ihm der Oberst. »Vergeben Sie, teurer Morton, der alte Cato war mein Reitknecht seit Anno 76, und da sind wir natürlich so eine Art alter Kameraden. Ihr Cyrus ist aber in den Händen eines wahren Pferdenarren.«
»Sollte auf einem hölzernen reiten, mit einem Rücken, nicht dicker als eine recht dicke Säge; dann wissen der Gemman, was sein, ein Pferd so zu traktieren. Armer Cyrus!« brummte der alte Neger im Abgehen; »armer Cyrus!«
Die beiden hatten dem Neger und seinen Gehilfen eine Weile nachgesehen und gingen dann durch den Vorhof auf das Haus zu, vor dessen Front eine Kolonnade dorischer Ordnung hinlief, mit einer Reverbère-Lampe in der Mitte, deren blendendes Licht eine freundlich aristokratische Helle über den Hof und seine Umgebungen verbreitete. Die Haustüre öffnete sich, und zwei Mädchen hüpften heraus, um den alten Herrn zu begrüßen. Er nahm sie bei der Hand und schritt in den Korridor ein. Dieser war, wie es in Häusern unserer wohlhabenden Bürger der Fall ist, durch einen Kamin geschützt, dessen hell loderndes Feuer die Gänge und Treppen des ganzen Hauses erwärmte. Beide waren mit eleganten Fußteppichen belegt, mit Eichenholz getäfelt und in ihren Wendungen mit Lampen erleuchtet. Man gewahrte beim ersten Eintritte, daß der Besitzer sich eines soliden Wohlstandes erfreue und diesen auf eine liberale, zweckmäßige Weise genieße. Als sie in das Besuchzimmer traten, kam ihnen eine Dame entgegen, die der Jahre siebzig zählen mochte und von einer seltenen Schönheit war – jener grau gewordenen Schönheit, die selbst mehr und wohltuender anspricht als jugendliche Reize, indem sie das untrügliche Bild eines heiter und tugendhaft verlebten Daseins ist; ein helles, freundliches Auge, sanft leuchtend, aus dem der Friede eines glücklichen Gemütes schaute, die Stirne und Wangen nur wenig gerunzelt, leicht eingetrocknet, eine liebliche Röte auf den noch immer weißen, zarten Wangen, um den Mund das angenehme Lächeln, im ganzen Wesen jene ehrbare Matronenwürde, die sich bewußt ist, daß sie einen guten Kampf gekämpft hat. In der Weise, wie sich die beiden Eheleute begrüßten, lag etwas ungemein Zartes, Rührendes – gegenseitig Achtungsvolles. Sie sahen sich in die Augen, wie zwei Menschen, die da fühlen, daß ihres Bleibens auf dieser Erde nicht mehr lange – und die daher am Vorabende ihrer Trennung zur weiteren Reise ungemein weich gestimmt sind.
»Du bist lange ausgeblieben, teurer Adolf!« sprach die Dame mit einem sanften Vorwurfe, als sie der Gatte, sie herzlich küssend, in seinen Armen hielt.
»Wohl, teure Elisabeth!« erwiderte dieser; »ich habe dir aber dafür einen lieben Gast mitgebracht, einen sehr lieben Gast – den Enkel unseres teuren, unvergeßlichen Mortons und Großneffen unseres verehrten –ns, wie du weißt.«
»Seien Sie mir vielmals willkommen, teurer Morton!« sprach die Dame, »recht sehr willkommen! Oft haben wir von unseren lieben Freunden gesprochen; Ihre Großmutter war eine liebe, liebe Jugendfreundin von mir!«
Und indem sie so sprach, heftete sich ihr Blick, gutmütig forschend, auf die Gesichtszüge des jungen Mannes.
Dieser wurde verlegen.
»Auch dir, liebe Adele, wird Mister Morton willkommen sein, hoffe ich«, unterbrach die beiden der zart fühlende Oberst mit einer Bewegung, die den Weltmann verriet, der seinem Gaste jede Verlegenheit zu ersparen wünscht.
»Und du, Emma, kleiner Schelm! Willst du versprechen, recht artig zu sein? Dann bleibt Mister Morton recht lange bei uns.«
Adele war ein Mädchen, das zwischen fünfzehn und sechzehn Jahren zählen mochte; ein zartes, herrliches Geschöpf, in dessen regelmäßig schönem Gesicht altenglischer Adel, deutsche Gemütlichkeit und amerikanischer Verstand in seltener Harmonie gepaart erschienen. Neben ihr wiegte sich Emma, das achtjährige Schalksköpfchen, das abwechselnd bald die Schwester, bald den Großvater, bald wieder die Großmutter durch ihr Getändel in Bewegung setzte.
»Kennen Sie unsere Adele?« fragte der Oberst den Jüngling, der bereits mit seiner Enkelin die Unterhaltung angeknüpft hatte.
»Ich hatte die Ehre in Washington –«
»Ja, ja, sie war da mit ihrem Vater, dem Kongreßmitgliede. – Jetzt aber, liebe Adele, vor allem eine Tasse Tee.«
Es umgibt unser Landleben ein gewisses Etwas, das schwer zu definieren ist und diesem einen eigenen Reiz verleiht. Die wirklich königliche Unabhängigkeit, die Abwesenheit von allem, was wir gemeinhin Kleinstädterei nennen, das unbeschränkte Mitwirken an den großen Angelegenheiten der Nation, und durch diese an den Weltereignissen, das jeden Tag in dem Verhältnisse um so großartiger wird, als die Macht und der Einfluß unserer Republik nach außenhin mehr gefühlt werden, verleihen unserm Landleben, bei der Abwesenheit aller beengenden Rücksichten, eine gewisse Würde, ja Hoheit, die etwas Souveränartiges hat. Es hat etwas ungemein Anziehendes, einen wahren Zauber, dieses Landleben; schattiert, wie es ist, durch feinen Weltton, und wieder jene Selbstachtung, die, Gott und dem Gesetze allein huldigend, auf Bewußtsein unveräußerlicher Rechte gegründet ist. Es ist dieses Landleben die wahre Grundlage, der Stützpunkt amerikanischer Freiheit, so wie in ihm allein der Bürger dieser Union groß und wahrhaft frei erscheint. Im Getümmel der Städte verschwindet seine angeborene Unabhängigkeit in jenem steifen, starren, linkisch aristokratischen Wesen, das, die Sitten und Gebräuche anderer Länder nachäffend, der Natürlichkeit ermangelt und Bruder Jonathan nicht ganz mit Unrecht seinen hölzernen Bibelnamen erworben hat.
Hier vereinigte sich der feinste Weltton mit der anspruchlosesten Heiterkeit, die klarste, ruhigste Menschen- und Weltkenntnis mit dem gemütlichsten Frohsinne, um Morton den Abend zu einem der angenehmsten seines Lebens zu machen. Unwillkürlich ward er in die heitere Stimmung der guten Menschen mit hineingezogen, und erst nachdem die Mitternachtsstunde geschlagen, trennte sich die Gesellschaft, um der nötigen Ruhe zu genießen. Der Oberst begleitete seinen Gast einige Schritte und trennte sich von ihm mit den Worten: »Sie werden in der blauen Stube das Nötige zu Ihrer morgigen Toilette finden und mir einen Gefallen tun, wenn Sie ohne weiteres davon Gebrauch machen.«