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Zehntes Kapitel.

Kaum trat der Unterprior in Begleitung seiner fröhlichen Brüder ins Refektorium; so hefteten seine Blicke sich auf einen Mann, in dem er sofort Christie von Clinthill erkannte. Er saß in Fesseln und unter Bewachung in der Ecke am Kamin, und aus seinen Zügen sprach der Trotz und finstre Starrsinn, denen so verhärtete Bösewichter ihre Strafe auf sich nehmen. Als der Mann aber den Unterprior erblickte, verzog sich sein Gesicht zum Ausdruck des wildesten Entsetzens und er rief:

»Der Teufel, der Teufel selber macht die Toten wieder lebendig!«

»Nein!« antwortete der Mönch, »sage Du lieber, unsre gebenedeite Frau macht die Anschläge der Gottlosen wider ihre gläubigen Diener zu nichte, denn unser treuer Bruder lebt und atmet noch.«

»Lebt und atmet noch!« rief der Bösewicht, sprang auf und nahte sich wankend dem Unterprior, soweit es ihm bei seinen Fesseln möglich war. – »Nein! keinem Eichenspeer und keiner Stahlspitze will ich mehr traun. Es stimmt!« setzte er hinzu, indem er den Unterprior verdutzt musterte. »Kein Fleck und keine Wunde – nicht einmal ein Ritz in der Kutte!«

»Und wer sollte mich denn verwundet haben?« fragte Vater Eustachius.

»Hier, dieser gute Speer, der noch nie zuvor sein Ziel verfehlt hat,« antwortete Christie von Clinthill.

»Der Himmel möge Dir verzeihen, wenn Du diese Absicht gehabt hast,« sagte der Unterprior. »Hattest Du vor, einen Diener des Altars zu erschlagen?«

»Warum denn nicht?« entgegnete Christie, »die Leute von Fife sagen: Und wenn Euer ganzes Gezücht umgebracht würde, bei Flodden hätten noch mehr dran glauben müssen.«

»Bube! bist Du auch ein Ketzer obendrein, außer daß Du ein Mörder bist?«

»Nein, beim heiligen Aegidius, das bin ich nicht,« antwortete der Eisenwams. »Wohl habe ich den Laird von Monnance gern reden hören, daß Ihr alle Schelme und Betrüger wäret, aber als er verlangte, ich sollte einem Allwissenden, einem Bibelleser, wie sie die Kerle nennen, zuhören, da habe ich mich ebenso wenig beschwatzen lassen, wie ein wildes Roß, wenn es eben einen Reiter abgeworfen hat, sich gleich darauf von einem andern besteigen läßt –«

»So hat er doch noch ein Gutes,« sagte der Sakristan zu dem Abt, der in diesem Augenblick hereinkam, »er hat sich geweigert, einem ketzerischen Prediger zuzuhören.«

»Um so besser für ihn, wenn er im Jenseits sein wird,« antwortete der Abt. »Mein Sohn, bereite Dich zum Tode vor. Wir überliefern Dich dem weltlichen Arme unsers Klostervogts, auf daß er Dich morgen bei Tagesanbruch auf dem Galgenberge hinrichte.«

»Amen!« sagte der Räuber. »Früher oder später mußte es mit mir ein solches Ende nehmen – und es ist mir einerlei, ob ich den Raben beim Liebfrauenkloster oder bei Carlisle zum Fraße diene.«

»Mit Verlaub, Euer Hochwürden,« sagte der Unterprior, »ich möchte um einen Augenblick Geduld bitten, da ich erst untersuchen möchte –«

»Wie?« rief der Abt, der ihn erst jetzt erblickte. »Unser lieber Bruder! So ist er uns wieder geschenkt, da wir ihn schon zu den Toten zählten! – Nein, beuge nicht das Knie vor einem Sünder, wie ich einer bin. Steh auf – Du hast meinen Segen! – Als dieser Bösewicht, von den Furien seines schuldbeladnen Gewissens getrieben, ans Tor heransprengte und rief, er habe Dich ermordet, da glaubte ich, der Pfeiler unsers Chorgangs sei zusammengebrochen. Wir wollen verhüten, daß hinfort ein so kostbares Leben gefährdet sei in diesen abenteuerlichen Grenzlanden, wir wollen nicht länger einen vom Himmel Geliebten und Beschützten in einer so niedrigen Stellung belassen, wie er sie als Unterprior bekleidet, – wir wollen uns beim Primas um Deine schleunige Versetzung und Beförderung verwenden.«

»Ei, nicht doch!« unterbrach ihn der Unterprior. »Laßt mich zuvor hören, ob dieser Kriegsknecht wirklich behauptet, er habe mich getötet?«

»Im vollen Galopp habe er Dich durchbohrt mit seinem Speer,« versetzte der Abt. »Als Du aber, zu Tode getroffen, vom Maultier sankst, da sei ihm, wie er behauptet, unsre hochgebenedeite Beschützerin erschienen.«

»Fällt mir gar nicht ein, solches Zeug zu behaupten,« warf der Gefangne ein, »ich habe bloß gesagt, eine weißgekleidete Frau hätte mich gestört, als ich gerade dabei war, die Kutte dieses Priesters zu untersuchen, weil die in der Regel sehr fett gespickt sind. Das Frauenzimmer hatte ein Binsenrohr in der Hand und hat mich mit einem einzigen Streich mit diesem Binsenrohr so glatt vom Gaule herabgeworfen, wie man ein vierjähriges Göhr mit einer Eisenkeule zerschlagen könnte, und dabei sang sie mir vor wie ein echter Singpopanz, und so einer war sie auch:

Danks dem Schmuck auf Deinem Kopf,
Dem Stechpalmzweig!
Sonst erschlüg Dich armen Tropf
Ein Binsenstreich!

Ich aber raffte mich auf, stieg zu Pferde und ritt hierher wie vom Teufel besessen, in der wackern Absicht, mich hängen zu lassen!«

»Du siehst, verehrter Bruder,« sagte der Abt zum Unterprior, »wie hoch Du bei unsrer hochgebenedeiten Schutzfrau in Gunst stehst, denn sie wacht selber über Dir auf Schritt und Tritt. Seit unser Stift gegründet ist, hat sie noch niemand so sichtbarliche Gnade zuteil werden lassen. Wir sind nicht würdig, geistliche Oberherrschaft über Dir zu haben, darum bereite Dich auf Deine schleunige Versetzung nach Aberbrothock vor.«

»Herr und Vater!« sagte der Unterprior, »Deine Worte verwunden mich im Innersten der Seele. Unter dem Siegel der Beichte will ich Euch jetzt bekennen, warum ich mich weit eher von einem Geiste ganz andrer Art besessen wähne, als daß ich mich für den Schützling himmlischer Mächte halte. Vorerst aber laßt mich ein paar Fragen an diesen unglückseligen Menschen stellen.«

Darauf wandte er sich an den Eisenwams.

»Aus welchem Grunde hast Du die Absicht gehegt, einen Mann zu töten, der Dir noch nie ein Leid angetan hat?« fragte er ihn.

»Aber Du hast mir gedroht,« erwiderte der Räuber, »und ein Narr, wer sich zweimal drohen läßt! Denke nur daran, was Du vom Primas und vom schwarzen Teich in Jeddart gesagt hast? Dachtest Du, ich würde warten, bis ich in den Sack gesteckt oder an den Galgen geknüpft worden wäre?«

»Also nur wegen des einen Wortes, das in einem Augenblick des Unmuts gesprochen wurde und schon wieder vergessen war, ehe es verklang?« fragte Vater Eustachius.

»Ja, das war der Grund,« antwortete Christie von Clinthill. »Und weil mir Dein goldnes Kruzifix gefallen hat.«

»Gerechter Himmel – und ist Dir denn über dem gleißenden Metall, über der schimmernden Erde jeder Gedanke daran, was es vorstellt, abhanden gekommen? – Vater Abt, als besondre Gnade erbitte ich es, daß Ihr diesen Verbrecher mir überliefert.«

»Eurem Gericht, Bruder,« erwiderte der Abt, »doch nicht Eurer Barmherzigkeit. Bedenkt, wir stehen nicht alle gleich hoch in der Gunst unsrer gebenedeiten Frau; auch ist nicht zu glauben, daß jede Kutte sich als eiserne Rüstung erweist, wenn ein Speer dagegen fährt.«

»Eben deswegen möchte ich es vermeiden,« erwiderte der Unterprior, »daß wegen meiner unwürdigen Person sich die ganze Brüderschaft mit Julian von Avenel, dem Gebieter dieses Menschen, entzweite. Mit Verlaub des Herrn Abtes wünschte ich daher, daß diesem Manne die Fesseln abgenommen würden und man ihn seines Weges ziehen ließe. Und hier, mein Freund,« setzte der Unterprior hinzu, indem er ihm das goldne Kruzifix gab, »da hast Du das Kleinod, das Dich zu einer Untat verlocken wollte. Schau Dirs ordentlich an, und möge es Dich zu andern und bessern Gedanken leiten, als von einem bloßen Stücklein Goldes ausgehen können. Es war ein Andenken, das mir ein geliebter Freund gab; aber es kann mir keinen bessern Dienst leisten, als wenn es dem Himmel eine verlorne Seele zuführt.«

Der Räuber, der jetzt von den Fesseln befreit war, starrte von dem Prior auf das Kruzifix.

»Beim heiligen Aegidius!« murmelte er. »Ihr seid mir ein Rätsel! Dafür, daß ich die Lanze gegen Euch richtete, gebt Ihr mir Gold – ei, was würdet Ihr mir wohl dafür geben, wenn ich damit einem Ketzer den Garaus machte?«

»Die Kirche will erst durch geistliche Strafen versuchen,« erwiderte der Unterprior, »ob sie verlorne Schafe wieder in die Hürde bringen kann, ehe sie zum Schwerte des heilgen Petrus greift.«

»Das heißt aber,« versetzte Christie, »der Primas empfiehlt selber, neben den Strafreden auch ein bißchen zu verbrennen und mit dem Schwerte zu strafen. Aber lebt wohl, ich verdanke Euch mein Leben, und ich werde allzeit Euer Schuldner sein.«

Pfeifend verließ er das Gemach. Der Abt entließ die Brüder, aber der Unterprior blieb noch zurück, und da der Abt wollte, fiel er vor ihm auf die Kniee und bat ihn, daß er ihm unter dem Siegel der Beichte anvertrauen dürfe, was ihm an diesem Tage widerfahren sei.

Seine Hochwürden gähnten und hätten gar zu gern unter dem Vorwande der Ermüdung die Sache verschoben, aber vor Vater Eustachius wollte er nicht gern im Lichte der Gleichgültigkeit erscheinen, er nahm daher die Beichte entgegen, in der Vater Eustachius getreuen Bericht über alle Vorfälle dieses Tages abstattete.

Als der Abt ihn fragte, ob er sich vielleicht einer geheimen Sünde bewußt sei, durch die er sich auf eine Zeitlang den bösen Geistern in die Hände gegeben habe, gab der Unterprior unumwunden zu, er glaube, sein hartes, unbrüderliches Urteil über Bruder Philipps Erzählung habe ihm diese Strafe eingetragen.

Für den Abt war es gleichzeitig ein süßer Stolz, eine erfreuliche Bekräftigung seines Urteils, als er den Unterprior sich selber jener Fehler zeihen hörte, die er ihm im stillen vorwarf. Aber das Bewußtsein, daß er das Recht hatte, stimmte ihn seiner Natur gemäß nur gutmütiger, als er zuvor schon gewesen war, und er dachte nicht daran, hart mit Vater Eustachius zu verfahren. In der Ermahnung, die er ihm zuteil werden ließ, kam seine geschmeichelte Eitelkeit und seine Besorgnis, dem Unterprior wehe zu tun, in etwas komischer Form zum Ausdruck.

»Mein Bruder,« sprach er, »bei Eurer einsichtsvollen Beobachtung müßt Ihr wohl gemerkt haben, daß wir oft uns in unserm Urteil von Euch haben leiten lassen, selbst in solchen Angelegenheiten, die die Brüderschaft in erster Linie angingen. Es wäre uns aber nicht lieb, wenn Ihr daraus etwa schließen wolltet, wir hielten unsre Meinung für weniger richtig, oder uns selbst für weniger einsichtsvoll als unsre Brüder. Unsre Absicht dabei war nur, unsern jüngern Brüdern – und zu denen gehört Ihr ja selbst, liebwerter Bruder – den Mut einzuflößen, daß sie ihre Ansichten frei aussprechen. Wir behalten oft unsre Meinung für uns, um unsre jüngern Brüder, vor allem unsern teuern Bruder Unterprior, zu bewegen, ihr Urteil uns ohne Scheu bekannt zu geben. Diese Nachsicht unsrerseits mag Euch wohl dazu verleitet haben, lieber Bruder, Eure Einsicht und Fähigkeiten zu überschätzen, so daß Ihr schließlich, wie es nun klar vor uns liegt, den Neckereien und dem Spott der höllischen Geister verfallen seid. Aber wir selbst haben nicht recht getan, indem wir Euch zu sehr nachgegeben haben, und so müssen wir denn beide unsre Fehler wieder gut machen, Ihr, indem Ihr weniger Euren irdischen Wissenschaften und Fähigkeiten vertraut, ich, indem ich mich weniger vom Urteil eines Mannes, der dem Amt nach mir untergeben ist, leiten lasse. Nichtsdestoweniger möchten wir nicht den großen Vorteil missen, den wir schon aus Euerm weisen Rat gezogen haben und noch werden ziehen können. Wir wollen daher bei wichtigen Geschäften Euch im geheimen zu uns rufen, wir werden Euern Rat hören, und wenn er mit unsrer Meinung übereinstimmt, werden wir danach handeln und den Beschluß als von uns allein herrührend ausdrücklich bezeichnen. Auf diese Weise bewahren wir Euch, lieber Bruder, vor schädlichem Hochmut und uns vor etwaiger Herabsetzung im Ansehen unsrer Brüderschaft.«

Als strenger Katholik hatte zwar Vater Eustachius eine hohe Meinung von der Beichte, doch sah er sich fast versucht, einem Gefühle der Lächerlichkeit Raum zu geben, als sein Oberer in solcher albernen Pfiffigkeit ihm den kleinlichen Plan anvertraute, die Erfahrung und Klugheit des Unterpriors sich zu nutze zu machen und doch das ganze Verdienst für sich einzuheimsen. Aber sein Gewissen ließ ihm sogleich erkennen, daß der Abt recht hätte.

Es war zu merken, daß von diesem denkwürdigen Abend ab der würdige Abt weit milder und freundschaftlicher mit dem Unterprior umging, als er in jenen Tagen pflegte, da er in ihm ein fleckenloses, unfehlbares Wesen erblickte, dessen Weisheits- und Tugendkleid kein Loch hätte. Aber diese Gesinnung brachte er des öftern in einer Weise an den Tag, die einem Manne von dem feinen Selbstgefühl des Vaters Eustachius peinlich sein mußte: so erwähnte er seiner gegen die andern Brüder nie ohne den Beisatz: »Unser lieber Bruder Eustachius, der arme Mann!« auch mahnte er hin und wieder die jüngern Brüder vor den Schlingen des geistigen Stolzes und der Ruhmsucht, die der Satan gern den Gerechten lege, und dabei warf er immer Blicke auf den Unterprior, die diesen als einen solchen bezeichneten, der in diese Schlingen gefallen sei. Solcherlei Vorfälle erheischten von Vater Eustachius den ganzen Gehorsam eines Mönches, die disziplinarische Unterwerfung eines Weisen, die Duldsamkeit eines Christen – ohne diese Eigenschaften wäre es ihm vielleicht nicht möglich gewesen, die prahlerische Herablassung seines biedern, aber gar sehr einfältigen Vorgesetzten zu ertragen. Nun wünschte er selber, aus dem Kloster versetzt zu werden, und mischte sich fortan nicht mehr in die klösterlichen Angelegenheiten in jener selbstbewußten vorschreibenden Art, wie er vorher getan hatte.


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