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I.
Die Prärie am Jacinto.

In Gesellschaft eines Freundes und gewissermaßen überwiesen von einer Kompagnie unserer aufgeklärten New-Yorker, die damals gerade ihren Unternehmungsgeist auf Texas gerichtet, kam ich in das genannte Land, mit andern Worten: ich hatte das Glück oder Unglück, einen sogenannten Texas-Landskrip zu besitzen, also ein Zertifikat, ausgestellt von der Galvestonbay- und Texas-Landkompagnie, männiglich kund und zu wissen tuend, daß meine werte Person eine runde Summe von tausend Dollars in die Hände der Kassierer besagter Kompagnie niedergelegt, für welche Niederlage ich berechtigt sein sollte, mir innerhalb des Gebietes obbesagter Galvestonbay- und Texas-Landkompagnie eine Strecke von nicht mehr noch weniger denn zehntausend Ackern Landes herauszulesen, sie eigentümlich in Besitz zu nehmen, mich darauf niederzulassen, kurz alle und jede Befugnisse eines Eigentümers auszuüben oder ausüben zu lassen, bloß unter der einzigen Bedingung, daß bei der Auswahl meiner zehntausend Acker ich nicht früheren Rechten oder Besitztiteln in den Weg träte.

Zehntausend Acker im schönsten Lande der Erde waren allerdings ein viel zu lockender Köder, um nicht angebissen zu werden. Ich hatte, wie zu erwarten stand, angebissen, und infolge dieses Anbeißens mich mit meinem Freunde, der auch einen Landskrip besaß, nach dem vielbelobten Lande eingeschifft.

Wir gingen in Baltimore an Bord des schnellsegelnden Schoners The Catcher und kamen nach einer dreiwöchentlichen Fahrt glücklich in Galvestonbay an. Dort an der Küste mündet der Rio de Brazos ein. Die dreißig Meilen von der Mündung des Brazos hinauf nach Brazoria zu fahren, nahm uns drei volle Tage. Am ersten dieser drei Tage fuhren wir durch eine immerwährende Wiese, am zweiten rückten wir den Inseln näher; die Wiese wurde zum Parke, rechts und links tauchten in meilenweiter Entfernung die prachtvollsten Baumgruppen auf, aber keine Spur menschlichen Daseins in diesem herrlichen Parke – ein unermeßlicher Ozean von Gräsern und Inseln.

Fünfzehn Meilen oberhalb der Mündung des Rio Brazos fuhren wir in den ersten Wald ein. Sykomoren, später Pecans oder Paccans, eine Art schwarzer Walnußbäume, wölbten sich zu beiden Seiten über den Fluß herüber, und, den Genuß zu erhöhen, erschienen auch ein Rudel Hirsche und eine starke Flucht von Welschhühnern; beide aber, bereits ziemlich scheu, brachen, kaum daß sie uns erblickten, auch aus. Der Boden des Landes war jedoch, wie man leicht ermessen kann, unser Hauptaugenmerk. An der Küste hatten wir ihn leichtsandig gefunden, mit einer sehr dünnen Kruste fruchtbarer Dammerde, aber ohne alle Anzeichen von Sumpf oder Schlamm; weiter hinauf wurde die Schicht der fruchtbaren Dammerde dicker; sie lagerte von einem bis vier – acht – zwölf – endlich fünfzehn – und bei Brazoria zwanzig Fuß über der Sand- und Lehmunterlage. Noch hatten wir nichts, was einem Hügel oder Steine ähnelte, gesehen, und in der Tat dürfte es schwer werden, hundert Meilen weit und breit einen Stein, auch nur so groß wie ein Taubenei, zu entdecken. Dafür fehlte es jedoch nicht an Holz, um Häuser zu bauen und Einfriedigungen zu stellen, und dies beruhigte uns wieder. Unsere Hoffnungen wuchsen mit jeder Meile.

In Brazoria angekommen, erlitten sie jedoch wieder einen harten Stoß.

Brazoria, etwa dreißig Meilen oberhalb der Einmündung des Rio Brazos in die Bai, war zur Zeit unserer Ankunft, das heißt im Jahre 1832, eine bedeutende Stadt – für Texas nämlich – indem sie über dreißig Häuser, darunter drei backsteinerne, drei Frame- oder Fach-, die andern Blockhäuser, enthielt. Wir machten nun hier die Entdeckung, daß unsere Skrips sich nicht ganz als die Sicherheitsanker erwiesen, die unsere Lebensarche im Texashafen festzuhalten versprachen. Wir hörten Zweifel, die nach der Ankunft William Austins, des Sohnes des Obersten Austin, zur fatalen Gewißheit wurden. Er gab uns die Akten des mexikanischen Kongresses zu lesen, die uns nur zu klar überzeugten, daß unsere Skrips nicht mehr wert waren als jedes andere beschriebene Papier.

Der Kongreß von Mexiko hatte nämlich im Jahre 1824 zur Aufmunterung fremder Einwanderer und als Richtschnur für die verschiedenen, von den einzelnen Staaten zu erlassenden Gesetze einen Beschluß gefaßt, dessen Tendenz dahin ging, die Einwanderung vorzüglich in Texas zu begünstigen. Dem Kolonisationsplane zufolge waren Kontraktoren oder, wie sie in der Landessprache genannt wurden, Empressarios engagiert worden, die sich verbindlich machen mußten, binnen einer gewissen Zeit eine gewisse Anzahl von Ausländern auf ihre Kosten, und ohne dem Staate im geringsten zur Last zu fallen, ins Land zu importieren. Die Regierung hatte sich anheischig gemacht, den Eingewanderten zu je hundert Familien fünf Quadratstunden Landes anzuweisen und hierüber die Besitztitel auszustellen, jedoch mit der ausdrücklichen Bedingung, daß diese Einwanderer Bekenner der katholischen Kirche seien, weshalb auch die Ländereien erst angewiesen, sowie die Besitztitel ausgestellt werden sollten, nachdem sie sich über dieses ihr Glaubensbekenntnis hinreichend ausgewiesen haben würden. Für ihre Mühe sollten die Empressarios, wie sie genannt wurden, die aber eigentlich Brockers oder Makler waren, mit besonderen Ländereischenkungen bedacht werden.

Von dieser sauberen Bedingung nun hatten uns unsere New-Yorker Galvestonbay- und Texas-Landkompagnons und ehrsam wohlgebornen Yankees wohlweislich kein Wort gesagt, uns unsere zehntausend Acker zu einfachem Eigentum verkaufend, als ihnen von der mexikanischen Regierung bloß unter der einzigen Bedingung zur Disposition überlassen, das Land binnen Jahresfrist mit Auswanderern zu besetzen. So lauteten ihre mündlichen und schriftlichen Versicherungen, so lauteten auch die Skrips, und wir, diesen trauend, waren so auf die wilde Länderjagd ausgezogen. Klar war sonach, daß wir mit unseren Skrips geprellt waren.

Offenbar hatte die Regierung von Mexiko bei ihrem Kolonisationsplane von Texas weiteraussehende Pläne. Texas sollte nicht bloß eine Art Außenwerk für das politische Unionsgebäude der Staaten Mexikos, es sollte gegen die ketzerische Union ein Vorwerk werden.

Durften wir, als Bürger der freiesten, der erleuchtetsten, der größten herrschenden Nation Amerikas, zugeben, daß eine nachbarliche Regierung, die uns eigentlich ihre Existenz verdankte, und die ein paar unserer Bataillone wieder stürzen konnten, uns Gesetze diktiere, vorschreibe, was wir glauben und nicht glauben sollten? Mußten wir nicht alles aufbieten, diesen knechtenden Gesetzen entgegenzuarbeiten, den Streich, der uns gespielt worden, auf die Häupter derer, von denen er ausgegangen, zurückfallen zu machen? – Die Frage hatte nur eine Antwort, und nachdem diese Antwort einmal gegeben, war auch unser Entschluß gefaßt. Wir wollten bleiben – was auch kommen mochte. – Jetzt waren wir ordentlich froh, daß unsere vielerwähnte löbliche Galvestonbay- und Texas-Landkompagnie uns den Possen mit den Skrips gespielt, ja, wir entschuldigten sie, wohl begreifend, daß sie eben bei dieser ihrer Schelmerei einen uns und unserm Lande wohlgemeinten second thought, einen Hintergedanken hatten. Das versöhnte uns nicht nur mit unserer einigermaßen spitzbübischen Galvestonbay- und Texas-Landkompagnie, es ließ uns auch in der Aussicht auf kommende Abenteuer unsere tausend Dollars leicht verschmerzen. Wir gaben unsere zweimal zehntausend Acker um so weniger verloren, als unsere neuen Freunde, alle Landsleute, uns lachend versicherten, daß Tausende unserer Landsleute, auf diese Weise bereits von unsern Boston-, New York-, Philadelphia-, Baltimore- und New-Orleaner Texas-Landkompagnien ins Land spediert, auch da ihren Herd aufgeschlagen. Käme Zeit, käme Rat – wir hätten nichts Besseres zu tun, als Mustangs zu kaufen, deren die schönsten für Spottpreise zu haben wären, uns im Land umzusehen und das Weitere dem lieben Gott und dem freien, souveränen Volke – die letzteren Worte waren natürlich leise gesprochen – zu überlassen.

Es war wohl das Klügste, was wir tun konnten; so kauften wir uns also vor allem Mustangs.

Diese Mustangs sind kleine, in der Regel nicht über dreizehn Hand hohe Pferde, die, von den Spaniern eingeführt, sich während deren dreihundertjähriger Oberherrschaft ins Unzählbare vermehrt haben und in Herden von Tausenden durch die Prärien von Texas, vorzüglich aber von Kohahuila streifen. In Texas beginnen sie jedoch bereits weniger zahlreich zu werden. Man fängt sie mit dem sogenannten Lasso, dessen Gebrauch, obwohl bekannt, ich doch näher beschreiben will, da ich, häufig Augenzeuge solcher Jagden, ihn vielleicht deutlicher zu versinnlichen vermag.

Der Lasso ist ein zwanzig bis dreißig Fuß langer und aus fingerbreiten Rindshautschnitten gedrehter biegsamer Riemen, von dem ein Ende am Sattelknopfe befestigt, das andere aber mit der Schlinge vom Lassojäger in der Hand gehalten wird. Sowie dieser einen Trupp wilder Pferde aufstöbert, sucht er ihm mit seinen Gefährten vor allem den Wind abzugewinnen, dann aber sich ihm möglichst zu nähern. Selten oder nie entwischen die Tiere den geübten Jägern, die, wenn sie auf dreißig bis zwanzig Fuß nahekommen, demjenigen, das sie sich zur Beute ersehen, mit unfehlbarer Hand die Schlinge über den Kopf werfen. Ist die Schlinge geworfen, so wirft der Reiter zugleich sein Pferd herum; die dem Tiere über den Kopf geworfene Schlinge schnürt diesem plötzlich die Kehle zusammen, und der im nächsten Augenblick darauf erfolgende äußerst heftige Riß des in entgegengesetzter Richtung fortschießenden Reiters betäubt das atemlose Pferd so gänzlich, daß es, auch nicht des mindesten Widerstandes fähig, wie ein Klotz rücklings geworfen fällt – und regungslos, beinahe leblos daliegt – nicht selten getötet oder hart beschädigt, jedenfalls mit einer Warnung, die es den Lasso sein ganzes Leben hindurch nicht vergessen läßt. Ein auf diese Weise eingefangenes Tier sieht diesen nie, ohne zusammenzuschrecken, es zittert bei seinem Anblick an allen Gliedern, und die wildesten werden durch das bloße Umlegen schafzahm.

Ist das Tier gefangen, so wird es auf eine nicht minder brutale Weise gezähmt. Es werden ihm die Augen verbunden, das furchtbare, pfundschwere Gebiß in den Mund gelegt, und dann wird es vom Reiter – die nicht minder furchtbaren, sechs Zoll langen Sporen an den Füßen – bestiegen und zum stärksten Galopp angetrieben. Versucht es, sich zu bäumen, so ist ein einziger, und zwar gar nicht starker Riß dieses Martergebisses hinreichend, dem Tiere den Mund in Fetzen zu zerreißen, das Blut in Strömen fließen zu machen. Ich habe mit diesem barbarischen Gebisse Zähne wie Zündhölzer zerbrechen sehen. Das Tier wimmert, stöhnt vor Angst und Schmerzen, und so wimmernd, stöhnend, wird es ein oder mehrere Male auf das schärfste geritten, bis es auf dem Punkte ist, zusammenzubrechen. Dann erst wird ihm eine Viertelstunde Zeit zum Ausschnaufen gegeben, worauf man wieder dieselbe Strecke zurücksprengt. Sinkt oder bricht es während des Rittes zusammen, so wird es als untauglich fortgejagt oder niedergestoßen, im entgegengesetzten Falle aber mit einem glühenden Eisen gezeichnet und dann auf die Prärie entlassen. Von nun an hat das Einfangen keine besonderen Schwierigkeiten mehr; die Wildheit des Pferdes ist gänzlich gebrochen, aber dafür eine Heimtücke, eine Bosheit eingekehrt, von der man sich unmöglich eine Vorstellung machen kann. Es sind diese Mustangs gewiß die boshaftesten, falschesten Tiere unter all den Pferderassen, die es auf der Erdenrunde gibt, stets nur darauf ausgehend, ihrem Herrn einen Streich zu spielen.

Gleich nachdem ich das meinige übernommen, war ich nahe daran, ein teures Lehrgeld zu geben. Im Begriff, eine Exkursion nach Bolivar zu unternehmen, sollten wir über den Brazos setzen. Der Vorletzte, der das Boot bestieg, zog ich meinen Mustang sorglos am Zügel nach, und ich war soeben im Begriff, in das Boot einzusteigen, als ein plötzlicher Ruck und der Zuruf: »Achtet auf Euer Tier!« mich seitwärts springen machte. Ein Glück, daß ich mich nicht erst umsah, sonst hätte es mir leicht das Leben kosten können. Mein Mustang war nämlich plötzlich zurückgesprungen, hatte sich ebenso plötzlich gebäumt und mit einer solchen Wut und Kraft auf mich niedergeworfen, daß seine Hufe die Bretter des Bootes durchbrachen. In meinem Leben hatte ich nichts so Wütendes gesehen wie dieses Tier. Es fletschte die Zähne, die Augen sprühten ein fanatisches Feuer, einen wahrhaft tödlichen Haß – sein Gewieher glich dem Lachen des höllischen Feindes. Ich stand entsetzt. – Der Lasso, den mein Nachfolger ganz ruhig dem Tiere über den Kopf warf, machte es im nächsten Augenblicke wieder so fromm und unschuldig dareinschauen, daß wir alle laut auflachten, obwohl ich – sonst nichts weniger als ein Pferdefeind – starke Versuchung spürte, es auf der Stelle niederzuschießen.

Mit diesem Tiere nun, und begleitet von meinem Freunde, unternahm ich mehrere Ausflüge nach Bolivar, Marion Kolumbia, Anahuac – Städtchen von drei – sechs – zehn – bis zwanzig Häusern. Auch Pflanzungen besuchten wir, anfangs solche, an die wir empfohlen waren, später jede, die uns in den Wurf kam. Soeben waren wir auf einer dieser Pflanzungen. Sie lag eine Meile seitwärts von der Straße, die von Harrisburg nach San Felipe de Austin führt, und gehörte einem Mister Neal.

Mister Neal war erst drei Jahre im Lande und hatte sich in dieser Zeit ausschließlich mit der Viehzucht beschäftigt, in Texas einer der angenehmsten, einträglichsten und bequemsten Berufe, dem der erste Gentleman, ohne sich etwas zu vergeben, folgen darf. Seine Herden mochten etwa sieben- bis achthundert Stück Rinder und fünfzig bis sechzig Pferde zählen, alle Mustangs. Die Pflanzung war, wie beinahe alle, die wir bisher gesehen, noch im Werden; das Haus, im Hinterwäldlerstil angelegt, war geräumig und selbst bequem, von rohen Baumstämmen aufgeführt. Es lag am Saume einer Insel- oder Baumgruppe, mitten zwischen zwei kolossalen Sykomoren, die es vor Sonne und Wind schützten. Im Vordergrunde floß die endlose Prärie mit ihren wogenden Gräsern und Blumen in die unabsehbare Ferne hin, im Hintergrunde erhob sich die hehre Majestät eines texasschen Urwaldes, über und über mit Weinreben durchwunden, die, hundert und mehr Fuß an den Bäumen hinaufrankend, ihre Ausläufer so über die ganze Insel hingesendet hatten. Diese Inseln sind einer der reizendsten Züge in dem texasschen Landschaftsgemälde, und so unendlich mannigfaltig in ihren Formen und der Pracht ihrer Baumschläge, daß man jahrelang im Lande sein und doch immer neue Schönheiten an ihnen auffinden kann.

Ein nicht minder idyllischer Zug dieses gesegneten Landes ist die bequeme, anspruchslose Gastlichkeit seiner Bewohner. Selbst da, wo wir keine Empfehlungen brachten – und ich verstehe nicht schriftliche, sondern auch bloß mündliche Empfehlungen oder Grüße – traten wir bald ganz unbefangen in die Häuser und wurden ebenso unbefangen, ganz als alte Bekannte, empfangen.

Unser Wirt war ein fröhlicher Kentuckier und machte seinem Geburtsstaat in jeder Hinsicht Ehre. Unsere Aufnahme war die herzlichste, die es geben konnte. Wir hatten dafür nichts zu entrichten als die Neuigkeiten, die wir von Hause mitbrachten. Aber man kann sich auch schwerlich einen Begriff von der Gier, der Ängstlichkeit machen, mit der unsere Landsleute in der Fremde Berichte von Hause anhören. Die Spannung ist wirklich fieberisch, und nicht bloß bei Männern, auch bei Frauen und Kindern.

Wir waren nachmittags angekommen, und die Morgensonne des folgenden Tages traf uns noch am Erzählen und Debattieren – die ganze Familie um uns herum. Kaum, daß wir einige Stunden geschlafen, wurden wir von unsern lieben Wirtsleuten bereits wieder aufgeweckt. Einige zwanzig bis dreißig Rinder sollten eingefangen und nach Neu-Orleans auf den Markt versandt werden. Die Art Jagd, die bei einem solchen Einfangen stattfindet, ist immer interessant, selten gefährlich. Wir ließen uns die freundliche Einladung nicht zweimal sagen, sprangen auf, kleideten uns an, frühstückten und bestiegen dann unsere Mustangs.

Wir hatten vier bis fünf Meilen zu reiten, ehe wir zu den Tieren kamen, die in Herden von dreißig bis fünfzig Köpfen teils weideten, teils im Grase herumtummelten, die schönsten Rinder, die ich je gesehen.

Wir waren ein halbes Dutzend Reiter, nämlich Mister Neal, mein Freund, ich und drei Neger. Unsere Aufgabe bestand darin, die Tiere dem Hause zuzutreiben, wo die für den Markt bestimmten mit dem Lasso eingefangen und sofort nach Brazoria abgeführt werden sollten. Ich ritt meinen Mustang. Wir hatten uns der ersten Herde, die aus etwa fünfzig bis sechzig Stück bestand, auf eine Viertelmeile genähert. Die Tiere blieben ganz ruhig. Sie umreitend, suchten wir der zweiten den Wind abzugewinnen. Auch diese blieb ruhig, und so ritten wir weiter und weiter, und die letzte und äußerste Truppe hinter uns, begannen wir uns zu trennen, um sämtliche Herden in einen Halbkreis zu schließen und dem Hause zuzutreiben. Mein Mustang hatte sich bisher recht gut gehalten, munter und lustig fortkapriolierend keine seiner Tücken gezeigt, aber jetzt – wir waren noch keine zweihundert Schritte auseinander – erwachte der alte Unhold. Etwa tausend Schritte von uns weideten nämlich die Mustangs der Pflanzung, und kaum hatte er diese ersehen, als er auch in Kreuz- und Quersprünge ausbrach, die mich, obwohl sonst kein ungeübter Reiter, beinahe aus dem Sattel brachten. Noch hielt ich mich jedoch. Aber unglücklicherweise hatte ich, dem Rate Mister Neals entgegen, nicht nur statt des mexikanischen Gebisses mein amerikanisches angelegt, ich hatte auch den Lasso, der mir das Tier bisher mehr als selbst das Gebiß regieren geholfen, zurückgelassen, und wo dieser fehlt, ist mit einem Mustang in der Prärie nichts anzufangen. Alle meine Reitergeschicklichkeit vermochte hier nichts, wie ein wilder Stier sprang es etwa fünfhundert Schritte der Herde zu, hielt aber, ehe es in ihrer Mitte anlangte, so plötzlich an, warf die Hinterfüße so unerwartet in die Luft, den Kopf zwischen die Vorderfüße, daß ich über denselben herabgeflogen war, ehe ich mir die Möglichkeit träumen ließ. Auf Zügel und Trense mit beiden Vorderfüßen zugleich springen, den Zaum abstreifen und dann mit wildem Gewieher der Herde zuspringen, das war dem Kobold das Werk eines Augenblicks.

Wütend erhob ich mich aus dem ellenhohen Grase. Mein nächster Nachbar, einer der Neger, sprengte zu meinem Beistande herbei und bat mich, das Tier einstweilen laufen zu lassen, Anthony der Jäger würde es schon wieder erwischen; aber in meinem Zorn hörte ich nicht. Rasend gebot ich ihm, abzusteigen und mir sein Pferd zu überlassen. Vergebens bat der Schwarze, um des Himmels willen dem Tiere nicht nachzureiten, es lieber zu allen Teufeln laufen zu lassen; ich wollte nicht hören, sprang auf den Rücken seines Mustangs und schoß dem Flüchtling nach. Mister Neal war unterdessen selbst herbeigesprengt und schrie so stark, als er es vermochte, ich möchte ja bleiben, ich wisse nicht, was ich unternähme, wenn ich einem ausgerissenen Mustang auf die Prärie nachreite, eine Texasprärie sei keine Virginia- oder Karolinawiese. Ich hörte nichts mehr, wollte nichts mehr hören; der Streich, den mir die Bestie gespielt, hatte mir alle Besonnenheit geraubt; wie toll galoppierte ich nach.

Das Tier war der Pferdeherde zugesprungen und ließ mich auf etwa dreihundert Schritte herankommen, den Lasso, der glücklicherweise am Sattel befestigt war, zurechtlegen, und dann riß es abermals aus. Ich wieder nach. Wieder hielt es eine Weile an, und dann galoppierte es wieder weiter; ich immer toller nach. In der Entfernung einer halben Meile hielt es wieder an, und als ich bis auf drei- oder zweihundert Schritte herangekommen, brach es wieder mit wildem, schadenfrohem Gewieher auf und davon. Ich ritt langsamer, auch der Mustang fiel in einen langsameren Schritt; ich ritt schneller, auch er wurde schneller. Wohl zehnmal ließ er mich an die zweihundert Schritt herankommen, und ebensooft riß er wieder aus. Jetzt wäre es allerdings hohe Zeit gewesen, von der wilden Jagd abzustehen, sie Erfahrenern zu überlassen; wer aber je in einem solchen Falle gewesen, wird auch wissen, daß ruhige Besonnenheit richtig immer gleichzeitig Reißaus nimmt. Ich ritt wie betrunken dem Tiere nach, es ließ mich näher und näher kommen, und dann brach es mit einem lachenden, schadenfrohen Gewieher richtig wieder aus. Dieses Gewieher war es eigentlich, was mich so erbitterte, blind und taub machte – es war so boshaft, gellte mir so ganz wie wilder Triumph in die Ohren, daß ich immer wilder wurde. Endlich wurde es mir doch zu toll, ich wollte nur noch einen letzten Versuch wagen, dann aber gewiß umkehren. Es hielt vor einer der sogenannten Inseln. Diese wollte ich umreiten, mich durch die Baumgruppe schleichen und ihm, das ganz nahe am Rande graste, von diesem aus den Lasso über den Kopf werfen, oder es wenigstens der Pflanzung zutreiben. Ich glaubte meinen Plan sehr geschickt angelegt zu haben, ritt demnach um die Insel herum, dann durch, und kam an dem Punkte heraus, wo ich meinen Mustang ganz sicher glaubte; allein, obwohl ich mich so vorsichtig, als ritte ich auf Eiern, dem Rande näherte, keine Spur war mehr von meinem Mustang zu sehen. Ich ritt nun ganz aus der Insel heraus – er war verschwunden. Ich verwünschte ihn in die Hölle, gab meinem Pferde die Sporen und ritt zurück, oder glaubte wieder zurück-, das heißt der Pflanzung zuzureiten.

Zwar sah ich diese nicht mehr, selbst die Herde der Mustangs und der Rinder war verschwunden, aber das machte mich noch nicht bange. Glaubte ich doch die Richtung vor Augen, die Insel vom Hause aus gesehen zu haben. Auch fand ich allenthalben der Pferdespuren so viele, daß mir die Möglichkeit, verirrt zu sein, gar nicht beifiel. So ritt ich denn unbekümmert weiter.

Eine Stunde mochte ich so geritten sein. Nach und nach wurde mir die Zeit etwas lang. Meine Uhr wies auf eins – Schlag neun waren wir ausgeritten. Ich war also vier Stunden im Sattel, und wenn ich anderthalb Stunden auf die Rinderumkreisung rechnete, so kamen drittehalb auf meine eigene wilde Jagdrechnung. Ich konnte mich denn doch weiter von der Pflanzung entfernt haben, als ich dachte. Auch mein Appetit begann sich stark zu regen. Es war gegen Ende März, der Tag heiter und frisch. Die Sonne stand zwar jetzt golden am Himmel, aber der Morgen war trübe und neblig gewesen, und fatalerweise waren wir erst den Tag zuvor, und gerade nachmittags, auf der Pflanzung angelangt, hatten uns sogleich zu Tische gesetzt und den ganzen Abend und die Nacht verplaudert, so daß ich keine Gelegenheit wahrgenommen, mich über die Lage des Hauses zu orientieren. Dieses Übersehen begann mich nun einigermaßen zu ängstigen, auch fielen mir die dringenden Bitten des Negers, die Zurufe Mister Neals ein; aber doch tröstete ich mich noch immer; gewiß war ich nicht weiter als zehn bis fünfzehn Meilen von der Pflanzung, die Herden mußten jeden Augenblick auftauchen, und dann konnte es mir ja gar nicht fehlen. Diese tröstende Stimmung hielt nicht lange an, es kam wieder eine bange, denn abermals war ich eine Stunde geritten, und noch immer keine Spur von etwas wie einer Herde oder Pflanzung. Ich wurde ungeduldig, ja böse gegen den armen Mister Neal. Warum sandte er mir nicht einen oder ein paar seiner faulen Neger oder seinen Jäger nach? Aber der war nach Anahuac gegangen, erinnerte ich mich gehört zu haben, konnte erst in ein paar Tagen zurück sein. – Aber ein Signal mit einem oder ein Paar Flintenschüssen konnte mir der Kentuckier geben! Ich hielt an, ich horchte; kein Laut – tiefe Stille ringsumher – selbst die Vögel in den Inseln schwiegen; die ganze Natur hielt Siesta, für mich eine sehr beklemmende Siesta. Im Sommer oder Herbst war ein Verirren minder gefährlich gewesen, weil dann die Inseln einen Überfluß an deliziösesten Früchten lieferten, die wenigstens vor dem Hungertode schützten. Die herrlichsten Weintrauben, Parsimonen, Pflaumen, Pfirsiche sind dann allenthalben im Überfluß zu finden, aber nun war der Frühling erst seit einigen Wochen angebrochen; – ich traf zwar allenthalben auf Weinreben, Pfirsich- und Pflaumenbäume, deren Früchte mir als die köstlichsten geschildert waren und die ich in der Tat später so gefunden, aber für mich hatten sie kaum abgeblüht. Auch Wild sah ich vorbeischießen, aber ohne Gewehr stand ich inmitten des reichsten Landes der Erde vielleicht, ja wahrscheinlich dem Hungertode preisgegeben. Immerhin tröstete ich mich doch noch; von der eigentlichen Größe der Gefahr hatte ich noch immer keinen deutlichen Begriff. Ich hielt es für unmöglich, mich in den wenigen Stunden so gänzlich verirrt zu haben, daß nicht Mister Neal oder seine Neger meine Spur einholen sollten. Auch die Sonne, die jetzt hinter den dunstumflorten Inseln im Nordwesten unterging, die Dämmerung hereinbrechen ließ, beruhigte mich wieder wunderbar. Jeden Augenblick glaubte ich das Bellen der Hunde, das Gebrülle der Rinder, das Lachen der Kinder hören zu müssen. Wirklich sah ich auch jetzt das Haus vor mir, meine Phantasie ließ mich deutlich die Lichter im Wohnzimmer sehen, ich ritt hastiger, aber als ich endlich dem, was Haus sein sollte, näherkam, wurde es wieder zur Insel. Was ich für Lichter gehalten, waren Feuerkäfer, die mir in Klumpen aus der düstern Nacht der Insel entgegenglänzten, nun in dem auch über der Prärie hereinbrechenden Dunkel auf allen Seiten ihre blauen Flämmchen leuchten ließen, daß ich mich wie auf einem bengalischen Feuersee umhertreibend wähnte.

Etwas die Sinne mehr Verwirrendes läßt sich schwerlich denken als ein solcher Ritt in einer warmen Märznacht durch die endlos einsame Prärie. Über mir das tiefdunkelblaue Firmament mit seinem hellfunkelnden Sternenheere, zu den Füßen ein Ozean magischen Lichtes, Millionen von Leuchtfeuerkäferchen entstrahlend! Es war mir eine neue, eine verzauberte Welt!

Ein süßer Traum, ein schmerzliches Erwachen! Die Gefühle zu beschreiben, die sich meiner bemächtigten, ist nicht möglich. Alles lag so dumpf, so sinneverwirrend auf mir, das Gehirn schien sich mir im Kopfe, der Kopf auf dem Rumpfe umherzudrehen. Ich war nicht so müde und matt, so hungrig und durstig, daß ich eine Abnahme der Kräfte gefühlt hätte; aber die Angst, die Furcht, die wunderbaren Erscheinungen, sie brachten einen Schwindel, einen Taumel über mich, der mich wie einen Nachtwandler umhertrieb. Absolut keines Gedankens mehr fähig, stand und starrte ich in die blaue Flammenwelt hinein, wie lange, weiß ich nicht. Mechanisch tat ich endlich, was ich während meines vierwöchentlichen Aufenthaltes im Lande andere tun gesehen, grub nämlich mit meinem Taschenmesser, das ich glücklicherweise bei mir hatte, ein Loch in den schwarzen Wiesenboden, legte das Lassoende hinein, stampfte das Loch wieder zu; nachdem ich die Schlinge dem Tiere über den Kopf geworfen und ihm Sattel und Zaum abgenommen, ließ ich es weiden, mich außerhalb des Kreises, den es beschreiben konnte, niederlegend. Eine etwas seltene Art, die Pferde zu sichern, wird man sagen, aber immerhin die natürlichste und bequemste in einem Lande, wo man oft fünfzig Meilen im Umkreise kein Haus, und fünfundzwanzig weder Strauch noch Baum sieht.

Schlafen ließ es mich jedoch nicht, denn von mehreren Seiten ließ sich ein Geheul vernehmen, das ich bald als das von Wölfen und Kaguaren erkannte – wahrlich nirgendwo eine sehr angenehme Nachtmusik, hier aber in diesem Feuerozean, dieser rätselhaften Zauberwelt, klang dieses Geheul so entsetzlich, daß es mir durch Mark und Knochen schallte, ich wahnsinnig zu werden befürchtete. Meine Fibern und Nerven waren in Aufruhr, und ich weiß in der Tat nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich mich nicht glücklicherweise besonnen, daß mir ja meine Zigarrenbüchse und ein Röllchen Virginia-Dulcissimus treu geblieben – unbezahlbare Schätze in diesem Augenblick, die auch nicht verfehlten, meine trübe Phantasie wieder heiterer zu stimmen. Ein paar Havannas – ich hatte natürlich, ein ziemlich starker Raucher, das Feuerzeug bei mir – brachten einen wohltätigen Rausch über mich, in dem ich endlich doch entschlummerte.

Der Tag war schon angebrochen, als ich erwachte. Mit den Träumen waren auch die trüben Gedanken verschwunden; ich fühlte scharfen Appetit, war aber doch noch frisch und munter. Nüchtern, wie ich war, beschloß ich, auch nüchtern die Richtung, die ich zu nehmen hätte, zu erwägen, legte vor allem den Sattel, den Zaum an, grub den Knoten aus dem Loche, brachte den Lasso in Ordnung und bestieg dann meinen Mustang. Ein neckender Geist hatte einen ganzen Tag seine Possen mit mir getrieben, mich meine Unbesonnenheit büßen lassen; dafür, hoffte ich, würde er mir heute gnädiger mitspielen, den Scherz nicht zu sehr Ernst werden lassen. Ich hoffte so, und in dieser Hoffnung begann ich meinen Ritt.

Ich kam an mehreren wunderschönen Inseln, den herrlichsten Pecan-, Pflaumen-, Pfirsichbauminseln vorbei, ritt aber, ohne mich aufzuhalten, weiter, Stunde auf Stunde. Der Morgen verging, Mittag kam heran, die Sonne stand hoch oben am wolkenlosen Himmel; der Appetit begann sich nun stärker zu melden, bald zum wahren Heißhunger zu werden, der schneidend in mir nagte.

Nagte jedoch der Hunger peinigend, so quälte mich der Durst folternd. Dieser Durst war wirklich eine folternde, eine höllische Empfindung, doch hielt er wie der Hunger nie lange an; auch die Mattigkeit verging wieder, und es kam jedesmal nach einem solchen Anfalle wieder eine Pause, während welcher ich mich recht leidlich fühlte. Die dreißig oder mehr Stunden, die ich nichts zu mir genommen, hatten meine von Natur starken Nerven mehr an- als abgespannt; aber doch begann mir klar zu werden, daß dieser Zustand der dauernden Anspannung nicht lange mehr währen könne, ohne mich auch abzuspannen, denn bereits meldeten sich die Vorboten. Die Zuversicht und Besonnenheit, die mich im ganzen genommen doch noch immer aufrechterhalten, begannen zu schwinden, eine gewisse Verzagtheit, Geistesabwesenheit begann sich dafür einzustellen, in der mich so entsetzlich unbestimmte Traumbilder umschwirrten, daß mir die Sinne wirre wurden, ich wie ein Betrunkener von meinem Mustang herabhing. Solche Vorboten, halbe Ohnmachten, währten bis jetzt zwar nicht lange, immer kam ich wieder zu mir, gab dann dem Tiere die Sporen und eilte wieder rascher vorwärts. Aber die qualvolle Empfindung, das entsetzliche Bewußtsein der Verlassenheit, das mich bei einem solchen Erwachen jedesmal durchdrang! Wie ich dann so hastig, gierig, halb wahnsinnig herumstierte – schaute, mir beinahe die Augen ausschaute, und doch nichts erschaute als den ewigen und ewigen Ozean von Gräsern und Inseln!

Diese Empfindungen zu schildern!

Ich war oft der Verzweiflung nahe, meine Angst so entsetzlich, daß ich wie ein Kind weinte, ja betete. Ja, zu beten begann ich jetzt, und seltsam, wie ich das Gebet des Herrn anfing, war es mir, als ob eine Stimme mir zuriefe, vorwürfe, warum ich mich nicht früher an ihn gewendet, der allein hier helfen könne. Ich betete nun so hastig, flehte so inbrünstig, in meinem Leben habe ich nicht so heiß gefleht. Auch kam, wie ich jetzt nach diesem Gebet meine Augen zu ihm erhob, der in dieser seiner herrlichen Welt so sichtbar thronte, eine Zuversicht über mich, eine unbeschreiblich fromme, kindliche Zuversicht! Es war mir, als müßte ich erhört werden. Ich fühlte so gewiß, daß ich ganz getrost auf und herumschaute, überzeugt, zu finden, was ich suche. – Und wie ich so schaue, man denke sich mein unausstehliches Erstaunen, Entzücken! erschaue ich ganz in der Nähe, keine zehn Schritte, Pferde- und Reiterspuren. Meine ganze Kraft und Zuversicht waren auf einmal wiedergekehrt. Es trieb mich, vom Pferde zu springen, die Erde, die diese Spuren trug, zu küssen. Freudentränen rollten mir aus den Augen, über die Wangen, wie ich nun jubelnd meinem Tiere die Zügel schießen ließ und mit einer Hast davonritt, als ob die Geliebte meines Herzens mir vom Ziele herüberwinkte. Nie hatte ich mich gegen die Vorsehung so dankbar gefühlt als in dieser Stunde. Während ich ritt, betete ich, und während ich betete, trat mir wieder die Größe meines Schöpfers so siegend aus seinen herrlichen Werken vor Augen! Ich öffnete sie jetzt weiter denn je, um mich ganz von ihm und seiner herrlichen Natur durchdringen zu lassen. – Wohl, herrlichen Natur! Der Mensch, der auf diesem Boden steht und nicht von der Größe und Allmacht seines Schöpfers durchdrungen wird, der muß Tier, ganz Tier sein. Der Gott Mosis, der aus dem glühenden Dornbusche sprach, ist ein Kindergott gegen den Gott, der hier allergreifend vor die Augen tritt, klar, greiflich aus dieser unermeßlichen Wiesen-, Insel- und Baumwelt vor Augen tritt. Nie zuvor war er mir so groß vorgekommen. Ich erschaute ihn so klar, ich glaubte ihn greifen zu können, seine Stimme tönte mir in die Ohren, seine Herrlichkeit durchdrang mich, erfüllte meine Seele mit einem süßen Rausche, der etwas von Verzückung an sich hatte. Nun ich das Ende meiner Pein, meine Rettung mit Gewißheit voraussah, wollte ich mich gleichsam zum Abschiede noch letzen mit ihm und seinem herrlichen Werke. Es lag so grandios vor mir, so ruhig, so ozeanartig mit seinen Hunderte von Meilen in jeder Richtung hinwogenden Gräsern, den schwankend schwimmenden Inseln, die in den goldenen Strahlen der Nachmittagssonne wirklich schwebend und schwimmend erschienen, während wieder hinten und seitwärts wogende Blumenfelder, in den fernen Äther hinaufschwellend, Himmel und Erde in eine und dieselbe Glorie verschmolzen. So bot sich die Prärie gegen Westen dem Auge dar. Gegen Süden erschien sie womöglich noch zauberischer. Lichte, golden und blau gewirkte Schleier umhingen da die entfernteren Inselgruppen, ihnen zeitweilig ein dunkles Bronzekolorit verleihend, das wieder in der nächsten Minute durch einen leichten Luftzug in die hellste Farbenpracht aufflammte. Wie siegend brachen bei jedem solchen Luftzuge die Strahlen der Sonne durch, diese himmlischen Schleier, und die kolossalen Baummassen schienen mit dem Luftstrome heranzuschwimmen, zu tanzen durch die unglaublich transparente Atmosphäre. Ein unbeschreiblich glorioser Anblick! Vor mir der endlose Wiesen- und Blumenteppich mit seinen Myriaden von Prärierosen, Tuberosen und Mimosen, dieser so lieblich, sinnig zarten Pflanze, die, sowie ihr in ihre Nähe kommt, mit ihren Stengeln und Blättern sich aufrichtet, euch gleichsam anschaut und dann zurückschrickt, so sichtbar zurückschrickt, daß ihr staunend anhaltet und schaut, gerade als ob ihr erwartetet, sie würde euch klagen, diese seltsame Pflanze! Ehe die Hufe meines Mustangs oder seine Füße sie berührten, schrak sie schon zurück; in der Entfernung von fünf Schritten sah ich sie schon aufzucken, mich gleichsam scheu, verschämt, vorwurfsvoll anblicken, und dann zusammenschrecken. Der Stoß nämlich, den der Pferde- oder Menschentritt verursacht, wird der Pflanze durch ihre langen, horizontal liegenden Wurzeln mitgeteilt, die, erschüttert, auch Stengel und Blätter zucken machen. Ein wirklich seltsames Zusammenzucken – Schrecken! Erst wenn ihr eine Strecke geritten, erhebt sie sich wieder, aber zitternd und bebend, und ganz wie eine holde Jungfrau, die durch eine rohe Hand berührt, auch bestürzt und errötend das Köpfchen, die Arme sinken läßt, sie erst, wenn der Rohe gegangen, wieder erhebt.

So ritt ich und ritt wohl eine halbe Stunde, als ich plötzlich mir zur Seite eine zweite Spur erschaute. – Wäre es möglich gewesen, meinen Jubel zu erhöhen, so würde diese gefundene zweite Spur es bewirkt haben; so stärkte sie meine Zuversicht. Jetzt schien es mir unmöglich, nicht den Ausweg aus dieser entsetzlichen Prärie zu finden. Zwar fiel es mir einigermaßen sonderbar auf, daß zwei Reiter in dieser endlosen Wüste zusammengetroffen, ihren Weg fortgesetzt haben sollten; aber die beiden Pferdespuren waren einmal da, liefen traulich nebeneinander, setzten der Reiter frühere Anwesenheit außer allen Zweifel. Auch zeigte ihre Frische, daß sie nicht vor langer Zeit durchgeritten sein konnten. Vielleicht, daß es noch möglich war, sie einzuholen? Der Gedanke trieb mich zur größtmöglichen Eile. Ich ritt, was mein Mustang nur durch die ellenhohen Gräser und Blumen traben konnte; aber obwohl ich nun eine – zwei – ja drei Stunden wieder scharf ritt, Reiter bekam ich doch keine zu sehen. Zehn Meilen konnte ich ringsum überschauen, aber nirgends etwas Reiterähnliches! Zuletzt mußte ich aber doch auf die Reiter treffen, denn die Spuren lagen vor mir, mußten zu ihnen führen, wenn – ich sie nur nicht verlor! Daß dieses Unglück mir nicht begegne, war meine größte Sorge. Alle meine Geisteskräfte im Auge konzentrierend, ritt ich nun Schritt für Schritt. – So verging wieder eine Stunde – eine zweite – der Nachmittag wandte sich dem Abend zu – die Spuren liefen immer noch fort, das tröstete mich. Zwar begannen jetzt meine Kräfte zusehends abzunehmen. Ich begann mich merkbar matter zu fühlen, das krebsartige Nagen kam heftiger, der Mund wurde mir faul, geschmacklos, das Innere kalt, der Magen schlaff, die Glieder wurden schwer; die Anwandlungen von Ohnmacht meldeten sich häufiger, stärker. Es wurde mir trübe vor den Augen, dumpf um die Ohren, der Zaum begann mir kalt und schwer zwischen den Fingern zu liegen, es war mir, als ob Nacht über mich, mein Sein hereinbräche.

Immer ritt ich jedoch fort und fort. Endlich mußte ich doch auf einen Ausweg stoßen, die Prärie irgendwo ein Ende haben. Freilich war das ganze südliche Texas eine Prärie, aber doch hatte diese Prärie wieder Flüsse, und in der Nähe dieser Flüsse mußte ich auf Ansiedlungen stoßen; ich durfte nur dem Laufe eines dieser Flüsse fünf oder sechs Meilen folgen und war gewiß, auf Häuser und Pflanzungen zu treffen. Wie ich so mich tröstend fortritt und schaute und abermals schaute, ob denn noch keiner der Reiter zu sehen, gewahre ich plötzlich eine dritte Pferdespur, in der Tat und Wahrheit eine dritte Pferdespur, die wieder parallel mit den zweien, denen ich nachritt, fortlief. Nun waren meine seit einigen Stunden gesunkenen Hoffnungen plötzlich wieder neu belebt. Jetzt konnte es mir doch gewiß nicht mehr fehlen: drei Reiter mußten eine bestimmte, zu irgendeinem Ziele führende Richtung genommen haben – welche, war mir gleichviel, wenn sie nur zu Menschen führte. Zu Menschen, zu Menschen! rief ich jauchzend, meinen Mustang zu erneuter Eile antreibend.

Die Sonne sank das zweitemal hinter den hohen Baumwipfeln der westlichen Inseln hinab; – die in diesen südlichen Breitegraden so schnell einbrechende Nacht brach abermals herein; – von den drei Reitern aber – war noch immer nichts zu sehen. Ich fürchtete, in der so schnell überhandnehmenden Dunkelheit die Spuren zu verlieren, hielt daher, als die Dämmerung in Nacht zu verschwimmen begann, vor einer Insel an, schlang das eine Ende des Lasso um einen Baumast, die Schlinge um den Hals des Pferdes, und warf mich dann ins Gras.

Rauchen konnte ich nicht mehr, die Zigarren schmeckten mir so wenig als der Dulcissimus, schlafen konnte ich ebensowenig. Kam auch zuweilen der Schlummer, so wurde er jedesmal durch krampfhaftes Auf- und Zusammenschrecken unterbrochen.

Kaum war die Morgendämmerung angebrochen, so raffte ich mich auch wieder auf; aber es dauerte lange, ehe ich den Mustang gerüstet hatte. Der Sattel war mir so schwer geworden, daß ich ihn nur mit Mühe dem Tiere auf den Rücken hob; sonst warf ich ihn mit zwei Fingern auf, jetzt vermochte ich es kaum mit Anstrengung aller meiner Kräfte. Noch größere Mühe kostete es mich, den Gurt zu befestigen; doch kam ich endlich zustande und bestieg abermals mein Tier, die Spur so rasch verfolgend, als es uns beiden nur möglich war. Mein Mustang war von dem achtundvierzigstündigen Ritte gleich stark mitgenommen, ein Glück übrigens für mich, denn frisch und munter hätte er mich bei dem ersten Seitensprunge abgeworfen. Selbst jetzt vermochte ich mich kaum mehr im Sattel zu halten, hing wie ein Automat von dem Rücken des Tieres herab, das weder um Sporen noch Zügel sich mehr viel kümmern zu wollen schien.

So mochte ich wieder eine oder zwei Stunden geritten sein, als ich plötzlich und zu meinem größten Schrecken die drei Pferdespuren – verschwunden sah. Ich schaute, ich starrte; mein Schrecken wurde zum Entsetzen, aber sie waren und blieben verschwunden. Noch immer traute ich meinen Augen nicht. Ich schaute, prüfte nochmals, ritt zurück, wieder vorwärts, schaute auf allen Seiten, prüfte aufmerksam, nahm, wie wir zu sagen pflegen, alle Geisteskräfte im Sehorgane zusammen – aber sie waren und blieben verschwunden. Sie kamen bis auf den Punkt, wo ich hielt, hier aber hörten sie auf; auch nicht die geringste Spur weiter. Bis hieher waren die Reiter gekommen, und keinen Schritt weiter. Sie mußten hier gelagert haben, denn ich fand das Gras in einem Umkreise von fünfzig bis sechzig Fuß zertreten. Wie ich so schaue, gewahre ich etwas Weißes im Grase. Ich steige ab, gehe darauf zu, hebe es auf. Gott im Himmel! Es war das Papier, in das ich meinen Virginia-Dulcissimus gewickelt und das ich die letzte Nacht weggeworfen! Ich war auf derselben Stelle, wo ich übernachtet! war also meiner eigenen Spur nachgeritten, im Zirkel herumgeritten!

Ich stand wie vernichtet, keines Gedankens mehr fähig. So hatte mich die gräßliche Entdeckung niedergeschmettert, daß ich wie ein Klotz in dumpfer Verzweiflung neben meinem Mustang niedersank, nichts wünschend, als so schnell wie möglich zu sterben. Ein Schlag vor den Kopf, der mich aus der Welt befördert, wäre mir jetzt als die größte Wohltat erschienen.

Wie lange ich lag, weiß ich nicht. Lange mußte es gewesen sein, denn als ich mich endlich doch wieder aufraffte, war die Sonne tief am westlichen Himmel herabgesunken. Ich war nicht nur körperlich, sondern auch geistig so herunter, daß ich mir absolut nicht erklären konnte, wie es gekommen, daß ich meiner eigenen Spur nachgeritten. Später wurde mir dieses freilich klar. Was ich für fremde Reiterspuren gehalten, waren meine eigenen gewesen. Ohne Landmarke, ohne Wegweiser war ich im Zirkel herum, und während ich vorwärts zu kommen glaubte, rückwärts geritten. Ich war, wie ich später erfuhr, in der Jacintoprärie, einer der schönsten von Texas, an die 70 Meilen lang und breit, ein wahres Eden. Selbst erfahrene Jäger wagten sich nicht leicht ohne Kompaß in diese von Menschenfuß kaum noch betretene Wiesen- und Inselwelt. Wie hätte ich mich also zurechtfinden sollen, ein soeben vom Kollegium gekommener zweiundzwanzigjähriger, unerfahrener Frischling! Meine Lage war in der Tat gräßlich. So ganz hatte mir die furchtbare Entdeckung die Kraft geraubt, daß ich mich nur mit vieler Anstrengung auf dem Rücken meines Tieres hielt, mich ihm absolut willen-, ja kraftlos überließ. Was jetzt noch kam, war mir gleichgültig. Den Zaum um die Hand gewunden, klammerte ich mich so stark, als ich es vermochte, an Sattel und Mähne, das Tier in Frieden gehen lassend. Hätte ich es doch früher getan! Wahrscheinlich wäre ich dann nicht in diese äußerste Not geraten, der Instinkt würde das Tier zweifelsohne einer Pflanzung zugeführt haben.

Nur so viel weiß ich mich von diesen entsetzlichen Stunden her noch zu erinnern, daß mein Mustang einigemal in der Luft herumschnupperte, dann aber eine entgegengesetzte Richtung, und zwar so rasch einschlug, daß ich mich nur mit größter Mühe in dem Sattel zu behaupten vermochte; denn jetzt schmerzten alle meine Glieder so furchtbar, daß jeder Tritt des Tieres mir zur wahren Folter wurde, ich oft in Versuchung kam, Kopf und Mähne fahren und mich herabsinken zu lassen. Wie lange ich so herumgeschleppt ward, weiß ich nicht, noch, wie ich bei einbrechender Nacht von dem Rücken des Tieres kam. Wahrscheinlich verdankte ich es dem Lasso, daß es so geduldig mit mir umsprang. Wie ich die Nacht zugebracht, das mag der Himmel wissen. Ich war keines Gedankens mehr fähig, ja, wenn ich einen zu fassen versuchte, zuckte es mir so schmerzlich durch das Gehirn, als ob eine Zange darin herumwühlte. Alles tat mir weh, die Glieder, die Organe, mein ganzer Körper. Ich war wie auf dem Rade zerbrochen. Meine Hände waren abgemagert, meine Wangen eingefallen, meine Augen lagen tief in den Höhlen; – wenn ich mir so im Gesicht herumfühlte, entfuhr mir immer ein idiotisches, halb wahnsinniges Lachen; – ich war in der Tat dem Wahnsinn nahe.

– Des Morgens, als ich aufstand, vermochte ich kaum mich auf den Füßen zu erhalten, so hatten mich der viertägige Ritt, die Anstrengung, Angst und Verzweiflung heruntergebracht. Ich bin überzeugt, den fünften Tag hätte ich nicht überstanden. Wie ich auf den Rücken meines Mustangs kam, ist mir noch heute ein Rätsel; wahrscheinlich hatte er, ermüdet, sich gelagert und war so mit mir, der ich mich in den Sattel einsetzte, aufgestanden. Sonst wüßte ich wahrhaftig nicht, wie ich hinaufgekommen; aber hinauf kam ich, dank dem Lasso, den ich instinktartig, wie der Ertrinkende, keinen Augenblick aus der Hand gelassen. Jetzt verschwamm alles so chaotisch vor meinen Augen, daß es Momente gab, wo ich mich nicht mehr auf dieser Erde wähnte. Ich sah die herrlichsten Städte, wie sie die Phantasie des genialsten Malers nicht grandioser hervorzuzaubern vermag, mit Türmen, Kuppeln, Säulenhallen, die bis zu den Sternen hinaufreichten; wieder die schönsten Seen, statt mit Wasser mit flüssigem Gold und Silber gefüllt; Gärten, in den Lüften schwebend, mit den lockendsten Blumen und Bäumen, mit den herrlichsten Früchten – aber ich vermochte es nicht mehr, auch nur die Hand nach diesen lüsternen Früchten auszustrecken, so schwer waren mir alle meine Glieder geworden. Jeder Schritt des Tieres verursachte mir jetzt die gräßlichsten Schmerzen, die geringste Bewegung, Erschütterung wurde zur wahren Qual; die Eingeweide brannten mir wie glühende Kohlen, es riß darin herum, als wenn Skorpione da wühlten; Gaumen und Zunge waren vertrocknet, die Lungenflügel wie verschrumpft, während die Hände, die Füße zu fühlen waren, als ob sie nicht mehr Teile meines Körpers – nein, fremdartige, mir angesetzte Marterwerkzeuge wären.

Bloß so viel weiß ich mich noch dunkel zu entsinnen, daß es mir plötzlich an den Kopf, um die Ohren schlug – ob wirklich Schläge, ob Laute oder Töne, kann ich nicht sagen; – es war etwas wie Gestöhne, was ich zu hören glaubte, ein Röcheln, das mir dumpf in die Ohren drang, vielleicht mein eigenes, vielleicht auch fremdes. – Sinne und Bewußtsein hatten mich nun beinahe gänzlich verlassen. Nur sehr dunkel schwebt es mir vor, als wenn ich an Blätter und Zweige gestreift, denn es sauste mir in den Ohren wie Knacken, Brechen der Äste; – auch hielt ich mich mit der letzten Kraft an etwas – was es war, ob Sattel, ob Mähne, oder sonst etwas, weiß ich gleichfalls nicht; – dieser Halt entfuhr mir, die Kraft verließ mich – ich sank.

Ein Schlag wie der Donner eines losgebrannten Vierundzwanzigpfünders, ein Sausen, Brausen wie das des Niagarakataraktes – ein Wirbeln, als ob ich in den Mittelpunkt der Erde hinabgerissen würde, ein Heer der greulichsten Phantome, die von allen Seiten auf mich einstürmten, mich umkreisten, umtobten! – Und dann eine Musik wie aus höheren Sphären, glänzende Lichtgestalten, ein sich vor meinen Blicken öffnendes Elysium!

Wieder ein schmerzlicher Stich, der mir siedend, glühend durch die Kehle, die Eingeweide brannte, mich wie in lichterlohen Flammen auflodernd fühlen ließ. Etwas, als ob der entwichene Lebensfunke wieder zurückkehrte, die Lungenflügel sich öffneten, als ob es heiß durch die Glieder und Adern quirle, mir in Kopf und Augen dränge. Sie öffneten sich.

Ich schaute auf, um mich.

Ich lag auf der Rasenbank eines schmalen, aber tiefen Flusses. Mir zur Seite stand mein Mustang, neben diesem ein Mann, der, die Arme gekreuzt, eine strohgeflochtene Weidmannsflasche in der Hand hielt. Mehr konnte ich nicht wahrnehmen, denn ich war zu schwach, mich aufzurichten. In meinen Eingeweiden brannte es wie höllisches Feuer. Die Kleider, die mir naß am Leibe klebten, waren ein wahres Labsal.

»Wo bin ich?« röchelte ich.

»Wo Ihr seid? Fremdling! Wo Ihr seid? Am Jacinto, und daß Ihr am – und nicht im Jacinto seid, ist, rechne ich, nicht Eure Schuld – Verdammt! Sie ist's nicht. Seid aber am Jacinto, und auf'm – wenn auch nicht im Trocknen.«

Des Mannes höhnisch feindselig rohes Lachen hatte etwas so unbeschreiblich widerwärtig Zurückstoßendes, daß es mir Schmerzen in den Ohren verursachte, jedes Wort, das an die Ohrenfelle anschlug, schmerzte. Wenn mir die halbe Welt für einen freundlichen Blick geboten worden wäre – es wäre mir nicht möglich gewesen, mit solchem Grausen und Abscheu erfüllte mich dieses gräßliche Hohnlachen.

War es der äußerst gereizte, im Abschnappen begriffene Zustand meiner Nerven, war es ein sonstiger Umstand, der dieses gräßlich mißtönige Lachen so unsäglich widerwärtig auf mich einwirken ließ, soviel kann ich mit Bestimmtheit versichern, daß, als das letzte Wort meine Ohren zerriß, mir auch der gräßliche Charakter des Lachers mit einer Deutlichkeit, einer Klarheit vor den Augen stand, mit der ich in meinem ganzen Leben keinen Charakter, selbst nicht die längst bekannten, befreundeten, durchschaut. Ich wußte, daß er mein Lebensretter, daß er es gewesen, der mich aus dem Flusse gezogen, in den ich köpflings über den Hals meines Mustangs gestürzt, als dieser, wütend vor Durst, über die Rasenbank in das Wasser hinabsprang; daß ich ohne ihn unfehlbar hätte ertrinken müssen, selbst wenn der Fluß nicht so tief gewesen wäre; daß auch er es war, der mich mit seinem Whisky aus der tödlichen Ohnmacht zum Bewußtsein zurückgebracht! – Aber wenn er mir zehn Leben gerettet hätte, ich vermochte es nicht, den unsäglichen Widerwillen zu überwinden. Es war mir nicht möglich, ihn anzusehen.

»Scheint nicht, daß Euch meine Gesellschaft zweimal lieb ist?« grinste er mich höhnisch lauernd an.

»Eure Gesellschaft nicht lieb? Habe seit mehr als hundert Stunden keine menschliche Seele gesehen, keinen Bissen, keinen Tropfen über die Zunge gebracht.«

»Holla! da lügt Ihr!« brüllte er lachend, »habt ja einen Mund voll aus meiner Flasche den Rachen hinabgeschüttet. Und wo kommt Ihr her? das Tier da ist nicht Eures?«

»Mister Neals!« gab ich zur Antwort.

»Wessen ist es?« fragte er nochmals lauernd.

»Mister Neals!«

»Sehe es am Brand. Aber wie kommt Ihr von Mister Neal her an den Jacinto? Sind gute siebzig Meilen quer über die Prärie zu Neals Pflanzung. Habt doch nicht mit seinem Mustang Reißaus genommen?«

»Verirrt, habe seit vier Tagen keinen Bissen über die Zunge bekommen.«

Mehr vermochte ich nicht herauszubringen. Schwäche und Abscheu schlossen mir den Mund. Die Sprache des Mannes verriet eine Verwilderung, eine Entmenschtheit, die alles weit überstieg, was ich derart je gesehen und gehört.

»Vier Tage nichts über die Zunge gebracht, und in einer Texasprärie, und Inseln auf allen Seiten!« lachte der Mann. »Ah, sehe es, seid ein Gentleman, sehe es wohl – war auch eine Sorte von einem. Dachtet, unsere Texaspräries wären Eure Präries in den Niederlassungen drüben oder in den Staaten droben. Ha, ha!«

»Und Ihr wußtet Euch gar nicht zu helfen?« lachte er wieder. »Saht Ihr denn keine Bienen in der Luft, keine Erdbeeren auf der Erde?«

»Bienen? Erdbeeren?« wiederholte ich.

»Ei, Bienen, die in hohlen Bäumen hausen; ist unter zwanzig hohlen Bäumen immer sicher einer, der voll ist, versteht Ihr, voll Honig! Und Ihr habt keine Bienen gesehen? kennt aber vielleicht die Tiere nicht, denn sie sind nicht ganz so groß wie Wildgänse oder Truthühner; aber die Erdbeeren kennt Ihr doch, wißt doch auch, daß sie nicht auf den Bäumen wachsen?«

Alles das sprach der Mann, den Kopf halb über den Rücken geworfen, höhnisch lachend.

»Und wenn ich auch Bienen gesehen, wie hätte ich ohne Axt zu ihrem Honig kommen können – verirrt, wie ich war?«

»Wie kam es, daß Ihr Euch verirrtet?«

»Mein Mustang – ausgebrochen.«

»Verstehe, verstehe. – Seid ihm nachgeritten, die Bestie hat Ihren Kopf aufgesetzt, wie sie es immer tun, Euch zum besten gehalten. Verstehe, verstehe; aber was wollt Ihr nun? was habt Ihr vor?«

Noch immer sprach der Mann mit halb über den Rücken geworfenem Kopfe, wie als scheue er meinen Blick.

»Ich fühle mich schwach und matt zum Sterben – dem Tode nahe – zu Menschen will ich, in ein Haus, eine Herberge.«

»Zu Menschen?« sprach der Mann mit einem höhnischen Lächeln. »Zu Menschen?« brummte er, einige Schritte seitwärts tretend.

Ich vermochte es kaum, den Kopf seitwärts zu drehen, aber die Bewegung des Mannes war mir aufgefallen, und ich zwang mich. Er hatte ein langes Messer aus dem Gürtel gezogen, das er spielend angrinste. – Erst jetzt konnte ich ihn näher beschauen. – Ein gräßlicheres Menschenantlitz war mir nie vorgekommen. Seine Züge waren die verwildertsten, die ich je gesehen. Die blutunterlaufenen Augen rollten wie glühende Ballen in den Höhlen. Sein Wesen verriet den wütendsten Kampf. Er stand keine drei Sekunden still. Bald vorwärts, bald rückwärts, wieder seitwärts schießend, schien es ihm nicht Ruhe zu lassen, spielten seine Finger wie die eines Wahnsinnigen mit dem Messer. In seinem Innern ging zweifelsohne ein Kampf vor, der über mein Sein oder Nichtsein auf dieser Erde entschied. Ich war jedoch vollkommen gefaßt; in meiner Lage hatte der Tod nichts Qualvolles; hing ja mein Leben selbst an einem bloßen Faden! – Die Bilder der Heimat, meiner Mutter, meiner Geschwister, meines Vaters tauchten noch einmal vor meinen Augen auf, und dann wandte sich mein Blick unwillkürlich zu dem droben! Ich betete.

Er war noch mehr zurückgetreten. Ich zwang mich, soviel ich es vermochte, und schaute ihm nach. Wie ihm meine Blicke folgten, trat mir ein grandioses Phänomen, wie ich es vorher in meiner wilden Phantasie gesehen, abermals vor den Gesichtskreis. Etwas wie eine kolossale Silbermasse stand keine zweihundert Schritte mir vor den flimmernden Augen. Er verschwand dahinter, kam aber nach einer Weile langsam, aber schwankend wieder hervor. Wie er sich jetzt mir näherte, trat mir allmählich sein Totalbild vor Augen. Er war lang und hager, aber starkknochig gebaut. Sein Gesicht, soviel der seit Wochen nicht geschorene Bart davon sehen ließ, war sonnen- und wettergebräunt wie das eines Indianers, aber der Bart verriet weiße Abstammung. Die Augen waren jedoch und blieben gräßlich, wurden es mehr, je länger man sie sah. Die Furien der Hölle schienen sich in diesen Augen umherzutreiben. Die Haare hingen ihm struppig um Stirn, Schläfe und Nacken herum. Inneres und Äußeres deuteten auf jemand, der mit allem abgeschlossen. Um den Kopf trug er ein halbzerrissenes Sacktuch mit braunschwarzen dunklen Flecken. Sein hirschledernes Wams, seine Beinkleider und Mokassins hatten dieselben Flecken; ohne Zweifel waren es Blutflecken. Das zwei Fuß lange Jagdmesser mit grobem hölzernem Griffe hatte er wieder in den Gürtel gesteckt, dafür aber hielt er jetzt eine Kentuckyflinte in der Hand.

Meine Miene, meine Blicke mochten Abscheu verraten, obwohl ich mir alle Mühe gab, ruhig zu scheinen. Nach einem kurzen Seitenblick grollte er: »Scheint nicht, als ob Ihr viel Gefallen an meiner Gesellschaft findet. Sehe ich denn gar so heillos aus? Ist mir's denn gar so leserlich auf der Stirn geschrieben?«

»Was soll Euch denn auf der Stirn geschrieben sein?«

»Was? Was? – So fragt man Narren und Kinder aus.«

»Ich will Euch ja nichts ausfragen, aber als Christ, als Landsmann bitte, beschwöre ich Euch.«

»Christ!« unterbrach er mich hohnlachend; »Landsmann!« schrie er, den Stutzen heftig zur Erde stoßend. »Das ist mein Christ!« schrie er, diesen emporreißend und Stein und Schloß prüfend, »der erlöst von allen Leiden, ist ein treuer Freund. Pooh! vielleicht erlöst er auch Euch, bringt Euch zur Ruhe.«

Die letzten Worte sprach er abgewendet, mehr zu sich.

»Machst ihn ruhig, so wie den – Pooh! Einer mehr oder weniger! Vielleicht vertreibt er das verfluchte Gespenst.«

Alles das war zur Büchse gesprochen.

»Verrätst mich auf alle Fälle nicht!« fuhr er fort. »Ein Druck!«

Und so sagend, warf er das Gewehr vor, die Mündung in gerader Richtung gegen meine Brust.

Ich zitterte nicht, von Furcht konnte keine Rede mehr sein. – An der Schwelle des Todes verliert dieser seine Schrecken; und ich war an seiner Schwelle, so sterbensschwach! Es brauchte keinen Schuß, ein leichter Schlag mit dem Kolben löschte den Lebensfunken mit einem Male aus. Ruhig, ja gleichgültig, sah ich in die Mündung hinein.

»Wenn Ihr es bei Eurem Gott, meinem und Eurem Schöpfer und Richter verantworten zu können glaubt – tut, wie Euch gefällt!«

Meine ersterbende Stimme mußte wohl einen tiefen Eindruck in ihm hervorgebracht haben, denn er setzte erschüttert das Gewehr ab – starrte mich mit offenem Munde an.

»Auch der kommt mit seinem Gott!« murmelte er. »Gott! und meinem und Eurem Schöpfer – und Richter!«

Er vermochte es kaum, die Worte herauszubringen, und als er sie jetzt wiederholte, schienen sie ihn zu würgen, ihm die Kehle zusammenzuschnüren.

»Sei–nem und – mei–nem Rich–ter!« stöhnte er wieder. »Ob es wohl einen Gott, einen Schöpfer und Richter gibt?«

Als er so murmelnd stand, wurden ihm die Augen starr.

»Gott!« wiederholte er in demselben gedehnten Tone. – »Schöpfer! Richter!«

»Tut das nicht!« schrie er plötzlich. »Bringt keinen Segen, was Ihr vorhabt! Bin ein toter Mann! Gott sei mir gnädig und barmherzig! Mein armes Weib! meine armen Kinder!«

Die letzteren Worte waren entsetzlich, aus tiefster Brust heraus gestöhnt! Die Büchse entfiel seinen Händen – zugleich schlug er sich rasend auf Stirn und Brust! Der Mann wurde mir jetzt grausig, wie er, gepeitscht von den Furien seines Gewissens, umherschlug. Er mußte Höllenqualen ausstehen, der böse Feind schien in ihm zu toben.

»Seht Ihr mir nichts an?« fragte er, plötzlich auf mich zuspringend, mit kaum hörbarem Gemurmel.

»Was sollte ich Euch ansehen?«

Er trat noch näher.

»Schaut mich so recht an, so, was man sagt, in mein Inneres hinein. – Seht Ihr da nichts?«

»Ich sehe nichts,« sprach ich.

»Ah, begreife, könnt nichts sehen. Seid nicht in der Spionierlaune, kalkuliere ich – nein, nein, seid nicht. Wenn man so die vier Nächte und Tage nichts über die Zunge gebracht, vergeht einem wohl 's Spionieren. Zwei Tage habe ich's auch probiert. Nein, nein, kein Spaß das, kein Spaß, alter Kumpan!« redete er, wieder nach der Büchse langend, diese an. »Sage dir, laß mich in Ruhe, hast genug, genug getan!«

Und so sagend, wandte er sich, drückte ab, aber das Gewehr versagte.

»Was ist das?« schrie er, Schloß und Zündpfanne untersuchend, »bist nicht geladen? My! My! wie ich nur – versagst mir, weil ich dich nicht gefüttert, alter Kumpan! nicht gefüttert, seit du! – Ah, hätte ich dich damals lieber nicht gefüttert, wäre vielleicht. – Wohl ist das ein Wink, soll mir eine Warnung sein – eine Stimme. Sollst ruhen. Schweig stille, alter Hund! sollst mich nicht in Versuchung führen, hörst du?«

Alles das sprach er eifrig, heftig zum Stutzen; dann wandte er sich wieder zu mir.

»So, seid Ihr matt und schwach, sterbensmatt, schwach? Freilich müßt Ihr's sein, denn Ihr seht ja drein, als ob Ihr alle Tage Eures Lebens am Hungertuche genagt.«

»Matt zum Sterben,« röchelte ich.

»Wohl, so kommt und nehmt einen Schluck Whisky. Wird Euch stärken; aber wartet, will ein wenig Wasser eingießen.«

Und so sagend, trat er an den Rand des Flusses, schöpfte mit der hohlen Hand einigemal Wasser, ließ es in den Hals der Flasche, und diese an meine Lippen bringend, goß er mir das Getränk ein.

Selbst der blutdürstigste Indianer wird wieder Mensch, wenn er eine menschliche Handlung geübt. Auch er war auf einmal ein ganz anderer geworden. Seine Stimme ward weniger rauh, mißtönig, sein Wesen sanfter.

»Ihr wollt also in eine Herberge?«

»Um Gottes willen, ja. Habe seit vier Tagen nichts über die Lippen gebracht, als einen Biß Kautabak.«

»Könnt Ihr einen Biß entbehren?«

»Alles, was ich habe.«

Ich holte aus meiner Tasche die Zigarrenbüchse, den Dulcissimus – er schnappte mir letzteren aus der Hand und biß mit der Heißgier eines Wolfes darein.

»Ei, von der rechten Sorte, ganz von der rechten Sorte,« – murmelte er in sich hinein. »Ei, junger Mann, oder alter Mann – seid ein alter Mann? Wie alt seid Ihr?«

»Zweiundzwanzig.«

Er schaute mich kopfschüttelnd an.

»Kann es schier nicht glauben; aber vier Tage in der Prärie und nichts über die Zunge gebracht – wohl, mag sein! – aber sage Euch, Fremdling, hätte ich diesen Rest Kautabak noch vor fünf Tagen gehabt – so – so. – Oh! einen Biß Kautabak! nur einen Biß Kautabak! – Hätte er nur einen Biß Kautabak gehabt, vielleicht! – ist ein Biß Kautabak oft viel wert. Liegt mir keiner so am Herzen, als – oh! hätte er nur einen Biß Kautabak gehabt, nur einen!«

Seine Stimme, während er so sprach, hatte einen so kläglich stöhnenden und wieder wild unheimlichen Nachklang!

»Sage Euch, Fremdling!« – brach er wieder drohend aus, »sage Euch. – Ah, was sage ich? seht Ihr dort den Lebenseichenbaum? Seht Ihr ihn? Ist der Patriarch, und einen ehrwürdigern, gewaltigern werdet Ihr nicht bald finden in den Präries, sag' es Euch. – Seht Ihr ihn?«

»Ich sehe ihn.«

»Seht Ihr ihn? Seht Ihr ihn?« schrie er wieder plötzlich wild. »Was geht Euch der Patriarch, und was darunter ist, an? Nichts geht es Euch an. Laßt Eure Neugierde, zähmet sie, rate es Euch. Wagt es nicht, auch nur einen Fuß darunter zu setzen!«

Und ein Fluch entfuhr ihm, zu schrecklich, um von einer Christenzunge wiederholt zu werden.

»Ist ein Gespenst«, schrie er, »ein Gespenst darunter, das Euch schrecken könnte. – Geht besser weit weg!«

»Ich will ja nicht hin, gerne weit weg. Es fiel mir ja gar nicht ein. Alles, was ich will, ist der nächste Weg zum nächsten Hause, gleichviel, ob Pflanzung oder Wirtshaus.«

»Ah, so recht, Mann, zum nächsten Wirtshaus. Will ihn Euch zeigen, den Weg zum nächsten Wirtshaus. Will, will!«

»Ich will«, murmelte er in sich hinein.

»Und ich will Euch ewig als meinem Lebensretter dankbar sein«, röchelte ich.

»Lebensretter! Lebensretter!« lachte er wild. »Lebensretter! Pooh! Wüßtet Ihr, was für einem Lebensretter. – Pooh! – Was hilft's, ein Leben zu retten, wenn ... – Doch will – will Eures retten, will, dann läßt mich vielleicht das verfluchte Gespenst ... So laß mich doch einmal in Ruhe. Willst nicht? Willst nicht?«

Alles das hatte der Mann, zum Lebenseichenbaum gewendet, gesprochen, die ersten Sätze wild, drohend, die letzten bittend, schmeichelnd. Wieder wurde er wild, ballte die Fäuste, starrte einen Augenblick, dann sprang er plötzlich auf den Riesenbaum zu und verschwand unter der Draperie der Silberbärte, die von Ästen und Zweigen auf allen Seiten herabhingen; kam aber bald wieder hervor, einen aufgezäumten Mustang am Lasso vor sich hertreibend.

»Setzt Euch auf!« rief er mir zu.

»Ich kann nicht einmal aufstehen.«

»So will ich Euch helfen.«

Und so sagend trat er an mich heran, hob mich mit der Rechten – so leicht war ich geworden – in den Sattel meines Mustangs, mit der Linken nahm er das Ende meines Lassos, schwang sich auf den Rücken seines Tieres und zog Pferd und mich nach. Sein Benehmen, während wir nun die sanft aufsteigende Uferbank hinanritten, wurde äußerst seltsam. Bald rutschte er in seinem Sattel herum, mir einen wilden Blick zuwerfend, bald hielt er an, bohrte ängstlich zwischen die spanischen Moosbärte des Patriarchen hinein, warf mir wieder einen scharf beobachtenden Blick zu – schien zu überlegen – stöhnte, seufzte – spähte dann im Walde wie nach einem Auswege herum – ritt wieder einen Schritt vorwärts, stöhnte abermals, zuckte schaudernd zusammen. Der Lebenseichenbaum schien ihn furchtbar zu quälen; offenbar näherte er sich ihm mit Entsetzen, und doch zog es ihn wieder mit einer so unwiderstehlichen Gewalt hin, als ob sein Schatz da begraben läge.

Auf einmal gab er seinem Tiere wütend die Sporen, so daß es in Galopp ausbrach. Glücklicherweise hatte er in seiner schrecklichen Zerrüttung den Lasso losgelassen, sonst müßte mich der erste Sprung meines Tieres aus dem Sattel geworfen, mir die morschen Glieder gebrochen haben. So schritt dieses langsam nach.

»Warum kommt Ihr nicht? Was habt Ihr den Patriarchen immer anzuschauen? Habt Ihr noch keinen Lebenseichenbaum gesehen?« schrie er mir mit einem Fluche zu. Als fürchtete er sich aber vor meiner Antwort, brach er abermals aus, hielt jedoch, nachdem er zweihundert Schritte fortgesprengt, wieder an – schaute sich um. – Der Patriarch war hinter mehreren kolossalen Sykomoren verschwunden.

Erst jetzt atmete er freier.

»Aber wo war nur der Anthony?« fragte er, auf einmal sichtbar erleichtert.

»Welcher Anthony?«

»Der Anthony, der Jäger, der Halfbreed Mister Neals?«

»Nach Anahuac geritten.«

»Nach Anahuac geritten?« wiederholte er. »Uh! nach Anahuac!« stöhnte er. »Bin auch dahin – aber, aber.«

Er wandte sich schaudernd um.

»Er ist doch nicht mehr da, nicht mehr zu sehen!«

»Wer sollte da sein?«

»Ah, wer, wer?« brummte er. – »Wer?«

Ich wußte wohl, wer der Wer sei, hütete mich aber, ihn zu nennen, abermals sein Mißtrauen durch Fragen aufzustacheln. – In dem Zustande, in dem ich war, vergeht Neugier und Wißbegier.

Wir ritten stillschweigend weiter.

Lange waren wir so geritten, ohne daß ein Wort zwischen uns gewechselt worden wäre. Er sprach zwar fortwährend mit sich; da jedoch mein Mustang zehn Schritte hinter dem seinigen am Lasso nachfolgte, hörte ich bloß das Gemurmel. Zuweilen nahm er seinen Stutzen zur Hand, redete ihm bald schmälend, wieder liebkosend zu, brachte ihn in eine schußgerechte Lage, setzte ihn wieder ab, lachte wieder wild. Dann beugte er sich wieder über den Sattel hinaus, wie einen Gegenstand auf der Erde suchend. Zuweilen schaute er sich, während er so suchte, scheu um, und dann fiel sein Blick immer forschend auf mich, ob ich ihn auch beobachte. Wieder tappte, griff er in der Luft herum, und wie er so herumtappte, fühlte, hing er so unheimlich auf seinem Mustang! und wenn er dann in das unheimliche, hohle, teuflische Lachen ausbrach, dem wieder ein schauderhaftes Gestöhne folgte, bat ich immer zu Gott um ein baldiges Ende meines Rittes.

Wir mochten wohl zwei Stunden geritten sein, mein durch den gewässerten Whisky neu aufgeflammter Lebensfunke war auf dem Punkte, gänzlich zu erlöschen, ich fühlte mich, als müsse ich jeden Augenblick vom Pferde sinken; da gewahrte ich eine rohe Einfriedigung, die endlich eine menschliche Wohnung verkündete.

Ein schwacher Freudenruf entfuhr mir. Ich versuchte es, obwohl vergebens, meinem Tiere die Sporen zu geben.

Mein Begleiter wandte sich, schaute mich mit wild rollenden Augen an und sprach in drohendem Tone: »Seid ungeduldig, Mann! ungeduldig, sehe ich – glaubt jetzt vielleicht?«

»Ich sterbe, wenn nicht augenblickliche Hilfe –«

Mehr vermochte ich nicht über die Lippen zu bringen.

»Pooh! Sterben, sterben. Man stirbt nicht sogleich. – Und doch – doch – verdammt – es könnte wahr werden.«

Er sprang aus dem Sattel auf meinen Mustang zu. Es war hohe Zeit, denn unfähig, mich im Sattel zu halten, sank ich herab, ihm in die Arme.

Einige Tropfen Whisky brachten mich abermals zum Bewußtsein. Jetzt setzte er mich vor sich auf seinen Mustang und zog den meinigen am Lasso nach.

Wir umritten noch ein Bataten-, ein Welschkornfeld, eine Insel von Pfirsichbäumen und hatten endlich das Blockhaus vor Augen.

Meine Kräfte waren so gänzlich gewichen, daß der Mann mich auf den Arm nehmen und in die Hütte tragen mußte; selbst da konnte ich nicht mehr stehen, er mußte mich wie ein Wickelkind auf die Bank niederlassen. Aber trotz des nun rasch vor sich gehenden Ebbens meiner Lebensgeister weiß ich mir noch sehr deutlich nicht nur die Wirtsleute, sondern auch das Hausgerät, die Stube, kurz alles – zu erinnern. War es der Whisky, der den Geist in meinem hinsterbenden Körper so aufgeregt? In keinem Zeitpunkte meines Lebens habe ich so klar wie in diesem äußere Gegenstände wahrgenommen. Alles, was seit meinem Erwachen aus der Todes-Lebenskrise vorging, ist mir noch so deutlich eingeprägt, als ob ich es jetzt vor Augen sähe: der gräßliche Mann, das erbärmliche Blockhaus – eine Doppelhütte mit einer Art Tenne in der Mitte – auf der einen Seite die Stube, auf der andern die Küche; die Stube ohne Fenster, mit Löchern, die mit geöltem Papier verklebt waren, dem hartgestampften Fußboden, an dessen Rändern fußhohes Gras wuchs; in einem Winkel das Bett, in einem andern eine Art Schenktisch, und zwischen diesen beiden Winkeln, wie eine Katze auf dem Sprunge, einherschleichend, eine unaussprechlich widerliche Karikatur, den Wirt vorstellend – rote Haare, rote Schweinsaugen, ein Mund, der grausig scheußlich von einem Ohr zum andern reichte, ein hündisch erdwärts gerichteter Blick, der lauernd giftig ganz dem schleichenden Katzenschritte entsprach! Alles das steht vor meiner Seele so lebendig, daß ich den Mann, lebte er noch, unter Millionen beim ersten Blick herausfände.

Ohne uns nur mit einem Wort, einem Blick zu bewillkommnen, brachte er eine Bouteille mit zwei Gläsern, stellte sie auf den Tisch, der aus drei Brettern bestand, die auf vier in die Erde eingerammte Pfosten genagelt waren und von irgendeinem Schranke oder einer Truhe herkommen mußten, denn sie waren noch zum Teil bemalt, mit drei Anfangsbuchstaben eines Namens und einer Jahreszahl.

Mein Retter hatte schweigend, nur seinen widerwärtigen Bewegungen mit scharfen Blicken folgend, den Menschen sein Geschäft verrichten lassen. Jetzt schenkte er eines der Gläser voll, und es mit einem Zuge leerend sprach er: »Johnny!«

Johnny gab keine Antwort.

»Dieser Gentleman da hat vier Tage nichts gegessen.«

»So?« – versetzte, ohne aufzublicken, aus einer Ecke in die andere schleichend, Johnny.

»Vier Tage, sage ich, vier Tage! Und hörst du? gehst, bringst ihm sogleich Tee, guten, starken Tee. – Weiß, habt Tee eingehandelt und Rum und Zucker. – Bringst ihm Tee, und dann eine gute Rindssuppe, und das in einer Stunde. Muß der Tee sogleich, die Rindssuppe in längstens einer Stunde fix und fertig sein, verstehst du? Den Whisky nehme ich, und ein Beefsteak und Bataten (indische Kartoffeln). – Sagst deiner Sambo das.«

Johnny schlich, als ob er nicht gehört hätte, fort und fort aus einer Ecke in die andere – wie bei einer Katze war sein letzter Schritt immer springend.

»Habe Geld, verstehst du, Johnny? Hab' es, Mann!« nahm mein Führer wieder das Wort, einen ziemlich vollen Beutel aus dem Gürtel ziehend.

Johnny schielte mit einem undefinierbaren Blicke nach dem Beutel hin, sprang dann vor, schaute meinen Mann hohnlächelnd an.

Die beiden standen, ohne ein Wort zu sagen. Ein höllisches Grinsen fuhr über Johnnys häßliche Züge. Mein Mann schnappte nach Atem.

»Habe Geld!« schrie er auf einmal, den Kolben seiner Büchse zur Erde stoßend. »Verstehst du, Johnny? Geld, und zur Not eine Büchse.«

Und so sagend, schenkte er ein zweites Glas ein, das er abermals mit einem Zuge leerte.

Johnny stahl sich jetzt so leise aus der Stube, daß mein Mann seine Entfernung erst durch das Klappen der Holzklinke gewahr wurde. Kaum war er jedoch diese gewahr, als er auf mich zutrat, mich, ohne ein Wort zu sagen, auf seinen Arm hob und dem Bett zutrug, auf das er mich sanft niederlegte.

»Ihr macht, als ob Ihr hier zu Hause wäret«, knurrte der wieder eintretende Johnny.

»Bin das so gewohnt, tue das immer, wenn ich in ein Wirtshaus komme«, versetzte mein Mann, ruhig ein frisches Glas einschenkend und leerend. »Für heute soll der Gentleman Euer Bett haben. Magst du und deine Sambo meinethalben im Schweinestall schlafen; – habt aber keinen.«

»Bob!« schrie Johnny wütend.

»Das ist mein Name, Bob Rock.«

»Für jetzt!« zischte mit schneidendem Hohne Johnny.

»So wie der deinige Johnny Down«, lachte wieder Bob. »Pooh, Johnny, glaube doch, kennen uns, oder kennen wir uns nicht?«

»Kalkuliere, kennen uns«, versetzte Johnny zähneknirschend.

»Kennen uns von weit und breit und lang und kurz her«, lachte wieder Bob.

»Seid ja der berühmte Bob von Sodoma in Georgien.«

»Sodoma in Alabama, Johnny«, verbesserte ihn lachend Bob. »Sodoma in Alabama. Sodoma liegt in Alabama«, sprach er, wieder ein Glas nehmend; »weißt du das nicht, und warst doch ein geschlagenes Jahr in Kolumbus, und das in allen möglichen schlechten Kapazitäten?«

»Besser, Ihr schweigt, Bob!« zischte Johnny mit einem Dolchblick auf mich.

»Pooh! wird dir kein Haar krümmen, nicht plaudern, bürge dir dafür. Ist ihm die Lust dazu in der Jacintoprärie vergangen. Wenn sonst keiner wäre, als der. Aber Sodoma«, hob er wieder an, »liegt in Alabama, Mann! Kolumbus in Georgien, sind durch den Chatahoochie voneinander geschieden, den Chatahoochie! – Ah, war das ein lustiges Leben auf diesem Chatahoochie! – Aber alles auf der Welt vergänglich, sagte immer mein alter Schulmeister. Pooh! haben jetzt dem Faß den Boden ausgeschlagen, die Indianer ein Haus weiter über den Mississippi gesandt. War aber ein glorioses Leben. – War es nicht?«

Wieder schenkte er ein – wieder trank er aus.

Die Aufschlüsse, die mir die Unterhaltung über den Charakter meiner beiden Gesellschafter gab, dürften für jeden andern wohl wenig Erfreuliches gehabt haben; denn wenn ihre Bekanntschaft von jenem gräßlichen Orte her datierte, mochte sie sich ebensowohl aus der Hölle herleiten. Der ganze Südwesten hatte nichts aufzuweisen, das an Verruchtheit diesem Sodoma, wie es ganz bezeichnend genannt wurde, gleichkam. Es liegt oder lag wenigstens noch vor wenigen Jahren in Alabama, Indianergebietes, der Freihafen aller Mörder und Geächteten des Westens und Südwestens, die hier unter indianischer Gerichtsbarkeit Schutz und Sicherheit gegen die Ahndung des Gesetzes fanden. Schauderhaft waren die Frevel-, ja Greueltaten, die hier täglich vorfielen. Kein Tag verging ohne Mord und Plünderung, und das nicht heimlich, nein, am hellen Tage setzte die Mörderbande, mit Messern, Dolchen, Stutzen bewaffnet, über den Chatahoochie, tobte wie die wilde Jagd in Kolumbus ein, stieß nieder, wer in den Weg kam, brach in die Häuser, raubte, plünderte, mordete, tat Mädchen und Weibern Gewalt an und zog dann jubelnd und triumphierend, mit Beute beladen, über den Fluß in ihre Mordhöhle zurück, der Gesetze nur spottend. An Verfolgung oder Gerechtigkeit war nicht zu denken, denn Sodoma stand unter indianischer Gerichtsbarkeit, ja, mehrere der indianischen Häuptlinge waren mit den Mördern im Einverständnis. Die Indianer mußten über den Mississippi, und seit der Zeit sind auch Räuber, Mörder und – Sodoma verschwunden, und Kolumbus blüht und gedeiht, eine so respektable, geachtete Stadt als irgendeine im Westen.

Meine beiden Gesellschafter schien die Erinnerung an ihre Großtaten merklich zutraulicher zu stimmen. Johnny hatte sich gleichfalls ein volles Glas gebracht, und die beiden wisperten viel und angelegentlich. Doch konnte ich ihre Sprache – eine Art Diebes- und Spielerkauderwelsch – nicht verstehen. Nur hörte ich von meinem Gönner öfters ein wildes: nein, nein, ich will bestimmt nicht! ausstoßen. – Dann verschwammen mir Worte und Gegenstände in vagen Klängen und Umrissen.

Eine ziemlich unsanfte Hand rüttelte mich auf. Ich sah aber nicht mehr. Erst als mir einige Löffel Tee eingegossen waren, wurde es mir klarer vor den Augen. Es war eine Mulattin, die mir zur Seite stand und mir Tee mit einem Löffel eingoß. Die Miene, die sie dazu machte, lächelte anfangs nichts weniger als freundlich; erst nachdem sie mir ein halbes Dutzend Löffel eingegossen, begann sich etwas wie weibliches Mitgefühl zu zeigen.

Im Herzen des Weibes, welcher Farbe sie auch sei, trifft ein junger Mann immer wenigstens auf eine Saite, die klingt, wenn auch nicht die zarteste. Mit jedem Löffel, den sie mir eingoß, wurde sie freundlicher. Es war aber ein köstliches Gefühl, das mich bei dieser Atzung durchschauerte. Bei jedem Löffel, den sie mir eingoß, war es mir, als ob ein neuer Lebensstrom durch Mund und Kehle in die Adern rieselte. Jawohl, eine köstliche Empfindung – sie tat mir wohl!

Viel sanfter, als sie mich vom Kissen aufgehoben, ließ sie mich nieder.

» Gor, Gor!« kreischte sie. »Was für armer junger Mann das sein! Aber in einer Stunde, Massa, etwas Suppe nehmen.«

»Suppe? wozu Suppe kochen?« knurrte Johnny herüber.

»Er Suppe nehmen; ich sie kochen!« kreischte die Mulattin.

»Und schlimm für dich, Johnny, wenn sie sie nicht kocht; sage dir, schlimm für dich!« schrie Bob.

Johnny murmelte etwas, was ich jedoch nicht mehr hörte, da abermals ein leichter Schlummer mich in seine Arme genommen.

Nach einer Zeit, die mir bloß wenige Augenblicke schien, kam richtig die Mulattin mit der Suppe. Hatte mich ihr Tee erquickt, so kräftigte die Suppe erst eigentlich den schwachen Lebensfunken. Ich fühlte zusehends, wie sie mir Kraft in Eingeweide, in Adern und Sehnen eingoß. Bereits konnte ich mich im Bett aufrecht sitzend halten.

Während ich von der Mulattin gefüttert wurde, sah ich auch Bob sein Beefsteak verzehren. Es war ein Stück, das wohl für sechs hingereicht haben dürfte: aber der Mann schien auch seit wenigstens drei Tagen nichts gegessen zu haben. Er schnitt Brocken von der Größe einer halben Faust ab, warf sie ohne Brot in den Mund und biß dann in die ungeschälten Bataten ein. Ich hatte nicht bald solchen Heißhunger gesehen. Dazu schüttete er Glas auf Glas ein.

Der Whisky schien ihn zu wecken, sein zerstörtes Wesen in eine gewisse Lustigkeit umzustimmen. Er sprach noch immer mehr mit sich selbst als mit Johnny; aber die Erinnerungen schienen angenehm, denn er lachte öfters laut auf, nickte sich selbstgefällig zu; einigemal verwies er auch Johnny, daß er ein gar so katzenartiger, feiger Geselle, ein gar so feiger, heimtückischer, falscher Galgengeselle sei. Er sei zwar, lachte er – auch ein Galgengeselle, aber ein mutiger, offener, ehrlicher Galgengeselle – Johnny aber Johnny –

Johnny sprang auf ihn zu, hielt ihm beide Hände vor den Mund, wofür er aber einen Schlag bekam, der ihn an die Stubentür anwarf, durch die er fluchend abzog.

Ich war gerade auf dem Punkte, einzuschlummern, als Bob, den Finger auf dem Munde, leise der Tür zuschlich, da horchte und sich dann dem Bett näherte.

»Mister!« raunte er mir in die Ohren, »Mister, braucht Euch nicht zu fürchten!«

»Fürchten? Warum sollte ich mich fürchten?«

»Warum? Darum!« versetzte er lakonisch.

»Warum sollte ich fürchten? für mein Leben? Seid Ihr nicht da, der es gerettet, dem es nur einen Druck seines Daumens gekostet hätte, es wie ein Talglicht auszulöschen?«

Der Mann schaute auf. – »Das ist wahr, mögt auch recht haben! Aber unsere Pflanzer, wißt Ihr? fangen auch oft Büffel und Rinder, um sie erst zu mästen und dann abzutun.«

»Aber Ihr seid mein Retter, mein Landsmann und Mitchrist, und ich bin kein Rind, Mann!«

»Seid's nicht, seid's nicht!« fiel er hastig ein; »seid's nicht! – Und doch – doch –.« Er wurde düster, schien sich zu besinnen.

»Hört Ihr?« wisperte er – »versteht Ihr Karten oder Würfel?«

»Ich habe nie gespielt.«

»Wenn Euch zu raten ist, so spielt auch nicht; hier absolut nicht! versteht Ihr? Ah, hätte ich das gottverfluchte Spiel nicht! – Kein Spiel, hört Ihr? kein Spiel!«

Er wandte jetzt den Kopf der Tür zu, horchte, schlich wieder zum Tisch, sich einzuschenken, – die Bouteille war jedoch leer.

»Johnny!« schrie er, einen Dollar auf den Tisch werfend, »sitzen im Trocknen.«

Johnny steckte den Kopf durch die Tür.

»Bob, Ihr habt genug.«

»Wirst du mir sagen, daß ich genug habe? du?« schrie Bob, aufspringend und sein Messer ziehend.

Johnny sprang wie eine Katze davon, aber die Mulattin kam und brachte eine volle Bouteille.

Was weiter vorging, hörte ich nicht mehr, denn abermals kam der wohltätige Schlummer über mich.

Während meines Schlummers hörte ich, wie man im Schlummer hört, lauten Wortwechsel, dazwischen Stöße und Schläge; doch weckte mich nicht der Lärm, sondern der Hunger. Dieser ließ mich nicht mehr schlafen. Wie ich die Augen aufschlug, sah ich die Mulattin, die an meinem Bette saß und die Moskitos abwehrte. Sie brachte mir den Rest der Suppe. Nach zwei Stunden sollte ich ein so köstliches Beefsteak haben, als je aus ihrer Pfanne kam. Nun aber müßte ich wieder schlafen.

Ehe noch die zwei Stunden vergangen, erwachte ich; so rasch ging die Verdauung vor sich. Wie ein Reibeisen arbeitete es in meinem Magen herum, aber nicht mehr schmerzlich, im Gegenteil, es war mehr eine wohltuende Empfindung. Das bereitete Beefsteak genoß ich mit einer Lust, einem Appetit, der wirklich nicht zu beschreiben ist. Eine solche Wollust war mir der Genuß dieses Rindschnittes, daß er mich halb und halb mit den entsetzlichen Qualen meines hundertstündigen Fastens wieder versöhnte. Doch erlaubte mir die Mulattin, die mehrere Fälle dieser Art erlebt und behandelt, nur ein sehr mäßiges Stück. Dafür brachte sie mir ein volles Bierglas, aus dem mir ein herrlicher Punsch entgegendampfte. In meinem Leben hatte ich, oder glaubte ich nichts Köstlicheres genossen zu haben. Auf meine Frage, wo sie den Rum und Zucker, sowie die Zitronen her habe, erklärte sie, daß sie mit diesen Artikeln selbst handle, daß Johnny bloß das Haus aufgeblockt, und zwar schlecht genug aufgeblockt, sie aber das Kapital zum Betrieb der Wirtschaft hergegeben und nebenbei noch einen Zucker-, Kaffee- und Schnittwarenhandel führe. Die Zitronen habe sie vom Squire oder, wie er auch genannt wurde, dem Alkalden, der ganze Säcke voll verschenke.

Allmählich wurde das Weib gesprächiger. Sie begann über Johnny zu klagen, wie er ein wüster Spieler und wohl noch etwas Schlechteres sei; wie er viel Geld bereits gehabt, aber alles wieder verloren – oft flüchtig werden müsse; wie sie ihn im untern Natchez kennen gelernt, von wo er gleichfalls bei Nacht und Nebel fortgemußt. Aber der Bob sei nicht besser, im Gegenteil – das Weib machte die Bewegung des Gurgelabschneidens – einer, der es arg getrieben. Jetzt habe er sich betrunken, Johnny zu Boden geschlagen und überhaupt sehr wüst getan. Er läge draußen auf der Diele, Johnny aber habe sich verborgen; doch brauche ich mich nicht zu fürchten.

»Fürchten, mein gutes Weib? Warum sollte ich mich fürchten?«

Sie schaute mich eine Weile bedenklich an, dann sprach sie: wenn ich wüßte, was sie wisse, würde ich mich wohl fürchten. Sie wolle jedoch auf keine Weise länger bei dem verruchten Johnny bleiben, so bald als möglich sich um einen andern Partner umsehen. Wenn sie nur einen wüßte.

Bei diesen Worten schaute sie mich an.

Ihr Blick, sowie ihr ganzes Wesen, hatten ein Etwas, das mir gar nicht gefiel. Die alte Sünderin war ihr in jedem Zuge eingedrückt. Ein häßliches, grobsinnliches Gesicht, in dem Laster und Ausschweifungen leserliche Spuren zurückgelassen. Aber jetzt war nicht die Zeit, den zart Empfindsamen zu spielen. Ich versicherte sie so warm, als ich nur vermochte, daß der Dienst, den sie mir erwiesen, meine ganze Dankbarkeit in Anspruch nähme, die ihr auf alle Fälle werden sollte.

Noch sprach sie eine Weile, ich hörte jedoch nicht mehr, denn ich war wieder eingeschlummert.

Diesmal wurde der Schlummer zum festen Schlafe.

Ich mochte etwa sechs bis sieben Stunden geschlafen haben, als ich mich am Arme gerüttelt fühlte. Ich erwachte nicht sogleich, aber das Rütteln wurde so heftig, daß ich laut aufschrie. Es war nicht sowohl Schmerz über den eisernen Griff, der mich erfaßt, als Schrecken, der mich aufkreischen machte. Bob stand vor mir. Die nächtliche Ausschweifung hatte seine Züge bis ins Scheußliche verzerrt, die blutunterlaufenen Augen waren geschwollen und rollten, als wäre er von Dämonen gepeitscht, der Mund stand ihm weit und entsetzt offen; aus seinem ganzen Wesen leuchtete die Zerstörtheit eines Menschen hervor, der soeben von einer schrecklichen Tat gekommen. Er stand vor mir wie der Mörder über dem Leichnam des gemordeten Bruders. Ich schrak entsetzt zurück.

»Um Gotteswillen, Mann! was fehlt Euch?«

Er winkte mir, still zu sein.

»Ihr habt das Fieber, Mann! –« rief ich »– kaltes Fieber!«

»Ei, das Fieber!« stöhnte er, und der kalte Schauder überlief ihn; »das Fieber, aber nicht das Fieber, das Ihr meint; ein Fieber, junger Mann, ein Fieber, Gott behüte Euch vor einem solchen Fieber!«

Er zitterte, wie er so sprach, am ganzen Leibe.

»Willst du denn gar nicht mehr ruhen? mich gar keinen Augenblick mehr in Ruhe lassen? Hilft denn gar nichts?« stöhnte er, die Faust auf die linke Seite drückend. – »Gar nicht? du Gottverfluchte! Sag' Euch«, brüllte er, »wüßte ich, daß Ihr mit Eurem Gott und Schöpfer und Richter – von dem Ihr gestern geschwätzt – bei Gott! ich wollte –«

»Flucht nicht so entsetzlich, Mann! Mein und Euer Gott sieht und hört Euch ohne Flüche. Dieses gotteslästerliche Fluchen ist sündhaft, ekelhaft.«

»Habt recht, habt recht! ist eine häßliche Gewohnheit; aber sage Euch, ja, um Gotteswillen! was wollte ich sagen?«

»Ihr wolltet sagen – vom Fieber wolltet Ihr sagen.«

»Nein, wollte das nicht sagen; weiß jetzt, was ich sagen wollte; bleibt aber ebensogut ungesagt, was ich sagen wollte. – Weiß, daß Ihr es nicht heraufbeschworen. – Hatte ja vor dem auch nicht Ruhe – die ganzen acht Tage noch keine Ruhe – ließ mich nicht ruhen, nicht rasten – trieb mich immer wie den, wie heißt er? der seinen – seinen Bruder – kalt gemacht – trieb mich unter den Patriarchen – immer und immer unter den Patriarchen.«

Er hatte diese Worte leise, abgerissen hervorgestoßen, oder vielmehr gemurmelt. Offenbar sollte ich sie nicht hören.

»Kurios das!« murmelte er weiter; »habe doch mehr als einen kalt gemacht, aber war mir nie so. War vergessen in weniger denn keiner Zeit; ließ mir kein graues Haar um sie wachsen. Kommt jetzt alles auf einmal, die ganze Zeche; kann nicht mehr ruhen, nicht mehr rasten. In der offenen Prärie ist's am ärgsten; da steht er gar zu deutlich, der alte Mann mit seinem Silberbarte und seinem glänzenden Gewand, und das Gespenst just hinter ihm. Wird mich das furchtbare Gespenst noch zur Verzweiflung bringen. – Soll mich aber doch nicht zur Verzweiflung bringen; soll nicht!«

Ich tat, als hörte ich nicht, obwohl er die letzten Worte schrie.

»Was sagt Ihr da vom Gespenste?« schrie er mich plötzlich an.

»Ich sage nichts, gar nichts!« versetzte ich beruhigend.

Seine Augen rollten, er ballte die Hände, öffnete sie wieder wie der Tiger die Krallen.

»Sagt nichts – nichts, rate es Euch, nichts!« murmelte er wieder leise.

»Ich sage nichts, lieber Mann, gar nichts, als daß Ihr Euch Gott und Eurem Schöpfer zuwenden möget.«

»Gott! – Gott! Ei, das ist der alte Mann, kalkuliere ich, im glänzenden Gewande, mit dem langen Bart, der das Gespenst hinter sich hat. – Will nichts mit ihm zu tun haben – soll mich in Ruhe lassen. – Will Ruhe haben. Will, will.«

»Will, will« – stöhnte er. – »Wißt Ihr? müßt mir einen Gefallen tun.«

»Zehn für einen; alles, was in meinen Kräften steht. Sagt an, was ich tun soll, und es soll getan werden. Ich verdanke Euch mein Leben.«

»Seid ein Gentleman, sehe es, ein Christ. Ihr könnt, Ihr müßt!«

Er schnappte nach Atem, wurde wieder unruhig.

»Ihr müßt mit mir zum Squire, zum Alkalden.«

»Zum Squire, zum Alkalden! Mann! Was soll ich mit Euch beim Squire, beim Alkalden?«

»Werdet sehen, hören, was Ihr sollt, sehen und hören; hab' ihm etwas zu sagen, etwas ins Ohr zu raunen.«

Hier holte er mit einem schweren Seufzer Atem, hielt eine Weile inne, schaute sich auf allen Seiten um.

»Etwas,« wisperte er, »das niemand sonst zu hören braucht.«

»Aber Ihr habt ja Johnny. Warum nehmt Ihr nicht lieber Johnny?«

»Den Johnny?« hohnlachte er, »den Johnny? der nicht besser ist, als er sein sollte, ja schlechter, zehnmal schlechter als ich, so schlecht bin ich; und bin schlecht, sag' Euch, bin ein arger Geselle – ein sehr arger, aber doch ein offener, ehrlicher, der immer offen, ehrlich, Stirn gegen Stirn – bis auf dieses Mal; – aber Johnny! – würde seine Mutter zur – Ist ein feiger, hündischer, heimtückischer Hund, der Johnny.«

Es bedurfte das keiner weiteren Bekräftigung, denn es war ihm wahrlich auf der Stirn geschrieben, ich schwieg also.

»Aber wozu braucht Ihr mich beim Squire?«

»Wozu ich Euch beim Squire brauche? Wozu braucht man die Leute vorm Richter? – Ist ein Richter, Mann, ein Richter in Texas, eigentlich ein mexikanischer Richter, aber von uns Amerikanern gewählt, ein Amerikaner wie ich und Ihr. Ist ein Richter der Gerechtigkeit.«

»Und wie bald soll ich?«

»Gleich auf der Stelle. – Gleich, sobald als möglich. Kann es nicht mehr aushalten. Läßt mich nicht mehr ruhen. Stehe seit den letzten acht Tagen Höllenqual aus, keine ruhige Stunde mehr. Treibt mich unter den Patriarchen, wieder weg, wieder zu. Am ärgsten ist es in der Prärie, da steht der alte Mann in leuchtendem Gewande, und hinter ihm das Gespenst; könnte sie beide mit Händen greifen. Treiben mich schrecklich herum. – Keine ruhige Stunde, selbst die Flasche hilft nichts mehr. Weder Rum noch Whisky noch Brandy hilft mehr, bannt sie nicht, beim Teufel! bannt sie nicht. Kurios das! habe gestern getrunken, glaubte es zu vertrinken, sie zu bannen; – ließen sich nicht bannen; – kamen richtig beide, trieben mich auf. – Mußte fort, in der Nacht fort. – Ließ mich nicht schlafen, mußte hinüber unter den Patriarchen.«

»Mußtet hinüber unter den Patriarchen, den Lebenseichenbaum?« rief ich entsetzt. »Und Ihr waret in der Nacht drüben unter dem Lebenseichenbaum?«

»Zog mich hin unter den Patriarchen,« stöhnte er; »komme von daher, komme, komme. Bin fest entschlossen –«

»Armer, armer Mann!« rief ich schaudernd.

»Jawohl, armer Mann!« stöhnte er in demselben entsetzlich unheimlich zutraulichen Tone. »Sage Euch, läßt mich nicht mehr ruhen, absolut nicht mehr. Ist jetzt acht Tage, daß ich hinüber nach San Felipe wollte. Glaubte schon, San Felipe zu sehen, dicht an San Felipe zu sein; als ich aufschaue, wo meint Ihr, daß ich war? – Unter dem Patriarchen.«

»Armer, armer Mann!« rief ich abermals.

»Jawohl, armer Mann!« wiederholte er mit durch Mark und Knochen dringendem Gestöhne. – »Armer Mann, wo ich gehe und stehe, bei Nacht und bei Tage.

Wollte auch nach Anahuac, ritt hinüber, ritt einen ganzen Tag; am Abend, wo glaubt Ihr wohl, daß ich wieder war? – Unterm Patriarchen.«

Es lag etwas so Gräßliches in der heimlichen und wieder unheimlichen Weise, in der er die Worte herausschnellte; der Wahnsinn des Mörders sprach so laut, so furchtbar deutlich aus seinen schrecklichen Augen. Ich wandte mich bald schaudernd von, wieder mitleidig zu ihm. Bei alledem konnte ich ihm meine Teilnahme nicht versagen.

»Ihr waret also heute schon unter der Lebenseiche?«

»Ei, so war ich, und das Gespenst drohte mir und sagte mir: ich will dich nicht ruhen lassen, Bob – Bob ist mein Name – bis du zum Alkalden gegangen, ihm gesagt –«

»Dann will ich mit Euch zu diesem Alkalden,« sprach ich, mich aus dem Bett erhebend, »und das sogleich, wenn Ihr es wünscht.«

»Was wollt Ihr? Wohin wollt Ihr?« krächzte jetzt der hereinschleichende Johnny. »Nicht von der Stelle sollt Ihr, bis Ihr bezahlt.«

»Johnny!« sprach Bob, indem er den um einen Kopf kleineren Gesellen mit beiden Händen an den Schultern erfaßte, ihn wie ein Kind emporhob und wieder niedersetzte, daß ihm die Knie zusammenbrachen. »Johnny! dieser Gentleman da ist mein Gast, verstehst du? und hier ist die Zeche, und sage dir, Johnny, sage dir!«

»Und Ihr wolltet? – Ihr wolltet?« winselte Johnny.

»Was ich will, geht dich nichts an – nichts, gar nichts geht dich das an; darum, kalkuliere ich, schweigst du besser, bleibst mir vom Halse.«

Johnny schlich sich in den Winkel zurück, wie ein Hund, der einen Fußtritt erhalten; aber die Mulattin schien sich nicht abschrecken lassen zu wollen. Die Arme in die Seite gestemmt, watschelte sie herzhaft vor.

»Ihr sollt ihn nicht wegnehmen, den Gentleman,« – schrie sie belfernd, »Ihr sollt nicht. Er ist noch schwach und kann den Ritt nicht aushalten, kaum auf den Füßen stehen.«

Das war nun wirklich der Fall. Stark, wie ich mich im Bett gefühlt, konnte ich mich außer diesem wirklich kaum auf den Füßen erhalten.

Bob schien einen Augenblick unschlüssig, aber nur einen Augenblick, im nächsten hob er die Mulattin – dick und wohlgemästet wie sie war – in derselben Weise, wie er es mit ihrem Partner getan, einen Fuß über dem Estrich empor, trug sie schwebend und kreischend der Tür zu, warf diese mit einem Fuße auf, und sie auf der Schwelle niedersetzend, sprach er: »Friede! und einen starken, guten Tee statt deiner häßlichen Zunge, und ein mürbes, frisches Beefsteak statt deines stinkenden, verfaulten Selbst, das ist dein Geschäft, und das wird den Gentleman stark machen, du alter braunlederner Sünden- und Lasterschlauch!«

Des Mannes Präzision und Bündigkeit in Wort und Tat wäre unter andern Umständen gar nicht uninteressant gewesen, selbst hier flößten sie einen gewissen Respekt ein. Er war wirklich, wie er sagte, ein arger Geselle, aber offen, geradezu.

Ich hatte angekleidet geschlafen, wollte jetzt die Stube verlassen, Gesicht und Hände zu waschen und nach meinem Mustang zu sehen; Bob ließ es jedoch nicht zu. Johnny mußte Wasser und ein Handtuch bringen, dann befahl er ihm, meinen und seinen Mustang in Bereitschaft zu halten. Seinem Winseln: »Wenn aber die Mustangs ausgerissen, sich nicht fangen lassen?« begegnete er mit den kurzen Worten: »Müssen in einer Viertelstunde da sein, dürfen nicht ausgebrochen sein; keine Tricks, verstehst du? keine Kniffe, du kennst mich!«

Johnny mußte ihn wohl kennen, denn ehe noch eine Viertelstunde vergangen, standen die Tiere gesattelt und gezäumt vor der Hütte.

Das Frühstück, aus Tee, Butter, Welschkornbrot und zarten Steaks bestehend, hatte mich auf eine Weise gestärkt, die es mir möglich machte, meinen Mustang zu besteigen. Zwar schmerzten noch alle Glieder, aber wir ritten langsam, der Morgen war heiter, die Luft elastisch, mild erfrischend, und der Weg, oder vielmehr Pfad, lag wieder durch die Prärie, die auf der einen Seite gegen den Fluß zu mit Urwald eingesäumt, auf der andern wieder ozeanartig hinausfloß in die weite Ferne, von zahllosen Inseln beschattet. Wir trafen auf eine Menge Wildes, das unsern Tieren beinahe unter den Füßen weglief. Aber obwohl Bob sein Gewehr mithatte, er schien nichts zu sehen, sprach immerfort mit sich. Er schien zu ordnen, was er dem Richter zu sagen hatte, denn ich hörte ihn in ziemlichem Zusammenhange Sätze vortragen, die mir Aufschlüsse gaben, welche ich in meiner Stimmung wahrlich gern überhört hätte. Aber es ließ sich nicht überhören, denn er schrie wie besessen, und wenn er stockte, schien auch das Gespenst wieder über ihn zu kommen. Er starrte dann wie wahnsinnig auf einen Punkt hin, schrak zusammen, stöhnte, die Fieberschauer, der Wahnsinn des Mörders griffen ihn. – Ich war herzlich froh, als wir endlich das Gehege der Pflanzung erblickten.

Sie schien sehr bedeutend. Das Haus, groß und aus Fachwerk zusammengesetzt, verriet Wohlstand und selbst Luxus. Es lag in einer Gruppe von Chinabäumen, die, obwohl offenbar vom Besitzer seit nicht vielen Jahren gepflanzt, doch bereits hoch aufgeschossen, Kühle und Schatten gaben. Ich würde sie für zehnjährig gehalten haben, erfuhr aber später, daß sie vor kaum vier Jahren gepflanzt waren. Rechts vom Hause stand einer der Könige unserer Pflanzenwelt, ein Lebenseichenbaum, der schönste, edelste, festeste Baum Texas', der Welt, kann man wohl sagen, denn etwas Majestätischeres, Ehrfurchtgebietenderes als ein solcher Riesenbaum mit seinen Silberschuppen und Bärten, die Jahrhunderte ihm angelegt, läßt sich nicht denken! Links dehnten sich etwa zweihundert Acker Baumwollfeld gegen den sich hier stark krümmenden Jacinto hin; die Pflanzung lag so ganz in einer Halbinsel, ungemein reizend, eine wahre Idylle. Vor dem Hause die unabsehbare, vielleicht zwanzig, vielleicht fünfzig, ja hundert Meilen gegen Westen hinströmende Prärie, hier und da ein Archipelagus von Inseln, schwankend und schimmernd in der durchsichtigen Atmosphäre – zwischen diesen die grasenden Rinder- und Mustangherden und links und rechts Baumwollfelder und Inseln. Hinter dem Hause waren die Wirtschaftsgebäude und das Negerdörfchen zu sehen. Über dem Ganzen ruhte tiefe Stille, die, bloß durch das Anschlagen zweier Hunde unterbrochen, der so sinnig, träumerisch gelegenen Pflanzung etwas Feierliches verlieh, das selbst Bob zu ergreifen schien. Er hielt am Gatter an, schaute zweifelnd auf das Haus hinüber, wie einer, der an einer gefährlichen Stelle steht, die zu überschreiten nicht geheuer.

So hielt er wohl einige Minuten.

Ich sprach kein Wort, hätte auch um keinen Preis reden, die innere Stimme, die ihn trieb, unterbrechen können; ich hätte es für einen Frevel gehalten. Aber zentnerschwer lag es mir auf der Brust, wie er so hielt.

Mit einem plötzlichen Ruck, der einen ebenso plötzlichen Entschluß verkündete, riß er das Gattertor auf, und wir ritten durch zwei mit Orangen, Bananen und Zitronen besetzte Hausgärten, die, von der Passage durch eine Staketeinfassung getrennt, an einen Vorhof lehnten, wo ein zweites Gattertor mit einer Glocke zu sehen war. Als diese anschlug, erschien ein Neger, der die Haustür öffnete.

Er schien Bob sehr gut zu kennen, denn er nickte ihm wie einem alten Bekannten zu, sagte ihm auch, daß der Squire ihn gebraucht, einigemal nach ihm gefragt habe. Mich bat er, abzusteigen, das Frühstück würde sogleich bereit sein; für die Pferde werde gesorgt werden.

Ich bedeutete dem Neger, wie ich nicht gekommen, die Gastfreundschaft des Squire in Anspruch zu nehmen, sondern als Begleiter Bobs, der mit seinem Herrn zu sprechen wünsche. – Im Vorbeigehen sei bemerkt, mein Äußeres paßte auch nichts weniger als zu Besuchen – meine Kleider waren beschmutzt, zum Teil auch zerrissen – ich ganz und gar nicht in der Verfassung, die Gastfreundschaft eines Texasgranden in Anspruch zu nehmen.

Der Neger schüttelte ungeduldig den Wollkopf: »Massa immerhin absteigen, das Frühstück sogleich auftragen und für die Pferde auch gesorgt werden.«

Bob fiel ihm in die Rede: »Brauchen dein Frühstück nicht, sag' ich dir – will mit dem Squire reden.«

»Squire noch im Bett sein«, versetzte der Neger.

»So sag' ihm, er solle aufstehen, Bob habe ihm etwas Wichtiges zu sagen.«

Der Neger schaute Bob mit einem Blick an, der dem Gentleman eines englischen Herzogs Ehre gemacht haben würde.

»Massa noch schlafen, er nicht wegen zehn Bobs aufstehen.«

»Aber ich habe ihm etwas Wichtiges, etwas sehr Wichtiges zu sagen«, versicherte Bob dringlich, beinahe ängstlich.

Der Neger schüttelte abermals den Wollkopf.

»Etwas Wichtiges, sag' ich dir, Ptoly!« fuhr er nun schmeichelnd und heftig zugleich fort, die Hand nach dem Wollkopfe ausstreckend; »etwas, das Leben und Tod betrifft.«

Der Neger duckte sich und sprang der Haustür zu.

»Massa nicht aufstehen, bis er ausgeschlafen. Ptoly nicht der Narr sein, ihn wegen Bob zu wecken; Massa nicht für zehn Leben und Tode aufstehen.«

Der aristokratische Neger des aristokratischen Squire würde zu jeder andern Zeit mein Lachfell gekitzelt haben, hier jedoch hatte der Auftritt etwas Peinigendes; zum Lachen war wahrlich nicht der Zeitpunkt.

»Wann steht der Squire auf?« fragte ich.

»In ein oder zwei Stunden.«

Ich sah auf meine Uhr – sie war abgelaufen; aber der Neger sagte, es wäre sieben. Allerdings eine etwas frühe Stunde für einen Morgenbesuch, der nichts weniger als unterhaltend zu werden versprach, obwohl spät genug, um einen Texassquire außer dem Bett zu sehen; doch ging uns sein Langeschlafen nichts an, und ich glaubte vermittelnd eintreten zu müssen. So wandte ich mich also an Bob, ihm bedeutend, daß die Stunde allerdings zu Geschäften zu früh und wir in Geduld warten oder zurückkehren müßten.

»Warten, warten mit dieser Höllenpein und dem Gespenst?« murmelte Bob. – »Kann nicht warten; wollen zurück.«

»Wollen zurück und in zwei Stunden wiederkommen«, bedeutete ich dem Neger.

»Wenigstens Massa bleiben, Bob allein reiten lassen, Squire Massa gern sehen«, bat der Neger mit einem vielsagenden, bedenklichen Blick auf Bob, der mich wohl zum Bleiben bewogen haben dürfte, wäre meine Verpflichtung gegen den Elenden nicht von der Art gewesen, die ein solches Bleiben zum schwärzesten Undank gestempelt haben müßte. – Wir ritten also wieder zu Johnnys Gasthütte zurück.

Der sanft bequeme Ritt hatte mich erfrischt und, obgleich er hin und wieder zurück nicht zwei Stunden gewährt, meinen Appetit auf eine Weise geschärft, die mir ein zweites Frühstück zum Bedürfnis machte. Überhaupt kann man den Heißhunger, der sich nach einem Ritt in den Prärien überhaupt, und nach einer solchen Hungerkur begreiflicherweise doppelt einstellt, unmöglich begreifen. Man wird ordentlich zum Nimmersatt, der Magen zu einem wahren Schlunde, der alles in seinen Bereich zieht und verschlingt. Kaum daß ich die Zeit erwarten konnte, bis die Mulattin die Steaks brachte. Bob schien mein Appetit ungemein zu freuen. Ein freundlich wehmütiges Grinsen überflog ihn, wenn sein wirrer Blick auf mich fiel; aber trotz meines ermunternden Zuredens ließ er sich nicht bewegen, teilzunehmen. Nüchtern, murmelte er mir zu, müsse das getan werden, was er zu tun habe, und nüchtern wolle er bleiben, bis er abgewälzt habe die Last. So saß er, die Augen stier auf einen Punkt gerichtet, die Gesichtsmuskeln starr. Irgendein Fremder, der eingetreten wäre, hätte ihn für ein Waldgespenst halten müssen. Die Leiden des Elenden waren zu gräßlich, um ihn länger zu quälen. – So bestiegen wir denn, nachdem ich mich erquickt, abermals die Pferde.

Diesmal vermochte ich bereits schneller zu reiten; in weniger denn drei Viertelstunden waren wir wieder vor dem Hause.

Wir wurden in ein für Texas recht artig möbliertes Speisezimmer eingeführt, wo wir den Squire, oder richtiger zu sagen, den Alkalden, seine Zigarre rauchend trafen. Er hatte soeben gefrühstückt, denn Teller und Schüsseln, darunter mehrere unberührt, standen noch auf dem Tische. Von Komplimenten war er offenbar kein großer Freund, ebensowenig von Yankeeneugier, denn kaum daß er, während er unsern guten Morgen zurückgab, die Begrüßung mit einem Blick erwiderte. Beim ersten Anblick sah man, daß er aus Westvirginien oder Tennessee stammte, denn nur da wachsen diese vorsintflutlichen Riesengestalten. Selbst sitzend, ragte er über den die Teller und Gedecke stellenden Neger hinaus. Dazu hatte er ganz den westvirginischen Herkulesbau, die enorme Brust, die massiven Gesichtszüge und Schultern, die scharfen grauen Augen, überhaupt ein Ensemble, das wohl rohen Hinterwäldlern imponieren konnte.

Bob schaute er mit einem langen, forschenden Blick an, mich dagegen schien er sich für später aufzusparen; denn obwohl der Neger nun alles zum Frühstück zurechtgelegt, ich auch einen Sessel genommen, war ich doch noch nicht der Ehre einer näheren Prüfung gewürdigt worden. Es lag aber auch wieder viel Takt und Selbstbewußtsein in seiner Art und Weise, wenigstens verriet sie, daß er einen Alkalden zu repräsentieren verstand. Bob war, den mit dem blutigen Sacktuch verbundenen Kopf auf die Brust gesenkt, stehengeblieben. Er schien Respekt vor dem Squire zu fühlen.

Dieser hob endlich an: »Ah, seid Ihr wieder da, Bob? Haben Euch schon lange nicht gesehen, schier geglaubt, daß Ihr uns vergessen. Sag Euch, haben schier geglaubt, hättet Euch um ein Haus weiter gemacht. – Wohl, wohl, Bob. Hätten uns auch nicht den Hals abgerissen, denn sag' Euch, sind mir Spieler verhaßt, hasse sie, Mann, ärger als das Stinktier. Ist ein liederliches Wesen mit dem Spiele, hat manchen Mann ruiniert, zeitlich und ewig ruiniert – hat Euch auch ruiniert.«

Bob gab keine Antwort.

»Hätten Euch übrigens letzte Woche gut brauchen können; wäret überhaupt gut zu brauchen. Ließe sich noch ein wertvolles Glied der bürgerlichen Gesellschaft aus Euch machen, wenn Ihr nur das sündige Spielen lassen könntet. Meine Stieftochter letzte Woche angekommen. – Mußten um den Joel senden, uns einen Hirschbock und ein paar Dutzend Schnepfen zu schießen.«

Bob gab noch immer keine Antwort.

»Jetzt geht hinaus in die Küche und laßt Euch zu essen geben.«

Bob gab weder Antwort, noch ging er.

»Hört Ihr nicht? in die Küche sollt Ihr hinaus und Euch zu essen geben lassen. Und Ptoly,« sprach er zum Neger, »sag der Veny, sie soll ihm eine Pinte Rum bringen.«

»Brauche Euren Rum nicht, bin nicht durstig«, knurrte Bob.

»Scheint so, scheint so!« versetzte lakonisch der Richter. »Scheint, als hättet Ihr bereits mehr genommen als nötig. Seht schier aus, als ob Ihr eine wilde Katze lebendig verschlingen könntet.«

Bob knirschte mit den Zähnen, was aber der Richter zu überhören schien.

»Und Ihr?« – wandte er sich jetzt zu mir. – »Was Teufel, Ptoly! was stehst du? Siehst du nicht, daß der Mann frühstücken will? Wo bleibt der Kaffee? oder trinkt Ihr lieber Tee?«

»Danke Euch, Alkalde, ich habe soeben gefrühstückt.«

»Schaut nicht danach aus. – Seid doch nicht krank? Wo kommt Ihr her? Was ist Euch zugestoßen? Habt doch nicht das Fieber? Wie kommt Ihr zu Bob?«

Erst jetzt fiel sein Blick forschender auf mich, dann wieder auf Bob. Offenbar suchte er zu ergründen, was wohl den Besuch veranlaßt, mich in Bobs Gesellschaft gebracht haben könne. Das Resultat seiner physiognomischen Beobachtungen schien weder Bob noch mir sehr günstig.

»Sollt alles hören, Richter!« beeilte ich mich, ihm zu antworten; »verdanke Bob sehr viel, ganz eigentlich mein Leben.«

»Euer Leben? Bob verdankt Ihr Euer Leben?« rief der Richter, ungläubig den Kopf schüttelnd.

»Ja, das verdanke ich ihm wirklich, denn ich war auf dem Punkte, zu vergehen, als er mich fand. – Bin nämlich in der Jacintoprärie verirrt – vier Tage herumgeirrt, ohne einen Bissen über die Zunge gebracht zu haben. Gestern fand und zog mich Bob aus dem Jacinto.«

»Ihr habt Euch doch nicht –?«

»Nein, nein!« fiel ich ein; »mein durstiger Mustang sprang mit mir in den Fluß, und kraftlos, wie ich war, fiel ich hinein.«

»So?« – sprach der Richter – »so hat Euch also Bob gerettet? Ist das wahr, Bob? Wohl, freut mich, Bob, freut mich das wieder. Wenn Ihr nur von Eurem Johnny lassen könntet. Sage Euch, Bob, der Johnny wird Euch noch ins Verderben bringen. Laßt ihn besser.«

Alles das war bedächtig, mit Nachdruck gesprochen, dazwischen immer ein Trunk genommen und ein paar Rauchwolken aus der Zigarre gezogen und gestoßen.

»Ja, Bob,« wandte er sich wieder an diesen, »wenn Ihr von dem Johnny lassen könntet!«

»Ist zu spät!« versetzte Bob.

»Weiß nicht, warum es zu spät sein sollte; ist nie zu spät, ein sündig verdorbenes Lasterleben aufzugeben; nie, Mann!«

»Kalkuliere, ist's aber doch!« versetzte halb trotzig Bob.

»Ihr kalkuliert, es ist?« versetzte der Richter, ihn scharf fixierend. »Und warum kalkuliert Ihr? Nehmt ein Glas. – Ptoly, ein Glas! – und sagt an, warum es zu spät sein sollte, Mann?«

»Habe keinen Durst, Squire«, versetzte Bob.

»Reden jetzt nicht vom Durst; ist der Rum nicht gegen den Durst; – ist der Rum, mäßig genossen, das Herz und die Nieren zu stärken, die Gespenster zu vertreiben; aber mäßig muß er genossen werden.«

Und so sagend, füllte er sich ein Glas und leerte es zur Hälfte.

»Reden aber nicht vom Durst«, hob er wieder an; »reden davon, daß es zu spät sein sollte. Warum sollte es zu spät sein?«

Und wieder schaute er ihn scharf an.

»Liegt mir nicht der Rum,« brummte wieder Bob, »liegt mir etwas anderes im Magen.«

»Liegt Euch etwas anderes im Magen?« fiel der Richter ein, die Rauchwolken seiner Zigarre von sich blasend. »Etwas anderes liegt Euch im Magen? Wohl, Bob, was liegt Euch denn so im Magen? Nehmt eine Zigarre, Mann!« – wandte er sich zu mir – »Wollen hören, was ihm im Magen liegt. Oder wollt Ihr unter vier Augen mit mir reden? Ist zwar heute Sonntag, Mann, und am Sonntag sollen die Geschäfte ruhen; aber da Ihr es seid und Magendrücken habt, so wollen wir schauen.«

»Habe den Gentleman expreß mitgebracht, daß er Zeuge sein, hören solle«, versetzte Bob, eine Zigarre nehmend.

Der Richter, obwohl er ihn zu dieser nicht geladen, hielt ihm ganz ruhig das brennende Licht hin.

Bob rauchte die Zigarre an, tat einige Züge, schaute den Richter bedenklich an und warf dann die Zigarre zum Fenster hinaus.

»Schmeckt mir nicht, Squire, schmeckt mir nichts mehr, wird immer ärger.«

»Ah, Bob, wenn Ihr nur Euer ewiges Spielen und Trinken lassen könntet! Sind diese Euer Fieber, Euer Verderben.«

»Ist nichts, Squire, hilft alles nichts, muß heraus. Kämpfte, stritt lange mit mir. Glaubte, es zu verwinden, niederzudrücken, geht aber nicht. Habe manchen unter die siebente Rippe – aber dieser –«

»Was habt Ihr?« sprach der Richter, der, nachdem er die Zigarre gleichfalls durch das Fenster geworfen, Bob mit einer etwas richterlichen Miene maß. »Was gibt es wieder? Was sollen die Reden von siebenten Rippen? Keine Eurer Sodoma- und Unter-Natchezsprünge, hoffe so; könnten sie hier nicht brauchen; verstehen hier keine solchen Späße.«

»Pooh! Verstehen sie noch weniger drüben in Natchez. Hätten sie sie verstanden, wäre Bob nicht in Texas.«

»Aber Eure Knochen bleichten dafür drüben irgendwo an einem Baum, oder in einem Graben? Wissen das, wissen das, Bob! Je weniger davon geredet wird, desto besser. Habt aber hier versprochen, den alten sündigen Menschen aus-, einen neuen anzuziehen, und wollen deshalb alte Geschichten nicht aufrühren.«

»Hab's wollen, hab's wollen«, stöhnte Bob; »geht aber nicht, hilft alles nichts; muß heraus, sag' es Euch, muß heraus. Wird nicht besser, als bis ich gehängt bin.«

Ich starrte Bob sprachlos an; der Richter jedoch nahm eine frische Zigarre, zündete sie an, und nachdem er sie in Rauch gesetzt, sprach er ganz gelassen: »Nicht besser, als bis Ihr gehängt seid? Ja, aber warum wollt Ihr denn gehängt sein? Freilich solltet Ihr das schon lange, denn wenn die Zeitungen in Georgien, Alabama und Mississippi nicht alle lügen, so habt Ihr den Strick wenigstens ein dutzendmal verdient, in den Staaten drüben nämlich; aber hier sind wir in Texas, unter mexikanischer Gerichtsbarkeit. Geht uns hier nichts an, was Ihr drüben verbrochen, so Ihr nur hier nichts angestellt. Wo kein Kläger, da ist auch kein Richter.«

»Ho! es ist aber doch ein Kläger«, versetzte trotzig Bob; »ist einer, sag' ich Euch«, setzte er leiser und schaudernd hinzu.

»Ein Kläger? Und wer sollte der Kläger sein?« fragte der Richter, mich anschauend.

»Wer der Kläger sein sollte?« – murmelte Bob. »Wer der Kläger sein sollte?« – wiederholte er, wechselweise den Richter, wieder mich anstierend.

»Sendet den Neger hinaus, Squire«, – unterbrach er sich plötzlich und nicht ohne Selbstgefühl. »Was ein freier weißer Mann, ein Bürger zu sagen hat, soll nicht von schwarzen Ohren gehört werden.«

»Ptoly, geh hinaus!« befahl der Richter, dann wandte er sich wieder zu Bob. »Sagt, was Ihr zu sagen habt oder sagen wollt; aber merkt's Euch, zwingt Euch niemand dazu. Ist auch nur guter Wille, daß ich Euch überhaupt höre, ist Sonntag.«

»Weiß es,« murmelte Bob, »weiß es, Squire; läßt mich aber nicht ruhen, habe alles versucht. Bin hinüber nach San Felipe de Austin, hinab nach Anahuac, half alles nichts. Wohin ich immer gehe, das Gespenst folgt mir richtig nach, treibt mich zurück unter den verfluchten Patriarchen.«

»Unter den Patriarchen?« fragte der Richter.

»Ei, unter den Patriarchen!« stöhnte Bob. »Wißt Ihr, den Patriarchen, steht nicht weit von der Furt am Jacinto.«

»Weiß, weiß!« versetzte der Richter. »Und was treibt Euch unter den Patriarchen?«

»Was mich treibt?« murmelte Bob in sich hinein. »Was treibt einen – einen, der –«

»Einen, der?« fragte leiser der Richter.

»Einen, der,« – fuhr in demselben leisen Tone Bob fort – »einen, der einem andern: – eine Unze Blei in den Leib getan. – Liegt da, der andere, unterm Patriarchen – den ich –«

»Den Ihr?« fragte wieder leise der Richter.

»Nun, den ich kalt gemacht!« schnappte mit einem ungeduldigen Ruck Bob heraus.

»Kalt gemacht?« fragte in stärkerem, beinahe rauhem Tone der Richter. »Ihr ihn? Wen?«

»Je nun, wen? Warum laßt Ihr mich nicht ausreden? habt immer Euer Wort darein«, brummte verdrießlich Bob.

»Werdet wieder einmal salzig, Bob!« fiel ihm der nun gleichfalls ungeduldig werdende Richter in einem Tone ein, so zähledern verdrießlich und doch wieder gleichmütig, daß mir ordentlich unheimlich wurde, ich unwillkürlich an den Hals fühlte, ob das Messer noch nicht an der Kehle, denn dieser Ton ließ doch alles befürchten. In meinem Leben hatte ich so nicht von einem Morde verhandeln hören. Ich horchte, spitzte die Ohren, meine abgespannten Sinne und Nerven hatten mich vielleicht getäuscht. Vielleicht war die Rede von einem ungeschickt kalt gemachten Bären oder Panther. – Einen Augenblick dachte ich auch, es müsse so sein; das Gesicht des Richters verriet so gar keine, auch nicht die leiseste Aufregung, war so handwerksmäßig metzgerartig verdrießlich zu schauen; aber dann das Bobs! diese Angst und Verzweiflung, diese entsetzliche Unheimlichkeit, mit der es ihm sein Geständnis brockenweise und gleichsam wider Willen herauszwängte, als ob er vom bösen Feinde besessen; die furchtbare Qual, die ihn verzerrte, die rollenden, wie von einer Furie gepeitschten und wieder stier und entsetzt wie vor einem Gespenst erstarrenden Augen! – Meine Philosophie war hier zu Ende, alle meine Menschenkenntnis übern Haufen. Der Richter rauchte so ruhig fort, als ob, wie gesagt, die Rede von einem ungeschickt geschlachteten Kalbe oder Rinde gewesen wäre. Mir verging das Hören und Sehen bei dieser Gefühllosigkeit, die denn doch alles übertraf, was ich je derart gesehen oder gehört.

Er mochte mir unterdessen die Gedanken so ziemlich im Gesicht ablesen, denn nachdem er mich einen Augenblick fixiert, unterbrach er, nicht ohne ein spöttisches Lächeln, die Pause.

»Wenn Ihr glaubt, Fremdling, in unserm Lande sogenannte gute Gesellschaft zu finden, werdet Ihr Euch wahrscheinlich früher enttäuscht finden, als Euch angenehm sein dürfte. Haben weder New-Yorker noch Bostoner feine Gentlemen hier, brauchten sie auch nicht, können sie leicht entbehren. Wird noch, Gott sei Dank! einige Zeit dauern, bis Eure New-Yorker und Londoner und Pariser Fashionables zu uns kommen und uns ihre Manieren oder, besser zu sagen, Unmanieren lehren, die abgerechnet, sie vielleicht um kein Haar besser sind als der arme Teufel, den Ihr hier vor Euch seht. Ei, sind bei uns die Teufel nicht so schwarz, und bei Euch die Engel nicht so weiß, wie sie aussehen. Werdet hier noch 'ne andere Philosophie kennen lernen, als die Ihr aus Euren Büchern habt.«

»Laßt weiter hören, Mann!« wandte er sich wieder ruhig zu Bob. »Kalkuliere, ist doch weiter nichts als einer Eurer gewöhnlichen Tantarums.«

Bob schüttelte den Kopf.

Der Richter schaute ihn einen Augenblick scharf an und sprach dann in zutraulich ermunterndem Tone: »Also unterm Patriarchen, und wie kam er untern Patriarchen?«

»Schleppte ihn darunter, begrub ihn da, vermute ich«, versetzte Bob.

»Schlepptet ihn darunter? Und wie kam es, daß Ihr ihn darunter schlepptet?«

»Weil er wohl selbst nicht gehen konnte mit mehr als einer halben Unze Blei im Leibe.«

»Und die halbe Unze Blei tatet Ihr ihm in den Leib, Bob? Wohl, wenn es Johnny war, habt Ihr dem Lande einen Dienst erwiesen, uns einen Strick erspart.«

Bob schüttelte den Kopf.

»War es nicht, obwohl Johnny – doch mögt hören: ist, wißt Ihr? gerade zehn Tage, daß Ihr mich ausgezahlt, zahltet mir zwanzig-fünfzig.«

»Richtig! Zwanzig Dollars fünfzig Cents, Bob! und mahnte Euch, das Geld stehen zu lassen, bis Ihr ein paar hundert Dollars oder so viel beisammen hättet, daß Ihr Euch ein Viertel oder Achtel Sitio Land kaufen könntet; aber hilft bei Euch alles Reden nichts.«

»Hilft nichts!« fiel Bob ein; »treibt mich immer der Teufel, der mich nun schon einmal haben will; trieb mich, und wollte hinab nach San Felipe zu den Mexikanern. Wollte da mein Glück versuchen und auch den Doktor fragen.«

»Wozu braucht Ihr den Doktor? Konntet Euer Fieber längst los sein, wenn Ihr nur vierzehn Tage mit Eurem Trinken aussetztet, denn sind hier gar nicht so bös, die Fieber. Ist aber mit Euch ein wahres Kreuz, Bob. Seid ein wilder, ungeregelter, gar ungeregelter Bursche, und dann Euer Umgang mit Johnny. Wollen aber jetzt dem Unwesen mit Johnny ein Ende machen. Sind alle Nachbarn einverstanden. Wohl, wäret also auf dem Wege nach San Felipe?«

»Wohl, war auf dem Wege nach San Felipe, und wie ich so meinen Weg ritt, führt mich der Teufel oder mein Unstern – denn der eine oder der andere war es, kalkuliere ich – an Johnnys Hause vorüber. Verspürte wohl Lust zu einem Glase, aber stieg doch nicht ab.

»Stieg nicht ab,« – fuhr er fort – »aber wie ich vom Rücken meines Mustangs hineinschaue durch die Fensterläden in die Stube, sehe ich einen Mann am Tische sitzen, der sich's wohl schmecken läßt bei einer Schüssel Steaks und Bataten und einem Glase Steifen. Machte mir das Appetit, stieg aber doch nicht ab.

»Wollte nicht, aber wie ich so schaue und sinne, kommt der Satan, der Johnny, geschlichen, wispert mir zu, möchte absteigen, es wäre ein Mann im Hause, mit dem etwas anzufangen wäre, wenn wir's gescheit einfädelten; habe eine Geldkatze um den Leib, die schönste, gespickteste Geldkatze, die man nur sehen könnte; und wenn wir just Spaßes halber ein Spielchen machten, würde er wohl anbeißen.

»Hatte nicht rechte Lust« – fuhr Bob fort – »und kalkulierte und grübelte eine ziemliche Weile; aber knurrte Johnny und tat gar so heimlich und schmeichelnd, und wie er gar so tut, steige ich endlich ab, und wie ich absteige und mir die Dollars im Sacke klimpern, bekomme ich auch Lust, und lustig trete ich ein.

»Lustig trete ich ein,« – fuhr der Mann wild lachend fort – »ein Glas folgt dem andern; Beefsteaks und Bataten waren auch da, ich aß aber nur ein paar Bissen.

»Hatte kaum ein paar Bissen drunten, und ein, drei, vier Gläser, als Johnny Karten und Würfel brachte. Holla, Johnny! Karten und Würfel, Johnny! Habe zwanzig Dollars fünfzig in der Tasche, Johnny. Wollen ein Spiel machen, Johnny! wollen, aber nüchtern, sag' ich, Johnny! denn kenne dich, Johnny!

»Johnny aber lacht gar pfiffig und rüttelt Würfel und Karten; und wir heben zu spielen an.

»Spielen, und dazwischen trinken wir; ich aber mehr als Johnny, und mit jedem Glase werde ich hitziger, meine Dollars aber weniger. Rechnete auf den Fremden, kalkulierte, würde der eintreten, daß wir ihn rupfen könnten, saß aber da und aß und trank, als ob ihn das Ganze gar nichts anginge. Wurde, ihm Lust zu machen, immer toller, half aber alles nichts; – aß und trank ruhig fort. – Ehe eine halbe Stunde vergangen, war ich abgetakelt, meine zwanzig-fünfzig beim Teufel, oder, was dasselbe ist, Johnnys.

»Wie ich kahl war, ward es mir vor den Augen, Squire! just wie grün und blau war's mir. Nicht bald war mir's so gewesen. Hatte hundertmal größere Summen verspielt, Hunderte, ja Tausende von Dollars verspielt, aber diese Hunderte, ja Tausende hatten mich auch nicht den hundertsten, tausendsten Teil der Mühe gekostet, die mir diese zwanzig-fünfzig nahmen; wißt, habe zwei volle Monate in Wäldern und Präries herumgelegen, mir das Fieber an Hals gezogen. Das Fieber hatte ich noch, aber kein Geld, es zu vertreiben. War Euch so wild, konnte mit einem Kaguar anbinden; sprang auch wild, wie ich war, auf Johnny zu; lachte mir der nur höhnisch ins Gesicht, klimperte dazu mit meinen Dollars. Bekam dafür eine Kopfnuß, die, wäre er nicht auf die Seite gesprungen, ihm für acht Tage das Lachen vertrieben hätte.

»Hinkt aber doch wieder heran.

»Hinkt wieder heran, und mir nach, und winkt mir und raunt mir heimlich zu: Bob, raunt er mir zu, Bob, seid Ihr denn gar so auf einmal aus der Art geschlagen, ein Hasenherz geworden, daß Ihr nicht seht, nicht die volle Katze seht, sagt er, mit den Augen auf die Katze hinblinzelnd, die der Mann um den Leib hatte, und die, lachte er, für wenig mehr als eine halbe Unze Blei zu haben wäre.«

»Sagte er das?« fragte der Richter.

»Ei, sagte er's«, – bekräftigte Bob; – »sagte er's. Wollte aber nichts davon hören – war so wild von wegen der zwanzig Dollars; sagte ihm, wenn er Lust auf die gespickte Katze habe, möge er sie ebensowohl selbst dem Fremden abnehmen, brauche mich nicht dazu, ihm die Kastanien aus der heißen Asche zu ziehen; solle gehen und verflucht sein.

»Gab meinem Mustang die Sporen und ritt wild davon.

»Ritt davon!« – fuhr Bob fort. – »In meinem Kopfe ging's herum wie in einer Tretmühle. Lagen mir die zwanzig-fünfzig bestialisch im Kopfe. Zu Euch wollte ich nicht, durfte auch nicht, wußte, würdet gescholten haben.«

»Würde nicht gescholten haben, Bob! – Würde zwar gescholten haben, aber zu Eurem Besten. Würde den Johnny vor mich zitiert, eine Jury von zwölf Nachbarn zusammenberufen, Euch zu Euren zwanzigfünfzig, Johnny aber aus dem Lande, oder noch besser, aus der Welt verholfen haben.«

Die Worte waren zwar noch immer mit vielem Phlegma, aber auch einer Herzlichkeit, einer Teilnahme gesprochen, die mir eine etwas bessere Meinung von der Gewissenszartheit des guten Richters beibrachten. Auch Bob schienen sie wohltätig berührt zu haben. Er holte einen tiefen Seufzer, schaute den Richter gerührt an.

»Ist zu spät,« – murmelte er – »zu spät, Squire.«

»Nicht zu spät«, versetzte der Richter; »doch laßt weiter hören.«

»Wohl,« – hob wieder Bob an – »wie ich so herumritt – war bereits Abend – ritt gegen das Palmettofeld zu, wißt Ihr? am andern Ufer des Jacinto?«

Der Richter nickte.

»Ritt so am Palmetto hinauf. – Wie ich so reite, höre ich auf einmal Pferdegetrampel.

»Höre Pferdegetrampel«, – fuhr er fort. – »Wie ich das höre, wird mir so kurios zumute, so kurios zumute, so kurios, wie mir im Leben nicht gewesen, schauderhaft wird mir zumute, ganz kalt überrieselt es mich. War mir, als ob mir zehntausend böse Geister in die Ohren heulten, verlor die Besinnung, verging mir Sehen und Hören, wußte nicht mehr, wo ich war. Stand mir bloß die gespickte Geldkatze vor Augen und meine zwanzig Dollars-fünfzig.

»Sah nichts, hörte nichts anderes.

»Hörte nichts, hörte aber doch, hörte eine Stimme; ruft mich an, die Stimme – ruft: woher des Weges – und wohin, Landsmann?

»Woher und wohin? – murmelte ich; – woher und wohin? Zum Teufel, sage ich, und dahin mögt Ihr gehen und ihm Botschaft bringen.

»Die mögt Ihr ihm selbst überbringen – sagt lachend der Fremde – wenn Ihr Lust habt, mein Weg geht nicht zu ihm.

»Und wie er so sagt, schau ich auf und sehe, daß es der Mann ist mit der Geldkatze; wußte es zwar, aber schaute doch auf.

»Seid Ihr nicht der Mann – sagte er – den ich drüben in der Herberge gesehen?

»Und wenn ich's bin, was geht es Euch an? – sag' ich ihm.

»Nichts, daß ich wüßte – sagt er; – geht mich freilich nichts an – sagt er.

»Wohl, so zieht Eures Weges, und sagt, seid da gewesen – sag' ich.

»Will, will! – sagt er. – Und nichts für ungut – sagt er; – ein Wort ist kein Pfeil – sagt er; – und kalkuliere, hat Euch Euer Spielverlust eben nicht in kirchengängerische Laune versetzt – sagt er. Wenn ich Ihr wäre, würde wahrlich meine Dollars nicht auf Karte und Würfel setzen – sagt er.

»Und machte mich das, daß er mir meinen Verlust in die Zähne warf, so giftig; war Euch giftig wie 'ne wilde Katze.

»Halte aber doch meinen Zorn zurück. Stieg mir aber auf, die Galle, spürte es: ward tückisch.

»Seid mir ein sauberer Geselle, sag' ich – da einem seinen Spielverlust in die Zähne zu reiben, ein elender Geselle!

»Wollte ihn nämlich aufreizen und dann mit ihm anbinden. Hatte aber keine Lust zum Anbinden, sagt ganz demütig: Werfe Euch nichts in die Zähne; behüte mich Gott, Euch Euren Verlust in die Zähne zu reiben; bedaure Euch im Gegenteil. Seht mir nicht aus wie einer, der viele Dollars zu verlieren hat. Seht mir aus wie ein hartschaffender Mann, der sich sein Geld sauer verdienen muß.

»Ei wohl, hartschaffiger Mann! – sag' ich; wohl muß ich mir mein Geld sauer verdienen.

»Und hatten wir so gehalten und waren schier am obern Ende des Canebrake, nahe am Waldsaume, der den Jacinto einsäumt, und hatte mich hart an ihn, und der Teufel sich an mich genistet.

»Wohl hartschaffiger Mann – sag' ich – und alles verloren, alles, keinen Cent zu einem Bissen Kautabak.

»Wenn sonst nichts ist als das – sagt er – da läßt sich wohl abhelfen. Kaue zwar nicht, bin auch kein reicher Mann, habe Weib und Kind und brauche jeden Cent, den ich habe; aber einem Landsmann zu helfen, ist Bürgerpflicht. – Sollt Geld zu Kautabak und einem Schluck haben.

»Und so sagend, langte er den Beutel aus seiner Tasche, in dem er seine Münze hatte. – War ziemlich voll, der Beutel, mochten wohl ein zwanzig Dollars darin sein, und war mir, als ob der Teufel mir aus dem Beutel heraus zulache.

»Halbpart! – sag' ich.

»Nein, das nicht; hab' Weib und Kind, und gehört denen, was ich habe; aber einen halben Dollar.

»Halbpart! sag' ich; oder –

»Oder? – sagt er, und wie er so sagt, steckt er den Beutel wieder in die Tasche und langt nach der Büchse, die er über der Schulter hat. – Zwingt mich nicht – sagt er – Euch Leides anzutun. – Tut das nicht – sagt er – möchte ich, möchtet Ihr es bereuen. Bringt keinen Segen, was Ihr vorhabt.

»Ich aber höre nicht mehr, sehe nicht mehr; – zehn Millionen böse Geister haben mich ergriffen.

»Halbpart! – schreie ich – und wie ich so schreie, hopst er auch im Sattel auf, fällt zurück – über den Rücken seines Gauls hinab.

»Bin ein toter Mann! – röchelt er noch. – Gott sei mir gnädig und barmherzig! Mein armes Weib, meine armen Kinder!«

Bob hielt jetzt inne, der Atem stockte ihm, der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn. Grausig starrte er in die Ecke des Zimmers hinein.

Auch der Richter war bleich geworden. Ich hatte es versucht, aufzustehen, taumelte aber wieder zurück, ohne die Tafel wäre ich gesunken.

Eine düstere Pause trat ein. – Endlich murmelt der Richter: »Ein harter, harter Fall! – Vater Mutter, Kinder mit einem Schlage! Bob, Ihr seid ein gräßlicher Geselle, ein gräßlicher Geselle, geradezu ein Bösewicht!«

»Ein gräßlicher Geselle!« stöhnte Bob; »die Kugel war ihm mitten durch die Brust gegangen.«

»Vielleicht war Euch der Hahn abgeschnappt?« sprach leise, wie ängstlich, der Richter; – »vielleicht war's seine eigene Kugel?«

Bob schüttelte den Kopf.

»Weiß es wohl; denn steht mir noch so deutlich vor Augen, wie er sagt: tut das nicht, zwingt mich nicht, Euch Leides anzutun. Möchtet Ihr, möchte ich es bereuen. – Drückte aber ab, war der Teufel, der mich's tun hieß. Seine Kugel steckt noch im Rohr.

»Wie er jetzt vor mir lag,« – fuhr er stöhnend fort – »wurde mir, kann Euch's gar nicht beschreiben, wie mir wurde. War nicht der erste, den ich kalt gemacht, aber alle Geldkatzen und Beutel der Welt hätte ich jetzt darum gegeben, die Tat ungeschehen zu machen. Nein, soll der letzte sein, soll und muß der letzte sein, denn läßt mich nicht mehr ruhen, nicht mehr rasten. – In der Prärie gar, da ist's am ärgsten, sag' Euch's geradezu, am allerärgsten. Läßt mich nicht mehr in der Prärie, treibt mich immer unter den Patriarchen.

»Muß ihn auch unter den Patriarchen geschleppt, da mit meinem Weidmesser verscharrt haben, denn fand ihn da.«

»Fandet ihn da?« murmelte der Richter.

»Weiß nicht, wie er dahin kam, muß ihn wohl selbst hingebracht haben, denn fand ihn da. Sah aber nichts mehr, hörte nur die Worte: Gott sei mir gnädig und barmherzig! Bin ein toter Mann! Mein armes Weib, meine armen Kinder!

»Bringt wohl keinen Segen, was ich getan!« stöhnte er wieder. »Bringt keinen, habe es erfahren. Gellen mir die Worte immer und ewig in den Ohren.«

Der Richter war aufgestanden und ging in tiefen Gedanken heftig im Zimmer auf und ab. Auf einmal hielt er an.

»Was habt Ihr mit seinem Gelde getan?«

»Stand mir immerfort vor Augen«, murmelte Bob. »Wollte nach San Felipe, hatte seinen Beutel zu mir gesteckt, aber seine Katze mit ihm begraben, auch eine Flasche Rum und Brot und Beefsteaks, die er von Johnny mitgenommen. Ritt den ganzen Tag. Am Abend, wie ich absteige und ins Wirtshaus, das ich vor mir sehe, einzutreten gedenke, wo glaubt Ihr, daß ich war?«

Der Richter und ich starrten ihn an.

»Unter dem Patriarchen. Hatte, statt mich nach San Felipe zu lassen, der Geist des Ermordeten mich unter den Patriarchen getrieben. Ließ mich da nicht ruhen, bis ich ihn aus- und wieder eingescharrt, aber den Mantelsack nicht.«

Der Richter schüttelte den Kopf.

»Versuchte es den folgenden Tag mit einer andern Richtung; brauchte Kautabak, hatte keinen mehr. Reite nach Anahuac, durch die Prärie. – In der Prärie trieb's mir's gar zu toll. Ein großer Mann in glänzendem Bart und Gewand stand vor mir, wo ich immer mich hinwandte. So stelle ich mir Gott vor, wenn es einen Gott gibt. – Ihm zur Seite drohte das Gespenst des Ermordeten. Und so trieben mich die beiden, daß ich meinen Mustang blutig spornte, ihnen zu entgehen. Wollte um jeden Preis nach Anahuac, hoffte, mir's da schon aus'm Sinn zu schlagen. Ritt auf Leben und Tod auf Anahuac zu – den ganzen Tag. Am Abend, wie ich aufschaue, die Salzwerke zu sehen glaube, wo glaubt Ihr, daß ich wieder war?«

»Richtig wieder unterm Patriarchen. Grub ihn wieder aus, schaut' ihn mir wieder von allen Seiten an, vergrub ihn dann wieder.«

»Seltsam das!« versetzte der Richter.

»Ei, sehr seltsam!« – stimmte Bob bei. – »Hilft alles nichts, sag' es Euch – geben mir nicht Ruhe – hilft alles nicht. Wird nicht besser, als bis ich gehängt bin.«

Bob fühlte sich sichtbar erleichtert, nachdem er dies gesprochen. Aber, so seltsam es klingen mag, auch ich. – Unwillkürlich nickte ich beistimmend. – Der Richter allein verzog keine Miene.

»So,« – sprach er – »so. So glaubt Ihr, es wird nicht besser, als bis Ihr gehängt seid?«

»Ja!« – versetzte mit eifriger Hast Bob. – »Gehängt an demselben Patriarchen, unter dem er begraben liegt.«

Jetzt nahm der Richter eine Zigarre, zündete sie an und sprach dann: »Wohl, wenn Ihr es so haben wollt, wollen wir sehen, was sich für Euch tun läßt. Will die Nachbarn morgen zur Jury zusammenrufen lassen.«

»Dank Euch, Squire«, brummte Bob sichtlich erleichtert.

»Will sie zu einer Jury zusammenrufen lassen«, – wiederholte der Alkalde – »und dann schauen, was sich für Euch tun läßt. Werdet vielleicht andern Sinnes.«

Ich schaute ihn wieder an wie aus den Wolken gefallen. Er schien es jedoch nicht zu bemerken.

»Gibt vielleicht noch einen andern Weg, Euer Leben los zu werden, wenn Ihr es müde seid,« – fuhr er, die Zigarre aus dem Munde nehmend, fort – »könnt vielleicht den einschlagen, ohne daß Euer Gewissen Hühneraugen bekommt.«

Bob schüttelte den Kopf, ich unwillkürlich gleichfalls.

»Wollen auf alle Fälle hören, was die Nachbarn sagen«, – sprach wieder der Richter.

Bob stand jetzt auf, trat auf den Richter zu, ihm die Hand zum Abschied zu reichen. Dieser versagte sie. Sich zu mir wendend, sprach er: »Glaube, Ihr bleibt besser hier.«

Bob wandte sich ungestüm.

»Der Gentleman muß mit.«

»Warum muß er mit?« fragte der Richter.

»Fragt ihn selbst.«

Ich erklärte nochmals die Verbindlichkeit, die ich Bob schuldete, die Art und Weise, wie wir miteinander zusammengetroffen, wie er bei Johnny für mich gesorgt.

Er nickte beifällig, sprach aber dann bestimmt: »Ihr bleibt nichtsdestoweniger hier, gerade jetzt um so mehr hier, und Bob, Ihr geht allein. Ihr seid in der Stimmung, Bob, die am besten allein bleibt, in einer gereizten Stimmung, versteht Ihr? Und deshalb laßt Ihr den jungen Mann hier. Könnte noch ein Unglück geben. Ist auf alle Fälle besser hier, als bei Euch oder Johnny aufgehoben. Morgen kommt Ihr wieder, und da wollen wir sehen, was sich für Euch tun läßt.«

Die Worte des Mannes waren mit jenem Gewicht gesprochen, dem Leute von Bobs Charakter selten zu widerstehen vermögen. Er nickte beifällig und ging.

Ich wieder saß noch immer wie betäubt, den seltsamen Mann anstarrend – er kam mir gar so unmenschlich vor!

Als Bob gegangen, blies der Alkalde in ein Muschelhorn, das die Stelle der Klingelschnur vertrat, nahm dann das Zigarrenkästchen zur Hand, prüfte eine Zigarre nach der andern, brach sie verdrießlich und warf die Stücke zum Fenster hinaus. Der Neger, der auf den Muschelstoß eingetreten, stand bereits eine geraume Weile, während sein Herr noch immer Zigarren brach und zum Fenster hinauswarf. Endlich schien ihm die Geduld zu vergehen.

»Höre, Ptoly!« – grollte er den zusammenschreckenden Schwarzen an – »wenn du mir wieder solche Zigarren ins Haus bringst, die weder ziehen, noch rauchen, will ich dir deinen Rücken rauchen machen. – Bürg' dir dafür. – Ist ja schier keine einen Fiedelbogen wert. – Sag der alten kastanienbraunen Hexe des Johnny, brauche ihre Zigarren nicht. Nimmst keine mehr von ihr. Reitest hinüber zu Mister Ducie und holst da ein Kistchen. Lasse ihm sagen, soll mir gute schicken. Und, hörst du? magst ihm gleich sagen, hätte ein paar Worte mit ihm und den Nachbarn zu reden. Soll sie mitbringen, die Nachbarn. Und, verstehst du? kehrst sogleich wieder um, mußt um zwei Uhr zu Hause sein. Nimmst den Mustang, den wir vorletzte Woche eingefangen. Will sehen, wie er den Ritt aushält.«

Der Wollkopf horchte auf die zehnerlei Weisungen und Aufträge mit offenem Munde und aufgerissenen Augen, starrte den Herrn verblüfft an und schoß dann der Tür zu.

»Wo willst du hin, Ptoly?« rief ihm der Alkalde nach.

»Zu Massa Ducie.«

»Ohne Paß, Ptoly? – Und was willst du mit Mister Ducie?«

»Er nicht so schlechte Zigarren schicken, er kastanienbraune Hexe sein. – Massa mit Johnny und den Nachbarn reden. Sie mitbringen, Johnny, die Nachbarn.«

»Hab' mir's wohl gedacht«, versetzte, ohne eine Miene zu verziehen, der Richter. – »Warte einen Augenblick, will den Paß schreiben, und ein paar Zeilen an Mister Ducie.«

Und so sagend schrieb er Paß und Note und gab beide dem Neger.

Als dieser gegangen, griff er wieder nach dem Zigarrenkästchen, brannte die erste, die ihm in die Finger kam, an; – auch ich nahm eine, die trefflich rauchte. Es waren vorzügliche Prinzipes.

Wir saßen rauchend, bis das Pferdegetrampel des abgerittenen Negers verhallt; dann blies er wieder ins Muschelhorn.

Ein anderer Neger trat ein.

»Xeni,« – bedeutete er diesem – »du reitest hinüber zu Mister Stones; Abraham Enoch Stones, verstehst du? Lass' ihn ersuchen, morgen früh herüberzukommen, von wegen der Aufnahme der Grenzen an der Pfirsichinsel. Möchte auch die Nachbarn mitbringen. Doch wart, will dir ein paar Zeilen mitgeben, machst sonst Konfusion. – Bis zwei Uhr mußt du zurück sein, verstehst du?« – bedeutete er dem Neger, ihm Paß und Note einhändigend und weiterrauchend.

Dann wandte er sich zu mir:

»Kalkuliere, wollen ein wenig in die Baumwollfelder und Prärie hinaus. – Habt Ihr nicht Lust?« fragte er aufstehend.

»Ich hätte wohl Lust, fühle mich aber so schwach.«

»Wollen Euch stärken«, sprach er, auf den Tisch klopfend.

Eine Negerin trat ein.

»Den Topf, der in dem linken Fache des Schanktischs steht, mit einer Bouteille vom Dachboden und frischen Gläsern.«

Die Negerin brachte das Verlangte, und er holte aus dem Topfe eine Substanz hervor, die ich für Wallnußschalen hielt, bis ich eine versucht. Es waren in Madeira konservierte Bärentatzen, die ersten, die ich gegessen.

Der Mann begann mir allmählich interessant zu werden. Er hatte die Manieren des derben und doch wieder schlauen Mannes, kühl und kalt; dabei eine hinlängliche Dosis texasschen Phlegmas, das bei einer gewissen Lauersamkeit wieder einen durchdringend scharfen Blick, einen eisernen konsequenten Willen verriet.

Wir hatten die Pferde bestiegen und ritten durch die Baumwollfelder. Solange noch eine Baumwollstaude zu sehen, war er Baumwollpflanzer, und nichts als Baumwollpflanzer; Blüte, Messe, Baumwollfelder und Preise, Maschinen und Pressen blieben an der Tagesordnung. Als wir in die Prärie einritten, wurde er wieder ganz Viehzüchter; Stiere, Kälber und Rinder, und wieder Rinder, Kälber und Stiere; auch keine Silbe mehr von Baumwolle; – Bob wurde auch mit keiner Silbe mehr erwähnt. Dieselbe sich stets gleich bleibende Gelassenheit; nur als er auf die Briten zu sprechen kam, wurde er etwas heftiger. Diese haßte er, um mich seines eigenen Ausdruckes zu bedienen, von ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Gemüt und aus allen Kräften – ein eigentümlich charakteristischer, echt amerikanischer Haß.

Gern wäre ich noch eine Stunde länger geritten; allein die Glocke rief uns nach Hause, Ptoly und Xeni waren von ihrer Sendung zurückgekehrt.

Er las, ohne eine Miene zu verziehen, die Antworten, setzte sich ans Pult, schrieb zwei frische Noten und übergab sie abermals den Negern, mit der Weisung, zuvor ihr Mittagsmahl zu nehmen.

Darauf setzten wir uns gleichfalls zu Tische.

Wir aßen sehr gut, aber ganz allein, denn seine Frau und seine Stieftochter waren auf Besuch bei Colonel St. F. Austin in San Felipe und wurden erst in einigen Tagen zurückerwartet. Wir sprachen von politischen Angelegenheiten des Landes. Er schien sehr gut unterrichtet. Vor den Seestädten und ihrer Politik schien er keinen großen Respekt zu hegen, desto größern vor der Zukunft des Westens. Ich konnte meine Verwunderung nicht bergen, wie er, ein Mann, der doch gewiß in den Staaten eine Rolle gespielt haben müßte, sich in die texassche Wildnis verlieren konnte.

»Liebe es, im eigenen, selbst aufgeführten Hause zu wohnen,« versetzte er hingeworfen und mehr zu sich selbst.

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Glaubt Ihr, daß Texas nicht auch tüchtige Leute brauchen, der Schauplatz großer Taten werden wird?«

Das versteckte, sich selbst gezollte Kompliment machte mich lächeln. »Texas, dieses kleine Etwas, dieses fünfte Rad an dem elenden mexikanischen Staatswagen?« entfuhr es mir.

»Glaubt Ihr, daß es immer ein Etwas, das fünfte Rad am elenden mexikanischen Staatswagen bleiben wird?« erwiderte er gelassen, ja artig.

Die gentlemänisch gelassene Antwort auf meine ungentlemänische Bemerkung verwirrte mich einigermaßen. Ich schlug die Augen nieder.

Ohne ein Wort weiter zu sagen, rief er nach Punsch, zog, als die Negerin die Ingredienzien gebracht, diese mit der Bowle näher an sich, drückte bedächtig die Ananasse aus, warf ebenso bedächtig Zucker ein, goß dann Rum nach, und nachdem er die Masse gehörig gemischt und mit Tee verdünnt, schöpfte er in die Gläser ein.

Er hob sein Glas zum Anstoßen, ich das meinige, und wir tranken.

Eine geraume Weile saßen wir, an unsern Gläsern nippend, ohne daß ein Wort gewechselt wurde. Der Punsch war so deliziös!

Endlich brach er das Stillschweigen.

»Sag' Euch, Mister, gäbe zehn meiner besten Rinder, wenn das mit Bob nicht geschehen wäre.«

In Texas wird nämlich alles nach Rindern gerechnet. Sie sind der Stapelartikel, das allgemeine Tauschmittel, die zirkulierende Münze. Der Doktor wird für seine ärztliche Behandlung mit einem Rinde bezahlt, der Schullehrer für seinen Unterricht, der Rechtsanwalt für seine Vertretung vor den Gerichten.

»Glaub' es Euch gern«, versetzte ich; »aber nun ist es einmal geschehen.«

»So gewiß, als Moses ein Hebräer war. – Wie schmeckt Euch dieser Ananaspunsch? – Er verdient gehängt zu werden wie ein toter Hirschbock und doch –«

Das »doch« machte mich wieder stutzen, ließ mich das Glas, das ich an den Lippen hatte, absetzen.

»Läßts sich's wieder nicht tun, auch wenn wir wollten. Hätten viel zu tun, wenn wir alle hängen wollten, die –«

»Viel zu tun, wenn wir alle hängen wollten, die – gemordet?« – fiel ich einigermaßen heftig ein. – »Mein Gott! was muß das für ein gesellschaftlicher –«

»Zustand sein?« ergänzte er ganz ruhig, sich eine Zigarre anbrennend. »Je nun,« fuhr er, nachdem er diese in Rauch gebracht, fort, »gerade so ein gesellschaftlicher Zustand, wie er es in einem Lande sein kann, das, fünfmal größer als der Staat New-York oder vielleicht selbst Virginien, noch kaum fünfunddreißigtausend Seelen zählt – eine Wildnis ist, eine prachtvolle Wildnis zwar, aber doch nur eine Wildnis. Glaubt Ihr denn, es werden Euch die Caroltons, Patersons, Ranselläers oder Livingstons herüberkommen und sich da mit unserm indianischen und mexikanischen Gezücht herumschlagen, und Schlangen und Moskitos, und Tausendfüßern und Skorpionen, und faustgroßen giftigen Spinnen – Eures Louisianasamums zu geschweigen – wenn sie zu Hause alles vollauf haben und nur an der Klingelschnur zu ziehen brauchen, um zehn Hände und Füße in Bewegung zu setzen? Nehmt nur Euren gesunden Menschenverstand zusammen, Mann! Ist ein Land, wie es alle herrenlosen Länder – denn die Herrschaft Mexikos ist so gut wie keine – einst waren, als sie noch mit dem vorlieb nehmen mußten, was eben kam, selbst mit Unrat und Auswurf. Und, sage Euch, sind Unrat und Auswurf für ein solches Land auch vonnöten. Wäre uns hier in Texas nicht einmal gedient mit lauter solchen Leuten wie die Livingstons, Ranselläers, Caroltons oder Euren an Zucht und Ordnung gewöhnten Philadelphia- und New-Jersey-Quäkern – sehr respektablen Leuten ohne Zweifel! Brauchen in diesem unserm Texas, für jetzt wenigstens, nicht so sehr ruhige, ordentliche Leute, als vielmehr unruhige Köpfe, Köpfe, die einen Strick um den Hals, Feuer im Leibe haben – die ihr Leben nicht höher als eine taube Nußschale achten, nicht lange fragen, mit ihrem Stutzen sogleich zur Hand sind.«

»Sollte aber meinen, mit solchen Leuten würdet Ihr nicht weit kommen«, entgegnete ich.

»Nicht weit in den Staaten, wo die bürgerliche Gesellschaft bereits geordnet, aber auf alle Fälle weiter hier, als mit Euren friedlichen, ruhigen Bürgern, kalkuliere ich. Geht Euch in der Prärie wieder ein ganz anderes Licht als in Euren Städten auf; denn sind Eure Städte von Menschenhänden gemacht, von Menschenodem verpestet, die Prärie aber von Gottes Hand geschaffen, seinem reinen Odem belebt. Und klärt dieser reine Odem Euren in den Städtedünsten trübe gewordenen Blick wunderbar auf! Ist eine schöne Sache, dieses Aufklären, wenn so die verdorbenen, verpesteten Dünste schwinden, Ihr der Wahrheit bis auf den Grund schaut.«

Eine geraume Weile saß mein Richter da, ohne ein Wort zu sagen. Auf einmal schaute er auf, blickte mich scharf an.

»Nicht wahr, seid ein Jurist, ein Advokat?«

Die Frage kam mir unerwartet – ich stockte.

»Woraus schließt Ihr das?« versetzte ich endlich.

»Weil Ihr Bob offenbar gehängt sehen wollt. Ist ganz dem Gesetze gemäß, und sehe, daß Ihr ein Mann des Gesetzes seid, obwohl ich, die Wahrheit zu sagen, nicht erwartete, daß er gerade in Euch seinen öffentlichen Ankläger finden würde.«

Er blies, während er so sprach, den Rauch etwas ungeduldig von sich.

Ich schwieg, denn ich fühlte mich in der Tat am wunden Fleck getroffen. Was immer Bobs Vergehen – mir stand gewiß seine Verdammung nicht zu.

»Nehme Euch das aber nicht übel«, fuhr er sehr gelassen fort; »ist Natur das, liegt in unserer Natur. Seid auch gerade aus den Staaten gekommen, wo Menschenleben nicht so hoch im Preise stehen. Ist aber bei uns hier in der Prärie ein anderes. Hat hier das Menschenleben noch einmal soviel Wert als droben in den Staaten, und zwanzigmal soviel als im alten England, wo es beinahe gar keinen Wert mehr hat und sie einen wegen eines gestohlenen Schafes hängen. Könnte bei uns eine ganze Rinderherde stehlen, würde höchstens ausgepeitscht.«

»Ich verstehe Euch wirklich nicht«, entgegnete ich.

»In Euren dichtbewohnten Staaten, ja, da würde freilich eine solche Rotte, losgelassen, entsetzliche Verheerungen anrichten, müßte sie durch und durch verderben; denn ist schon die Atmosphäre des Lasters ansteckend, ja, gerade die Atmosphäre am meisten. Ist aber hier nicht zu besorgen.«

Er legte die Zigarre weg, schob das Glas auf die Seite und sprach in einem sehr ernsten Tone:

»Gott sei Dank! nicht zu besorgen. Schadet hier nicht Missetäter, nicht Mörder durch böses Beispiel – steckt niemand an, denn gibt sich hier keiner mit ihm ab, weicht ihm jeder aus. Sage Euch, ist der Missetäter, der Mörder hier so frei wie Ihr und ich, tritt ihm keiner zunahe, und würde er doch, weiß es aus Erfahrung, diese Freiheit oft gern darum geben, wieder unter seinesgleichen in einem Staatsgefängnis zu sein! denn es ist diese Freiheit für ihn eine gräßliche Freiheit. Gibt nichts Gräßlicheres für den Missetäter, den Mörder, als diese Freiheit in der Prärie. Würde sie, versichere Euch, mit tausend Freuden mit dem Staatsgefängnis vertauschen, denn ist da unter seinesgleichen, nicht geächtet, nicht ausgestoßen; fühlt sich selbst in seiner einsamen Zelle erleichtert, denn weiß, daß er unter einem Dach mit seinesgleichen ist. Ist aber hier nicht unter seinesgleichen, meidet ihn hier jedermann, selbst der Mörder; flieht ihn, der Mörder bleibt immer für sich, treffen nicht einmal gern bei der Rumflasche zusammen. Sind immer in ihrer eigenen Gesellschaft, und muß das ja eine schreckliche Gesellschaft sein, diese eigene Gesellschaft, die da ist das böse Gewissen, das ihn wie in einer Tretmühle herumtreibt, ohne Ruhe, ohne Rast, immer und ewig in ihm herumhämmert; denn merkt wohl, steht da in der reinen, fleckenlosen Gottesschöpfung, in der lichten, hellen Prärie, mit Gottes Finger vor ihm aufgehoben, ihm entgegendrohend aus Himmel und Erde, allen seinen gewaltigen Werken; steht da mit seinem verpesteten Mordgeruch, den ihm der reine Gottesodem immer wieder in die Nase zurückdrängt. Sage Euch, ist ein Missetäter und Mörder bei uns wahrlich nicht um seine Freiheit zu beneiden!«

»Das ist er nicht!« murmelte ich schaudernd, denn Bob trat mir bei den Worten des Richters in seiner ganzen gräßlichen Verzweiflung vor die Augen.

»Ei, sind unsere Prärien für solche Menschen wohl ein so gräßliches Staatsgefängnis, als je von einem Baumeister gebaut wurde – brauchen bis jetzt ja keines zu bauen. Entläuft uns gewiß keiner. Ließ deshalb auch Bob frei ziehen. Würde ihn frei haben ziehen lassen, auch wenn wir ein Gefängnis zur Hand gehabt hätten.«

»Würdet ihn frei haben ziehen lassen?«

»Würde, denn können, dürfen ihn nicht festsetzen.«

»Könntet ihn nicht, dürftet ihn nicht festsetzen? – Warum könnt, dürft Ihr ihn nicht festsetzen? Ihr seid doch Alkalde?«

»Der bin ich, hat aber doch ein Item, und will Euch sagen, was das für ein Item ist. Wären wir bereits unabhängig, frei von Mexiko, würden wir dem Haken bald einen Stil finden, aber sind noch unter Mexiko. Ist unsere Regierung mexikanisch, sind unsere Militärbehörden mexikanisch, unsere Gerichtshöfe aus Mexikanern zusammengesetzt. Und, frage Euch, ließe es sich wohl, ich will nicht sagen, mit amerikanischem Stolze, nein, nur Schamgefühle vereinen, einen unseres Landes, Blutes, ihren Gerichten zu überliefern, unsere Scham so aufzudecken? Denn müßte er, sowie in erster Instanz das Urteil gefällt ist, vor die zweite Instanz, die Distrikt-Court gebracht werden. Sind nun aber die Beisitzer dieses Gerichtshofes, obwohl ich nicht so sagen sollte, da ich selbst einer derselben bin, die erbärmlichsten Wichte, die je in zerrissenen Schuhen staken – gewesene Bediente von Bischöfen, Erzbischöfen, Präsidenten, Generalen, die weder lesen noch schreiben können, sich in der Regel nicht zum besten aufgeführt, dafür hierher in eine Art Gnadenexil gesandt worden, mit der nicht bloß geheimen, sondern ausdrücklichen Weisung, alles in ihren Kräften zu tun, um uns hier das Leben zu verleiden, uns wieder aus dem Lande zu treiben. Riefen uns anfangs herein, um durch uns das Land von den Cumanchees und andern Marodeuren, deren sie nicht Meister werden konnten, zu säubern. Wollen nun, nachdem wir es von den Wilden gesäubert, es wieder von uns säubern, sich in die warmen Nester, die Häuser, die Pflanzungen, die wir errichtet, hineinsetzen. Geht all ihr Dichten und Trachten nur dahin, uns gegeneinander zu hetzen, lassen kein Mittel unversucht, sparen weder Mühe noch Geld, unsere Bürger in ihre Schlingen zu ziehen, selbst Flüchtlinge.«

»Was beabsichtigen sie aber mit diesen?«

»Giftpfeile zu sammeln, für unsere Flanken bestimmt. Sowie einer unserer todeswürdigen Verbrecher vom Alkalden – der ersten Instanz – vor die Schranken der Distrikt-Court gebracht wird, ist er für uns und unsere Interessen nicht nur verloren, er wird notwendig unser Todfeind. Von Gerechtigkeit kann da gar nicht die Rede sein. Und deshalb, seht Ihr, nützt es nichts, gegen Bob zu erkennen, auch wenn er uns nicht so notwendig wäre. Müßten ihn an die Distrikt-Court nach San Antonio abliefern, und ginge da so frei aus, könnte mich eine Stunde nach der Gerichtssitzung, bei hellem lichten Tage, auf offener Straße, kraft seiner mexikanischen Muskete niederschießen.«

»Das ist ja aber entsetzlich!«

»Nicht gar so«, meinte wieder ganz kühl, sein Glas leerend, der Richter. »Ist auch der Teufel nicht so schwarz, als er aussieht, und nichts so schlimm, daß es nicht auch wieder zum Guten gewendet werden könnte. Haben uns die paar Fälle sehr gut getan, haben mehr getan, unsern Bürgern die Augen zu öffnen, sie von der Notwendigkeit eines Bruches mit Mexiko zu überzeugen, als die gründlichsten Räsonnements und Debatten es vermocht haben würden. Sind zu trefflichen Zündstoffen geworden, die aufgehäuften Brennmaterialen in Flammen zu setzen.

»Haben«, fuhr er, das Glas füllend, mit vieler Behaglichkeit fort, »dieser Brennstoffe nun erklecklich viele, so daß wir einen ziemlich tüchtigen Brand anzurichten hoffen können. Frägt sich nur noch, von wem und wann angezündet werden soll. Ist der passende Moment die große Frage. Hängt alles vom passenden Moment bei solchen Dingen ab. Kam mir oft sonderbar vor, muß Euch aufrichtig gestehen, wenn ich so in meinem Bett, meiner Stube, der Prärie oder einer Insel nachdachte, recht sonderbar, Leute wie diese Bobs bei uns herumvagieren zu sehen, wo sie doch so gar nichts finden, keine Spieltische, keine liederliche Gesellschaft, wo jeder schaffen, hart schaffen, mit Entbehrungen aller Art kämpfen muß, ehe er sich ruhig in seinen vier Pfählen niederlassen kann. Kam mir oft recht sonderbar vor, wozu sie wohl da zu uns kämen, wurde mir aber endlich klar, wozu sie herabgekommen sein mögen. Werden ihrem Schöpfer, werden der Welt noch dienen. Haben viel dieses Gesindels, dieses Auswurfes, das die Staaten oben ausgestoßen. Solltet nun glauben, würde das ganze Land vergiften, verpesten; tut es aber nicht. Dient ihr Lasterhauch dazu, die reine Atmosphäre der Tugend in desto lieblicheren Gegensatz zu bringen, der mexikanischen Fäulnis entgegenzuwirken. Soll auch entgegenwirken, und das bald, ehe ein Jahr vergeht! Zählt das ganze Land zwar kaum noch fünfunddreißigtausend Seelen, alles zusammengerechnet, Bürger, Neger und Mexikaner, die nicht viel besser sind als unsere Neger, kaum dreitausend waffenfähige Männer, wollen aber doch mit diesen dreitausend waffenfähigen Männern –«

Ich war müde und schläfrig, aber die letzten Worte elektrisierten mich. Müdigkeit und Schlaf vergessend sprang ich auf.

»Bei meiner Seele, Richter! das war keck und recht und amerikanisch gesprochen. So Ihr losschlagt, ich will nicht fehlen!«

»Kein Versprechen, kein Binden, junger Mann!« versetzte er, gleichfalls aufstehend. »Freies Feld und keine Gunst! ist mein Wahlspruch. Prüfet alles und das Beste behaltet! Ist ein trefflicher Spruch unserer Bibel. Prüfet, und wenn Ihr geprüft, dann wählet. Und wählt Ihr unsere Seite, sollt Ihr willkommen sein, denn sage Euch unverhohlen, haben keinen Überfluß an jungen wissenschaftlich gebildeten Männern, und mag ein solcher wohl Großes bei uns leisten, Großes erringen. Aber prüfet, und wenn Ihr geprüft, wählet.«

»Ich will.«

»Wollen nichts Schlechtes, Mister! Wollen Licht und Gerechtigkeit, wollen den Anhängern der Ungerechtigkeit, der Finsternis, abnehmen, was ihnen überflüssig, da ein Reich der Freiheit, des Friedens, der Aufklärung, des Fortschrittes, der Erkenntnis gründen, das wollen wir, und nun gute Nacht!«

»Gute Nacht!« – sprach ich, dem seltsamen Manne nachschauend.

Schlafen ließ es mich jedoch, trotz Müdig- und Schläfrigkeit, noch lange nicht ...

Pferdegetrampel weckte mich am folgenden Morgen. Es war Bob, der angekommen, soeben abstieg. Aber welches Absteigen! Die Glieder schienen ihm den Dienst zu versagen, auseinanderstreben, reißen zu wollen, so verrenkt, schwankend, taumelnd waren seine Bewegungen. Anfangs glaubte ich, er sei betrunken, aber er war es nicht. Es war die Todesmüdigkeit des unter der Seelenqual erliegenden Körpers, er war zu schauen, als ob er von der Folter käme. Die vierundzwanzig Stunden mußten ihm gräßlich mitgespielt haben.

Schaudernd warf ich mich in die Kleider, sprang die Treppe hinab und öffnete die Haustür.

Den Kopf auf dem Nacken seines Mustangs ruhend, die Hände darüber gekreuzt, stand er, wechselweise zusammenschaudernd und wieder aus tiefster Brust herauf stöhnend.

»Bob, seid Ihr es?«

Keine Antwort.

»Bob, wollt Ihr nicht ins Haus?« sprach ich, bemüht, eine seiner Hände zu erfassen.

Er schaute auf, stierte mich an, schien mich aber nicht zu erkennen.

Ich zog ihn vom Mustang weg, band diesen an einen der Pfosten und führte ihn dann ins Haus. Er ließ mit sich geschehen, folgte willen-, beinahe kraftlos. Wie ich ihm einen Sessel stellte, fiel er in diesen hinein, daß der Sessel zusammenkrachte, das ganze Haus erschütterte. Aber kein Wort war aus ihm herauszubringen. Eben wollte ich mich in meine Schlafkammer zurückziehen, um meine Toilette soviel als möglich zu ordnen, als sich aber- und abermals Pferdegetrampel hören ließ. Es waren zwei Reiter, denen in einiger Entfernung mehrere folgten, alle in Jagdblusen, hirschledernen Beinkleidern und Wämsern, mit Büchsen und Bowiemessern bewaffnet, feste, trotzige Gesellen, offenbar aus den südwestlichen Staaten, mit dem echten Kentucky-, halb Roß-, halb Alligatorprofil, auch der gehörigen Beigabe von Donner, Blitz und Erdbeben. Ein Dreitausend solcher Männer konnten es freilich mit einer Armee Mexikaner aufnehmen, wenn alle den Spindelbeinen gleichen, die ich gesehen, denn jede Hand dieser Kolosse wog füglich einen ganzen Mexikaner auf. Übrigens eine sehr behagliche Empfindung, als ich sie mit echt kentuckyschem Gleichmut absteigen, ihrer Pferde Zügel dem Neger in die Hände werfen und dann in das Haus eintreten sah, ganz wie Leute, die, überall zu Hause, sich auch in Texas als die Herren zeigten, mehr so zeigten, als die Mexikaner selbst. – Das waren allerdings die Männer, die Texas zur Unabhängigkeit erheben konnten! Beim Eintritt in das Zimmer nickten sie mir zwar einen guten, aber etwas kalten Morgen zu, ihre Falkenaugen hatten mit mir zugleich Bob erschaut, ein Zusammentreffen, das ihnen aufzufallen schien, obwohl sie dies unter der Maske gleichgültigen Nichtbeachtens verbargen; doch warfen sie mehrere Male, ohne sich übrigens in ihrer Unterhaltung stören zu lassen, sehr scharfe Blicke auf mich. Diese Unterhaltung bezog sich auf Rinder- und Baumwollpreise, auf die Verhandlungen des Kohahuila- und Texas- und wieder Generalkongresses. Nach und nach kamen ihrer mehrere, so daß ihre Anzahl auf vierzehn stieg, alle entschieden auftretende Gesellen, bis auf zwei, die mir weniger gefielen. Auch den übrigen schienen sie nicht sehr zu gefallen, denn keiner reichte ihnen die Hand, und kaum daß sie ihrem good morning ein stummes Nicken entgegengaben. Sie allein traten auf Bob zu, es versuchend, ihn zum Reden zu bringen, allein vergebens.

Der Richter war mittlerweile, nach dem Geräusch im anstoßenden Kabinett zu schließen, aufgestanden und mit seiner Toilette beschäftigt, die ihm aber nur wenig Zeit nehmen mochte, denn kaum waren drei Minuten seit dem Krachen des Bettes verflossen, als auch bereits die Tür aufging und er eintrat.

Zwölf von den Männern traten ihm freundlich, ja herzlich entgegen, die zwei blieben im Hintergrunde – auch schüttelte er nur den ersteren die Hand.

Als er den zwölfen die Hand geschüttelt, den zweien kalt zugenickt, trat er zu mir, nahm mich bei der Hand und stellte mich seinen Gästen vor. Erst jetzt erfuhr ich, daß ich vor keinen geringeren Personagen als den Beisitzern des Ayuntamiento von San Felipe de Austin stand, daß zwei meiner derben Landsleute Korregidoren, einer Prokurator, die übrigen aber buenos hombres – das heißt soviel als Freisassen – Mannen waren, Ehrenbenennungen, die sie übrigens nicht sehr hoch anzuschlagen schienen, denn sie begrüßten und nannten sich bloß bei ihren Familiennamen.

Jetzt brachte der Neger ein Licht, rückte die Zigarrenkistchen, die Armsessel zurecht, der Richter deutete auf den Schenktisch, die Zigarren, und dann ließ er sich nieder.

Einige nahmen einen Schluck, andere Zigarren. Über dem Einschenken, Trinken, dem Anbrennen, Inrauchversetzen verging eine geraume Weile.

Bob krümmte sich währenddessen wie ein Wurm.

Jetzt endlich, dachte ich, würde er ans Geschäft gehen, aber ich schoß fehl.

»Mister!« – redete er mich an – »seid so gut, helft Euch.«

Ich schenkte ein, er winkte mir anzustoßen. Ich trat zu ihm, stieß mit ihm, allen übrigen bis auf die zwei, an.

Noch mußte ich eine Zigarre nehmen, sie anbrennen, und erst als dies in Ordnung, nickte er zufrieden, die Arme auf die beiden Lehnen des Sessels stützend.

Es war etwas pedantisch Langweiliges, aber auch patriarchalisch Würdevolles und wieder Berechnetes in dieser langsamen Prozedur.

Nachdem denn endlich alle getrunken, alle ihre Zigarren angeraucht, sprach der Richter, die Zigarre absetzend und sein Glas ergreifend: »Männer!«

»Squire!« sprachen die Männer.

»Haben ein Geschäft vor uns, ein Geschäft, das, kalkuliere ich, besser der expliziert, den es betrifft.«

Die Männer schauten den Squire, dann Bob, dann mich an.

»Bob Rock! oder was sonst Euer Name, so Ihr etwas zu sagen habt, so sagt es!« sprach der Alkalde.

»Hab's Euch ja schon gestern gesagt!« brummte Bob, den Kopf noch immer zwischen den Händen, die Ellbogen auf den Knien.

»Ja, aber müßt es heute wieder sagen. War gestern Sonntag, und ist der Sonntag, wißt Ihr, der Tag der Ruhe, der Feier und nicht der Geschäfte. Sehe das, was Ihr an einem Sonntage sagt, als nicht gesagt an. Will Euch nicht nach Eurem gestrigen Sagen richten oder richten lassen. Habt es denn auch bloß unter vier Augen gesagt, denn diesen Mister hier rechne ich nicht, betrachte ihn noch als Fremdling.«

»Aber wozu denn das ewige Geschwätz, wenn die Sache klar!« knurrte Bob, den Kopf mürrisch erhebend.

Wie jetzt die Männer auf- und ihn anschauten, legte sich ein düsterer, finsterer Ernst um ihre eisernen Gesichter. Er war wirklich schauderhaft zu schauen, das Gesicht schwarzblau, die Wangen hohl, der gräßliche Bart, die blutunterlaufenen Augen, tief in den Höhlen rollend! Es war nichts Menschliches mehr in diesen Zügen.

»Wie Mississippiwasser«, versetzte bedächtig der Richter. »Klar wie Mississippiwasser, wenn es vierundzwanzig Stunden gestanden. Sag' Euch, will weder Euch noch irgend jemand auf sein Wort verdammen, um so weniger Euch, als Ihr in meinem Hause, zwar nicht in meinem Hause, aber doch in meinem Dienst gestanden, von meinem Brot gegessen. Will Euch nicht verdammen, Mann!«

Bob holte tief Atem.

»Habt Euch gestern selbst angeklagt; hat aber Eure Selbstanklage einen Haken: Ihr habt das Fieber.«

»Hilft alles nichts«, stöhnte wie gerührt Bob. »Hilft alles nichts. Sehe, meint es gut. Aber, obwohl Ihr mich retten könnt von Menschenhänden, könnt Ihr mich doch nicht retten vor mir selbst. Hilft nichts, muß gehängt sein, an demselben Patriarchen gehängt sein, unter dem er liegt, den ich kaltgemacht.«

Abermals schauten die Männer auf, sprachen aber kein Wort.

»Hilft alles nichts«, fuhr Bob fort. »Ja, wenn er mir gedroht, wenn er Streit angefangen, mir nur verweigert hätte, tat das aber nicht. Sagte, gellt mir noch in den Ohren, höre ihn noch, wie er sagt: tut das nicht, zwingt mich nicht, etwas zu tun, was Ihr, was ich bereuen könnte. Tut das nicht Mann! Habe Weib und Kind, und bringt keinen Segen, was Ihr vorhabt. Hörte aber nicht« – stöhnte er aus tiefster Brust herauf – »hörte nichts als die Stimme des Teufels, warf die Büchse vor – schlug an – drückte ab!«

Sein entsetzliches Stöhnen, das wie das unterdrückte Gebrüll eines Rindes tönte, schien selbst die eisernen zwölf zu erschüttern. Sie betrachteten ihn mit scharfen, aber wie verstohlenen Blicken.

»So habt Ihr einen Mann totgemacht?« fragte endlich eine tiefe Baßstimme.

»Ei, so hab' ich!« schnappte Bob heraus.

Und wie ihm die Worte entschnappten, schaute er den Fragenden stier an, der Mund blieb ihm weit offen.

»Und wie kam das?« fragte der Mann weiter.

»Wie es kam? wie es kam? Müßt den Teufel fragen, oder auch Johnny. Nein, nicht Johnny, kann es Euch doch nicht sagen, der Johnny. War nicht dabei der Johnny. Kann nur ich es sagen, und doch, kann es kaum sagen, weiß selbst nicht, wie es kam. Traf den Mann bei Johnny, weckte Johnny den Bösen in mir, zeigte mir seine Geldkatze.«

»Johnny?« fragten mehrere.

»Ei, Johnny! Kalkulierte auf seine Geldkatze, war aber zu pfiffig, zu gescheit für ihn, und als er mir meine Federn, meine zwanzig-fünfzig, ausgerupft –«

»Zwanzig Dollars, fünfzig Cents,« erklärte der Richter, »die er von mir für erlegtes Wild und eingefangene Mustangs erhalten.«

Die Männer nickten.

»Und machtet den Mann, weil er nicht spielen wollte, kalt?« fragte wieder die Baßstimme.

»Nein, erst einige Stunden darauf am Jacinto, unweit des Patriarchen. Begegnete ihm unterhalb und machte ihn kalt da.«

»Dachte mir wohl, daß da etwas Apartes sein müsse«, nahm ein anderer das Wort; »denn war euch doch eine ganze Nation von Aasvögeln und Geiern und Turkeybussards und derlei Gezücht auf und ab, als wir vorüberritten. Nicht wahr, Mister Heart?«

Mister Heart nickte.

»Traf ihn nicht weit vom Patriarchen und forderte halbpart von seinem Gelde«, hob wieder instinktartig Bob an. »Wollte mir etwas geben,« fuhr er fort, »einen Quid zu kaufen, und mehr als das, aber nicht halbpart. Sagte, habe Weib und Kind.«

»Und Ihr?« fragte wieder der mit der Baßstimme, die aber jetzt hohl klang.

»Schoß ihn nieder!« versetzte mit einem heisern, entsetzlichen Lachen Bob.

Eine Weile saßen alle mit zu Boden gerichteten Blicken. Dann fuhr der mit der Baßstimme in dem Verhör fort:

»Und wer war der Mann?«

»Ei, wer war er? Fragte ihn nicht, wer er war, stand ihm auch nicht auf der Stirn geschrieben. War ein Bürger, ob aber ein Hoshier, oder Buckeye, oder Mudhead, ist mehr, als ich sagen kann.«

»Die Sache muß denn doch untersucht werden, Alkalde«, nahm nach einer langen Pause ein anderer das Wort.

»Das muß sie«, versetzte der Alkalde.

»Wozu da erst lange untersuchen?« brummte unwillig Bob.

»Wozu?« entgegnete der Richter. »Weil wir das uns, dem Kaltgemachten und Euch schuldig sind, Euch nicht verurteilen können, ohne das corpus delicti gesehen zu haben.«

»Ist auch ein anderes Item,« fuhr er, zu den Männern gewandt, fort, »auf das ich euch aufmerksam machen muß. Ist der Mann halb und halb außer sich, nicht compos mentis, wie wir sagen. Hat das Fieber – hatte es – als er die Tat beging, war ferner da von Johnny aufgereizt – in desperater Stimmung über seinen Verlust; aber trotz dieser gereizten Stimmung hat er dem fremden Gentleman, den ihr da bei uns seht – das Leben gerettet.«

»Hat er das?« fragte der mit der tiefen Baßstimme.

»In jeder Beziehung«, versetzte ich; »nicht nur dadurch, daß er mich aus dem tiefen Flusse zog, in dem ich, sterbend von meinem Mustang geworfen, sicher ertrunken wäre, sondern auch durch die sorgfältigste Pflege, die er dem sogenannten Johnny und seiner Mulattin zu meinen Gunsten abdrang. Ohne ihn wäre ich nicht mehr am Leben, das kann ich beschwören.«

Bob warf mir jetzt einen Blick zu, der mir durch die Nerven drang. Es war so erschütternd, Tränen in diesen Augen zu treffen!

Die Männer hörten in tiefem Schweigen.

»Es scheint, daß Ihr durch Johnny aufgereizt worden, Bob!« nahm wieder der mit der Baßstimme das Wort.

»Sagte das nicht. – Sagte nur, daß er auf die Geldkatze hinblinzelte, mir sagte: –«

»Was sagte er?«

»Was geht euch aber das, was Johnny gesagt, an?« – knurrte wieder verdrießlich Bob. – »Geht euch nichts an, kalkuliere ich.«

»Geht uns aber an«, versetzte einer der Männer, »geht uns an.«

»Wohl, wenn es euch angeht, mögt ihr es ebensowohl wissen«, brummte wieder Bob. »Sagte, wie ich so wild aus dem Hause stürze – sagt er: seid Ihr denn gar so Hühnerherz geworden, Bob, sagt er, daß Ihr da Fersengeld gebt, wenn nicht zehn Schritte von Euch eine so vollgespickte Katze für wenig mehr denn ein Lot Blei zu haben?«.

»Hat er das gesagt?« fragte wieder die Baßstimme.

»Fragt ihn selbst.«

»Wir fragen aber Euch.«

»Je nun, er hat es gesagt.«

»Hat er es gewiß gesagt?«

»Sag' euch schon, wozu das ewige Schwätzen? Hat's gesagt, aber müßt ihn fragen. Will weder seinem, noch irgendeines andern Gewissen auf die Hühneraugen treten, sind mir die meinigen dick genug, bürg' euch dafür. Will nur die meinigen ausgeschnitten haben, und müssen ausgeschnitten sein. Wollt ihr sie ihm ausschneiden, müßt ihr euch an ihn wenden. Kalkuliere, will bloß für mich reden, für mich gehängt sein.«

»Alles recht, alles recht, Bob!« nahm wieder der Alkalde das Wort. »Aber wir können Euch doch nicht hängen, ohne uns zuvor zu überzeugen, daß Ihr es auch verdient. Was sagt Ihr da, Mister Wythe? seid Prokurator, und Ihr, Mister Heart und Stone? Helft euch zu Rum oder Brandy, und Mister Bringht und Irwin, eine frische Zigarre. Sind konsiderabel tolerabel, die Zigarren. Sind sie's nicht? Wohl, Mister Wythe, das in der Diamantflasche ist Brandy, was sagt Ihr dazu?«

Mister Wythe, der Prokurator, hatte sich erhoben, wie ich glaubte, sein Urteil abzugeben, aber an dem war es noch nicht. Er trat zum Schenktische, stellte sich gemächlich vor diesen hin, und die Diamantflasche mit der einen Hand ergreifend, mit der andern das Glas, sprach er: »Je nun, Squire, oder vielmehr Alkalde!«

Nach dem »Alkalde« schenkte er das Glas halb mit Rum voll.

»Wenn's so ist«, meinte er weiter, einen Viertelzoll Wasser hinzugießend.

»Und«, fuhr er fort, einige Brocken Zucker nachsendend, »Bob den Mann kaltgemacht hat –«

»Meuchlings kalt gemacht hat,« setzte er hinzu, den Zucker mit dem hölzernen Stempel zerstoßend und umrührend: »so kalkuliere ich,« argumentierte er, das Glas hebend: »daß Bob, wenn's ihm so recht ist, gehängt werden sollte« – schloß er, das Glas zum Munde bringend und leerend.

Bob schien eine schwere Last von der Brust genommen. Er holte tief und erleichtert Atem. Die übrigen nickten stumm.

»Wohl!« sprach, aber nicht ohne Kopfschütteln, der Richter. »Wenn ihr so meint, und Bob einverstanden ist, so kalkuliere ich, müssen wir ihm schon seinen Willen tun. Freilich sollte eigentlich das Ganze noch vor die Distrikt-Court nach San Antonio hinüber; aber da er einer der Unsrigen ist, müssen wir schon ein Auge zudrücken, ihm Gnade für Recht widerfahren lassen, den Gefallen tun. Sag' euch aber, tue es nicht gerne. Tue es zwar, aber muß auf alle Fälle der kaltgemachte Mann noch zuvor untersucht, auch Johnny verhört werden. Sind das uns, sind es Bob als unserm Mitbürger schuldig.«

»Auf alle Fälle!« bekräftigten die sämtlichen zwölf.

»Was hat aber der Johnny dabei zu tun?« fiel mürrisch Bob ein. »Hab' euch schon ein dutzendmal gesagt, war nicht dabei, und geht ihn nichts an.«

»Geht ihn aber doch an«, entgegnete der Richter. »Geht ihn an, Mann. War zwar nicht dabei, aber sandte Euch dafür, zwar nicht mit ausdrücklichen Worten, aber mit einem geheimen Sporne. Wäre Johnny nicht gewesen, hättet Ihr weder Mann, noch Geldkatze gesehen pro primo; pro secundo hättet Ihr Eure Zwanzig-fünfzig nicht verspielt, und pro tertio wäre Euch nicht die Notion ins Gehirn gekommen, Euch durch seine gespickte Katze – entgegen einem Lot Blei – zu entschädigen.«

»Ist ein Fakt das!« bekräftigten alle.

»Seid ein greulicher Mörder, Bob! und ein konsiderabler dazu,« nahm wieder der Richter das Wort, »aber sage Euch doch, und gilt mir gleich, wer's hört, sag' es Euch ins Gesicht, will Euch nicht schmeicheln, aber seid mir doch lieber in Eurer Nagelspitze, als der Johnny mit Haut und Haaren. Und tut mir leid um Euch, denn weiß, seid im Grunde kein Bösewicht, seid aber durch böses Beispiel, böse Gesellschaft verführt worden. Könntet aber, kalkuliere ich, noch zurecht gebracht, noch zu manchem gebraucht werden, vielleicht besser gebraucht werden, als Ihr meint. Ist Eure Büchse eine kapitale Büchse.«

Die letzteren Worte machten alle aufschauen. Bob scharf und fragend fixierend, hielten sie in gespannter Erwartung.

»Könntet,« fuhr der Richter ermutigend fort, »vielleicht der Welt, Euren beleidigten Mitbürgern, dem verletzten Gesetze noch bessere Dienste leisten, als durch Euer Gehängtwerden da. Seid immer noch ein Dutzend Mexikaner wert.«

Bob war während der Rede des Richters der Kopf auf die Brust gefallen. Jetzt hob er ihn, zugleich tiefen Atem holend.

»Verstehe, Squire! Weiß, worauf Ihr zielt. Kann aber nicht, darf nicht; kann nicht so lange warten, mag nicht. Ist mir das Leben zur Last, quält mich, foltert mich gar grausam. Läßt mir keine Ruhe bei Tag und Nacht, wo ich gehe, stehe.«

»Wohl, so legt Euch!« meinte der Richter.

»Steht auch da vor mir, treibt mich zurück unter den Patriarchen.«

Hier schauten mehrere den Sprecher an, dann fielen ihre Blicke wieder zu Boden. Eine Weile saßen sie so in tiefer Stille, endlich hoben sie die Köpfe, schauten einander forschend an, und der Richter nahm abermals das Wort: »Es bleibt also dabei, Bob. Wollen heute zum Patriarchen, und morgen kommt Ihr. Seid Ihr's so zufrieden?«

»Um welche Zeit?«

»Um die zehn Uhr herum.«

»Könnte es nicht früher sein?« murmelte, ungeduldig den Kopf schüttelnd, Bob.

»Warum früher? Seid Ihr denn gar so lüstern nach der Hanfbraut?« meinte Mister Heart.

»Was hilft das Schwätzen und Unterhandeln?« brummte mürrisch Bob. »Sag' es euch ja, läßt mich nicht ruhen. Muß aus der Welt, treibt mich daraus; darum: je eher, desto besser. Bin satt des Lebens, und wenn ich erst um zehn Uhr komme und ihr da noch ein paar Stunden oder mehr euer Getue habt, und wir dann wieder eine Stunde oder zwei zum Patriarchen reiten, kommt das Fieber.«

»Aber wir können doch wegen Eures Fiebers da nicht wie die wilden Gänse zusammen- und auseinanderschießen«, rief ungeduldig der Prokurator. »Habt doch nur ein Einsehen, Mann!«

»Freilich, freilich!« meinte wieder beinahe demütig Bob.

»Ist aber ein schlimmer Gast, das Fieber, Mister Wythe!« bemerkte Mister Trace, ein frisches Glas nehmend. »Und kalkuliere«, fuhr er fort, es leerend, »sollten ihm den Gefallen tun.«

»Wohl, Squire, was meint Ihr dazu?« fragte der Prokurator. »Meint Ihr, daß wir ihm zu Willen sein sollen?«

»Kalkuliere, ist wirklich ein wenig gar zu unbescheiden, zudringlich da in seinen Forderungen, der Bob«, meinte, sehr verdrießlich den Kopf schüttelnd, der Richter.

Alle schwiegen.

»Aber wenn Ihr dafür haltet und es zufrieden seid«, fuhr er, zu dem Ayuntamiento gewendet, fort, »und weil es Bob ist, weil Ihr es seid, Bob!« wandte er sich an diesen, »so kalkuliere ich, müssen wir Euch wohl schon zu Willen sein.«

»Dank' Euch!« sprach sichtlich erleichtert Bob.

»Nichts zu danken!« brummte, während Bob der Tür zuging, mürrisch der Richter. »Nichts zu danken! Aber jetzt geht in die Küche, versteht Ihr? und laßt Euch da ein tüchtiges Stück Roastbeef mit Zubehör geben, versteht Ihr?«

Auf den Tisch klopfend hielt er inne.

»Ein tüchtiges Stück Roastbeef und Zubehör dem Bob,« befahl er der eintretenden Diana, »und das sogleich, und Ihr seht darauf, daß er es verzehrt. Und zieht Euch anders an, Bob, versteht Ihr? wie ein Bürger, nicht wie eine wilde Rothaut, versteht Ihr?«

Er winkte der Negerin, abzutreten, und fuhr dann, zu Bob gewendet, fort: »Keine Einrede, Bob! den Rum wollen wir Euch senden, sollt essen und trinken, Mann! wie ein vernünftiges Geschöpf, Eurem Geschick als Mann, und nicht als ein hirnverbrannter Narr entgegentreten. Brauchen da keine Sprünge, keine Hungerkuren, die Euch noch verrückter machen. Sage Euch, tun keinen Schritt, so Ihr nicht vernünftig eßt und trinkt von den Gaben Eures Gottes, die er für Hohe und Niedrige, für Böse und Gute wachsen läßt, so Ihr Euch nicht wie ein vernunftbegabtes Wesen betragt und kleidet.«

»Dank' Euch!« sprach demütig Bob.

»Nichts zu danken, sagt' Euch's schon!« grollte der Richter.

Bob ging, die Männer blieben sitzen, so ruhig wie immer; einer oder der andere stand wohl auf, sein Glas zu füllen oder eine Zigarre zu nehmen, aber ein Eintretender würde schwerlich erraten haben, daß hier ein Ayuntamiento auf Leben und Tod saß. Zuweilen ließ sich ein Gebrumme hören, aus dem zu entnehmen war, daß sie mit Bobs eilfertiger Zudringlichkeit noch immer nicht einverstanden waren, besonders der Alkalde; allmählich jedoch schien auch er nachzugeben. Es dauerte jedoch noch eine geraume Weile, wohl eine Stunde, ehe sie alle ihre Notionen vorgebracht, entwickelt und wieder entwickelt hatten, alles in dem allerruhigsten, phlegmatischsten Tone. Kein Wort, keine Silbe war zu hören lauter als der gewöhnliche Konversationston. Man hätte schwören sollen, irgendeine Kirchstuhl- oder Predigersmietung werde verhandelt; selbst Johnny, der nach aller einstimmigem Urteile ein sehr gefährliches Subjekt sein mußte, war nicht imstande, sie aus der Fassung zu bringen. Sie wurden so ruhig einig, ihn zu lynchen, als ob die Rede vom Einfangen eines Mustangs gewesen wäre. Als sie diesen Beschluß endlich gefaßt, erhoben sie sich, traten alle nochmals zum Schenktisch, tranken auf des Richters und meine Gesundheit, schüttelten uns die Hände und verließen Zimmer und Haus.

Mir war während dieser grenzenlos zähen Verhandlung so unwohl geworden, daß ich mich nur mit Mühe auf den Füßen zu erhalten vermochte. Das hausbacken Derbe, Gefühllose und wieder Gefühlvolle dieser Menschen widerstand meinen Nerven. Mir schmeckte weder Frühstück, Mittag- noch Abendessen. Aber auch der Richter war sehr übelgelaunt, obwohl der Grund seiner üblen Laune ein ganz anderer war. Sein Verdruß war wieder, daß das Ayuntamiento auf seine Notion, Bob dem Gemeinbesten, wie er es nannte, zu erhalten, nicht eingegangen, daß ihm das Gehängtwerden gar so leicht gemacht worden, der doch seinem Lande, der bürgerlichen Gesellschaft noch recht gute Dienste hätte leisten mögen. Daß Johnny, der elende, niederträchtige, feigverräterische Johnny aus der Welt geschafft würde, war vollkommen recht, aber daß Bob es gleichfalls würde, erschien ihm stupid, stolid, absurd. Es war vergeblich, ihn an die Versündigung an der bürgerlichen Gesellschaft, dem Gesetze Gottes, der Menschen, an den Finger Gottes, das rächende Gewissen zu erinnern. Bob hatte sich an der bürgerlichen Gesellschaft, an seinem Schöpfer versündigt – diesen stand es zu, Genugtuung zu fordern, sie zu bestimmen, nicht aber ihm; sich da feige aus der Welt, an der er sich versündigt, herauszuschleichen, damit sei weder Gott noch den Menschen gedient. Unter den vierzehn Männern seien auch zwei gewesen, die wegen Mordes aus den Staaten geflüchtet, aber sie trügen ihre Schuld und Last als Männer, willens, sie als Männer zu büßen, an den Mexikanern gut zu machen.

Wir gerieten beinahe hart aneinander, sprachen auch den ganzen Tag nur wenig mehr und trennten uns am Abend frühzeitig.

Wir saßen am folgenden Morgen beim Frühstück, als ein ziemlich gut in Schwarz gekleideter Mann angeritten kam, abstieg und vom Richter als Bob angeredet wurde. Es war wirklich Bob, obwohl kaum mehr zu erkennen. Statt des häßlich blutigen Sacktuches, das ihm zuletzt in Fetzen um den Kopf gehangen, hatte er einen Hut auf, statt des Lederwamses anständige schwarze Tuchkleider. Der Bart war gleichfalls verschwunden. Der Mann stellte einen Gentleman vor. Mit der Kleidung war auch ein anderer Mensch angezogen. Er schien ruhig, gefaßt, sein Wesen resigniert, ja mild. Mit einer gewissen Wehmut im Blicke streckte er dem Richter die Hand dar, die dieser auch herzlich ergriff und in der seinigen hielt.

»Ah, Bob!« sprach er, »ah, Bob! Wenn Ihr Euch doch hättet sagen lassen, was Euch so oft gesagt worden! Ließ Euch da die Kleider eigens von New-Orleans bringen, um wenigstens an Sonntagen einen respektabel und dezent aussehenden Mann aus Euch zu machen. Wie oft habe ich nicht mit Euch gegrollt, sie anzuziehen und mit uns zum Meeting zu gehen, wenn Mister Bliß drüben predigte! War das nicht ohne Ursache, Mann! daß ich Euch Kleider machen ließ. Hat das Sprichwort: Macht das Kleid den Mann, viel Wahres, zieht der Mensch mit dem neuen Kleide wirklich auch etwas wie neue Gesinnungen an. Hättet Ihr diese neuen Gesinnungen nur zweiundfünfzigmal im Jahre angezogen – ei, hätten einen heilsamen Bruch zwischen Johnny und Euch hervorgebracht. War meine Absicht eine gute.«

Bob gab keine Antwort.

»Brachte Euch just dreimal in sie, und in die Meetings; ah, Bob.«

Bob nickte stumm.

»Wohl, wohl! Bob! Haben alles getan, Euch zu einem Menschen, wie er sein soll, zu bekehren, alles was in unsern Kräften stand.«

»Das habt Ihr«, sprach erschüttert Bob; »Gott dank' es Euch!«

Jetzt bekam ich Respekt vor dem Richter. Ich drückte ihm die Hand. Eine Träne trat ihm ins Auge, die er aber, auf das Frühstück deutend, unterdrückte.

Bob dankte demütig, versichernd, daß er nüchtern zu bleiben wünsche, nüchtern vor seinen beleidigten Schöpfer und Richter zu treten wünsche.

»Unserm beleidigten Schöpfer und Richter«, versetzte der Alkalde ernst, »werden wir nicht dadurch gefällig, daß wir seine Gaben, die er für uns, seine Kreaturen, geschaffen, zurückweisen, sondern, daß wir sie vernünftig genießen. Eßt, Mann! trinkt Mann! und folgt einmal in Eurem Leben Leuten, die es besser mit Euch meinen, als Ihr selbst!«

Jetzt setzte sich Bob.

Wir waren gerade mit unserm Frühstück fertig, als die erste Abteilung der Männer ankam, abstieg und eintrat. Auf ihren Gesichtern war nichts als das unerschütterliche texassche Phlegma zu lesen. Sie begrüßten den Richter, mich und Bob gleichmütig, ohne eine Miene zu verändern, setzten sich, als frische Schüsseln und Teller aufgetragen waren, an dem Tisch nieder, langten zu und aßen und tranken mit einem Appetit, den sie wenigstens vierundzwanzig Stunden geschärft zu haben schienen.

Während sie aßen, kamen die übrigen. Dieselben Grüße, dieselbe stumme Bewillkommnung und Einladung, derselbe Appetit. Während des halbstündigen Mahles wurden, ich bin ganz gewiß, nicht hundert Worte von allen zusammen gesprochen, und diese waren die gewöhnlichen: Ach bitte, gebt mir ... nehmt Euch ... usw.

Endlich waren alle gesättigt, und der Alkalde befahl den Negern, die Tafel zu räumen und dann das Zimmer zu verlassen.

Als die Neger beides getan, nahm der Alkalde am obern Ende des Tisches Platz, zu beiden Seiten das Ayuntamiento, vor diesem Bob. Ich hatte mich natürlich zurückgezogen, so die zwei Männer, die sich Mordes halber aus den Staaten geflüchtet.

Allmählich nahmen auch die Gesichter einen Ausdruck an, der, weniger phlegmatisch, dem Ernste der Stunde entsprach.

»Mister Wythe!« hob der Richter an, »habt Ihr, als Prokurator, etwas vorzubringen?«

»Ja, Alkalde!« versetzte der Prokurator. »Habe vorzubringen, daß, kraft meines Auftrags und Amtes, ich mich an den von Bob Rock – wie er genannt wird – angedeuteten Ort begeben, da einen getöteten Mann gefunden, und zwar durch eine Schußwunde getöteten, ihm beigebracht durch die Rifle Bob Rocks, oder wie er sonst heißt. Ferner einen Geldgürtel und mehrere Briefe und Empfehlungsschreiben an verschiedene Pflanzer.«

»Habt Ihr ausgefunden, wer er ist?«

»Haben es«, versetzte der Prokurator. »Haben aus den verschiedenen Briefen und Schreiben ersehen, daß der Mann ein Bürger, aus Illinois gekommen, nach San Felipe de Austin gewollt, um vom Oberst Austin Land zu kaufen und sich anzusiedeln.«

So sagend, holte der Prokurator aus dem Sattelfelleisen, das ihm zur Seite lag, einen schweren Geldgürtel heraus, den er mit den Briefschaften auf den Tisch legte. Die Briefe waren offen, der Gürtel versiegelt.

Der Richter öffnete den Gürtel, zählte das Geld, das etwas über fünfhundert Dollars in Gold und Silber betrug, dann die kleinere Summe, die sich im Beutel, den Bob zu sich genommen, befand. Dann las der Prokurator die Briefe und Schreiben.

Darauf berichtete einer der Corregidoren betreffend Johnny, daß er sowohl als seine Mulattin entwichen wären. Er, der Corregidor, habe mit seiner Abteilung ihre Spur verfolgt; da diese sich jedoch geteilt, so hätten sich auch die Männer geteilt, aber, obgleich sie fünfzig, ja siebzig Meilen nachgeritten, hätten sie doch nichts von ihnen entdecken können.

Der Richter hörte den Bericht sehr unzufrieden an.

»Bob Rock!« rief er dann, »tretet vor!«

Bob trat vor.

»Bob Rock! oder wie Ihr sonst heißen möget, erkennet Ihr Euch schuldig, den Mann, an dem diese Briefschaften und Gelder gefunden worden, durch einen Schuß getötet zu haben?«

»Schuldig!« murmelte Bob.

»Gentlemen von der Jury!« sprach wieder der Richter, »wollet ihr abtreten, euer Verdikt zu geben?«

Die Zwölf erhoben sich und verließen das Zimmer, bloß der Richter, ich, Bob und die zwei Flüchtlinge blieben zurück. Nach etwa zehn Minuten trat die Jury mit unbedeckten Häuptern ein. Der Richter nahm seine Kappe gleichfalls ab.

»Schuldig!« sprach der Vordermann.

»Bob!« redete diesen nun der Richter mit erhobener Stimme an, »Bob Rock, oder wie Ihr heißen möget! Eure Mitbürger und Pairs haben Euch für schuldig erkannt, und ich spreche das Urteil aus, daß Ihr beim Halse aufgehängt werdet, bis Ihr tot seid. Gott sei Eurer Seele gnädig!«

»Amen!« sprachen alle.

»Dank' euch!« murmelte Bob.

»Wollen noch die Verlassenschaft des Gemordeten gehörig versiegeln, ehe wir unsere traurige Pflicht erfüllen!« sprach der Richter.

Er rief die Negerin, der er Licht zu bringen befahl, versiegelte zuerst selbst Gürtel und Papiere, dann der Prokurator, zuletzt die Corregidores.

»Hat noch einer etwas einzuwenden, warum das ausgesprochene Urteil nicht vollzogen werde?« hob nochmals der Richter mit einem scharfen Blick auf mich an.

»Er hat mir das Leben gerettet, Richter und Mitbürger!« sprach ich tief erschüttert; »das Leben auf eine Weise gerettet –«

Bobs Augen wurden, während ich so sprach, starr, ein tiefer Seufzer hob seine Brust, aber zugleich schüttelte er den Kopf.

»Laßt uns in Gottes Namen gehen!« sprach der Richter.

Ohne ein Wort weiter zu sagen, verließen wir alle Zimmer und Haus und bestiegen die Pferde. Der Richter hatte eine Bibel mitgenommen, aus der er Bob für die Ewigkeit vorbereitete. Auch hörte ihn dieser eine Weile aufmerksam, ja andächtig an. Bald schien er jedoch wieder ungeduldig zu werden; er setzte seinen Mustang in rascheren, bald in so raschen Trab, daß wir zu argwöhnen begannen, er suche auszureißen. Aber es war nichts als die Furcht, das Fieber möchte ihn vor seinem Ende übereilen.

Nach Verlauf etwa einer Stunde hatten wir den sogenannten Patriarchen vor uns.

Wohl ein Patriarch, ein wahrer Patriarch der Pflanzenwelt! War es die feierliche Stimmung, der Ernst des Todes, der uns im Innersten durchdrungen, aber alle hielten wir bei seinem Anblick wie vor einer Erscheinung aus einer höhern, einer überirdischen Welt! Mir war's, als ob die Geister einer unsichtbaren Welt aus diesem Riesenwerke heraussäuselten, -rauschten, diesem kolossalen Naturwunder, das so gar nichts Baumähnliches hatte! Eine ungeheure Masse von Vegetation, die, mehrere hundert Fuß im Durchmesser, wohl hundertunddreißig Fuß emporstarrte, aber so emporstarrte, daß man weder Stamm noch Äste noch Zweige, nicht einmal Blätter, nur Millionen weißgrünlicher Schuppen mit unzähligen Silberbärten sah. Diese Millionen grünlicher Silberschuppen glänzten einem mit den zahllosen Silberbärten – die oben kürzer, unten länger – in so seltsam phantastischen Gebilden entgegen, daß man beim ersten Anblick geschworen hätte, Hunderte, ja Tausende von Patriarchen schauten einen aus ihren Nischen an! Erst tiefer hingen die Bärte – das bekannte spanische, aber hier nicht schmutzig-, sondern silbergraue Moos – länger, und wohl an die vierzig Fuß zur Erde herab, so vollkommen den Stamm verhüllend, daß mehrere Männer absteigen, die Moosbärte auseinanderreißen und uns erst freien Durchgang erzwingen mußten. Innerhalb des ungeheuren Domes angekommen, nahm es noch eine geraume Weile, ehe wir, geblendet, wie wir ins Halbdunkel eintraten, das Innere zu schauen vermochten. Die Strahlen der Sonne, durch Silbermoos und Schuppen und Blätter und Bärte gebrochen, drangen grün und rot und gelb und blau wie durch die gemalten Fenster eines Domes ein, ganz das Halbdunkel eines Domes verbreitend. Der Stamm war wieder ein eigenes Naturwunder. Wohl vierzig Fuß emporstarrend, ehe er in die Äste auslief, hatte er der Auswüchse und Buckel so viele und ungeheure, daß er vollkommen einem unregelmäßigen Felsenkegel glich, von dem wieder Felsenzacken in jeder Richtung ausliefen, an die erst sich Massen von Silbermoos und Bärten und Gestrüppe und Zweige angesetzt. So überwältigt fühlte ich mich durch dieses Riesenwerk der Schöpfung, daß ich mehrere Minuten stand, staunend und starrend – erst durch das hohle Gemurmel meiner Gefährten zum Bewußtsein gebracht wurde.

Sie hielten innerhalb der Krone des Baumes in einem Kreise, Bob in der Mitte. Er zitterte wie Espenlaub, die Augen starr auf einen frischen Erdaufwurf geheftet, der etwa dreißig Schritte vom Stamme zu sehen war.

Darunter ruhte der Gemordete.

Aber eine herrliche Grabesstätte! Kein Dichter könnte sie schöner wünschen oder träumen. Der zarteste Rasen, die hehrste Naturgruft, mit einem ewigen Halbdunkel, so wundersam durchwoben mit Regenbogenstrahlen!

Bob, der Richter und seine Amtsgenossen waren sitzen geblieben, etwa die Hälfte der Männer aber abgestiegen. Einer der letzteren schnitt nun den Lasso vom Sattel Bobs, warf das eine Ende über einen tiefer sich herabneigenden Ast, und es mit dem andern zu einer Schlinge verknüpfend, ließ er diese von dem Aste herabfallen.

Nach dieser einfachen Vorkehrung nahm der Richter seinen Hut ab und faltete die Hände; die übrigen folgten seinem Beispiele.

»Bob!« sprach er zu dem stier über den Nacken seines Mustangs Herabgebeugten. »Bob! wir wollen beten für Eure arme Seele, die jetzt scheiden soll von Eurem sündigen Leibe.«

Bob hörte nicht.

»Bob!« sprach abermals der Richter.

Bob fuhr auf. »Wollte etwas sagen!« entfuhr ihm wie im wahnsinnigen Tone. »Wollte etwas sagen –!«

»Was habt Ihr zu sagen?«

Bob stierte um sich, die Lippen zuckten, aber der Geist war offenbar nicht mehr auf dieser Erde.

»Bob!« sprach abermals der Richter, »wir wollen für Eure Seele beten.«

»Betet, betet!« stöhnte er; »werde es brauchen.«

Der Richter betete langsam und laut, mit erschütterter und erschütternder Stimme: »Unser Vater! der du bist in dem Himmel!«

Bob sprach ihm jedes Wort nach. Bei der Bitte: Vergib uns unsere Schuld! stöhnte seine Stimme aus tiefster Brust herauf.

»Gott sei seiner Seele gnädig!« schloß der Richter.

»Amen!« sprachen ihm alle nach.

Einer der Corregidoren legte ihm nun die Lassoschlinge um den Hals, ein anderer verband die Augen, ein dritter zog die Füße aus den Steigbügeln, während ein vierter, die Peitsche hebend, hinter seinen Mustang trat. – All das geschah so unheimlich – still – schauerlich!

Jetzt fiel die Peitsche. Das Tier machte einen Sprung vorwärts. In demselben Augenblicke schnappte Bob in verzweifelter Angst nach dem Zügel, stieß ein gellendes Halt aus.

Es war zu spät, er hing bereits.

Das nun in rasender Verzweiflung hervorgeheulte Halt des Richters klingt mir noch in den Ohren, ich sehe ihn noch, wie er wie wahnsinnig, den Peitschenführer überreitend, an die Seite des Gehängten schoß, ihn in seine Arme riß, auf sein Pferd hob.

Mit der einen Hand den Gehängten haltend, mit der andern die Schlinge zu öffnen bemüht, zitterte die ganze Riesengestalt des Mannes in unbeschreiblicher Angst. Es war etwas Furchtbares in diesem Anblicke. Der Prokurator, die Corregidoren, alle standen wie erstarrt.

»Whisky, Whisky! Hat keiner Whisky?« kreischte er.

Einer der Männer sprang mit einer Whiskyflasche herbei, ein anderer hielt dem Gehängten den Leib, ein dritter die Füße. Der Richter goß ihm einige Tropfen in den Mund.

Er stierte ihn dazu an, als ob von seinem Erwachen sein eigenes Leben abhinge. Lange war alle Mühe vergebens; aber das Halstuch, das man abzunehmen vergessen, hatte den Bruch des Genickes verhindert; er schlug endlich die gräßlich verdrehten Augen auf.

»Bob!« murmelte der Richter mit hohler Stimme.

Bob stierte ihn mit seinen verdrehten Augen an.

»Bob!« murmelte abermals der Richter. »Ihr wolltet etwas sagen, nicht wahr, von Johnny!«

»Johnny!« röchelte Bob. »Johnny!«

»Was ist mit Johnny!«

»Ist nach San Antonio, der John–ny!«

»Nach San Antonio an die mexikanische Regierung?« murmelte der Richter.

Seine gewaltige Brust hob sich, als wollte sie zerspringen, seine Züge wurden starr.

»Nach San Antonio!« röchelte wieder Bob. »Hütet euch!«

»Ein Verräter also!« murmelten alle wie erstarrt.

Die Worte schienen dem Alkalden alle Kraft zu rauben, der Gehängte hing abermals im Lasso.

Einen Augenblick starrte er ihn an, die Männer.

»Ein Verräter!«

»Ein Bürger und ein Verräter!« murmelten sie ihm nach.

»So ist's, Männer!« murmelte der Richter. »Haben aber keine Zeit zu verlieren,« zischte er in demselben unheimlichen Tone, sie anstarrend, »keine Zeit zu verlieren – müssen ihn haben.«

»Keine Zeit zu verlieren, müssen ihn haben!« murmelten sie alle.

»Müssen sogleich nach San Antonio!« zischte wieder der Richter.

»Nach San Antonio!« murmelten sie alle wie Gespenster, der in die spanischen Moose gerissenen Öffnung zuschreitend und zureitend.

Im Freien angekommen, schauten sie sich noch einmal fragend an, die Abgestiegenen schwangen sich in ihre Sättel, und alle sprengten in der Richtung von San Antonio davon.

Der Richter war allein zurückgeblieben – in tiefen Gedanken, leichenblaß, seine Züge eisig eisern – seine Augen starr auf die Davonreitenden gerichtet.

Plötzlich schien er aus seinen Träumen zu erwachen, erfaßte mich am Arme.

»Eilt nach meinem Hause, reitet, schont nicht Pferdefleisch. – Nehmt zu Hause Ptoly und ein frisches Pferd, jagt nach San Felipe und sagt Stephan Austin, was geschehen, was Ihr gesehen, gehört.«

»Aber – Richter!«

»Eilt, reitet, schont nicht Pferdefleisch, wenn Ihr Texas einen Dienst erweisen wollt. Bringt meine Frau und Tochter nach Hause.«

So sagend, trieb er mich mit Händen und Füßen, dem ganzen Körper fort; in der Ungeduld nahmen seine Züge etwas so Furchtbares an, daß ich ganz außer mir meinem Mustang die Sporen gab.

Der flog davon. – Wie ich um die vorspringende Waldecke bog, zurückschaute, war der Richter verschwunden.

Ich ritt, was mein Tier zu laufen vermochte, kam am Hause an, nahm Ptoly, ein frisches Pferd, jagte nach Felipe de Austin, meldete mich bei Oberst Austin.

Stephan Austin hörte mich an, wurde bleich, befahl, Pferde zu satteln, sandte zu seinen Nachbarn.

Ehe ich noch mit der Frau und Stieftochter des Alkalden nach ihrem Hause aufbrach, sprengte er mit fünfzig bewaffneten Männern in der Richtung nach San Antonio hin.

Ich kehrte mit den beiden, meinem Schutze anbefohlenen Damen nach ihrer Pflanzung zurück, war aber da kaum angekommen, als ich ohnmächtig zusammensank.

Wilde Phantasien, ein heftiges, hitziges Fieber ergriffen mich, brachten mich an den Rand des Grabes.

Mehrere Tage schwebte ich so zwischen Leben und Tod; endlich siegte meine jugendliche Natur. Ich erstand, aber obwohl ich der liebevollsten, aufheiterndsten Pflege genoß, die schrecklichen Bilder wollten mich nicht verlassen, standen immer und allenthalben vor mir. Erst als ich meinen Mustang bestiegen, um mit Anthony, dem Jäger Mister Neals, der mich endlich aufgefunden, nach des letztern Pflanzung zurückzureiten, begannen heitere Gestalten aufzutauchen.

Unser Heimweg führte am Patriarchen vorbei. Zahllose Raub- und Aasvögel umkreischten ihn. Ich wandte die Augen ab, hielt mir die Ohren zu – alles vergebens. Es zog mich wie mit unsichtbarer Gewalt hin. Anthony war bereits durch die in die Moose gerissenen Öffnungen eingedrungen. Sein wildes Triumphgeschrei schallte aus dem Innern heraus.

In unbeschreiblicher Hast stieg ich ab, zog meinen Mustang durch die Öffnung, eilte dem Riesenstamme zu.

Eine Leiche hing etwa vierzig Schritte davon am Lasso von einem Aste herab, demselben Aste, an dem Bob gehangen; aber er war es nicht. Der Hängende war um vieles kleiner.

Ich trat näher, schaute.

»Ei, ein Kaitiff, wie die Welt nicht zwei aufweisen konnte!« brummte Anthony, auf die Leiche deutend.

»Johnny!« rief ich schaudernd. »Das ist Johnny!«

»War es – ist's, dem Himmel sei Dank! nicht mehr.«

Ich schauderte.

»Aber wo ist Bob?«

»Bob?« rief Anthony. »Ah! Bob! ja Bob!«

Ich schaute, da war noch der Grabeshügel, wie ich ihn zuletzt gesehen. Er schien mir größer, höher, und doch wieder nicht. Lag er darunter – bei seinem Opfer?

»Wollen wir dem Elenden nicht den letzten Dienst erweisen, Anthony?« fragte ich.

»Dem Kaitiff!« versetzte er. »Will meine Hand nicht vergiften, die Aasvögel mag er vergiften. Laßt uns gehen!«

Und wir gingen.

Als wir bei Mister Neal ankamen, fand ich ihn bereits von den grauenhaften Vorfällen unterrichtet. Er traf schon Vorkehrungen zum bevorstehenden Kampf, ebenso wie seine Nachbarn.

Acht Wochen darauf brach dieser auch wirklich aus – ein Krieg, der nach manchem Glückswechsel mit der vollkommenen Befreiung von Texas endete.


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