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– – – Zum würd'gen Ort
Wird der erfahrne Reisende jetzt kommen.
König Johann.
Das eben erwähnte Geräusch entstand von einem ungeduldigen Pochen an der Thür des Bankcomptoirs, welches auf der linken Seite des Flurs in Herrn Bindlooses Haus, dem Gemache, worin sich Mistreß Dods befand, gerade gegenüber lag.
Gewöhnlich pflegte das Comptoir einem Jeden, der dort Geschäfte hatte, offen zu stehen; aber jetzt, so große Eile auch der Pochende haben mochte, befanden sich die Schreiber außer Stande ihn einzulassen, da die vorsichtige Aengstlichkeit Mr. Bindloose's, es ihnen unmöglich zu machen seine Unterhaltung mit Mistreß Dods zu belauschen, sie selbst als Gefangene eingesperrt hatte. Sie beantworteten deßhalb das ärgerliche, ungeduldige Klopfen des Fremden nur mit einem unterdrückten Gelächter, ohne Zweifel einen höchst vortrefflichen Spaß darin findend, daß ihres Gebieters Vorsicht sie an der Ausübung ihrer Pflicht verhindere.
Mit einigen kräftigen Flüchen über sie, als die eigentlichen Plagegeister seines Lebens, sprang Mr. Bindloose auf den Flur und führte den Fremden in's Comptoir. Da alle Thüren offen blieben, so konnten Meg Dods', wie der Leser weiß, wohlgeübte Ohren einen Theil der Verhandlung vernehmen. Die Unterredung schien eine nicht unbedeutende Geld-Angelegenheit zu betreffen, wie nach etwa fünf Minuten, wo der Fremde seine scharfe, durchdringende Stimme noch mehr erhob, Meg deutlich entnehmen konnte. »Agio? Nicht eine Guinee, Sir, – nicht eine Krone, – nicht einen Pfennig – Agio auf einen englischen Bankzettel? – Halten Sie mich für einen Narren, Sir? Weiß ich nicht, daß Sie vierzig Tage Sicht pari nennen, wenn Sie Wechsel auf London geben?«
Man hörte jetzt Mr. Bindloose etwas über den üblichen Handelsgebrauch unverständlich murmeln.
»Gebrauch?« versetzte der Fremde. »Nichts davon – ein verdammt schlechter Gebrauch, wenn er überhaupt existirt – sprechen Sie mir nicht von Gebräuchen! – Meiner Six! Freund, ich kenne den Wechsel-Curs in der ganzen Welt, und habe Wechsel von Timbuctoo gezogen. – Meine Freunde am Strande ließen sie mit denen Bruce's in Gondar unterlaufen – mir von Agio auf einen Postzettel der Bank von England vorzuschwatzen! Weßhalb betrachten Sie den Bankzettel? – Glauben Sie, daß er nicht gut ist? – O ich kann Ihnen einen andern geben, Sir!«
»Das ist in keiner Art nöthig, Sir,« entgegnete Bindloose, »der Bankzettel ist vollkommen gültig, aber es ist üblich, ihn zu indossiren, Sir.«
»Ganz gewiß – reichen Sie mir eine Feder. – Glauben Sie, daß ich hier mit meinem indischen Rohr schreiben kann? – Was ist das für miserable Tinte! – ganz quittengelb! – schadet nichts – da steht mein Name – Peregrine Touchwood. – Ich erhielt von den Willoughbys meinen Taufnamen. – Ist das mein volles Geld?«
»Alles, Sir, ganz vollzählig,« entgegnete Bindloose.
»Ei, Freundchen, Sie sollten eigentlich mir Agio zahlen, statt daß Sie es von mir begehrten.«
»Es wäre ganz wider unsere Gewohnheit, Sir, ich versichere Ihnen, Sir,« sagte der Bankier, »ganz wider unsere Gewohnheit. – Doch wenn Sie in das Wohnzimmer treten und dort eine Tasse Thee annehmen wollten –«
Deutlicher erschallte jetzt die Stimme des Fremden, indem ihn Herr Bindloose aus dem Comptoir zum Wohnzimmer führte, und er ihm erwiederte: »Ei, eine Tasse Thee ist gar nicht so etwas Uebles, wenn man ihn von ächt lauterer Gattung erhält – aber was das Agio eines Bankzettels anbetrifft« – Mit diesen Worten trat er in das Zimmer und verneigte sich vor Mistreß Dods, welche in ihm das erblickend, was sie einen anständigen, leidlichen Menschen zu nennen pflegte, von dem sie vermuthen konnte, daß seine Taschen von englischen und schottischen gangbaren Geldpapieren strotzten, sich erhob und seinen Gruß mit ihrem besten Knix erwiederte.
Wenn man Mr. Touchwood näher betrachtete, so fand man in ihm einen untersetzten, kräftigen, thätigen Mann, der, obwohl er sechzig Jahr und noch darüber sein konnte, in seiner äußern Erscheinung die Spannkraft früherer Jahre bewahrte. Selbstvertrauen und eine Art verächtlichen Mitleids mit denjenigen, welche nicht so viel gesehen oder ertragen hatten als er, lag in dem Ausdrucke seines Gesichts. – Sein kurzes schwarzes Haar war grau gemischt, aber noch nicht völlig gebleicht. Seine pechschwarzen, kleinen, funkelnden Augen lagen tief im Kopfe, und deuteten, wie die kurz aufgestutzte Nase, ein reizbares, heftiges Gemüth an. Der häufige Wechsel des Klima's hatte seiner Gesichtsfarbe etwas ziegelartiges ertheilt, und sein Gesicht, welches in einiger Entfernung glatt und wohlgerundet aussah, erschien näher betrachtet von Millionen Runzeln bedeckt, welche fein, wie mit der spitzesten Nadel gezogen, sich in allen Richtungen darauf durchkreuzten. Seine Kleidung bestand in einem blauen Rock, ledernen Unterkleidern und Weste, ausgezeichnet schön gewichsten Halbstiefeln und einem seidenen Halstuch, das mit militärischer Genauigkeit umgeknüpft war. Der einzige wirklich alterthümliche Theil seines Anzuges bestand in einem dreieckigen Hut, der ganz gleichseitig gestutzt war, an dessen Knopfloch er eine sehr kleine Kokarde trug. – Mistreß Dods, welche sich gewöhnt hatte, die Leute nach dem ersten Anblicke zu beurtheilen, sagte, daß in den drei Schritten, welche er von der Thüre bis zum Theetische zurücklegen mußte, sie die Haltung einer Person erkannte, die ganz gut durch die Welt zu kommen wüßte; »und darin,« setzte sie mit bedeutendem Winke hinzu, »irren wir Gastwirthe uns sehr selten. Wenn eine goldbetreßte Weste eine leere Tasche hat, so wird die einfache, aber gefüllte die bessere sein.«
»Ein feucht-kühler Morgen, Madam!« sagte Mr. Touchwood in der Absicht, zu prüfen, welche Gesellschaft er hier fand.
»Ein schöner, milder Morgen für den Buchweizen, Sir,« entgegnete Mistreß Dods mit gleicher Feierlichkeit.
»Recht, meine gute Madam! Mild, das ist das rechte Wort, obwohl es lange Zeit her ist, daß ich es hörte. Ich habe zweimal eine Fahrt um die runde Welt gemacht, seit ich es zuletzt vernahm.«
»So werden Sie wohl aus dem andern Welttheile herstammen?« fragte der Rechtsgelehrte, schlau einen solchen Fall aufstellend, welcher, wie er hoffte, den Fremden bewegen sollte, Aufklärung über sich zu ertheilen; »denn wirklich, Sir,« fuhr er nach einer Pause fort, »ich denke, Touchwood ist kein schottischer Name, mindestens so viel ich davon weiß!«
»Ein schottischer Name? – Nein!« entgegnete der Reisende; »aber ein Mann kann diese Gegenden besucht haben, ohne ein Eingeborner zu sein, oder, wenn er ein Eingeborner ist, so kann er Ursachen haben, seinen Namen zu ändern; – es gibt mancherlei Veranlassungen dazu.«
»Gewiß, und einige derselben sind sehr triftig,« sagte Mr. Bindloose. »Wie zum Beispiel bei Lehns-Erbschaften, wo sehr oft die Urkunden zum Besten des Lehns-Erben gemeinhin streng Annahme des Wappens und Titels als Pflicht auferlegen.«
»Oder wenn ein Mann sich die vaterländische Luft zu drückend gemacht hat, um dort unter seinem eigenthümlichen Namen aushalten zu können!« erwiederte Mr. Touchwood.
»Eine solche Voraussetzung aufzustellen, Sir, würde mir nur schlecht geziemen,« versetzte der Rechtsgelehrte; »aber in jedem Falle, kannten Sie früherhin diese Gegenden, so müssen Sie durchaus mit Bewunderung alle die Veränderungen betrachten, welche hier seit dem amerikanischen Kriege sich gestaltet haben, Berge, die statt des Haidekrautes Klee tragen – die Zinsen verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht – die alten räucherigen, festen Schlösser sind herunter gerissen, und die Edelleute wohnen in eben so schönen Landhäusern, als die Engländer.«
»Mag es ihnen gut bekommen, dem thörichten Gesindel!« rief Touchwood heftig.
»Sie scheinen von unsern Verbesserungen eben nicht sehr erbaut, Sir,« sagte der Bankier, der höchst erstaunt war, ein mißbilligendes Urtheil über etwas zu vernehmen, worüber er alle Menschen einverstanden glaubte.
»Erbaut, Sir?« antwortete der Fremde – »Ja, so erbaut, wie ich von dem Teufel bin, der, wie ich meine, so manche davon in den Gang brachte. Sie haben jetzt hier den Gedanken gefaßt, daß Alles geändert werden muß. – Unflat sind sie wie das Wasser! – Man soll nichts übertreiben. – Ich sage Ihnen, in diesen letzten vierzig Jahren sind mehr Umwälzungen in Ihrer kleinen, erbärmlichen Ecke Landes hier geschehen, als in den großen morgenländischen Reichen, so viel ich weiß, seit viertausend Jahren Statt fanden.«
»Und warum nicht, wenn die Veränderungen das Bessere bezwecken?« fragte Bindloose.
»Oder sie bezwecken das Bessere nicht!« entgegnete Mr. Touchwood eifrig. »Ich verließ Ihre Bauern freilich arm wie die Ratzen, aber ehrlich und betriebsam, mit fester Ergebung ihr hartes Loos in dieser Welt ertragend, und hoffend den Blick nach der künftigen gerichtet. – Jetzt sind sie bloße Augendiener, die ängstlich alle zehn Minuten nach ihrer Uhr sehen, damit sie ja nicht eine halbe Sekunde über die Zeit für ihren Herrn arbeiten. – Und dann statt am Werkeltage ihre Bibel zu studiren, um am Sonntag den Prediger mit Auslegung zweifelhafter Streitpunkte heimzusuchen, schöpfen sie jetzt ihre Glaubenslehren bei Tom Paine und Voltaire.«
»Ja, ich meine, der Herr spricht ganz wahr,« sagte Meg Dods. »Ich fand einen Band von ihren elenden Gotteslästerungen in meiner eigenen Küche. Aber ich meine, ich wieß dem Flegel von Hausirer die Wege, der ihn gebracht hatte. – Nicht zufrieden, der albernen Dirnen Köpfe mit Balladenkram zu verdrehen, und sie mit Bändern zu körnen und zu verlocken – nein, sie noch um ihr kostbares Seelenheil zu betrügen, und ihnen des Teufels Waare, daß ich mich so ausdrücken muß, für ihr Geld zu geben, das den armen Vater unterstützen sollte, der zur Arbeit unfähig und bettlägerig ist, – das ist zu arg.« –
»Den Vater, Madam?« sagte der Fremde; »diese Dirnen denken seiner nicht mehr als Regan und Goneril.«
»Gewißlich, Sir, Sie kennen unsern Schlag hier sehr gut,« entgegnete Meg, »sie sind alle Gomerils Gomerils, im Schottischen: Thörinnen, Dummköpfe., jede von ihnen. – Ich sage es ihnen zu jeder Stunde des Tages, aber daß sie sich davon eine Lehre nehmen sollten – behüte!«
»Und Madam, wie geldgeizig sind die Tölpel nicht geworden!« sagte Mr. Touchwood. »Ich erinnere mich der Zeit, wo ein Schottländer es verachtete, einen Schilling anzunehmen, den er nicht wirklich verdient hatte, und doch eben so bereitwillig zur Hülfe war, als ein Araber in der Wüste. – Noch neuerlich beim Reiten ließ ich nur meinen Stock fallen; ein Bursche, der am Gehege arbeitete, machte vielleicht drei Schritte, um ihn mir aufzuheben – ich dankte ihm, und der Kerl warf den Hut auf den Kopf und rief: mein Dank könne zum Teufel fahren, wenn weiter nichts dabei wäre. – St. Giles hätte nicht kräftiger einen Menschen verwünschen können.«
»Ja, ja, das mag wohl so sein, Sir, wie Sie es sagen,« versetzte der Bankier; »freilich, Gut macht Muth, und Muth gibt Uebermuth! Aber des Landes größerer Wohlstand ist nicht abzuläugnen, und der Wohlstand, das wissen Sie –«
»Ich weiß recht gut, der Wohlstand gibt Flügel!« entgegnete der cynische Fremde; »aber ich bin nicht einmal ganz überzeugt, daß wir ihn jetzt besitzen. Sie stellen freilich prunkende Gebäude, landwirthschaftliche Cultur prahlend hier zur Schau, aber die Aktie ist nicht das Kapital selbst, so wenig, wie das Fett eines wohlgenährten Mannes seine Kraft oder Gesundheit verbirgt.«
»In der That, Mr. Touchwood, wenn Sie eine große Reihe von Gutsbesitzern, die in allem Ernste wie wohlhabende Edelleute leben, und Pächter, die einen bessern Haushalt führen, als sonst die Lairds, und dabei Pfingsten und Martini so ruhig erwarten, wie ich mein Frühstück – wenn Sie dieß Alles nicht als Zeichen des Wohlstandes betrachten, so weiß ich nicht, wo ich ihn auffinden sollte!«
»Es sind Zeichen der Thorheit, Sir,« erwiederte Touchwood; der Thorheit, der Armuth, die gern reich erscheinen möchte; und wie sie eigentlich zu diesen Mitteln gelangen, auf die sie sich so viel einbilden, das können Sie, der Sie Bankier sind, mir vielleicht besser sagen, als ich es zu errathen vermag.«
»Freilich, Mr. Touchwood, muß hin und wieder wohl ein Wechsel, ein Bankzettel discontirt werden; aber die Menschen müssen sich unter einander aushelfen, sonst würde Alles in's Stocken gerathen. – Gegenseitiger Beistand ist das Fett, welches die Räder desto besser in den Gang setzt.«
»Ei, am Ende werdet Ihr sie noch zum Teufel hinabrollen!« antwortete Touchwood. »Ich verließ Euch, als Ihr Euch von einer Schwindel-Bank zum Narren machen ließet, jetzt, glaube ich, ist das ganze Land selbst zur Schwindel-Bank geworden! – Und wer wird am Ende den Tanz bezahlen? – Ich will mir wenig mehr damit zu schaffen machen. – Ein wahrhaft babylonischer Thurmbau, der einem Manne den Kopf rein verdrehen muß, der sein Leben in Gesellschaft von Leuten zubrachte, die das Sitzen dem unruhigen Umherlaufen vorziehen, das Schweigen mehr als das Reden lieben, nur essen, wann sie hungrig, trinken, wann sie durstig sind, nie ohne Grund lachen, nie ohne Ursache reden. – Aber hier ist nichts als ein ewiges Rennen, Stürzen, Treiben – Leichtfertigkeit, Lappalien, Gehaltlosigkeit – kein Ernst – keine Ausdauer – kein Charakter!«
»Ich will Leib und Seele wetten,« sagte Dame Dods, ihren Freund Mr. Bindloose anblickend, »daß der Herr da unten am Spaa-Brunnen war.«
»Spaa nennen Sie es? – Wenn Sie jene neue Niederlassung zu St. Ronans meinen, das ist der wahre Hauptquell der Narrheit und Ausgelassenheit! – Ein wahres Babel in Hinsicht des Lärmens, und recht eigentlich ein Sitz des Unsinns!«
Entzückt über das unrühmliche Urtheil, welches hier über ihre modische Nebenbuhler gefällt ward, und höchst begierig, ihre Achtung dem scharfsinnigen Fremden, der es aussprach, zu bezeigen, rief Mistreß Dods aus:
»Sir, Sir, wollen Sie mir das Vergnügen erlauben, Ihnen eine Tasse Thee einzuschenken?« Und damit bemächtigte sie sich dieses Amtes, welches bisher Herr Bindloose selbst verwaltete. Als der Fremde ihre Höflichkeit mit der dankbaren Anerkennung annahm, welche Leute, die selbst gern viel sprechen, gewöhnlich einem willigen Zuhörer schenken, fuhr sie fort: »Ich hoffe, Sir, er ist nach Ihrem Geschmacke?«
»Er ist so gut, als wir es hier nur irgend fordern können,« entgegnete Mr. Touchwood. »Nicht ganz so, wie ich ihn wohl schon zu Canton trank – aber das himmlische Reich sendet nicht seinen besten Thee nach der Straße Leadenhall, noch wird aus der Leadenhall-Straße die beste Waare nach Marchtown verschickt.«
»Das mag allerdings wahr sein, Sir!« entgegnete die Dame; »aber dafür möchte ich mich wohl verbürgen, daß Mr. Bindloose's Thee viel besser ist, als der in dem Spaa-Brunnen da unten.«
»Thee, Madam? – Ich habe keinen dort gesehen! Eschen-Blätter und Schlehdorn wurden in gemalten Büchsen herbeigebracht, von gepuderten Affen in Livree zubereitet, und von denen, die Lust dazu hatten, unter dem Geplapper der Papageien und dem Geschrei der jungen albernen Dirnen herunter getrunken. Ich sehnte mich in die Tage des Zuschauers zurück, wo ich meine Zahlung entrichten und ohne weitere Umstände mich hätte entfernen können. Aber heut zu Tage – da ward dieses köstliche Gebräu von einer der halb tollen Zierliesen dort in der Form eines Festes gespendet, und man plagte uns mit allen dabei üblichen Feierlichkeiten, um uns eine elende Muschelschale auszulecken zu geben.«
»Gut, Sir, Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß wenn ich so glücklich gewesen wäre, Sie in dem Gasthofe zur Teufelsfalle zu bedienen, dem meine Angehörigen seit zwei Generationen vorstanden, so kann ich freilich nicht behaupten, daß Sie solchen Thee bekommen hätten, wie Sie ihn da, wo er wächst, gewohnt gewesen sind, aber den besten, den ich besäße, würde ich einem Manne wie Sie gegeben haben, ohne mehr als sechs Pfennige dafür zu begehren, wie ich es stets gethan, und mein Vater vor mir auch zu thun pflegte.«
»Ich wünschte, es wäre mir bekannt gewesen, daß das Wirthshaus noch erhalten ist, Madam,« erwiederte der Reisende, »ich wäre bestimmt Ihr Gast geworden, und hätte mir alle Morgen das Wasser herauf holen lassen. – Der Arzt besteht darauf, ich soll Cheltenham oder etwas dem Aehnliches gebrauchen – obwohl ich – hol' mich dieser und jener – wahrhaftig glaube, die Herren wollen nur ihre eigene Unwissenheit mit diesen Brunnenkuren verstecken. Da dachte ich, dieß Spaa hier würde mindestens das kleinere Uebel sein; aber da bin ich schön angeführt worden – man könnte sich ungefähr eben so ruhig in dem Innern einer Glocke befinden. Ich halte den jungen St. Ronans für wahnsinnig, solch' einen Sitz des Unsinns auf seines Vaters uraltem Eigenthum gegründet zu haben.«
»Kennen Sie den jetzigen St. Ronans?« fragte Dame Meg.
»Nur dem Namen nach,« entgegnete Mr. Touchwood, »aber ich hörte von der Familie, und ich glaube, ich habe von ihnen in Schottlands Geschichte gelesen. Es thut mir leid, daß ich höre, wie sehr sie gegen ehemals herabgekommen sind. Es scheint auch, als schlüge dieser junge Mann eben nicht den richtigsten Weg zur Verbesserung seiner Angelegenheiten ein, da er seine Zeit mit Spielern und ihres Gleichen vergeudet.«
»Ich würde mich sehr betrüben, wenn dem wirklich so wäre,« sagte die ehrliche Mistreß Dods, deren angeerbte Ehrfurcht für diese Familie sie immer abhielt, in irgend einen schmähenden Tadel des jungen Lairds einzustimmen. – »Meine Vorältern haben freundliche Gutthat von den seinigen empfangen, es würde mir schlecht geziemen, irgend etwas von ihm zu sagen, welches von seines Vaters Sohn nicht gesprochen werden sollte.«
Mr. Bindloose hatte nicht gleiche Gründe, seine Meinung zurückzuhalten, und erklärte daher Mowbray für einen gedankenlosen Verschwender sowohl seines eigenen als des Vermögens Anderer. »Ich habe wohl Gründe, dieß zu behaupten,« sagte er, »da ich zwei seiner Wechsel, jeden von hundert Pfund, selbst discontirt habe, wahrlich hauptsächlich aus Ehrfurcht und Anhänglichkeit für seine Familie, – und er so wenig daran denkt, sie einzulösen, als es ihm einfallen wird, die Nationalschuld zu bezahlen. – Und doch hat er hier alle Buden eben jetzt ausgeplündert, um den vornehmen Brunnengästen von da unten ein Fest zu geben, und die Kaufleute müssen mit seiner Unterschrift für ihre Lieferungen sich einstweilen beruhigen. Aber mag seine Wechsel annehmen, wer dazu Lust hat! – Ich weiß Jemand, der nie einen Pfifferling mehr auf ein Papier vorschießen wird, welches auf John Mowbray lautet, oder von ihm unterschrieben ist. Es thäte ihm nöthiger, seine alten Schulden abzutragen, als neue zu machen, um Narren und Schmeichler zu füttern.«
»Ich vermuthe, er wird wahrscheinlich seine Vorbereitungen noch dazu nutzlos treffen!« sagte Mr. Touchwood; »denn das Fest ist aufgeschoben worden, weil Miß Mowbray erkrankt ist.«
»Ach, das arme Ding!« rief Meg. »Schon seit längerer Zeit ist ihre Gesundheit sehr schwankend.«
Bedeutend seine Stirn berührend, sagte der Reisende: »Man sagte mir noch etwas Schlimmeres von ihr.«
»Gott allein mag es wissen!« entgegnete Meg Dods. »Ich glaube, es sitzt ihr mehr im Herzen als im Kopf. Das arme Ding wird unruhig hin- und hergetrieben, bald hinunter nach dem Brunnen, bald wieder hinweg, und zu Hause weder Ruhe noch Gesellschaft; und wenn Alles so wild und toll den Menschen hetzt – kein Wunder, wenn sie dann etwas verstört wird.«
»Nun, sie soll eben jetzt schlimmer sein, als sie es war, sagt man,« erwiederte Touchwood, »und das hat den Aufschub des Festes in Shaw-Castle veranlaßt. Ueberdem, da jetzt der junge Lord nach dem Gesundbrunnen gekommen ist, so wird man ohne Zweifel ihre Wiederherstellung abwarten.«
»Ein Lord!« rief Dame Dods aus, »ein Lord, der nach dem Gesundbrunnen gekommen ist? – Nun wird gar kein Haltens, noch Bleibens mit ihnen sein! – je toller, je besser! – ein Lord! der Himmel behüte uns! – ein Lord im Hôtel! – Mr. Touchwood, ich behaupte, er hat nur durch sein Amt den Lordstitel!«
»Nein, meine gute Dame, das ist nicht der Fall; – er ist ein englischer Lord, und wie man zu sagen pflegt, ein Lord des Parlaments. – Doch wollen einige Leute behaupten, es sei in seinem Titel ein kleiner Makel vorhanden.«
»O dafür will ich gut sagen; – ein Dutzend Makel und Gebrechen!« rief Meg mit höchster Lebendigkeit, denn es war ihr gänzlich unerträglich, diese Vermehrung des Ruhms jener nebenbuhlerischen Niederlassung, welchen ihr die Gegenwart eines so vornehmen Edelmannes ertheilen konnte, mit Gelassenheit zu dulden. »Ich sage gut dafür, er wird sich als ein landläuferischer Lord bewähren, der ihnen zur Last fallen wird, und den sie am Ende gern wohlfeil laufen lassen möchten. – Und er wird auch wahrscheinlich ohne Noth hingekommen sein, um dann ohne Zweifel bald seine Gesundheit wieder hergestellt zu preisen, und den Ruhm des Spaa zu vermehren.«
»In der That, Madam, die Krankheit, an welcher er jetzt eben leidet, wird der Spaa schwerlich heilen. – Er ward von einem Pistolenschusse in der Schulter verwundet – wahrscheinlich der Versuch eines räuberischen Ueberfalls. – Das ist eine ihrer großen Verbesserungen – zu meiner Zeit ereignete sich so etwas nie in Schottland; – man würde eher erwartet haben, einem Phönix als einem Straßenräuber zu begegnen.«
»Und wo ereignete sich dieß, Sir, wenn Sie mir gütigst es mittheilen wollen?« fragte der Rechtsgelehrte.
»In der Nähe des alten Dorfes, wenn man mich recht berichtete, am letztvergangenen Mittwoch.«
»Ich denke, dieß erklärt Ihnen Ihre beiden Schüsse, Mistreß Dods,« sagte Mr. Bindloose. »Am Mittwoch hörte sie Ihr Stallknecht – gewiß war das dieser Angriff des Lords.«
»Kann wohl sein, kann auch nicht sein!« entgegnete Mistreß Dods; »aber ich muß die ganze Geschichte sehr klar sehen, bevor ich meine Meinung fahren lasse!« Und wieder ganz zu dem Gegenstand zurückkehrend, von welchem Herrn Touchwoods anziehende Unterredung auf einige Augenblicke ihre Gedanken abgelenkt hatte, fügte sie hinzu: »Sie wünsche sehr zu wissen, ob Mr. Touchwood etwas in Betreff Herrn Tyrrels gehört habe.«
»Wenn Sie die Person meinen, von welcher dieß Papier spricht,« sagte der Fremde, ein gedrucktes Blatt aus der Tasche nehmend, »ich hörte von wenig andern Dingen reden. – Der ganze Ort wiederhallte nur von ihm, bis mir der Name Tyrrel so zum Ekel ward, als einst dem William Rufus. Irgend alberne Händel, in welche er verwickelt war, und die er nicht so ausgefochten hatte, als er nach ihrer Weisheit es sollte, waren der Hauptgrund des Tadels über ihn. Das ist wieder eine Thorheit, die hier Wurzel geschlagen hat. – Früherhin da mochte es sich wohl ereignen, daß ein paar alte stolze Lairds, oder jüngere Söhne altadeliger Familien, nach einem Streit im ernsten Zweikampf, nach der Sitte ihrer alten gothischen Vorältern, zusammentrafen. – Aber Leute, die keine Groß- und Aelterväter hatten, träumten nicht einmal von ähnlichen Thorheiten. – Und diese Leute hier klagen einen jämmerlichen Leinwand-Bepinseler, denn das, hörte ich, war dieses Helden Beschäftigung, ihn klagen sie an, als wäre er ein dienstthuender Offizier, der die Tapferkeit zu seinem Handwerk erwählt habe; und dem die Ehre rauben zugleich sein Brod entziehen heißt! – Ha ha ha, es mahnt uns wahrhaftig an Don Quichote, der seinen Nachbar, Samson Carrasco, für einen irrenden Ritter hielt.«
Die Durchsicht dieses Blattes, welches jene schon dem Leser bekannte Ankündigung und scharfe Rüge des Betragens Tyrrels bei seinem Ausbleiben am verabredeten Ort enthielt, veranlaßte Herrn Bindloose, der Mistreß Dods, mit so geringem Frohlocken über sein dadurch bewährtes besseres Einsehen, als jetzt zu unterdrücken die menschliche Kraft ihm nur gestattete, zu sagen: »Sie sehen nun, Mistreß Dods, daß ich ganz recht hatte, und daß Sie auf der Welt keinen Nutzen von Ihrer Anstrengung, eine so große Reise zu unternehmen, haben konnten. Der junge Mensch hat sich lieber aus dem Staube gemacht, als daß er Sir Bingo Stand gehalten hätte! – Und wahrhaftig ich meine, er war der Klügste von allen Beiden. – Sehen Sie, da können Sie es gedruckt lesen!«
»Sie können trotz dem allen im Irrthum sein, Mr. Bindloose; und so klug Sie sein mögen, will ich das Ding doch noch genauer untersucht haben.«
Dieses führte zu einer Erneuerung des vorhergegangenen Streites über Tyrrels wahrscheinliches Schicksal, welches allmählich bei dem Fremden einigen Antheil für die Sache erregte. Endlich, da Mistreß Dods von dem erfahrenen Rechtsgelehrten keine Unterstützung des möglichen Falles, den sie aufgestellt hatte, fand, erhob sie sich ziemlich unmuthig, das Anspannen zu befehlen. Aber so sehr sie Gebieterin in ihren eigenen vier Pfählen war, fühlte sie hier doch die Unzulänglichkeit ihrer Macht; denn ihr buckliger Postknecht, der in seinem Departement eben so unbeschränkt herrschte als sie, erklärte, daß die Pferde erst nach zwei Stunden zur Rückkehr tüchtig sein würden. Die gute Frau war also gezwungen zu harren bis ihm die Abfahrt belieben würde, und beklagte bitterlich allen Schaden, den ein Gasthaus unbedingt durch Abwesenheit der Gebieter erdulden müsse, und sah schon im Geiste eine lange Liste zerschmetterten Geschirrs, unrichtiger Rechnungen, schlecht aufgeräumter Zimmer und andrer Unannehmlichkeiten ihrer bei der Rückkehr harrend. Mr. Bindloose, der eifrig die Achtung seiner guten Freundin und Clientin wieder zu erhalten strebte, welche er einigermaßen durch seinen Widerspruch bei einem ihr so am Herzen liegenden Gegenstand verwirkt hatte, hütete sich wohl, ihr den unangenehmen, wenn auch unwiderlegbaren Trostgrund aufzustellen, daß ein unbesuchtes Gasthaus selten den Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist, die sie befürchtete. – Im Gegentheil, er stimmte sehr herzlich in ihre Klagen ein, und ging endlich gar so weit zu äußern, daß wenn, wie es ihm nach seiner Kleidung scheinen wollte, Mr. Touchwood nach Marchtown mit Post gekommen wäre, sie vielleicht die Annehmlichkeit haben könnte, auf diese Art schneller nach St. Ronans zurückzukehren.
»Ich bin nicht gewiß, ob ich nicht vielleicht selbst dahin zurückkehre,« sagte Mr. Touchwood. »In diesem Falle also werde ich sehr gern die gute Dame zurückbringen, und einige Tage in ihrem Hause verweilen, wenn sie mich aufnehmen will. – Ich achte eine Frau, Madam, die wie Sie das Geschäft ihres Vaters fortsetzt. – Ich war in Ländern, wo die Leute vom Vater auf Sohn, Tausende von Jahren hindurch, das gleiche Gewerbe trieben. – Und das ist eine Mode, wie ich sie liebe – die Festigkeit und Genügsamkeit des Sinnes beweiset.«
Mistreß Dods versicherte mit großer Freude, sie wolle sich bestreben, Alles nach seinen Wünschen einzurichten, und während ihr guter Freund sich über die gemüthlichen Annehmlichkeiten preisend verbreitete, welche ihr Gast in der Teufelsfalle erwarten könne, ergötzte sie sich im schweigenden Entzücken an der Aussicht eines nahen glänzenden Triumphs, wenn sie ihrem prangenden, berühmten Nebenbuhler am Gesundbrunnen einen achtbaren, vortheilbringenden Gast entführte.
»Ich werde sehr leicht zufrieden zu stellen sein, Madam,« sagte der Fremde. »Zu weite und häufige Reisen unternahm ich, um viel Forderungen zu machen. – Eine spanische Venta, ein persischer Khan, ein türkisches Karavanserai – das ist mir alles gleich – nur da ich keinen Diener habe – denn wirklich kann man sich mit solchen müßigen Lungerern nicht plagen – so müssen Sie die Güte haben, des Morgens mir das Wasser des Brunnens herauf holen zu lassen, wenn ich nicht selbst hingehen kann. Ich finde wirklich, daß es mir wohlthuend ist.«
Mistreß Dods versprach bereitwillig diese vernünftige Forderung zu erfüllen, artigerweise einräumend, »daß allerdings in dem Wasser selbst eben nichts Böses enthalten sein möchte, ja daß es vielleicht einige gute Wirkung hervorbringen könnte, – es sei ja nur der neue Gasthof und die widerwärtigen Schwätzer, welche man die Gesellschaft nenne, die sie nicht leiden könne. Unter dem Volke gehe zwar die lustige Sage um, daß St. Ronans den Teufel in die Quelle untertauchte, woher ihr der Schwefel-Geschmack eigenthümlich geblieben sei, aber sie wollte behaupten, daß das bloßer Unsinn wäre, denn sie wüßte es von dem, der es sehr wohl verstände – nämlich von dem Prediger selbst, daß St. Ronans keiner der abgöttisch verehrten römischen Heiligen wäre, sondern ein Chaldäer, ( Culdeer Culdeer werden in den Noten zum Ossian die ersten Christen genannt. A. d. Ü. wollte sie wahrscheinlich sagen) und das sei doch etwas ganz anders.«
Nachdem Alles so zu der Zufriedenheit beider Theile angeordnet war, wurde die Postchaise beordert, und erschien sehr bald vor Herrn Bindlooses Thüre. Nicht ohne eine geheime Empfindung des Widerwillens bestieg die ehrliche Meg den Fußtritt eines Wagens, an dessen Thüre gemalt stand: Gasthof und Hôtel zum Fuchse am St. Ronans-Brunnen; aber es war zu spät, solchem Gewissenszweifel Gehör zu geben.
»Ich hätte nie geglaubt, daß ich in einen ihrer stoßenden Miethkasten einsteigen würde,« sagte sie, indem sie sich niedersetzte; »und was das nun für ein Ding ist – kaum Platz darin für zwei Personen. – Gut, ich weiß, Mr. Touchwood, als ich noch Postwagen hielt, da konnten in jeder unserer beiden Chaisen vier große Personen und noch eben so viel Kinder sitzen. Nun ich hoffe, der alberne Mensch, der Anthony, wird mit den Pferden und meinem Whisky zurückkommen, sobald sie nur ihr Futter aufgefressen haben. – Sir, haben Sie auch gewiß so hinreichend Platz? – Ich sollte mich eigentlich hier nicht noch eindrängen.«
»O, Madam,« erwiederte der Orientale, »ich bin an jede Art von Reisegelegenheit gewöhnt. Eine Sänfte, ein Karren, ein Palankin oder eine Postchaise sind mir ganz gleich. – Ich glaube, ich würde mich mit der Königin Mab in einer Nußschale behelfen können, wenn ich dadurch nur vorwärts käme. – Bitte sehr um Verzeihung, aber wenn Sie nichts dagegen haben, so möchte ich wohl meine Cigarre anzünden; etc.«