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Ersteig' den Wartthurm dort, und sieh hinaus
Auf's Feld, wie's mit der Schlacht steht.
Ein Augenblick der Gefahr ist oft auch ein Augenblick offenherzlicher Liebe und Zuneigung. Wir werden der strengen Berathung unserer selbst durch den allgemeinen Aufruhr unserer Empfindungen entzogen, und verrathen die Tiefe und Stärke derjenigen, welche in ruhigern Augenblicken durch unsere Klugheit, wenn auch nicht unterdrückt, doch verborgen werden. Als sich Rebecca jetzt wieder an Ivanhoe's Seite befand, erstaunte sie über die Freude, die ihr dies machte, selbst in einem Augenblicke, wo Alles um sie her sich in Gefahr, wo nicht in Verzweiflung befand. Als sie seinen Puls fühlte, und sich nach seinem Befinden erkundigte, lag in ihrer Berührung und in dem Tone ihrer Stimme eine Sanftheit, welche einen zärtlichern Antheil verrieth, als sie sich wohl selbst hätte gestehen mögen. Ihre Stimme bebte, ihre Hand zitterte, und blos die kalte Frage Ivanhoe's: »Bist Du es, freundliches Mädchen?« brachte sie ganz zu sich selbst, und erinnerte sie, daß die Gefühle, die sie hegte, nicht wechselseitig waren und es nicht sein konnten. Ein Seufzer entschlüpfte ihr, aber er war kaum hörbar, und die Fragen, die sie an den Ritter über seinen Gesundheitszustand richtete, wurden mit dem Tone ruhiger Freundschaft ausgesprochen. Ivanhoe antwortete darauf, daß er sich recht gut und besser befinde, als er erwartet hätte. »Dank, theure Rebecca,« setzte er hinzu, »Dank für Deine hülfreiche Geschicklichkeit.«
»Er nennt mich theure Rebecca,« sagte das Mädchen zu sich selbst, »aber in dem kalten, liebeleeren Tone, der so übel zu dem Worte paßt. Sein Streitroß, sein Jagdhund sind ihm theurer als die verachtete Jüdin!«
»Ach!« fuhr Ivanhoe fort, »meine Seele, freundliches Mädchen, ist mehr von Angst gequält, als mein Körper von Schmerz. Aus den Reden der Leute, welche so eben noch meine Wärter waren, hörte ich, daß ich gefangen bin, und wenn ich der rauhen Stimme trauen darf, die sie zu einem militärischen Geschäfte abrief, so bin ich in dem Schlosse Front-de-Boeuf's. Ist dem so, wie wird das enden, oder wie kann ich Rowena und ihren Vater beschützen?«
»Er nennt den Juden und die Jüdin nicht,« sagte Rebecca zu sich selbst, »doch was können wir ihm auch sein? Und wie gerecht straft mich der Himmel, daß ich meine Gedanken bei ihm verweilen ließ!« Nach dieser kurzen Selbstanklage gab sie Ivanhoe die Auskunft, die sie geben konnte; allein sie beschränkte sich doch nur darauf, daß der Templer Bois-Guilbert und Front-de-Boeuf die Befehlshaber innerhalb des Schlosses wären, und daß es von außen belagert werde, doch wisse sie nicht von wem. Noch setzte sie hinzu, es befinde sich auch ein christlicher Priester im Schlosse, von dem sich vielleicht mehr erfahren lasse.
Ivanhoe bat sogleich Rebecca inständig, den Priester aufzusuchen, und ihm denselben wo möglich zuzuführen. Allein wir haben gesehen, wie sie an Cedric gerieth, und wie ihr Bemühen durch Urfried's Dazwischenkunft mißlang. Sie hatte nicht viel Muße darüber weiter nachzudenken, denn der Lärm der Zurüstungen zum Kampfe im Schlosse wurde jeden Augenblick stärker und betäubender. So schrecklich dies im Ganzen, und so furchtbar die Begebenheit war, der jener bedeutungsvoll vorausging, so mischte sich doch in Rebecca's Angst ein Gefühl der Erhabenheit, und sie recitirte für sich Stellen aus den heiligen Büchern, die sich darauf bezogen.
Ivanhoe glich bei diesen Reden einem Schlachtrosse, welches vor Ungeduld glüht, sich auch in den Kampf zu stürzen. »Könnte ich mich nur zu jenem Fenster schleppen,« sagte er, »daß ich dem Kampfe zusehen könnte! Oder hätte ich nur eine Streitaxt, um nur einen Streich zu unserer Befreiung zu thun. Aber umsonst! Umsonst! Ich bin kraft- und waffenlos!«
»Quäle Dich nicht selbst, edler Ritter,« versetzte Rebecca, »die Töne sind plötzlich verstummt, es ist wohl gar nicht zum Kampf gekommen!«
»Du kennst das nicht,« sagte Wilfred voll Ungeduld, »diese Todtenstille beweist blos, daß die Männer auf ihren Posten auf den Wällen sind, und jeden Augenblick den Angriff erwarten; was wir gehört haben, war nur das entfernte Murmeln des Sturmes, jetzt wird er in seiner ganzen Wuth ausbrechen. O, könnte ich nur jenes Fenster erreichen!«
»Du wirst Dir durch diesen Versuch selber schaden, edler Ritter,« versetzte seine Pflegerin. Als sie seine große Unruhe bemerkte, setzte sie endlich hinzu: »Ich will mich selbst an's Gitter stellen und Dir beschreiben, so viel ich kann, was draußen vorgeht.«
»Du darfst – Du sollst es nicht!« rief Ivanhoe, »jedes Gitter, jede Oeffnung wird den Bogenschützen zum Ziel dienen; irgend ein auf's ungewisse abgeschossener Pfeil« –
»Er soll mir willkommen sein,« sagte Rebecca leise für sich, indem sie mit festem Schritte die zwei oder drei Stufen hinaufstieg, die zu dem erwähnten Fenster führten.
»Rebecca, theure Rebecca!« rief Ivanhoe, »das ist kein Zeitvertreib für Mädchen – gib Dich nicht selbst der Verwundung und dem Tode preis, und mache mich nicht auf immer unglücklich durch das Bewußtsein, die Veranlassung dazu gegeben zu haben; decke Dich wenigstens mit einem alten Schilde und zeige Deine Person so wenig als möglich am Gitter.«
Mit bewundernswürdiger Schnelligkeit folgte sie Ivanhoe's Anweisungen, und benutzte den Schutz eines breiten Schildes, indem sie ihn gegen den untern Theil des Fensters stellte, so daß sie mit ziemlicher Sicherheit das, was außerhalb des Schlosses vorging, beobachten, und Ivanhoe von den Vorbereitungen benachrichtigen konnte, welche die Belagerer zum Sturme trafen.
»Der Saum des Waldes scheint ganz mit Bogenschützen eingefaßt zu sein,« begann sie, »obgleich bis jetzt nur wenige aus dem dunklen Schatten vorgerückt sind.«
»Unter welchem Banner?« fragte Ivanhoe.
»Ich kann kein Feldzeichen entdecken,« versetzte Rebecca.
»Seltsam,« murmelte der Ritter für sich, »zum Sturm auf ein solches Schloß anzurücken, ohne eine Fahne oder ein Banner zu entfalten. Siehst Du, wer diejenigen sind, welche als Anführer handeln?«
»Ein Ritter in schwarzer Rüstung zeichnet sich besonders aus, doch ist er vom Kopf bis zu den Füßen gewaffnet, und alle um ihn her scheinen mehr seiner Weisung zu folgen.«
»Welche Devise führt er auf seinem Schilde?«
»Etwas, was wie eine eiserne Stange aussieht, und ein blaues Vorlegeschloß auf schwarzem Felde.«
»Fesseln und ein Fesselschloß,« sagte Ivanhoe; »ich kenne Niemand, der dies als Schildzeichen führt, aber es könnte jetzt wohl mein eigenes sein. Kannst Du nicht das Motto erkennen?«
»Kaum die Devise in dieser weiten Entfernung; doch wenn die Sonne auf den Schild scheint, so zeigt sich das, was ich Euch gesagt habe.«
»Siehst Du keinen andern Führer?«
»Von hier kann ich keinen von Auszeichnung unterscheiden,« sagte Rebecca; »aber gewiß wird die andere Seite des Schlosses ebenfalls bestürmt. So eben scheinen sie vorrücken zu wollen. Gott Zions, schütze uns! Welch ein furchtbarer Anblick! Die Ersten tragen große, große Schilde und aus Brettern geformte Schutzdecken, die Andern folgen, den Bogen spannend, so wie sie herankommen. Jetzt erheben sie die Bogen! Gott Mosis! vergib den Wesen, die Du geschaffen hast!«
Hier wurde ihre Beschreibung plötzlich durch das Zeichen zum Sturme unterbrochen, welches auf der einen Seite durch das Blasen eines lautschallenden Hornes gegeben, und auf der andern durch die Fanfaren der normannischen Trompeten von den Wällen beantwortet wurde. Die Angreifenden riefen: »Der heilige Georg für das lustige England!« und die Normänner erwiederten: » En avant, De Bracy! Beau-seant! Beau-seant! – Front-de-Boeuf, à la recousse!«
»Und ich muß indeß hier verweilen, wie ein bettlägeriger Mönch!« rief Ivanhoe, »während andere Hände den Wurf thun, von dem meine Freiheit und mein Leben abhängt! Sieh noch einmal durchs Fenster, liebes Mädchen; doch nimm Dich in Acht, daß Dich kein Geschoß trifft; sieh noch einmal hinaus, und sage mir, ob sie wirklich zum Sturme schreiten. – Was siehst Du jetzt?« fragte der verwundete Ritter, als Rebecca ihre Stelle am Fenster wieder eingenommen hatte.
»Nichts, als eine Wolke von Pfeilen, so dicht, daß mein Blick sie kaum durchdringen und die Schützen bemerken kann.«
»Was können Bogen und Pfeile gegen steinerne Wälle ausrichten?« sagte Ivanhoe. »Doch was macht der Ritter mit dem Fesselschloß auf dem Schilde?«
»Ich sehe ihn nicht,« erwiederte Rebecca – »doch jetzt sehe ich ihn wieder! Er führt einen Trupp dicht unter die äußerste Umpfählung des Außenwerks. Sie reißen die Pfähle nieder, zerhauen die Barrieren mit ihren Aexten. Sein hoher schwarzer Federbusch wallt über dem Haufen, gleich dem Raben über dem Schlachtfelde. Sie haben eine Bresche in die Barrieren gemacht, sie dringen ein! Jetzt werden sie zurückgeworfen! Front-de-Boeuf führt die Vertheidiger – ich erkenne seine riesenhafte Gestalt in dem Gedränge. Sie stürmen auf die Oeffnung an! Sie fechten Mann gegen Mann! Gott Jakobs! es ist ein Kampf zweier Fluthen – zweier Meere, von entgegengesetzten Winden bewegt!«
Sie wandte ihr Gesicht vom Fenster ab, als vermöchte sie den Anblick eines so schrecklichen Schauspiels nicht länger zu ertragen.
»Sieh noch einmal hin, Rebecca,« sagte Ivanhoe, der die Ursache ihres Zurücktretens verkannte; »jetzt müssen die Bogenschützen aufgehört haben zu schießen; es ist jetzt weit weniger Gefahr.«
Rebecca blickte wieder hinaus, doch bald rief sie: »Heilige Propheten des Gesetzes! Front-de-Boeuf und der schwarze Ritter fechten Mann gegen Mann in der Bresche, bei dem lauten Zuruf ihrer Begleiter! O Himmel, nimm Dich der Sache der Unterdrückten und Gefangenen an!« Dann stieß sie einen lauten Schrei aus und rief: »Er fällt, er fällt!«
»Wer fällt?« fragte Ivanhoe, »bei der heiligen Jungfrau! Wer ist gefallen?«
»Der schwarze Ritter,« antwortete Rebecca mit matter Stimme; doch sogleich setzte sie mit freudigem Tone hinzu: »Nein, nein, – der Name des Herrn der Heerschaaren sei gepriesen! – er steht wieder aufrecht und ficht als wäre die Kraft von zwanzig Männern in seinem Arm. Sein Schwert ist gebrochen – er entreißt einem Bewaffneten seine Streitaxt – er setzt Front-de-Boeuf mit gewaltigen Schlägen zu! – Der Riese bebt, wankt wie die Eiche unter dem Beile des Holzhauers – er fällt – er fällt!«
»Front-de-Boeuf?« fragte Ivanhoe.
»Ja, Front-de-Boeuf,« entgegnete Rebecca; »seine Leute eilen zu seiner Rettung herbei, von dem stolzen Templer angeführt. Ihre vereinte Macht nöthigt die Streiter zur Ruhe – sie bringen Front-de-Boeuf in Sicherheit.«
»Haben die Stürmenden die Barrieren genommen?« fragte Ivanhoe.
»Das haben sie, das haben sie, und sie drängen nun die Belagerten hart auf dem äußern Walle. Einige legen Leitern an, einige schwärmen wie Bienen umher und versuchen auf den Schultern der Andern hinaufzuklimmen. Von oben rollen Steine, Baumstämme auf die Häupter der Stürmenden, aber so wie ein Verwundeter aus dem Gedränge getragen wird, stellen sich frische Leute an die Stelle der Fehlenden. Großer Gott! hast Du denn darum den Menschen nach Deinem Bilde geschaffen, daß er von den Händen seiner Brüder so grausam entstellt werden soll?«
»Jetzt ist es nicht Zeit an so etwas zu denken,« sagte Ivanhoe. »Wer weicht? Wer dringt vor?«
»Die Leitern sind umgeworfen,« versetzte Rebecca schaudernd, »die Krieger liegen darunter wie zertretenes Gewürme. Die Belagerten sind im Vortheil.«
»Heiliger Georg, kämpfe für uns!« sagte der Ritter. »Wie, weichen denn die falschen Bogenschützen?«
»Nein,« rief Rebecca, »sie kämpfen wie es ihnen geziemt. Der schwarze Ritter nähert sich der Pforte mit einer ungeheuren Streitaxt. Ihre donnernden Schläge übertäuben das Getöse der Schlacht. Steine und Balken werden auf den kühnen Kämpfer herabgestürzt; er achtet ihrer nicht mehr, als wenn es Distelköpfe oder Federn wären.«
»Beim heiligen Johann von Acre!« sagte Ivanhoe, indem er sich freudig auf seinem Lager emporrichtete, »ich dachte immer, nur ein Mann in England sei im Stande, solche Thaten auszuführen.«
»Die Pforte erbebt,« fuhr Rebecca fort, »sie bricht, sie wird gesplittert von seinen Schlägen. Sie dringen ein! das Außenwerk ist genommen! Gott! sie stürzen die Vertheidiger von den Wällen in den Graben! O Ihr Männer, wenn Ihr Menschen seid, so schont doch derer, die nicht mehr widerstehen können.«
»Die Brücke – die Brücke, welche mit dem Schlosse zusammenhängt, haben sie die genommen?« rief Ivanhoe.
»Nein, der Templer hat die Planke zerstört, über die sie zurück gegangen waren – wenige der Vertheidiger entkamen mit ihm in's Schloß – das Gewimmer und Geschrei, welches Ihr hört, verkündet Euch das Schicksal der Andern. Ach! ich sehe, daß es viel schrecklicher ist, einem Siege als einer Schlacht zuzuschauen!«
»Was thun sie jetzt?« fragte Ivanhoe – »o, schau weiter hin, jetzt ist keine Zeit über Blutvergießen ohnmächtig zu werden.«
»Für jetzt ist's vorüber,« sagte Rebecca. »Unsere Freunde verstärken sich innerhalb des Außenwerks, dessen sie sich bemächtigt haben, und es gewährt ihnen so guten Schutz gegen die Schüsse der Feinde, daß die Besatzung nur von Zeit zu Zeit einige Bolzen abschießt, mehr, wie es scheint, um sie zu beunruhigen, als ihnen zu schaden.«
»Unsere Freunde werden ein Unternehmen nicht aufgeben, das sie so glorreich begonnen haben,« sagte Wilfred. »Nein, nein, ich vertraue dem edlen Ritter, dessen Streitaxt Eisenstäbe zerhauen hat. – Seltsam,« murmelte er dann vor sich hin, »sollte es zwei geben, die eines solchen Muthes fähig sind? Ein Fesselschloß und eine eiserne Stange im schwarzen Felde! Was soll das bedeuten? – Siehst Du sonst nichts, Rebecca, woran man den schwarzen Ritter erkennen könnte?«
»Nichts,« entgegnete die Jüdin, »Alles um und an ihm ist schwarz, wie das Gefieder eines Raben. Aber wer ihn einmal hat fechten sehen in der Schlacht, erkennt ihn leicht unter tausend Kriegern. Freudig eilt er zum Handgemenge, als ginge es zu einem Feste. Es scheint, als legte er den ganzen Geist, die ganze Seele in jeden Streich, den er dem Feinde beibringt. Gott vergebe ihm die Sünde des Blutvergießens! Aber es ist herrlich, wenn auch schrecklich zu sehen, wie der Arm und der Muth eines Einzigen über Hunderte triumphiren kann.«
»Rebecca,« sagte Ivanhoe, »Du hast einen Helden geschildert! Sicherlich ruhen sie nur aus, oder denken auf Mittel über den Graben zu kommen. Unter solchem Führer gibt man kein kühnes Unternehmen auf. O, ich schwöre es bei der Ehre meines Hauses, bei dem Namen der Schönen, die ich verehre, ich wollte gern zehn Jahre gefangen sein, wenn ich nur einen Tag in einem solchen Kampfe an des edlen Ritters Seite fechten könnte.«
»O,« rief Rebecca, indem sie ihren Platz am Fenster verließ und sich dem Lager des Verwundeten näherte – »diese unendliche Sehnsucht nach Gefechten, diese Unruhe, diese Anstrengung bei Eurer jetzigen Schwäche muß Eurer Genesung schaden. Wie mögt Ihr hoffen, Andern Wunden beizubringen, ehe Ihr von Euren eigenen genesen seid?«
»Rebecca,« entgegnete er, »Du weißt nicht, wie unmöglich es Einem ist, der zu Thaten der Ritterschaft erzogen ward, unthätig zu bleiben, wie ein Priester oder ein Weib, während Thaten der Ehre um ihn vollbracht werden. Wir leben nicht, wir wünschen nicht zu leben, als so lange wir siegreich sind und ruhmgekrönt. Dies, Mädchen, sind die Gesetze der Ritterschaft, die wir beschworen haben, und denen wir Alles opfern, was uns theuer ist.«
»Ach!« sagte die schöne Jüdin, »was ist das anders, tapferer Ritter, als ein Opfer dem Dämon eitler Ehre gebracht, eine Läuterung in dem Feuer des Moloch? Was bleibt Euch denn als Preis für all das Blut, das Ihr vergossen, für alle Mühe und Arbeit, die Ihr übernommen, für alle Thränen, die Ihr durch Eure Thaten erpreßt habt, wenn nun der Tod des starken Mannes Lanze zerbrochen, und sein Schlachtroß in vollem Laufe eingeholt hat?«
»Was uns bleibt?« rief Ivanhoe, »Ehre, Mädchen, Ehre, die unser Grabmal vergoldet und unsern Namen verewigt.«
»Ehre?« fuhr Rebecca fort – »ist der verrostete Panzer, der über dem versunkenen, modererfüllten Grabe des Kämpfers hängt – ist die halb erloschene Inschrift darauf, die der unwissende Mönch dem forschenden Fremdling kaum vorzulesen vermag – sind diese hinreichender als für die Aufopferung eines zärtlichen, milden Gefühls, für ein Leben, elend hingebracht, um Andere elend zu machen? Oder liegt in dem rohen Gesange eines wandernden Sängers so viel Zauber, daß man häusliches Glück, Zärtlichkeit, Ruhe und Frieden hingibt, um nur der Held einer Ballade zu werden, die herumziehende Minstrels trunkenen Burschen beim Bier vorsingen?«
»Bei Hereward's Seele!« versetzte der Ritter ungeduldig, »Du sprichst über etwas, Mädchen, was Du nicht verstehst. Du würdest das reine Licht des Ritterthums auslöschen, das den Edlen von dem Gemeinen, den freien Ritter von dem Sklaven und dem Wilden unterscheidet, welches uns das Leben unendlich viel geringer achten läßt, als die Ehre, welches uns siegen läßt über Mühen, Qualen und Leiden, und uns lehrt kein Uebel zu fürchten, als Beschimpfung. Du bist keine Christin, Rebecca, Dir sind die erhabenen Gefühle unbekannt, welche die Brust eines edlen Mädchens erfüllen, wenn ihr Geliebter eine kühne Waffenthat vollbracht hat, die seine reine Liebe bestätigt. Das Ritterthum, Mädchen, ist die Nährerin der reinsten, schönsten Liebe, der Stab des Unterdrückten, der Trost des Bekümmerten, die Macht, unter der sich die Gewalt der Tyrannen beugt. Ohne dieses ist der Adel ein leerer Name, und an seiner Lanze und seinem Schwerte findet die Freiheit ihren wirksamsten Schutz.«
»Freilich,« sagte Rebecca, »ich bin aus einem Geschlechte entsprossen, dessen Muth sich nur in der Vertheidigung des Vaterlandes auszeichnete, und das, auch als es noch ein Volk war, nur Krieg führte auf Befehl seines Gottes, oder zur Abwendung fremder Unterjochung. Der Klang der Trompeten erweckt Juda nicht mehr, und seine verachteten Kinder sind jetzt die Opfer feindlicher und kriegerischer Unterdrückung. Wohl hast Du gesprochen, Ritter, so lange der Gott Jakobs nicht einen zweiten Gideon oder einen neuen Maccabäus seinem erwählten Volke erwecken wird, ziemt es einem jüdischen Mädchen nicht von Schlacht und Kampf zu reden.«
Das hochgesinnte Mädchen beschloß ihre Rede in einem Tone des Kummers, der das Gefühl der Entwürdigung ihres Volkes bezeichnete, verbittert vielleicht noch durch den Gedanken, daß Ivanhoe sie als eine Person betrachtete, die nicht berechtigt sei, sich in eine Ehrensache zu mischen, und unfähig, Empfindungen der Ehre und Großmuth Raum zu geben.
»Wie wenig kennt er dieses Herz,« sagte sie zu sich selbst, »wenn er meint, Feigheit und Niedrigkeit der Seele müßten hier wohnen, weil ich das phantastische Ritterthum der Nazarener getadelt habe. Wollte doch der Himmel, daß mein Blut, Tropfen für Tropfen vergossen, Juda's Gefangenschaft lösen könnte! Ja, möchte es auch nur dazu dienen, meinen Vater und diesen seinen Wohlthäter aus den Händen des Unterdrückers zu befreien. O, der stolze Christ sollte dann sehen, ob eine Tochter aus Gottes erwähltem Volke es nicht wagen würde, eben so muthvoll zu sterben, als das stolzeste Mädchen der Nazarener, das seine Abkunft von irgend einem kleinen Oberhaupte des rauhen Nordens ableitet.«
Dann blickte sie nach dem Lager des verwundeten Ritters hin.
»Er schläft,« sagte sie, »die Natur ist erschöpft durch Leiden und Schmerz, und der gedrückte Körper ergreift den ersten Augenblick einer Unterbrechung von jenen, um in Schlummer zu sinken. Ach! ist es ein Verbrechen ihn anzuschauen, wenn es das letzte, letztemal ist? Ach! nur ein kurzer Zwischenraum, und die so schönen Züge werden nicht mehr belebt von dem kühnen, aufstrebenden Geiste, der sie selbst im Schlafe nicht verläßt; die herrliche Gestalt entstellt, gemißhandelt, von dem schlechtesten Knechte in diesem abscheulichen Schlosse, und doch ungebeugt, wenn das Beil des Henkers über ihm schwebt!« – Sie schauderte bei diesem Gedanken. – »Aber mein Vater, mein Vater! O schlechte Tochter, wenn Du seines grauen Haars nicht gedenkst bei den goldenen Locken des Jünglings. Sind nicht meine Leiden die Vorboten von Jehova's Zorn über das unnatürliche Kind, der die Gefangenschaft eines Fremdlings mehr zu Herzen geht, als die des eigenen Vaters? Welches Juda's Kummer vergißt, und auf die Anmuth eines Heiden, eines Fremdlings schaut? – Aber ich will diese thörichte Neigung aus meinem Herzen reißen, und sollte jede Fiber darüber bluten.«
Sie hüllte sich dicht in ihren Schleier und setzte sich in einiger Entfernung von dem Lager des verwundeten Ritters nieder, mit dem Rücken gegen ihn gewendet, indem sie ihr Gemüth stärkte, oder zu stärken suchte, nicht allein gegen die drohende Gefahr von außen, sondern auch gegen die verrätherischen Gefühle, die es von innen bestürmten.