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Dreizehntes Kapitel.

Ihr sprecht von Unschuld und von Lustigkeit!
Doch als des Paradieses Frucht verzehrt ward,
Da trennten beide sich, und Bosheit ist
Seitdem der leichten Lustigkeit Gespielin
Vom Augenblicke, wo das Kind mit Lächeln
Blum' oder Schmetterling zum Spiel zerpflückt
Bis zu dem letzten Athemzug des Sünders,
Der noch einmal im Sterbekissen lacht,
Wenn er des reichen Nachbars Sturz vernimmt.

Altes Stück.

Sir Kenneth befand sich einige Minuten allein und im Dunkeln. Diese Verzögerung mußte seine Abwesenheit von seinem Posten verlängern, und schon fing er an, den Leichtsinn zu bereuen, mit welchem er denselben verlassen hatte. Aber nun zurückzukehren, ohne Lady Edith zu sehen, fiel ihm nicht ein. Er hatte einen Verstoß gegen das Kriegsgesetz begangen, und er war entschlossen, wenigstens die Wahrheit der reizenden Erwartungen zu erproben, die ihn dazu verführt hatten. Unterdessen war seine Lage eine unangenehme. Kein Licht zeigte ihm, in was für ein Gemach man ihn geführt habe; Lady Edith gehörte zur nächsten Umgebung der Königin von England; und die Entdeckung seines Einschleichens in das königliche Gezelt konnte manchen gefährlichen Argwohn erwecken. Während er diese unangenehmen Betrachtungen anstellte, und schon zu wünschen begann, seinen Rückzug unentdeckt ausführen zu können, hörte er das Lachen, Flüstern und Sprechen weiblicher Stimmen in dem benachbarten Gemach, von dem er, den Lauten nach zu urtheilen, nur durch ein Zelttuch getrennt sein konnte. Lampen waren angezündet, wie er an dem trüben Lichte, das man diesseits des Vorhangs bemerkte, sehen konnte, und er gewahrte die Schatten der in dem anstoßenden Gemach sitzenden und gehenden Personen. Es war keine Unziemlichkeit von Sir Kenneth, daß er in der Lage, worin er sich befand, ein Gespräch belauschte, in welches er sich selbst tief verflochten fand.

»Ruf' sie – ruf' sie – bei der heiligen Jungfrau!« sagte eine der lachenden Unsichtbaren. »Nectabanus, du sollst an den Hof des Priesters Johannes zum Gesandten ernannt werden, um zu zeigen, mit welcher Klugheit du eine Botschaft ausrichten kannst.«

Die gellende Stimme des Zwergs ließ sich hören, jedoch so gedämpft, daß Sir Kenneth nicht verstehen konnte, was er sagte, ausgenommen, daß er etwas von Erheiterungsmitteln sprach, die er der Wache gegeben.

»Aber wie sollen wir den Geist los werden, den Nectabanus uns beschworen hat, meine Fräuleins?«

»Hört mich, meine Königin,« sagte eine andere Stimme; »wenn der weise und fürstliche Nectabanus nicht allzu eifersüchtig ist auf seine höchst unvergleichliche Braut und Herrin, laßt uns sie senden, uns von dem frechen irrenden Ritter zu befreien, der sich so leicht beschwatzen läßt, daß hochgeborne Damen seinen frechen und anmaßlichen Muth nöthig haben.«

»Fürwahr, es wäre gerecht,« versetzte eine andere, »wenn die Prinzessin Genevra mit ihrer Höflichkeit den verabschiedete, den die Klugheit ihres Gemahls hierher zu locken vermochte.«

Von Verdruß und Beschämung bis in's Innerste betroffen, suchte Sir Kenneth auf Glück oder Unglück das Zelt zu verlassen, als er durch Folgendes in seinem Vorhaben aufgehalten wurde.

»Nein, fürwahr,« sagte die erste Sprecherin, »unsere Base Edith soll zuerst erfahren, wie sich dieser gepriesene Tropf betragen hat, und es muß uns möglich bleiben, ihr den Beweis vor Augen zu stellen, daß er sich an seiner Pflicht vergangen hat. Diese Lektion wird ihr heilsam sein: denn glaub' mir, Calista, mir ist es manchmal vorgekommen, als wenn sie diesen schottischen Abenteurer näher an ihrem Herzen sitzen ließe, als Klugheit billigen kann.«

Eine der anderen Stimmen ließ sich hierauf vernehmen, die von Lady Ediths Klugheit und Verstand sprach.

»Klugheit, Mädchen!« war die Antwort – »Es ist bloßer Stolz und die Sucht, für weiser als eine von uns zu gelten. Nein, ich will meinen Vortheil nicht aus der Hand lassen. Ihr wisset wohl, daß, wenn sie uns auf einem Fehler erwischt, keine uns dann unseren Irrthum mit Feinheit auf eine umständlichere Art vorhalten kann, als Lady Edith – doch da kommt sie.«

Eine in das Gemach hereintretende Gestalt warf auf den Vorhang einen Schatten, der sich langsam dahinbewegte, bis er sich endlich mit den anderen Schatten vermengte. Ungeachtet der bittern Täuschung, die er erfahren, ungeachtet des Schimpfes und der Verachtung, womit er aus Bosheit oder wenigstens aus übler Laune von der Königin Berengaria (denn er schloß, daß die, welche am lautesten und in einem befehlenden Tone sprach, Richard's Weib sei) behandelt worden war, fühlte der Ritter etwas so Besänftigendes in seinem Herzen, als er erfuhr, daß Edith an dem ihm gespielten Possen keinen Antheil habe, und zu gleicher Zeit versprach die Scene, die sich nun eröffnete, seiner Neugier so viel Aufschluß, daß er, anstatt das klügere Vorhaben eines alsbaldigen Rückzuges auszuführen, im Gegentheil sorgsam nach einem Riß oder Spalt umherspähete vermittelst dessen sein Auge so gut als sein Ohr erfahren könne, was sich begäbe.

»In Wahrheit,« sprach er zu sich selbst, »die Königin, die aus bloßem Scherz meinen Ruf und vielleicht mein Leben auf's Spiel gesetzt hat, kann sich nicht beklagen, wenn ich meinerseits die Gelegenheit benutze, welche mir das Glück bietet, um ihre ferneren Absichten kennen zu lernen.«

In der Zwischenzeit schien es, als wenn Edith die Befehle der Königin erwarte, und als wenn die anderen mit Fleiß das Gespräch unterdrückten aus Furcht, das Lachen nicht halten zu können: denn Sir Kenneth vernahm nur ein unterdrücktes Kichern und Schäkern.

»Eure Majestät,« sagte Edith endlich, »scheint in einer munteren Laune, obwohl diese nächtliche Stunde einer schläfrigen förderlicher ist. Ich war auf dem Wege zum Bette, als ich den Befehl Eurer Majestät erhielt, vor Euch zu erscheinen.«

»Ich will Euch nicht lange von Eurer Ruhe abhalten, Base,« sagte die Königin; »obwohl ich fürchte, daß Ihr weniger gut schlafen werdet, wenn ich Euch sage, daß Eure Wette verloren ist.«

»Nein, Königin,« sagte Edith, »fürwahr das heißt auf einem Scherz bestehen, den man besser hätte fahren lassen. Ich habe nicht gewettet, obwohl es Eurer Majestät gefallen hat, anzunehmen oder darauf zu bestehen, daß ich es gethan.«

»Nein, trotz unserer Wallfahrt, liebe Base, hat der Satan Gewalt über Euch, und flüstert Euch Lügen zu. Könnt Ihr leugnen, daß Ihr Euren Rubinring gegen mein goldnes Armband gewettet habt, daß jener Ritter vom Leoparden, oder wie sein Name ist, nicht von seinem Posten verlockt werden könnte?«

»Eure Majestät ist zu hoch über mir, daß ich widersprechen sollte,« versetzte Edith; »aber diese Damen können mir, wenn sie wollen, bezeugen, daß Eure Hoheit diese Wette in Vorschlag brachte, und daß Ihr mir den Ring vom Finger zoget, gerade als ich die Erklärung that, daß es einem Fräulein nicht zustehe, über einen solchen Gegenstand zu wetten.«

»Nein, aber, Mylady Edith,« sagte eine andere Stimme, »Ihr werdet, nehmt's nicht übel, zugeben müssen, daß Ihr Euch sehr huldvoll über das Verdienst des nämlichen Ritters vom Leoparden geäußert habt.«

»Und wenn ich es that, Schätzchen,« sagte Edith zürnend, »ist das ein Grund, daß du das Wort nimmst, um Ihrer Majestät Laune zu schmeicheln? Ich sprach von diesem Ritter wie Jedermann von ihm spricht, der ihn auf dem Schlachtfelde gesehen hat, und ich war nicht mehr eingenommen für seine Vertheidigung als du für seine Verkleinerung. Von was sollen Frauen reden in einem Lager, wenn nicht von Kriegern und Kriegsthaten?«

»Die edle Lady Edith,« sagte eine dritte Stimme, »hat Calista und mir nie verzeihen können, seit wir Eurer Majestät von den Rosenknospen gesprochen haben, welche sie in der Kapelle fallen ließ.«

»Wenn Eure Majestät,« sagte Edith in einem Ton, worin Sir Kenneth den einer ehrerbietigen Vorstellung erkannte, »mir keinen anderen Befehl zu geben hat als den, den Spott Eurer Kammerfrauen zu ertragen, so bitte ich um Erlaubniß, mich entfernen zu können.«

»Still, Florise,« sagte die Königin, »und laß dich unsere Nachsicht nicht verleiten, den Unterschied zu vergessen, der zwischen der Verwandtin von England und dir ist. Aber Ihr, liebe Base,« fuhr sie fort, einen scherzhaften Ton wiederum annehmend, »wie könnt Ihr uns, wenn Ihr ein gutes Herz habet, ein kurzes Lachen verargen, nachdem wir lange Tage mit Heulen und Zähneklappern zugebracht haben?«

»Groß sei Eure Freude, Königin,« sagte Edith, »aber lieber wollte ich für mein übriges Leben nicht mehr lachen, als« – –

Sie hielt inne, vermuthlich aus Zartgefühl; aber Sir Kenneth konnte hören, daß sie sehr aufgeregt war.

»Verzeihe mir,« sagte Berengaria, eine leichtsinnige aber gutmüthige Prinzessin vom Hause Navarra; »aber worin besteht denn eigentlich das große Unglück? – Ein junger Ritter ist hierher verlockt worden, er hat sich gestohlen oder ist gestohlen worden von seinem Posten, den Niemand in seiner Abwesenheit beunruhigen wird. – Eine schöne Dame war im Spiel – denn, um Eurem Ritter völlige Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, der Witz des Nectabanus konnte ihn nur in Eurem Namen hierher beschwören.«

»Gütiger Himmel! Eure Majestät, sagt dies nicht;« sagte Edith mit einer Stimme, die gänzlich verschieden lautete von der, womit sie kurz zuvor ihre unterdrückte Aufgeregtheit gezeigt hatte – »Ihr könnt das nicht sagen, weil es mit Eurer Ehre und mit meiner Ehre nicht bestehen kann! – Sprecht, daß Ihr Scherz mit mir getrieben habt, Königin, und verzeiht mir, daß ich nur einen Augenblick wähnen konnte, Ihr sprächet im Ernst.«

»Die Lady Edith,« sagte die Königin verdrossen, »schmerzt der Ring, den wir ihr abgenommen haben. – Wir wollen Euch das Pfand zurückgeben, schöne Base; aber Ihr müßt uns auch den kleinen Triumph über die Weisheit gönnen, die uns so oft überragt hat, wie ein Banner ein Kriegsheer.«

»Ein Triumph!« rief Edith zürnend aus; »ein Triumph! – der Triumph wird auf Seiten der Ungläubigen sein, wenn sie hören, daß die Königin von England den Ruf der Verwandtin ihres Gemahls zu einem Gegenstand des Scherzes machen kann.«

»Ihr seid verdrossen, schöne Base, daß Ihr Euren Lieblingsring eingebüßt habt,« sagte die Königin – »Kommt, da es Euch verdrießt, Eure Wette zu bezahlen, will ich mich meines Rechts begeben. Euer Name und Euer Pfand hat ihn hierher gelockt, und wir fragen nichts nach dem Köder, nachdem der Fisch gefangen ist.«

»Madam,« versetzte Edith unruhig, »Ihr wisset wohl, daß Eure Hoheit von dem Meinigen nichts wünschen kann, das nicht alsbald das Eurige würde. Aber ich möchte lieber eine Schnur Rubinen geben, als meinen Ring und Namen gebraucht sehen, um einen braven Ritter in Schuld und vielleicht in Ungnade und Strafe zu bringen.«

»O, ist es für die Sicherheit unseres treuen Ritters, daß wir fürchten?« sagte die Königin. »Ihr schätzet unsere Macht zu gering, schöne Base, wenn Ihr glaubt, daß ein Scherz von uns Jemand das Leben kosten könne. O, Lady Edith, Andere haben Einfluß auf die eiserne Brust der Krieger so gut wie Ihr – das Herz des Löwen selbst ist von Fleisch, nicht von Stein; und glaubet mir, ich habe Gewicht genug bei Richard, diesen Ritter, an dessen Schicksal Lady Edith so innigen Antheil nimmt, vor der Strafe des Ungehorsames gegen königliche Befehle sicher zu stellen.«

»Bei dem heiligen Kreuze, Königin,« sagte Edith – und Sir Kenneth hörte mit einem Gefühle, das sich schwerlich beschreiben ließe, wie sie sich der Königin zu Füßen warf – »bei der heiligen Jungfrau und allen Heiligen im Kalender, sehet Euch vor, was Ihr thut! Ihr kennt König Richard nicht – Ihr seid erst seit Kurzem ihm anvermählt – Euer Athem möchte so leicht den Westwind bekämpfen, wenn er am heftigsten wüthet, als Eure Worte meinen königlichen Verwandten überreden könnten, ein Vergehen im Kriegsdienst zu verzeihen. O, um Gotteswillen, entlasset diesen Edelmann, wenn Ihr ihn wirklich hierher verlockt habt! Ich will ja gerne die Schande behalten, ihn eingeladen zu haben, wenn ich nur weiß, daß er dorthin zurückgekehrt ist, wohin ihn seine Schuldigkeit ruft!«

»Steht auf, Base, steht auf,« sagte die Königin Berengaria, »und seid versichert, Alles wird besser gehen, als Ihr glaubt. Steht auf, liebe Edith; es thut mir leid, meinen Spaß mit einem Ritter getrieben zu haben, an dem Ihr so tiefen Antheil nehmt. – Nein, ringt nicht die Hände – ich will es glauben, daß du ihn nicht liebst – lieber Alles glauben, als dich in einer so kläglichen Verfassung sehen. – Ich verspreche dir's, ich will alle Schuld bei Richard auf mich nehmen zu Gunsten deines schönen schottischen Freundes – deines Bekannten wollt' ich sagen, weil du ihn als Freund nicht anerkennst. Nein, blick' mich nicht mit dem Auge des Vorwurfs an. – Wir wollen Nectabanus senden, diesen Ritter der Standarte zu seinem Posten zu entlassen; und wir selbst wollen ihm künftig einmal die Gnade anthun, ihn für seine Wildgansjagd zu entschädigen. Er ist, wie ich vermuthe, in einem benachbarten Zelt befindlich.«

»Bei meiner Lilienkrone und meinem Rohrscepter,« sagte Nectabanus, »Eure Majestät ist im Irrtum – er ist näher, als Ihr wisset – er liegt hinter diesem Vorhang verschanzt.«

»Und konnte jedes Wort hören, das wir gesprochen haben!« rief die Königin, nun ihrerseits überrascht und betroffen. – »Fort mit dir, du thörichtes, boshaftes Ungeheuer!«

Als sie diese Worte sagte, floh Nectabanus aus dem Zelt mit einem Geheul, das es zweifelhaft ließ, ob Berengaria ihren Verweis auf Worte beschränkt, oder ob sie eine nachdrücklichere Aeußerung ihrer Unlust hinzugefügt hatte.

»Was ist nun zu thun?« sagte die Königin zu Edith, flüsternd und in sichtbarer Unruhe.

»Was notwendig ist,« sagte Edith fest. »Wir müssen diesen Edelmann sehen, und uns seiner Gewalt anvertrauen.«

So sagend, bewegte sie schnell einen Vorhang, der an einer der Wände den Eingang verhüllte.

»Um Himmelswillen, laß ab – bedenke,« sagte die Königin, »mein Gemach – unser Anzug – diese Stunde – meine Ehre!«

Aber ehe sie ihre Vorstellungen vollenden konnte, war der Vorhang weg, und der bewaffnete Ritter war von der Gesellschaft der Damen nicht länger getrennt. Die Wärme der Nacht war Ursache, daß die Königin Berengaria und ihre Umgebung einfacher und leichter gekleidet waren, als es ihr Stand und die Gegenwart eines männlichen Zeugen von Rang erlaubten. Dies bedachte die Königin, und floh mit einem lauten Schrei aus dem Gemach, wo Sir Kenneth sichtbar wurde, in einem Seitengemach des großen Zeltes, das von dem Gemach, wo sich die Frauen befanden, nun nicht mehr zu unterscheiden war. Der Schmerz und die Aufgeregtheit sowohl als das dringende Verlangen, dem schottischen Ritter eine schnelle Erklärung zu geben, waren vielleicht die Ursache, daß Lady Edith vergaß, daß ihre Locken aufgelöst seien, und daß ihr Anzug nicht in der Verfassung wäre, wie es die Sitte heischte von edlen Fräuleins in einem Zeitalter, das eben nicht das sprödeste und strengste der Vergangenheit war. Ein leichtes fliegendes Gewand von blaßrother Seide machte ihren Hauptanzug aus mit mörgenländischen Pantoffeln, in welche sie in der Eile mit bloßen Füßen geschlüpft war, und einem Schleiertuch, das sie eilig und leicht um die Schultern geworfen. Ihr Haupt hatte keine andere Bedeckung als den Schleier ihres reichen, aufgelösten Haares, welches, rund herum in Locken niederfallend, zur Hälfte ein Gesicht verbarg, worauf die Röthe der Bescheidenheit, der Kränkung und anderer tiefen und lebhaften Empfindungen sich malte.

Obwohl aber Edith ihre Lage mit all' dem Zartgefühl begriff, das am weiblichen Geschlecht am meisten rührt, so schien es dennoch nicht, daß sie nur einen Augenblick im Zweifel stünde zwischen ihrer eigenen Scham und der Pflicht, welche sie dem schuldig zu sein glaubte, der in ihrem Namen in Fehl und Gefahr verlockt worden war. Sie zog freilich ihr Schleiertuch fester über Nacken und Busen zusammen, und that hastig die Lampe, die zu viel Licht auf ihre Züge warf, aus der Hand; aber, während Sir Kenneth ohne Bewegung auf dem Flecke blieb, wo er zuerst sichtbar geworden war, ging sie eher auf ihn zu als von ihm weg, und rief: »Eilt schnell auf Euern Posten, tapfrer Ritter! – man hat Euch durch Täuschung hierher gelockt – fragt nicht weiter.«

»Ich brauche nicht zu fragen,« sagte der Ritter, auf ein Knie sich niederlassend voll Ehrfurcht wie ein Heiliger am Altar, und seine Augen zu Boden senkend, damit seine Blicke die Verlegenheit der Lady nicht vermehrten.

»Habt Ihr Alles gehört?« sagte Edith voll Unruhe. – »Bei allen Heiligen! warum wartet ihr noch, da jede flüchtige Minute mit Entehrung droht?«

»Ich hab's gehört, daß ich entehrt bin, Lady, und ich hab' es von Euch gehört,« antwortete Kenneth. »Was kümmert's mich, wie bald die Strafe folgt. Ich habe nur eine Bitte an Euch, und dann will ich unter den Säbeln der Ungläubigen suchen, ob nicht Entehrung mit Blut weggewaschen werden kann.«

»Thut das nicht,« sagte die Lady. »Seid klug – zögert nicht hier. – Alles kann gut werden, wenn Ihr nur schnell seid.«

»Ich erwarte nur Eure Verzeihung,« sagte der Ritter, immer knieend, »für die Vermessenheit, daß ich glauben konnte, meine armen Dienste könnten Euch nöthig und schätzbar sein.«

»Ich verzeihe Euch. – Ach, ich habe nichts zu verzeihen! – Ich bin das Mittel Eurer Beschimpfung gewesen. – Aber, o geht! – Ich will verzeihen – ich will Euch schätzen – das heißt, wie ich jeden braven Kreuzfahrer schätze – wenn Ihr nur schnell fortgeht!«

»Empfangt zuvor dies köstliche aber unheilvolle Pfand,« sagte der Ritter, indem er Edith, die nun Bewegungen der Unruhe zeigte, den Ring darhielt.

»O, nein, nein!« sagte sie, sich weigernd, ihn anzunehmen. »Behaltet ihn, behaltet ihn als ein Zeichen meiner Achtung – meines Bedauerns, wollt' ich sagen. O geht, wenn nicht um Euretwillen, um meinetwillen.«

Fast entschädigt selbst für den Verlust der Ehre, womit sie ihn bedroht hatte, durch den Antheil, den sie an seiner Sicherheit zu nehmen schien, stand Sir Kenneth von den Knieen auf, und, nachdem er einen flüchtigen Blick auf Edith geworfen, beugte er sich tief, und schien im Begriff, sich entfernen zu wollen. In demselben Augenblick gewann die jungfräuliche Scham, über welche die Macht der Neigung bis jetzt gesiegt hatte, bei Edith wieder die Oberhand; sie eilte aus dem Gemach hinaus, und da sie ihre Lampe im Gehen auslöschte, ließ sie Sir Kenneth in geistigem und sinnlichem Dunkel zurück.

Ihr zu gehorchen, war der erste klare Entschluß, der ihn aus seinen Träumen weckte, und er eilte nach der Stelle, wo er in das Zelt hereingekommen war. Unter der Zeltdecke hinaus zu kriechen, wie er hereingekrochen war, erforderte Zeit und Ueberlegung, und er machte eine bequeme Oeffnung, indem er die Tuchwand mit seinem Dolch aufschlitzte. Als er im Freien war, fühlte er sich eher verblüfft und überwältigt von dem Widerstreit seiner Empfindungen, als daß er vermögend gewesen wäre, die klare Anschauung des Ganzen zu gewinnen. Er mußte sich in Thätigkeit setzen durch die Erinnerung, daß ihm Lady Edith Eile anbefohlen habe. Aber die Seile der Zelte und die Zelte selbst, die ihn umgaben, zwangen ihn, behutsam fortzuschreiten, bis er den Weg gewönne, von dem ihn der Zwerg seitwärts geführt hatte, um der Aufmerksamkeit der Wache vor dem Gezelte der Königin zu entgehen; und auch darum mußte er langsam und bedächtig vorwärts gehen, damit er kein Geräusch verursache durch einen Fall oder durch das Klirren seiner Rüstung. Dazu hatte noch eine dünne Wolke den Mond grade in dem Augenblicke verdunkelt, wo er das Gezelt verließ, und Sir Kenneth hatte gegen diese Widerwärtigkeit zu einer Zeit zu kämpfen, wo die Betäubung seines Hirns und die Schwere seines Herzens ihm kaum die Macht ließen, seine Bewegungen mit genügendem Verstand zu meistern.

Aber auf einmal trafen Laute sein Ohr, die ihm augenblicklich den vollen Gebrauch seiner Kräfte wiedergaben. Sie kamen von dem St. Georgsberge her. Er hörte zuerst ein vereinzeltes zorniges, grimmiges, wüthendes Bellen, dem unmittelbar das Geheul eines sterbenden Thieres folgte. Kein Wild nahm jemals einen heftigeren Anlauf bei der Stimme Roswal's, als jetzt Sir Kenneth nahm bei dem Sterbegeheul des edlen Hundes, dem ein gewöhnlicher Schmerz nicht die geringste Klage abgenöthigt haben würde. Er legte den Raum zurück, der ihn von dem Wege trennte, und als er die offene Gasse erreicht hatte, rannte er, obwohl mit seiner Rüstung beladen, dem Hügel mit einer Geschwindigkeit zu, welcher selbst unbewaffnete Männer mit Mühe würden gefolgt sein, und sein Lauf verringerte sich nicht auf dem jähen Abhang des künstlichen Hügels, so daß er in wenigen Minuten auf dem platten Gipfel anlangte.

In diesem Augenblick trat der Mond aus dem Gewölk, und zeigte ihm, daß die Standarte von England verschwunden war, und daß der Speer, an dem sie geweht hatte, zerbrochen auf dem Boden lag. Neben den Stücken lag der treue Hund, dem Anschein nach mit dem Tode ringend.


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